Unter Mädchen
"Their inappropiateness never fails to amaze me. They discriminate so little over where and when. To be so much controlled by hormones, excretions. Perhaps if they would learn to start at the beginning it would be easier, they would be able to push me further. But individually, collectively, they assume that I am ready, primed, they behave as if there has been another man immediately before, preparing my anticipation and response. Still, I turn to them, I seek them out, I wait for the perfect lover. There is comfort in another body in the bed.
And now, here I am."
Aritha van Herk, The Tent Peg
When we danced all night 'round the the firelight, our hearts were beating fast. We had so much fun, when we had to run so as not to be the last. All the sorrows far away, no reason to disasgree. This was the only time of life, when we were really free.
Llyn y Morynion
Versteh einer die Weiber.
Sehr alte Volksweisheit
"Rosenkohl gehört nicht mit Käse, Käse gehört zu Blumenkohl!" - "So ein Quatsch. Wenn du den Rosenkohl mit Käse überbäckst, dann gehört er eben zum Rosenkohl." - "Bäh, Rosenkohl! Ich hasse Kohl!" - "Überhaupt das ganze olle Holländergemüse! Mausen wir uns doch lieber was vom Acker!" - "Sehet die Vögel des Himmels: Sie säen nicht, ...
Claudia
I love it. Wieso immer ich. Ich bin ja wohl zur Menschenführung total ungeeignet. Das hat mir wieder der Dekan eingebrockt, der hinten und vorne nichts blickt. Ich und zelten!
Als Wölfling, ach those were the days my friend, hab ich immer noch rechtzeitig meine Migräne genommen, und heutigentags, da teilen sie mich als Lagerleiterin ein, die fachkundige Fuchtel über fünfzehn minderjährige Gören. Das kann ja nicht gutgehn. Ich bin ja jetzt schon genervt.
Tommi
I love it. War denn beim THW - Trinkerhilfswerk - gar nichts mehr frei. Das hat man davon, wenn man verweigert. Ich könnte friedlich in der Schreibstube bei einer idyllischen Operettenkompanie eine ruhige Kugel schieben und Urlaubsanträge bearbeiten. Ich hab ja überhaupt gehofft, ich hätte lang genug studiert, und mich vergessen die Brüder dann schon irgendwann, aber nein, sie müssen mich als Zeltlagerleiter bei der Kirche einteilen, wo ich zur Menschenführung ja sooo geeignet bin.
Menschen? Fünfzehn pubertäre Gören! Na, die Lagerleiterin, die sie mir mitgegeben haben, ist ganz nett.
Carmen
I love it. Das zahl ich meinen Eltern heim. Mich auf meine alten Tage noch mit der Katholischen Jugend auf Zeltlager zu jagen, bloß wegen Zorro. Was bilden die sich denn ein? Dass es nur wegen der einen Woche aus ist zwischen uns?
Ich hab gehört, hinter dem Wald sollen die Boys campieren? Ob die Bailey's dabeihaben?
Judith
I love it. Hoffentlich gießt Malte meine Brunnenkresse aufm Fensterbrett. Der hat sicher Verständnis, auch wenn ich nicht mal ihm was verraten hab. Die Antifa-Singegruppe wird ja wohl ohne mich auskommen. Bloß unsere Menschen- und Lichterkette hätt ich schon noch gern mitorganisiert.
Durchbrennen in meinem Alter! Hab immer gedacht, das machen nur achtjährige Schwanzträger, trampen nach Hamburg rauf, um als Moses auf einem Windjammer anzuheuern, und werden dann mit irren Kokspupillen vor der Davidswache aufgelesen.
Aber ich habs ja so gewollt. Hier vermuten sie mich am allerletzten. Und einfach mal raus.
Wärs aber nicht trotzdem eine Nummer kleiner gegangen als mit den Katholinnen? Aber die waren die einzigen, die keine "Unterschrift des Erziehungsberechtigten" verlangen.
Na, und bloß dem Jugendamt keine Handhabe bieten.
Margit
I love it! Das wird bestimmt eine schöne Woche. Die ganze Zeit in der Natur, Lagerfeuer, Musizieren, mit den Freundinnen zusammensein, der neue Zivildienstleistende ist so nett, und ich habe vom Dekan gehört, für Sonntag ist sogar ein ökumenischer Gottesdienst angesetzt! Ich freue mich so.
Claudia
Ein Luxusweibchen, eine Ökotussi, ein Landei und eine gesichtslose katholische Schafsherde, und der Zivi, den sie mir angehängt haben, wirft dauernd solche Blicke. Wenns mit dem mal keinen Ärger gibt.
Ist eigentlich irgend jemand freiwillig hier? Es fehlt irgendwie die unbefangene Fröhlichkeit, die ganze kindliche Dankbarkeit, die man erwarten möchte, wenn man sich schon mit einem Rudel Mädchen in die Prärie verbannen lässt. Oder ist das heute schon zuviel verlangt?
Naja, man wird sich eben erst mal besser kennenlernen müssen, ich bin ja selber nicht das ultimative Vorbild: "Schafsherde"! Und die gute Margit ein "Landei"... Weil aber der Haufen diesmal auch schon gar zu bunt zusammengewürfelt sein muss.
Also, diese Wasserstoffblonde, die als erstes gefragt hat, wo man sich hier die Haare waschen kann, das ist die Carmen. Die mit dem kurzen Strubbel und John Lennon-Brille und dem Peace-Abzeichen um den Hals heißt Judith...
Wenn die Margit den Haufen ein bisschen zusammenhalten kann, in der Ruhe liegt die Kraft, wirds hoffentlich keine gravierenderen Probleme geben.
Belinda
Den ersten Tag auf See, nein auf Pampa, hihi.
Um den fünfzigsten nördlichen Breitengrad, etwa elf Grad vierzig Minuten östlicher Länge. Die Mannschaft ist guter Dinge.
Wir sind verschollen in dem Bermudadreieck zwischen Bamberg, Pegnitz und Erlangen, die Trubach ist fast so weit entfernt wie die Wiesent, etwa eine halbe Tagesreise, und die Witterung ist wahrscheinlich der Malaria zuträglich: seit Anheuern der Mannschaft enorme Hitze.
Unsere Lichtung ist jedoch hübsch umrahmt von Wald, damit die Schnaken auch was davon haben, und groß genug, dass auch noch die Flotte der Jungens sich mit drauf hätte tummeln können, aber wir haben sie verloren, und jetzt kreuzen sie vermutlich orientierungslos auf der anderen Seite des Waldes.
Die Mannschaft muss beschäftigt werden, um einer Meuterei vorzubeugen, und ich mach mir gegen den gröbsten Skorbut jetzt erstmal ein Cola auf.
Zur Meldung Bootsmaat Belinda, aye aye Captain Claudia!
Claudia
Melanie, die Zeltschnüre fester spannen!
Doris, schnapp dir den Spaten, Hammer und die großen Nägel und die Michaela, und geht dahinten den Donnerbalken ausheben, ruhig hübsch ein paar Meter tief im Busch, Elche sind in der Gegend ausgestorben!
Weiter links, Rachel!
Das Küchenzelt weiter von der Feuerstelle weg, Waltraud. Ich hab schon Schwielen und heb nicht nochmal weiter hinten eine aus.
Julia, Maren, ihr könnt mal Wasser holen, der Bach ist diese Richtung zwoeinhalbtausend, Kanister hat Anne.
Vorsicht, Belinda, Sägebock von hinten! Du kannst doch deine Schützlinge nicht so gnadenlos übern Haufen rennen, Tommi.
Fasst du mal mit an, Steffi?
Margit, lass die Carmen auch was machen!
Fionna, schau mal, die Alexandra hämmert alle Heringe ganz alleine ein.
Eure Zeltstangen stehen auf halb acht, Judith!
Carmen
Er liebt mich... er liebt mich nicht... er liebt mich... er liebt mich nicht... er liebt mich... er liebt mich nicht... er liebt mich...
Tommi
Beim Zeltaufbau ist eigentlich alles geflutscht. Die meisten kennen sich schon, und die zwei Neuen hab ich kurzerhand zusammengestopft. Ich bin der einzige mit einem Zelt für sich, damit da auch ja nichts vorfällt. Schade, dass nicht noch eine mehr - oder weniger! - mitgekommen ist, dann müsste ich mir ein Zelt mit der Lagerleiterin teilen, hähä.
Claudia heißt sie. Hübsch. Gar nicht so militant christlich wie sonst die ganzen Kirchenengagierten, die man schon am salbungsvollen Tonfall unter Hunderten rauskennt. Und sie patscht auch nicht immer zweimal in die Hände, wenn sie eine Anweisung gibt. Nein, richtig menschlich, patente Frau. Die pennt jetzt mit dem Liebling des gesamten lokalen Klerus, der Landmaid mit den Gretelzöpfen. Eine gewisse Margit.
Die Mädels kennen sich besser mit dem Lagerleben aus als ich, die machen das jedes Jahr, wenn nicht zweimal. Meine Erfahrung beschränkt sich ja bloß auf ein paar Sauftouren mit einer Handvoll Hallodris, da wars ein Glücksfall, wenn überhaupt irgendwer sein Zelt richtig aufgestellt hat. Die meisten haben sich mit ihrem geliehenen Barras-Schlafsack irgendwo unter die Bäume geknackt, und das hat dann auch funktionieren müssen.
Aber bring mal solches Gedankengut hier auf. Hier ist ja sogar "striktes Alkoholverbot". Nicht mal solcher pappsüßer "Bailey's", zu dem man eigentlich jedesmal eine Scheibe Brot bräuchte, ist erlaubt, das Standard-Lieblingsgesöff aller Mädels zwischen zwölf und vierundzwanzig, bis sie auf Sekt umgewöhnt sind. - Aber rauchen darf ich, wie?
Waltraud
Liebe Oma! Mir geht es gut. Wie geht es Dir? Letztes Wochenende war ich mit meiner besten Freundin Margit auf dem Kirchentag, heute können wir auf dem Zeltlager schon die Lieder gemeinsam singen, die wir von dort mitgebracht haben. Das Wetter ist gut. Wie ist das Wetter bei Euch?
Sei ganz lieb umarmt von Deiner
Waltraud.
PS: Grüße Mami und Papi!
Judith
Sie haben mir ein Zelt mit so einer von allem angelaschten, blonden blauäugigen Löwenmähne zugeteilt, wahrscheinlich nichts als HipHop und Nagellack im Kopf. Weil wir die einzigen zwei Neuen sind, haben sie gesagt.
Breitet ihre Klamotten überall aus und hat sogar einen Walkman und einen Gameboy dabei. Und einen Schlafsack mit dem star-spangled banner, ich brech zusammen! Gar kein Platz mehr für meine Bücher. Wenn mein Hesse über Nacht nass wird, kann sie was erleben.
Und wer hat das überhaupt schon wieder aufgebracht, dass man mich Judy nennen darf?
Carmen
Liebes Tagebuch. Ich vermisse Zorro. Warum muss ich hier sein und neben so einer esoterischen Zuchtel mit kaum Haaren auf dem Kopf schlafen? Ich nenn sie Judy. Alles voller Bücher im Zelt, Wallraff, irgendein Bolivianisches Tagebuch und solches frauenrechtlerisches Emanzenzeugs, und ein Strickzeug, also nee.
Zorro, wo bist du? Ich habe soviel Lust auf dich. Du sollst mich jetzt in deine Arme nehmen, leidenschaftlich küssen und mir die Kleider vom Leib reißen. Dann wirfst du mich aufs Bett und streichelst mich zärtlich von oben bis unten. Komm, Zorro, ich bin ganz weit offen für dich. Sink mir in die Arme und zwischen die Beine, komm schon endlich rein, ich nehm dich auf. Wie groß und stark du bist. So samtig und so zärtlich, und überall so voller wahnsinns Details. Beweg dich schneller, Zorro, komm noch tiefer in mich, du sollst mir bis an den Anschlag stoßen. Gib mir deine Zunge, deine Lippen, deine Schultern, deine Arme, deine Beine, deine Haare, deine Haut, deinen Schwanz, gib mir dich ganz. Nimm mich, halt mich fest und schaukel mich, bis ich zu stöhnen und zu schreien anfange und dir meine Nägel in den Rücken bohre. Gib mir deinen Saft, ich geb dir meinen.
Zieh dich sanft aus mir zurück, halt mich noch ein bisschen, bis ich schlafen kann, küss mich zärtlich auf alle vier Lippen. *Seufz*. Und dann kitzle ich dich, bis du wieder groß und steif wirst, und dann geht das ganze nochmal von vorn. Ich muss leider aufhören, Judy ko
Panische Angst vorm ersten Mal
Mit meinem Problem kann ich mich an niemanden wenden. Nicht einmal meiner besten Freundin würde ich anvertrauen, daß ich entsetzliche Angst vor dem ersten Mal habe. Auf dem Schulhof wird zwar oft darüber geredet. Aber die Jungen machen nur Witze darüber. Sie haben Angst vor einem blutigen Glied, wenn sie mit einer Jungfrau schlafen. Sie erzählen auch immer, daß Mädchen große Qualen ertragen, bis sie richtig "eingefahren" sind. Wollen die Jungen den Mädchen nur Angst machen? Sollte ich vor meinem ersten Sex sagen, daß ich noch keine Erfahrung habe? Welche Stellung ist am besten? Wie schaffe ich es, daß ich möglichst wenig Schmerzen dabei habe?
