Am Mittwoch stand Christian um Punkt 18
Uhr vor dem Jugendheim. Viele Jugendlich standen ebenfalls vor dem Gebäude
und beäugten ihn mißtrauisch. Da kam zu Christians Erleichterung
auch schon Martin, der sagte: „Hallo, schön, daß sie jetzt auch
da sind! Los, Leute, wir müssen!“ Er lotste die 15 Jugendlichen ihn
die zwei Vans. „Wir haben nur noch 45 Minuten, um nach Wolfsburg und ins
Planetarium zu kommen.“ Sagte er noch zu Christian. „Soll ich vorfahren
oder wollen sie?“ „Was?“ Christian hatte ihm gar nicht zugehört. Er
hatte ihn nur fasziniert angesehen. „Ob ich vorfahren soll!“ wiederholte
Martin. „Ja, ja, machen sie mal.“ „Gut, dann los!“ Die beiden stiegen in
die Busse und düsten los. Sie hatten Glück, daß wenig Verkehr
war und kamen deshalb pünktlich im Planetarium an. Die Vorführung
an dem Tag befaßte sich mit Sternzeichen. Alle Jugendlichen waren
sehr interessiert und verhielten sich anständig. Deshalb machte Martin
nach der Vorstellung einen Vorschlag: „Wie wäre es, wenn wir noch
zu Mc Donalds fahren?“ fragte er. Allgemeine Begeisterung für seinen
Vorschlag schlug ihm entgegen. „Sie haben doch nichts dagegen?“ wandte
er sich noch an Christian. „Natürlich nicht!“ erwiderte er. Christian
konnte sich einfach nicht gegen den Charme des jungen Mannes zur Wehr setzen.
Sowas war ihm noch nie passiert! Martin war wohl eben etwas ganz besonders.
„Hier oder in Braunschweig?“ „Hier.“ Meinte Christian einfach ohne Überlegung.
„Gut, also dann, ab dafür!“ Ein halbe Stunde später saßen
alle mampfend und glücklich bei Mc Donalds herum. Christian hatte
sich einen schönen Ecktisch gesucht und hielt nun nach Martin Ausschau.
Nach einer Weile kam dieser auch mit einem Tablett an den Tisch. „Hier,
ich habe ihnen etwas mitgebracht, ich hoffe, sie mögen es.“ Martin
stellte Christian einen Doppelcheeseburger, eine große Tüte
Pommes Frites und eine Cola hin. „Weil sie so nett waren, und mir geholfen
haben.“ „Ist doch nicht der Rede wert.“ Meinte Christian daraufhin. „Danke
dafür.“ Die beiden aßen so vor sich hin, bis Martin fragte:
„Darf ich ihnen mal eine Frage stellen?“ „Sicher, nur zu.“ Christian schlürfte
seine Cola. „Ich hoffe, sie denken jetzt nicht, ich spinne, aber ich möchte
wissen, wie sie den Typen dahinten finden.“ Diskret deutete Martin auf
einen gutaussehenden Mann, der am Tisch gegenüber saß. „Ich
würde sie ja nicht fragen, ich weiß ja, daß sie verheiratet
sind und sich nicht für Männer interessieren und so weiter, aber
ich möchte ihre Meinung wissen.“ Christian sah Martin erstaunt an.
War er etwa an diesem Kerl interessiert? Er sah vorsichtig zu dem anderen
Tisch hinüber. Na gut, er sah verhältnismäßig gut
aus, aber war das denn alles? Aber warum fand er das so ungewöhnlich
und irgendwie nicht besonders gut, daß Martin ihn fragte, wie er
einen anderen Mann fand. Es war alles sehr verwirrend. „Nun...Er...ist
mir nicht so sympathisch.“ Sagte er. Hatte er das wirklich gesagt? Dieser
Mann sah doch ganz nett aus? Oder war es möglich, daß Christian
nicht wollte, daß Martin diesen Typen gut fand, weil er... Schnell
schob Christian diesen Gedanken beiseite, wie immer. „Ja? Finden sie?“
wollte Martin irgendwie enttäuscht wissen. „Naja, ich -“ „War ja auch
‘ne blöde Frage, entschuldigen sie bitte.“ „Nein, nein, ist schon
in Ordnung.“ Dieser Gedanke war einfach nicht immer beiseite zu schieben!
