VON SCHWERT, SCHILD UND CYBERWEAR:
FASZINATION ROLLENSPIELE
Die Gassen von Gareth waren finster
und verhangen. Das Elendsviertel der größten Stadt Aventuriens
war eine der größten Kloaken, die die Zivilisation des Mittelreiches
hervorbrachte. In einer besonders dunklen Ecke traf sich eine höchst
seltsame, bunt zusammengewürfelte Gruppe von Abenteurern. Der bärtige
Halb-Elf Garolas, Anführer der Heldengruppe, bat seine Freunde zur
Ruhe. Wieder einmal hatten sich der Zwerg Golddurst und der Schelm Mumpitz
in den Haaren gelegen. Als endlich Ruhe herrschte, warf Garolas der Streunerin
Jandra einen kurzen Blick zu. Darauf schickte sich diese an, die eisenbeschlagene
Holztür mit Hilfe eines Dietriches zu manipulieren. Ein kurzes Klicken
ertönte, und Jandra meinte flachsend: "Hereinspaziert, meine Herren.".
Beinahe lautlos bewegte sich die Gruppe durch die langen Flure der Diebesgilde.
Hinter dieser Tür sollte laut der Information ei nes Barmannes, der
Freund Golddursts gefangengenommen sein. Die Tür war unverriegelt,
die Helden traten ein. Der Raum war hellbeleuchtet. Die Heldengruppe starrte
verdutzt auf die fünf Strolche, die sie mit gezückten Rapieren
hämisch grinsend erwarteten... Szenenwechsel.
Jason
blickte auf seinen Credstab und runzelte die Stirn- sehr große Sprünge
konnte er bei seinem jetzigen Lebenstil mit diesem Kontostand nicht mehr
machen: Er brauchte einen Run. Allzusehr mißfiel ihm die Idee nicht,
wieder für einen Konzern auf Datenklau zu gehen. Er lud seine Ares
Predator durch und steckte sie in seine Panzerjacke. Sein Deck hängte
er sich über die Schulter und kurz darauf verließ er sein Appartment
und machte sich mit der Monorailbahn auf den Weg zu seiner Stammbar, wo
er seine Connections treffen wollte...
Viele haben überhaupt
keine Ahnung was Rollenspiele sind (was auch nicht unbedingt peinlich ist).
Für alle Unwissenden unter Euch, erklären wir es kurz.
Es treffen sich circa
drei bis sechs Leute zu einer sogenannten "session", jeder bis an die Zähne
bewaffnet mit Gummibärchen, Chips, Crackern und was sonst noch alles
Pickel macht. Vorraussetzung ist dies aber nicht (den Absatz hätten
wir uns sparen können).
Aber wäre schon
ganz gut, denn man will es ja rund vier bis fünf Stunden auf seinem
Stuhl aushalten. In jeder "party", so wird diese Gruppe genannt, gibt es
einen Meister. Klingt zwar doof, ist aber so. Gut, man kann ihn auch Spielleiter
nennen. Dieser Meister leitet das Abenteuer, hat sich damit auseinandergesetzt
und sollte es eigentlich in und auswendig kennen. Jetzt stellt Ihr Euch
die Frage: Was ist ein Abenteuer? Ein Abenteuer ist entweder ein eigenverfaßtes
oder gekauftes "Drehbuch". Darin steht, was die Helden, also unsere Partymitglieder,
erleben, welche Gefahren sie zu meister haben, welchen "Monstern" sie begegnen
und welche Rätsel sie zu lösen haben. Dabei spielen Nichspielercharakteren
(NPCs) eine wesentliche Rolle. Mit diesen können sich Spieler unterhalten.
Das ist besonders wichtig, denn nur so kann und sollte ein Abenteuer zu
lösen sein. Jeder Spieler macht sich zu Anfang des Spieles einen Charakter,
falls er noch keinen besitzt. Dieser Charakter beschreibt den Helden, der
vom Spieler dargestellt wird (daher auch Rollenspiel). Auf einem vorgedruckten
Zettel, dem Charakterbogen, werden Name, Typ, also Magier, Krieger, Dieb,
bzw. Straßensamurai, Kopfgeldjäger, Decker etc. eingetragen.
Ebenfalls werden Rasse (z.B. Elf, Mensch, Zwerg), und die individuellen
Fähigkeiten und Attribute des Helden notiert. Am Anfang sehen diese
ziemlich erbärmlich aus, den was sind bei Geschicklichkeit den 7 von
über 20 möglichen?
