Alles Gute
Eins
"Entschuldigung?"
"Ja?"
"Ich wollte fragen, ..."
"Ja? Nur zu!"
Sie lächelt nicht, ist nur freundlich interessiert.
"Ich wollte Sie fragen – ob Sie's gerade eilig haben."
"Ob Sie mich einladen dürfen, meinen Sie wohl."
Aha. Eine, die die Sachen auf den Punkt bringt. "Ja, so können Sie's auch sagen."
Sie mustert den jungen Mann vor sich kurz und professionell. Sie ist über das Alter hinaus, in dem man sie ungefragt duzen könnte. Sie ist eine Dame, die ein Anrecht auf Respekt hat. In der Blüte ihrer Jahre, gepflegte Erscheinung, mit einer Art sympathischer Unnahbarkeit am Leib.
Bessere Männer gewöhnt, vielleicht Kinder. Wahrscheinlich nicht studiert, hoffentlich wenigstens von ihrem Arztgatten geschieden. Nichts Überkandideltes.
Der junge Mann steht auf diesen eleganten Typ, traut sich aber selten, ihn anzusprechen, eben weil sie meistens so was Überkandideltes haben. Es ist auch nicht besonders intelligent, wie er es angeht: Natürlich hat sie's nicht eilig, wenn sie im Straßencafé die Cosmo liest.
Er fasst sich also, von ihrem Interesse ermuntert, noch ein zweites Herz: "Darf ich Sie auf was einladen?" und lächelt so gewinnend wie sonst nur, wenn er abends im Bett von seinen verpassten Gelegenheiten träumt.
Sicher muss man etwas vorstellen, wenn man sich mit dieser Dame einlässt. Sie ist immerhin Besseres gewohnt, Waschbrettbäuche und Jahresgehälter und alles. Das Problem erhebt sich, dass sie ja fraglos eine Trophäe darstellt; ob diese Trophäe nun unbedingt nur aus ökonomischen und politischen Gründen zu verleihen ist oder ob auch der Zufall dabei mitspielen kann.
Und das alles in keinen zwei Sekunden.
"In Ordnung", nickt sie schließlich doch. Und noch einmal: "In Ordnung! Sehr gerne."
Und stellt sich vor: "Doris."
Der Mann ergreift die Hand. "Christoph", sagt er.
"Schöner Name", sagt sie. Und lächelt jetzt doch. Sogar richtig entwaffnend.
Sie schütteln sich die Hände wie nach einem gelungenen Geschäftsabschluss.
"Wo gehen wir hin?"
Nach kurzem Wortwechsel kramt Doris in ihrer Handtasche nach einem Geldbeutel, zieht einen kleinen Schein heraus und klemmt ihn unter ihre Untertasse. Die Cosmo wird Extra-Trinkgeld. Es ist klar, dass eigentlich sie ihn einladen muss, nicht andersrum.
"Das sollte reichen", sagt sie, steht auf und kommt mit.
Zwei
Sie lassen sich Zeit beim Schlendern. Irgendwann hat Doris mit der größten Selbstverständlichkeit Christophs Hand genommen. Dass er mit ihr Händchen hält, nimmt er erst wahr, als er sich ein paar Haare aus der Stirn streichen will. Es ist nicht weiter darüber gesprochen worden, wo sie hingehen wollen. Irgendwann wird Christoph klar, dass sie auf dem Weg zu ihr nach Hause sind.
Sie unterhalten sich über ihre ungeliebten Vornamen und ein paar Schaufensterauslagen. Doris stoppt vor einem Blumenladen, Christoph vor einem Schnapsladen.
"Brauchen Sie das Zeug?" fragt Doris und zeigt abschätzig mit dem Kinn auf die Batterien von Flaschen mit Whisky und Likör.
Christoph verlässt das Blumenfenster: "Och, was heißt brauchen."
"Unfug. Keine Not, mich betrunken zu machen", sagt Doris und zieht Christoph weiter. Er schluckt.
Drei
Sie nähern sich einem Stadtviertel, das unbedingt so aussieht, als müsste Doris hier wohnen. Die Straßen riechen nach ihr. Als sie Hand in Hand an einer Ampel warten, blickt sie zu Christoph auf. Fragend blickt er zurück. Da ruckt sie ihn am Arm, damit er sich ihr zuneigt, und küsst ihn mitten auf den Mund.
"Wir sind gleich da", sagt sie.