Dr.-Sommer-Team
Erster Sex muß nicht weh tun
Kein Wunder, liebe Liane, daß Du bei den Horrorsprüchen der Jungen immer mehr Bammel kriegst. Aber wie können sie beurteilen, ob der erste Sex für Mädchen wirklich so schlimm ist? Höre ganz einfach nicht hin, denn sie wollen sich wichtig machen. Damit erreichen sie nur, daß Du verkrampfst, und dann könnte es tatsächlich weh tun. Wie wär's, wenn Du Deine Mutter darauf ansprichst? Sie könnte Dir bestätigen, daß es beim ersten Mal nicht unbedingt weh tun muß. Vorausgesetzt, der Junge dringt vorsichtig mit seinem Penis in Deine Scheide ein. Deshalb sollte er schon vorher wissen, daß Du noch Jungfrau bist. Wichtig ist, daß er wartet, bis Du sexuell erregt bist und Deine Scheide durch ausgiebiges Streicheln feucht ist. Deine Scheide kann sich dann dem Umfang seines Penis leichter anpassen. Wählt für den Anfang die Missionarsstellung. Das heißt, daß Du auf dem Rücken und der Junge zwischen Deinen gespreizten Schenkeln liegt. Wenn Du Deine Beine ein wenig anwinkelst, kann er leichter eindringen. Trifft sein Penis auf Dein Jungfernhäutchen, wirst Du einen ruckartigen Schmerz spüren, der aber sofort vorbei ist, sobald sein Penis Dein Jungfernhäutchen durchtrennt hat. Manche Mädchen bluten dabei ein wenig, bei anderen geht's ganz ohne Blutfleck ab, wenn sie z.B. schon von Geburt an nur ein sehr kleines Hymen haben. Ist Dein Jungfernhäutchen sehr stark ausgebildet, kannst Du es mit einem oder zwei eingecremten Fingern vordehnen, bis die Öffnung groß genug wird. In 25% fließt beim ersten Mal kein Blut, oder es tut nicht weh, weil das Jungfernhäutchen schon durchs Tamponeinführen vorgedehnt ist.1
Julia
Lagerfeuer ist immer wieder total super.
Nichts geht über so eine laue Sommernacht, wo man ums Feuer sitzt, für das man am Nachmittag selber miteinander Holz gesammelt hat, einer schrammelt auf der Gitarre, es gibt O-Saft und Red Bull, die Flammen züngeln und knistern und tauchen die andern und den Wald in ein so toll gespenstisches Licht, der erste Sonnenbrand spannt über dem Gesicht, man singt ein Lied, das alle kennen, total laut und absolut falsch, aber total absolut geil, und die Lagerleiter verpassen fast den Zapfenstreich.
Alexandra
Den Tommi haben wir auf Gameboy anlernen wollen. Erst hat er sich gesträubt, weil er das noch nie gemacht hat, aber er ist ein Naturtalent. Zu dritt sind wir um ihn herumgestanden und haben ihn angefeuert und alle gefreut, wenn er ein Level höher gekommen ist.
Irgendwie ist er zum Knuddeln. Gar kein Nicky-Typ irgendwie, mehr so kuschlige Ausstrahlung wie ein Teddybär, und lang nicht rasiert, Don-Johnson-Kratzebart, iiiiih, aber lieb, und ein guter Hintern, knackig irgendwie. Zum Murkeln gut.
Später haben wir sogar getanzt, ums Lagerfeuer wie die Indianer, es ging richtig hoch her. Damit man nicht so von vorne geröstet wird und hinten einfriert, und ich find, wenn man so rumspringt, kommt auch der Lichtwechsel von den Flammen besser.
Wenn das jeden Tag so läuft, wirds voll so endgeil wie letztes Jahr.
Margit
Unser erster Tag war so schön. Am ersten Abend schon Lagerfeuer, und ich hab heute schon die Gitarre geholt, und alle haben "Leben im Schatten" mitgesungen, außer den zwei neuen Mädchen, die müssen unsere Lieder erst noch lernen. Carmen ist aber leider schon ziemlich früh (in das Zelt?) verschwunden, und Judith hat ein wenig grimmig dreingesehen, aber es sind ja noch mehrere Tage. Gib, dass es morgen wieder so schön wird. Gelobt sei Jesus Christus, in Ewigkeit, amen.
Doris
Das kommt gut, am frühen Morgen schon allein auf dem Zeltplatz rumwerkeln. Hoffentlich hab ich beim Aufstehen die Alexandra nicht geweckt, die kann nämlich ziemlich bissig werden zu so einer ungefrühstückten Zeit.
Überm Wald wabert noch der Nebel, die mörderliche Tageshitze bricht noch lange nicht aus, man kann noch richtig durchatmen, das Gras ist kühl und nass vom Tau, keiner kann einem dumm kommen, weil sie sich alle nochmal in ihren Zelten auf die andere Seite drehen, alles noch so frisch und jung, und die Amseln schmettern ringsrum, dass man gleich mitzwitschern möchte. Ach, im nächsten Leben werd ich ein Vogel. Da kann ich fliegen, und kann ich singen, und kann ich auch beizeiten aufstehen.
Bin ich vielleicht erschrocken, als ich in der Ruhe auf einmal was im Gebüsch rascheln und krachen gehört hab. Erst hab ich gedacht, uns überfällt ein Hirsch, aber dann wars die Carmen.
"Na", hat sie herübergerufen, als sie mich da sitzen und mein erstes Cola schlürfen gesehen hat, "auch mal gucken, wies bei den Jungs abgeht?" und ist auf ihr Zelt zugestochen.
Ich versteh bloß Bahnhof. Na, die soll sich erstmal ausknacken.
Claudia
Der Zivi macht sich. Scheint mit den Mädels ganz gut klarzukommen. Margit ist eine angenehme Zeltgenossin, schläft friedlich und brabbelt nur ein bisschen im Schlaf.
Unsere zwei Neuzugänge müssen noch lernen, bei Gemeinschaftsarbeiten anständig mit anzupacken, das ist mir schon gestern beim Holzsammeln aufgefallen. Ob das schlau war, die miteinander in ein Zelt zu stecken? Heute beim Frühstückrichten haben beide etwas rumgepflaumt, aber das kann auch die normale Morgenmuffelei sein.
Steffi
Die erste Nacht also nichts. Was war denn überhaupt ausgemacht? Dass uns die Boys überfallen oder umgekehrt? Gyrlz kommen langsam, aber gewaltig!
Na ich seh schon, zum Schluss hat wieder keiner was gewusst oder sich nicht getraut, und alle Zelte stehen noch, wie sie vorher waren. Dabei gehörts doch dazu!
Wenn nun wir auf Überfallen gehen, wen wollen wir dann als Geisel nehmen? Die Flasche Bailey's? Aber die kriegen sie doch nie im Leben gesund zurück! Besser, ein paar süße Boys kommen rüber und nehmen uns, ha!
Michaela
Carmen heißt die eine Neue. Carmen ... lateinisch "das Lied". Ein ganz schöner Vamp.
Mir ist sie ein bisschen unheimlich, schon allein wegen dem Namen. Carmen erinnert einen so an das männermordende Monster aus der Zigarettenfabrik, wie in der Oper. Geht über Leichen, um sich mit Männchen zu paaren - moralisch verwerflicher als die Schwarze Witwe und Gottesanbeterin, weil sie nicht nach dem Vollzug des Geschlechtsaktes tötet, sondern nur vor dem Morden vögelt...
Tommi
Ich hab mir Judith mal vorgenommen, die eine von den Neuen, wies ihr denn so gefällt. Sie gehört noch aufgetaut, kommt mir vor wie vor irgendwas auf der Flucht. Aber als ich gesagt hab, dass ich ja eigentlich genauso frisch in dem Job bin wie sie, gings.
Ich hab sie zum Brotschneiden mit mir eingespannt und aus ihr rausbekommen, dass sie mal "was mit Sprachen" machen will. Oder was Soziales studieren. Oder Erzieherin. So sieht sie auch aus. Ja. Dann suchen wir uns mal wen, der uns die nötigen Schlabberpullover strickt, dass du dich überhaupt über sowas mit mir unterhalten darfst.
Auf die Frage, wie sie mit ihrer Mitschläferin auskommt, hat sie abgeblockt. Die werden sich auch noch zusammenraufen, die zwei. Judith ist glaub ich eine ganz Liebe.
The first man ever lived in Ireland was Partholan, and he is buried and his greyhound along him at some place in Kerry. The Nemidians came after that and stopped for a while and then they all died of some disease. And then the Firbolgs came, the best men that ever were in Ireland, and they had no law but love, and there was never such peace and plenty in Ireland. What religion had they? None at all.2
Fionna
Ich habs gewusst, die neue Fleecejacke rentiert sich doch, selbst im Hochsommer. Wir sind ja hier nicht bei den alten Kelten, dass wir bei Sonnenschein und Hagelschlag nackig kämpfen müssen. Höchstens ihre Musik könnten wir ein bisschen dreschen, kämpfen tut nicht auch noch not. Man sagt ja schon gar nix mehr, wenn die Leute Cùchulainn nicht von einem ixbeliebigen Pooka unterscheiden können, aber sowas wie "Whiskey in the jar" zählt ja wohl echt zur Allgemeinbildung.
Iiiii-gitt!, ich schlaf wieder mit der Rachel in einem Zelt, und sie hat wieder dieselben Hausschlappen wie vor zwei und drei Jahren dabei! Sowas nimmt die für den weißen Flauschteppich in ihrem Zimmer genauso wie zum Holzfällen in den Everglades her, und ich soll damit im selben Zelt übernachten! Na, wenn die mal nicht aus Versehen den Flammen des Lagerfeuers zum Raube fallen.
Carmen
Ich fass es nicht. Die nächste Möglichkeit, sich die Haare zu waschen, ist ungefähr drei Kilometer weg. Und dann ist es der Bach!
Wenn ich sag, ich verschwinde mal zum Duschen, drücken sie mir vier Kanister in die Hand und sagen, dann kann ich ja gleich Wasserfassen. Das müssen sie noch spitzkriegen, dass ich mich denen hier nicht zur Zofe mach - und wenn sies geschnallt haben, kann man ja auch nochmal unauffällig hinter den Wald verschwinden, zu den Boys, ohne dass sich groß einer was dabei denkt.
Zum Telefonieren muss man zu einem Bauern und anklopfen und in die miefige Kuhstallstube. Der nächste hier schimpft sich der Huber-Bauer und spricht fast kein Deutsch, auch wenn er das vielleicht glaubt.
Die schärfsten Heuler, I can tell ya, Zorro.
Judith
Ich fass es nicht. Die Carmen, meine blond-blau-blitzgescheite Nachbarin, entblödet sich nicht, zweimal am Tag zum Duschen an die Trubach zu latschen und feilt sich ungelogen die Nägel. Wenn die das durchziehen will, ist sie am Ende der Woche Deutschlands bestaussehende Langstreckenläuferin.
Heute nacht ist sie locker zwei Stunden nach mir ins Zelt gekrabbelt gekommen, aber es soll bloß keiner glauben, dass die Rücksicht auf Schlafende nimmt.
Als ich was sagen will, dass sie wenigstens nicht meine Brille zertrampeln soll, die da irgendwo liegen muss, sagt sie bloß was wie schlaf weiter Judy, und poltert noch eine Ewigkeit im Zelt rum.
"Judy"!!!
Tommi
Irgendwie sind die Mädels alle rührend. Diese Margit hat gestern so stillvergnügt einen Kranz aus Feld-, Wald- und Wiesenblumen geflochten, dass man sich ihr gar zu sagen traut, dass die geschützt sind.
Die einzige, die mit einer gottgegebenen Selbstverständlichkeit im langen Rock rumläuft, dass man sie an der Hand nehmen und in ihre Eichendorffnovelle heimführen möchte. Wenn sie bloß nicht dauernd dieses gutpäpstliche Liedgut absingen wollte. Ich kenn jetzt schon "Ins Wasser fällt ein Stein" auswendig. Wenn sie "Laudato sii" und "Die Erde ist schön es liebt sie der Herr" auch so bis zum Abkotzen runternudeln will, werd ich ihr die Tage doch noch mal übers Maul fahren müssen. Aber das täte mir leid.
Ganz anders als Judith mit ihrer Altgrünealternativelistenbündnisneunzigkluft, die anscheinend erst der ihr nötigen Widerspruchsgeist heraufbeschwört. Judith erkennt mir ein bisschen zu sehr den Gesinnungsgenossen in mir. Sie lässt durchblicken, dass sie eigentlich mehr Atheistin ist, aber ich lass mich hier doch nicht outen, fällt mir gar nicht ein. Ich geb denen hier nicht den Ungläubigen Tommi und lass mich ins Seniorenwohnstift Zur Vorletzten Ruhe strafversetzen. So kommts, wenn man sich beim Abtrocknen auf Diskussionen über Camus und Sartre einlässt.
Bloß wer die Carmen reingelassen hat, ist mir schleierhaft. Die will überhaupt nicht zu unserem Haufen gehören, das bösartige Stück. Judith tut wenigstens anstandshalber so als ob, und davor kann ich doch mehr Respekt haben als vor Carmen ihrem demonstrativen Dauerflunsch.
Und wenn man die eine über die andere ausfragen will, kann man sicher sein, dass ganz plötzlich ganz was Dringendes ansteht.
Anne
Phüh, mit den zwei Neuen werd ich mich nochmal abgeben. Carmen wollte ich ganz unverbindlich fragen, wie sie das fertigbringt, dauernd so gepflegt auszusehen, man kann ja schließlich nicht alle Tage bis an die Trubach zum Duschen, ob sie vielleicht als einzige nichts arbeitet, weil nur wir andern alle so vor uns hinstinken. So übermäßig ernst hab ich das gar nicht genommen, aber so verächtlich, wie die mich dafür angemacht hat, nee... Na, sie wird schon wissen, wo sie sich den ganzen Tag rumdrückt, wenn sie mal wieder niemand gesehen hat.
Und zu Judith wollt ich bloß nett sein, als ich gefragt hab, ob ihre Haarfarbe Natur ist. Werd ich jetzt exkommuniziert, nur weil ich noch nie was von Henna gehört hab - ?
Margit
Tommi mag ich. Der singt immer so eifrig bei meinen Liedern mit und muntert mich am meisten auf, noch einmal "Ins Wasser fällt ein Stein" zu singen. So starke Schultern.
