Funktionsrechenmaschinen und ihre Anwendung in der Geodäsie

Von K. Ramsayer, Stuttgart

in: Max Kneissl, "Internationale Streckenmeßkurse in München", Marianne Wittke Verlag, Goslar, 1955, page 144-156.

1. Einleitung.

    Das geodätische Rechnen wurde durch den Übergang von der Logarithmentafel zur Rechenmaschine erheblich vereinfacht. Das Maschinenrechnen konnte jedoch das Tafelrechnen nicht vollständig verdrängen, da die Funktionswerte — wenn wir von den neuen programmgesteuerten Rechenmaschinen absehen —&n nach wie vor Tafeln entnommen werden müssen. Diese Super-Rechenmaschinen, die mit völlig neuen Rechenelementen arbeiten, sind auch in der Lage, bestimmte Funktionen vollautomatisch zu berechnen. Ihr Preis ist jedoch so hoch, daß er nur für große Rechenbüros erschwinglich ist.

    Die maschinelle Funktionsberechnung läßt sich aber auch wie vom Verfasser bereits 1941 gezeigt werden konnte [1], mit sehr viel einfacheren Mitteln durch einen entsprechenden Ausbau der normalen Rechenmaschinen erreichen. Die Entwicklung einer Versuchsmaschine für die Auswertung astronomischer Ortsbestimmungen [1], [2] blieb durch die Kriegsereignisse leider unvollendet. Inzwischen war es jedoch möglich, dank der Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, eine handbetriebene Funktionsrechenmaschine mit fünfstelliger Genauigkeit und eine vollautomatische Funktionsrechenmaschine mit achtstelliger Genauigkeit in der Werkstatt des Geodätischen Instituts der Technischen Hochschule Stuttgart zu entwickeln [3], [4], [5], [6].

2. Prinzipieller Aufbau der Funktionsrechenmaschine.

    Eine normale Rechenmaschine läßt sich dadurch zur Funktionsrechenmaschine ausbauen, daß sie mit einem Speicherwerk versehen wird, das bestimmte Ausgangswerte für eine oder mehrere Funktionen enthält, aus denen die gesuchten Funktionswerte berechnet werden können. Die Anzahl und Art der zu speichernden Ausgangswerte und der Rechengang können vielseitig abgewandelt werden [6].

    Die technische Lösung wird besonders einfach, wenn das Prinzip der linearen oder einstufigen Interpolation angewendet wird. In diesem Falle wird die Funktion f(x) innerhalb des verlangten Rechenbereichs in eine Anzahl Intervalle unterteilt. Innerhalb jedes einzelnen Intervalls xn < x <xn+1 wird f(x) durch eine Gerade

gn(x) = an + bn (x - xn) = an + bn Δx (1)
ersetzt, wobei die Grundwerte an und die Steigungswerte bn jeweils so bestimmt werden, daß gn(x) in dem betreffenden Intervall möglichst wenig von f(x) abweicht, Speichern wir die Werte an und bn für alle Intervalle in einem Speicherwerk, das mit einer Vorrichtung zur Übertragung der Werte in die Rechenmaschine versehen ist, so können wir den Näherungswert gn(x) innerhalb des gespeicherten Rechenbereichs für jedes beliebige Argument x = xn + Δx beispielsweise folgendermaßen berechnen: Wir stellen das Speicherwerk auf das Grundargument xn ein und übertragen an in das Resultatwerk und bn in das Einstellwerk der Rechenmaschine. Multiplizieren wir anschließend bn mit dem "Restargument" Δx, so steht im Resultatwerk der gesuchte Näherungswert gn(x).

Bild 1. Außenansicht der Versuchsmaschine mit einstufiger Interpolation.