Christian sah einmal den Tatsachen ins Auge: Er fand Martin sehr nett,
mehr sogar. Mehr konnte er sich noch nicht eingestehen. „Nein, wirklich,
ich hätte sie nicht fragen sollen.“ Meinte Martin. „Lassen sie uns
fahren, ihre Frau wartet sicher schon auf sie.“ Wie kam Martin gerade auf
seine Frau? Er dachte wohl, Christian wäre mit den Gedanken immer
nur bei ihr und seinem reizenden Sohn. Aber falsch gedacht! „Gut, fahren
wir.“ Sagte Christian nichtsdestotrotz. Also kutschierten die beiden die
Jugendlichen wieder zurück. Während der Fahrt nach Braunschweig
dachte Christian wieder über einiges nach. Er mußte seine Gefühle
erst mal ordnen, was gar nicht so leicht war.
Was bedeutete Martin für ihn, dieser
junge Mann, den er doch erst vor etwas über einer Woche kennengelernt
hatte? Er mochte ihn, soviel war klar. Aber was weiter? Das war nicht alles,
soviel war sicher. Der Gedanke, daß Martin ihm mehr von Wichtigkeit
war als ein normaler Freund? So etwas war ihm vorher noch nie passiert,
nicht bei einem Mann. Aber was war so ungewöhnlich daran. Christian
fiel ein Sprichwort ein: „Wo die Liebe hinfällt“ Liebe? Nein, konnte
das denn sein?
Nachdem alle Jugendlichen sich auf den
Heimweg gemacht hatten, kam Martin zu Christian. „Sind sie zu Fuß
gekommen? Ich bringe sie gerne nach Hause, mein Kumpel wird sich den Van
sowieso erst morgen abholen.“ „Ja, das wäre sehr nett.“ Stimmte Christian
zu. Die beiden stiegen also wieder in den Van und Martin fuhr bis zu Christian
nach Hause. „So, da wären wir.“ sagte er. „Ja...“ Christian überlegte
kurz, dann fragte er: „Wollen sie nicht noch kurz mit hoch kommen?“ Martin
sah Christian prüfend an. „Ja, warum eigentlich nicht.“ Sagte er dann,
ohne genau darüber nachzudenken, warum. Sie stiegen aus und gingen
zum Haus. Christian schloß die Haustür auf und trat ein. „Anne?“
Er machte das Licht an und betrat das Wohnzimmer. „Sie scheint nicht da
zu sein.“ Meinte Martin, der auch im Wohnzimmer stand. „Ja, scheint so.“
Christian stand eine Weile unentschlossen da. „Ach ja, wollen sie irgend
etwas trinken? Ein Glas Wein, irgend etwas?“ fragte er dann. „Nein, danke.“
Nein, danke. Was jetzt? „Dann...setzen sie sich doch wenigstens.“ „OK.“
Martin nahm auf dem Sofa Platz. „Kann...kann ich mit ihnen reden?“ wollte
Christian zaghaft wissen. „Sicher, worüber denn?“ Jetzt hatte er den
Salat. Worüber denn? Er mußte jetzt die Karten auf den Tisch
legen, ohne sie sich sozusagen vorher genau angesehen zu haben. Doch seine
Gefühle waren stärker als sein Verstand, der immer noch nicht
so ganz verstehen wollte, was Sache war. Er faßte sich dennoch ein
Herz. Doch zuerst mußte er sich setzen, falls er mittendrin ohnmächtig
wurde oder sowas. Also setzte er sich neben Martin. „Ich...muß ihnen
etwas sagen...“ „Dann sagen sie es doch.“ Ermunterte Martin ihn. „Das...ist
nicht so leicht...“ Christian suchte nach den passenden Worten. „Gut, ich
habe mich in sie...verliebt.“ Martins Augen weiteten sich. „Was?“ „Ja,
ich kann es nicht anders erklären, ich habe mich in sie verliebt.“
