Kapitel 9 – Erste Briefe: Freitag


Hallo Hilde!


Ich bin jetzt schon ein paar Tage in England und habe mich entschlossen, dir nun zu schreiben. Wie geht es dir und den anderen? Ich hoffe doch, dass ihr auch ohne uns vier samstags immer feiert. Ich nehme an, dass Wufei am Sonntag ganz schön viel aufzuräumen hatte. Wo feiert ihr als nächstes?

Mir geht es soweit gut. Es ist schön, ein neues Land und dessen Menschen kennen zu lernen. Dorothy und ich sind jeden Tag unterwegs. Leider macht das Wetter manchmal nicht mit. Immer wieder gibt es Schauer, es ist ziemlich wechselhaft hier. Ohne Regenschirm kann man da nicht aus dem Haus gehen.

Apropos Haus: wir wohnen in einem kleinen netten Häuschen in London, aber im äußeren Gebiet. Mit dem Zug braucht man eine halbe Stunde bis in die City. Das U-Bahn-System ist dort unglaublich, viel einfacher als in New York. Man muss sich nur nach den Himmelsrichtungen orientieren, ganz einfach.

Wo war ich? Ach ja, das Haus. Es ist einfach, aber sehr schön. Ich wollte nicht in ein Hotel oder gar in eine Villa. Mir gefällt es besser so, ich möchte nicht ständig daran erinnert werden, wer ich bin. Wo wir beim Thema Arbeit wären.

Wenn wir unterwegs sind, fragen wir ganz offen die Leute nach ihrer Meinung, was in ihrem Land verbessert werden könnte und so weiter. Der Anfang ist immer schlimm, sie gehen eben nicht mit mir um, als wäre ich ein nettes Mädchen von nebenan. Aber wenn sie etwas lockerer werden, sagen sie uns ganz offen, was ihnen auf den Herzen liegt.

Besonders schlimm soll wohl die Kriminalität sein. Als Tourist muss man dort ziemlich aufpassen. Aber in New York ist es wohl ähnlich, große Städte haben das wohl so an sich. Ich werde mein bestes versuchen.

Aber ich kann dir sagen: England ist teuer! Oh ja! Aber auch wirklich alles, man kann kaum sagen, dass etwas besonders billig ist. Dorothy schwebt im siebten Himmel. Es gibt dort viele tolle Läden, in denen man super shoppen kann. Wenn wir nicht mindestens einmal am Tag in eine Boutique gehen, ist sie für den Rest des Tages ungenießbar. Smile

Der Flug war in Ordnung, aber viel zu lang. Ich denke, du kannst dir vorstellen, wie es ist, wenn du dich gerade von deinen Freunden getrennt hast und im Flugzeug sitzt und nicht weißt, was du mit dir anfangen sollst. Ja, man muss immer an sie denken. Hilde, ich vermisse euch schon jetzt, dabei wollte ich doch stark sein.

Zum Glück ist Dorothy hier. Wenn sie nicht wäre, würde ich schier verzweifeln. Sie tut wirklich ihr bestes, ich bin ihr unheimlich dankbar. Ich hoffe, du kommst mit den Jungs klar, du bist jetzt schließlich Herrin im Haus. Smile

Was ich dir noch erzählen wollte: ich verstehe Heero einfach nicht. Er verhielt sich so merkwürdig. Erst wandte er sich von mir ab, sagte, dass alles ein Fehler war, dann aber meinte er, ich solle nicht einfach verschwinden und kommt sogar zum Flugplatz.

Kannst du dir das vorstellen? Er sah schrecklich aus, völlig fertig, und kommt trotzdem noch, um mir auf Wiedersehen zu sagen? Er hat mich in den Arm genommen, ich war so durcheinander. Hat er irgendetwas gesagt? Verhält er sich anders als sonst?

Ach wenn er doch nur mit einem reden würde! Aber das kann er nicht, Taten liegen ihm wohl besser. Aber ich komm damit nicht richtig klar, ich würde zu gern wissen, was er denkt.

Tut mir Leid, dass ich dich hier mit meinen Problemen belästige, ich wolle doch etwas Aufmunterndes schreiben. Aber ich kann einfach nicht anders, du bist meine einzige Verbindung zur Außenwelt. Smile

Nun zu dir: was machst du so? Gibt es Neuigkeiten? In Bezug auf Duo? Smile

Genug jetzt, das soll kein Roman werden. Ich hoffe, du schreibst schnell zurück.


1000 Küsse

deine Relena


PS: Viele liebe Grüße natürlich auch von Dorothy!


London, Mittwoch, den xx/xx/xx [24]

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Hallo Quatre!


Ich weiß, dass es sehr überraschend sein muss, aber du hältst tatsächlich einen Brief von Dorothy Catalonia in den Händen. Wie das kommt? Nun, ich muss doch mit euch in Kontakt bleiben, und da erschienst du mir der geeignetste (Relena schreibt schließlich schon an Hilde). Ich habe leider keine Zeit, jedem einen Brief zu schreiben und na ja, meine Hand mag das auf Dauer auch nicht.

Wir sind jetzt ein paar Tage in England und es gefällt mir sehr gut hier. Warst du mal in England? Du kommst doch auch viel umher, oder? Naja, ich mag keine Reiseberichte, deshalb möchte ich jetzt auch keinen schreiben. Ich hoffe, das ist okay.

Relena und mir geht es gut, die neue Umgebung tut gut. Vor allen Dingen für Relena, aber sie hat es eben sehr schwer. Warum? Tja, ihr Körper mag zwar hier sein, aber ihre Gedanken sind in New York geblieben. Einmal ist sie aufgewacht und meinte, dass sie Hilde besuchen wolle. Die ärmste. Aber sag das niemanden, sie bringt mich um, wenn sie weiß, dass du es weißt.

Was macht das Leben auf dem amerikanischen Kontinent? Gibt es was neues? Bitte, ich liebe Neuigkeiten! Egal wie unwichtig es ist, teil es mir ruhig mit. Ich möchte schließlich auf dem Laufenden bleiben und nicht nach der Rückkehr erschrocken feststellen müssen, dass jemand geheiratet hat!

