Katerfrühstück

 

Eins

   Ausnahmsweise herrscht Ruhe.
    Saurer Wildhase mit Rotkraut, viel zuviel Knödeln und viel zu fetter Soße. Ungefähr neun Männer im besten Alter - und alle Männer sind immer im besten Alter - beim verspäteten Mittagessen, weil sich erst um halb zwölf ein Freiwilliger gefunden hat, der so eine Art Frühstück macht.
    Zwei brechend volle Tische mit immerimmer wieder frisch nachgefüllten Tellern - meistens hinterrücks von den Herren Küchenbullen - und bodenlosen Töpfen, aus denen es immer noch unaufhörlich dampft, dazwischen Bierflaschen in sämtlichen denkbaren Füllungsstadien, und Schnapsgläser. Draußen geben die Herren Küchenbullen ihr bestes, schwitzen mindestens so arg wie die Fresser. Gefräßige Stille. Besteckeklimpern. Knochensplittern. Schmatzen. Schlucken. Schniefen. Ein Furz.
    "Du bringst hald widder eine Hüddnromandik rei!"
    Der Hans Wurst, sein vor Fett triefendes Wildhasenschlegel in der Hand, stützt seine Pranken seitab auf und schaut seinen Nachbarn, den Peter, den, der bis vor fünf Jahren Karate gemacht hat, ganz Vorwurf, an.
    "Also desmol woris fei ausnohmsweis ned", verteidigt der sich, wie er sich kurz das Fett von den Backen wischt. "Kher iich ned dazou. - Lang mä läiwer nu ä Gniedler riewer" und mampft weiter.
    Der Hans Wurst vernachlässigt ganz sein Trumm Wildhase. Das ihm!
    "Edz wors nou am End gor nu iich", motzt er, "und du kannsd doch em Willi ned alle Gniedler wechfressn!"
    Der Willi gegenüber schaut hoch. Das kann er auf den Tod nicht haben, wenn einer seine Knödel, seine Bier oder seine frischen Hemden zählt. Frechheit sowas, bloß weil der Hans Wurst wieder einen Blitzableiter braucht...
    "Wirsders scho selwer gwen sei", kaut er zum Peter seiner Verstärkung, "wenner diich am erschdn schderd."
    Der Hans Wurst gibt sich überstimmt. Beleidigt rotzt er hoch und sichtet die Reste seines Wildhasenschlegels. Jetzt hat er keinen Appetit mehr, das sieht man schon, wie er bloß noch so mit den Vorderzähnen beißt. Mit dem Essen hat ers nicht so.
    Laut Mehrheitsbeschluss darf der Peter doch noch ein halbes Knödel essen. Der Rest ist für die Küchenbelegschaft, den Erich und den Georg, weil sich der Erich wenigstens einmal im Jahr sattessen muss. Daheim kriegt er nämlich nix mehr von seiner Frau bis zur nächsten Hüttenfahrt, das weiß man ja. Dafür darf er dann auch noch den halben Suppenhafen voll Rotkraut noch mit auskratzen. - Ein Glück, dass es den ganzen Zentner nicht gleich noch billiger gegeben hat, sonst hätten wir das auch gekauft und hätten jetzt die Jahresration für ein mittleres Negerdorf da.
    Der Georg, der Methusalem der Exkursion, ein Bär von einem Kerl, den niemals einer mit "Schorsch" oder "Gerch" oder etwas ähnlich Respektlosem anreden würde, höchstens mit "Vadder", der über zwei Weltkriegen und einem bissigen Hauskreuzbesen schweigsam geworden ist, der sich aber auskennt im Leben und der allerweil noch sein Quantum schluckt, und auch ganz schön neinhauen kann, wenn er seine Zähne drinhat - der Georg frisst eh nix. Der hat da draußen schon genug abgeschmeckt. Oder wer hat nachher den Kopf von dem Wildhasen sonst schon in der Reißen gehabt, hmmmm? Der Erich kanns nicht wissen, der Georg zuckt bloß die Schultern. Das muss einer nehmen, wie es ist.
    So ist der Furz von vorhin schon fast in Vergessenheit, da knattert noch einer. Ganz deutlich!
    "Desmol worsders owwer!", pflaumt der Hans Wurst den Peter an. "Di ganze Bänk houd zidderd!"
