zaba & tissa: text 03 [30•99]

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Die Wüste Internet
... als Schauplatz neuer Offenbarungen

Von Sabine Bauer

"Diejenigen, die sich zu dieser Art des Lebens bekehrt haben, sind für die hergebrachte Lebensweise wie abgestorben und leben nur noch mit dem Körper auf der Erde, da ihre Seele auf geheimnisvolle Weise schon in den Himmel eingegangen ist."
(Eusebius von Caesarea, Demonstratio evangelica)

 

>Beamen< war das Zauberwort der SF-Serie Raumschiff Enterprise, das uns heute noch fasziniert. Es beinhaltet die Vorstellung, von einem Seinszustand in den anderen wechseln zu können, ohne die Belastung durch Schwerkraft und Materie. Die alte patriarchal gefärbte Vorstellung, den Körper als lästiges Beiwagerl abstreifen zu können, scheint im Zuge einer neuen Technik des Weltausstiegs ansatzweise realisierbar zu werden.

In eine neue Ebene des Seins abzuheben bedeutet, den Körper durch Ausschaltung der Sinne zu transformieren. Die Technik des Weltausstiegs (take over) wurde von unseren kulturellen Ahnen, den Anachoreten, in radikaler Weise ausgeübt. Das Anachoretentum (vom griechischen anachoresis : Aufbruch) im IV. Jahrhundert bedeutete vor dem Horizont des Endes der Welt eine Absage an diese. Die anachoretischen Exzesses waren religiös motiviert, ihre Forderungen bezogen sich auf den Verzicht von Wachstum und Vermehrung. Auf diesem Wege wollten die AnachoretInnen mit der Tradition brechen, sie zogen sich in die Wüsten Ägyptens, Syriens, Palästinas zurück und wurden zu Wüstenheiligen. Die Abtötung des Körpers sollte die neuen Weltgesellschaft, die nicht von dieser Welt ist, vorbereiten. Das Ziel der Askese bestand darin, völlig apathisch zu werden, keine Anteilnahme und kein Empfindungsvermögen mehr zu besitzen. Sie entzogen der Seele sinnliche Anreize (Affektionen) durch Leere und Sonnenlicht, um schon zu Lebzeiten den Körper abzutöten, und stellten damit ihre Seele in den Dienst der neuen Religion. Um die selbstgewählten Inseln der Isolation der AnachoretInnen entwickelten sich rasch wahre >Tourismusströme<. Scharen von Pilgern und vereinzelt Pilgerinnen (auch damals war die Propaganda, daß allein reisende Frauen unsicher reisen, bereits in vollem Gange) zog es zu den Stätten der Abgeschiedenheit. Viele blieben als SchülerInnen in den Wüsten. Das AussteigerInnentum wird für die Gesellschaft zum interessanten Faszinosum und damit zum Verwertungsmotor für neue Tendenzen, ihre Haltungen werden in abgemildeter Form imitiert. Die Produktionsmaschine des Imaginären läuft auf vollen Touren, wenn einzelne kollektiv etwas anderes tun.