Der Meister schildert
dann den Helden, wo sie sich befinden und wie die momentane Lage aussieht.
Das könnte z.B. so aussehen:
Meister: Ihr seid jetzt in einer randvollen und verrauchten Tavenerne
mitten in Havena.
Jork der Elf: Ich bestelle mir eine Ziegenmilch.
Dimli der
Thorwaler
(Winkinger) : Weichei! Ich lasse mir einen Humpen Met bringen!
Meister: Die Bedienung bringt euch das Gewünschte.
Das macht ein Silbertaler für Jork, und einen 1 Silbertaler
und fünf Heller für Dimli.
Dimli : Das sind ja Apothekerpreise! Ich bin nicht bereit zu zahlen!
Meister: Wirklich?
Dimli : Natürlich! Bin ich etwa blöd?
Hank der Streuner: Mach keinen Terz und bezahle.
Dimli : Ist ja schon gut, hier ist das Geld. Wo ist hier die
Toilette?
Meister: Die Bedienung zeigt dir den Weg.
Dimli : Weiblich? Ledig? Jung?
Meister: Weiblich ja, jung auch, aber ledig kannst du nicht erkennen.
Dimli : Ich habs mir überlegt, ich grabsche ihr an den Hintern!
Meister: Ihr Mann hat das mitbekommen und kommt zu euch herüber.
Hank : Perverser Bock! Hier kommt überhaupt kein richtiges Abenteuer
zu stande!
Meister: Er ist bei Dimli angekommen und krempelt die Ärmel hoch, und
spuckt sich in die Hände.
Hank : Ich versuche es zu erklären...
Meister: Und schon hat Dimli einen sitzen!
Dimli : WAS!?! Ich habe doch nur so gesagt, daß ich ihr...
Meister: Gesagt ist getan. So sind die Regeln.
Von den Nachbartischen rufen die Leute: Ey, eine Schlägerei!
Sieht aus, als ob sich eine Keilerei nicht vermeiden läßt.
Dimli : Gut dann ziehe ich mein Schwert.
Meister: Was? Du willst den töten?
Dimli : In Ordnung, dann krempele ich eben auch meine Ärmel hoch.
Jork : Tschüß, ich mache mich unsichtbar.
Meister: Würfele.
Jork : Eine Vierzehn, eine Drei und eine Vier.
Meister: Deinem Charakterbogen entnehme ich, daß die Zauberprobe
gelungen ist. Du bist unsichtbar.
So etwa sieht ein Auschnitt aus einem guten und realistischem Rollen-
spiel aus. Spontan, witzig, ohne große Diskutiererei oder unnötiges
"Blutvergießen".
Eine Szene, die aus dem Spiel,"Das
schwarze Auge" kommen könnte. Rollenspiele werden in letzter Zeit
in Deutschland immer populärer. "Das Schwarze Auge" ist das Meistverkaufteste
in der BRD. Eine Fanta- sy-Rollenspielgruppe in Düsseldorf bekam von
der Brettspielfirma Schmidt Spiel+Freizeit und Droemer Knaur durch eine
Verknüpfung glücklicher Zufälle, den Auftrag, ein Fantasyrollenspiel
in den Spiel- und Buchhandel zu bringen. Also reisten diese munteren Gesellen
mit ihrem Spiel, das eigentlich nur aus ein paar handschriftlichen Notizen
und Skizzen bestand, zu der münchner Firma.
Obwohl dermaßen
schlecht vorbereitet, gefiel das Konzept, und die Hobbyspieler unter der
Leitung von Ulrich Kiesow, verkauften das Spiel, welches damals noch "Aventuria"
hieß. 1984 sollte es dann auf der derzeitigen Spielwarenmesse vorgestellt
werden.
Schmidt fand den Namen
"Aventuria" ziemlich bekloppt und man einigte sich auf den mystischen Namen
"Das schwarze Auge". Trotz Zeitdrucks konnte das Spiel rechtzeitig zur
Messe präsentiert werden.
Es wurden das sogenannte
Basisspiel mit ein paar anderen Kästen vorgestellt, die aber nur kurz
in dieser Form verkauft wurden. Insbesondere prangerten Kritiker an, daß
in dem Spiel viel zu viel Gewalt steckte. Sie waren der Meinung daß,
ein solches Spiel nur konzipiert wäre, da Erwachsene nicht die nötige
Kreativität und Phantasie aufbringen könnten. Und Gewaltszenen
wie einen Goblin, der einer holden Maid das Kleid zerreißt, hätte
sicher nicht in die Kinderstube gehört.
