Gabi & ich
Alexandria Oberpfalz
Ich sitz mit Gabi im Gras, und wir erzählen uns Geschichten. Gabi ist dran. Ich dreh uns noch zwei.
"Wer sind wir?" sinniert Gabi. "Woher kommen wir? Wohin gehen wir?"
Und vor allem, verschlecke ich die Zigarettennaht, was kostet da das Weizen?
"Hanswurst", grinst Gabi, "dafür gibts jetzt eine Geschichte ohne Happy End."
Fein, das sind sowieso die schönsten.
"Also. Diesen einen Tag war die Erde wüst und leer. Die Menschen sind aneinander vorbeigelaufen mit sooolchen Düstermienen und haben sich nicht gegrüßt. Ein paar, die es hätten wissen müssen, sind ihrem Job nachgegangen, aber die wußten schon von nichts anderem mehr. Die andern, die keinen Job hatten, weil sie vielleicht zu jung waren oder unter- oder überqualifiziert, zu faul sind ja immer nur ganz wenige, wenn man sie nur zu was Richtigem motiviert, die andern also machten sich Gedanken. Manche ganz gute Gedanken, manche schlechtere, jeder wie er kann. Düstermienen zogen sie alle dabei. Die mit den schlechten Gedanken hieltens irgendwann nicht mehr aus und haben angefangen, sich vollzukiffen. Haben alles mögliche geraucht, geschnupft, aufgekocht und gesoffen, Pillen gabs noch nicht. Davon, kannst du dir vorstellen, sind ihre Gedanken nicht besser geworden. Ein paar wieder von denen waren ganz fit drauf mit Klampfezupfen und so Sachen, haben sich zusammengetan mit solchen, die Lieder schreiben konnten, und ein Wirtshaus gesucht, wo sie beides zusammen vortragen konnten. Denen, die es hören wollten. Also denen, die einen Job hatten und deshalb nicht selber zum Liedersingen kamen, wie denen, die keinen hatten, warum auch immer. Die waren dann auch die einzigen, die diesen wüsten und leeren Tag manchmal einen Smile zustandegebracht haben: die taten, was sie konnten und wollten. Was glaubst du aber jetzt, wer in den Wirtshäusern saß? Die mit Job haben das fliegenpilzselige Gegröhle von den Artisten gehört und gesagt, so ein Schmarrn, hey, die sollen heimgehen oder was arbeiten, dann vergehn denen derlei Alfanzereien schon. Die ohne Job warn inzwischen selber unter Fliegenpilz und die haben die Lieder von den andern bloß gestört, weil sie ihren eigenen oder was sie dafür hielten, nachhängen wollten. Beim Düsterdenken und Weitersaufen und so. Wollten die Wahrheit nicht hören oder auch bloß mitreden, was die Wahrheit denn ist. Wollten einfach nicht. Die Sehenden und die Fühlenden haben sich blind gestellt. Die hinter die Planetenharmonie und noch Schöneres hätten kommen können, haben sich benommen wie chancenlose Freaks. Alle andern sowieso. Und als solche sind sie diesen Tag auch geendet, weil du immer bist, was du dich selber sein läßt.
Es war keine Liebe unter den Menschen. Noch nicht mal mehr im Wirtshaus. Ist das nicht schrecklich?"
Gabi wischt sich die Augen. Anscheinend ist ihr Rauch hineingekommen.
Und? wage ich nach einer Zeit endlich zu fragen (schluck - ).
"Und? Das war der Tag, an dem die Bibliothek von Alexandria abgefackelt ist!"
Mehr muß man dazu nicht sagen. Dann bin ich wohl dran, wie?
"O yes, my little drummerboy."
Eine mit oder eine ohne Happy End?
"Mal eine mit."
Ich kannte mal ein kleines Mädchen, fang ich aufs gute Gelingen an, fünf strenge Winter alt vielleicht, die verstand sich von Natur aus schwer aufs Barfußlaufen.
Gabi setzt sich zurecht mit ihrer Zigarette. "Das wird eine schöne Geschichte", freut sie sich, "erzähl weiter." Und: "Wie hat das Mädchen denn geheißen?"
Ich überlege kurz: Judith.