    "Dei Gschmarre dou." Der Peter schenkt sich jetzt in aller Ruhe ein Weizen ein. Da kann er das Gemuffel vom Hans Wurst jetzt grad brauchen. Da ist er Fachmann. Dazu braucht er auch seine volle Konzentration und kann im Moment weder auf seine Verdauung Rücksicht nehmen noch mit dem alten Hackstock da streiten. Jetzt läuft es auch über, und er muss sich sofort bis über den Schnurrbart hineintauchen, was dem Hans Wurst den ganzen Wind aus den Segeln nimmt.
    Keiner mag mit ihm diskurieren. Da schürt er sich lieber eine an. Egal wer am Tisch noch isst. Das sind sowieso bloß noch die zwei Küchenmeister - und der Willi natürlich, na freilich. Der ist mit dem Georg über seine Knödel einig geworden, und eine Wildhasenbrust hat sich auch noch gefunden. Und das restliche Rotkraut wird man auch bloß im Garten vergraben müssen.
    Wir scheinen aber Vollmond zu haben, weil der Hans Wurst trotzdem allerweil noch einen Grund zum Maulen sucht:
    "Bringts amol demm Willi den halwerdn Koung vo heid fräih miid raus als Nouchspeis!" bellt er in die Küche hinaus, wo der Fritz und der Don Zigarillo schon angefangen haben zu geschirrsortieren und restevernichten.
    Aber der Willi fühlt sich überhaupt nicht getroffen. Im Gegenteil, der wird den Kuchen auch noch zwingen, so wie der jetzt noch schaufelt -
    "Und an Birngeist aa!" ergänzt er sogar mit vollem Mundwerk. Wo frisst der das bloß hin. Ein anderer könnte gar nicht so viel scheißen.
    Da kann der Hans Wurst bloß den Kopf schütteln. Er bleibt lieber noch ein Stündle sitzen. Sollen doch arbeiten, die andern, er zahlt dafür lieber eine Runde nachher. Den Aschenbecher. Seine Zigaretten. Seine Ruhe. Sein Bier. Schon wieder ein Furz.
    Der Don Zigarillo stellt bloß schnell den Birngeist auf den Tisch und ist froh, dass er wieder zum Küchendienst verschwinden kann. - Jaja, Demokratie in ihrer schönsten Form: die einen spülen halt sozialhalber ab da draußen, die andern sollen nur ihre Ware zahlen und die Dämpfe aufschnuppern. Arbeitsteilung. Der Peter beendet gerade einen tiefen Schluck Weizen.
    "Sollider wos soong Hans Woschd", schubst er denselben ganz überlegen in die Rippen, weil er was weiß, "des wor nämli iwerhapts gor kanner vo uns. Des kummd vo drassn" und deutet rückwärts über die Schulter zum Fenster hin, an dem immer noch die Läden geschlossen sind.
    Warum werden die überhaupt nicht aufgemacht, sondern volle Festbeleuchtung angeschaltet am hellerlichten Tag? Die Kälte bleibt ja wohl doch trotzdem draußen?
    "Wer soll nä dou drassn su umänanderscheißn" fragt der Hans Wurst sich und andere, und rührt missmutig mit seiner Kippe im Aschenbecher herum. "Maansd, di Owerpfälzer sin aa lauder su Dreegsai wäi mir?"
    "Schaumer haldämol naus", regt der Billy Dumm an - dem sein Name ist zwar von irgendwas Tschechischen abgeleitet, aber gut gemeint - der meldet sich auch mal, weil er grad nix zum Tun hat und jetzt nach dem feinen Essen erst munter wird, und schon rumpelt er zwischen die zwei Streithammeln, die da bloß das Fenster blockieren und nix dergleichen unternehmen, um mal nauszuschauen, und reißt es so temperamentvoll auf, dass der Peter sein Weizen festhalten muss.
    Da weht es eisig kalt ins Aufenthaltszimmer rein, und sofort riecht es ganz frisch nach Schnee statt nach Rauch.
    "Jawoll", meint der Peter und muntert mit der Faust auf, "max Fenster aaf! Lou Gerechdichkeid rei!"