Wenigstens war es jetzt heraus. „Ich...sie müssen sich irren. Denken
sie mal nach, sie haben eine tolle Frau, einen Sohn, alles. Sie müssen
sich irren.“ Martin schüttelte beständig den Kopf. „Sie können
mir nicht sagen, wie meine Gefühle sind, ich kann doch auch nichts
dafür.“ Meinte Christian hilflos. Martin sah ihn eine Zeitlang schweigend
an. „Und was denken sie sich jetzt?“ Christian wollte etwas sagen, doch
Martin kam ihm zuvor. „Hören sie zu, sie sind verheiratet und haben
ein Kind, was denken sie, was sie damit erreichen, wenn sie mir das sagen?
Es bringt ihnen doch sozusagen gar nichts. Ich weiß es jetzt, na
und? Sie müssen ihr Leben so weiterleben wie vorher und ich meines
auch oder wie hatten sie sich das vorgestellt?“ Christian zuckte nur kraftlos
mit den Schultern. „Ach, ich verstehe, sie haben wahrscheinlich gar nicht
darüber nachgedacht. Sie haben, wie man so schön sagt, auf ihr
Herz gehört. Na toll.“ Martin sah an die Decke. „Ich...weiß
ja auch nicht, was ich jetzt tun soll -“ setzte Christian an. „Sie haben
doch nur eine Wahl!“ unterbrach Martin ihn. „Vergessen sie mich und leben
sie ihr Leben weiter.“ Martin stand auf. „Ich werde jetzt gehen.“ „Nein!
Geh nich, bitte...“ Christian sprang auf und hielt ihn am Arm fest. „Doch,
ich werde gehen.“ Martin schüttelte Christian leicht ab und drehte
sich um, doch Christian riß ihn am Ärmel herum und zog ihn an
sich. Und ohne nachzudenken, küßte er Martin, da er keine andere
Möglichkeit sah, ihn am Gehen zu hindern. Plötzlich knackte es
im Schloß der Haustür. Martin stieß Christian von sich
und sah ihn empört an. Da trat auch schon Anne Spatz in das Zimmer.
„Ihr seid wieder da? Hallo Martin!“
„Hallo.“ Sagte Martin nur, während
er Christian weiter wütend ansah. „Ich muß jetzt auch gehen.“
Fügte er hinzu, kälter als ein Gletscher es je sein könnte.
„Warte...warten sie, ich bringe sie noch zur Tür.“ sagte Christian
schnell. „Ich finde den Weg schon alleine.“ Martin funkelte Christian mit
seinen dunklen Augen an. „Auf Wiedersehen, Anne.“ Mit diesen Worten verließ
Martin das Zimmer. „Auf Wiedersehen, Martin?!“ Anne sah ihm verwundert
nach. „Was ist denn mit dem los?“ Diese Frage hatte sie an ihren Mann gerichtet,
doch der war bereits im Schlafzimmer verschwunden.
In der folgenden Nacht konnte Christian
nicht schlafen. Erstens weil er dauernd daran denken mußte, was Martin
jetzt wohl von ihm halten würde. Eins war sicher, er war sauer. Zweitens
hatte er irgendwie ein schlechtes Gewissen Anne gegenüber, einmal
wegen des Kusses und zum anderen wegen seinen Gefühlen. Und drittens
war er völlig verwirrt, was seine Gefühle betraf. Eigentlich
waren es doch eher seine Gedanken über Moral, Anstand und so weiter,
die ihm diese schlaflose Nacht bereiteten. Er mußte dennoch immer
wieder an den Kuß denken, der zwar erzwungen, aber trotzdem...schön
gewesen war. Das Martin sich so gesträubt hatte, hatte die Sache nur
noch interessanter gemacht. Martin wußte wohl einfach nicht, was
er für eine Anziehung auf ihn auswirkte. Aber trotzdem war es falsch!
