Fade Out
Johnnie Walker und ich haben mittlerweile alle anderen nach Hause geschickt und beschlossen zu trampen; wir wollen's wissen. Sabina mit a hat schon aufgestuhlt, Musik und Lichter ausgeknipst und unseren Aschenbecher ein letztes Mal ausgewechselt. Während sie Abrechnung schreibt, kommt Johnnie Walker auf den Trichter:
"Warum schreibst du eigentlich nicht mal...", er zieht an seiner (bzw. meiner - !)Zigarette und beginnt zu rülpsen, irgendwo von ganz unten aus der großen Zehe herauf. Das Geschoss kullert ihm die Beine hoch, stolpert im Knie, bahnt sich seinen Weg durch Johnnie Walkers Eingeweide, poltert endlich die Speiseröhre hinauf, sammelt sich in der Gurgel zu Höchstform und entweicht dröhnend durch seinen weit geöffneten Resonanzkörper in Form von Zigarettenrauch.
Ich habe fasziniert zugehört und will einwenden, dass ich doch die ganze Zeit irgendwas schreibe, aber er kommt mir zuvor:
"Warum schreibst du eigentlich nicht mal was anderes?" Danke, genau das wollte ich schon immer mal hören.
"Erklär Er sich zuvörderst, Gevatter."
Johnnie Walker fischt mit der Zigarettenhand in der Luft nach Worten: "Ein schönes Lied zum Beispiel. 'November Rain'."
"Sehr einfach", sag ich, "weil 'November Rain' schon mal geschrieben worden ist und ich das auch nicht viel besser gekonnt hätte. Außerdem müsste man's dann auch noch aufnehmen und aufführen. Spielst du mir den Bass?"
"Mach mir den Harrison, Baby", sagt Johnnie Walker, eine obszöne Handbewegung über seinem Schoß vollführend. "Aber du könntest doch mal ein Bild malen. Malen kannst du doch auch."
"Oder gleich bildhauen!"
"Oder gleich bildhauen."
"Junge, die Sauerei in der Wohnung, die wischst du mir bestimmt auch nicht auf."
"Auf was du einen lassen kannst." Johnnie Walker tut es mir vor.
"Einen Film drehen willst du dann wahrscheinlich auch nicht", hat Johnnie Walker dazugelernt.
"Außer, du finanzierst ihn."
"Aber sicher doch."
"Siehst du, und deswegen hab ich mich drauf verlegt, ab und zu mal eine Story zu erzählen oder ein Gedicht abzuliefern. Bequem und mit einem Minimum an Aufwand herzustellen. Ein paar Zettelchen und Sparkassenkuli hat man meistens dabei, oder die Sabina mit a bringt dir was, und wenn's fertig ist, leicht in der Hemdentasche mitzuführen und endlos reproduzierbar."
Das leuchtet sogar Johnnie Walker ein. Nur: "Story!" mokiert er sich, "was für einen undeutschen Wortschatz führst du als teutscher Tichter denn im Munde!"
Ich pariere: "Soll ich vielleicht 'Kurzgeschichte' sagen? Wie in der sechsten Klasse Teutschunterricht? Mir gefällt auch als Berufsbezeichnung 'Schreiber' von angelsächsisch 'writer' besser. 'Schriftsteller' klingt immer gleich so hehr nach 'Gralshüter'."
"Aber", lässt er nicht nach, "warum schreibst du eigentlich nicht mal einen richtig großen fetten langen Roman, wo man was davon hat? Schau Stephen King an!"
"Stephen King! November Rain!", mokiere ich mich, "was für kulturlose Güter ebensolcher Völker führst du als teutscher Endverbraucher denn im Regal! Deutsche, lest nicht beim Amerikaner!"
Und ich beuge mich konspirativ zu ihm hinüber, sichere nach allen Seiten, ob Sabina mit a nicht mithört, und flüstere Johnnie Walker ins Ohr:
"Ich kann nämlich wirklich kein gescheites Deutsch!"
Johnnie Walker verschluckt sich an einem Lachen: "Okay, ja dann", prustet und kichert sich aus, erholt sich wieder, wischt sich den Mund und pöbelt schließlich mit dem ihm eigenen regionalen Charme eine weitere Bestellung, die nicht einmal ich mehr verstehe, in Richtung Theke.
Von der Theke herüber aber tönt Sabina mit a's uns so liebvertraute Stimme:
"Nix da. Morgen wieder. Feierabend!"
Prost.