Einmal bin ich mit ihr und ihrem Vater spazieren gegangen.
"Barfuß?"
Natürlich barfuß, Wunderkind. Was dachtest du denn? sag ich ärgerlich, mit Option auf: Erzähl ich eine Geschichte oder du - hinten in der Oberpfalz.
Landstraße, aber ruhige Gegend. Moosbüffelland. Natur, Landschaft, wo du hinspuckst. Bißchen Füße vertreten, und wir haben uns alle drei gefreut auf einen schwarzen Tee mit vier Stück Zucker drin im nächsten Wirtshaus. Cafés sind dort nicht so dicht gesät. Da waren dann irgendwo auf der Straße ein paar braune Flecken, festgeklebt, wie breitgelatschter Kaugummi vielleicht. Wo eben viele Bulldogs und Kühe unterwegs sind, da entsteht sowas. Judith läuft so auf die Flecken zu und fragt: 'Papa, was ist denn das?'
"Dreck", grinst Gabi schon breit.
Hab ich auch gedacht, daß er das sagt, fahre ich fort. Aber der Vater geht auch so bedächtigen Schrittes auf die Flecken zu und sagt, weise wie er war: 'Ja, das ist Erde.'
Verstehst du? Eben nicht 'Dreck'. Sondern Erde. Die Urmutter. Woraus wir stammen, worauf wir stehen. Materie. Das hab ich mir gemerkt, bald zwanzig Jahre bisher. Daß eben vielleicht die Straße der Dreck sein könnte und nicht die Erde, die da drauf geraten is. Darum gehts doch: Erde.
"Und? Und? Und? Das Happy End? Und?"
Und?? – Und ich hole aus zur ultimativen Endauflösung der Endauflösungen aller schönen Geschichten: Der Vater konnte ein unübertroffen feines Käsebrot machen!
Und jetzt stehn wir auf, klopfen uns lachend die Hosen ab und gehn uns ein Seidel kaufen. Bingo.
Take It Easy
"Ein Ungeheuerwald ohne Ungeheuer! Was die Leute alles erfinden! Bald werden sie noch Feuersbrünste ohne Feuer und Weihnachtsbaumplündern ohne Weihnachtsbaum erfinden. Aus reinem Geiz! Aber an dem Tag, an dem sie mit Bonbonläden ohne Bonbons anfangen, geh ich hin und sag ihnen mal Bescheid! Na ja, da wird man wohl selbst ein Ungeheuer sein müssen, ich weiß mir keinen anderen Rat."Astrid Lindgren, Pippi Langstrumpf, 1945
Es begann damit, daß sie in die Autos Katalysatoren einbauten.
Nun ist es ein lobenswerter Ehrgeiz, mit geeigneten Maßnahmen sich und seine Umwelt zu schützen und nicht gerade auf seinen Stadtwald mit geballten Ladungen Blei loszuschneuzen wie weiland Pat Garrett auf Billy the Kid.
Aus ähnlichen Gründen wurde es bald Mode, in einer ganz anderen Art von Verkehr einen gewissen Schutz zwischenzuschalten, um die Schäden der entstehenden Emissionen in Grenzen zu halten.
Über derlei Maßnahmen sann ich gerade, in meinem Gemeinschaftsraum-Anteil sitzend, nach, da kam Gabi nach Hause.
"Bißchen später geworden", keuchte sie und verteilte Einkaufstaschen um sich herum, "hab noch dringend einen Turboburger gebraucht."
Einen was?! stellte ich mich dumm.
Sie hielt mir einen größeren Fladen unter die Nase, Dinkelbratling statt anständig Hackfleisch oder sowas, der nach warmer Seife roch, dampfte und – man denke! – angebissen war.
"Turboburger extralight mit Multivitamin, makrobiotisch aus kontrolliertem Anbau, biologisch-dynamisch abbaubar, pH-neutral, in der digitalen Quadro-Box aus naturbelassenen Kunststoffen, voll recycelbar, zum Mitnehmen. Probier mal!"
Vor kleinen Kindern schützen. Bei Augenkontakt sofort Arzt aufsuchen. Darf nicht ins Grundwasser gelangen, ergänzte ich. Zu riesigen Nebenwirkungen fressen Sie die Packungsbeilage und erschlagen Sie den Arsch, Ihren Apotheker.
