Titel: Die Träume, das Leben
In manchen Nächten träume ich davon, wie es wäre, wenn die fünf Gundam-Piloten
auf meine Schule gehen würden. Schon allein der Gedanke ... Er macht mich
traurig und glücklich zugleich; traurig, weil ich ja genau weiß, daß das nie
passieren wird, aber auch glücklich, weil es einfach schön ist, es mir nur in
Gedanken auszumalen. Jeden Abend stelle ich mir vor, ich würde Heero, Duo,
Quatre, Trowa und Wufei gegenüberstehen - wahrscheinlich würde ich keinen Ton
herausbekommen ... oder aber vor Glück losschreien.
Es passiert mir schon, daß ich die Menschen in meiner Umwelt mit den fünf
Piloten vergleiche und sie an ihnen messe. Meine Freunde meinen, ich hab' einen
an der Klatsche ... aber das ist auch nichts neues. Ich habe das Motto für mich
übernommen:
- Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum! -
Solange ich an dieses Motto glaube, geht es leichter - der Alltag, das Leben,
die Schule ... Ich werde manchmal von meinen Mitschülern gefragt, warum ich
eigentlich nie lache; wen geht das was an?!
Ein Morgen wie jeder andere. Der Bus, der mich zur Schule bringen sollte, war
hoffnungslos überfüllt, und fast wäre ich ich nicht mehr hineingekommen, da
packte mich jemand und zog mich einfach hoch; ich wußte nicht, wer das war,
aber das war auch egal, ich würde jedenfalls nicht zu spät zum Unterricht
kommen.
Wie an fast jedem Morgen holte ich meine Freundin ab, und wir gingen das letzte
Stück zu Fuß. Wieder sprachen wir über Gundam Wing - ich hatte sie längst zu
einem begeisterten Fan der Serie gemacht.
An diesem Morgen schien wirklich nichts besonders zu sein.
Da wir leider in verschiedene Klassen gingen, trennten wir uns beim Läuten.
"Bis zur Pause!" rief ich ihr noch nach und verschwand selbst in meinem
Klassenzimmer.
Bald darauf erschien auch schon die Klassenlehrerin - und im Schlepptau hatte
sie fünf Jungs.
Ich dachte, ich würde auf der Stelle sterben: Da vor mir, nur ein paar Meter
entfernt, standen die fünf - alle fünf Piloten. Am liebsten hätte ich vor Glück
losgeheult, aber dann hätten mich wohl alle nur schief angesehen. Nervös schrieb
ich alle ihre Namen auf einen Zettel. Ich weiß nicht, wozu das gut sein sollte;
diese Jungs sahen original so aus wie die Piloten, trotzdem schaute ich immer
wieder auf meinen kleinen Zettel, auf dem stand:
Heero Yuy
Duo Maxwell
Quatre Raberba Winner
Trowa Barton
Chang Wufei
Als sie sich selbst vorstellten, zersprang fast mein Herz. Sie nannten sie
tatsächlich - nannten die Namen, unter denen ich sie kkannte, die Namen, die ich
auf meinem Zettel lesen konnte! Verstohlen zwickte ich mich, weil ich nicht
sicher war, ob nicht vielleicht nur träumte. Das hatte Duo wohl beobachtet, der
sich in meine Nähe gesetzt hatte, und mit strahlendem Lächeln flüsterte er zu
mir herüber, daß sie sehr wohl echt seien, und zwinkerte mir zu.
In der Pause wollte ich natürlich sofort zu meiner Freundin laufen und ihr
diese Wahnsinns-Neuigkeit berichten, aber die Lehrerin war schneller. Sie bat
mich, den neuen die Schule zu zeigen und dafür zu sorgen, daß sie ihre Bücher
bekamen. Gott, ich war so aufgeregt! Ich wußte überhaupt nicht mehr, was ich
nun tun sollte; mir war nur klar, daß ich nichts falsches sagen durfte, wenn
ich nicht von Heero mit Blicken getötet werden wollte.
Schnell besorgten wir fünf Sätze Lehrbücher aus der Schulbibliothek. Duo
plapperte die ganze Zeit, und insgeheim wunderte ich mich darüber, wie die
anderen dabei so ruhig bleiben konnten. Quatre wünschte sich Tee, aber ich
mußte ihn enttäuschen, weil es in der Schule keinen gab. Er sah mich entsetzt
an, aber ich konnte ja auch nichts daran ändern.
Wufei war anzusehen, wie wenig wohl er sich dabei fühlte, von einem Mädchen
herumgeführt zu werden. Ich dachte an seine ... spezielle Einstellung gegenüber
Frauen, aber eigentlich durfte ich darüber ja gar nichts wissen, schließlich war
ich diesen Jungs ja bis heute noch nie begegnet.