Von Trowa und Catherine wirst du wohl nichts wissen, aber vielleicht schreiben sie ja mal. Und in zwei Monaten sind die beiden ja schon zurück. Das geht schneller vorbei als man denkt. Also halt durch, Quatre, ich weiß, wie sehr dich das mitnimmt! Aber du musst auch bedenken, dass es ihnen wohl auch nicht anders geht.

Wenn es etwas Neues von Heero gibt, musst du mir das bitte unbedingt mitteilen. Nicht wegen mir, du weißt schon. Ich weiß ja nicht, ob er es euch erzählt hatte, aber Heero war doch am Sonntag tatsächlich noch auf dem Flugplatz erschienen! Ich habe Bauklötze gestaunt. Keiner versteht ihn, ich zumindest nicht. Vielleicht weißt du ja mehr darüber, wie dieser merkwürdige Junge funktioniert.

Ich habe noch einmal über deine Worte nachgedacht und es stimmt schon. Die anderen sind mir genauso fremd, wie ich es für sie bin. Ich sollte mehr auf sie zukommen. Aber ich habe immer irgendwie das Gefühl, dass sie mich nicht leiden können, du weißt schon, warum. Es ist schade, dass ich nun hier bin, und dies nicht ändern kann, aber ich werde mein bestes versuchen, wenn wir zurückkommen.

So, das war es erst mal meinerseits. Ich freue mich natürlich über jede Antwort und sei es nur ein Hallo. Grüß die anderen von uns beiden ganz lieb.


Mit freundlichen Grüßen

Dorothy


PS: Tut mit leid, Relena kann längere Briefe schreiben. Wie macht sie das nur? [25]


London, Mittwoch, den xx/xx/xx

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Life – Leben


There’s an ocean between us – Es ist ein Ozean zwischen uns

You know where to find me – Du weißt, wo du mich finden kannst

You reach out and touch me – Du holst aus und berührst mich

I fell you in my own heart – Ich spüre dich in meinem eigenen Herzen


More than a lifetime – Länger als ein Leben

Still goes on forever – Die Stille geht ewig weiter

But it helps to remember – Aber es hilft, sich daran zu erinnern

You’re only an ocean away – dass du nur einen Ozean entfernt bist


Life – Leben [I]


[24] Denkt euch ein Datum aus. ^-^

[25] Ganz einfach: sie ist für den Reisebericht nicht zu faul!


[I] Ausschnitt aus „Only an ocean away“ von Sarah Brightman


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Kapitel 10 – Erste Antworten: Donnerstag


Hi Relena!


Ich habe mich wahnsinnig über deinen Brief gefreut! Also vielen Dank! Natürlich muss ich dir auch gleich zurückschreiben. Als erstes geh ich mal auf die Sachen aus deinem Brief ein, dann erzähl ich dir, was es hier neues gibt.

Also, uns allen geht es gut. Und glaub mir, Wufei hat vielleicht ein Theater gemacht! Er wollte natürlich nicht allein aufräumen und meinte, wir sollen ihm helfen. Da wir seine Freunde sind, haben uns bereit erklärt, aber Wufei hat natürlich das Kommando übernommen.

Wir mussten von einer Ecke in die andere hetzen, bis es uns dann zu bunt wurde. Wir haben uns heimlich alle verdrückt. Ich hätte zu gern seinen Gesichtsausdruck gesehen! Gerüchten zufolge soll er am Montag seine Schüler dazu verdonnert haben, den Rest zu machen...

Wir werden weiterhin Samstags feiern, mach dir da mal keine Sorgen. Natürlich ist das ganze nicht toll, wenn wir vier Leute weniger sind. Und ich als einziges Mädchen! Aber bisher habe ich es gut überlebt, die Mädels aus meiner Klasse sind ja auch noch da. Und wir überlegen sogar, ob wir irgendwelche anderen Dinge unternehmen, da wir ja nur zu fünft sind. Eine große Party lohnt da nicht wirklich. Aber treffen werden wir uns weiterhin.

Ich kann mir gut vorstellen, wenn Relena Peacecraft auf die Londoner Straßen geht, sie alle verwundert angaffen! Kann man denn da überhaupt noch vernünftig einkaufen? Oder geht Dorothy immer für euch beide? Das kann ich mir sogar vorstellen... *grins*

Du vermisst uns schon? Ich euch doch auch! Aber sei stark, du hast dich ja nicht ohne Grund dafür entschieden! Wo wir beim Thema Heero wären:

WAS? Er war am Flugplatz?? Nein, davon hat er nichts gesagt. Er redet sowieso nicht viel, wie du ja auch geschrieben hast. Ich nehme an, dass er mit deiner Art von Verabschiedung nicht ganz einverstanden war.

Ich finde ja, dass man Heero sehr gut mit Milchglas vergleichen kann. Ein bisschen kann man immer erkennen, aber das Wahre bleib einem doch verborgen. Mir ist nichts ungewöhnliches an ihm aufgefallen, er ist eigentlich wie immer. Aber ich kann mich ja mal bei Duo erkundigen, er ist schließlich sein bester Freund.

So, so, Neuigkeiten in Bezug auf Duo. Hat dir das Dorothy eingeredet, mich danach zu fragen? Naja, wie auch immer, es gibt schon was neues. Das gab es eigentlich auch schon vor deiner Abreise, aber du warst so schlecht drauf, da hab ich mich nicht getraut, dir das zu erzählen.

Ich kann dir freudig mitteilen, dass sich etwas anbahnt! Und jetzt rate mal, wem ich das zu verdanken hab. Heero! Unglaublich, oder? Er meinte zu mir, dass Duo aller Wahrscheinlichkeit nach, mehr für mich empfindet als Freundschaft. Kurz: er hat Duos Geheimnis ausgeplaudert. Und ich dann Heeros... Aber Duo hat ihn Gott sei Dank am Leben gelassen...

Ist es nicht komisch, mit sich selbst scheint Heero nicht klar zu kommen, aber den Kuppler spielt er gerne! Statt er mal sich mit dir verkuppelt! *grins* Vielleicht wird er sich mit der Zeit mal endlich im Klaren darüber, was er über dich denkt und für dich empfindet. Das wird schon. Falls er plötzlich anfangen sollte, schwer vor sich hin zu seufzen und verträumt durch die Gegend zu gucken, sag ich dir bescheid, dann kannst du zurückkommen! *grins*

Ich möchte auch nach England! Einmal sagen zu können „Ich war auf der Tower Bridge!“ oder „Ich war im White Tower!“ Mach schön viele Fotos, dann kannst du mir ruhig ein paar schicken! Zum Beispiel wie Dorothy vor ihrem Stapel Klamotten sitzt...