"Du bist blöd", kaute Gabi.
Damit kam sie mir gerade recht. Dieser Tage war ich mir mit mir selbst einig geworden, solcherartiges Zeug nie und nimmer mögen zu wollen. Ich hatte von Gabis Heruntergerassel ohnehin nur das Wort "Light" mitbekommen, und das genügte mir bereits, mit Appetit an fette Schlachtschüssel und selbstgedrehte filterlose Zigaretten zu denken. Ich weiß, ich lag da nicht sehr im Trend.
Ist das wohl das Ding, zog ich Gabi auf, für das sie mit altdeutscher Schrift: 'Speck und Ähre' geworben haben? Fast wie 'Blut und Erde', gell? Marsch auf Hamburger! Seit fünf Uhr fünfundvierzig wird zurückgeschissen. Natürlich war ich gemein.
"Echt doof bist du." Gabi kaute schon nicht mehr.
Daraufhin versuchte ich sachlich und vernünftig zu werden und setzte mich zu Gabi. Schau, sagte ich, es ist alles so eine Geschäftemacherei, und du mein kluges Mädchen merkst es nicht. Und wenn du es merkst, weißt du nicht, ob es gut für dich ist.
Gabi nickte über den letzten Bissen ihres Aufblasburgers und zutschelte sich bereits die Finger ab. "Aber den entkoffeinierten Kaffee, den magst du auch", argumentierte sie.
Und Cola mit ohne alles, die fettarme Butter, den Magerkäse, die Wurst Magerstufe und die entrahmte Milch, die entfettete entmilchte, mag ich auch, und ich schnall mich sogar im Auto an, gab ich zu.
Was Anschnallen jetzt damit zu tun hätte.
Das ist genau das gleiche, erklärte ich, du entschärfst damit eine Sache, die du gern tust, aber die dir vielleicht sonst gefährlich werden könnte. Ob Essen oder Autofahren, das ist ja dabei Hekuba.
Wie war's denn damals mit dieser Helmpflicht für Mofas?: Ein paar ganz Pflichteifrige haben freiwillig am Mofa einen Helm aufgesetzt, was erst die meisten für Realsatire gehalten haben bei den fetten fünfundzwanzig Sachen, mit denen dich jeder Hollandradler auslacht, dann kamen die ersten Statistiken raus, wieviel Prozent weniger Kopfverletzungen unter den Mofafahrern mit Helm waren, und ruckzuck war's ein Gesetz, daß alle sowas haben müssen. Über kurz oder lang werden auch die Radfahrer alle wie die Wiesenchampignons unterwegs sein, wart's nur ab.
Genau in demselben Sinn ist alkoholfreies Bier nichts anderes als Bier ohne Bier.
Hätte was für sich, knaupelte sich Gabi nach der Mahlzeit zwischen den Zähnen. Aber wieso Bier ohne Bier?
Genuß ohne Reue, präzisierte ich, Der Reiz ohne das Verbotene.
Entfettetes Fleisch kommt auch noch. Es gibt ja sogar ein Computerspiel 'Monkey Island', wo's um sowas geht, und selbst dazu gibt's ungelogen 'Monkey Island Light'.
"Aha", verstand Gabi, "und wo ist das verkehrt?"
Es ist nicht direkt verkehrt, versuchte ich mich weiter, aber es ist nun mal ein schlechtes Zeichen. Zumindest verdächtig. Von Übel ist, wenn alles, also wirklich alles irgendwie light und öko und was nicht noch ist, nur weil sich keiner mehr auf einen Nachteil einlassen will, wenn er auf sein Vergnügen aus ist. Du kriegst nichts geschenkt auf der Welt, zahlen muß man für alles. Wo soll das enden, wenn niemand mehr zu seinem schweinösen Lebenswandel stehen mag? Man versucht dir deine Genüsse zu kastrieren. Ist dir auch klar, was das bedeutet?
Deinen Kater zum Beispiel, den darfst du kastrieren lassen, weil es so besser für alle Beteiligten ist. Deine Musik auch, die darfst du zimmerlaut stellen, weil es so besser für deine Nachbarn ist.