3. Technische Lösung.

    In Bild 1 ist die Versuchsmaschine mit einstufiger Interpolation abgebildet. Es ist eine normale Sprossenradmaschine mit Handantrieb**. Sie wurde mit einem Speicherwerk versehen, dessen Wertträger auswechselbar ist und jeweils drei Funktionen aufnehmen kann. Für die Versuche wurden zwei Wertträger angefertigt, einer für die Funktionen sin x, cos x und arc tg x und einer für die Funktionen tg x, Sqrt(x^2) und sec tg x (Secans aus Tangens). Von allen Funktionen sind jeweils 100 Grundwerte an und 100 Steigungswerte bn für folgende Grundargumente xn gespeichert: bei sin x und cos x xn = 0g, 1g .... 99g; bei tg x xn = 0,0g; 0,5g; 1,0g 1,5g ... 49,5g; bei arc tg x und sec tg x xn = 0,00; 0,01; 0,02 ... 0,99. Bei dem Speicher für Sqrt(x^2) wurde der Argumentabstand im Bereich 1 << 100 stufenweise von 0,08 bis 2,84 so geändert, daß im ganzen Rechenbereich etwa die gleiche Genauigkeit erreicht wird.

    Die einzelnen Ziffern der gespeicherten Zahlenwerte werden durch verschieden tiefe Schlitze am Umfang ursprünglich kreisrunder Stufenscheiben dargestellt,


Bild 2. Stufenscheibe zur Verkörperung der Ziffern der gespeicherten Werte.
Bild 2. Jede Stufenscheibe enthält 100 Ziffern entsprechend einer bestimmter Dezimalstelle der an bzw. bn-Werte. Für jede Funktion sind jeweils 7 Stufenscheiben für die an-Werte und 7 Stufenscheiben für die bn-Werte vorgesehen.

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Bild 3. Schematische Darstellung der Funktionsrechenmaschine mit einstufiger Interpolation.
    Die Anordnung der Stufenscheiben ist aus Bild 3 ersichtlich. Die Grundargumente werden durch Drehen der Trommel T eingestellt. Der Übergang von an auf bn und die Funktionsauswahl erfolgen durch seitliches Verschieben, wobei die Verschiebungswege durch die von der Firma DeTeWe (Hamann-Rechenmaschinen) vorgeschlagene Durchdringung der einzelnen Funktionen klein gehalten werden können. Für die Übertragung der Werte aus dem Speicherwerk in die Sprossenräder 2 des Einstellwerks E sind die sieben Abtaster 1 vorgesehen.


Bild 4. Querschnitt durch die Funktionsrechenmaschine mit einstufiger Interpolation.
    Bild 4 zeigt einen schematischen Querschnitt durch die Funktionsrechenmaschine. Zur Übertragung eines Wertes aus dem Speicherwerk in das Einstellwerk wird der Hebel 3 gegen die Kraft der Feder 5 in Pfeilrichtung bis zu einem nicht dargestellten Anschlag gedreht. Dadurch dreht sich die durchgehende Rückholstange 4 um die Achse 7 in Pfeilrichtung und gibt die Abtaster 1, von denen in Bild 4 nur einer dargestellt ist, frei. Die Abtaster 1 können sich nunmehr durch den Zug der Federn 6 um die Achse 7 drehen, bis sie mit den Nasen 8 auf dem Grund der Schlitze 9 der Stufenscheiben 10 anschlagen. Die Drehungen der Abtaster werden durch die Zahnsegmente 11 und die Zahnräder 12 und 13 auf die Einstellringe der Sprossenräder 2 übertragen, die proportional zur Tiefe der Schlitze 9 verstellt warden. Kurz vor Schluß der Vorwärtsbewegung des Übertragungshebels 3 werden die Zahnräder 12 senkrecht zur Zeichenebene etwas verschoben, so daß sie mit den Zahnsegmenten 11 nicht mehr im Eingriff sind. Bei der Rückwärtsbewegung des Übertragungshebels 3 werden die Abtaster 1 durch die Rückholstange 4 wieder in ihre Ausgangsstellung zurückgeführt. Kurz vor Beendigung des Rückwegs werden schließlich die Zahnräder 12 wieder in ihre Ausgangsstellung zurückgeführt. Die Zeit für eine Wertübertragung beträgt etwa ½ Sekunde.