Wenn ich einmal nachts Angst hätte, könnte ich mich ohne Bedenken Tommi anvertrauen, der würde mich nicht fortschicken. Er ist so sicher und beschützend, man kann zu ihm sagen: "Nimm mich in die Arme vor den wilden Tieren", oder: "Zeig mir, wo meine Mutter ist."
Es ist ein schönes Gefühl, das zu wissen.
Maren
Sowas nennt sich Überfallen. Das haben die Jungs schon mal begeisterter gebracht.
So richtig heimlich den Zeltplatz umzingeln, von der einen Seite wie ein Uhu schreien, und wenn wir dann genau die andere Seite absichern, von ganz woanders her die Heringe aus dem Boden reißen.
Oder wie das andere Mal still und leise das Küchenzelt ausrauben und das Nötigste für den nächsten Tag gegen Lösegeld in Höhe von einer Steige O-Saft und/oder einem Kuss auf die Lippen wieder rausrücken.
Seufz. Und heute abend kommen zwei Typen, Pickel, Augenringe, null Körperhaltung, voll die Spastis, die letzten Schnullerbacken, die Abtörner des Monats, die schärfsten Heuler eben - von hinten rein - vom Bruderzeltlager aus dem Wald gestiefelt, die kaum jemand mitkriegt, schauen sich ein bisschen verlegen oder gelangweilt um, kommen ausgerechnet auf mich zu und fragen:
"Wisst ihr, wie der Club gespielt hat??"
Ou Mann! Braucht ihr vielleicht auch noch die Lottozahlen?!
Anscheinend haben die wirklich schon an der Carmen genug, dass sie gar nicht mehr auf uns alle andern angewiesen sind. Da scheints ja abends immer hoch herzugehen.
Was können wir daraus lernen, wie es zugeht auf dem Erdbödlein? - : Der eine fragt nach dem Sinn des Lebens, der andere fragt, wie der Club gespielt hat.
Julia
Die Fionna macht mir Spaß. Sagt, ich soll mich mal kurz zwischen sie und die Rachel stellen und vielleicht auch noch ablenken, damit die nicht mitkriegt, wie die Fionna der Rachel ihre alten Badelatschen ins Feuer schmeißt. Mensch, wer bin ich denn, hab ich gesagt, der Komplize vom Paten, der unliebsame Sachen den Flammen übergibt? Tommi, reich mir doch mal die Betonschuhe. Und womit soll man denn die Rachel lange ablenken? Was versteht denn die schon groß vom Reiten?
Na logisch hab ichs gemacht, der ihre versifften Dinger waren mir schon vor zwei Jahren ein Dorn im Auge. Jetzt haben wirs im Nu gebacken gekriegt: Flutsch, und zisch und zunder!: Ende von Pantinen. In eitel Rauch aufgegangen.
Rachel hats mit Humor genommen, benutzt aber seit gestern Fionnas nagelneue Birkenstocks. Und Fionna Gummistiefel, die Arme. Wenn wir jetzt noch Rachels verwanzte Kutte verschüren wollen, kriegt sie vielleicht noch Fionnas neue irlandgrüne Fleecejacke mit dazu?
Nein, das macht die Fionna nicht; das wär ja fast so, als ob ich den Braunen hergeben sollte.
Eine Handlung des Ichs ist dann korrekt, wenn sie gleichzeitig den Anforderungen des Es, des Über-Ichs und der Realität genügt, also deren Ansprüche miteinander zu versöhnen weiß.
Eine Absicht, sich am Leben zu erhalten und sich durch die Angst vor Gefahren zu schützen, kann dem Es nicht zugeschrieben werden. Dies ist die Aufgabe des Ichs, das auch die günstigste und gefahrloseste Art der Befriedigung mit Rücksicht auf die Außenwelt herauszufinden hat. Das Über-Ich mag neue Bedürfnisse geltend machen, seine Hauptleistung bleibt aber die Einschränkung der Befriedigungen.
Die Kräfte, die wir hinter den Bedürfnisspannungen des Es annehmen, heißen wir Triebe. Sie repräsentieren die körperlichen Anforderungen an das Seelenleben.3
Tommi
So. Pause.
So viele Mädels auf einem Haufen, und ich mittendrin. Hätt ich nie gedacht, dass ich mich mit Minderjährigen halbwegs verstehen kann. Man kann sie aber auch als noch unreife Krabben ansehen oder als schon mordstrumm Weibsbilder. Ob das der Zugewinn an Lebenserfahrung ist, der einem im Zivildienst so im Übermaß erwachsen soll?
Unfertige Gesichter.
Lange dürre Glieder, noch nicht ganz ausgewachsen.
Seidige und strähnige, dünne Haare, hinterwärts und über die Augen geschüttelt und seit Tagen nicht gekämmt noch gewaschen.
Drei Köpfe Größenunterschiede. Der bullige Brummkäfer Waltraud und die langhaxige Heuschrecke Maren.
Lederjacken und Bikinis. Vom Sonnenbrand gepellte Schulterblätter und doppelt gewickelte Palästinensertücher.
Durchsichtige Schweinsäuglein mit blonden Wimperchen. Verrucht kohlschwarze Glühaugen. Makellose Fohlenstelzen, verpflasterte Knie, alles da, alles Frischfleisch.
Da drüben spielen drei von meinen Schutzbefohlenen Gummihupfen, splitternackt bis auf den Nasenstecker. Macht ja nix, sind ja keine Kerls in der Nähe, stimmts?
Sogar die Judith ist zur Abwechslung mal richtig fröhlich. Sitzt mit Rachel am Bierzelttisch im Eingang vom Küchenzelt, putzt Rosenkohl - viel, viel Rosenkohl - und schmettert aus voller Brust voller Lust "Allons enfants de la bastiiii-iille" -
Mensch, Thomas, aufwachen, meldet sich da das Gewissen, seit wann stehst du denn auf kleine Mädchen?
Lass mich in Ruhe, motzt der innere Schweinehund zurück, auf kleine Mädchen stehn wir doch alle.
Ich träume, daß er mich beim Sex ans Bett kettet
Ich bin 14 und finde Eure Beratung echt spitze. Mein Problem ist, daß ich mir nicht mehr sicher bin, was mit mir los ist. Ich bin seit kurzem mit David, einem total süßen Jungen aus meiner Klasse, zusammen. Er ist mein erster richtiger Freund. Zwischen uns ist eigentlich außer ein paar eher flüchtigen Küssen noch nichts gelaufen. Jede Nacht träume ich von ihm, jedoch nicht nur vom Händchenhalten im Mondschein. In meinen Träumen nimmt er mich immer mit in sein Zimmer, trägt mich auf sein Bett und schläft mit mir, ganz lieb und zärtlich. Das wäre eigentlich überhaupt nicht schlimm, wenn er mich nicht nach einer Weile ans Bett ketten würde. Jede Nacht wache ich schweißgebadet auf. Irgendwie gefallen mir diese Träume sogar. Bin ich pervers? Könnt Ihr mir sagen, was mit mir los ist?
Dr.-Sommer-Team
Deine Träume sind das Spiegelbild Deiner Gefühle
Liebe Nina, zum ersten Mal bist Du mit einem Jungen zusammen. Du spürst, wie es zwischen Euch knistert. Beide habt Ihr Wünsche und Sehnsüchte, die Ihr in Eure Beziehung legt. Beide habt Ihr mehr oder weniger genaue Vorstellungen, was daraus werden könnte. Der Weg ist faszinierend, spannend. Doch da sind auch Deine Zweifel: Mag er mich wirklich so gerne, wie ich mir das wünsche? Liebt er mich, oder will er nur mit mir schlafen? Wird er im Bett vielleicht Dinge von mir verlangen, die mir Angst machen, die ich nicht will? Werde ich ihm hilflos ausgeliefert sein, wenn ich mit ihm schlafe? Diese Unsicherheiten, die sich erst mit der Zeit aufklären, spiegeln sich in Deinen Träumen. Sie helfen Dir, Dich in dieser Achterbahn der Gefühle zurechtzufinden, Dich mit Deinen Ängsten auseinanderzusetzen. Erotische Träume hat jedes Mädchen, jeder Junge. Sie gehören zur Sexualität dazu. Mit ihrer Hilfe können wir unsere Sinnlichkeit entfalten und die sexuelle Erlebnisfähigkeit erweitern. Erotische Träume und Phantasien sind die Zündung für sexuelle Gefühle, die immer erst im Kopf entstehen. Diese Phantasien können äußerst gewagt sein. Du entscheidest selbst, ob und wie Du sie in der Realität umsetzt. Mach Dir bewußt, daß Dich Dein Freund nicht anketten kann, wenn Du es nicht willst. Nimm Dir fest vor, ihm in Deinem nächsten Traum klar zu sagen, was Dir beim Sex gefällt und was Dich abtörnt. Stell Dir vor, Du nimmst ihn mit zu Dir nach Hause, wenn Deine Eltern verreist sind. Du verläßt damit Deine passive Rolle, bestimmst selbst, was in Deinem Bett mit Dir passiert. Wetten, daß Du dann nicht mehr schweißgebadet aufwachst...4
Rachel
Was die alle nur haben. Mit der Judy ist doch ganz prima auszukommen. Vielleicht ein bisschen komisch, wie sie bei der Hitze mit drei Schlabberpullis übereinander rumläuft und aber dann barfuß. Ob die überhaupt sowas wie Schuhe dabeihat? Ich kann das nachfühlen, meine sind gestern hier verheizt worden - grrrr, Fionna. - Aber die Pullover hat sie alle selbergestrickt, hat sie gesagt.
Und abwechselnd zu enge, fransige Batikjeans mit dreihundert Löchern und Schlitzen drin, und einen Rock aus drei Tagwerk Sackrupfen. Wie Mahatma Gandhi.
Und wie sie riecht! Ob das Opiumduft ist, hab ich beim Rosenkohlputzen gefragt.
Und sie so: "Patschouli."
Schnüff, schnüff: Furchtbar. Wie hält denn das die Carmen mit dir im Zelt aus?
Und sie so: "Ich halt sie nicht fest."
Na, ein bisschen herb ist sie schon.
Melanie
Judy hat einen witzigen Ohrring. So 'nen Kreis mit 'nem Kreuz unten dran, das Zeichen für Weiblich, glaub ich. In Silber. Ich hab sie beim Kartoffelschälen, als sie neben mir am großen Kessel saß, mal gefragt, wo sie den herhat.
"Griechische Sage", sie so, dass mir gleich die Kartoffel in der Hand einschläft.
Und dann fängt sie mir den vollen Film das Erzählen an, irgendwie das stellt den Spiegel der Venus oder Aphrodite dar, mit dem sie sich aber nicht das Gesicht angeschaut hat, sondern immer, nachdem sie bei einem Typen gepennt hat, da unten nachgesehen, ob sie wieder Jungfrau ist.
Das hat bei der funktioniert, weil sie die Göttin der Liebe oder sowas war: sie hat nach jeder Nummer im Meer gebadet und sich hinterher auf einen Stein gesetzt und geguckt, ob das Häutchen wieder davor nachgewachsen ist.
Nachdem sie mal mit dem Ares, der was denen ihr Kriegsgott war, fremdgegangen ist, war ihr fester Freund, so ein Schmied, Hephaistos oder so, natürlich sauer, weil sie mit dem vor lauter Lüsternheit und nicht, weils als Liebesgöttin nun mal ihr Job ist, in den Federn war.
Da hat der Schmied den beiden ein Netz außen ums Bett gelegt, und grade, als der Ares wieder bei Venus am Rummachen war, zugezogen und hoch, dass die zwei Lover unter der Zimmerdecke rumzappeln.
Da ist die Kiste zwar bei allen öffentlich aufgeflogen, aber mit so einem Kriegsgott... ähem... hat sich eben keiner so richtig anlegen wollen, und der Stecher, der Schmied, hats denn auch gut sein lassen. Bloß die Venus war leider vom Ares angebrannt.
Sie hat das Kind aber haben wollen und ausgetragen, und das war dann der Eros, und den kennt man wieder.
Naja, und ganz Troja hat sich eine Zeitlang schiefgelacht über den Ares und die Venus, und die hat sich dann den Spiegel geholt, mit dem sie nachschauen konnte, ob sie mit nach ihrem ersten Balg nach dem Baden wirklich immer noch wieder Jungfrau wird, und der Spiegel, der hat dann eben anscheinend so ausgesehen wie das Weiblichzeichen.
Kranke Story. Ich hätte eigentlich gemeint, hat sie das Ding mehr vom Juwelier oder mehr aus dem Kaugummiautomaten. Hab mich gleich zur Claudia rüber abgeseilt und geholfen, Feuerholz zu zerlegen.
Aber der Ohrring ist echt total witzig.
Fionna, Rachel, Michaela, Anne, Julia
It's a long way/to Fischbach Mitte/it's a long way/to Wöhrd/It's a long way/to Unterasbach/to my cutest boy, I heard.
Farewell, Obertrubach/farewell, Wiesenthau/It's a long way to Erlenstegen/but my sweet love's there right now.
It's a long way...
Maren
Den wievielten Tag haben wir eigentlich inzwischen? Ferieneffekt: Man kommt regelmäßig ganz durcheinander, wenn ein Tag wie der andere abläuft.
Vorhin bin ich mit ein paar anderen auf dem einzigen schattigen Plätzchen auf der ganzen Lichtung hinter dem Küchenzelt gelümmelt - weil im Wald wird man bloß von den wilden Tieren aufgefressen - Schnaken und Pferdebremsen und so - ein bisschen vor der Mittagshitze verstecken. Bei dem Ozonloch bewahrt man sich lieber seine keusche aristokratische Blässe. Sonnenbräune ist doch heutzutage so sexy wie ein Raucherhusten.