Tja, und sonst? Ich verstehe mich jetzt besser mit meinen Eltern. Wir reden offener über alles mögliche. Das freut mich sehr, ich fühl mich jetzt mehr als ein Teil von ihnen. Soviel neues kann ich dir momentan nicht schreiben, richtig treffen tun wir uns ja immer erst Samstag.

Ach so, jetzt hätte ich es fast vergessen! Am Sonntag nach deiner Abreise mussten wir ja bei Wufei aufräumen. Dann hat es plötzlich geklingelt und in der Tür stand ein Mädchen, das irgendetwas von Arbeit gefaselt hat. Wufei und sie schienen sich zu kennen. Hört, hört! Das hab ich echt nicht erwartet.

Naja, jedenfalls arbeitet sie jetzt im Dojo. Keine Ahnung, was sie machen muss, aber wie ich Wufei kenne, wird sie wohl immer sauber machen. Alexa war glaub ich ihr Name. Woher sie sich kennen und so weiter, darüber schweigt sich Wufei ja aus. Ich werd ihn ein bisschen ärgern, irgendwann muss er ja mal was erzählen.

Mehr fällt mir im Moment nicht ein. Wir schreiben uns!

Grüß Dorothy noch von mir!


Mit lieben Grüßen und einem Küsschen


Deine Hilde


PS: Versuch doch, einen Brief an Heero zu schreiben! Vielleicht kann er sich schriftlich auch besser ausdrücken!


Chill-Place, Montag, xx/xx/xx

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Hallo Dorothy!


Freut mich, von dir zu hören! Ich war überrascht, dass stimmt, aber positiv. Nach deinem Brief zu urteilen geht es euch ja soweit ganz gut, nur das mit Relena tut mir leid. Ich hoffe, dass sie das auch noch hinbekommt, die Umstellung ist eben doch ganz schön groß.

Mach dir wegen dem Reisebericht keine Gedanken, ich war schon zwei mal in England. Das Wetter ist da sehr wechselhaft, ich wünsche euch ja nicht, dass es den ganzen Tag regnet.

Neuigkeiten gibt es, Duo und Hilde haben geheiratet! Nein, nur ein Scherz. Aber die beiden sind in letzter Zeit unzertrennlich, wir sehen sie schon fast als eine Person. Heero hat tatsächlich mal gesagt: „Wo ist Duo und Hilde?“ Aber von ihm gibt es nichts neues, redet nicht viel, nur das Nötigste.

Ich glaube, damit hättest du dich auch besser an Duo wenden sollen. Wenn jemand etwas weiß, dann er. Ich hatte zuerst den leisen Verdacht, dass Relena sich wegen Heero zurückgezogen hat, weil er irgendwas schlimmes gemacht hat oder so. An dem Samstag war das Verhalten der beiden einfach nur unheimlich.

Aber jetzt, wo du mir geschrieben hast, dass er sogar noch am Flugplatz war, bekomme ich da wieder Zweifel. Ich bin genauso schlau wie vorher. Man müsste Heero direkt fragen, aber ich weiß nicht so recht, ich glaube keiner möchte den Zorn auf sich ziehen, wenn er wütend wird.

Nein, bisher habe ich keinen Brief von Trowa und Catherine bekommen, ich glaube auch nicht so recht, dass sie schreiben werden. Schön wäre es, aber ich weiß nicht. Solange ihr beide euch ab und zu meldet kann ich das hinnehmen.

Ich kann verstehen, dass es dir nicht leicht fällt, auf die anderen zuzugehen. Ich würde dir auch raten, nicht bei Wufei anzufangen. Er hat jetzt übrigens ein Mädchen im Dojo eingestellt, sie kannten sich wohl schon vorher. Naja, wenigstens einer ist auf dem Weg zur Besserung, nicht?

Und ansonsten? Wir treffen uns weiterhin samstags, aber Partys werden wir wohl nicht mehr so oft machen. Dazu sind wir einfach zu wenig Leute. Wir werden irgendetwas anderes machen, da lassen wir uns schon noch was einfallen.

Meine Briefe sind auch nie besonders lang, also mach dir nichts draus. Bis zum nächsten mal.


Mit freundlichen Grüßen

Quatre


New York, Sonntag, xx/xx/xx

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Life – Leben


Ich habe Recht, die Welt ist schlecht

Weil jeder nur sich selber liebt

Aber dann siehst du mich an

Als ob’s da noch was andres gibt


Wenn ich in deine Augen seh

Dann bricht mir das Herz

und das tut weh

Aber ganz egal wie weh es tut

Immer wenn du lachst,

dann machst du alles wieder gut


Life – Leben [J]


[J] Ausschnitt aus „Deine Augen“ von den Prinzen


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Kapitel 11 – Zwei Wochen später: Samstag


Das Wetter war furchtbar, es regnete in Strömen. Der Himmel war grau und dunkel und hinterließ den Eindruck, als hätte er die Sonne verschlungen. Quatre schaute betrübt aus dem Fenster. Bei dem Wetter wollten sie sich treffen? Sie würden zwar nicht draußen sein, aber ankommen musste man auch erst mal.

Quatre zog sich seinen Mantel an, nahm einen Schirm und ging zur Tür. Langsam verließ er das Gelände. Sein Chauffeur wartete bereits. Er stieg ein und sie fuhren los. Die Straßen waren überflutet, sie kamen nur langsam voran. Zu spät kommen würde Quatre aber nicht, denn er hatte noch genug Zeit.

Nach einer viertel Stunde kamen sie in der City von New York an. Trotz des schlechten Wetters waren viele Menschen unterwegs, es zog sie zu Kinos, Bars, Casinos, Theater und so weiter. Quatre verabschiedete den Chauffeur und stieg aus.

Er musste nur noch ein paar Meter laufen, dann war er am Ziel. Aber bei dem Regen war das ein schwieriges Vorhaben, denn überall waren riesige Pfützen, die einem den Weg versperrten. Als Quatre endlich das Gebäude erreicht hatte, stellte er erstaunt fest, dass schon alle da waren.