Zwei

   Das Fenster geht auf die Terasse. Dahinter sind ein paar angefangene Bungalows und dann wieder viel, viel Wald. Bayerwald. Auf der Terasse, gleich am Fenster, steht ein Tisch. So einer, wenn man grillen will. Der Swimmingpool ist das ganze Jahr leer, gehört mal entlaubt, und der Garten ist immer so arg abschüssig. Aber auf dem Tisch ergeht sich, immer so im Kreis herum, na hallo, eine schwarze Katze.
    "Ä Katz!" kommt der Julian ans Fenster angejubelt. Der vielleicht zehnjährige Benjamin der Exkursion, der sich spätestens nach der Hütte das Rauchen abgewöhnen will, dem seit dem Frühstück (oder was da um halb zehn ein paar Aufgeschreckte da herin in der Art so abgezogen haben) langweilig und außerdem schlecht ist, weil er keinen Wildhasen mag, bäh, die sind doch so süß - dem Hustinettenbär sein verzogener Fratz, der ja unbedingt auch hat mitmüssen. - Wo ist der Hustinettenbär überhaupt?
    "Ä Katz!" brummelt der Willi über sein soundsovieltes Knödel hinweg, Besteck fest in Händen, aber auch nur bloß, weil er mit dem Blick zum Fenster sitzt.
    "Ä Katz!" Der Hans Wurst renkt sich ja schon bald den Kragen aus, damit er sie richtig sieht. Nein, durch seine verschmierte Brille eh nicht so recht. Katzen hat er in seiner Jugendzeit so gern gehabt.
    "Dou had vurhin däi an di Fensderlädn su gradzd, dass äsu glingd wäi gschissn", erklärt der Peter, "und dä Hans Woschd maand, iich wär genau suä Bauernbou wäi er." Damit versinkt er in Triumph und Hellem Hefeweizen.
    Der Billy Dumm und der Hans Wurst haben schon die Hände aus dem Fenster, locken die Miezmiezmiez zu sich her. Weil die Katze muss doch zu uns rein. Die schmiegt sich dem Billy Dumm in den Arm. Wahrscheinlich gefällt ihr dem Hans Wurst seine Zigarette nicht.
    Der Georg schaut misstrauisch zu, wie der Billy Dumm umständlich die Katze ins Zimmer holt. Er sitzt kauend da, wollte grade gemütlich seine Mahlzeit ausklingen lassen, und wird wohl wahrscheinlich gleich seinen Teller nach dem schwarzen Katzenteufel schleudern. Obacht, gell.
    Er schleckt ihn aber bloß sauber ab und macht mit seiner immer wieder gutgemeinten, hohlen Altmännerstimme den Vorschlag: "Edz loud hald des Viechzeich drass!"
    Aber der Billy Dumm trägt die Katze schon unter lautem Tumult in die Küche, vorzeigen und streicheln.
    Hans Wurst und Peter, jetzt Schulter an Schulter, schaffen wieder Ordnung im Revier, lehnen das Fenster soweit wie nötig an und unterscheiden Aschenbecher von an- und abgegessenen Suppentellern. Der Georg ist da, stellt andächtig das letzte Geschirr ineinander zusammen. Der Willi hebt kurz, solang er die Pfoten freibringt, seinen Teller hoch, damit der Erich besser drunter aufwischen kann, und tafelt weiter. Wer hat denn dem jetzt tatsächlich den Kuchen noch gebracht? Na, es geht ja auch schon schön langsam auf Kaffeezeit, wo ist denn der andere Kuchen?
    Der Julian ist dem Billy Dumm und seiner Katze nachgesprungen. Dem Gejohl in der Küche nach zu schließen, ist auch der Hustinettenbär inzwischen endlich aufgestanden, um mal nachzuschauen, was sich so tut (der eine Schlafraum liegt nämlich gleich hinter der Küche) - - - und da kommen sie ihm gleich mit einer zugelaufenen Katze. Dem Julian sein spitziger Knabensopran versucht dem "Babba! Babba!" ganz verzweifelt genau das zu erzählen, was ihm der Billy Dumm grade unbeirrt, mit kratzigem Bierbass und schwer ausladenden Gesten von der Front berichtet. Der Hustinettenbär lacht dazu, so laut er mit seinem Haarspitzenkatarrh kann, ein Glas Mineralwasser in der Hand und einen werdenwollenden Siebentagebart im Gesicht. Der steht immer noch im knallig roten Schlafanzug da, die andern auch nicht ganz soo salonfähig, während sich die Katze mit jedem einzelnen von unten her, tigernd und schnufernd, vertraut macht. Bloß der Don Zigarillo ist in den Keller gegangen, Bier auswechseln. Und der Fritz kann ja schlecht mit seinem Raucherbein. - Jetzt haben wir eine schwarze Katz.