Wieder wälzte sich Christian herum. Er war ein verheirateter Mann
mit Kind und heterosexuell noch dazu! Das hatte er jedenfalls bis vor einigen
Stunden noch gedacht. Aber gefühlt hatte er etwas ganz anderes. Da
war sie wieder, diese Sache mit Verstand und Gefühl. Wer von den beiden
würde den Kampf gewinnen? Christians Verstand sagte ihm, daß
es falsch war, aber die Gefühle waren an diesem Abend einfach stärker
gewesen. Und die sagten ihm immer fort: Nimm ihn dir, du willst ihn doch!
Christian zog die Augenbrauen zusammen. Er wurde auch das Gedanken nicht
los, daß er nichts als ein schäbiger Lügner war.
Am nächsten Morgen fand Christian
nur schwer aus dem Bett. Es war einer der Tage, an dem man besser in der
Falle bleibt, dachte er noch. Außerdem hatte er Kopfschmerzen, vom
vielen nachdenken. Und dabei war noch nicht einmal viel herausgekommen.
Nur, daß er Martin unbedingt wiedersehen wollte, trotz seiner Gewissensbisse.
Nur wie sollte er an ihn herankommen? Martins Reaktion von gestern war
ziemlich eindeutig gewesen. Aber vielleicht mochte er es nur nicht, überrumpelt
zu werden. Christian grübelte also, wie er sich ihm wieder annähern
konnte, denn das wollte er unbedingt. Er kam zu dem Schluß, daß
die Flucht nach vorn die beste Möglichkeit war. Er mußte ihn
in seiner Wohnung aufsuchen. Dies tat er auch, nachdem er einmal im Gemeindehaus
vorbeigeschaut hatte. Denn trotz seiner Probleme, gab es noch seine Arbeit.
Und bald hatte er wieder die Aufgabe, die Vorkonfirmanden zu unterrichten,
obwohl ihm im Moment gar nicht danach zumute war. Martin war ihm wichtiger.
Und deswegen stand er auch am frühen Nachmittag mit Herzklopfen vor
Martins Wohnungstür und wartete, daß Martin auf sein Klingeln
reagierte. Nach einer Weile öffnete Martin die Tür und sah Christian.
Sein Gesichtsausdruck wurde starr. „Was wollen sie?“ „Mit dir reden.“ Sagte
Christian, so wie er es ja auch vorhatte. „Ich wüßte nicht,
worüber wir zu reden hätten.“ Martin wollte die Tür schließen,
doch Christian drückte gegen sie. „Bitte.“ Er sah Martin in die Augen.
Martin erwiderte kurz den Blick. Dann hielt er die Tür auf. „Danke.“
Christian ging an Martin vorbei in die Wohnung. Martin starrte kurz auf
den Flur vor seiner Wohnungstür, bevor er die Tür schloß.
„Darf ich mich setzen?“ fragte Christian. Martin antwortete mit einem bejahenden
Achselzucken. Christian nahm in einem Sessel Platz. Er sah sich in der
Wohnung um. Sie war modern, aber dennoch gemütlich eingerichtet. Er
fühlte sich in ihr geborgen und irgendwie...sicher.