Bin ich etwa zu spät?“ fragte Quatre erschrocken. „Nein, nein“, beruhigte ihn Hilde. „Keiner von uns steht hier länger als fünf Minuten. Aber bei dem Regen weiß man eben nie, wann sich die Straßen langsam in Ströme verwandeln.“

Quatre machte seinen Schirm wieder zusammen und sie gingen hinein. Da fünf Leute für eine Feier eindeutig zu wenig waren, beschlossen die Freunde, sich irgendwo anders zu treffen. Sie gingen Bowlen, für fünf Mann reichte eine Bahn locker.

Puh, voll hier,“ bemerkte Hilde. Es waren tatsächlich viele Leute hier, denn bei dem Wetter zog man sich gern zu überdachten Freizeitanlagen zurück. Duo meldete alle bei einer Bahn an und bezahlte schließlich erst mal für drei Runden. Er war an der Reihe und hatte die anderen eingeladen. [26]

Was zum Trinken bekommen wir doch auch noch?“ fragte Wufei mit einer Stimme, die eigentlich keinen Widerspruch zuließ. „Ja Mann, ist ja gut.“ antwortete Duo mürrisch. Dafür musste schließlich sein hart verdientes Geld draufgehen.

Sie gingen schließlich zu ihrer Bahn und gaben ihre Namen ein. In alter Manier: Heero, Duo, Quatre, Wufei und Hilde. „Könntet ihr dieses furchtbare Klischee nicht einfach ablegen und eine andere Reihenfolge nehmen?“ fragte Hilde. „Sag das nicht uns, sondern der Autorin.“ bemerkte Heero nur trocken.

Schon nach der ersten Runde konnte man erkennen, wer zu den Stärkeren und Schwächeren gehörte. Heero und Wufei lagen ganz klar weit vorn, Quatre und Hilde bildeten den Schluss. Zwischen den beiden entbrannte ein Kopf-an-Kopf-Rennen, denn niemand wollte auf den letzten Platz kommen.

Bis Hilde schließlich auf fremde Hilfe zurückgriff. „Duo, wirf doch mal für mich. Einen Strike bitte“, sagte sie lächelnd. „Ich versuch’s“, antwortete dieser, nahm eine Bowlingkugel und warf. Einen Strike.

Ja!“ Hilde jubelte begeistert. „Danke!“ Sie fiel Duo um den Hals und fragte: „Soll ich auch mal für dich werfen?“ – „Öh, nee, lass mal. Das hab ich doch gern gemacht.“ Wufei blickte die beiden böse an und sagte: „Warum nehmt ihr nicht gleich eine Bahn für euch zwei allein? Dann könnt ihr auch ein Team bilden.“

Hilde grinste nur und erwiderte: „Du bist ja nur neidisch. Aber du hättest deine Freundin doch auch mitnehmen können.“ – „Sie ist nicht meine Freundin, verdammt! Sondern meine Angestellte!“ [27] Wufei hasste es, wenn Hilde immer diese Anspielungen machte. Was bildete sie sich eigentlich ein? Alexa und er waren wirklich nur gute Freunde, aber obwohl Hilde das wusste, musste sie ihn immer wieder damit aufziehen.

Sie starteten die zweite Runde und Duo bestellte nach seinem Wurf für alle ein paar Getränke. Hilde erkundigte sich unterdessen nach Trowa und Catherine. „Hat jemand von euch einen Brief bekommen oder etwas von den beiden gehört?“ Alle schwiegen, bis Quatre sagte: „Nein, leider nicht. Nur von Dorothy kommen regelmäßig Briefe.“

Ja, wie auch von Relena. Heute Abend fahren sie nach Frankreich.“ – „Echt?“ fragte Duo überrascht, als er wiederkam. „Schon?“ Hilde nickte. „Sie will jedes Land mal gesehen haben und unter die Lupe nehmen.“

Heero schwieg. Wie er es schon die ganze Zeit getan hatte. Er war ruhig, aber nur solange, bis Duo wieder etwas sagte. „Heero, warum schreibst du den beiden nicht mal?“ Der Angesprochene schaute ihn nur böse an und antwortete: „Weil ich die Adresse nicht habe.“ Duo grinste. „Falsche Ausrede! Quatre und Hilde haben sie doch!“ – „Nerv mich nicht!“ kam es laut zurück.

Damit war das Thema beendet. Obwohl Heero nach außen hin einen wütenden, gereizten Eindruck machte, war er innerlich doch aufgewühlt und verletzt. Duo wusste das. Er merkte, dass ihn die vergangenen Erlebnisse ziemlich mitnahmen. Ihm war auch klar, dass er sich die Schuld an allem gab.

Dennoch versuchte er, Heero auf andere Gedanken zu bringen, das alles nicht zu verbissen zu sehen. Aber diese Versuche gingen jedes Mal nach hinten los. Er machte es nur schlimmer. Im Nachhinein könnte Duo sich schlagen für sein dummes Geschwätz, aber hätte das was geändert?

Duo bemerkte auch gelegentlich die Blicke, mit denen Heero ihn und Hilde ansah. Es waren teils wehmütige, teils neidische Blicke. Heeros Gedanken kreisten immer wieder um Relena, ließen ihm keine Ruhe. Er wollte es sich nicht selbst eingestehen, aber er vermisste sie. Sehr sogar.

Duo machte sich Sorgen um seinen Freund. Heero war nie der lebhafte, redselige Typ gewesen, aber in der letzten Zeit war er ungenießbar. Viel zu schnell wütend, fast so schlimm wie Wufei. Und zwei von der Sorte brauchte die Clique nun wirklich nicht.

Es ging schließlich in Runde drei und die Kugeln rollten unaufhörlich über die Bahn. Kurz vor dem Ende fragte Quatre: „Wollen wir nicht noch ein, zwei Runden dranhängen?“ Es war mehr eine Bitte als eine Frage, denn Hilde hatte ihm den vierten Platz streitig gemacht. Die anderen (außer Duo) sagten zu und somit ging es weiter.