Drei

   Ja, ein feines Tier ist es, was wir dahaben, so richtig kohlrabenschwarz, bloß mit einer schneeweißen Schwanzspitze. Ein echter Mephisto, bei dem alle Leute ein Kreuz schlagen und dreimal über die Schulter spucken, wenn er von links nach rechts über die Straße läuft.
    Wie er dem Fritz so aus den Armen herunterhängt, der sie auch mal hat nehmen dürfen, die Hinterbeine weit hinausgereckt, funkelt er die Männer um sich herum giftgrün an und peitscht mit dem Schwanz hin und her. Jetzt sieht man, dass er auf der Brust auch noch ein weißes Dreieck hat. Wie ein Abzeichen. Hinter den Löchern im Pelz, da arbeitet ein Gehirn, das sieht man ganz deutlich.
    "Däi Katz däi gfälld mer mid ihrer weißn Schwanzspitz, wal" - der Peter grinst erst auf den perpendikelnden Schwanz hinunter und dann in die Runde - "wal bei mir is des des gleiche."
    Der Hustinettenbär im Schlafanzug angelt sich ungerührt eine Flasche Mineralwasser, Verdünnung aqua miserable: "Du brauxdn hald blouß widder ämol waschn."
    Gelächter. Der Julian hält sich recht im Hintergrund und hält den Mund. Der notiert sich die ganze Zeit geistig jedes Wort, der Rotzlöffel, und daheim erzählt ers dann wieder der Mami. Aber das muss uns auch wurscht sein.
    Der Fritz bückt sich mit steifem Kreuz hinunter und lässt die Katze laufen. Klaps - . Das Fenster ist schon lang wieder zugenagelt, weils so zieht. Die Türen sowieso. Ungefähr neun losgelassene Männer, mental eingeschränkt durch Restalkohol oder Aufgewärmte oder beides, ein zehnjähriges kleines halsloses Monster und eine wehrlose Katze. Das verspricht Abwechslung.
    Dem Georg hat sie ja von Anfang an nicht so gefallen. Der schaut jedenfalls recht düster auf die nunter, während dass er bedächtig die langen Tranchiermesser abtrocknet. Darum hält sie sich lieber an den Fritz.
    Der ist bedeutend ungefährlicher, schon allein weil er beim Geschirrverräumen kaum sein Raucherbein um die herumbalancieren kann. Der tut sich halt schwer, der Fritz. Wer weiß, was er daheim bei der Frau noch fertigbringt, ja ja...
    Aber einen schönen Zipfel Stadtwurst hat er für die Miez frisch aus dem Kühlschrank, den was sie in nullkommanix vom Boden aufgeschlabbert hat. Wie sie so hungrig dem Fritz zuschaut, wie er über dem Kühlschrank Teller einräumen muss. Mit den Ohren zuckt sie und vibriert mit den Schnurrhaaren und weiß ganz genau, was gespielt wird. Und der Fritz ist aber ein gutmütiger Mensch und bückt sich mühsam nocheinmal zur Katz nunter zum Streicheln, ja, Miez, ha ha ha - .
    "Däi Katz bringsd edz nimmer lous", deutet der Georg bestimmt auf die Katz. Weil wir ihr was zum Fressen gegeben haben, haben wir die jetzt herin heut nacht. Das sagt er bestimmt noch ein paarmal im gleichen Wortlaut, aber wir spülen grad ab.
    Und damit überlässt er das Feld dem Fritz und dem Don Zigarillo, ist eh so eng in der scheiß Küche, weil der Don Zigarillo wieder einen Kasten Bier aus dem Keller organisiert hat. Wenigstens einer macht was Sinnvolles.
    Dienst ist Dienst und so weiter, und deshalb langt sich der Georg eine kellerkühle Flasche und schlurft sich wohl ein Stündle zwei, aufs Ohr hauen. Was er aus seinem zahnlosen Mund noch zum Schimpfen hat, versteht man hinter ihm schon gar nicht mehr. Aber so, wie er die Tür zum Schlafraum zudonnert, passt ihm wirklich was nicht. Wenigstens lüften hätte er mal können, der Hustinettenbär. Der Don Zigarillo nickt bedeutungsschwer.