4. Bedienung der Funktionsrechenmaschine.

    Die Bedienung der Funktionsrechenmaschine soll am Beispiel der Berechnung eines sin- bzw. cos-Wertes erläutert werden. Der Funktionshebel F, Bild 1, wird auf sin oder cos und den Quadranten eingestellt. Die Trommelteilung T1 wird durch Drehen auf die volle Gradzahl (Grundargument) eingestellt. Dann wird der Schlitten Sch in die durch Pfeile gekennzeichnete Übertragungsstellung gebracht und der Übertragungshebel 3 bis zum Anschlag nach vorn gezogen und wieder in seine Grundstellung zurückbewegt. Dadurch wird der Grundwert in das Einstellwerk E übertragen. Von dort wird er durch eine positive Drehung der Handkurbel H in das Resultatwerk R übertragen. Anschließend wird der Übertragungshebel 3 nochmals bedient, wodurch das Einstellwerk E zunächst gelöscht und dann auf den Steigungswert eingestellt wird. Hierauf werden die Minuten und Sekunden des Winkels (Restargument) durch positive oder negative Kurbelumdrehungen entsprechend der automatischen Einstellung des Vorzeichenhebels V in das Umdrehungszählwerk U eingekurbelt. Dann steht im Resultatwerk R der gesuchte sin- bzw. cos-Wert, dessen Vorzeichen am Funktionshebel F abgelesen werden kann.

    Soll der berechnete Wert sin α bzw. cos α mit einem Faktor, z.B. mit einer Strecke, multipliziert warden, so wird der Funktionswert mit der Rückübertragungseinrichtung aus dem Resultatwerk R in das Einstellwerk E übertragen und anschließend der Faktor in das Umdrehungszählwerk U eingekurbelt.

    Soll umgekehrt aus sin α bzw. cos α der Winkel α berechnet werden, so wird die inverse Interpolation angewendet. Hierzu wird die vorausgehende Berechnung von sin α bzw. cos α so angelegt, daß der Absolutwert an der richtigen Stelle im Resultatwerk erscheint. Dann wird der Funktionshebel F auf sin und Quadrant I und an der Trommelteilung T3 der nächst kleinere Grundwert eingestellt. Dieser Wert wird dann durch einen Hebelzug in das Einstellwerk E übertragen und durch eine negative Drehung der Handkurbel H von |sin α| bzw, |cos α| im Resultatwerk R abgezogen. Anschließend wird, nachdem das Einstellwerk E durch einen weiteren Hebelzug auf den Steigungswert eingestellt wurde, das Resultatwerk auf Null gekurbelt. Dann können an der Trommelteilung T1 die vollen Grade und im Umdrehungszählwerk U die Minuten und Sekunden des spitzen Winkels β abgelesen warden, der wie üblich in den Winkel α zu verwandeln ist.

    Die mechanische Tangenstafel ist für Winkel zwischen 0g und 50g, also für Tangenswerte zwischen 0 und 1, angelegt. Ist das Argument α>50g, so muß es zum nächstgelegenen Hundertgradwert ergänzt werden, um das Hilfsargument β<50g zu erhalten. Dieses wird durch direkte Interpolation in tg β verwandelt. Dieser Wert ist unmittelbar der Absolutwert von tg α bzw. ctg α, wenn |tg &alpha| bzw. |ctg α|<1 ist. Ist | tg α | bzw. | ctg α | > 1 , so muß noch 1/tg β berechnet werden, wozu mit Hilfe des Knopfes K eine "Eins" im Resultatwerk eingestellt werden kann. Soll 1/tg β anschließend mit einer Zahl a multipliziert werden, so läßt sich die Division vermeiden, wenn wir tg β aus dem Resultatwerk R in das Einstellwerk übertragen und R auf die Zahl a umkurbeln. Dann steht im Umdrehungszählwerk a/tg β.

