Dueling Banjos

 

Eins

Wir saßen in der Badewanne. Hatten schon die dritte Flasche Sekt geköpft und das dritte Mal heißes Wasser nachgelassen, überlegten uns gerade noch ein fröhliches Lied zum Singen und gebärdeten uns überhaupt recht quietschvergnügt, besonders ich, weil ich diesmal nicht auf dem Stöpsel sitzen mußte.
      Gabi setzte sich mit ihrem Sektglas zurecht und spritzelte mir vorsätzlich mit den Zehen Wasser ins Gesicht Sie war in einem früheren Leben mal praktizierende Hupfdohle in einer Kinderballettschule gewesen und von daher immer noch äußerst gelenkig. "Erzähl mir was", verlangte sie.
      "Schon wieder?" entrüstete ich mich. "Also echt, langsam hast du doch wirklich schon alles gehört, was ich..."
      Gabi schüttelte unbeirrt den Kopf. "Nein, nein", sagte sie ernst, "da ist schon noch was."
      Was denn da sein sollte. Die verjährten Weibergeschichten vor ihr oder was?
      Statt einer vernünftigen Antwort begann Gabi zu summen:

      "I can still remember when I bought my first guitar,
      Remember walking from the shop to put it proudly in my car..."
      Ich stimmte ein: "And my family listened fifty times to my two-song repertoire -
      I told my Mom her only son was going to be a star."

Ich machte große Augen. Was wußte denn Gabi von diesem Lied, und vor allem von meinem Verhältnis zu ihm! Original von Mack Davis 1975, aber die Version von diesem Australier... wie hieß er noch... Kevin Johnson 1976 ist zehnmal schöner: Ein Vorbild für alle Liederkupferer.

      "I bought all the Beatles' records, sounded just like Paul,
      Buddy Holly and Chuck Berry, seventy-eights and all,
      And I sat by my record player playing every note thy played,
      I watched them all on TV and copied every move they made."

Hat schon mal zwei Strophen mehr, ist aufwendiger, von mir aus auch protziger instrumentiert, und dauert deswegen so schön lange. Ein anständiges Lied fängt für mich bei viereinhalb Minuten an, sonst hat ja noch nicht mal ein halbwegs so zu nennendes Solo Platz. - Außerdem ist es rein gereimt, nicht nur auf die Vokale, was man bei diesen anglophonen Texten verdammt selten hat. Sogar mit Binnenreimen. Und richtig schön ruhig, lässig, stillvergnügt, swiftly swinging und relaxed. – Ich aber ließ mir nichts anmerken, markierte ein hingebungsvolles Drums-Pickup auf dem Badewasser und führte den Refrain an:

      "Rock'n'Roll I gave you all the best years of my life,
      All the dreamy sunny Sundays, all the moonlit summer nights..."

"Genau", sonnte sich Gabi. Ab jetzt verstanden wir uns.
      Ich wollte so gern singen (nach immerhin der dritten Flasche Sekt - ) und brachte deshalb noch den Text vom ersten Refrain ganz:

      "... I was so busy in the backroom writing love songs to you
      But you were changing your direction and you never even knew -
      That I was always just one step behind you."