Heero schaffte einen Strike nach dem anderen, dicht gefolgt von Wufei. Duo nahm die Runde schon nicht mehr für voll, gegen die zwei hatte er keine Chance und die unteren zwei Plätze – naja, dahin würde nun auch nicht abrutschen. So ließ er öfters Hilde für ihn bowlen, die seine Punkte aber ganz schön sinken ließ.

Ich frage mich, wie du das schaffst, dass sich deine Kugel immer selbstständig macht und die Seitenspur sucht.“ sagte er grinsend und Hilde sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Duo... ich mag deine Witze auf meine Kosten nicht...“ – „Ich redete nicht von dir, sondern von der Kugel.“ Die beiden warfen schließlich lachend mit fiesen Sprüchen um sich und die anderen drei sahen sich schweigend an. Mussten sie das verstehen...?

Nach der fünften Runde hörten die fünf dann auf. Heero war erster, gefolgt von Wufei und Duo, Hilde konnte ihren vierten Platz halten und Quatre musste sich mit dem letzten zufrieden geben. Es war schon spät und die Freunde gingen langsam auseinander. Duo begleitete Heero noch ein Stück.


Wufei ging schnell die Straße entlang, versuchte nah an den Häusern zu laufen, um nicht ganz durchzuweichen. Er wollte noch kurz zum Dojo schauen, wie jeden Abend. Schließlich musste er sichergehen, dass alles in Ordnung war.

Seit Alexa dort arbeitete und schlief, atmeten Wufeis Schüler erleichtert auf, denn nun mussten sie nicht mehr putzen. Das übernahm alles Alexa, als Gegenleistung erhielt sie ein Dach über den Kopf und Essen und Trinken. [28]

Sie war vor ein paar Wochen ins Dojo gekommen und hatte ihn gefragt, ob sie dort arbeiten könne. Denn woanders Arbeit zu finden war so gut wie unmöglich. Sie hatte keine vernünftige Kleidung, nicht einmal ein Zuhause, wer hätte sie da schon angenommen?

Das was Alexa tat, war natürlich Schwarzarbeit und wenn das herauskäme, hätte Wufei einige Probleme. Aber er trichterte seinen Schülern ein, zu schweigen wie ein Grab.

Obwohl Alexa nun schon ein paar Wochen hinter sich hatte, vertraute Wufei ihr noch immer nicht vollkommen. Er ging also wie üblich zum Dojo und fand Alexa in ihrem Zimmer vor. Vorher war es ein Arbeitszimmer gewesen, das Wufei allerdings nie gebraucht hatte.

Alexa lag auf der Matratze und las. Zumindest tat sie so, denn richtig lesen konnte sie nicht. Sie war Waisenkind, schon seit sie ein kleines Kind gewesen ist. Jeder Tag war für sie eine neue Herausforderung, die sie bestehen musste. Das Gefühl, das sie jetzt hatte, Sicherheit, war ihr fremd, sie achtete auf jedes Geräusch, daher bemerkte sie Wufeis Hereinkommen sofort.

Sie stand auf und ging in den Flur. „Alles in Ordnung“, sagte sie sofort, ohne einen Gruß abzuwarten. „Wie war dein Tag?“ – „Ging so. Ich bin Zweiter geworden.“ Alexa lächelte. Sie wusste ganz genau, dass ihm das völlig gleichgültig war. Ob nun erster, zweiter oder letzter, ein Spiel war für ihn unwichtig.

Bleibst du morgen hier?“ fragte Wufei schließlich. „Ich weiß es noch nicht. Vielleicht geh ich in den Park. Du kannst mir den Schlüssel ja vorsichtshalber geben.“ Wufei schwieg. Er besaß keinen Ersatzschlüssel und ließ den einen ungern aus der Hand. Dennoch gab er ihn ihr schweigend.

Ich pass schon gut darauf auf“, sagte Alexa, da sie seine Gedanken erraten konnte. „Ich habe wenig und versteh es, darauf zu achten. Und klauen kann mir keiner was, ich kenne alle Tricks besser als die anderen.“

Damit verabschiedeten sie sich und Wufei ging nach Hause. Er beschloss, in der nächsten Zeit einen Ersatzschlüssel anfertigen zu lassen, es war einfach sicherer. Und so war Alexa nicht mehr so abhängig von ihm, konnte das Dojo ohne Weiteres verlassen.


Hör doch endlich auf damit!“ sagte Duo genervt und sah Heero gereizt an. „Dass du dir Vorwürfe machst, ist die eine Sache, aber anderen damit den Tag zu vermiesen, die andere!“ Heero sah ihn nur schweigend an. „Dann lasst mich doch einfach in Ruhe.“

Duo blieb stehen, zwang Heero dazu, es ihm gleich zu tun. „Es bringt nichts, wenn du dich selbst bemitleidest, das macht nichts ungeschehen. Sie ist nun mal gegangen, aber sie wird wieder kommen.“ – „Bist du dir da sicher?“

Duo seufzte. Warum war Heero nur so schwierig? War er schon immer so? Nein, aber warum jetzt? Wegen Relena? „Ja, Mann. Du hast mir doch von dem Teddy erzählt. Das bedeutet doch wohl, dass sie wieder herkommen wird. Ich glaube auch nicht, dass sie einfach so ihre Versprechen bricht.“

Heero nickte nur stumm. Er hatte keine Lust, weiter darüber zu reden und setzte sich wieder in Bewegung. Jeden Tag wachte er mit der Gewissheit auf, dass Relena nicht da war – wegen ihm. Heero trug unglaublichen Hass gegen sich selbst in sich und das kam auch nach außen durch. Seine Freunde fanden ihn noch ungesprächiger, verschlossener als sonst.

Nur Duo kannte den wahren Grund deswegen, aber die anderen hatten auch so ihre Vermutungen. Die Samstage waren nicht mehr so schön wie vorher, nicht nur Heero ging es so. Von Catherine und Trowa hörte man gar nichts und die Briefe der anderen beiden konnten nun mal keine Personen ersetzen. Alle fünf hofften sie, dass es so wie früher werden würde, aber mit jedem Tag schwand ihre Zuversicht.


Laut knarrte die Tür, die sich langsam öffnete und Trowa aus dem Schlaf riss. Mürrisch hob er den Kopf und schaute auf seine Uhr. Viertel vor drei. Mitten in der Nacht. ‚Was zum Teufel ist denn nun schon wieder?’ dachte Trowa verärgert und glaubte, dass es der Direktor sei, der ihm wieder irgendetwas aufdrängen wollte.