    Die Berechnung eines Winkels aus einem Tangens- bzw. Cotangens-Wert kann mit der mechanischen Tangenstafel durch inverse Interpolation erfolgen. Besser dafür geeignet ist die mechanische arctg-Tafel, welche eine direkte Interpolation gestattet. Sie ist besonders für die Richtungswinkelberechnung aus Koordinatenunterschieden Δy und Δx geeignet. Hierzu wird ohne Rücksicht auf das Vorzeichen die kleinere Differenz durch die größere unter Beachtung der auf der Maschine markierten Kommastellungen dividiert. Hierauf wird der im Umdrehungszählwerk erscheinende Wert tg β (z.B. 0,472683) wie folgt in den Winkel β verwandelt: Wir stellen den Hebel F auf arc tg und die Trommelteilung T1 auf die ersten beiden hinter dem Komma liegenden Ziffern von tg β (47) ein. Dann werden nach Übertragung des Grundwertes in das Resultatwerk und des Steigungswertes in das Einstellwerk, die Stellen 4... 1 des Umdrehungszählwerks (2633) auf Null gekurbelt, worauf im Resultatwerk der Winkel β (28,1102g) abgelesen werden kann, der mit Hilfe eines Quadrantentäfelchens in den gesuchten Richtungswinkel α verwandelt wird.

    Die mechanische Quadratwurzeltafel wurde als Quadrattafel angelegt, um aus im Resultatwerk stehenden Quadratzahlen ohne Neueinstellung die Quadratwurzel ziehen zu können. Als Grundwert wurde nicht xn² sondern xn gespeichert. Der Rechengang ist folgender: x² wird im Resultatwerk z.B. als Summe der Quadrate der beiden Katheten eines rechtwinkligen Dreiecks erzeugt. Dann wird das Komma um 2 n-Stellen nach links bzw. rechts verschoben, wobei n so gewählt wird, daß die neue Quadratzahl x'² zwischen 1 und 100 liegt.

    Anschließend wird der Funktionshebel auf Sqrt(x^2) und die Trommelteilung auf die zu x'² nächst kleinere Quadratzahl eingestellt. Dadurch wird der Speicherkörper auf den nächstgelegenen Grundwert x'n eingestellt. Durch Ziehen des Übertragungshebels wird xn' in das Einstellwerk übertragen und durch negative Kurbelumdrehungen quadriert, so daß im Resultatwerk x'² - xn und im Unsdrehungszählwerk x'n steht. Hierauf wird der Steigungswert (= 2 x'n) in das Einstellwerk gebracht und das Resultatwerk auf Null gekurbelt. Dann steht im Umdrehungszählwerk ein Näherungswert x', der durch Verschieben des Kommas um n-Stellen nach rechts bzw. links in den gesuchten Wurzelwert x zu verwandeln ist.

    Bilden wir die Funktionsrechenmaschine als Doppelmaschine aus, so ergeben sich für viele Rechnungen weitere Vorteile. Wir können dann z.B. in einem Rechengang gleichzeitig sin α und cos α eines Richtungswinkels α berechnen und anschließend ebenfalls in einem Rechengang die Produkte s sin α und s cos α bilden. Auch die Berechnung von Richtungswinkel und Strecke aus Koordinatendifferenzen wird dadurch erheblich verbessert. Der Rechengang wäre dann etwa folgender: Wir dividieren den kleineren Absolutwert der Koordinatendifferenzen durch den größeren und verwandeln den im Umdrehungszählwerk stehenden Quotienten tg β in einem Rechengang in den spitzen Winkel β und in sec β. Wir brauchen dann nur noch β in den gesuchten Richtungswinkel α und sec β durch Multiplikation mit der größeren Koordinatendifferenz in die gesuchte Strecke zu verwandeln.

5. Die Genauigkeit der mechanischen Funktionstafeln.

    Interpolieren wir eine Funktion f(x) in einem Intervall von der Breite h linear, so ist der maximale Interpolationsfehler

d f(x) approx -

8
f ''(x).
(2)
    Ersetzen wir die Sehne durch eine vermittelnde Gerade, so ist der "vermittelnde Interpolationsfehler"
| d f(x) | <
approx


16
| f ''(x) |,
(3)
dessen Maxima am Anfang, am Ende und etwa in der Mitte des Intervalls auftreten. Ermitteln wir x aus f(x) durch inverse (vermittelnde) Interpolation, so ist der Fehler
| d x | <
approx


16
| f ''(x)

f '(x)
| ,
(4)
    Wenden wir die Gleichungen (3) und (4) auf die mechanischen Funktionstafeln der Versuchsmaschine an, so ethalten wir die in Tabelle 1 zusammengestellten Fehler.