Nur die Ruhe, sagte ich mir in Gedanken.
Heero musterte mich mit seinen kalten, blauen Augen, und ich fragte mich, ob er
wirklich so emotionslos war. Trowa wirkte so unbeteiligt, als wäre er mit seinen
Gedanken ganz woanders.
Die ganze Zeit über war ich hin- und hergerissen, ob ich nicht so eine kleine
Bemerkung machen sollte wie: "Na, wo habt ihr denn nun eure Gundams versteckt?"
- aber ich traute mich nicht. Etwas hielt mich zurück; ich hatte keine
Vorstellung davon, wie sie reagieren würden. Ich durfte nichts unbedachtes
sagen, mußte genau überlegen, ob es gut für mich wäre, wenn ich durchblicken
ließe, daß ich mehr über sie wußte, als sie uns in der Klasse erzählt hatten.
So fragte ich beiläufig, ob sie sich denn schon Sportkurse ausgesucht hätten.
Sie schauten mich erstaunt an, und ich erklärte ihnen, daß man an unserer
Schule zwischen verschiedenen Sportarten wählen konnte. An Wufei gewandt fügte
ich noch hinzu, daß es leider kein Fechten oder so etwas gab ... worauf er mich
überrascht anschaute. Ich verfluchte mich dafür - hatte ich nicht eben
beschlossen, erst nachzudenken und dann zu reden?!
"Mann, bin ich doof", entfuhr es mir, und das mußte ich wohl auch noch laut
gesagt haben, denn die fünf sahen mich ein bißchen komisch an - nein, falsch,
nur vier schauten zu mir, Heero tat so, als hätte er nichts mitbekommen.
Schon war die Pause zuende, und ich hatte nicht mit meiner Freundin sprechen
können. Wir kehrten ins Klassenzimmer zurück, und ich überlegte, wie ich
wenigstens mit einem von ihnen ins Gespräch kommen könnte.
Duo war mein erster Kandidat, er war ohnehin fürs Reden geboren; oder Quatre
vielleicht, ihm würde schon seine Höflichkeit gebieten zuzuhören. Ich entschied
mich aber für Duo und schob ihm einen Zettel zu: 'Shinigami, ich möchte mit dir
sprechen, wenn du nach der Schule Zeit hast!'
Als Duo die Nachricht gelesen hatte, reichte er sie an Heero weiter; er war
sichtlich verwirrt, und mir wurde nicht gleich klar, wieso. Ich wußte ja nicht,
daß Duo niemandem von seinem selbstgewählten Spitznamen erzählt hatte, so daß
eigentlich nur die anderen Piloten ihn kannten. 'Wieso weiß die davon?' stand
deutlich auf seiner Stirn geschrieben.
Ich sah noch immer zu Duo, und der Lehrer fragte mich, was es da drüben denn
wohl zu sehen gebe, daß ich die ganze Zeit so da hinstarre. Ich errötete und
wandte mich wieder der Tafel zu, sah aber noch Duos leichtes Nicken.
Der Zettel wanderte inzwischen weiter zu Wufei, der ihn alarmiert zur Kenntnis
nahm und an Trowa und Quatre weiterreichte. Ha, damit hatten sie sich jetzt
aber selber verraten! Bisher hatten sie nämlich so getan, als würden sie sich
nicht kennen - was ja auch normal gewesen wäre -; sie hatten sich auch auf
freie Plätze im ganzen Klassenzimmer gesetzt, bis auf Quatre und Trowa, die
einträchtig nebeneinander an einem Tisch saßen. Aber mit dem Herumreichen
meines Zettels hatten sie gezeigt, daß sie sich keineswegs fremd waren. Ach was,
da gab es überhaupt keinen Zweifel: ihr Aussehen, ihre Namen, ihr Verhalten ...
Das waren unverkennbar die fünf Gundam-Piloten! Ich hätte zu gern gewußt, wo
sie ihre Gundams verborgen hielten - und wie lange sie eigentlich an dieser
Schule bleiben würden. Vielleicht waren sie auf einer Mission, die sie schon
bald wieder woanders hinführen würde?
Den ganzen restlichen Schultag über spürte ich, wie die Blicke der fünf Jungs
meinen Rücken durchbohrten.
Als die Schule endlich aus war, wartete ich vor dem Tor auf die Jungs.
Und schon kamen sie. Duo lief mit Heero ein paar Schritte hinter den anderen
und quasselte ihn voll, was man sogar von meinem Standort aus erkennen konnte.
Er sah dabei original wie ein verliebter Teenager aus, der seinen Angebeteten
unbedingt von sich einnehmen wollte.
Dann erreichten sie mich.
Na, toll hatte ich das hinbekommen! Ich wollte zwar unbedingt mit ihnen reden -
aber ich wußte eigentlich gar nicht worüber ... und erst recht wußte ich nicht,
wie ich anfangen sollte.