Aber er täuschte sich. In der Tür stand Catherine in ihrem weißen Nachthemd. Trowa erschrak, als er sie sah. Ihr Gesicht war genauso bleich wie ihre Sachen, sie wirkte fast wie ein Geist. „Was ist...?“ fragte er etwas verwirrt.

Catherine machte ein paar Schritte auf ihren Bruder zu und sagte dann mit zitternder Stimme: „Relena, sie... sie...“ Trowas Herz machte einen Sprung, drohte in tausend Stücke zu zerfallen, als sie, noch ehe sie zu Ende gesprochen hatte, zusammenbrach.


Life – Leben


Looking right at me - Schau mich richtig an

Won't receive my plea - Ich stehe zu meinem Bekenntnis

Tell me what you mean - Sag mir, was du meinst

I'm not what's on the screen - Ich bin nicht das, was du auf dem Bildschirm siehst

Faking what will be - Ich denke darüber nach, was passierrt

Fighting the fatigue - Finde Neuerungen

That's quite enough for me - Das reicht mir völlig aus

Makes me wanna scream - Ich möchte schreien

Scream, scream… - schreien, schreien...


Life – Leben [K]


[26] Er hoffte natürlich, dass es bei den drei Bahnen bleiben würde...

[27] ... sagte er und spielte mit dem Gedanken, Hilde auf die Bowlingbahn zu werfen...

[28] Gut, auch ein bisschen Geld, denn Klamotten würde er bestimmt nicht für sie kaufen...


[K] Ausschnitt aus „Run for Cover“ von den Sugababes


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Kapitel 12 – Nächster Tag: Sonntag


Die Sonne warf lange Schatten hinter die Häuser der Straße, die nun menschenleer war. Es war abends und langsam verkroch sich die Sonne hinter dem Horizont und verfärbte die Umgebung blutrot.

Duo ließ sich zufrieden auf die Couch fallen, legte einen Arm um seine Freundin und die andere Hand landete in der Popkorntüte. „Auf welchem Sender kommt der Film?“ fragte Hilde. „Öh, ich glaub, auf der sieben ist es.“ Hilde schaltete den Fernseher ein. Auf dem Bildschirm lächelte den beiden eine junge Frau mit strahlenden Zähnen entgegen. Zahncreme-Werbung.

Auf dem Sender ist die Werbung immer so was von lang. Und dann alle fünfzehn Minuten.“ nörgelte Duo. „Ach, was. Du übertreibst mal wieder.“ antwortete Hilde und versuchte, an die Popkorntüte zu gelangen. Aber Duo zog sie blitzschnell weg und grinste schelmisch.

Gib schon her!“ rief Hilde und streckte ihre Arme aus. Duo nutzte diese Gelegenheit, um ihr ordentlich in die Achseln zu kneifen. „Ah!“ Hilde kreischte auf, fing daraufhin aber sofort an zu lachen. „Na warte, das bekommst du zurück!“

Die beiden begangen, sich gegenseitig zu necken, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Duos Gesicht glich schlagartig mehr einem Feuerwehrauto als einem Menschen, als er bemerkte, dass Hildes Mutter in der Tür stand.

Äh, Mom.“ Auch Hilde war etwas nervös, obwohl letztendlich nichts gewesen ist. Aber ihre Mutter ging wider Erwarten nicht darauf ein. „Schalte bitte auf den Zweiten um!“ sagte sie aufgebracht. Erst jetzt wurde Hilde und Duo bewusst, dass sie sehr aufgebracht, geradezu panisch war.

Ohne Widerworte oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, folgte Hilde ihrer Anweisung. Was sie nun im Fernsehen sah, ließ sie erstarren. Zwei zusammengefahrene Autos, Polizei, Krankenwagen – und Relena und Dorothy.

.... gestern um 21.24 Uhr. Die Fahrer der beiden Autos waren sofort tot. Relena Peacecraft und Dorothy Catalonia wurden aus dem zerstörten Wagen geborgen und ins Béaufort-Klinikum eingeliefert. Ihr Zustand ist noch immer kritisch...“

Gelähmt ließ Hilde die Fernbedienung fallen. Kalter Schweiß lief ihr aus allen Poren, ihr Herz raste und schien aus ihrem Brustkorb springen zu wollen. Duo starrte noch immer unentwegt auf den Fernseher und schien weit weg zu sein.


... nichts genaues über ihren Zustand bekannt. Auch der Ablauf des Unfalls ist unklar, aber...“ Heero traute seinen Ohren kaum, als er vernahm, was im Radio gesagt wurde. Sofort hastete er ins Wohnzimmer, schaltete seinen Laptop ein und nahm die grausamen Neuigkeiten in sich auf.

Relena und Dorothy waren gerade von der Fähre gekommen, die sie nach Frankreich gebracht hatte. Als sie auf der Autobahn waren, raste ihnen aus unerfindlichen Gründen ein Auto entgegen und verursachte einen frontalen Zusammenstoß. Die beiden wurden schwer verletzt und kamen sofort auf die Intensivstation eines Krankenhauses.

Das Radio lief noch immer, als Heero langsam zu Boden sank. Seine Augen starrten zur Decke, er zitterte am ganzen Körper. Nur mit größter Mühe schaffte er es, sich wieder zu erheben und sich auf der Couch niederzulassen.

Heeros Kopf drohte zu zerspringen, immer wieder hämmerte sein Gehirn die Worte „du bist Schuld“ gegen seine Schädeldecke. Er konnte an nichts anderes denken, es ließ ihn fast ohnmächtig werden.

Als er den Kopf hob, erblickte er den Teddy. Relenas Teddy. Er sah verstört aus, schien den Tod mit offenen Augen zu erwarten. Heero fluchte, warf den Teddy weg und ließ den Kopf wieder sinken.

... nichts genaues über ihren Zustand bekannt... - ... nichts genaues über ihren Zustand bekannt... Was bedeutete das? Schwebte sie in Lebensgefahr? Oder war sie vielleicht schon tot? Heeros Blick wanderte wie im Wahn durch das Zimmer, bis er das gesuchte Objekt endlich erblickte. Seelenruhig lag das kalte Metall auf dem Schreibtisch, rief Heero förmlich zu sich hinüber...