Das hatten wir mal gut miteinander gesungen, es hatte ja schließlich genug Text und ging genügend langsam, um einfallen zu können, wenn's einer wirklich schon kannte. Ein wahrhaft schönes Lied. War nie ein Hit.
      Ich überlegte kurz, wie die zweite Strophe gegangen war, da unterbrach Gabi: "Und? Was sagt dir das Lied?"
      Da hatte sie natürlich recht: was eigentlich? Ganz genauso wie in dem Lied war es mir ergangen, bis zu diesem Punkt jedenfalls. Es handelte aus meinem Leben, und Gabi hatte ich nie was davon erzählt. Ich wüßte beim besten Willen nicht, warum - wahrscheinlich lebe ich zu selbstverständlich damit, um groß davon zu reden.
      "Und? Was weißt du davon?" konterte ich.
      "Tsja!" Gabi platschte mit einem unnachahmlichen Ich-weiß-es-halt-Lächeln die Hände ins Wasser: "Warum heißt wohl deine Gitarre Susi?"
      Ein schöner Spielzug, aber eins zu null für Gabi. Ich war dran.
      "Das hat nun beim besten Willen nix mit irgendwelchen vergangenen Weibergeschich-ten vor dir zu tun."
      "Was für welchen denn?"
      "Schweif nicht ab", schweifte ich ab. "Das war, als ich Susi... als ich mir eine Gitarre kaufen gehen wollte. Da hab ich mir das Auto geschnappt..."
      "Du hast eher ein Auto als eine Gitarre gehabt?"
      "Kluges Kind. Da hab ich mir also das Auto von meinen Eltern geschnappt, damit Platz für den Ralf und seine Bi(e)rgit ist, und zu dritt sind wir dann in die Stadt gedüst, Klampfe suchen."
      "Gleich zu dritt? Mehr ging nicht?"
      "Der Ralf sollte ausprobieren, wie sie klingen, die Bi(e)rgit gucken, wie sie aussehen und ich, wieviel sie kosten. Und die uns allen dreien gefällt, die wollten wir nehmen."
      "Der Ralf, das ist doch der verkrachte verhaute..."
      "... das Multitalent, das selber gar nicht zu schätzen weiß, wie virtuos es sich auf die Klampfe versteht", beeilte ich mich zu ergänzen. "Und die Bi(e)rgit seine langjährige, liebevoll in Ehren gehegte und gepflegte Freundin."
      "Deine Kumpelin."
      "Das mußt du gar nicht so süffisant sagen. Meine Kumpelin."
      "Und wer ist dann Susi?"
      "Meine Gitarre, du Hirnakrobatin. Darum streiten wir doch."
      Gabi verdrehte genervt die Augen und lehnte sich in der Wanne zurück, das Sektglas auf die Waschmaschine über sich placierend. Ich schmollte spaßeshalber ein bißchen mit und sang:

      "Sixty-six seemed like the year I was was really going somewhere.
      I was living in San Francisco wearing flowers in my hair
      Singing songs of kindness so the world would understand -
      The guys and me thought we were more than just another band.
      And then sixty-nine in L.A. came around so soon
      We were really making headway and writing lots of tunes
      And we must have played the wildest stuff we had ever played -
      And the way the crowds cried out for us we thought we had it made." - uuund:

      "Rock'n'Roll I gave you all the best years of my life,
      All the crazy lazy young days, all the magic moonlit nights.
      I was so busy on the road singing love songs to you
      While you were changing your direction and you never even knew -
      That I was always just one step behind you."