Vier
In irgendeinem dritten Stock sagt sie: "Sie wissen, wo das Bad ist." Und seltsamerweise hat sie Recht. Er kennt sich aus in Doris’ Wohnung, weiß, wo die Toilette ist, hätte sich zur Not auch mit der Kaffeemaschine ausgekannt. Er ist kein bisschen verwundert über die Wasserhähne in Marienkäferform, auch nicht über die Stehlampe mit Troddeln im Wohnzimmer, Bilder mit Goldrahmen. Eine fast schon erschreckend normale Mietswohnung, über der eine weibliche Hand waltet. Erstaunlich flauschige Handtücher. Christoph macht sich frisch. Als er Doris sucht, steht sie allein im Schlafzimmer und knöpft sich mit beiden Armen hinter dem Rücken den BH auf.
"Ich muss auch", sagt sie, "machen Sie sich gerne was zu trinken." Christoph verzichtet und hört Doris zu, wie sie im Bad plätschert.
Jetzt hat er Doris zum ersten Mal halbnackt gesehen, keine Stunde, nachdem er sie kennengelernt hat. Alles an ihr erinnert an vollreifes Obst. Für eine Frau ist sie sehr schnell im Bad fertig. Sie kommt in einen weißen Frottee-Bademantel gewickelt zurück, warm und frisch nach sowas wie Mangos duftend.
"Und jetzt machen wir's uns bequem", schnauft sie und schiebt Christoph mit dem Hintern zur Seite. Christoph hat sich ganz selbstverständlich ins Bett gelegt, die Arme hinter dem Kopf, und macht ihr entschuldigend Platz.
Doris legt ihm ein schweres Bein über die seinen, packt seinen Kopf am Ohr und küsst ihn zum zweiten Mal. Diesmal mit Zunge. Christoph erwidert ihren Kuss und wickelt ihr den Bademantel auf, spürt darunter ihren nackten Körper, frisch geduscht. Sie packt ihn an der Schulter und wälzt Christoph über sich. Sie legt sich auf den Rücken und öffnet ihre Schenkel. Es duftet.
Es ist ein sehr selbstbewusster Körper, den Doris ihm da wie eine volle Tüte Tomaten anbietet. Ein Körper, der weiß, was er wert ist, der weiß, was er sich zutrauen kann und was nicht. Er wird keine tantrischen Höhen erreichen, sich aber nicht ohne sein Kontingent an Orgasmen zufrieden geben.
Dunkelroter Nagellack, stellt Christoph fest, als er zwischen ihre Beine klettert. Typisch Vierzigjährige. Tatsächlich ist alles an ihr reif wie der Spätsommer. Ihre Brüste sind Melonen, ihr Mund eine rote Pflaume, nicht einmal ganz leichte Orangenhaut fehlt. Sie hat mehr Mütterliches von der Erde als etwas von einer flatterhaften Gespielin. Hier wird er bleiben oder gehen. Christoph beginnt sich geil zu fühlen.
Fünf
Doris beginnt mit Christoph zu kuscheln und küsst ihn an den notwendigen Stellen, fasst nach seinem Schwanz, um zu sehen, ob er schon soweit ist. Nein, er kann nicht. Doris registriert es wortlos und legt resolut Hand an, fasst ihn an der Wurzel und schiebt und saugt an seinem Schwanz, der eigentlich nicht für solche Aktionen vorbereitet ist.
Christoph fühlt sich unversehens zurückversetzt zu seinem ersten Mal, das noch gar nicht so lange her ist. Als er auch nicht konnte, und auch diesmal ist es ein erstes Mal. Seine Erste war längst nicht halb so alt wie Doris, er will sie eigentlich nicht mit ihr vergleichen. Sie wirkte eher wie die junge Kate Moss oder Sailor Moon, eben sehr jung und schwebend, und so unerfahren. So filigran wie Lolita, denkt Christoph, während Doris zieht und drückt und zieht und drückt, eigentlich das glatte Gegenteil von Doris.
Plötzlich lächeln sie einander an, und dann kann er.
Sechs
Als Christoph in Doris eindringt, ist es, als ob etwas Stumpfes in eine reife Zitrusfrucht gebohrt wird. Sie lässt sich unwillkürlich die Hüften davon anheben. Er hört sogar Saft auf seine Schenkel und das Bettlaken spritzen. Doris lacht auf. Es klingt beglückt. Es ist heiß in Doris, die Hitze heißt ihn willkommen.
"Mein kleiner Liebhaber", strahlt sie Christoph an und streichelt ihm über den Hinterkopf. Er will nicht darüber nachdenken und fängt an, sie zu lieben.
Doris tut alles, was er von einer guten Liebhaberin von Mitte Vierzig erwartet. Sie bestimmt mit den Händen seinen Rhythmus, geht mit dem ganzen Leib mit, gelegentlich schließt sie weggetreten die Augen und entlässt ein weiches "Ah!" durch die Zähne. Sie ist warm und weich, eine Fülle an Frau, der Sex macht ihr sichtlich Spaß. Christoph versucht nicht zu schnell zu kommen, weil er sie nicht enttäuschen will. Vollweib, denkt Christoph.