Verstecken vielleicht auch ein bisschen vorm Küchendienst, aber für sowas haben wir doch die liebe gute Margit dabei, die spült nicht bloß freiwillig ab, sondern wahrscheinlich sogar gern. So richtig auf einen einzigen Sauhaufen durcheinander hingestrummelt - schööööön!
Belinda führt Logbuch, Waltraud schreibt schon wieder Ansichtskärtchen, Juli liest "Blitz, der schwarze Hengst", Anne schnarcht für sich hin, und Mella puhlt sich in den Zehen.
Die Judy war auch dabei und hat mal wieder an ihrem Paar Wintersocken gestrickt. Und da ist mir das erste mal aufgefallen, dass diese Ökotante eigentlich ganz schön in Sack und Asche unterwegs ist. Was braucht die überhaupt Socken?
Und ich frag so: Mensch, Judy, wie willst du je einen Typen abkriegen, wenn du immer daherkommst wie Janis Joplin bei Polizeistunde?
Sie blinzelt hinter ihrer Müslibrille wie eine Miezekatze in die Sonne und meint bloß: "Ich hab meinen Malte", und dann: "Und irren ist männlich."
Hab erst überlegen müssen, wie sie das meinen könnte, aber irgendwo hat sie schon recht.
Nach einer Weile schaut Judy mich an und grinst: "Dass in diesem Kreuzzüglerverein außer mir überhaupt noch jemand subversiv genug ist, heut noch Janis Joplin zu kennen!"
Phh, sag ich, mein Bruder hat alles von Bob Dylan. Da hat sie ganz leuchtende Augen gekriegt und mich verschwörerisch angegrinst.
Aber wie ich ganz leise angefangen hab, "I'm So Lonesome I Could Cry" zu singen, hat sie ein bisschen zweifelnd hergeguckt, ihr Strickzeug zur Seite geschmissen, sich aus den Knien hochkatapultiert, und im Davonlatschen hat sie sich nochmal zu uns umgedreht, eine Faust in die Höhe gestreckt und rübergeschrien, dass mans bis in den Wald hört:
"Venceremos!!!"
Werd einer schlau aus der Frau.
Alexandra
Bacardi Feeling!
Wenn du die erste Flasche aufmachst, gluckerts so schön. Hmm, und wenn die Eiswürfel so ins Glas klimpern ...! Hast du das schon mal so richtig genossen?, frag ich Fionna, weil die gerade neben mir saß, ihre Pfoten über der Wampe gefaltet. Dös, gammel, blinzel, dös.
"Die Werbung is beschissen", sagt sie müde.
Wieso denn? Sonne, Palmen, Strand, die Wellen rauschen, ganz weit draußen ein paar Fischer auf ihrem Segelboot, und du hast drei Monate Ferien.
"Moskitos und Malaria, wo du hintrittst Vogelscheiße, Bumsmusik aus einem Mittelwelle-Blechradio, und ein überkandidelter Schickimickihaufen schnöseliger Yuppies auf Urlaub. Na danke."
Du bist widerlich. Den ganzen Tag relaxen, im Sonnenuntergang Limbo tanzen, Bob Marley, nackige knackige Jungs, Kokoseis satt, lockere Stimmung - und Alk. Karibik pur halt.
Fionna schüttelt gelangweilt den Kopf: "Pfeifendeckel Karibik. Der Spot is in Griechenland gedreht. Und in Griechenland gibts keine Palmen. Alles Plastik.
Und solche, die heutzutage großkotzig in der Karibik rumhupfen, kannst du kurz hinter Wohlmannsgesees aussetzen, dann finden die ein Lebtag nicht mehr heim. Wow, echt wahnsinnig meeeegahip, ey."
Wohlmannsgesees!, lass ich mir auf der Zunge zergehen.
"Hm. Da gibts nämlich einen Druidenhain. Da wollt ich schon immer mal hin. Aber nein, am Zeltplatz festhängen müssen wir, und in allzu absehbarer Zukunft Rosenkohl mampfen."
Die Keltin persönlich. Ich dachte, das mit den Druiden gibts bloß auf der Houbirg hinter Hersbruck?
Fionna zuckt die Schultern: "Oooch. Houbirg is schon reichlich zusammengetrampelt, aber manche Steine erkennt man schon noch. Viel zu überlaufen halt. Von denen, die sich keine Karibikkreuzfahrt leisten können, sondern bloß feuerrote Wadlstrümpfe. Stonehenge für Nürnberger Kahlfresser in mittleren Gehaltsgruppen. Im Wald von Achtel", sie deutet träge mit dem Daumen am ausgestreckten Arm überm Kopf weit hinter sich, "da gibts einen Steinkreis mit einem Monolithen hintendran, vielleicht gut zwei Meter hoch, bloß ein bisschen abgebröselt, der macht kultstättenmäßig zehnmal mehr her. Sieht sogar wirklich entfernt aus wie Irland, landschaftmäßig. So ein Grün", sie versucht es mit den Händen zu beschreiben, "so ein Grün, wie du es sonst nirgends auf der Welt kriegen kannst. Und die Eingeborenen heißen da Schorsch und Kunni statt Patrick und Molly und tanzen Zwiefachen statt Brogue, aber sei mir nicht bös: Die Franken und die Kelten sind doch hier wie dort ganz ähnlich drauf, ungelogen, ungebrochen. Dieser Hexentanzplatz im Achteler Wald is halt bloß nicht auf der Wanderkarte verzeichnet."
Aber du kennst die abgelegensten Steinkreise.
"Aber ich kenn einen abgelegenen Steinkreis."
Schade, das mit dem Bacardi. - Und in Griechenland gibts keine Palmen?, frag ich nochmal enttäuscht.
Fionna ratzt mir schon fast weg: "Keine Palmen."
Scheiß Bacardi Feeling -
Claudia
Was man als Zeltlagerleiterin alles draufhaben sollte. Kommt doch gestern die Judith zu mir und fragt, ob ich sie mal in die Stadt runterfahren oder wenigstens halben Tag beurlauben könnte.
Warum? frag ich.
Sie druckst ein bisschen herum und sagt, sie muss mal aufs BAFöG-Amt.
Warum? frag ich.
Sie will sich selbständig machen, knirscht sie, sie raffts zu Hause nicht mehr, und schaffts nicht, neben der Schule noch genügend Kohle für eine Bleibe aufzutreiben, und muss nochmal nachfragen, wieviel BAFöG ihr eigentlich maximal zusteht, bevor ihr der Bewilligungszeitraum stiften geht.
Warum?, frag ich nochmal, weil mir schon bloß noch der Unterkiefer bis ins Gras hängt. In Judith ihrem Alter - !
Ihr Vater hat ihr schon hinterrücks ein paar Tausender aufs Konto überwiesen, damit sie vom Staat nix mehr bewilligt kriegen kann, fängt sie fast zu erzählen an, und irgendwas von Jugendamt, aber als sie merkt, dass sie drauf und dran ist, mir ihr armes Herzchen auszuschütten, beißt sie sich stracks auf die Lippen.
Kommt überhaupt nicht in Frage, sag ich, immer noch perplex. Ich kann nur den Kopf schütteln. Ich glaub, ich zittere. Ich glaub, ich schrei gleich laut hysterisch.
"Hab ich mir schon gedacht", sagt sie und schiebt ab.
Und dann steht gleich die Waltraud hintendran und klagt, sie hätte da ein Glaubensproblem. Äächz.
Den Zeltappell, den wir laut Dekan eigentlich alle zwei Tage durchziehen sollten, macht mir dafür aber der Collega Tommi, das sag ich euch.
Tommi
Zeltappell: Ich brech ab.
Da verweigert man extra seinen Wehrdienst, und dann macht man auf einmal selber einen Zeltappell. Dienstlicher Befehl vom Dekan. Na, vielleicht muss das aller Wochen oder so wirklich mal sein; am notwendigsten bei mir...
Bei der Margit bin ich mir vorgekommen wie weiland Mephisto, der in Gretchens Privatsphäre eingebrochen ist: "Mephistopheles (herumspürend): Nicht jedes Mädchen hält so rein. Ab."
Bei den meisten liegt alles mögliche Zeugs durcheinander. Hundsgemein gefährliche Hirschfänger neben rosa Plüschviecherln, Bowiemesser, Nagelfeilen, Schmusedecken, Klappspaten, Tränengas sowieso, alles einträchtig beisammen. Taschenlampe an der Schnur unterm Giebel aufgehängt: Ha, muss ich mir merken.
Einerseits so raffinierte Luder, und dann wieder die runtergeschluckten Anfälle von Heimweh. Wenn sie in hundertfünfzig Zeltlagern nicht gelernt hätten, dass man die Zeltwände niemals nicht mit nichts berührt, weils sonst reinregnet, würden sie Michael Jackson-Poster und Bilder von ihrem ersten festen Besten aufpinnen.
Bei Julia ein ganzer Stoß Heftchen mit Pferdchen und aufregende Abenteuer im Gespensterschloss. Bei Fionna Flann O'Brien und ein Reiseführer Connemara. Typisch.
Und immer wieder pfundweise Schachteln für Pillen und Binden und Tampons. Sowas kann ich gar nicht sehen, ich werd jedesmal rot wie ein Pennäler. Mir steigt dabei immer wieder hoch, dass ich der einzige weit und breit bin, der sowas nie brauchen wird, und komm mir... ja, naja... irgendwie ausgeschlossen vor.
Bei Judith und Carmen siehts am schlimmsten aus. Wie die überhaupt noch in ihre Schlafsäcke finden vor lauter Gerümpel. Judith ihre Bücher, Strickzeug und ein Arsenal an Waffen und fernöstlichen Symbolen, die sich genauso zum Totschlag eignen. Und Carmen, die sich zu Hause wahrscheinlich in Luxus nur so suhlt und ihre Domestiken schikaniert, will anscheinend die einheimischen Pilze und Schwämme züchten, so wie die ihr Equipment verlottern lässt.
Werd einer schlau aus den Weibern.
Ich hab aber alle Zelte "abgenommen", wo sind wir denn - beim Kommiss?, war froh, als ich durch war. Was denkt sich das Kreiswehrersatzamt überhaupt, mich mitten unter Mädchen zu schmeißen, und die Claudia, mir ausgerechnet den Job anzuweisen, durch fünfzehn Intimbereiche zu krautern.
Auch ein Zivi, obwohl er Mord und Totschlag und andere männliche Initiationsrituale verweigert hat, ist bloß ein Mannsbild mit zwei Eiern.
Melanie
Schnurrrr... man wird so herrlich faul auf Zelten. Einfach nur den Bauch in die Sonne halten und um Erholung bitten. Den ganzen Tag oben ohne, der Tommi stört ja nicht. Nur im äußersten Notfall ein bisschen auf die andere Seite räkeln. Ein paar kaum nennenswerte Handgriffe wie zwei Stunden Holzhacken oder fünf Pfund Zwiebeln fein würfeln bestätigen höchstens die Regel.
Langsam werd ich sogar zu bequem, mir die Ameisen wegzuschnipsen, wenn sie auf meinen sterblichen Überresten unterwegs sind. Solang es keine fetten, haarigen Spinnen sind. Gibts hier Krokodilschlangen oder solchiges Ungeziefer? Kanalratten? Kakerlaken? Zikaaaaaaden? Physiklehrer?
Bedienung, einmal Rückenkratzen bitte. Miauuuu...
Michaela
Wie das duftet. Anscheinend bin ich die einzige hier, die Rosenkohl was abgewinnen kann. Deswegen muss ich auch die ganze King Size-Pfanne voll mit Käse überbacken. Die meisten sind schon vor dem Geruch geflüchtet. Nur Judy ist geblieben und beaufsichtigt den Hafen Salzkartoffeln.
Bisschen ärmlich vielleicht; zu Hause mach ich immer ein ausgewachsenes Kartoffelgratin dazu. Gratin Michaela. Aus durchsichtig dünn geschnittenen Kartoffelscheibchen mit einer Schicht Zucchini zwischendrin und obendrauf Tomaten. Wenn Mutterns Geschiedener mitisst, auch noch eine Schicht Hackfleisch. Und ganz wichtig: Knoblauch. Entfällt hier in der gastronomischen Diaspora leider ersatzlos, zwecks mangels Backröhre.
Wies aussieht, is wohl ein allgemeiner Fasttag angesagt heute, aber mir recht, umso mehr Rosenkohl bleibt für mich. Bis Claudia ihre ganzen Schäfchen eingesammelt hat, damit sie erstmal feststellen können, wie fein ich die Weiße Sauce mit Muskatnuss abgeschmeckt hab, ist der Käse doch schon gegessen.
Aus dem Off taucht Fionna auf, rempelt zwischen Judy und mich - "'mal weg da - ", um sich das Nutella von der Gewürzbank zu mopsen.
"Nix da!" müpft Judy auf, "du verdirbst dir ja den Appetit fürs Mittagessen, Macha Rothaar!"
"Phüh. Jah, Mama." Fionna, das Nutella und einen halben Laib Brot unterm Arm, kramt noch nach einem Küchenmesser, will damit davonziehen, stutzt.
"Woher weißt du denn was von Macha Rothaar?"
Judy piekst unschuldig mit der Gabel an ein paar Kartoffelchen herum und sagt, ja, sie hat halt auch schon irgendwann mal ein Buch gelesen. Nichts Schlimmeres sei als zufriedene Sklaven und der Arbeiter, sagt Brecht, dem der Schinken wichtiger sei als ein Buch.
Steht hier nicht so müßig in meiner Küche im Weg rum, ihr verkrachten Bildungsproleten, trage ich frische hauchdünn gesäbelte Schmelzkäsescheiben zu meinem Rosenkohl.
"Was willst denn du uns anschaffen, Großbürgersmagd", flachst Judy und nascht mir den halben Käse vom Schneidebrett.
Geh in dich und besinn dich, reime ich und breite den kläglichen Käserest über meinen Rosenkohl, Salonsozialistin.
"Schweig, Spalterin, semiintellektuelle", kaut Judy, grinsend.
Schaukelstuhlmarxistin.