“Jetzt mal im Ernst", begann Gabi wieder. Hatt ichs doch gewußt. Nippten wir beide von unserem Sekt und verteilten stumm die Rollen neu, Karten gemischt. Ich konnte warten. Ganz unschuldig, und Sekt saufen.
      "Okay", steckte Gabi auf, weil sie's nicht mehr aushielt, mein verhaltenes Grinsen und das abwartende Schweigen, "sag schon, wo kommt das 'Susi' her?"
      Da wollte ich mal nicht so sein.
      "Weißt’, dann ist es genauso gegangen wie in der ersten Strophe von dem Lied."
      "Welchem Lied?"
      Jetzt mußte ich genervt sein: "Was singen wir uns hier wohl schon die ganze Zeit vor?"
      "Ach soo." Schon wieder Schmollmund und beleidigtes Sektschlürfen.
      "Und als wir das Gerät - die Gitarre nämlich -", erklärte ich extrabreit alle Einzelheiten, "in mein Auto verladen haben - einen kleinen laubfroschgrünen Ford Fiesta nämlich -, wo es verdammt eng und finster war - in einem Parkhaus nämlich –“
      "Hör schon auf!" Mit sowas konnte man Gabi ungeheuer aufziehen.
      "- da haben wir's endlich glücklich verstaut gehabt, und die Bi(e)rgit mußte sich noch zu ihm auf den Rücksitz zwängen, da hat sie vorsichtshalber nochmal gefragt - jetzt kommts -: 'Sizz'z auch richtig, deine Susi?'”
      Ich machte eine triumphale Pause und erwartete die Ovationen.
      "Und?" fragte Gabi.
      "Und??" Ich war fassungslos. Da vertraute man Gabi auch noch sein letztes Geheimnis an, und sie fragte: "Und?”! Es war damals für uns drei so was Selbstverständliches gewesen, daß diese Gitarre von Stund an immer nur Susi heißen konnte, schließ-lich hatte sie eindeutig weibliche Formen, und der Name war nun ein gewach-se-ner, kein willkürlich aufgesetzter. B.B. King sagt zu der seinen "Lucille", und nur eine Insider-Legende weiß, wo er den Namen herhat. Es ist jedenfalls keine Gitarre namens, sagen wir, Karlheinz denkbar. Da war es etwas verdammt Großes und Hehres für uns, so einvernehmlich auf diesen Namen verfallen zu sein. "Susi" setzte sich erstaunlich schnell im nötigen sozialen Zirkel durch und fest. Bedarf schon lange keiner Erklärung mehr. Es ist ihr Name. Susi.
      "Ist das alles?" setzte Gabi noch obendrauf.
      "Nein", versetzte ich boshaft, "sondern dann sind wir heimgefahren, und dann mußte ich überhaupt erst mal Gitarre lernen, weil ich sie nicht bloß an die Wand hängen und aller vierzehn Tage abstauben wollte, und drum bin ich zur Uschi, weil ich mich bei der geborgener gefühlt hab als bei dem rüden Rüpel von Ralf und hab gesagt, zeig mir doch mal, wie man so ein Ding festhält, und wer weiß, vielleicht hätte man ja noch manches andere bei der Uschi lernen können, schließlich verbindet das ja ungemein, wenn man so nebeneinander auf der Bettstatt sitzt, sich gegenseitig die Finger verbiegt und Lieder singt -"
      Ich staunte: Gabi zeigte sich kein bißchen getroffen.
      "Die Uschi, das ist die..."
      "Meine Kumpelin", kürzte ich das Verfahren ab.
      "Mit der du..."
      "... bei der ich Gitarre lernen wollte."
      "Auf dem Bett lümmeln, Lieder gröhlen und arglose Mädels verführen, wie?"
      "Warum nicht?" fletschte ich noch boshafter. Jetzt aber endlich mochte ich heimlich einen Punkt für mich verbuchen. Gleichstand.
Da brach Gabi unvermittelt, mit ihrem Sektglas unterm Kinn, in ein haltloses Gelächter aus:
      "Und das erzählt er mir ausgerechnet in der Badewanne!"
      Da mußte ich genauso losprusten wie sie, wir lachten minutenlang mitsammen in der Wanne umher, daß ordentlich Seegang herrschte, und dann war ich wieder dran mit Sektholen.

 