Zu meinem Glück (oder Pech) trat Heero auf mich zu. Ohne Umschweife bellte er:
"Woher weißt du, daß Duo sich als Shinigami bezeichnet?"
'Direkt wie immer', dachte ich bei mir.
"Das - äh - war so eine Art ... Eingebung.." Im stillen mußte ich mir
eingestehen, daß das keine sehr einleuchtende Erklärung war, aber einen Versuch
war's wert.
Nun mischten sich auch die anderen ein. Qautre versuchte, das Gespräch zu
übernehmen.
"Vielleicht sollten wir lieber irgendwohin gehen, wo wir uns ungestört
unterhalten können!"
Die anderen stimmten zu und setzten sich mit mir in ihrer Mitte auch gleich in
Bewegung. Ich wurde gar nicht erst gefragt und durfte zwischen Heero und Trowa
laufen. Das Gefühl, das sich in meiner Magengegend ausbreitete, war nicht sehr
angenehm.
Mir wurde immer mehr bewußt, daß das mit der Nachricht an Duo (oder Shinigami ...)
wohl doch keine so gute Idee gewesen war; aber der Zug war jetzt abgefahren,
das konnte ich nun kaum wieder ungeschehen machen. Konnte ja schlecht etwas
sagen wie: 'Na gut, Jungs, war ja nett mit euch, aber jetzt vergeßt mal den
dummen kleinen Zettel' - nein, den würden sie garantiert nicht vergessen.
Wir bogen ab und gingen jetzt in Richtung der U-Bahn. Typisch. Sie hatten sich
also mit dem Gelände vertraut gemacht - wie sie es immer taten, wenn sie eine
Mission zu erfüllen hatten.
Also wo die Piloten wohnten, das interessierte mich ja schon irgendwie, aber
ich hatte auch das deutliche Gefühl, es wäre besser, in Zukunft nicht mehr so
vorwitzig zu sein.
Mit der U6 fuhren wir nur ein paar Haltestellen in Richtung Innenstadt und
stiegen in Weilimdorf schon wieder aus, um durch einige Straßen zu laufen, die
ich noch nie betreten hatte, seit ich auf dieser Kolonie lebte; die war zwar
nicht besonders groß, aber ich hatte meine Wohnung auch nicht oft verlassen
außer für den Schulweg.
Und die ganze Zeit dieses eisige Schweigen. Selbst Duo hielt inzwischen die
Klappe, was mich am meisten beunruhigte.
Schließlich bogen wir in eine weitere Straße ein und blieben bald vor einem
Haus stehen. Wufei kramte den Schlüssel hervor und sperrte auf, und wir traten
ein und legten Schultaschen, Jacken und Schuhe ab.
Duo zog mich am Arm ins Wohnzimmer; jedenfalls sah dieser Raum nach dem
Wohnzimmer aus. Ich wurde zur Couch dirigiert, und die anderen setzten sich mir
gegenüber, bis auf Quatre, der sich erst einen Tee geholt hatte und sich nun mit
der Tasse in der Hand neben mir niederließ.
Dabei hatte ich nicht einmal die Gelegenheit, mir das Zimmer genauer anzusehen,
denn alle fünf begannen mich gleichzeitig zu verhören.
"Wie lautet dein richtiger Name?"
"Arbeitest du für OZ?"
"Woher kennst du Duos Spitznamen?"
"Was weißt du sonst noch über uns?"
"Weißt du, warum wir hier sind?"
Fragen über Fragen prasselten auf mich ein. Und bald mußten die Piloten
einsehen, daß es keinerlei Sinn hatte, wenn sie alle gleichzeitig redeten.
Trotzdem mußte ich jede einzelne Frage beantworten. Ob sie mir meine Antworten
auch abnahmen, konnte ich nicht sagen, aber für den Moment genügte mir auch
schon eine Verschnaufpause.
Zu meiner Überraschung reichte Trowa mir ein Glas mit einem Erfrischungsgetränk;
ich nahm es dankend entgegend und trank es in einem Zug aus. Erst dann fragte
ich mich, ob Trowa, schließlich nicht gerade als fürsorglicher Menschenfreund
bekannt, mir damit vielleicht nur eine Wahrheitsdroge einflößen wollte.
Schließlich schienen sie von meinen Antworten gleichzeitig befriedigt und auch
entgeistert zu sein, denn für ihren Geschmack wußte ich entschieden zu viel von
ihnen.
Während des Verhörs war die Zeit nur so verflogen, und meine Mutter machte sich
bestimmt längst Sorgen, warum ich nicht von der Schule heimkäme. Ich konnte ihr
jetzt ja nicht mitteilen, daß ich später kommen würde.