"Trotzkistin."
Dominanze.
"Selber Revisionistin. Du wirst Gelegenheit zur Selbstkritik erhalten."
"Was fabelt ihr da?" entrüstet sich Fionna, die schon lange nix mehr abcheckt.
"Iss deine antirevulotionistische Ausbeuterkost, dein Fascho-Food", dreht Judy wieder vorsichtig Kartoffeln um und wird gleich losexplodieren vor Lachen.
Ich rufe sie zur Ordnung: Pflaum mir hier unsere ethnischen Minderheiten nicht so an. Du entweihst mir meine ganze hehre Prozedur des Rosenkohlmitkäseüberbackens.
"Nix ethnische Minderheit", steigt Fionna wieder ein, "ich bin bloß Halbirin", als ob das nicht allmählich auch bis zu mir durchgesickert wäre.
"Ehrlich?" Wieder Judy. Und weiß: "Keltentum. Das letzte funktionierende Matriarchat in der westlichen Welt."
"Logisch!" freut sich Fionna und streicht sich stehend freihändig ein Nutellabrot am lebendigen Laib, "und außerdem ein Volk, das Geschichten zu erzählen, megacoole Musik zu machen und Bailey's zu saufen versteht."
"Hmmmmmmmmmh!" Das sind wir jetzt alle drei gleichzeitig: "Bailey's!"
"Hähäh", kocht Judy schon wieder und schubst mich dabei von der Seite, so aufgeräumt kennt man sie ja gar nicht, "und dann kann sie sich keine folk tunes merken."
Aber du sämtliche Strophen von der "Internationale"! muss ich meinen Senf einblenden, auf das Ereignis an einem der jüngsten Lagerfeuer anspielend, als Fionna in der Melodie vom "Irish Rover" steckengeblieben ist und Judy ganz flüssig in die "Internationale" übergeleitet hat.
"Moment mal", wieder Fionna, "die meisten Jigs und Reels sind ja noch ganz leicht, es gibt bloß ein paar so vertrackte klassische Hornpipes, hinter die du nach Jahren ums Verrecken nicht kommst!"
Judy nickt jetzt doch anerkennend in ihren Kartoffeltopf hinein und rührt um, dass hoffentlich endgültig alles zu Stopfer zerfällt. "Echte wahre veritable genuine Halbirin?"
"Mutter aus Limerick, Vater aus Schweinau, beste Mischung wo gibt, Sir. Viersprachig aufgewachsen, deutsch, englisch, fränkisch und Anfangsgründe des Gälischen, Sir. Erste fünf Lebensjahre County Cork, Kilkenny und Donegal und mächtig stolz drauf, Sir." Das erzählt sie jedem.
"Und dein Name stammt auch original aus der Gaeltacht, is offiziell angetauft und nicht bloß zur Schau?"
"Logisch!" messert Fionna fingerdick ihre Nutellaschicht vom Laib und beißt ganz verhungert hinein, "und ich hab sogar echte rote Haare."
Judy hat schon verstanden. "Danke für das Gespräch, Kleinbürgertochter. Wash your mouth with soap", salzt sie nach, behält aber schon noch ihren Smirk im Gesicht.
"Und wann nochmal begeht die Irin, gar auch der Ire, Saint Patrick's Day??" fährt sie mit der Gabel im Anschlag zu Fionna herum.
"Mpf", kaut Fionna, "wer verarscht hier jetzt eigentlich wen? Und überhaupt bionn an fèar ciallmhad inet'host nuaír nà bionn pioc le rà agam." Okay, Test bestanden.
Mein Rosenkohl wird langsam. Ich gabele ein Rosettchen aus der Pfanne, tunke es in Weiße Sauce und stopf es Fionna in den Mund, bevor sie überlegen kann: Mund auf, Augen zu, sag ich, probier mal Feinerle!
Fionna hat aus Versehen zugeschnappt.
"Du Sau!" greint sie, poltert den Brotlaib auf die Küchenbank zurück und spuckt uns Nutellabrot und Rosenkohl in die Küche, als ob das appetitlich wäre. Ui, vergraulerle. Jetzt schnell die Polaroid. Aus der Reihe Mythologische Miniaturen: Vergiftete Banshee.
"Und ich dachte, die irischen Pachtbauern ernähren sich ausschließlich von Kohl", scheckert Judy, wie sie Fionna so zuschaut.
Und Whiskey mit e-ypsilon, Genossin, sag ich. Und Whiskey.
Freu ich mich mal aufs Mittagessen. Wie das duftet.
Steffi
Ein Naturerlebnis ist das schon. Vielleicht braucht man das ab und zu, so überhaupt kein Fernsehen, kein Mensch hat die letzte "pop rocky" dabei, ich glaub, nicht mal Radio, und bei der Carmen mag ich nicht betteln gehen um ihren Walkman, mit dem sie auch immer bloß ihr Techno, House, Acid und Gehiphopse anhört; wenn wenigstens ihre Kopfhörer dichthielten. Wenn die in der Nähe ist, hört man immer sonstwasfüreinen Dancefloor wispern.
Ich geb mir dafür jetzt mal wieder die eine Woche das Urerlebnis. Einfach hausen wie die Wilden.
Nachts ist es total still. Da geht kein Wind, da rauscht keine Autobahn von weitem, sogar das Blut in den Ohren kommt zur Ruhe, man hört echt null. Erst gegen Früh hört man wen schnarchen, ich glaub, die Carmen.
Wenn man so lange Wälder und Büsche angeschaut hat, erschrickt man richtig, wenn man sich wieder direkt ein Zelt anschaut. Man erkennt überhaupt keinen Rechten Winkel mehr und ist die quietschgrellen Kunstfarben überhaupt nicht mehr gewohnt. Ich glaub, ich kauf mir für die Schule ein Lineal mit organischen Elementen in Popelgrün oder Kackbraun, hähä.
Dafür erscheinen einem immer mehr Figuren aus den natürlichen Formen. Aus den Mustern im Gras. Aus den Baumkronen. Aus den Wolken. Hey, aus der alten kalten Asche in der Feuerstelle erstehn einem auf einmal Gesichter auf.
Ist das noch wachsendes Naturverständnis oder schon ein ausgewachsener Campkoller?
Maren
... und einmal im Leben entwickel ich den Ehrgeiz und steh zeitig genug auf, um sogar noch vor Doris dazusein. Sitzt da nicht die Steffi im Gras hinterm Küchenzelt und schnieft und rotzt vor sich hin.
Hey, flüster ich.
"Hau ab", mault sie. Das meint die nicht so.
Du hast ja Zigaretten, schnupper ich.
"Nicht weitersagen, bitte."
Wenn du mir eine ausleihst.
Sie schiebt mir das Päckchen rüber. Wir sitzen einträchtig hinterm Küchenzelt beieinander und paffen.
Jetzt sag schon, was ist?
"Männer sind Schweine", mault Steffi und spuckt einen riesigen Kuddel ganz weit von sich. Ach so, darum gehts.
"Männer warten bloß auf eine Gelegenheit, wo man mal nicht hinguckt, und rennen sofort dem nächsten Rockzipfel hinterher. Mein Alter liegt wahrscheinlich gerade mit dieser einen Zugepierceten in der Falle, die ihm schon dauernd im 'Transfer' ihre schönsten Augen zugeschmissen hat."
Glaub doch nicht sowas, versuch ich sie zu trösten. Ihr seid jetzt schon so lange zusammen, das geht doch an keinem Menschen spurlos vorbei... Vielleicht nicht mal an einem Mann.
"An dem schon." Kramt sich eine frische aus ihrem Päckchen und kokelt sie sich an der alten Kippe an. Holla, gelernt ist gelernt.
Langsam Tag will es werden. Auf der einen Himmelshälfte is es schon nicht mehr so bleiern schwarz, sondern bloß noch dunkelblau. Man kann schon die Baumspitzen gegen den Himmel unterscheiden. Sieht schön aus. Wie früher die Scherenschnitte im Kindergarten, zu Weihnachten immer. Schau mal, Steffi, schubs ich sie, schau, es wird hell.
"Mir scheißegal. Ich will das nicht. Es soll Nacht bleiben. Von mir aus ewig."
Und willst du so lang da sitzenbleiben und dir die Birne zuqualmen? Maximal zwanzig Versuche hast du, und jetzt noch - ich schau kurz in der Packung nach - drei.
"Jou. Steh ich drauf. Männer sind Schweine. Sie tun immer der am meisten weh, der es auch wirklich am schlimmsten weh tut."
Au weh, Weltschmerz. Same old Keiner-hat-mich-lieb-Trip. Aber das hüt ich mich zu sagen. Statt dessen:
Du meinst, sie tun dir weh, kann das sein?
Grunz.
Dann höre den weisen Rat von deiner alten Tante Maren und sei schlicht nicht die, ders am meisten wehtun tut. Wenn er mit Transferzugepierceten rumhupfen will, lass ihn laufen. Wenn ers nicht tut, war die ganze Eifersucht für die Katz. Und wenn doch, dann erst recht: That's the point.
Und heb mir für morgen noch eine Fluppe auf.
"Was fürn Teil??"
Eine Zigarette. Und ich hau mich lieber doch noch ein Nachthemdchen voll aufs Ohr. Die Runde geht an dich und - da hörst du sie schon rascheln - Doris. Gut Nacht, Mädchen.
"Und sag nicht Mädchen zu mir."
Nicht?
"Ich zähl mich zu den Grrrrlz. 'Mädchen' is bekanntlich die Verkleinerungsform von Made. Tank Girl, Bierbüchsen und Salatgurken is it, Schwester!"
Auch gut, sag ich, Grrrrl. Und kann mir wieder nicht verkneifen: Da falln mir doch die Eier ab!
"Hääh?!!?"
Judith
PMS lass nach.
Wenn ich wieder meine Menstruationsschmerzen hab, krieg ich immer den Moralischen. Wo ich doch bisher sogar ganz lustig drauf war. Das primitive, aufs Wesentliche reduzierte Leben tut mir anscheinend soweit doch ungeahnt gut.
Vielleicht liegts auch nur an der monatlichen Geschichte, dass ich mit dieser Carmen wie Öl und Wasser bin. Ich brauche einen Gegenpol, nicht noch ein verstärkendes Prinzip, um ins Runde mit mir zu kommen. Mein Ego muss sich dialektisch austarieren, wenn es mir nach der Weiber Weise geht und mir dazu noch Malte fehlt.
Warum hat man das meiste sexuelle Verlangen immer dann, wenn es unmöglich zu stillen ist?
Wenn meine Periode vorüber ist und ich mich immer noch sehne, wird der arme Tommi herhalten müssen.
Claudia
Heute nacht hab ich draußen was knacksen gehört und hab doch vorsichtshalber mal nachsehen müssen; ich komm mir ohnehin ein bisschen verantwortungslos vor, weil ich meinen Schätzchen die Nachtwachen ersparen will.
Da steht doch tatsächlich die Carmen an ihrem Zelteingang und glotzt mich schuldbewusst an. Wie verhält man sich da? "Was machst du denn da?"?
Aber ich habs doch lieber noch diplomatischer abgedämpft in "Ist alles in Ordnung?", weil pinkeln gehen wird man wohl noch dürfen - da macht der renitente Fratz einen auf verstockt und beleidigte Unschuld und schnauzt mich an, was das denn überhaupt soll und ob sie denn hier im Mädchenpensionat oder in Auschwitz wäre und ob man denn gar keine Freiheiten mehr hätte.
Ich versuch meine ganze Vorstellungskraft zusammenzukratzen, wie sich der Dekan in so einem Fall verhalten hätte, und bringe auf gut Glück heraus: "Hauch mich mal an."
Da hat sies mit einemmal unbandig eilig, in ihr Zelt zu verschwinden und bringt bloß dummerweise den Reißverschluss nicht gleich auf, was meinen Verdacht bestätigt. Stockbesoffen und aufgekratzt.
Nochmal Claudia...
Ich weiß nicht, was ich mit ihr machen soll. Sie rückt nicht mal unter Androhung der Folter raus, wo sie gewesen ist und wo sie den Schnaps versteckt hat. Soll ich sie jetzt heimschicken oder was? Wie steh dann ich vor der Gemeinde da? Da bin ich doch dran?! Hoffentlich ist sie von selber so schlau und unterlässt die Scheiße in Zukunft, wenigstens den Rest der Woche noch.
Niemand hat was gehört, glaub ich; nur der Collega Tommi ist informiert.
Nach langem Zögern und Schwanken haben wir uns entschlossen, nur zwei Grundtriebe anzunehmen, den Eros und den Destruktionstrieb. (Der Gegensatz von Selbsterhaltungs- und Arterhaltungstrieb sowie der andere von Ichliebe und Objektliebe fällt noch innerhalb des Eros.) Das Ziel des ersteren ist, immer größere Einheiten herzustellen und so zu erhalten, also Bindung, das Ziel des anderen im Gegenteil, Zusammenhänge aufzulösen und so die Dinge zu zerstören. Beim Destruktionstrieb können wir daran denken, daß als sein letztes Ziel erscheint, das Lebende in den anorganischen Zustand zu überführen. Wir heißen ihn darum auch Todestrieb. Wenn wir annehmen, daß das Lebende später als das Leblose gekommen und aus ihm entstanden ist, so fügt sich der Todestrieb der erwähnten Formel, daß ein Trieb die Rückkehr zu einem früheren Zustand anstrebt. Für den Eros (oder Liebestrieb) können wir eine solche Anwendung nicht durchführen. Es würde voraussetzen, daß die lebende Substanz einmal eine Einheit war, die dann zerrissen wurde und nun die Wiedervereinigung anstrebt. Dichter haben ähnliches phantasiert, aus der Geschichte der lebenden Substanz ist uns nichts Entsprechendes bekannt.5
Tommi
Na, da hört man ja schöne Sachen von der Carmen. Gut, dass die Collega Claudia so einen leichten Schlaf hat - oder auch wieder nicht gut, die Carmen soll doch schnapsdrosseln, soviel sie will. Soll mir lieber auch was abtreten von ihrem Stöffchen.