Zwei

Als ich wieder in die Fluten tauchte und mich dazu an den Wannenrändern abstützte, hielt ich auf halbem Weg kurz inne und rief mit unbändig wichtiger Betonung aus:
      "Herr Müller-Lüdenscheidt!"
      "Laß den Scheiß", antwortete Gabi - statt richtigerweise "Herr Doktor Klöbner". Sie dachte nach. Ich ließ mich ganz ins Wasser plumpsen und machte mich ans Sektentkorken. - Pflopp!!
      "Was ist denn eigentlich deine Susi für eine?" fragte Gabi, indem sie sich irgendwo aufgeweichte Haut abzuschaben begann. Ich half ihr mit beim Rubbeln, weil ich unsere Gläser erfolgreich vollgeschenkt hatte - immer an ihren Schienbeinen entlang –
      Wie kam sie nun darauf? Ich extemporierte mir zurecht:
      "Susi ist eine handelsübliche Konzertgitarre. Nix 'Wanderklampfe'. Fabrikat Ibanez, also made in Japan. Dreihundertfünfundsechzig Mark vor ix Jahren, soviel das Jahr hat Tag'. Sonst noch was?"
      "Nein, ich mein mehr..." Gabi hatte ihr Sektglas nach dem ersten Verkosten wieder auf die Waschmaschine jongliert und wurstelte mit den Händen in der Luft nach dem richtigen Ausdruck. "Du weißt schon, wie ich's mein."
      "Aber wie denn, kleines Fräulein. Sie müssen sich schon etwas adäquater ausdrücken! Erraten kann ich's nicht", markierte ich einen fetten Industriedirektor bei George Grosz, Zigarre im Gebiß. Natürlich arbeitete ich auf meinen nächsten Punkt hin. Um jedoch vorerst nicht als sportliches Charakterschwein dazustehen, erzählte ich:
      "Susi, weißt du, ist ein ausgesprochen unbequemes Instrument." Ich bekam, weil ich so viel an Susi denken mußte, einen zärtlichen Anfall und flickte ein: "So wie du." (Gabi feixte verlegen durch die Nase) "Größer gebaut als andere ihrer Gattung, mit einem überbreiten Hals und verdammt hohem Steg, das heißt, du hast weitere Wege mit den Fingern beim Griffewechseln und darfst die Saiten ganz schön niederpressen, und das, sag ich dir, macht was aus. Wenn du bloß ein Lied durchhältst, macht sich's schon bemerkbar. Wenn du den ganzen Abend durchklampfst, um ein Lagerfeuer zu beschallen, läppert sich was und zieht empfindlich in den Fingersehnen."
      "Och du Armer." Gabi hatte meine Hand genommen und betrachtete besorgt meine linken Fingerspitzen. "Richtig Hornhaut hast du da."
      "Das kommt schnell", fachsimpelte ich, "wenn du so ein robustes Mädel wie Susi hast. Die hält nämlich härtere Saiten aus! Ich glaub, im Moment hab ich sogar glockenmetallene für Westerngitarre draufgezogen, nicht so ordinäres Nylon wie für jede andere Wanderklampfe. Die verkraftet sowas, die Susi, und hält die Stimmung gut und lange."
      Und um nun wiederum nicht zu himmelhoch von Susi zu schwärmen und Gabi darüber zu vernachlässigen, leitete ich über: "Und sie klingt echt ganz toll wunderschön. Das bestätigt dir jeder, der schon mal einen Vergleich in der Hand gehabt hat. Die brillanten, glasharten Saiten und der riesige Resonanzkörper – man hört's einfach. So wie bei dir."
      Anscheinened das falsche Kompliment erwischt: Gabi guckte ganz kurz so komisch. Schnell die Vase vorm Zerklirren noch auffangen:
      "Eine gelungene, saubere Arbeit seid ihr zwei jedenfalls geworden, ab und zu verstimmt, aber zwei Mädels, auf die für mich wahrscheinlich ein Verlaß ist. Liebhab euch."
      Mir war gelinde gesagt immer zärtlicher geworden. Ich beugte mich so weit ich konnte zu Gabi hinüber, um ihr ein Bussi aufzudrücken.
      "Jauchz! Nicht da!"
      "Doch. Stillhalten."
      "Hast du nicht mal erzählt, ein Banjo hättest du auch?" Sie hebelte mir beidhändig den Kopf von ihren Brüsten weg.
      "Nicht ablenken."
      "Doch! Erst erzählen!" Dann fiel ihr plötzlich was ganz anderes ein: Sie war schon wieder dran mit Sektholen! Sprang auf, glitschte mir aus den Händen und weg war sie, hohe Wellen und hingeplitschte Fußtappen hinterlassend. Sehr elegant und geistesgegenwärtig: Extrapunkt für Gabi. Zwei zu eins. Mist.

