[6/2000]


Zwischenstand: Politische Notizen #6


Rückblick, Vorschau

Von Hans Fraeulin

 

Gewisse Parallelen sind nicht zu übersehen. Die Kabinette Schleicher und Papen waren bereits von Hitlers Gnaden und platzten auf dessen Geheiß. Da war Hitler, wenn ich nicht irre, höchstens Clubobmann im Reichstag. Der greise, vertrottelte General von Hindenburg weigerte sich als Reichspräsident die längste Zeit, den "böhmischen Gefreiten" Hitler als Reichskanzler anzugeloben; also eher aus Standesdünkel. Franz Josef II. tat mit dem gewählten Wiener Bürgermeister und Antisemiten Lueger ungefähr das Gleiche.
Hitler fraß Kreide, wurde fast staatsmännisch, scharwenzelte im Frack umher und antichambrierte regelmäßig bis zum Kotau bei Hindenburg, dessen Umgebung von hinten geschupft mehr und mehr dazu überging, den alten Herrn zu belabern. Am 30. Jänner war es dann so weit und anderntags die Welt in Deutschland schon ganz anders. Hitlers Partei war auf diesen Moment bestens vorbereitet. Die NSDAP-Sektionen in allen Städten und Dörfern hatten sich bereits ausgeschnapst, wer welche lukrativen Positionen bekommen soll. Durch willige Cops und Staatsanwälte ließ man die Amtsinhaber verhaften, warf ihnen Korruption oder andere Verfehlungen vor und installierte die eigenen Leute. Die Journaille gab noch ihren Senf dazu. Nach drei Wochen kamen die Beamten aus der U-Haft raus, weil sich der Verdacht "mit dem größten Bedauern" als unbegründet erwies. Aber ihren Job hatten bereits andere. Man schickte sie mit: "Tut uns leid", in den Ruhestand.
Meinem Großvater, als erstem Reichsbahndirektor, ist es so ergangen. Zugegeben ein bedeutender Posten, aber längst nicht wie heute bezahlt. Ich habe bisher keinen Hinweis gefunden, dass er ihn aufgrund einer obskuren Farbenlehre bekommen hätte. Er war nie in einer politischen Partei, wenn auch wahrscheinlich deutschnational gesinnt. Davor war er Notar in Togo, einer deutschen Kolonie, und geriet mit seiner ganzen Familie im WK1 in französische Gefangenschaft. Mein Onkel Hans, in WK2 gefallen, ist in Bordeaux geboren. (Allzuviel mehr weiß ich nicht.) Ich glaube, dass die Absetzung durch die Nazis meinen Großvater so getroffen hat, dass er es zum Familiengeheimnis machte. Auch sein Sohn, mein Vater, neigte dazu, manche Dinge, keineswegs strafbar, mit ins Grab zu nehmen. Großvaters "Reichsbahndirektor i.R." war sein ganzer Stolz, das "i.R." Insignie seiner Rehabilitation als staatstreuer Beamter. Wenn ich vom Beamtenabbau durch die FPÖ vernehme, fällt mir das Schicksal meines Großvaters jedes Mal wieder ein.
Ich bin jetzt 19 Jahre in Österreich. Noch keine drei Monate hier, ja eigentlich am ersten Tag, bekam ich die gnadenlose Bürokratie dieses Landes zu spüren. Zoll, Fremdenpolizei, Meldeamt, Finanzamt, Gebietskrankenkasse. Jetzt habe ich hier Vereine und eine Firma gegründet, als Beauftragter für Kinder mit Baubehörden, Magistrat und Verkehrsministern verhandelt. Es ging wie geschmiert, sagt man beiläufig. Niemand hat geschmiert, muss ich dazu sagen.
In Spanien, Marokko, Serbien und sonst wo bin ich früher gewesen und traue mich zu sagen: In Österreich ist kein Beamter korrupt, der es also darauf anlegt, Vorteile gegen Bakschisch in Aussicht zu stellen. Hässlich wie ich bin, habe ich nie eine Sekretärin mit einer Bonboniere becircen müssen. (Erbschleichende Briefträger nehm ich mal aus). Warum soll man sie daran hindern, die oftmals einzigen sozialen Kontakte zu sein und zu nutzen? Österreichische Beamte funktionieren wie am Schnürchen gezogen. Das ist meine Erfahrung hier. Es verlagert sich vielmehr auf die politische Ebene. Das Schnürchen sind die Gesetze. Die werden auf politischer Ebene verhandelt. Und da ist für Korruption ein weites Feld; auch für mich nach all der Zeit noch zu erkunden. Rosenstingl, Euroteam - da tut sich einiges auf.
Es ist mir nur einmal gelungen, einen Satz aus einem Gesetz ersatzlos zu streichen. Sonst wird um jedes Wort gefeilscht. Stets habe ich gespottet über die Präambel des steirischen Straßenverwaltungsgesetzes, in der stand, dass das Gesetz zwei Wochen nach der Okkupation durch Nazideutschland erstmals in Kraft trat, und auf den menschenfeindlichen und fortschrittsgläubigen Charakter dieses Gesetzes verwiesen. Der Landtag hat dann nicht das Gesetz, sondern nur die Präambel geändert, den Satz, auf den ich mich berief, gestrichen. Forget it!


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