Wenn sie ihren Kater ausgeschlafen hat, wird man sie denn doch mal zur Rede stellen müssen. Ich hab ja weiß Gott das meiste Verständnis dafür, dass einem der ewige eingeschlafene Kakao mit fingerdicker, fetter, schleimiger Haut obendrauf und extrasämigem Bodensatz mit der Zeit auf den Zeiger gehen kann. Mit oder ohne Kuchenbrösel oben drauf? - hmmmmmmh!
Mutter Maria, hol mich heim, ich mag nimmer leben, worauf hab ich mich da eingelassen.
Judith
Carmen ist erwischt worden. Har har. Nur gut, dass ich nicht schadenfroh bin, aber das gönn ich ihr.
Vielleicht hört das jetzt mal auf, dass sie jede Nacht irgendwann, wenns ihr passt und man am wenigsten damit rechnet, reingerumpelt kommt mit einer Fahne wie zehn Punks in der Unterführung, und mein Strickzeug übern Haufen und meine T-Shirts vors Zelt strampelt.
Gestern hat sie eine Spinne über ihren Schlafsack huschen sehen. Verdacht auf halluzinogenen Schlummertrunk.
"Iiiiih!", kreischt sie, ein Wunder, dass es nicht gleich das ganze Lager aus den Isomatten hebt. So richtig hysterisch aus dem Bauch oder noch tiefer; also ich hab das nie beherrscht.
Was denn, grummel ich bloß.
"Eine Spinne, eine Spinne...", na sowas aber auch, dann lass sie doch oder schmeiß sie raus, aber ruf hier nicht Bartholomäus aus.
"Wer sich nicht vor Spinnen graust, ekelt sich wahrscheinlich auch nicht vor Ausländern", sie dann so, kniet so auf dem Schlafsack und meinen Klamotten, wurstelt so, und so ganz nebenbei. Das ist mir erst heute früh so richtig gekommen.
Lady, hast du ein Schwein, dass ich zu dem Zeitpunkt so schlaftrunken war, sonst hätt ich dir ein paar gelangt, das schwör ich dir - .
Carmen
Liebes Tagebuch. So ein Mist. Die Lagerleiterin ist mir auf die Schliche gekommen. Anscheinend bin ich immer noch nicht spät genug nach Hause von den Boys gekommen ("nach Hause" ist gut ...), wenn hier alles noch hellwach ist. Ich dachte, diese Katholen müssen früh ins Bett, damit sie für ihre Morgenandachten fit sind?
Lange halt ichs nicht mehr aus hier. Gestern hab ich eine Spinne in meinem Bett gefunden. Bestimmt gibts hier dann auch fette, glänzende Käfer und behaarte Tausendfüßler.
Wir haben nur lauwarmes, schmuddliges Wasser. Ganz zerstochen bin ich vorne und hinten (von den Mücken, mein ich jetzt...), und überhaupt ist das Lager total durchrasst: "Judith"! "Rachel"! "Fionna"! - Und diese Maren hat wohl auch irgendwoher einen Schuss Bimbo.
Na wartet, ihr Frömmelgemeinde, irgendwas denk ich mir noch aus für euch. Ich zahls euch heim, ich zahls euch heim...
Tommi
Ich bin mir mit Claudia einig, dass wir die Carmen bei uns lassen. Was soll man auf so einer Mickymausjugendsünde unnötig rumreiten. Wenn sie sich nicht zu schade ist als Wanderpokal bei den Buben hinterm Wald, mir doch wurscht.
Und ich wunder mich, dass uns kein Schwein überfallen kommt, wie man das von handelsüblichen Zeltlagern her kennt!: Die sind alle mit der einzigen Carmen beschäftigt!
Aber die soll sich bloß nicht mehr erwischen lassen, sonst hat selbst meine Freundschaft mit der Weiblichkeit mal ein Ende.
Mit Judith versteht sie sich anscheinend mit der Zeit auch nicht besser, im Gegenteil. Die zwei gehen sich aus dem Weg, wos nur selbigenwo geht, und fauchen sich höchstens mal kurz an. Wie zwei giftige Katzen. Sowas hab ich überhaupt noch nicht erlebt. Ist denn das normal?, unter Mädchen?
Wenn an die zwei bloß ein leichter Drankommen wäre.
Da reden sie geschwollen vom Weltfrieden und vereinigtem Europa daher, und dann können nicht mal zwei Mädels auf Ferien miteinander. - : Ach, wär das schön, wenn die Menschen auf der Welt sich bloß besser vertragen wollten.
Rachel
Da ist mir letzthin dieser schöne Witz wieder eingefallen. Gestern am Feuer hab ich einen günstigen Moment abgewartet und ihn zum besten gegeben:
Rotkäppchen geht in den Wald und trifft Pinocchio. Sagt das eine Skelett zum anderen Brauereibesitzer: Hast' jetzt keine Angst, dass dir die Pfeife ins Wasser fällt? Sagt das andere U-Boot: Freilich!
Die Wirkung war wie immer durchschlagend. Der typische oberschräge Sparwitz: das funktioniert jedes Jahr. Je sowieso schon auf und ab hupf, desto vor Lachen am Boden wälz.
Bloß die Margit hat ihn auch heuer wieder nicht kapiert. Sie tut zwar, als ob sie eine schöpferische Pause auf der Klampfe einlegt, hat aber wohl doch einen mehr gesalbterereren, heiligmäßigen, jesushaften Humor, so à la selig die, die über sich selbst lachen können; sie werden immer genug Unterhaltung finden. Dann sitzt sie ruhig und in sich gekehrt auf ihrem Baumstumpf, freut sich, wie fröhlich vor dem Herrn die Schäflein spielen und ist irgendwie doch dankbar für alles. So lieb sie ist, manchmal möchte man sie packen und schütteln und fragen, warum sie denn einen gescheiten Witz nicht checkt, wenn sie einen hört.
Dann erzähl ich heute vielleicht den, was ist fünfzig Meter breit, hat keine Schamhaare und brüllt wie am Spieß - feix!
Margit
Was war denn vorige Nacht los?
Claudia ist mitten in der Nacht aus dem Zelt geklettert und wenig später ganz verstört wiedergekommen und hat sich noch lange hin- und hergewälzt.
Irgend etwas Böses liegt über diesem Zeltlager.
Ich werde beten.
Julia
Der Judy ihre Sorgen möcht ich haben. Sie hat ja recht, dass unser Donnerbalken erstens ein bisschen weit weg ist, vor allem wenn im Dunkeln die Wölfe unterwegs sind, und zweitens schon bald voll - ob allerdings Tampons biologisch abbaubar sind, hab ich mich noch nie so gefährlich gefragt. - In dem ätzenden Sumpf im Donnerbalken halten die sich aber bestimmt auch nicht lange.
Wobei Judy wiederum recht hat: dass sie beim Grillen unsere Wegwerfplastikteller boykottiert hat. Muss ja eigentlich auch wirklich nicht sein.
Hat sich tapfer als einzige hingesetzt und aus ihrem verbogenen, blechernen US Army-Geschirr, das schon der General Custer gesehen hat, T-Bone-Steak mit Bratwurst gelöffelt.
Aber du hättest sie mal hören sollen, als die Carmen, wahrscheinlich als ersten und einzigen Handgriff, den sie je auf einem Zeltlager getan hat, alle restlichen sauberen Plastikteller gepackt und eiskalt ins Feuer geschmissen hat - "damit aufgeräumt ist"!
So einen flammenden Vortrag über Kohlendioxid, Grundwasser und Zivilcourage, wie ihn Judy dann auf die Wiese gelegt hat, hab ich überhaupt noch nie gehört.
Carmen ist dann auch nach ihrer Einschüraktion wie üblich ziemlich früh verschwunden.
Anne
Jetzt gehts aber los. Pfui, ist das eklig.
Mitten hinters Küchenzelt, wo wir uns manchmal vor der Hitze in Sicherheit gebracht haben, hat jemand hingekotzt! Sooo einen Fladen!
Und das Beste: in der Mitte ist ein Bonbon gelegen!
Und das Allerschärfste: noch eingewickelt!
Die Sauerei war noch ziemlich frisch, kaum ein paar Stunden, und mittendrin glotzt einen dieser dunkelrote Bonbon an. Ich wär fast reingetreten heute früh, und hätte fast nochmal danebengereihert.
Claudia war ganz schön sauer. Am längsten hat sie die Carmen ins Verhör genommen, aber natürlich will das keiner gewesen sein. Warum die Carmen am verdächtigsten sein soll, Bonbons mitsamt dem Papier zu fressen und wieder hinters Zelt zu kübeln, weiß ich auch nicht.
Die Judy hat mit einem eiskalten Grinsen eine kontrastive Eiweißanalyse von dem Fladen und unseren Mageninhalten vorgeschlagen, dass es sogar die Claudia gleich gewürgt hat. Da haben wirs dann gut sein lassen, das Grasstück mit dem Spaten ausgehoben und ein anderes vom Waldrand reingepflanzt. Aber ich setz mich da nicht mehr hin.
Alexandra
Hilfe, hab ich gelacht. Obwohls vielleicht gehässig war, aber ich hab mich einfach nimmermehr halten können.
Ich bin heute mal gleich kurz nach der Doris aufgestanden, sie weckt mich sowieso jeden Tag, und bevor ich groß rummaule, bin ich eben auch mal den Morning-has-Broken mitanschauen gegangen, ich will nicht so sein. Die Margit war auch schon wach.
Sitzt auf dem Baumstamm vom Lagerfeuer gestern, mal wieder mit der Klampfe im Arm, und singt:
"Dan-ke - für diesen gu-ten Morgen - dan-ke - für jeden neuen Tag - dan-ke - dass ich all meine Sorgen - auf dich werfen mag" undsoweiter - blafft da nicht aus dem Zelt hinter ihr auf einmal eine verschlafene Stimme:
"Halt die Omme da draußen!", und das Beste:
eine leere Flasche Jim Beam hinterher!
Ballert der Margit an die Schulter, prallt weg und kullert ins Gras.
Ich hab mich mit der Doris glaub ich ein paar Minuten lang beeiert, "Es gibt schlecht Wetter, die Schnapsflaschen fliegen wieder tief!" und so.
Die Margit war auf einmal verschwunden.
Ja: eine leere Whiskybottle kann wahrscheinlich nur von der Carmen stammen. Ob die dann womöglich auch einen Bacardi versteckt hält? Lechz!
Margit
Aus Carmens Zelt hat mich ein Werkzeug des Gottseibeiuns getroffen, als ich den HErrn mit einem Lied preisen wollte.
Carmen sollte so etwas nicht tun, aber ich werde mich vor sie stellen, damit sie nicht Claudias Strafe oder Schlimmeres trifft.
Ich habe die Flasche "Schnaps" sogleich unter unseren anderen Küchenabfällen verborgen, danke dem Herrn und seinen Engeln, dass sie nicht voll war und mich am Kopf getroffen hat - und werde einmal mehr die Bergpredigt aufs Tapet bringen.
Tommi
Judith spült mal wieder mit mir ab. Freut mich irgendwie: eigentlich mag ich sie. Wir sind schon fast ein Team.
Gerade schrubbt sie den schwarzverkrusteten Grillrost von gestern abend: Jetzt kommt sie mir nicht aus.
Wie gehts denn so mit deiner Zeltnachbarin? frag ich.
No comment.
- Wie kommst du denn so aus mit deiner Zeltnachbarin?
Energisches Schrubben und Spülwasserplätschern.
- Judith! Ich red mit dir!
Da pfeffert sie die Bürste mit Karacho ins Wasser und keift mich an: "Wie soll man schon auskommen mit einer latent faschistoiden bis offen rassistischen Dancefloorschrapnelle, die jede Nacht erst gegen Weckstmichnichtmehr heimkommt, einem ihre Fahne aus allen möglichen bewusstseinsverändernden Drogen ins Gesicht schnarcht und, wenn sie überhaupt schon mal das Maul aufbringt, vom Rumbumsen im Jungenzeltlager daherprotzt?!"
Ich stehe starr im Küchenzelt, mit dem Spültuch ratlos in der Hand, und frage mich, ob ich mich mehr über Judith ihren Wortschatz oder ihre schwerwiegenden Aussagen wundern soll, aber sie hat schon wieder den Grill in Arbeit genommen, als ob sie nicht dazugehört.
Judith, sag ich endlich, um irgendwas vorzubringen, ist dir überhaupt klar, was du da sagst?
"Wenn ihr ein paar gottsjämmerlichen Kalamitäten aus dem Weg gehen wollt, du und die Claudia", mault sie, "schickt ihr das geile Stück besser heim oder bindet sie wenigstens an einen Baum fest wie jede andere läufige Hündin auch."
Mir ist neu, dass das Jungenzeltlager überhaupt gleichzeitig mit uns stattfindet. Nächstes Mal fahr ich bei denen mit. Wegen Bierverbot.
Naja, mach ich einen auf Väterlich und leg Judith von hinten die Hände auf die Schultern, nimms mal nicht so (und dabei überleg ich krampfhaft, wie ich das Claudia alles beibringen soll, vom Dekan ganz zu schweigen), die Carmen hat halt andere Vorlieben als wir zwei Hübschen.
Damit komm ich in dem Moment bei Judith leider genau an die Richtige. Sie schmeißt ihr Werkzeug endgültig ins Spülbecken, fährt herum zu mir, hat die Augen voll Tränen, schluchzt auf:
"Ihr seid alles die gleichen! Und ich hab gedacht, so Leute wie du sind links!"
Stürzt davon, die Barfüßige, und schlägt krachend die Zeltplane hinter sich zu...