 

Drei

"Jetzt weiß ich endlich, wie eine schaumgeborene Venus aussieht", charmierte ich, längelang in die gesamte Badewanne geräkelt, als Gabi mit einer neuen Flasche Sekt zurückkam, angesichts ihr immer noch Schaumflocken von Armen und Beinen wehten. Pinkeln war sie auch gewesen. Langsam wurde es wohl auch Zeit zum Rückenschrubben.
      Während sie sich wieder zu mir ins Wasser installierte und alle nötigen Anstalten zu einer frischen Runde Sekt traf (Pflopp!!), schaute ich ihr träge zu und brummte die nächste Strophe:

      "Seventy-one I was all alone with my rambling Greyhound band
      I was trying to go it solo but someone else's hand
      And she came up to me softly and she took me by the hand -
      She listened to my problems and she seemed to understand."

Kein Refrain an dieser Stelle, dafür mit Gabi anstoßen:
      "Prost, freewheeling Bobby McGee." Auch wenn sie Lieder verwechselte, fühlte ich mich von der Betitelung geehrt. Ich drückte Gabi die große Wurzelbürste in die Hand, schwang die Beine über den Wannenrand, auf der anderen Seite wieder rein und drehte Gabi so den Rücken zu.
      "Einmal Schrubben", deutete ich mir mit dem Daumen den Rücken hinunter, "ohne Fett, ohne Knochen."
      "Darf's etwas mehr sein?" nahm Gabi die Arbeit auf, hielt aber sofort den Mund, als sie merkte, was sie da gesagt hatte. Das überging ich diskret und fragte:
      "Banjo?"
      Ich fühlte Gabi gespannt nicken. Mit der eifrig rumpelnden Wurzelbürste im Kreuz erzählte ich:
      "Also, ich hab damals von der Bundeswehr mein erstes Weihnachtsgeld gekriegt und war steinreich. Da hab ich an irgendeinem welken Januarsamstagvormittag den Ralf – “
      “?”
      “Jaa, wieder denselben – aus dem Bett geklingelt und hab gesagt, paß auf, was wir jetzt machen. Wir fahren in die Stadt und suchen dem aufstrebenden Gitarrero ein feines Banjo aus.
      ‘Hääääh?’ ist ihm da zuerst nur mehr eingefallen. Ich hab nämlich mal irgendwann im Nachtprogramm neben meinem Bett im Halbschlaf ein Lied 'Candy Man' von Mr. Taj Mahal himself mitgekriegt und war von da an ans Banjo verloren. Den Tag hab ich nun endlich auch unbedingt so eins gebraucht. Barras-Geld juckt in der Tasche. Also nix wie in die Klamotten, und mit der übernächsten S-Bahn waren wir drin.
      Ein bißchen ratlos sind wir durch die Musikläden gegeistert, weil wer kennt sich schon so richtig mit Banjos aus, eigentlich nicht mal die Verkäufer, aber im letzten hat uns ein wahrer Banjo-Crack ein schönes Stück spontan dermaßen schmackhaft machen können, daß mir mein ganzes Weihnachtsgeld nicht zu schade war. Wenn der das Ding bloß sachte angefaßt hat, da hat es schon ganz virtuos zu klimpern angefangen, richtig wie du dir einen Bluegrass oder Hillybilly oder wie das ganze Westernzeux heißt, vorstellst. Ein wunderschönes Gerät: echtes Trommelfell haben sie sowieso alle, aber meins hat ganz unveganes Rindsleder, und noch einen Steg aus zweierlei Holz, eitel Teak und Sandel." ("Das paßt zu dir: Sandel", erwartete ich jetzt von Gabi als Vorstoß auf ihren Punktestand, aber ich hörte sie bloß vom Schrubben langsam außer Atem kommen) "'Candy Man' kann ich auch, aber ich spiel eine vereinfachte Version, bei mir heißt's 'Candy Girl', hähä." Ich wurde wieder müder und begann die letzte Strophe:

      "And she followed me to London, through a hundred hotel rooms,
      To a hundred record companies, who didn't like my tunes
      She followed me when finally I sold my old guitar,
      And she tried to help me understand I'd never be a star.