So wurden von der ersten
Version nur etwa 3000 Stück verkauft. Die Nachfolgeversion enthielt
kleine Gimmicks, die allerding etwas paddelig waren. So sollte der Meister
eine fledermausförmige Plastikmaske tragen, die eher zur Erheiterung
als zur Verkaufsteigerung diente ("Ich kann hier drunter nichts erkennen...
hey, schau nicht in meine Unterlagen!!")
Nach dann jedoch das
Spiel dann ohne diesen Schotter in großer Auflage erschien, kam der
erste Durchbruch: Es wurde reichlich verkauft und das Spiel erschien in
drei europäischen Nachbarländern (Holland:"Het Oog des Meesters",Italien:"Una
Sguardo nel Buio" und Frankreich:"L'Oeil Noir").
Weil es jetz soviele
begeisterte Spieler gab, gab es natürlich auch ein größeres
Feedback. Bis zu 50 Briefe täglich bekundeten das Interesse an differenzierten
Regeln und einer größeren Spielewelt. So gab es dann 1988 eine
richtige Neuauflage. Bis zur heutigen dritten Version wurden noch einige
Zusatzkästen, Abenteuer und Landschafterweiterungen auf dem Markt
geworfen, die einem fanatischem Schwarze-Auge-Spieler schon das Geld aus
der Tasche ziehen können. Zu jeder Begegnung mit Monstern, zu jeder
Regelfrage gibt es nun heute Antoworten- vorrausgesetz, man bringt die
nötige Finanzkraft mit. Einige Leute besitzen eine "Ausrüstung"
im Werte von 500 DM.
Also kann gesagt werden,
daß Schmidt mit dieser Serie unglaublichen Erfolg zur verzeichnen
hatte und hat. Allerdings scheint es so langsam an guten Ideen zu mangeln,
den mittlerweile Brettspiele vom Schwarzen Auge angeboten, deren Spielwert
eher anzuzweifeln ist. Im Fernsehen wird ungefähr so geworben: "Machthungrige
Aventurier kämpfen mit brutalen Dinosauriern aus der Urzeit um die
absolute Macht"- was hat das eigentlich noch mit Rollenspiel zu tun. Knüppel
doch alles tot, was sich bewegt, ist das Motto.
Zum Schwarzen Auge, kurz
DSA, als Spielewelt. DSA spielt in der Fantasiewelt "Aventurien". Dem technischen
Stand nach befindet man sich etwa im Mittelalter. Es gibt Könige und
Drachen, und es ist eine Zeit, wo Helden noch richtige Helden und Heldinnen
(die gibt es auch!) noch richtige Heldinnen sind. Die Zauberei wurde noch
nicht abgeschafft und so bevölkern immer noch gute und böse Hexer,
Zauberer und Elfen die Welt, eben Lebewesen aller Art.
Innerhalb Aventuriens
gibt es verschiedene Landstriche. Da wären die Wüste Khom, wo
die Novadis, eine Art Araber, leben, das Orkland, verseucht mit diesen
widerlichen Geschöpfen, das Mittelreich mit dem kürzlich verstorbenen
Kaiser Hal, nach dem auch die Zeit berechnet wird, die Insel Maraskan und
vieles mehr.
Man hat also als Abenteurer
viel zu entdecken. Die Bevölkerung Aventuriens ist nicht wie heute
weitestgehend säkularisiert, sie glaubt nicht an die zwölf Götter,
sie weiß sogar, daß sie existieren. Jeder einzelne Bewohner
des Landes hat dabei seinen eigenen Gott, zu dem er betet, und dem er Geld
opfert. Trotzdem sind Schwarze-Auge-Spieler nicht gleich Okkultisten, sondern
solche Details verfeinern die Atmosphäre.
Das Regelwerk ist für
Rollenspielneulinge gedacht, die vorher noch keine Erfahrung mit Spielen
solcher Art gemacht haben. Es ist relativ einfach zu lernen, und man kann
bereits nach ein bis zwei Tagen mit dem Spiel beginnen. Später kann
man dann zum Spielen kompliziertere Regeln verwenden.
Shadowrun ist dagegen
ein Rollenspiel für Fortgeschrittene. Es spielt nicht so wie viele
in einer mitteralterlichen Zeit, sondern in der Zukunft- einer sehr dunklen
Zukunft.
Das Jahr 2050.