Aber genau das mit der Musik hört schon auf, sobald du mit dem Walkman rumläufst: Das ist nämlich asozial - ich betonte in diesem Wort jede Silbe - im Sinne des Wortes, weil du dich bewußt und sogar mit Absicht von der Gesellschaft ausschließt. Du hörst deine Musik, aber nichts außerdem. Und alle anderen hören, was vorgeht, aber nicht deine Musik. Einseitige Schalldämpfung für bloß die einen, die nichts hören können – ist das sozial?
"Leichte Zigaretten", begriff Gabi langsam.
Womöglich noch mit Menthol: Ein Päckchen deckt den täglichen Bedarf an Vitamin C. - Langsam wurden wir warm.
"Reader's Digest Auswahlbücher: Literatur Light!" Wir lachten.
Mit Kabelanschluß mehr erleben!
"Deo Light!"
Preßsack Light: Mit Tomatensaft statt Blut!
"Sperma Light: Macht schwanger, aber nicht dick!"
Gib dem Affen Süßstoff!
"There's a Light: Richard O'Brien!"
Let There Be More Light: Roger Waters! Wir konnten bald nicht mehr.
"Aber echter Honig ist sogar kalorienärmer als Kunsthonig", gab Gabi zu bedenken.
Siehst du, sagte ich. Nix aber, sondern: Na eben! Und all das alkohol- und kalorienreduzierte Bier wird überhaupt bloß aus den Abfällen vom echten, gescheiten hergestellt, von dem man dick und dumm wird. Und sobald irgendwas reduziert oder light ist, wird es automatisch teurer. Hier kein Widerspruch bitte.
Ich drehte uns zwei Sargnägel. Den Zeitgeist kann man nur mit übelstem Knaster zum Schornstein hinausräuchern. Das ergab Bussi auf mich.
Sonst könnte man sich gleich mit einem Schalldämpfer erschießen, verklickerte ich noch.
"Oder mit einem Naturfaserstrick erhängen", brachte Gabi auf den Punkt. "Und ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel."
Und da hatte sie zweifellos recht.
Hellrosa Nagellack
Der Herrgott, so wie wir ihn alle liebhaben, blinzelte herab auf uns. Schöner Tag. Die Blumen dufteten wie bescheuert. Ob Gabi und ich uns im Grase räkelten oder im Bette, ist eigentlich egal, jedenfalls hatten sie mir anscheinend was ins Essen gemixt, daß ich so ganz und gar und überhaupt nicht wollte.
"'s'n los, Tiger", schnurrte Gabi, "nix tun für Deutschland heute?"
Nein, Gabi, gar nix, mußte ich alle so wohlgemeinten Versuche abstrumpfeln, nicht heut, und morgen nicht sofort.
Da kraulte Gabi mich mit rosigen Zehen erst am Knöchel, dann kurz unterm Bart - was ansonsten unfehlbar ist, wenn sie mir gar so allzulieb kömmt.
Gabi, seufzte ich - und drehte mich leiderleider davon -, Geschlechtsverkehr ist verfassungswidrig, und hatte wieder meinen momentanen Film voll auf den Punctum gebracht.
Gabi sammelte ihre Füße platz dort, wo sie anatomisch am zuhausesten sind, und fragte entgeistert: "Seit wann? Warum??"
Artikel eins Grundgesetz Bundesrepublik Deutscher Lande, ich - 'die Tasten des Menschen sind unverwüstlich' oder so.
"'Würde unantastbar'!", Gabi.
Is doch das gleiche, ich. Jedenfalls schaut homo sapiens beim Bumsen oder beim Liebesakt oder wie du dazu sagen magst...
"Am liebsten 'vögeln'!", warf Gabi ein.
... oder beim - : Vögeln - noch viel entwürdigter aus als beim Fahrradfahren, und das, Prinzessin, will weiß Gott was heißen. Denkende leben keusch. Laß uns gleich uns sofort damit aufhören, Schatzi. - Hast du dir schon mal einen Pornofilm angeschaut?