„Schöne Wohnung hast du.“ Sagte
er deswegen. „Ich glaube nicht, daß sie hier sind, um mit mir über
meine Wohnung zu reden.“ Sagte Martin steif, immer noch ausdrücklich
mit dem ‘Sie’ in der Anrede. „Nein, du...sie haben recht.“ Christian räusperte
sich. „Ich...ich wollte mich wegen gestern entschuldigen.“ Martin zog die
Augenbrauen hoch. „Ist das alles?“ „Nein, ...natürlich nicht.“ Christian
sah zu Boden, dann wieder in Martins Augen. „Ich...wollte dich wiedersehen.“
Martin schlug die Augenlider nieder, ohne etwas zu erwidern. „Das...habe
ich mir gedacht.“ Sagte er dann doch. Er gewährte Christian wieder
einen Blick in seine dunklen Augen. „Und das stört dich...sie nicht?“
„Jetzt können wir uns auch duzen.“ Meinte Martin. „Wen sollte es stören?
Ich meine, sieh doch:“ Martin kam zu Christian, hob dessen Hand und berührte
den Ehering an seinem Ringfinger. „Du siehst es doch?“ Christian nickte.
Es kribbelte in seinem Körper ob Martins Berührung. „Was denkst
du, würde deine Frau dazu sagen?“ Christian hob die Schultern. „Sie
wäre nicht begeistert.“ Erst jetzt ließ Martin Christians Hand
wieder langsam los. „Das von gestern war wirklich dumm von dir. Du hast
wie immer nicht nachgedacht.“ „Aber ich mußte es tun!“ entwich es
Christian. „Ich wollte nicht, daß du gehst.“ „Und, hat es dir etwas
gebracht? Nein.“ Martin lächelte. „Doch.“ Sagte Christian fest. „Ich...habe
dich gespürt.“ Martin sah Christian in die blauen Augen. „Es...ist
besser, wenn du jetzt gehst.“ Sagte er, nachdem er verstanden hatte, was
Christians Blick aussagte. „Das willst du nicht, oder?“ Christian sah zu
Martin hoch, der vor ihm stand. „Ich habe keine Wahl.“ Meinte Martin. „Also
bitte...“ Er stockte, sein Blick fiel auf Christians Hand, die seine faßte.
„Geh jetzt...“ Sein Atem ging schneller. „Und was ist, wenn ich nicht gehe?“
Martin antwortete nicht. Das genügte Christian. Behutsam zog er Martin
an sich und legte die Arme um seine Hüfte. Martin sah auf Christian
herab und fuhr ihm durch die Haare. Christian lehnte seinen Kopf an Martins
Körper. Einen Augenblick lang, der Christian vorkam wie eine Ewigkeit,
verharrten sie so. Dann löste sich Martin vorsichtig von ihm. „Dann
muß ich dich leider noch einmal rausbitten.“ Martin deutete auf die
Tür. Christian stand auf. Er kam Martin näher, bis er seinen
Atem spüren konnte. „Bitte mich nicht, zu gehen.“ Er umfaßte
ihn. „Bitte mich lieber, zu bleiben.“ Langsam näherte sein Gesicht
sich dem Martins. Der schloß die Augen. Christian sah ihn mit zärtlichem
Ausdruck an, dann küßte er ihn. Diesmal wehrte sich Martin nicht,
so daß Christian seine Lippen genau spüren konnte. Der legte
die Arme um Christians Hals. Er drückte Martin fester an sich. Der
schob Christian dennoch sanft von sich. Fragend sah Christian ihn an. Ohne
etwas zu erwidern, ging Martin durch eine Tür in ein anderes Zimmer.
Eine Weile zögerte Christian noch, dann folgte er ihm in den Raum,
das Schlafzimmer. Martin stand in geduldiger Erwartung vor dem Bett.
Sie standen sich gegenüber. „Was jetzt?“ brach Christian das Schweigen.