    Wir erkennen, daß die mechanische sin- bzw. cos-Tafel etwa so genau ist wie eine gedruckte fünfstellige Tafel. Die mechanischen Tafeln für arc tg und sec tg liegen zwischen fünf- und sechsstelliger Genauigkeit. Bei der Berechnung von 1/tg x mit Hilfe der mechanischen arctg-Tafel wird der Fehler von 1/tg x mit Annäherung an die Nullstelle sehr groß. Dies ist jedoch schadlos, da der entsprechende Winkelfehler dx an dieser Stelle gegen Null geht. Die mechanische tg-Tafel ist etwas ungenauer als die mechanische arctg-Tafel, hat aber immer noch eine etwa fünfstellige Genauigkeit. Für die Fehler in der Nähe der Nullstelle gilt dasselbe wie bei der arctg-Tafel.

Mech.
Tafel
Rechen-
operation
Bereichh Fehler
an der Stelle x
Max. Fehler
BetragStelle
sin
cos
sin x aus x
cos x aus x
0g....100g
0g....100g
1g
1g
< |1.5×10-5× sin x|
< |1.5×10-5× cos x|
1.5×10-5
1.5×10-5
100g
0g
sin x aus sin x* 0g...100g 1g < |9.8cc tg x|
< |6.4cc sec x|
12.7c
20c
99.5g
99.8g
mit 5-stelliger Tafel*
arc tg x aus tg x0....1
(0g...50g)
0,01 < |8.0cc × sin x × cos³x|

< |6.4cc × cos²x|
2.6cc

6.4cc
34g

0g
mit 5-stelliger Tafel*
arc tg tg x aus x* 0g...50g 0,01 < |0.6×10-5 × sin 2 x|
|dx| < |8.0cc × sin x × cos³x|
0.6×10-5
2.6cc
50g
34g
arc tg 1/tg x aus x* 0g...50g 0,01 < |1.2×10-5 × cos³x/sin x|
|dx| < |8.0cc × sin x × cos³x|
infinity
2.6cc
0g
34g
tg tg x aus x 0g...50g 0,5g < |0.8×10-5 × tg x/cos²x| 1,5×10-5 50g
tg 1/tg x aus x 0g...50g 0,5g < |0.8×10-5 × tg x/sin²x|
|dx| < |4.9cc × tg x|
infinity
4.9cc
0g
50g
sec tg sec x aus tg x 0...1 0,01 < |0.6×10-5 × cos³x| 0.6×10-5 0g
sqrt x aus sqrt(x^2) * x²=1...100
x=1...10
0,08...2,84 < 2.6×10-4 2.6×10-4 -
Tabelle 1: Genauigkeit der mechanischen Funktionstafeln der Versuchsmaschine.
* inverse Interpolation

    Die mechanische Quadratwurzeltafel ist, wenn wir nur 100 Grund- und 100 Steigungswerte speichern, nicht so genau wie die trigonometrischen Tafeln gleichen Umfangs. Sie erreicht auch nicht die Genauigkeit der üblichen vierstelligen Quadrattafeln deren Maximalfehler zwischen 0,5×10-4 (x=1) und 0,5×10-5 (x=10) liegen. Die Genauigkeit reicht jedoch für fast alle im praktischen Vermessungswesen vorkommenden Quadratwurzelrechnungen (z.B. Spannmaßberechnungen) aus.

    Die in Tabelle 1 aufgeführten Fehler stellen die reinen Interpolationsfehler dar. Hierzu kommt noch der Einfluß der Abrundungsfehler der gespeicherten Werte, der sich jedoch durch Erhöhen der Stellenzahl leicht beliebig klein halten läßt. Bei der Versuchsmaschine wurde die Stellenzahl der gespeicherten Werte so abgestimmt, daß der Einfluß der Abrundungsfehler höchstens 2/10 der maximalen Interpolationsfehler beträgt.