Duos Augen hafteten noch immer auf dem Bildschirm, als ihn plötzlich ein lautes Schluchzen aufschrecken ließ. Hilde begann herzzerreißend zu weinen und holte Duo damit wieder in die Realität zurück. Er war völlig verwirrt, war genauso geschockt wie Hilde und ihre Mutter und wusste nicht, was er tun sollte.

Er nahm Hilde schließlich schweigend in den Arm. Auch die Mutter setzte sich zu ihnen und versuchte ihre Tochter zu beruhigen. In Duos Kopf schienen alle Funktionen versagt zu haben, er konnte an nichts denken. Minutenlang saßen die drei so da, die Stille wurde nur durch Hildes Schluchzer unterbrochen.

Nach einer Weile machte sich in Duos Magen ein merkwürdiges Gefühl breit. Er sann darüber nach und schließlich kam ihm ein schrecklicher Gedanke in den Kopf. Heero – wie würde er reagieren, wenn er das erfahren würde? Oder wusste er es sogar schon?

Panik ergriff Duo plötzlich. Er löste sich von Hilde und sprang auf. Er hastete zur Tür und Hilde rief ihm hinterher: „Wo willst du denn hin?“ – „Zu Heero. Ich habe eine schlimme Befürchtung.“ Hilde sah ihn nun erschrocken an. Aber sogleich wurde ihr Blick wieder verzweifelt. „Lass mich nicht allein!“ sagte sie unter Tränen.

Duos Herz versetzte dieser Satz einen schmerzhaften Stoß. Er wäre gerne bei ihr geblieben, aber er musste wissen, was mit Heero war. „Es tut mir Leid“, antwortete er schließlich nur und verließ das Haus.

Hilde brach erneut in Tränen aus und klammerte sich an ihre Mutter. Das alles war so schrecklich, es kam ihr vor, als würde die Welt untergehen. Sie war froh, dass ihre Mutter bei ihr war. Ihre sanfte Stimme ließ sie wieder etwas ruhiger werden.


Die Tür wurde mit einer unglaublichen Wucht aufgerissen und drohte aus den Angeln zu fallen, als Duo hereintrat. „Heero!“ schrie er seinem Freund entgegen, rannte auf ihn zu und schlug ihm die Waffe aus der Hand, die noch vor einer Sekunde an seiner Schläfe geruht hatte.

Der Angesprochene starrte ihn nur überrascht an, dann wurde er sich bewusst, was er gerade vorgehabt hatte. Wie ein Häufchen Elend saß er auf dem Boden und ließ den Kopf hängen. Duo kniete sich zu ihm nieder und sagte: „Heero, das ist kein Grund, sich einfach das Leben zu nehmen! Du weißt doch noch gar nicht genau, wie es ihr geht!“

Heero schwieg, aber mit einem Mal brach es aus ihm heraus und er schrie seinem Freund entgegen: „Aber es ist doch meine Schuld! Das wäre nie passiert, wenn ich nicht gewesen wäre!“ Jetzt reichte es Duo. Er holte aus und schlug Heero ins Gesicht, wollte ihn zur Vernunft bringen.

Glaubst du etwa, das würde es ungeschehen machen? Meinst du, mit deinem Tod wäre alles wieder in Ordnung?“ Duo umfasste ihn fest bei den Schulter, sah in durchdringend an und fuhr fort: „Du bist ein Feigling, Heero Yuy! Du willst in den Tod fliehen, um damit die Probleme zu vergessen, aber das ist einfach nur feige! Wenn du ein Mann bist, stell dich dem gefälligst auch!“

Heero hatte ihm schweigend zugehört und sah ihn nun mit verzweifelten Augen an. Er wusste nicht, was er tun sollte, bis er merkte, wie ihm heiße Tränen über das Gesicht rannen. Duo hatte recht, das wusste er. Sein Tod würde nichts ändern, im Gegenteil, es würde die anderen noch mehr mitnehmen.

Duo hatte seinen Freund noch nie weinen sehen und es war ihm sehr unangenehm, aber es war auch beruhigend zu wissen, dass Heero wohl nun von seinen Selbstmordgedanken ablassen würde. Er nahm ihn in den Arm und Heero weinte lautlos vor sich hin.

Schließlich brachte er mühsam hervor: „Ich will, dass sie zurückkommt, Duo. Warum kann sie nicht wieder hier sein?“ Duo schwieg. Was sollte er auch darauf antworten? Nach einer Weile sagte er: „Sie kommt wieder, mit Sicherheit. Du musst einfach stark sein und warten, das ist alles.“

Heero beruhigte sich schließlich wieder und Duo zwang ihn, mit ihm zu kommen. Er konnte und wollte ihn nicht allein lassen, das wäre zu riskant gewesen. Sie kehrten also wieder nach Chill-Place zurück, wo Hilde nun schon ungeduldig wartete.

So wie sie die Tür aufmachten, kam Hilde angerannt. „Duo!“ Sie wollte ihn gleich überfallen, aber ihr Blick traf schließlich auf Heero und sie rief: „Heero, alles in Ordnung? Wie geht es dir?“ Dieser schwieg nur und Duo antwortete für ihn: „Naja, den Umständen entsprechend. Lass ihn besser in Ruhe.“

Damit gingen sie ins Haus. Hilde schaute beide verwundert an, sie hatte keine Ahnung was vorgefallen war und Duo wollte es ihr auch nicht sagen. Noch nicht. Denn im Moment war sie selbst viel zu aufgewühlt. Sie würde sich nur noch mehr Sorgen machen.


Die Mikrowelle ertönte und Wufei öffnete sie. In diesem Moment klingelte das Telefon. „Mist! Warum gerade jetzt?!“ Genervt stellte er den Teller wieder hinein, in der Hoffnung, das Essen würde noch etwas warm bleiben.

Dann lief er zum Telefon und nahm den Hörer ab.

Wufei hier.“

Hallo Wufei, ich bin es, Quatre.“

Wufei verzog das Gesicht. Was wollte er bloß um diese Uhrzeit noch? Aber eigentlich wusste Wufei nur zu genau, worum es ging.

