Ich habe das Buch "Absolutes Gehoer" gelesen und war davon sehr beeindruckt. Die Autorin Hazuki Saisho, eine Japanerin, zitiert einen Satz: Das Talent ist die Kraft zum Leben. Dieser Aussage stimme ich voellig zu. Der folgende Aufsatz ist eine Mischung der Zusammenfassung ihres Buchs und meiner Meinung. Ist ein absolutes Gehoer fuer Musiker unentbehrlich? Ist es angeboren oder ist es moeglich, dies durch die musikalische Ausbildung zu erwerben? Unter "Absolutem Gehoer" versteht man, dass Besitzer dieser Faehigkeit in der Lage sind, Toene zu "etikettieren". D.h. sie koennen die Tonhoehe richtig einschaetzen oder die auf den Noten geschriebenen Toene durch die eigene Stimme ohne Hilfe eines Instrumentes in richtiger Tonhoehe wiedergeben. Ich habe auch ein "Absolutes Gehoer". Ich kann eine Musik, die ich vorher nie gehoert habe, mit dem Klavier rekonstrieren oder in Noten niederschreiben, weil ich weiss, aus welchen Toenen und Rhythmen die Musik besteht. Es ist offenbar sehr guenstig fuer Musiker aber nicht immer. Denn wir werden staendig Toenen und Geraueschen ausgesetzt, bei denen wir unbewusst herauszufinden versuchen, um welche Tonhoehe es sich handelt. Z.B. das Telefonklingeln bei mir besteht aus CE und GH. Diese staendige Suche nach der richtigen Tonhoehe macht mich manchmal muede. Fuer professionelle Musiker gibt es aber noch ernsthaftere Probleme. In Japan wird der A-Ton auf 440Hz gestimmt, waherend es in Europa und den USA auf 442Hz gestimmt ist. Midori Goto, eine weltberuehmte Violinistin, die auch ueber ein Absolutes Gehoer aber mit 440Hz verfuegte, hatte anfangs gravierende Probleme, weil ihr das Spiel der amerikanischen Orchester mit 442 Hz "verstimmt" vorkam. Also musste sie ganz schnnell vor dem Konzert ihr Gehoer "verstimmen". Europaeer sind oft ueberrascht, dass viele Japaner von der europaeschen Musik so begeistert sind, obwohl diese uns offenbar sehr fremd ist. Schon unmittelbar nach der Meiji Restauration kam die europaeische Musik nach Japan. Vor allem nach dem zweiten Weltkrieg nahm die musikalische Ausbildung nach dem europaeischen Vorbild einen Aufschwung. Absolutes Gehoer wurde dann ein Statussymbol fuer Japaner. So schickten viele Eltern ihre Kinder zum Klavierunterricht in der Hoffnung, dass ihr Nachwuchs diese kostbare Faehigkeit erwirbt. Der Anteil der Japaner, die ueber Absolutes Gehoer verfuegen, ist heute deshalb weit groesser als der der Europaer, so berichtete man vor kurzem. Dafuer wurde in Japan jedoch eine seltsame Szene gespielt: Musiklehrer liessen Kinder neben dem Klavier stehen und testeten, ob sie die Tonhoene des einzelnen Tones oder der gemischten Toene richtig einschaetzen konnten. Wer es nicht konnte, war sehr deprimiert. Daraus geht hervor, dass das Absolute Gehoer durch eine entsprechende Ausbildung zu erwerben ist. Aber es gilt nicht fuer alle. Bei unserer Ausbildung geht es um die physische und mechanische Genauigkeit. D.h. jeder Ton muss einen bestimmten Hz-Wert haben, waehrend in Europa auf dem Grundton basierend nach einem bestimmten Abstand gesucht wird, damit zwei oder mehrere Toene die schoenste Harmonie erzeugen. Diese Art Ton-Bildung wird von dem Klima, der Kondition sowie Stimmung der Spieler oder der Konstellation der Halle beeinflusst und ist deshalb sehr flexibel aber ruehrend. So wurde die Musik in Japan weit entfernt von der unspruenglichen Funktion, naemlich vom Vergnuegen. Immerhin gelang es uns, Musiker massenhaft zu produzieren. Aber nur wenige gehoeren heute zur Weltspitze, wie z.B. Seiji Ozawa oder Midori Goto. Jedes Jahr nehmen eine Menge Japaner am Musikwettbewerb teil. Aber Kritiker meinen, dass den japanischen Musikern Kreativitaet und Anziehungskraft fehlen, obwohl die meisten ueber ein Absolutes Gehoer verfuegen. Etliche Experten meinen, dass Mozart und Beethoven Absolutes Gehoer hatten, waehrend Tschaikovsky und Schumann dies offenbar nicht besassen. Deshalb sind sie der Meinung, dass Absolutes Gehoer fuer Musiker nicht unbedingt notwendig ist. Was ist dann die notwendige Faehigkeit fuer Musiker? Musiker muessen nicht nur die Tonhoehe, sondern auch subtile Unterschiede der Toene, naemlich hunderte Tonfarben erkennen und diese durch ihre Stimme oder ihr Instrument wiedergeben koennen. Sie muessen auch imstande sein, von den Noten eine bestimmte Vorstellung zu haben, wie die Musik gestaltet werden soll. Der Prozess, in dem Musiker passende Tonfarben, Ausdruecke, Tempos und Rhythmen herauszufinden versuchen, aehnelt dem Prozess, in dem wir Uebersetzer uns darum bemuehen, nach passenden Woertern und Satzkonstruktionen zu suchen.
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