Michaela
Wo kommen wir denn da hin, wenn wir auf diesem merkwürdigen Zeltlager einer dem andern die Sachen kaputtmachen. Erst der Rachel ihre vermutlich noch originalen Jesuslatschen, dann wird unser Platz auf der Schattenseite des Lebens biologisch kontaminiert, dann kriegt die Margit Carmens Spirituosenhandlung an den Kürbis, und vorhin hat die Waltraud meinen schönen neuen Klappstuhl geliefert! Hat sich einfach bloß reingesetzt, und kracks! Vom Obi vierzehn Mark fünfundneunzig im Arsch! Ohne Mehrwertsteuer! Was soll denn heuer noch alles zu Bruch gehen?
Wo gehobelt wird...
Carmen
Liebes Tagebuch. Frage nicht, wie die sich aufgeführt haben. Wenn meine sogenannte Zeltnachbarin ihr sozialistisches Mundwerk gehalten hätte, wären die mir nie dahintergekommen, und alle könnten ihrer nächtlichen Beschäftigung nachgehen. Jetzt hab ich mir die Standpauke von der Lagerleiterin anhören dürfen.
An allem, meinem Anschiss und so, ist überhaupt nur diese Judy schuld. Was macht man bloß am besten mit solchen Weibsstücken? Früher gab es doch mal so coole Lampenschirme aus denen ihrem Material, das sollte wieder trendy werden. Judy statt Plastik. Am besten müsste man sie erstmal an ihrem Mercedesstern, den sie um den Hals trägt, auf die Nordseite raus an einen Ast hängen und fest zuzurren.
Morgen ist Sonntag, da steigt der Showdown, Zorro ist instruiert. Der Huber-Bauer verlangt nicht mal mehr das Telefongeld und stinkt neuerdings sogar nach Rasierwasser, wenn ich komme. Männer.
Wohin wir uns absetzen, wissen wir noch nicht. Vielleicht erstmal Richtung München runter, uns in irgendeiner Szene selten machen, bis sich die ersten Wogen geglättet haben.
Sie schimpfen mich Hure und Schlampe
Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Ich gehe in eine Clique, und dort sagen sie schon seit längerer Zeit Hure oder Schlampe zu mir. Nicht alle, aber die meisten. Zuerst hat es mir gar nichts ausgemacht, aber weil sie mich jetzt auch in der Schule schon so nennen, bin ich echt mit den Nerven am Ende. Es kann schon sein, daß ich auch daran schuld bin. Ich sehe nicht schlecht aus, und die Jungen hier gefallen mir auch. Das heißt aber noch lange nicht, daß ich gleich mit jedem rumknutsche. Nein, so schlimm bin ich auch nicht! Ich habe aber einen Fehler gemacht und mich beinahe zu einem One-night-stand hinreißen lassen mit einem älteren Typen aus der Clique. Doch ich konnte noch rechtzeitig gehen. Ich habe also gar nicht mit ihm geschlafen, hätte ich auch nie getan. Und jetzt beschimpft er mich auch. Kann ich sie irgendwie zwingen, aufzuhören, das zu mir zu sagen?
Dr.-Sommer-Team
Steh zu dem, was Du tust, und hör nicht auf die Neider
Liebe Birte, Du probierst aus, schmust ab und zu rum, magst Jungen. Na und? Genau das gehört zur Entwicklung in Deinem Alter: Spaß zu haben, Dich mit Deiner Lust kennenzulernen und die Jungen zu entdecken. Schau Dir mal die Leute an, die Dir das nicht gönnen und Dich mit ihren Beschimpfungen schlechtmachen wollen: Möglicherweise sind sie einfach neidisch darauf, daß Du so spontan, lebendig und hübsch bist. Damit haben sie ein Problem - und nicht Du! Vielleicht kannst Du ihnen aus dem Weg gehen oder mit den Leuten aus der Clique darüber reden, die mit dieser Miesmache nichts zu tun haben. Sprich es an. Häufig höre ich auch, daß Jungen, die abgeblitzt sind bei Mädchen, diese dann schlechtmachen, weil sie sich in ihrer Eitelkeit gekränkt fühlen. Um mit ihrem Frust fertig zu werden, schieben sie ihn dem Mädchen auf diese üble Art in die Schuhe. Das hat weder mit Deinem Aussehen noch mit Deinem Verhalten was zu tun. Du hast auch keinen Fehler gemacht. Sieh es positiv: Du hast erfahren, daß Du Dich wehren, weglaufen oder nein sagen kannst, wenn Du merkst, daß da etwas abläuft, was Dir nicht geheuer ist oder was Du nicht willst. Steh zu dem, was Du tust, Birte. Kein Mensch käme auf die Idee, einen Jungen zu beschimpfen, der tatsächlich schon mit vielen Mädchen rumgemacht hat. Leider ist das ganz schön ungerecht. 6
Judith
Beim Abspülen bin ich ausgerastet, ich gebs zu.
So bescheuert diese Carmen auch ist, den Obermackern vom Zeltlager hätt ich sie vielleicht doch nicht verzinken sollen. Aber mir ist einfach der Gaul durchgegangen.
Der Tommi kann stolz auf sich sein. Unter Tränen soll mich im Leben nie wieder ein Mann antreffen.
Tommi
Zimt und Kardamom.
Ingwer, Nelken und Pfeffer. Hier riechts fast wie Nürnberger Lebkuchen.
Judith streicht in letzter Zeit recht seltsam um mich herum. Ich glaub ernsthaft, irgendwas will sie von mir.
Gestern am Lagerfeuer haben wir uns richtig patent unterhalten. Ihr gingen nämlich auch die viktorianischen Gesänge von der Margit auf den Senkel, da waren wir wohl kurzzeitig unaufmerksam und haben uns eins geschäkert. Ein paar von den Mädels haben wieder getanzt, einzeln und miteinander. Flackernde Feuerzungen, kultisch tanzende Leiber vor dem prasselnden Holzhaufen, wie Sonnwendfeuer.
- Wo sie eigentlich ihren tollen Namen herhat, frag ich Judith, ob sie vielleicht Jüdin ist und ob denn sowas Biblisches überhaupt zu ihr passt.
Sie sitzt neben mir schneider und hält sich einen Steingutnapf von ihrem selbergebrauten Yogi-Tee unter der Nase fest. Dampf.
Sie möchte gern Jüdin sein oder auch eine Schwarze, erzählt sie mir ernst.
- Warum denn dieses, interessier ich mich.
Aus Protest, sagt sie. Aus Loyalität. Oder zu irgendeiner anderen Randgruppe gehören eben, weil so in dieser privilegierten Lebensweise der überkommenen Eliten kann man sich täglich nur noch schämen für seine Dekadenz, angesichts Äthiopien, Ruanda, Albanien und wessen nicht noch.
Sie versuchte halt auf der Seite der Schwächeren zu stehen, vielleicht steht dann auch mal jemand zu ihr, wenn sie schwach ist.
Sie gibt auch den Pennern immer was. Der Energieerhaltungssatz: Es herrscht ein dauerndes Geben und Nehmen, aber auf der Welt als geschlossenes System insgesamt geht nie etwas verloren. Wenn man gegeben hat, solange man kann, kriegt man vielleicht auch wieder was, wenn man was gebraucht hätte, Hauptsache, zum Schluss geht die globale, intergalaktische, universelle Bilanz wieder auf.
Das ist ja mal ein zutiefst christlicher Standpunkt, will ich sie ärgern, die kleine Revoluzzerin, advocatus diaboli. Nicht anders hat Jesus gedacht, wenn er sich unter die Zöllner und Leprakranken in Jerusalem gemischt hat, um zu zeigen, schaut mal her, folks, ich bin einer von denen, und ihr solltet bitteschön hergehen und handeln gleich mir. Was ist das anderes als die Idee der Nächstenliebe und der Gleichheit aller Menschen vor Gott.
Sie wird sehr nachdenklich. - Schon richtig, meint sie, aber ich sehs mehr als kleinen, aber wichtigen Schritt in Richtung Aufhebung der Klassengesellschaft. - Die Solidarität alles Lebenden. Sag Gott dazu. Sag Leben. Sag Brahman, sag Charisma, sag Marthens Garten, 's geht alles gut, egal welcher Ausdruck: Du meinst schon das Wahre, Tom.
- Die Synthese von Christentum und Kommunismus, fasse ich zusammen und muss ein bisschen grinsen: die Verquickung und Aufhebung sämtlicher Eklektizismen, die ultimative Ideologie. Pass nur auf, Judith, wir zwei retten nochmal die Welt.
Damit war alles gesagt. Nur noch Margits verstimmte Wanderklampfe.
- Jetzt singen wir dann mal gemeinsam "When we danced all night", hab ich gebrummelt, passend zur Lage, wobei ich nie gedacht hätte, dass das jemand außer mir in der Runde kennt. Ein grandios melodisches Stück von irgendsoeiner Band aus der Gegend, deren Namen keiner aussprechen, geschweige denn schreiben kann.
Aber Judith ist sofort drauf angesprungen. Fängt an, den Melodica-Teil zu summen.
Schau an, sag ich, und die richtige Frequenz hörst du auch noch.
Keine Spur von Verlegenheit.
"Genau", sagt sie ruhig und schlürft aus ihrem dampfenden Humpen Yogi-Tee (hübsch: blaue Blümchenschnörksel, und "Hermann" prangt darauf), "und die richtige Frequenz hör ich auch noch." - und ist blechendes Mitglied bei Radio Z.
Manchmal schafft sie mich. So frappierend war ihre Antwort genau besehen wiederum nicht, aber die Art, wie sie sowas bringen kann, ist oft erwachsener als die... als die von Claudia zum Beispiel. Wenn ich ihr jetzt aus Versehen eine Zigarette angeboten hätte, dann hätte sie gesagt: "Danke, du, ich dreh sie mir selber."
- Was suchst du eigentlich hier, frag ich sie und mein es diesmal wörtlich, du bist doch schon eine Frau.
Margit auf meiner anderen Seite hat irgendwas zu singen angefangen.
Judith schaut mir in die Augen bis auf den Grund und trinkt Yogi-Tee dazu.
Maren
Wie wir getanzt haben. Margits Repertoire in Ehren, aber ich hab mal was Fetzigeres gebraucht. Manche haben auf solche Choräle sogar tanzen können. Da hab ich einfach zwei Äste aus dem Feuer gefischt und angefangen, auf dem Sitzbaumstamm Trommel zu schlagen: Humba, bumba, humba, bumba, humba, ulele ...
Was ich mir gar nicht hätte träumen lassen: dass sofort so viele einsteigen. Aber auf einmal singen sie alle um mich herum: Humba bumba ulele ohé. Klatschen in die Hände, klopfen auf den Baumstamm und ihre Schenkel, im Takt, gegen den Takt, auf Synkopen. Dann bin ich aufgestanden und hab angefangen, langsam um das Feuer herumzupirschen, immer mit: Ulele ohé, a massa massa massa, Steffi hinter mir her, dann die Micha, dann die Dosi, dann Anne, dann Fionna, dann Alex, dann die Juli, dann Old Rachel, dann Belinda, dann die Mella, dann die Waldi, dann Judy, eben zum Schluss alle. Sogar Claudia und Tommi. Sogar Margit. Nur Carmen schließt sich aus. Wie das dampft und wabert. Wie bei einer kultischen Handlung im Negerkral von irgendeinem unentdeckt gebliebenen Naturvolk.
Wir stoßen Urlaute aus, singen Humba und schwingen über unseren Köpfen bedrohliche Prügel aus dem Feuer in unserer Mitte, die vor Funken stieben, und irgendwie ist es ein Lied. Solange unser Lied dauert, sind wir ein Körper, unser Puls schlägt im selben Rhythmus, wir stampfen einen Takt, langsam und mit Riesenschritten. Immer im Kreis um das Feuer herum.
Ich habe Lust zu kreischen und zu jodeln und lass es ganz einfach raus. Hinter mir antworten mir gleichgesinnte Jauchzer. Das hallt bestimmt über alle Baumwipfel.
Stampfen, klatschen, jauchzen, trommeln, singen, verrenken, gröhlen, lärmen, schwitzen, tanzen, bewegen. Halligalli und Highlife! Juchhuuu!
Das geht so lange, bis einige zu lachen anfangen und die anderen anstecken. Eine nach der anderen steigt wieder aus, bis sich alle vor Lachen hinplumpsen lassen und ganz außer Atem die Bäuche halten. Jetzt weiß ich wieder, wofür ich lebe.
Und jetzt stimmt auch noch Rachel ihren Lagerfeuer-Rap an, den sie jedesmal anders improvisiert. Sie steht orange beleuchtet überm Feuer, hampelt eckig herum und reimt Rap auf Depp, und so viel Text, und alles so unglaublich schnell! Die Frau ist ein ganz großes Talent. Das müssen wir daheim unbedingt mal im Katholischen Jugendheim aufführen.
Ich bin glücklich heute abend.
Judith
Ja, ich bin mir sicher. Tommi muss mein Liebhaber sein. Vielleicht ist meine Zeit mit Malte um.
Es geht genügend Ruhe, Kraft und Sicherheit von Tommi aus, um meine momentane Fickrigkeit von hundertachtzig ein bisschen runterzukühlen. Und er hat mich weinen gesehen.
Heute nacht komme ich in sein Zelt. Er wird wachliegen, und er wird ohne ein Wort verstehen, warum ich zu ihm komme. Es ist uns ein Lager bereitet auf einer Waldlichtung unter einer Zeltplane, in Tommis Schlafsack.
Tonight is the night.
Rachel
Wenn sechzehn um das Feuer stampfen, ist die Kacke voll am Dampfen -
ungewaschen, ungekämmt - viel mampfen und falsch klampfen -
Sechzehn super Gyrlies (Sorry, Tommi) unterwegs im Kreis -
sag ich doch, da dampft er aber voll, der ganze Scheiß!
Durch das Gras und durch die Asche, über Bänk und über Stämm
sechzehn super Gyrlz bei hundertsechzig BPM!