    Die Genauigkeit läßt sich durch Verkleinern der Intervallschritte h steigern. Der Interpolationsfehler nimmt dann proportional h² ab. Dadurch kann die Genauigkeit der einstufigen Interpolation bis auf etwa 10-6 echöht werden. Für eine weitere Genauigkeitssteigerung ist es zweckmäßiger, die zwei- oder mehrstufige Interpolation anzuwenden [6], um den Umfang der mechanischen Tafeln klein zu halten. Eine kleine Genauigkeitssteigerung der einstufigen Interpolation ist auch dadurch möglich, daß die Intervallbreite stufenweise so geändert wird, daß die Genauigkeit im ganzen Rechenbereich etwa gleich ist. Hiervon wurde bei der mechanischen Quadratwurzeltafel Gebrauch gemacht.

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Bild 5. Vergleich der Rechensicherheit der Funktionsrechenmaschine mit einstufiger Interpolation (F) mit der Rechensicherheit der üblichen Tafel- und Maschinenrechnung (T).

6. Erprobung der Versuchsmaschine.

    Die Versuchsmaschine wurde von den Studierenden der Geodäsie der Technischen Hochschule Stuttgart eingehend erprobt und mit den Berechnungen mit gewöhnlicher Rechenmaschine und gedruckter Funktionstafel verglichen [7]. Die wichtigsten Ergebnisse der Erprobung der Rechensicherheit sind in Bild 5 dargestellt, das die Anzahl der Fehler, aufgeteilt nach ihren Ursachen, für sieben verschiedene Rechenbeispiele zeigt. Wir erkennen, daß die Zahl der Rechenfehler bei der Funktionsrechenmaschine (F) wesentlich kleiner ist als bei der üblichen Tafel- und Maschinenrechnung (T). Fassen wir alle Fehler zusammen, so ergibt sich das

Fehlerverhältnis F : T = 1 : 2,4.

    Berücksichtigen wir nur die reinen Funktionsfehler, so ergibt sich das

Fehlerverhältnis F : T = 1 : 3,4.

    Die Fehler der Rechnungen mit der FRM setzen sich wie folgt zusammen:

Zahl der Fehler bei Argumenteinstellung35 %
Zahl der Fehler außerhalb Funktionsberechnung26 %
Zahl der Fehler beim Bilden von Komplementzahlen13 %
Zahl der Bedienungsfehler12 %
Zahl der Quadrantenfehler10 %
Zahl der sonstigen Fehler      4 %
100 %
    Die Hauptfehlerquelle ist demnach das Einstellen des Grund- bzw, das Einkurbeln des Restarguments. Sie läßt sich wesentlich einschränken, wenn sich der Rechner angewöhnt, das eingestellte Argument nochmals zu überprüfen. Die Komplementfehler (falsche Ergänzung eines Winkels zum nächsten hundertgradwert) treten bei der Benutzung der mechanischen Tafeln für arc tg x und tg x auf, da diese Tafeln nur von 0...50g gehen. Hier ist es empfehlenswert, die Ergänzung nicht im Kopf sondern mit der Maschine zu bilden. Die Quadrantenfehler, die bei der sin-cos-Berechnung und bei der Richtungswinkelberechnung auftreten, lassen sich im ersten Fall durch nochmaliges Überprüfen der Quadranteneinstellung durch den Rechner, im zweiten Fall durch einen Quadrantenschalter an Stelle des Quadrantentäfelchens einschränken. Die Zahl der reinen Bedienungsfehler beträgt nur 12%. Sie kann durch Vollautomatisierung restlos beseitigt werden.

    Das Rechnen mit der Funktionsrechenmaschine bringt auch in den meisten Fällen einen beträchtlichen Zeitgewinn (bei der einfachen Maschine 17...30%, bei der Doppelmaschine 33...50%). Nur das Quadratwurzelziehen und die Berechnung von tg-Werten > 1/ erfordern vorlaüfig noch mehr Zeit als die bisher übliche Berechnung. Die Rechengeschwindigkeit läßt sich teilweise mit einfachen Mitteln steigern, z.B. bei der Richtungswinkelberechnung durch Mechanisierung der Umwandlung des spitzen Winkels β in den von 0...400g durchgezählten Winkel α. Durch eine automatische Divisionseinrichtung können die inverse Interpolation, das Quadratwurzelziehen und die Berechnung von 1/tg x beschleunigt werden. Schließlich würde eine Vollautomatisierung der Funktionsberechnung einen weiteren Zeitgewinn bringen. Die oben angeführten Zahlen für den Zeitgewinn wurden ohne Rücksicht auf Rechenfehler ermittelt. Berücksichtigen wir die erhöhte Rechensicherheit der Funktionsrechenmaschine und die bequeme Kontrollmöglichkeit durch nochmaliges Ablesen des eingestellten Arguments, so verschiebt sich das Zeitverhältnis noch wesentlich zu Gunsten der Funktionsrechenmaschine.

