Die Farben der Flamme: Input 3

 

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Zeitgemäße Demokratie

Von Martin Krusche

 

Steirische Landesausstellungen seien, so heißt es, von der Intention getragen, daß eine Region für gewisse Zeit stärker ins Blickfeld allgemeinen Interesses gerückt werde. Und die beeindruckenden Budgets sind gedacht, nachhaltig günstige Wirkungen in der jeweiligen Region zu entfalten. Das kann auch so verstanden werden: In diesen aufwendigen Vorhaben drückt sich ein politischer Wille aus, die Regionen des Landes wirtschaftlich und kulturell auf einen zeitgemäßen Stand zu begleiten.

Wir leben noch immer in einer vorherrschenden Deutung des "Denkmodells Zentrum – Peripherie", die völlig antiquiert und aus dem 19. Jahrhundert ist. Daß "Stadtluft frei mache" meinte einst die besonderen sozialen und politischen Gegebenheiten – gegenüber dem Land. Die Industrialisierung bewog Menschen, das Land zu fliehen und sich in Städten zu etablieren, schuf Ballungszentren, wie sie davor unbekannt waren. Aus der Industrialisierung stammt auch der Effekt, daß Regionen untereinander um Standortvorteile konkurrieren. Solche Motive bestimmen noch heute die Politik.

Daß "die Stadt" – als Zentrum, gegenüber ihrer Peripherie – ein besonderer Ort im kulturellen wie im sozialen Sinn sei, folglich auch politisch, hat in Europa eine Vorgeschichte von Jahrhunderten. Nicht erst, seit sich in den Städten ein Bürgertum entwickelte, dessen kulturelle Inszenierung noch heute die gängigen Vorstellungen von kulturellem Leben dominiert. Ein Bürgertum, das im vorigen Jahrhundert wirtschaftlich und ideologisch entwarf, was eine "Nation" sein solle. (Eine Idee, von der man sich keine hundert Jahre später nun gar nicht trennen mag.)

Die Auffassung, daß die Stadt der einzig denkbare Ort sei, wo der Mensch sich zum Besten entwickeln könne, ist unserer Kultur seit der Antike eingeprägt. Aristoteles schrieb in seiner "Politik": "Zur Qualität rechne ich Freiheit, Reichtum, Bildung, Adel ..." Fein! Wie angedeutet, das sind alles Ideen. Nichts davon ist in Stein gemeißelt. In den aktuellen Debatten besteht kein Zweifel, daß die "Industriegesellschaft" ein hinter uns liegendes Erklärungsmodell sei. Technologische Innovationen, Veränderungen der Ökonomie mit allen sozialen und kulturellen Konsequenzen, neue politische Anforderungen, all das wird in der provisorischen Skizze einer "Informationsgesellschaft" gedeutet.

Unsere Konsequenzen, unser Handeln hinken dem gelegentlich hinterher. Es ist auf jeden Fall völlig unakzeptabel, daß zur Jahrtausendwende sich ein Landeszentrum immer noch geriert, wie das in der verflossenen "Dampfmaschinenmoderne" plausibel war. Es wäre gleichrangiger Unfug, wollten sich Provinzorte urbanisieren, indem sie sich nach diesem Muster eine Peripherie schaffen und so zum (Sub-) Zentrum aufschwingen. Wenn es auch in Wirtschaft und Politik den Menschen schwerfällt, einige forschere Schritte auf die Höhe der Zeit zu tun, im Kulturbereich sollte das doch besser gelingen. (Das ist freilich auch dünkelhaft gedacht.)

Über Kunst- und Kulturschaffende, die abseits des Landeszentrums leben und arbeiten, läßt sich zweierlei sagen. Sie tragen

*) die Nachteile sozialer Distanz und

*) die Nachteile räumliche Distanz.

[Beides teilen sie übrigens mit vielen konventionell Werktätigen.] Soziale Distanz wurzelt unter anderem in schlechten Einkommensmöglichkeiten und somit schwierigen existenziellen Bedingungen. Es hat aber auch etwas mit einem spezifischen Sozialprestige zu tun und welche Konsequenzen daraus erwachsen.

Der Aspekt räumlicher Distanz meint vor allem das Faktum, daß immer noch und völlig unzeitgemäß die Landeszentren eine stärkere Konzentration an Mitteln und Möglichkeiten haben, an Budget, an Medieninteresse und politischem Augenmerk etc.

Die Politik hat dafür Sorge zu tragen, daß diese Nachteile angemessen kompensiert werden. Wir wissen, daß sich ein Dampfer nicht in die Kurve legt. Deshalb sind vorerst einzelne, praktische Schritte zu fordern, das Prozeßhafte ist zu akzeptieren.

Ich will am Beispiel Landesausstellung kurz deutlich machen, was damit (in einem Teilaspekt) gemeint ist. Wenn das kulturelle Rahmenprogramm einer solchen Ausstellung fünf bis sieben Millionen Schilling kosten darf und das Landeskulturreferat wünscht, daß sich heimische Kunstschaffende dabei einbringen, heißt das: Ich erwarte als Professional faire Bedingungen und Chancen, mir dabei mein Brot zu verdienen. Keine Abnahmegarantie. Bloß die Chance, früh genug, also wenigstens zwei Jahre vorher, über Themenstellungen informiert zu sein und reguläre Ansprechpersonen vor Ort zu haben. Daß es eine offizielle Struktur gibt, eine Anlauf- und Evidenzstelle. Daß es professionelle Arbeitsbedingungen in der Vorbereitung gibt. Damit ich ein sinnvolles Projekt entwickeln und einreichen kann. Damit ich mich mit anderen Aktiven verständigen kann. Damit ich den nötigen Informationen nicht Monate hinterherrennen muß.

Kurz: Damit es in meinem Lebensraum, in der Provinz, eine gute Chance mehr gibt, meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Damit ich nicht Gefahr laufe, (wie so viele Kunstschaffende) den Strukturnachteilen etwa in die "Zentren" Graz und Wien ausweichen zu müssen.

Aus diesem Beispiel (wie aus anderen) muß – zum Auftakt des nötigen Prozesses – eine Forderung abgeleitet werden, die dem Zentrum ebenso gilt wie der Peripherie:

Funktionstragende aus Verwaltung und Politik haben in einer zeitgemäßen Demokratie von sich aus und zum frühest möglichen Zeitpunkt alle relevanten Informationen öffentlicher Angelegenheiten ihren Bürgerinnen und Bürgern in einer geeigneten Evidenzstelle zur Verfügung zu stellen.

Umgekehrt ist es Sache der Bürgerinnen und Bürger, sich jene Kompetenzen anzueignen, die man braucht, um aus solchen Evidenzstellen (und der Fülle der Informationen) das Benötigte herauszufiltern, sich anzueignen.

Darin liegt (auch) die Forderung nach einer kompetenten Nutzung neuer Kommunikationstechnologien und der Entwicklung eines angemessenen Kommunikationsverhaltens. So kann beigetragen werden, die Standortnachteile der in der Provinz Lebenden zu kompensieren. Wer (uns) dieses Entgegenkommen ausschlägt, wird sich fragen lassen müssen, wie gut ihm die Verhältnisse des 19. Jahrhunderts gefallen – und warum.


 

 

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