Ihre Brustwarzen sind fast so rot wie ihr Lippenstift, den sie nicht abgenommen hat; spätreife Kirschen. Er beobachtet, während er sie liebt, das Federn ihrer Brüste. Bei jedem Stoß geht eine Welle durch sie. Er beobachtet, wie sie mit dem wechselnden Rhythmus unterschiedlich herumhüpfen und wogen. Das ist etwas, das Doris nicht über ihren Körper weiß, nur ihre Männer. Er genießt die Frau.
Sieben
Nach vielleicht zehn Minuten in Doris tippt sie Christoph auf die Schulter. "Bitte warten Sie mal", sagt sie. Was ist jetzt – will sie sich vielleicht die Nase nachpudern? Da drückt sie Christoph mit einer Muskelanspannung ganz flüssig aus ihrer Scheide und ruft in die Wohnung: "Was ist denn, Schatz?"
Schatz? Seit wann duzen sie sich?
Da sieht auch Christoph durch die Schlafzimmertür ein kleines Mädchen stehen. Was heißt kleines Mädchen, das Gör ist mindestens zwölf.
"Ich bin jetzt da, Mama!"
Christoph fährt zusammen, hüpft von Doris herunter und ist eigentlich gar nicht anwesend.
"Bin zu Hause, Mama", atmet das Gör noch einmal auf, jetzt näher. Sie lässt zwar im Korridor einen Schulranzen fallen, macht aber keine Anstalten zu verschwinden.
"Das seh ich!" sagt Doris streng, "und können wir jetzt hier vielleicht...?"
"Was denn, Mama?" Das Gör stellt sich jetzt erst richtig ins Schlafzimmer.
"Herrschaften, wir machen grade Liebe!" bellt Mama. "Und tu nicht, als ob du das nicht wüsstest!"
Die Tochter nickt verständnisvoll und steht da, gerade dass sie nicht am Daumen lutscht. Sie legt es drauf an, denkt Christoph und verschwindet geistig in einem Maulwurfsloch.
Die Tochter lässt das nicht gelten und schaut Christoph in die Augen. "Wollen Sie meine Mutter denn jetzt heiraten?" fragt sie. Christoph wünscht sich ganz schnell sein Pfadfinderhandbuch, was man in solchen Fällen zu tun hat.
"Ich wollte sie nur auf was einladen", sagt er irgendwann.
Sie kontert: "Warum?"
Ja, warum. Kinder fragen ja immer, warum.
"Ich... ich hab heut Geburtstag", bringt Christoph hervor.
Die Tochter ist gar nicht mal so unsympathisch, je länger sie glotzt. So eine, die alles genau so wie ihre Mutter machen muss. Die alles haben will, was ihre Mutter auch hat. In sehr wenigen Jahren wird sie ein ausgewachsenes Muttertier sein. Eine Lolita ist sie schon.
Christoph bleibt nichts anderes übrig, als sie von oben bis unten anzuäugeln. In seinem Bad von Verlegenheit sieht er, dass sie den Nagellack ihrer Mutter benutzt, weil sie so altjüngferliche Sandalen anhat, weiße und orthopädisch ratsame. O Gott, auch noch Zahnspange.
"Echt?" strahlt die Tochter jetzt plötzlich, “heute Geburtstag?“ – Doris schaut ihn argwöhnisch von der Seite an: "Ist das wahr?"
"Naja..." blökt Christoph, um sich vor der Tochter nicht zu blamieren.
Doris schubst Christoph mit beiden Armen so fest von der Bettkante, dass er fast auf den Bettvorleger fällt, und besteht plötzlich ganz aus Kürbissen. "Sie sind Stier?!" entrüstet sie sich. "Tut mir Leid, ich kann nicht mit Stieren!"
Das tut Christoph auch Leid. Er steht fasernackend im Schlafzimmer, das Gör strahlt ihn immer noch an. Nicht in die Augen.
"Ich bin Zwilling!" freut sie sich, während die Mutter Christophs Sachen aufsammeln hilft. "Der Mann ist Stier", zischt sie. „Und Nürnberger auch noch!“ – Aha, das hat sie gehört.
Beim Türmen sieht Christoph noch die Tochter vor Freude um ihren Schulranzen auf und ab hüpfen. Spätestens bei den zwei Zahnbürsten im Bad hätte Christoph stutzig werden sollen.
"Wohnen Sie immer noch in Nürnberg?" hört er die Tochter noch krähen, als die Tür schon ins Schloss bumst.
Astrologie ist der Schatten der Sterne auf den Hirnen der Mädchen. Der großen und der kleinen.
Land gewinnen