7. Vollautomatische Funktionsrechenmaschine mit zweistufiger Interpolation.

    Die Genauigkeit der einstufigen Interpolation ist begrenzt durch die Anzahl der Werte, die im Speicherwerk untergebracht werden können. Wollen wir die Genauigkeit erheblich steigern, ohne das Speichervolumen wesentlich zu vergrößern, so müssen wir zwei- oder mehrstufig interpolieren. Wir wollen uns im folgenden auf die zweistufige Interpolation beschränken. Hier wird die zu berechnende Funktion f(x) innerhalb der einzelnen Interpolationsintervalle durch die Näherungsfunktion

gn(x) = an + bn Δx + cn Δx², (5)
Δx = x - xn
ersetzt. Schreiben wir diese Gleichung in der Form
gn(x) = (cn Δx + bn) Δx + an, (5)
so können wir sie maschinell z.B. folgendermaßen lösen (Bild 6):


Bild 6. Prinzipskizze der Funktionsrechenmaschine mit zweistufiger Interpolation.

    Wir versehen eine Rechenmaschine mit dem Resultatwerk R, dem Umdrehungszählwerk U, dem Einstellwerk E und dem Multiplikatorwerk M zusätzlich mit einem Speicherwerk FS, das die Faktoren an, bn, cn der einzelnen Intervalle enthält und nach dem Grundargument xn eingestellt werden kann. Außerdem versehen wir das Einstellwerk E mit einem Hilfseinstellwerk H für das Restargument Δx. Dann erhalten wir folgenden Rechengang:
1.Übertragung von cn nach R und von dort nach M;
2.Übertragung von bn nach R;
3.Übertragung von Δx nach E;
4.Multiplikationsgang. In R steht (cn Δx + bn);
5.Übertragung von (cn Δx + bn) aus R nach M;
6.Übertragung von Δx nach E;
7.Übertragung von an nach R;
8.Multiplikationsgang. In R steht gn(x).

    Nach diesem Prinzip wurde in der Werkstatt des Geodätischen Instituts der TH. Stuttgart mit Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft eine Versuchsmaschine gebaut. Der Aufbau dieser Maschine ist in Bild 7 schematisch dargestellt. Als Grundmaschine wird eine vollautomatische Rechenmaschine Madas 20 AZV verwendet***. Diese Maschine besitzt ein zwanzigstelliges Resultatwerk R, ein zehnstelliges Umdrehungszählwerk U, ein zehnstelliges Einstellwerk E und ein zehnstelliges Multiplikatorwerk M. Sie ist zuzätzlich mit einem Funktionsspeicherwerk FS für zweistufige Interpolation und einem Hilfseinstellwerk H, mit dessen Hilfe das Restargument Δx in das Einstellwerk E übertragen werden kann, versehen.

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Bild 7. Schematische Darstellung des Funktionsautomaten.

    Das Funktionsspeicherwerk FS enthält je 100 Faktoren an, bn, cn für die Berechnung der Funktionen sin x, cot x, arc tg x, sec tg x, arc sin x, tg x. Außerdem sind 200 Faktoren an, bn, cn für die Berechnung von sqrtx gespeichert. Die Stufenscheiben haben nur noch einen Durchmesser von 60 mm. Sie sind in vier Walzen mit je zwei Funktionen angeordnet. Die Walzen sind kleeblattartig angeordnet und können durch Drehen um die Achse 4 in die Abgreiflage gebracht werden. Das Grundargument wird durch Drehen der Trommel Tr eingestellt. Die Funktion wird durch Drehen um die Achse 4 und durch seitliches Verschieben ausgewählt. Die Auswahl der Faktoren an, bn, cn erfolgt ebenfalls durch seitliches Verschieben.

