Heute beschaeftigt man sich oft mit der Frage: Sollte das Talent von Kindern fruehzeitig gefoerdert werden? Sonst haben sie keinen Erfolg? Diesbezueglich kam mir die Geschichte eines japanischen Geigers durch den Sinn. Man hielt ihn fuer einen der besten Violinisten dieses Jahrhunderts. Es gibt immer noch Leute, die behaupten, dass dieser Mann unheimlich begabt war, und selbst ein Genie Midori Goto ihm nicht gewachsen sein koennte. Er lebt noch, ist ueber 50, aber kein menschliches Wesen mehr. Wir koennten von dieser traurigen Geschichte vielleicht etwas lernen. Als er zum erstenmal auf die Buehne kam, war er nur 10 Jahre alt. Begonnen hat er mit dem Geigespielen vom 5. Lebensjahr. Sein Vater spielte auch Geige. Weil er jedoch spaet damit angefangen hat, hatte er keinen grossen Erfolg. Deshalb wuenschte er sich sehnsuechtig, dass sein Sohn ein bedeutender Violinist der Welt wurde. Der Vater selbst gab jeden Tag Geigenunterricht, indem der Junge taeglich 8 Stunden spielen musste. Der Junge hatte keine Freunde, weil er keine Zeit hatte, mit anderen Kindern zu spielen. Mit 13 traf er sich mit einem weltberuehmten Violinist Oistrav. Oistrav war von dem Jungen sehr begeistert und bestand darauf, ihn sofort nach Amerika zu schicken, damit er von einem angesehenen Lehrer Unterricht erhalten konnte. Damals war es aeusserst schwer, eine Ausreisegenehmigung zu erhalten und deshalb wurde es nur ausgewaehlten Leuten erlaubt, ins Ausland zu gehen. Der Junge musste also ohne Begleitung der Eltern alleine in die USA kommen. Die Eltern hatten Angst, weil er bisher nichts als Geigespielen gelernt hat. Von Anfang an fuehlte sich der Junge schlecht, weil die Atmosphaere in Amerika nach seiner Aussage sehr apathisch und kalt war. Ausserdem war sein Lehrer sehr streng und zwang dem Jungen seinen Stil nachzuahmen. Der Junge hatte von seinem Vater eine russische Methode gelernt. Bei dieser Methode haelt man den Bogen mit den gestreckten Fingern. Diese Methode zeigte sich allerdings schon damals als altmodisch. Diese Spielart zu aendern, bedeutete jedoch fuer ihn, dass auch seine Musik im ganzen bestritten wurde. Mit dem russischen Stil kann man zwar kraeftige, aber nicht allzu elegante Toene erzeugen. Er wollte weiterhin mit diesem Stil spielen, aber der Lehrer hatte dafuer kein Verstaendnis. Der Junge war sehr verzweifelt. Hinzu kam, dass der Druck sehr gross war: Die Nation erwartete, dass er als ein erfolgreicher Violinist nach Japan zurueckkehren wuerde. Den Eltern war der kritische Zustand ihres Sohnes laengst bekannt und sie versuchten, ihn nach Japan zurueckkommen zu lassen aber vergeblich, weil die zustaendige Behoerde dies verhinderte. Das Unterbrechen seines Stuidiums koennte die diplomatische Beziehung zwischen Japan und dem Gastland USA beeintraechtigen, so hiess das Argument der Behoerde. Schliesslich beging der Junge Selbstmord: Er hatte eine Menge Schlaftabletten geschluckt. Ihm wurde das Leben gerettet, aber er musste weiter als "Invalider" leben. Wir koennen noch die alte Aufnahme seines Spiels hoeren. Es ist zwar sehr frisch, aber nicht kindlich, ganz im Gegenteil sehr reif. Vielleicht hat er seine Musik damals schon vollgebracht. Vielleicht brauchte er gar keinen Lehrer. Damals wusste man eigentlich nicht, wie man mit dem Wunderkind umgehen sollte. Lehrer koennen ihren Schuelern einen richtigen Weg zeigen, aber auch irrefuehren. Wunderkinder holen den Sinn des Stuecks instinktiv heraus, ohne es jemals gelernt zu haben. Fuer sie sind vor allem solche Lehrer, die ueber eine starke Autoritaet verfuegen, ueberfluessig oder sogar schaedlich. Die Orchestermitglieder, die den Jungen kannten, sind sehr traurig. Denn der Junge konnte bei der Konzert-Uebung stets ganz praezise Anweisungen geben und wirklich wie ein grosser Maestro spielen. Der Verlust ist gross. Sein heute 80 jaehriger Vater kuemmert sich um seinen Sohn. Die Mutter ist bereits gestorben. Der Vater baut in seinem Garten eine Menge Rosen an, weil der Sohn sie liebt. Das ehemalige Genie laechelt, wenn es die Geige sieht. Dies kann er aber nicht mehr spielen. Ist er Opfer seiner extremen Ausbildung? Was hat man falsch gemacht? Das groesste Problem ist meiner Meinung nach, dass er sich nur aufs Geigespielen konzentrieren musste und bei anderen Dingen total unfaehig war. Der Junge war in den USA isoliert, weil er den Umgang mit Menschen nicht richtig gelernt hatte. Seine Isolation trieb ihn schliesslich in die Enge. War es eine Fehlentscheidung, einen 13 Jaehrigen alleine ins Ausland zu schicken? Dennoch gibt es eine Regel bei der musikalischen Ausbildung: Das Talent muss aeusserst fruehzeitig gefoerdert werden. Mit 14 oder 15 muss man das Instrument vollkommen beherrschen, sonst hat man keine Chance, zur Weltspitze zu gehoeren. Ich selbst wurde von meiner Mutter gezwungen, Klavier taeglich lange zu spielen. Als ich unkonzentriert oder falsch spielte, bekam ich von ihr eine gnadenlose Ohrfeige. Fast jeden Tag wurden die Klaviertasten mit meinen Traenen nass. Dennoch bin ich meiner Mutter sehr dankbar, denn dadurch bin ich heute imstande, Klavier muehelos zu spielen. Der junge Geiger spielte doch sehr gerne, auch wenn er anfangs von dem Vater gezwungen oder sogar manchmal geschlagen wurde. Es waere vielleicht aeusserst schwer gewesen sein, ihn von der Musik abzulenken, auch wenn jemand den Versuch gemacht haette. Nur finde ich es sehr schade, dass die Eltern sich ueber seine menschliche Entwicklung wenig Gedanken gemacht zu haben scheinen. Allerdings ist dieses Beispiel sehr extrem, denn heute koennen Kinder einfach in ihre Heimat zurueckkehren, wenn sie es nicht mehr aushalten koennen. Midori Goto denkt zurueck: Es war urspruenglich der Wunsch ihrer Mutter, dass sie Violinistin wurde. Einmal protestierte Midori, die bisher stets der Anweisung der Mutter widerstandlos gefolgt hatte, gegen ihre Mutter sehr heftig, dass sie nicht ihre Puppe war. Danach wurde sie Schritt fur Schritt selbstaendig. Ihr wurden also die Chancen beschert, sich gesund zu entwickeln und schliesslich erwachsen zu werden. Merkwuerdigerweise werden die anscheinend schrecklichen Erinnerungen ueber die Ohrfeige und die anstrengenden Tage der Kindheit von den Betroffenen nicht als so grausam empfunden. Denn durch Musik wird das Leben ohne Zweifel bereichert
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