Gabi nickte so eifrig, daß es mir zu denken hätte geben sollen. Aber zugleich so ernst, daß sie mir noch zuhörte. Ich war gerade so hübsch im Rennen:
Und in diesen unbequemen Zeiten, in Zeiten von rettungsloser Übervölkerung des gesamten Planeten, den wir nur als einzigen dahaben, und zusätzlich noch von Aids - Mädchen, da gehören halt bestimmte Sachen verboten.
Gabi zaghaft: "Auch vögeln - ?"
Ich mannhaft: Gerade vögeln!
"Oooooch."
Dabei is nämlich noch nie was Gescheites herausgekommen. Es führt nur zu Eifersucht, Leid und Millionen von Arschlöchern. Man kriegt Filzläuse, Kinder und Tripper...
"... in dieser Reihenfolge."
Sehr richtig - und tut sich gegenseitig nichts als weh. Love and peace müssen reichen, sex and crime führen unfehlbar in Weltkrieg und Paradiesvertreibung.
"Na, na, na..."
Nix na na na! schmiedete ich die solidesten Argumentations- und Assoziationsketten, und es würde mich überfordern, hier und jetzt flüssig von Adam zu Adolf überzuleiten, aber verbindende Tatsache ist, daß die zwei mehr wollten, als sie kriegen durften, und darüber die Menschheit ja nicht direkt beglückt haben - und spätestens seit Vater Freud is alles Sex, right, Marzipan?
"Righty right, daddy dearie-o", sann Marzipan, "aber was is mit der Erhaltung unserer Art?"
Jetzt enttäuschte sie mich aber. Grade Gabi hätte ich zugetraut, so obsolete niedere Primateninstinkte glücklich abgeschüttelt zu haben. - : Schau sie dir doch an, deine Art, hoffte ich nicht wesentlich deutlicher werden zu müssen - und sage mir: rentiert sich das zu erhalten?
Da hatte daddy dearie-o mal wieder entwaffnend recht.
Manns- und Weibsvolk passen grundsätzlich ohnehin nicht zusammen. Besser, wenn die Geschlechter unter sich blieben, das wäre der Natur wie dem Frieden der Welt und jedes einzelnen ungemein zuträglich. Männer sind zu gefühlvoll fürs Leben, die machen sich zuviel draus. Frauen stecken eher alles weg. Frauen sind prügelhart im Nehmen und... lebenstüchtig und auf niemanden angewiesen, brutal und beherrschend, klarsichtig und sicher im Urteil, gefühlskalt und eisig logisch und... und Frauen eben.
Ich hatte mich in Blues geredet, sprach jedoch kein Wort, das gelogen war.
"Aber", unternahm Gabi einen letzten Vorstoß und schloß mich in die Beine, "manche Frauen mögen Männer, auch wenn sie keine brauchen. Der Mond steht günstig gegen Kinder, Filzläuse gedeihen nicht mit zuviel Adrenalin, das Blut ruft, und mein letzter Aids-Test war negativ."
Wollte ich mal nicht so sein. One more time to kill the pain. Nun, ich betrachtete Gabi mit einem besonders männlichen Blick und hieß sie ihre Füße in meinen Kniekehlen abstellen. Dann waren wir uns ein Viertelstündchen gut, daß die Heide weinte und Gabi miaute wie die Andrea Doria.
Ohne Sex gehts also anscheinend in den seriösesten Druckerzeugnissen nicht mehr ab: Ja, schon wieder ein paar hundert Lesererwartungen enttäuscht. Ja, wir Geschichtenschreiber sind Charaktersäue, wir dürfen sowas, wir werden sinnlos dafür bezahlt und dürfen darum sogar noch unsere Message verbreiten: Also: One... two... three... four:
Vögelt nicht so viel und schreibt ein sauberes Deutsch!
Über uns schmauchte der Herrgott sein Pfeifchen, schmunzelte großväterlich in seinen Rauschebart hinein und ließ sich selber einen guten Mann sein.
Backlash
Die Vorgabe.
Mein Frauenbild überdenken, mein Frauenbild überdenken... Was denn nicht noch. Aber von mir aus; für Gabi tu ich alles. Schreibmaschine, jungfräuliches Papier: schrapp - schrapp - schrapp - :
Das Klischee.
