Voraus ein Hinweis: Nach dem chinesischen Verständnis sind alle Dinge, auch Qi, Shen, Yi und Jing, Aspekte eines Ganzen, eines Seins, welches ein Organismus ist.

QI

Was ist nun dieses phänomenale Qi von dem alle sprechen, welches so ungeheure Kräfte in sich birgt? Die Übersetzung des Wortes könnte vieles bedeuten: Luft, Atem, Wind etc.. Deutlich wird hier zumindest, daß es etwas Feinstoffliches ist und nicht Materielles, Greifbares. Konkreter sind Übersetzungen wie Lebenskraft, Lebensenergie oder Vitalkraft und eine der treffendsten Worte, die ich gehört habe war "Mumm". Diese feinstoffliche Energie ist jedoch erst einmal gar nichts besonderes sondern vielmehr etwas ganz Natürliches. Alles Lebende ist duchflutet von Qi, ja sein Sein bedingt die Gegenwart von Qi. So vielfältig das Sein nun ist, so vielfältig sind auch die verschiedenen Arten des Qi. Unzählbar. Eine Hilfe kann uns hierbei sein - und so wird dies auch in China gehandhabt - die verschiedenen Qi-Arten in ihrer Wirkungsweise zu kategorisieren (und dies trifft auch eher das chinesische Verständnis von Begrifflichkeiten: In der chinesischen Denkweise ist das Wesentliche, was es macht und womit es zusammenhängt, im Gegensatz zum westlichen analytischen Denken, in welchem eher danach gefragt wird, was es ist): So unterscheidet man z.B. das Qi der Organe (zhang fu zhi qi) und das Qi der Leitbahnen/Meridiane (jing luo zhi qi). Weiterhin aber auch Nahrungs-Qi (ying qi), die Energie, welche der Körper aus der aufgenommenen Nahrung entzieht (weshalb auch unsere Ernährung wichtig ist, denn je frischer unsere Nahrung ist, umso mehr Qi enthält sie), das Abwehr-Qi (wei qi), in unseren Breiten Immunsystem genannt und das Atmungs-Qi (zong qi), das Qi, welches wir zusammen mit dem Atem "aus der Luft" aufnehmen (hierbei sei daran erinnert, daß unsere Haut auch ein Atmungsorgan ist). Soweit die gröbste Unterscheidung. Darüber hinaus gibt es ebenso das Qi einer Landschaft, eines Baumes, eines Hauses (man denke an feng shui), wie auch das Qi, welches ein Kind beim Anblick seiner Mutter spürt. Soweit die Kathegorisierung. Was ist hier nun im Taiji von Bedeutung? Es ist das aufgenommene/aufzunehmende Qi (respektive Energieaufnahme während des Übens durch die Atmung), das Organ-Qi und das Leitbahn-Qi.(respektive energetische Steuerung während des Übens).

Alle guten Kungfu-Systeme verfügen über ein Qi Gong (Arbeiten mit Qi), doch verwenden die "Äußeren" harten Stile (z.B. Shaolin und Derivate) den Focus auf wei gung, welches abwehrenden, schützenden Charakter hat, währenddessen innere Stile wie das Taijiquan den Schwerpunkt auf das nei gung, die innere Arbeit mit dem Qi, legen.

JING

Das Wort jing hat je nach (chinesischer) Schreibweise verschiedene Bedeutungen und führt so gerne zu zahlreichen Mißverständnissen.

In der TCM steht ein jing im Vordergrund, welches zumeist mit "Essenz" übersetzt wird. Hier ist es das, was verändert, wandelt, entwickelt. Eine meiner persönlichen Übersetzungen für jing ist "Möglichkeiten" und beinhaltet damit den yin-Aspekt von jing, denn jing ist - im Gegensatz zu qi - yin. Qi, welches untrennbar mit jing verbunden ist, ist der Aspekt der Bewegung, jing der Aspekt der Wandlung. Alleine diese Zusammenhänge sind Nährstoff für viele Meditationen zu diesem Thema, z.B. die Tatsache, das Wandlung yin ist, bringt uns dem Verständnis des daoistischen Prinzips wu wei wu, des Handelns ohne zu Handeln, näher.