Durch eine Verkettung
unglücklicher Zufälle, kam die alte Ordnung ins Wanken. So kam
es zu diversen Revolutionen in einzelnen Ländern, die amerikanischen
Indianer riefen einen eigenen Staat aus, ein Virus legte das weltweite
Computernetz lahm und einige Menschen goblinisierten. (Goblinisierende
Menschen verwandelten sich in Orks, Elfen, Trolle oder Zwerge.)
Obwohl es Versuche gab,
die Lage wieder zu normalisieren, herrscht streckenweise immer noch Anarchie
auf den Straßen. Dies ist die Zeit der Cyberpunkabenteuer. Das ultimative
Geld wird nicht mehr durch das Stehlen von Banknoten gemacht, vielmehr
geht es auf die Suche nach Daten. Die neue Generation von Spionen, die
sogenannten Shadowrunner, die sich für (fast) jeden Auftrag anheuern
lassen, gehen auf Datenklau. Sei es jetzt nun der Plan für eine neue
Waffe, Motorad, oder Genetik-Experiment, für den Spezialisten ist
das kein Problem. Dem Shadowrunner stehen dabei ein paar mehr Ausrüstungsgegenstände
als noch vor 60 Jahren zur Verfügung. So hat man im Bereich der Cyberim
plantate wahre Wunder vollbringen können. Bestimmte Ausrüstungsteile
verbessern die Kraft oder das Sehvermögen; es können teilweise
sogar Waffen im Körper implantiert werden.
In der Computertechnik
hat man auch Fortschritte gemacht, das Wort "Cyberspace" ist nicht nur
ein Schlagwort, sondern mit Hilfe dieser Mittel geht man auf Datenreise.
Wer sich das so vorstellt, daß sich ein Shadowrunner einen Datenhandschuh
anzieht, und sich einen 3D-Helm aufsetzt, liegt falsch. Vielmehr besitzt
der Computerprofi, sein "Deck", einen Computer, der keinen Bildschirm hat,
sondern der direkt mit dem Benutzer verbunden ist. Dies geschieht auf recht
unkonventionellem Wege: Das Deck ist mit einem Kabel an einer Buchse am
Kopf des "Deckers", verbunden. So wird die virtuelle Realität zur
vollkommenen Realität, und bei einer illegale Datenreise wird gegen
Sicherungsprogrammen gekämpft.
Das Tolle an dem Spiel
ist seine Atmosphäre, das Spielmaterial ist ausgezeichnet. Die vielen
Illustrationen geben Shadowrun genauso das gewisse Etwas, wie die guten
Regeln, die im Spiel sehr schnell anzu wenden sind.
Allerdings sind sie zu
Anfang etwas schwer verständlich, und als An fänger sollte man
sich entweder einer Spielegruppe anschließen, die Shadowrun schon
spielt, oder ersteinmal mit einem anderen Rollenspiel beginnen. Wem das
Zukunftsszenario nicht gefällt, ist mit dem Schwarzen Auge sehr gut
beraten.
Das Schwarze Auge kostet
ungefähr 40 DM für den Basiskasten, in dem ein Einführungsheft,
das Regelbuch, Pläne, Sicht- und Tabellenschirm für den Spielleiter,
drei sechsseitige und einen zwanzigseitigen Würfel und Charakterbögen
enthalten sind.
Alle anderen Zusatzkästen
liegen etwa in dieser Preisklasse, obwohl sie zum Spielen nicht unbedingt
notwendig sind.
Ein fertiges Abenteuer
kostet zwischen 12 und 18 Mark. Bei Shadowrun muß man mehr berappen.
Die zweite, verbesserte Ausgabe kostet rund 70 DM. Allerdings darf man
nicht enttäuscht sein, wenn man für das Geld nur ein ca. 350
Seiten starkes Buch erhält, ich mußte es mir vorher auch noch
einmal überlegen. Aber es handelt sich nicht ganz einfach um einem
Roman, den man nach dem Lesen beiseitelegt, sonderen um ein aufwendig gestaltetes
Regelwerk, an dem man sehr lange seinen Spaß haben wird.
Wer gerne nicht nur in
den Städten von Amerika seine Abenteuer erleben will, der kann sich
für knapp 60 DM das 200 Seiten starke Zusatzbuch "Deutschland in den
Schatten" kaufen. Es ist sehr unterhaltsam aufgemacht und bietet sehr interessante
Informationen über die BRD nach der großen Katastophe.
e-mail
an: 11158@stud.uni-lueneburg.de