Vier

   Natürlich wird der gediegene Besuch, die Katz, allen Geboten der Gastfreundschaft entsprechend verwöhnt. Darüber entspinnen sich im Lauf des Nachmittags hitzige Diskurse, was gut und was nicht gut ist für die Katz - Milch zum Beispiel darf sie eigentlich gar nicht, das ist ein weit verbreiteter Irrglauben, rohes Hackfleisch ist am besten, weils ein Raubtier ist - oder wir legen vielleicht den Rest Preßsack vom Kühlschrank raus, damit er später nicht so kalt ist. Aber dann schnappt ihn uns bloß der Willi weg. Falls der heut noch fertig wird da drüben.
    Tatsächlich: der Willi spachtelt immer noch mit vollen Backen. Der wird nicht mal langsamer. Unberührt von dem zwanglosen Lagerleben, das sich mit der Zeit als die Freizeitgestaltung des Nachmittags entwickelt, schüttet der sich immer wieder aus den ganz großen Pötten den Teller voll und von da aus unter die Nase nein. Maßlos.



Fünf

   Ein paar fangen einen gepflegten Schafkopf an. Das ist ja gestern nicht gegangen. Die Karten gehören auch nicht ausgerechnet unters Radio.
    Der Julian, wenn dem schon langweilig ist, soll sich mal als Mundschenk nützlich machen, damit er vielleicht bei uns sogar was lernt fürs Leben. Soll ein paarmal in den Keller nunter, Bier auffüllen, und wie man die Schnäpse richtig vollmacht, ohne dass sie doch überlaufen, lernt er auch noch. In dem Alter waren wir doch auch so.
    Kommt heut denn gar nix im Fernsehen. Der Hausfrauenreport der Wochen war, glaub ich, schon gestern, hoffentlich haben wir nix verpasst, weil sowas haben wir daheim nicht jeden Tag. Man verliert ganz den Überblick über jeglichen Kalender. Nein, der Fernseher bleibt aus. Die Sportschau schauen wir dann schon an, logisch, aber dann sofort wieder aus. Sowas haben wir daheim jeden Tag und mögens nicht.
    Schön ists auf der Hütten, einfach mal Herrentour ohne dass man sich von irgendwelchen angetrauten Holden was sagen lassen müsste, das Bier ist nach dem Reinheiz-Gebot und der Schnaps aus dem gleichen Getreide gebacken wie das Brot, wir singen ab und zu die alten Schlumperlieder, wie wir sie auf den alten Kirchweihen sellmals gelernt haben, und niemand ruft uns dabei zur Ordnung, man bringt endlich mal seine ganzen schotigen Schweinigelwitzle unter, man muss nicht so mitrechnen, bloß weil noch wer Autofahren muss oder es kurz vorm Ersten ansteht - man gestaltet einfach seinen Rhythmus wie man ihn braucht, und so is es rund um Weihnachten auch mal ganz lustig.