      – Solo!"

(Ich glaube auch, hier hatten wir die letzten zwei Zeilen unterschiedlichen Text gesungen; ich vermute scharf, sie verwendete Mack Davis:

      "She followed me back to the sea, where she finally made me see:
      I'm just playing old country bow, and that's all I'll ever be.")

Da platschte unvermittelt die Wurzelbürste zwischen meinen Knien ins Wasser. "Schweif nicht schon wieder so maßlos ab", wischte Gabi sich die vor Arbeit erhitzte Stirn. "Da fehlt ja noch ein Schluß!"
      Da hatte sie natürlich mal wieder recht mit ihrem unbestechlichen Sinn für Dramaturgie. Also: "Mit dem schönen neuen Banjo im noblen, mit blauem Samt ausgeschlagenen Ledersarg – unbesorgter hab ich noch nie hundertachtzig Mark zusätzlich ausgegeben – ein ganzes Tütchen voll Werkzeug gibt's auch dazu, um zuzeiten das Fell nachzuzurren und den Hals einzustellen, sind wir dann rauf in die Altstadt gezogen, das Banjo feiern. Unterwegs am Plattenladen vorbei, da hat sich der Ralf auch was geleistet, nämlich diese ekelhafte 'De Olde Folks at Home' mit was sonst als 'Candy Man' drauf. Die hätt ich auch schon lange gebraucht.
      Danach sind wir dann in der einschlägigen Kneipe gelandet, wo das gute Rauchbier ausgeschenkt wird, von dem erst das vierte Seidel so richtig mundet, bei dem du aber vom dritten schon sturzbesoffen bist. Wo wir doch kaum zum Frühstücken gekommen waren den Tag und immer noch kaum Mittag war, haben wir's denn auch mit bloß fünf Seideln gut sein lassen. Wie Ralf so schön Resümee gezogen hat: So früh am Tag bin ich noch nie so besoffen heimgekommen. Einmal ist ja immer das erste Mal. Der Tag war gerettet."
      "Ist das der Schluß?" fragte Gabi, noch was abwartend. Ich hatte mich ihr wieder umständlich zugewandt.
      "Naja", spann ich noch ein Stück weiter, "das Banjo verstaubt halt heute bei mir ein bißchen unnötig unterm Bett, aber die Susi ist noch voll drauf. – Außerdem gehört zum Schluß noch der letzte Refrain."
      Diesmal sang Gabi wieder mit:

      "Rock'n'Roll I gave you all the best years of my life
      All the dreamy sunny Sundays, all the moonlit summer nights
      Oh I never knew the magic of them making everything
      I'm getting along with my country song, and what I'm going to do -
      And I was always just one step behind you."