In der S-Bahn müht sich ein verhärmtes, runzliges, bucklichtes Mütterlein von etwa Mitte neunzig ab, zwei prallgestopfte Plastiktüten von der Stelle zu schleifen. Arbeitende Bevölkerung jeglicher Ausprägung drängelt sich verhalten fluchend an ihr vorbei und führt einen stummen Krieg um die letzten Stehplätze.
Nebenan in der Ersten Klasse hievt ein bis zur Verzweiflung geschminkter schwarzer Engel, nachtblaue Löwenmähne bis zum Hintern, erkennbare Straps, eineinhalb Handbreit hohe Riemchensandalen mit matten Stahlabsätzen, 91-60-89, ein Reisenecessaire ins Gepäcknetz. Umgehend springen ihr hilfsbereite Männer zur Seite; wer zu spät kommt, wird dafür heute abend zu früh kommen.
Den Rest der Reise sonnt sich das schwarze Gift in der Bewunderung eines hechelnden Rudels Verehrer.
Als das Mütterlein aussteigen will, hilft ihm kein Schwanz auf den Bahnsteig, sondern raschelt zornig und unrasiert mit der Bildzeitung.
Das Idealbild.
In der S-Bahn tippt ein rüstiges, verrunzeltes, vom Leben gebeugtes Mütterlein einen sympathischen jungen Mann auf die Schulter, ob er ihr nicht mal mit ihren Einkaufstaschen helfen könnte.
Aber natürlich, sagt er, entschuldigt sich, daß er nur gerade zu vertieft in sein Buch war, und stellt mit Schwung ihre beiden Taschen in den Gang, wo die arbeitende Bevölkerung jeglicher Ausprägung einvernehmlich ein Schrittchen zur Seite rückt, denn wo der Platz für hundert reicht, reicht er auch noch für ein liebes altes Muttchen.
Nebenan hievt ein zartgliedriger schwarzer Engel, nachtblaue Wuschelhaare, gewaschene Jeans, flache Schlappen ohne Socken, Ruf 110 (dstl.), einen Rucksack ins Gepäcknetz. Als er ihr abzurutschen und aufs Haupt zu pfunden droht, springt der Nachbar auf und drängt ihn im Vereine mit dem schwarzen Gold in sein Gitter zurück.
Die beiden lächeln sich an, unterhalten sich über die Tücke des Objekts und winken sich später fröhlich tschüs zueinander.
In der S-Bahn gibt es keine Erste Klasse, sondern ein Raucherabteil.
Die Realität.
In der S-Bahn schnauft eine habgierige, hakennasige, bis zur Verzweiflung geschminkte Alte mit ihren Plastiktüten den Gang entlang und verteilt ihr Sack und Pack über vier Sitzplätze. Als sich ein junger Mann höflich erkundigt, ob er ihr helfen kann, ihre Tüten ins Gepäcknetz zu heben, schnauzt sie ihn geierwallig an, daß sie herrschaftzeiten schon selber zurechtkommt. Verschüchtert nimmt der arme Bub seinen Stehplatz ein.
Nebenan müht sich ein schwarzer Engel, nachtblaue Löwenmähne bis zum Hintern, erkennbare Straps, eineinhalb Handbreit hohe Riemchensandalen mit matten Stahlabsätzen, 91-60-89, einen riesenhaften, prallgestopften Interrailer-Rucksack ins Gepäcknetz zu stopfen. Alles um und um vertieft sich peinlich berührt in Druckerzeugnisse jeglicher Ausprägung, um nicht behilflich sein zu müssen. Wer das schwarze Gift zuerst anspricht, ist auch der größte hormongesteuerte Chauvi. Wer nur als erstes hinschaut, hat schon verloren.
Eigentlich ein Jammer, das mitansehen zu müssen, aber den notgeilen Baggermacho soll heute mal ein anderer geben, wir haben heute schon genügend aufs Maul gekriegt; Ende der Diskussion.
Das Fazit.
Voilà!, rufe ich und ratsche mit Hui das Blatt aus der klapprigen Olympia Monica, die ich ererbt von meinen Müttern.
Gabi liest meine Parabel mit gerunzelter Spannung. "Was für ein Rollenverständnis baust du da überhaupt auf?", fragt sie. "In was für geschlechterspezifischen Verhaltensmustern bist du denn eigentlich befangen? Hilfe, was bist denn du für einer??"