Noch ein Hinweis auf die Verbindung zwischen qi und jing: Es reicht nicht, allein qi zu sammeln und der Dinge zu harren, die da kommen mögen. Um ein Bild zu gebrauchen: qi ist der Treibstoff, jing sind die PS des Wagens. Nun braucht der Wagen nur noch einen Fahrer und der heißt shen - aber dazu später.

Im Taijiquan gibt es aber auch das jin, welches man mit innerer Kraft übersetzen könnte. Jin steht im Gegensatz zu li, welches äußere Muskelkraft ist. Jin wird entwickelt durch kreisförmige Wechsel und äußert sich auch kreisförmig, während die Aktion von li immer linear ist (was wiederum zu Meditationen über lineares und nichtlineares Denken inspiriert). Eine Anregung noch für die Praxis: Man selbst kann das eigene qi spüren, ebenso das li, jedoch nicht das jin. Jin wird vielmehr vom Gegner/Übungspartner wahrgenommen.

Und da gibt es noch weitere jing im Taijiquan, häufig verwandt und in gewisser relation zum TCM-jing stehend. Diese jing könnte man mit "Fähigkeiten" oder "Effekte" übersetzen. So gibt es z.B. das ting jing, das "Lauschen" mit dem Körper. Wenn wir gutes ting jing haben können wir durch leichte Berührung des Gegners/Partners spüren/"hören", was er macht, machen will, wohin seine Kraft geht.

Dann gibt es das nien jing, das klebende jing. Haben wir gutes nien jing, so können wir jeder Bewegung des Partners folgen und jede seiner Aktionen immobilisieren. Ein Beispiel hierfür sei die Geschichte von Yang Chengfu, der einen Vogel auf seiner Hand am Fortfliegen hinderte, indem er jeder seiner Bewegungen sofort nachgab und ihm so das Sich-Abstoßen unmöglich machte.

Ein weiteres jing ist das fa jing. Fa jing ist das plötzliche Sich-entfalten-lassen von Energie, welches da sichbar wird, wo der Gegner - wie von einer Stahlfeder abgeschossen - in weitem Bogen abprallt oder zurückgeworfen wird.

Manche listen die jing auf acht Basis-jing, andere sprechen von unzähhligen jing und ich tendiere zu letzterem, da alle jing miteinander kombinierbar sind.

SHEN

Jetzt wird es einfacher zu verstehen. Wie oben erwähnt braucht dieses Fahrzeug natürlich einen Fahrer und der heißt shen - d.h. Geist. Nun bedeutet es aber nicht nur Geist im herkömmlichen Sinne, welcher den Geist auf das Denken reduziert. Shen beinhaltet jeglichen Aspekt des Geistes und seiner (häufig latenten) Fähigkeiten.

Wenn man im Westen von Geist spricht denkt man an den Kopf. In der chinesischen Lehre ist der Sitz des shen im Herzen und es ist darüber hinaus möglich, shen im kleinen Zeh zu haben. Shen bedeutet also nicht allein Hirnmasse.

YI

YI ist ein Aspekt von shen und beide sind ähnlich miteinander verbunden wie qi und jing. Shen ist yin und yi ist yang. Yi ist z.B. der Mittler zwischen Idee (shen) und körperlicher Handlung (li) und dennoch ist es mehr als ein Nervimpuls. Übersetzungen für yi sind Wille, barer Gedanke, geistiger Impuls, Intention. Aspekte des yi im Taijiquan sind z.B. die Aufnahme von qi mit der Atmung (was nicht wie oft propagiert, weder von alleine geschieht, noch ein und dasselbe ist), oder das qi zum Tantian sinken lassen. Dies hilft uns, yi auch als "gelenktes Bewußtsein" verstehen zu können.

Natürlich sind diese Erklärungen nicht erschöpfend. Vielmehr sollen sie - um es in der Sprache des Chan/Zen zu formulieren - mit dem Finger auf den Berg weisen. Den Weg zum Verständnis muß jeder selbst für sich zurücklegen.

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