Das Lied war hier zu Ende, bis auf eine Refrain-Wiederholung mit einer kleinen Textvariante drin, die aber kaum jemand merkt, wenn er nicht gerade das ganze Lied mühsam von Kassette abgelauscht hat, um an den Text zu kommen, wie es der Brauch war, als das Überspielkabel noch den Gipfel an Technik vorstellte. Woanders kriegte man damals keine Texte her. Dann war wohl ich dran mit Rückenschrubben. Gabi schwang, als ob das nichts wäre, ihr Bein über meinen Kopf weg, wirbelte auf dem Hintern um ihre Längsachse und saß auch schon mit dem Rücken zu mir. Und das mit einem Sektglas in der Hand, ohne Kleckern! Da konnte ich nicht anders als ihr einen Punkt in der B-Note gutzuschreiben. Drei zu eins...
      Ich fischte nach der Wurzelbürste und räumte Gabis patschnasse Haare über ihre perlenden Schultern. "Woher kennst du eigentlich den Text so genau?" fiel mir plötzlich ein.
      "Tsjaaa!" Wieder dieses überlegene Lächeln, ich mußte es gar nicht sehen, um davon zu wissen.
      "Du hast in meinem Repertoire-Ordner geschnüffelt, hab ich recht?" verdächtigte ich Gabi. Sie stritt es nicht ab, sondern schielte demonstrativ unschuldig zur Decke. Das bedeutete ja wohl ein Vier zu eins für Gabi! Jetzt aber dranhalten.
      "Du Spürhund." Ich zwickte Gabi in die Hüften, daß sie zu quieken, zu hüpfen und zu strampeln begann und das Wasser gefährlich wogte und schwappte. Dann begann sie sogar freiwillig den allerletzten Refrain, weil sie was auf ein voll ausgespieltes Fade Out hält (wozu hätte ich sie sonst wohl nicht geheiratet?):

      "Rock'n'Roll I gave you all the best years of my life
      All the dreamy sunny Sundays, all the moonlit summer nights,
      I was so busy in the backroom writing lovewsongs to you,
      While you were changing your direction and you never even knew
      That I was always just one step behind you."

Und sie nahm sogar noch den Schlußchor auf, dieses nichtendenwollende, ewig nicht fertig werdende Do-do-do-doo, und mit Wonne stieg ich mit ein, statt ihr endlich den Rücken zu schrubben.
      Das kommt nämlich unbandig lässig, wenn man sich dabei gegenseitig ins Wort fällt, eine Art zweistimmiger Kanon auf sparsamen drei Harmonien. Indem sie sich dieser Engelsmusik hingab, rückte ich ihr unauffällig ein bißchen näher in der Wanne. Ich mag Löffelliegen.
      "Noch einen Unterschied zwischen dir und Susi", unterbrach ich uns, um was für meine Punkte zu tun.
      "Was denn? Daß ich keinen so langen Hals und kein so großes Loch hab?"
      Ich schluckte, wie burschikos sie doch manchmal sein konnte. Jetzt bloß nicht das Ding mit den Drähten überm Loch und dem Eierschneider.
      "Alfanzerei", sagte ich. "Wenn man dich streichelt, dann singst du keine Lieder", und kam mir sehr schlau dabei vor. Vier zu zwei. Ich frohlockte.
      "Wetten?" meinte Gabi verschmitzt, umhalste mich rückwärts und ließ ihr Sektglas dabei auf den Fliesen zerschellen. Die Bürste ließ ich hinterherpoltern.
      "Zärtliches zähes Luder", biß ich Gabi irgendwohin.
      "Juchz! Nicht dahiiiii – "

      "Rock and Roll, I gave you all the best years of my life", sangen wir,
      "Singing out my love songs in the brightly flashing nights,
      And though I never knew the magic of making it with you,
      I thank the Lord for the little bit I knew.
      Rock and Roll, I gave you all the best years of my life,
      All the dreamy sunny Sundays, all the moonlit summer nights,
      I was so busy in the backroom [oder doch 'bedroom'?] writing love songs to you,
      While you were changing you direction and you never even knew
      That I was always just one step behind you."

Als wir uns nach der stundenlangen Baderei endlich zerweicht und verschrumpelt aus dem Wasser bequemten, herrschte Gleichstand nach Punkten. Woher, sag ich nicht.
      Ich mußte Gabi auf dem Banjo einweisen, weil das eigentlich viel leichter geht als Gitarre, und solche Duette liefern wir uns jetzt öfter. Fade Out.

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