Was ist los, Quatre?“

Äh, ja weißt du es denn noch nicht?“

Doch, wer weiß es nicht?“

Es ist so schrecklich! Warum musste das gerade ihnen passieren!“

Wufei seufzte. Seine Erwartungen wurden mal wieder erfüllt. Quatre brauchte jemanden, an dem er sich auslassen konnte, aber warum musste gerade er es sein? Er fragte allerdings nicht nach, jetzt wo er ihn an der Angel hatte, war es sowieso schon zu spät.

Quatre hatte bereits bei Heero und Duo angerufen, aber dort war niemand rangegangen. Somit wendete er sich nun vertrauensvoll an Wufei. [29]

Dafür kann keiner, Quatre. Mach dich nicht verrückt. Die beiden sind stark genug, die werden das ohne Weiteres packen.“

Ich hoffe es sehr. Aber du muss dir auch mal die anderen anschauen. Ich mache mir Sorgen, Heero und Duo scheinen nicht da zu sein.“

Na rate mal, wo Duo stecken könnte“, antwortete Wufei und schüttelte sich etwas, als ihm wieder dieses kitschige Bild von Duo und Hilde in den Kopf kam. Sie klebten immer aneinander, er fand das furchtbar.

Und Heero? Besonders ihn wird das doch mitnehmen.“

Ja, aber er ist immer noch Heero Yuy. Er hat schon so viel schlimmes erfahren müssen, meinst du, das haut ihn um?“

Aber Wufei, so gefühlskalt ist er nun auch nicht! Es handelt sich hierbei schließlich auch um Relena.“

Du solltest trotzdem ruhig bleiben, mit deinem Verhalten steckst du die anderen nur an. Wir können momentan nichts anderes machen, als abzuwarten.“

Quatre seufzte. Er musste es wohl oder übel einsehen, sie waren machtlos.

Wahrscheinlich hast du recht. Ich hoffe, das alles bald wieder so wird wie vorher. Außer Lebensgefahr sind sie ja jetzt.“

Ich könnte mir auch vorstellen, dass sie früher als geplant zurückkommen.“

Wegen dem Unfall? Hm, ja, es wäre gut möglich.“

Hoffen wir es. Heero ist in letzter Zeit so was von unausstehlich gewesen, ich möchte nicht wissen, wie er jetzt drauf ist.“

Ja, du hast wohl recht. Trotzdem, ich werde noch mal versuchen, ihn oder Duo zu erreichen. Wenn das nicht klappt, rufe ich bei Hilde an.“

Mach das. Wir sehen uns.“

Ja, tschüss.“

Wufei legte auf und kehrte wieder in die Küche zurück. Aber das Essen war bereits kalt. Nun musste er es noch mal in die Mikrowelle tun und warten. Sein Hunger war dadurch nur noch größer geworden.


Leise öffnete sich die Tür und Trowa schaute vorsichtig ins Zimmer. „Ich bin wach.“ sagte Catherine, als sie ihn bemerkte. Er trat ein und setzte sich auf den Stuhl, der neben ihrem Bett stand. „Wie geht es dir?“ fragte er.

Naja, es ging mir schon besser“, antwortete sie mit einem gezwungenen Lächeln. Catherine war noch immer sehr blass und hatte Augenringe. Die Nachricht von Relena nahm sie furchtbar mit, zumal sie so etwas in der Richtung geahnt hatte.

Trowa schaute seine Schwester besorgt an. Er machte sich Vorwürfe, weil er nicht auf sie gehört hatte. Aber Catherine gab ihm nicht die Schuld. Was konnte er auch dafür?

Hör auf, so zu gucken, Trowa.“, sagte sie. „Selbst wenn du es beachtet hättest, was hätte das geändert? Relena davon abzuhalten war ein Ding der Unmöglichkeit, das hast du selbst gemerkt.“ Er nickte schweigend, aber sein Gewissen beruhigte es dennoch nicht.

Plötzlich ging die Tür auf und ein Mitarbeiter erschien in der Tür. „Trowa, ich habe dich gesucht. Du sollst zum Direktor kommen.“ Der Angesprochene schluckte schwer. Er wusste, worum sich das Gespräch drehen würde.

Er stand auf, lächelte seiner Schwester noch einmal aufmunternd zu und verließ das Zimmer. Trowa ging sehr zügig, er wollte das so schnell wie möglich hinter sich bringen. Als er die Tür zum Zimmer des Direktor erreicht hatte, klopfte er kurz.

Herein!“ kam die Antwort. Der Direktor saß in seinem Sessel und schaute ihn nun gespannt an. „Wie geht es ihr?“ Trowa hatte diese Frage schon erwartet. Er wurde sauer, weil der Direktor sie jederzeit selbst besuchen konnte. Aber der ehemalige Gundam-Pilot ließ sich nichts anmerken.

Unverändert.“ antwortete er. „Das ist schlecht. Das gibt Probleme mit der Show.“ Die Show! Trowa kochte förmlich. Der Direktor konnte an nichts anderes denken, ihr Befinden interessierte sie letztendlich gar nicht.

In zwei Tagen ziehen wir weiter. Wenn es ihr bis dahin nicht besser geht, müssen wir uns etwas einfallen lassen.“ fuhr er schließlich fort. „Abbrechen kann ich unsere Tour auf keinen Fall. Wenn es etwas Neues gibt, sag mir bitte bescheid.“

Damit war das Gespräch beendet. Trowa kehrte zu Catherine zurück und berichtete ihr von dem Gespräch. „Mach dir keine Sorgen“, sagte sie. „Ich werde schnell wieder gesund. Das wird schon.“ Trowa hoffte es, zweifelte aber daran. Sie machte nicht den Eindruck, als wäre sie übermorgen wieder okay. Aber auch ihm blieb nichts anderes übrig als Abzuwarten.


Life – Leben


With every new day – Mit jedem neuen Tag

Your promises fade away – bröckeln deine Versprechen

It’s a fine day to see – Es ist ein schöner Tag zum Erleben

But the last day for me – aber der letzte Tag für mich

It’s a beautiful day – Es ist ein wunderschöner Tag


Life – Leben [L]


[29] Auf die Idee, es mal bei Hilde zu versuchen, kam er wohl nicht...


[L] Ausschnitt aus „It’s a beautiful day“ von Sarah Brightman


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