Der Holzstoß macht die Breakbeats nach, mal stockt er und mal wächst er, nie
geraten Gyrlies aus dem Rap und aus der Ekstasy!
Wie die Kühe brüllen und wie die Schweine schwitzen -
Die alten Leut zu Haus derweil, verstaubt, verknöchert, sitzen
im Fernsehsessel rum und bestenfalls noch unter Palmen
auf Mallorca, und wir suhlen uns in Schlammkuhlen - und wir qualmen
und stinken wie die Urviecher aus sämtlichen Poren,
und waschen uns die Füße nicht, den Hals und nicht die Ohren,
was die Spießer dauernd predigen ihren missratnen Kindern
die auf ihren fetten Hintern übersommern, überwintern,
von früh bis spät, von spät bis früh, in ihrem viel zu kurzen
bisschen Leben nirgends anders hin als Sofakissen furzen
und verblöden und versauern - aber wir sind doch die Schlauern
und singen wie Neandertaler und rülpsen wie die Bauern!
AIDS und BSE und PMS, ich krieg die Hosen voll:
verkohlte Rinderwahnsinnssteaks mit Kartoffelpamps und Rosenkohl!
Den halben Tag lang Holz gemacht, das reicht für keine lange Nacht -
aufgepasst, my lovely Gyrlz, die Lagerleitung wacht!
Nutella mit dem Löffel schaufeln und Ice-T saufen,
Purzelbäume schlagen und Bockspringen - und barfuß laufen
und tanzen um die Flammen -
und jetzt alle zusammen:
Das ist der Rap mit dem Groove im Schlepp -
Das hört ein jeder Depp: das ist der Lagerfeuer-Rap!
- Uff. Zweite Strophe: - - -
Waltraud
Unser letzter Abend. Schade. Aber aus den zwei neuen Mädchen bin ich immer noch nicht klüger geworden.
Heute saß Carmen das erste Mal in der ganzen Woche mit uns am Lagerfeuer, und fast schien es ihr zu gefallen. Aber sie kann sehr gehässig sein. Sie verletzt absichtlich, ohne darüber nachzudenken, dass sie anderen Schmerzen zufügt. Soll man sich nun freuen, dass sie sich all die Tage von unserer Geselligkeit ferngehalten hat?
Das hätte nicht sein müssen, dass sie sich über mein Äußeres lustig macht. Dass ich zu mollig bin, weiß ich selbst, meine Nase habe ich mir nicht ausgesucht, und auch meine Pickel stammen vom Herrn.
Seht auch die arme Judith: Lasst sie doch eine "Feministin" sein, wer will darüber rechten, wenn sie ihren von Gott zugedachten Aufgaben nicht nachkommen will? Man darf die eine Garstigkeit nicht mit der anderen vergelten. Richtiggehend böse aber ist, darüber zu spotten, dass wir Christen sind.
Aber so, als ob die Runde nie komplett sein dürfte, sind heute Tommi und Judith schon sehr zeitig schlafen gegangen.
Julia
Unser letzter Abend. Schade. Trotzdem: endlich wieder heim in den Stall zum Braunen, yeah!
Und mal wieder duschen. Mir kleben schon die Zehen zusammen. Wenn wir zu Hause so mit unserem verschwitzten Gestank am Leibe aufkreuzen, ergreifen sogar die Fliegen die Flucht.
Nicht mehr lange, und wir gewöhnen uns an, uns an die Baumstämme zu scheuern und im Rindenmulch zu wälzen wie die Wildsauen, und bilden uns ein, wir sind sauber.
Meine Haare bring ich nie wieder in eine Reihe, so verfilzt, verknotet und voll Kletten und toten Mücken, wie die sind. Und der Sonnenbrand macht einen auch nicht fotogener. Sowas noch eine Woche länger, dann müssen sie daheim ein Reha-Programm für uns erstellen.
Doris
Unser letzter Abend. Schade. Es ist doch noch schöner geworden, als es sich stimmungsmäßig angelassen hat. Jetzt ists an der Zeit, oder was soll noch groß passieren? Nix mehr is' mit Frühaufstehen. Morgen müssen wir alle raus und das Equipment für den Dekan aufbauen, damit der seinen Gottesdienst abzelebrieren kann, und dann nix wie wieder heim zu Muttern. Und ich freu mich ja schon auch auf mein Bettchen.
Wer weiß, ob die Runde nächstes Jahr wieder so zusammengeht. Tommi wird seinen Zivildienst fertig haben, und die Carmen war wohl das erste und das letzte Mal auf Zelten. Und Claudia?
Ja: und ich?
Wollte vielleicht mal trampen gehen mit der Alex, nach Südfrankreich oder Griechenland oder so. Was auf der Welt hat schon Bestand.
Jetzt erst mal gute Saturday Night ( - dass ich nicht lach - ...).
Denn so schön wie's war: "Wer nie fortgeht, kehrt nie heim."
Tommi
Unser letzter Abend. Und da schleppt mich die Judith in mein eigenes Zelt ab. Das hätte mir mal zu meinen besten Zeiten passieren sollen. Der Mann steht mit neunzehn Jahren im Zenit seiner Potenz.
Irgendein Showdown gehörte dieser Woche, die keine war, einfach noch aufgesetzt. Dass mir das noch vollends ein Diszi eintragen wird, ist mir ja wohl klar; und dass Judith ihrem Alter ein Stückchen voraus ist, hab ich ja bereits bewundern dürfen, aber soo...
Judith, lass mich ganz, komm lieber über mich, Judith, nein, nicht da, Judith.
Judith, komm lieg still, ich will ja auch. Judith, mein verwegenes Frettchen, seit wann wusstest du, dass ich...
Ruhig sein, Judith, andre Leute wollen schlafen. Stilliegen, Judith, komm hilf mir mal... hast du? Judith -
Dann gib mal Bussi auf Tommi, lass dich einfach fallen, Judith, schmeiß dich weg, und no famous last words...
Margit
Wo ich mich so auf den Gottesdienst gefreut habe.
Gegen neun Uhr ist der Dekan eingetroffen, um extra für uns die Messe zu lesen. Wir haben einen unserer Bierzelttische als Altar vorbereitet, und ich habe noch einmal meine Gitarre frisch gestimmt.
Als der Dekan gerade mit dem Wortgottesdienst fertig war, hat man plötzlich von weit her ein Motorrad gehört, das sehr schnell immer näher kam.
Jemand hat gesagt: "Kommen denn ausgerechnet jetzt die Hell's Angels zu uns?"
Ich habe nachgedacht, ob das schon Blasphemie ist oder nicht, da platzte aus dem Gebüsch tatsächlich ein großes, schweres Motorrad mitten auf unseren Zeltplatz, ganz schwarz und hässlich und bedrohlich.
Wir standen alle etwas abseits bei der Messe, aber mussten starr vor Schrecken mit zusehen, wie der Motorradfahrer alle unsere Zelte nacheinander niedermähte.
Das war kein Zufall, dass dieser brutale Mensch bei uns vorbeikam, er hielt sich bei jedem Zelt lange genug auf, bis er es umgewälzt, niedergerüttelt und manche sogar ein paarmal überfahren hatte. Im Küchenzelt hat er nur die Einrichtung verwüstet, es ist das einzige, das noch stand.
Seltsam, so plötzlich dieser Einbruch von soviel Lärm, wenn man gerade fast eine ganze Woche kein einziges Motorengeräusch gehört hat. Man beginnt an Dämonen zu glauben.
Zum Schluss blieb er kurz stehen, grüßte höhnisch zu uns herüber und pretschte wieder davon, woher er gekommen war.
Claudia
Ich will Hans heißen, wenn der Rocker nichts mit unser aller Sonnenscheinchen Carmen zu tun hat. Sie tut zwar entrüstet und weit weg, aber ich glaub ihr kein Wort mehr. Ich glaub, ich muss sie ganz schön angebrüllt haben. Das wars wohl zum Thema meiner künftigen kirchlichen Tätigkeit.
Das Schlimmste ist: jetzt kommt auch noch Totschlagverdacht dazu: Tommi ist zum Gottesdienst nicht aus dem Schlafsack gekommen. Vielleicht war er evangelisch. Was weiß ich.
Wir haben ihn in den Trümmern und Fetzen von seinem Zelt gefunden, und das Merkwürdigste: mit Judith neben sich.
Judith stand unter Schock und war übel zugerichtet, der Dekan hat sie sofort splitterfasernackicht, blutend, schreiend und um sich schlagend wie sie war, ins Stadtkrankenhaus gedüst.
Für unsern Tommi haben wir beim nächsten Bauern, Huber Georg heißt er, die Sani und Polente gerufen. Was er mit Judith des Sonntagmorgens fasernackt in seinem Zelt getrieben hat, darf spekuliert werden, aber er hat keinen schönen Anblick mehr geboten - . Ausgerechnet über sein Zelt ist der Rocker ein paarmal drübergebügelt, da musste ihn irgendein Auspufftrumm ganz einfach blöd erwischen.
Ohne ein Wort zu sprechen, haben wir die Zelte, oder was davon übrig war, abgebrochen, die Feuerstelle zugegrast, und zugeschaut, dass wir unser Zeug zum Bahnhof verfrachten.
Ich bin noch dageblieben, bei der Leiche und als Zeuge. Dann wars auch gut, nach so einem Event ein bisschen allein zu sein, ausheulen, und außerdem kann ich der Carmen nicht mehr ins Gesicht schauen.
Dabei hatte ich grade angefangen, Tommi zu mögen. Scheiße. Scheiße. Scheiße...
In the old times the people had no envy, and they would be writing down the stories and the songs for one another. But they are too venomous now to do that. And as to the people in the towns, they don't care for such things now, they are too corrupted with drink.7
Belinda
Den letzten Tag auf See. Wir haben unseren Auftrag erfüllt, aber unseren Steuermann verloren.
Die schwarzen Korsaren haben ihn mit einer vollen Breitseite erwischt und damit der gesamten christlichen Seefahrt ein Leck geschlagen, hols der Klabautermann.
Ich lasse Segel gen Heimat setzen. Auf der nächsten Reise werde ich die Rumrationen kürzer einteilen.
Margit
Ich hätte es wissen müssen: Judith mit dem Haupte des Holofernes! Sie ist inmitten unseres Lagers gelegen, mit dem Leichnam unseres Feldherrn in den Armen.
Aber das würde ja bedeuten, dass wir den gottlosen Assyrern gleichen, und Judith von den Hebräern ausgesandt, uns zu vernichten?
Und dass sie sich mit Ölen gesalbt und ihren Schmuck angelegt hat und mit Tommi eine Buhlschaft eingegangen ist, heißt doch nicht, dass sie ihn tatsächlich umgebracht hat, oder? Das war ja dieser schwarze Racheengel!
Wir sind doch noch eher Gottes Volk als eine verirrte Kommunistin und ein Schnitter, der sinnlos und grausam dreinfährt! Aber darf man wiederum so eitel von sich denken?
Du großer, lieber guter Gott, gib uns Kraft zu verstehen!
Judith
Was mich zu Tommi hingezogen hat, war eine andere Art von Geilheit als die von Carmen.
Jede Frau hat ein Geheimnis; Tommi sollte meines entdecken. Carmen hat sich unter unreife Buben geworfen, um ihres zu übertönen. Entweder ihres ist ein übleres Geheimnis, als ich weiß, oder aber sie ist zu feige.
Ich war geöffnet für mein weibliches Geheimnis, ich war bereit, für Tommi, für eine Liebesnacht, für mein Weiblichstes, dafür, Frau zu werden, Frau zu sein. Ich wollte verschmelzen, ich habe wieder meinem Urzustand entgegengedrängt, wie Plato und Freud postuliert haben, dass alle Wesen tun.
Carmen dagegen strebt noch ins Chaos. Oder rede ich mir das ein?
Mein Leib an seinem, unser Atem ineinander, unsere Bewegung und unsere Seelen eins, wir lagen nach unserer gemeinsamen Nacht, in der Tommi mir mein Geheimnis zeigen sollte, noch beisammen und wollten nur noch ihren "Gottesdienst" schwänzen.
Wenn Tommi zur Kirche rausgegangen wäre, könnte er noch leben - wenn er nicht gerade zum wievielten Mal über und in mir gewesen wäre, dann wär jetzt ich weg vom Schauplatz.
Ohne Vorwarnung beim Vögeln ausgeknipst, eigentlich ist er zu beneiden. Hoffentlich war ihm wenigstens dieser schöne Tod vergönnt. Ab da weiß ich nichts mehr, es geht alles überquer.
Sie haben meine Personalien, also wird mich hier auch das Jugendamt finden. Mögen sie mich haben. Tommi hat mir mein Geheimnis gezeigt, ich weiß, wer ich bin. Sie können mir nichts mehr anhaben.
Obs hier saure Gurken gibt?
...
Sie kommen.
Schwester - !
... sie ernten nicht, und der himmlische Vater ernähret sie doch." - "Typisch: 'Vater'! Scheiß patriarchale Projektionsmuster da. Als Gott den Mann schuf..." - "... übte sie nur, kenn ich, kenn ich. Steht zuverlässig auf jedem Frauenklo." - "Sagt mal: Seit wann gibts überhaupt im Hochsommer Rosenkohl?"
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1 Rat & Hilfe vom Dr.-Sommer-Team; "Sprich Dich aus...". aus: Bravo, Nr. 50/1994, München 8. Dezember 1994, S. 60.
2 Gregory, Lady Augusta: The Kiltartan History Book. Dublin: Maunsel, 1909; London: T. Fisher Unwin, 1926.
3 Freud, Sigmund: Abriß der Psychoanalyse. in: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse und Imago, Band 25, Heft 1, S. 7 - 67, 1940. [Ms. 22.7.1938]
4 s. Anm. 1, Nr. 51/1994, S. 60.
5 s. Anm. 3.
6 s. Anm. 1, Nr. 2/1995, S. 48.
7 s. Anm. 2.
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Tipperary