Sechs

   Verschiedentlich wird der grünäugige Panther auf den Arm genommen und herumgereicht, betätschelt, gehätschelt, gemurkelt, gemäkert und meistens schwach angeredet. Alle Sorten Schnaps lehnt er ab.
    Der Billy Dumm muss mal ausprobieren, wie laut und ausdauernd so ein Katzenviech jaulen kann, wenn man es am Schwanz gepackt kopfüber hin und her schaukeln lässt. Kein Vergleich mit einfachem Miau.
    Der Julian kommt gar nicht dazu, der Katz irgendwas hinten dranzubinden, solang die Alten selber so kindisch sind. Der Peter kann sowas gar nicht sehen:
    "Lou hald des Ketzlä lous", fällt er dem Billy Dumm in den Arm, "dir gfallerd doch suwos aa ned, wemmer edz diich am Schwanz baggerd und suä Woä dreiwerd." Und da hat er zweifellos recht. Deshalb nimmt der Peter die ganz verstörte Katz in den Arm und unter seinen persönlichen Schutz. Gäih her, Maunzerlä.
    Inzwischen ist auch der Preßsack lang genug heraußen gelegen, damit die Muschi keine Gastritis kriegt... Muschi? Ja, ist denn das überhaupt ein Weibchen? - Gastritis? Ja ist das Katerviech überhaupt kastriert?
    Mit einem Schlag herrscht die einhellige Meinung, die Katz ist ein Kater, sieht man doch gleich an dem breiten Genack, hab ich doch die ganze Zeit gesagt, und kastriert ist der bestimmt nicht. Der lebt schließlich da rum wild, der Schnallentreiber, gehört praktisch niemand, lässt sich bloß ab und zu von den Hüttengästen durchfüttern, also wer soll den kastriert haben.
    Einwände, dass der Felix, denn so heißt der Kater auf einmal, dass also der Felix für ein Freiwild ganz gepflegt ausschaut - aber aaaach, der findet schon immer einen Dummen, der was ihn putzt und striegelt, schau uns an, bei uns lässt er sich füttern, beim Nachbarn wird er halt vielleicht sauber gekämmt.
    Aber kastriert gehört so ein Katerzeug schon, arschklar wie Enzian. Auch wenn keiner weiß, von wem die Idee stammt, und derjenige wird es selber wahrscheinlich schon vergessen haben, bloß der Georg ist unschuldig weil der schläft, aber jetzt hängt sie schon einmal im Raum, die Idee. Beherrscht irgendwie von oben runter her den Diskurs, weiß der Teufel, wie so eine Idee das macht, und versteht sich mittlerweile ganz von selber: Der Kater wird kastriert.
    Und schon, schau hin, liegen da zwei hölzerne Schneidebretter auf dem Esstisch draußen da, obwohl der Willi genau daneben seine Mahlzeit zelebriert. Eine Firmenkanne Kaffee und Zwetschgenkuchen - frisst der immer noch, oder schon wieder? Und ein Geschirrtuch dabei - also alles als Operationstisch bereit.
    Da steht ja auch der Georg wieder in der Küche, streckt sich ausgeschlafen, lässt sich vom Billy Dumm, dem Hustinettenbär und dem Peter mit dem Felix auf dem Arm die Lage auseinandersetzen, und kriegt ganz glänzende Augen. In dem seinen Alter. Vom Bier?
    Ganz selbstverständlich, dass dann jetzt der Georg die Sache in die Hand nimmt. Der Georg, der kennt sich aus. Und jetzt kramt er sich aus dem Schub die zwei ganz langen Fleischmesser naus, mit denen er vorgestern den Hasen abgezogen hat, und fängt stumm an, die aneinanderzuwetzen. Das Wetzen, das kann er gut. Der Hase jedenfalls hat überhaupt nix gespürt (kann er auch gar nicht, mit den ganzen Schrotkugeln im Spiegel).
    Draußen versucht der Peter den Felix unter gutem Zureden auf den zweien Schneidebrettern zurechtzulegen. Aber trotz tatkräftiger Mithilfe von sechs Mann in fliegender Ablösung, weil der Teufel kratzt und faucht auch noch!, dreht sich der Feigling andauernd wieder auf den Bauch. Wenn er bloß auf Alkoholika anspringen tät, dann könnte man ihm ganz fix eine Narkose geben.
    Der Willi rückt seinen Teller ein bisschen auf die Seite, wie das Wetzgeräusch aus der Küche aufhört. Der Georg bringt steinernen Angesichts seine Messer nebst einem schwarzen Zwirnsfaden herein. Platz für den Georg. Und was will er nachher mit dem Zwirn?
    "Wou habdsn edz den Grübbl" fragt er zahnlos.
    Naja, auf den Schneidebrettern liegt er halt auf dem Tisch, festgehalten vom Peter, blinzelt misstrauisch um sich, und der Peter kann ihn grade noch so auf der Seite ruhighalten. Dafür raucht ihm dauernd seine Zigarette recht hinterhältig in die Augen.
    Die versammelte Mannschaft stellt das Publikum, wenn auch manch einer mehr distanziert - pfui Deifl na.
    Der Don Zigarillo zum Beispiel findet seine Zeitung und seine Pfeife spannender. Klein-Julian sitzt irgendwo hinter seinem Vater, derselbe immer noch im Schlafanzug, ganz bleich um die Nase (eigentlich alle zwei). Der Hans Wurst schaut auch immer noch mufflig dem Willi beim Dinieren zu, der seinerseits zu dem Patienten so nahe neben seinem Essplatz hinüberschiegelt. Nein, dem Willi, dem graust doch vor gar nix. Der Rest - Erich Fritz Billy Dumm - steht bereit als Operationshelfer. Alles ganz ruhig. Jetzt hört man bloß noch den Willi malmen.
    Nachdem der Felix mangels Aussicht den Widerstand größtenteils aufgegeben und der Peter seine Zigarette weggelegt hat, kann der Delinquent endlich an Vorder- und Hinterbeinen soweit gestreckt werden, dass der Georg an die gefragten Stellen hinankommt.
    Mit dem Zwirnsfaden, spricht es sich ganz von selber herum, wird er jetzt dem Felix erst einmal die Eier abbinden, ganz fest, ganz ab, damit uns nicht der ganze Kater ausblutet. Mit seinem Metzgersmesser wird der Georg dann so kurz und schmerzlos wie möglich die eigentliche Kastration vollziehen.
    Wird das eine Geschirrtuch reichen? Was machen wir hinterher mit dem Felix seinen Eiern? - Scheiß drauf, hol einer noch ein paar Tücher, und die Eier soll der Billy Dumm nachher zum Fischen hernehmen. Wie kann man jetzt bloß, meine Herrn Willi, Kartoffelsalat essen. Und weiß der Georg auch, was er da vorhat? -
    - "Wou had nä der sei Eier?"