    Der Rechengang läuft vollautomatisch ab. Hierzu dienen mit den Bedienungstasten verbundene Steuerhebel, welche durch die auf der Steuerwelle 7 sitzenden Steuerscheiben entsprechend dem Rechenprogramm mit den auf der rasch umlaufenden Nockenwelle 18 sitzenden Nocken gekoppelt werden.


Bild 8. Außenansicht des Funktionsautomaten.

    Bild 8 zeigt die Außenansicht des Funktionsautomaten. Die Bedienung ist außerordentlich einfach. Die gewünschte Funktion — und bei Sinus-Cosinus auch der Quadrant — wird mit Hilfe des Hebels F eingestellt. Das Grundargument (z.B. die vollen Grade eines Winkels) wird an der Trommel Tr, das Restargument (z.B. Minuten, Sekunden und Bruchteile von Sekunden eines Winkels) wird im Hilfseinstellwerk H eingestellt. Dann wird die Starttaste S gedrückt. Die Maschine löscht hierauf selbsttätig sämtliche Werke und berechnet vollautomatisch den gesuchten Funktionswert mit etwa achtstelliger Genauigkeit in 20...30 sec.

    Ein vorläufiger Zeitvergleich zwischen der automatischen Funktionsberechnung und der maschinellen linearen Interpolation nach einer gedruckten achtstelligen Funktionstafel ergab für Einstellung, Berechnung und durchgreifende Rechenkontrolle folgende Zeiten für einen Funktionswert:

Funktionsautomat48 sec
Rechenmaschine + achtstellige Tafel   151 sec
Zeitgewinn103 sec.

    Der große Zeitbedarf für die Funktionsberechnung mit Rechenmaschine und Tafel rührt davon her, daß hier wegen der zahlreichen Fehlerquellen eine Zweitberechnung für eine sichere Kontrolle unerläßlich ist. Beim Funktionsautomat ist die Kontrolle sehr einfach. Es genügt, die eingestellte Funktion und das eingestellte Argument zu überprüfen. Da die Kontrolle während des automatischen Rechenablaufs erfolgen kann, bedeutet die hauptsächlich durch zwei zehnstellige Multiplikationen bedingte lange Rechenzeit der Maschine kaum einen Zeitverlust.

Schrifttum

  [1]
Ramsayer, K.: Numerische Auswertemaschinen für Sternortung. Deutsche Luftfahrtforschung, Forschungsbericht Nr. 1650/2 (1942).
  [2]
Ramsayer, K.: Die Funktionsrechenmaschine. Physikalische Blätter 1950 S. 435-440.
  [3]
Ramsayer, K.: Entwurf einer geodätischen Funktionsrechenmaschine. Sammelband Geodätische Woche, Köln 1950, S. 104-110. Verlag Konrad Wittwer, Stuttgart 1951.
  [4]
Ramsayer, K.: Die geodätische Funktionsrechenmaschine. Zeitschrift für Vermessungswesen 1952, S. 97-104.
  [5]
Ramsayer, K.: Geodätisches Rechnen ohne Tafeln. Schweiz. Zeitschrift für Vermessung und Kulturtechnik 1952, S. 137-146.
  [6]
Ramsayer, K.: Funktionsrechenmaschine mit ein- und mehrstufiger Interpolation. Zeitschrift für angewandte Mathematik und Mechanik, 1951, S. 301-309.
  [7]
Ramsayer, K.: Erfahrungen mit der Funktionsrechenmaschine, Zeitschr. f. Vermessungswesen 1953, Heft 9 und 10.

Note:
  **
Manual calculator: made by Schubert.
See also Erhard Anthes, "Mechanische Rechenmaschinen für wissenschaftliche Berechnungen"
  ***
Electric calculator: compare with the Madas 20 ATG
See also K. Ramsayer, "Vollautomatische Funktionsrechenmaschine mit zweistufiger Interpolation", Deutsche Geodätische Kommission Reihe B: Angewandte Geodäsie 14 (1954).
Patente: DE825608, DE959333
1