'Wenn überhaupt!' fügte ich in Gedanken hinzu.
Nach einer Zeit, die mir endlos erschien, bot Duo sich an, mich nach Hause zu
bringen. Das heißt, es klang eigentlich weniger nach einem Angebot als nach
einem Befehl ...
Aber der Gedanke, daß er mich heimbringen würde, beruhigte mich ein wenig. Nach
Hause ... in Sicherheit. Das hoffte ich jedenfalls.
Duo geleitete mich in den Flur und half mir in meine Jacke, ehe er sich selbst
anzog. Wir schlüpften in unsere Schuhe, und die ganze Zeit redete Duo über
belangloses Zeug, aber mir fiel auf, daß er mich dabei auch keine Sekunde aus
den Augen ließ. Außerdem stellte er sich stets so auf, daß ich von dem Rest des
Hauses kaum etwas wahrnehmen konnte.
Wieder liefen wir durch die vielen Straßen, die ich noch nie betreten hatte.
Auch wenn diese Kolonie nicht sehr groß war, ich wohnte ja auch nicht lange
hier. Vorher hatte ich mit meiner Mutter auf einer weit entfernten Kolonie
gelebt, doch dort tobte der Krieg, und das war der Grund, warum wir hierher
gezogen waren, wo noch Frieden herrschte.
Diesmal fuhren wir mit der Bahn in die andere Richtung, da ja ich in einem ganz
anderen Teil der Kolonie daheim war. Duo brachte mich bis nach Hause und sprach
auch kurz mit meiner Mutter; er erklärte ihr, daß es seine Schuld gewesen sei,
daß ich jetzt erst heimkomme, aber sie war schon froh, daß ich überhaupt wieder
da war. Sie schickte mich an diesem Abend zeitig zu Bett; normalerweise murrte
ich darüber, aber heute war ich einfach nur froh, in mein Bett zu kommen. Schon
bald schlief ich wie ein Stein.
Am nächsten Morgen riß der Wecker mich brutal aus dem Schlaf, und weil ich
weiterschlafen wollte, zerschellte er kurz darauf an der Wand.
'Hauptsache Ruhe!' sagte ich mir, aber schon bald kam meine Mutter herein, um
mich mit dem klangvollen Wort "Schule!" zu wecken.
Langsam, sehr langsam kroch ich aus den Federn, als meine Mutter herüberrief
(um nicht zu sagen, -brüllte), daß mein Bus schon bald fahren würde.
Das machte mich endgültig wach. Schnell wechselte ich meine Kleider, rannte
mehr oder weniger durchs Bad und am Frühstückstisch entlang, eben noch die
Tasche packen und los, im Dauerlauf zum Bus - jeden Morgen dasselbe. Nur daß
meine Freundin mich heute nicht abholte, denn sie hatte erst zur nächsten
Stunde Unterricht.
In der Schule schlitterte ich gerade noch so vor dem Lehrer ins Klassenzimmer.
Zuerst fiel mir nichts auf, aber dann traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag:
Die Plätze hinter mir waren wieder leer. Nicht einer der Piloten war zu sehen!
Hatten sie ihre Mission schon erfüllt? Dann hätten sie aber nicht für einen
einzigen Tag Tarnung in unserer Schule suchen müssen!
Oder wollten sie weg sein, bevor ich etwas ausplaudern konnte?
Oder ... waren sie ... überhaupt dagewesen?
Ich mußte wohl eine ganze Weile auf die leeren Plätze gestarrt haben, denn der
Lehrer fragte mich schließlich, ob ich etwas suchen würde. Außer mir schien
niemandem das Fehlen der neuen Schüler gleich an ihrem zweiten Tag aufzufallen.
Da wurde mir durch meinen Stundenplan erst bewußt, was für ein Tag dies war.
Montag.
Aber gestern war doch Montag gewesen! Oder etwa nicht?...
Stück für Stück verstand ich. Ich wehrte mich dagegen, wollte es nicht
wahrhaben; ich fühlte selbst, wie mein Gesicht versteinerte, und ich biß die
Zähne so hart aufeinander, wie ich nur konnte, in der übermenschlichen
Anstrengung, die Tränen zurückzuhalten.
Die Piloten waren nie an meiner Schule gewesen und würden es auch niemals sein.
Nirgendwo hier waren Gundams versteckt. Und ich wohnte auch noch immer in meiner
kleinen Stadt und nicht in einer Kolonie.
Es war alles nur einer meiner Wunschträume gewesen.
Dieser verdammten Wunschträume, die so schön waren, solange sie dauerten, und
eine solche beißende Leere hinterließen, wenn man aus ihnen erwachte!
Es stimmt wirklich: Wer hofft, fällt tief, und wer träumt ...
... der sollte endlich aufwachen.
owari.