Die neuen Asketen des Cyberspace bedienen sich anderer Mittel: Information nennt sich die Droge, nicht die Verlangsamung, sondern die Beschleunigung der Lebensbewegungen bedient die Rhythmik des Seins. Die Cyberfreaks sind die Vorkämpfer einer neuen Grundtendenz in der Gesellschaft, sie sind die Anachoreten der Gegenwart. Das Programm beinhaltet die Message, die Welt so unnatürlich (artificial) wie möglich zu gestalten. Ihr Bestreben ist es, so durchlässig wie das Medium zu werden, in dem sie sich aufhalten. Ihre Wüste ist das Internet. Diese scheint nur so übervoll, groß ist die Abwesenheit geistreicher Inhalte. Das macht die Wüste so interessant: Evoziert wird der Zustand einer >reich unterrichteten Weltfremdheit< (Gehlen). Die >Cybers< oder >Telepoliten< erforschen, erkunden, bewohnen die neue Welten (Pluralismen statt Monotheismen, was manchmal kein Gegensatz ist), um den Weltbürgern, den Kosmopoliten zu helfen, in einen neuen Raum umzusiedeln: den Cyberspace. Das neue Aussteigertum, der Bruch mit tradierten Vorstellungen und Gemeinschaftsformen, zeigt, wie eng die Grenzen der physischen Weltflucht gesteckt sind. Galt die Aufmerksamkeit noch vor kurzem der Suche nach einem Kontakt, der Ursprünglichkeit meinen kann (zurück aufs Land), so ist der neue Versuch anders gelagert, denn angesichts des an allen Orten gegenwärtigen Tourismus kann nur mehr in virtuelle Welten ausgewichen werden, in Wüsten der Imagination, die mit technologischem Equipment erst zu durchforschen sind und unter dem Stichwort virtuelle Welt (kurz: VR) bekannt wurden. Am Rande bekannter Destinationen entstehen Welten, gespeist von der Phantasie eines Ausstiegs in neue Erfahrungsdimensionen. Abwanderungen ins Reich des Imaginären sind die Antwort auf gesellschaftliche Verhältnisse, in denen die Handlungsspielräume enger werden und innere Spannungszustände zunehmen. Die Weltfluchten vermehren sich, mystische Bewegungen sind Introversionsbewegungen in Richtung Seelenheil.

Der Begriff Internet wurde mit einer Fülle apokalyptischer Bilder besetzt: am bekanntesten ist die Vorstellung und wohl auch Erfahrung der >Sintflut an Daten<, die uns durch dieses Medium beschert wird. Apokalypse now? Die Androhung vom Untergang der Welt ist nicht neu, nur vergessen. Das Ende der Zeiten dauerte in den Augen der christlichen Gesellschaft den Berichten der Weltlage zufolge vom 1. Jahrhundert n.C. bis ins 7. Jahrhundert, wurde im zweiten und dritten Jahrhundert intensiviert und hielt gemäßigter bis zur Schwelle des Hochmittelalters an. Das Anachoretentum ist eine unmittelbare Folge der >Endzeitstimmung<. Als sich die Apokalypse nicht ereignete, setzte sich in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts die Vorstellung durch, daß die Welt den Tod in sich selbst trage und folglich von selbst zugrunde gehen müsse. Während und gegen Ende des 20. Jahrhunderts werden die Anzeichen des Weltuntergangs durch Berichte verschiedenster Art (Ökokatastrophe etc.) wieder vermehrt. Die Beschleunigung durch die Medientechnologie verstärkt das Gefühl eines raschen Alterns. Die Jahrtausendwende dient den neuen Propheten als Zeitkulisse, um die Modi der Gesellschaft hintergründig umzubauen. Die Vorstellung vom Ende der/einer Zeit wird begleitet von einer massiven gesellschaftlichen Transformation: Weltflucht und Askese sind Begleiterscheinungen des Transformationsprozesses und leisten als Technik der Entsagung einer neuen Rationalisierung Vorschub. Denn jede Apokalypse hat die Potentialität, Weltflucht auf den Plan zu rufen, und zur Folge, daß Angstparolen (Arbeitsplatzverlust durch notwendige >Umschichtungen der Gesellschaft<, Stichwort: Technologisierung, Flexibilisierung, Verschlankung) um sich greifen. Die Transformation wird initiiert durch eine spirituelle Hinwendung, der Heilige Geist mutiert zum Cyberspirit.

In Zeiten des Untergangs bzw. des nahenden Endes taucht immer wieder das Begehren auf, neue, künstliche Gemeinschaften zu gründen, die mit Familie und Reproduktion im Sinne einer genealogischen Vermehrung nichts mehr zu tun haben wollen. Das sind die Formen der kulturellen Innovation jenseits der Familienkasten, die tradiertermaßen als chemische Wahlverwandtschaften (Goethe und davor) durchgegangen sind. Der Status der Verweigerung hat für beide Geschlechter dasselbe Wort: Jungfräulichkeit. Transsexualität und Transgender sind die modernen Schlüsselwörter.


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Literatur:
Norbert Bolz, Am Ende der Gutenberg-Galaxis, München, 1993
Jacobus de Voragine, Legenda Aurea, Zürich, 1982
Jaques Laccarrière, Die Gott-Trunkenen, Wiesbaden, 1967

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