Sieben

   Der Georg hält seinen Zwirnsfaden über dem Felix gespannt und scheint jetzt nicht recht zu wissen, wohin damit. Die zu Recht gestellte Frage schwebt noch über der Runde. Und wie sie alle genauer hinschauen, da fällt einem beim Felix wirklich nichts hervorstechend Männliches auf, wo man es aus guten Gründen vermuten möchte. Ist er wohl doch schon kastriert?
    Mit einem Schlag ist die ganze Ruhe aus dem Raum:
    "Is der doch scho kasdrierd" - "Gschmarre, des is a Katz" - "A wo, des kummd hald blouß zum Vurschein, wenn er siererd is, wäi bei dir" - "Ä Gwaaf, der Hans Woschd schdelld si hald blouß rechd debberd oo..."
    Alles diskutiert und gestikuliert recht aufgeregt durcheinander; der Felix ist bei erster Gelegenheit geistesgegenwärtig wieder in Richtung Küche geflohen, und der Julian kriegt langsam wieder Farbe. Wenn er das in der Schule erzählt. Hört eh keiner zu. Oder glaubt keiner.
    Die ganze Spannung ist mit einem Mal verdampft. Auch der Willi luncht gleich wieder mit viel mehr Appetit. Alles das erfordert erstmal einen sofortigen Schnaps.