Leckt mich doch langsam alle miteinander am Ärmel. Ich schnappse Gabi die Fernbedienung unterm Schenkel weg: Wie mans macht, ists verkehrt.
Don't Think Twice
Ich gucke Affen. Hans Schweiger & Ernst Arendt unter den Schimpansen.
Wahnsinn, wie toll die Natur das eingerichtet hat, mampfe ich ein Schnitzel mit Remouladensoße, wie die ihre Toten begraben. Das hat denen doch keiner beigebracht!
Gabi zeigt sich ungerührt. "Na und. Wer hat dir beigebracht, Schnitzel mit Remouladensoße zu mampfen, und du tust es trotzdem mit größtes Selbstverständlichkeit von Welt. Und erzähl mir nicht, daß Schnitzel mit Remouladensoße mampfen eine Verstandesleistung sein soll."
Wie immer hast du natürlich umwälzend recht. Aber ich finde, du denkst mal wieder einen Schluck zu weit. Seine Toten zu begraben, ist entweder eine bewußte Maßnahme aus hygienischen Erwägungen, oder instinktgeleitet und damit in eine Reihe mit Schnaufen, Fressen und Bumsen zu stellen. Richtig?
"Richtig. Und weiter?"
Die Herren Affen...
"... und die Frauen Affen..."
... und selbstverständlich auch die Frauen Affen, ma chérie, können also sowenig unterdrücken, ihre Leichen einzubuddeln, wie ab und zu mal eine Kokosnuß einzunehmen oder... was Affen eben so treiben. Leichen-begraben, lernen wir daraus, ist etwas zutiefst Äffisches.
"Und nicht etwa 'Affiges'."
Genau. Was Mami Natur als lohnend befunden hat und freiwillig ihren Lieblingen mitgibt. Genuin menschlich hingegen ist, zu lachen.
"Du meinst, so wie die besoffenen Elefanten, wenn ihnen das Obst im Bauch zu gären anfängt?"
Oder zu lügen.
"So wie die Miez, wenn sie an die Milch gegangen ist?"
Oder an höhere Wesen zu glauben.
"So wie der Lumpi von deinen Eltern?"
Oder über weite Strecken komplexe Inhalte zu kommunizieren.
"Aha. So wie die Wale? Zutiefst menschlich, mein Lieber, wie zutiefst menschlich, wie wahr und gut und schön fürwahr."
Oder so widerlich zu sein wie du jetzt.
"Oder so polemisch wie du." Gabi brillierte ohnegleichen.
Ja, was soll denn dann überhaupt noch menschlich sein?
"Vielleicht, sich den Schädel über den Sinn des Lebens zu zermartern und darüber, was menschlich sein soll?"
Wahrscheinlich trifft es das. Ganz bestimmt aber unterscheidet uns von Graugans und Schimpanse, Lieder zu erdenken und wertfrei um ihrer selbst willen zu singen.
"Pff. So wie Bob Dylan?"
Sie nun wieder. Unser alter Streitpunkt. Dabei weiß sie das ganz genau, daß ich Bob Dylan als Liederschreiber vergöttere, auch wenn er ungemein verliert, ich gebs ja zu, sobald er das Maul aufmacht.
Bei dem wars was anderes, versuche ich meine Argumentation diesmal. Dem haben sie schon allein aus Mitleid einen Plattenvertrag ausstellen müssen, weil er als Straßensänger verhungert wäre.
"Also doch wieder sowas wie Leichenbegraben. Be zet we die Vermeidung davon, also die Sublimierung. Leichenbegraben als intellektuelle Maßnahme."
Wir lernen.
Die Schimpansen im Fernsehen sind dazu übergegangen, wild Kokosnüsse zusammenzukloppsen, übermütig zu kreischen und auf und ab zu hüpfen.
Gabi und ich wechseln einen Blick. War wohl auch nix mit dem originalmenschlichen Musikmachen. Gabi grinst. Ich hab verstanden und lasse sie gnädig mal von meinem Schnitzel mit Remouladensoße beißen. Das können sie uns nicht nehmen, die Affen.
Für Gabi tu ich alles