Acht

   Sie sitzen um den schon wieder mal zum Biegen gedeckten Frühstückstisch vor dampfenden Kaffeetassen und halten ihre Köpfe fest.
    Keiner hat so recht Lust, ein Brot zu schmieren oder den neuen Schinken anzuschneiden. In der Küche hört man den Don Zigarillo wirtschaften, der vorsorglich (hoffentlich!) ein paar Alka-Seltzer-Cocktails mehr mixt, als bestellt sind. Schon gut, dass wenigstens einer fit ist.
    Nicht so wie die andern Krepierer, die da ihren Hintern allerweil noch nicht aus den Federn geschwungen haben. Wer fehlt denn alles?
    Der Billy Dumm. Na schön und gut, der hat auch entsprechend gebechert. Ist entschuldigt.
    Der Peter. Der hat doch, hör ich, den ganzen Abend mit der Katz, dem Felix, so schöngetan, ihn liebevoll mit "dumme Masse" tituliert und arg abgeschmust. Erst fingert er mit der Katz ihrem Hintern und wer weiß wo rum, und dann langt er wieder sein Käsbrot mit Knofel und Paprika an.
    "Es ist meine Katze", hat er den ganzen Abend selber dauernd ganz hochdeutsch betont und wollte unbedingt mit ihr ins Bett, weil so ein Katzenfell schön warm hält. Das beste Mittel gegen Rheuma.
    Hat er die jetzt wirklich mitgenommen? Seit derer hochgelungenen Operation hat die ja keiner mehr so richtig gesehen, oder? Hast du?
    Dabei wollten wir sie doch mit heimnehmen, zumindest für den Horst, der daheim Dienst schieben muss, und eventuell auch was von der Hütte haben soll, oder wenigstens dem sein Rheuma.
    Und der Georg fehlt noch. Werden alle nicht jünger.
    Der Julian, der es gestern bloß zu einem Colarausch gebracht hat, kurbelt da am Radio irgendeinen Sender darein. Lässt irgendso eine Negerstampferei leiern. Gibts denn da gar kein Bayern Eins. Spending My Time. Und kriegt von seinem Vater noch ein Marmeladebrot dafür gemacht, der Hundsbub.
    Der Willi spachtelt sich langsam warm. Schon lange hört niemand mehr auf den saudummen Witz, dass der wohl daheim nix kriegt.
    Lediglich der Hans Wurst - weil der verträgt was - und der Erich - weil der säuft nix - sind fast schon zu einer ersten Unterhaltung fähig. Über Katzen im allgemeinen und über Felixmuschi im besonderen.
    Was man im Krieg alles hat essen müssen und froh war drum. Wieviel Blut in einen richtigen echten roten Preßsack gehört. Bloß ein paar Tassen voll oder von der ganzen halben Sau. Ob für den Leberkäs wirklich die ganzen Schweinsköpfe mit Borsten, Gebiss und Augen durchgedreht werden, oder ob das immer für dieses Gelbwurstzeug ist.
    Ob da herin irgendwer eigentlich Metzger gelernt hat. Ob der Herbert daheim wieder Schlachtschüssel macht. Wann wir mal wieder nach Passau zum Pferdemetzger fahren wollen. Wo der Felix ist.
    Auftritt der Georg, ein ausgeschlafenes Lächeln im Gesicht, weil er sich so freut, dass wenigstens er sein Bett einigermaßen ausnützt - heute wieder mit Gebiss - und eine schwere Kaffeekanne in der Hand. Der Don Zigarillo soll sich lieber schon derweil ums Mittagessen kümmern. Da muss erst wieder frisch was gemacht werden, gibt richtig viel Arbeit heut. Aber erstmal anständig frühstücken.
    "Wos gidz nä heid?" fragt der Willi, nachdem er wieder neben dem Fritz Stellung bezogen hat und sich schon wieder die Hände reibt nach dem Besteck.
    - "Du issd doch scho wos davoo."
    Der Georg, auch inzwischen niedergesetzt, zeigt mit dem Brotmesser in dem Willi seine Schüssel hinein und billigt es. Na, wieder typisch, dass der Willi mit Marmeladebrot und weichgekochten Eiern nicht zufrieden ist und eine Extraschüssel... was denn eigentlich? Gulasch? oder sowas? braucht.
    "Än Wildhoosn gidz heid numol" ergänzt der Georg, nimmt sich den Brotlaib zur Brust, und: "Wenn hasd dä nä des Zeich heid scho broudn?"
    Der Peter hats ihm heute früh schon hergerichtet, weil sie heut alle schon ein bissl eher aufgestanden sind, wos noch ruhig ist und eine schöne Musik im Frühprogramm ist. Weiß nicht, wo ers hergehabt hat.
    Ungefähr fünf Leute stellen gleichzeitig das Kauen ein und schauen zum Willi und zum Georg nüber. Große Augen. Mundhalten. Negermusik.



Neun

    "Ä Wildhoos is nu dou?" der Hustinettenbär.
    "I mooch ned scho widder än Wildhoosn, Babba!" der Julian.
    "Der Bäider wor heid scho mol aaf?" der Erich.
    "Und houd wos gärwerd?!" der Hans Wurst.
    "Nou hadder gwiss ned gscheid schloufm kenner?" der Fritz.
    "Fräih ummer vierer isser aafgschdandn und nimmer widder kummer", steht der Billy Dumm in der Tür, gähnt ansteckend, dehnt seine müden Glieder und hat lauter bunte Bilder auf dem Schlafanzug.
    Der Georg beißt arg hungrig in sein schön zurechtgemachtes Preßsackbrot: "Iich hob heid owwer schäi gschloufm", kaut er, "schäine warme Fäiß ghabd heid nachd. Dou schleffd sis doch ganz anders." Winkt ab.
    Und der Willi hört schlagartig zum Essen auf. Lässt seine Gabel in die Schüssel scheppern, stürmt naus wie nicht gescheit, die Hand aufm Maul.
    Dafür lässt sich der Don Zigarillo mal wieder aus seiner Küche blicken. Einen Suppentopf voll Gulasch oder sowas hält er mit zwei Topflappen fest und schaut sanften Blickes in den Saal:
    "Schäine Weihnachdn heid fräih. Wou habdern di Katz?"

Für den Günter K. & den Karl B. (+)

widdä hamm

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