„Das...liegt bei dir.“ antwortete Martin kaum hörbar. „Du kannst mich
haben, wenn du mich willst.“ Länger wartete Christian nicht. Er ging
auf Martin zu und nahm ihn wieder fest ihn die Arme, bevor die beiden auf
das Bett sanken. Da war sie endlich, die ersehnte Berührung. Christian
spürte Martins heißes Gesicht, seinen schnellen Atem, einfach
alles von seinem Körper, als sie miteinander schliefen.
Christian sah in Martins schimmernde Augen,
als er neben ihm lag. Sein Körper war naß und glänzend
vor Schweiß. Es war einfach wunderschön, ihn anzusehen. „Du
bist so...so hübsch, so...begehrenswert.“ Martin lächelte. „Jemanden
begehren heißt nicht, ihn auch zu lieben.“ „Aber ich liebe dich.“
Christian küßte Martin, als ob er ihm die Wahrheit seiner Aussage
beweisen wollte. Martin strich über Christians warmes Gesicht und
erwiderte seinen Kuß. Dann richtete er sich auf. „Was willst du machen?“
wollte Christian wissen. „Aufstehen.“ Meinte Martin. „Aber wieso?“ fragte
Christian weiter. „Schau mal auf die Uhr.“ Christian sah auf den Wecker
neben Martins Bett. Der zeigte kurz nach drei. „Fünf nach drei, na
und?“ „Solltest du nicht langsam nach Hause gehen?“ Martin sah Christian
fragend an. Der überlegte. „Ja, vielleicht sollte ich das, aber ich
will nicht.“ „Hm, hm!“ Martin zog Christian die Bettdecke weg. „Es ist
mir ernst! Das wir Sex hatten, bedeutet nicht, daß deine Frau verschwindet.
Außerdem...wir hätten es nicht tun sollen.“ Plötzliche
Reue empfindend drehte Martin sich um. „Tut es dir leid, daß wir
miteinander geschlafen haben?“ fragte Christian und holte tief Luft. „Nein...Ja...ich
weiß nicht.“ Beschämt blickte er zu Boden. „Ich fühle mich
jetzt einfach schlecht. Irgendwie...verdorben. Wer weiß, was wir
alles damit kaputt gemacht haben, was für einen Stein wir damit ins
Rollen gebracht haben.“ Martin setzte sich wieder auf das Bett. „Wir...sollten
es bei diesem einen Mal belassen.“ „Das meinst du nicht ernst.“ Sagte Christian
etwas aus der Fassung. „Doch. Irgendwie schon. Ich will deine Ehe nicht
kaputtmachen.“ „Aha, darum geht es also.“ Wütend erhob sich Christian
aus dem Bett. „Du bist es doch nicht. Letzten Endes war es doch meine Entscheidung.“
„Aber ich war der Grund!“ Mit leicht verzweifeltem Blick schaute er Christian
an. „Ich weiß, was ich tue.“ Sagte Christian fest überzeugt.
„Ich will nur nicht später schuld sein. Wer würde denn deiner
Meinung nach die Schuld bekommen, falls das hier rauskommt? Du bestimmt
nicht. Du könntest dich leicht herausreden, es würden ja eh alle
glauben, ich, der böse Schwule, habe dich verführt, den liebenden
Ehemann und Vater, der völlig unschuldig ist.“ meinte Martin in Rage.
„Glaubst du das wirklich?“ rief Christian sauer. „Erstens wird es nicht
rauskommen, und zweitens würde ich so etwas niemals erzählen,
weil ich dich liebe, wie niemand anderen sonst.“ Christian nahm seine Sachen
und stürmte aus dem Zimmer.
Martin betrat das Wohnzimmer, als Christian
sich gerade fertig angezogen hatte. „Es...es tut mir leid.“ Sagte Martin.
„Ich hätte das vorhin nicht sagen sollen.“ Christian sah auf. Martins
Anblick wirkte wieder so anziehend, daß Christian ihm nicht böse
sein konnte. Er wollte ihn, genauso wie zuvor. Er stand auf. „Ja, du hast
recht.“ Sagte er trotzdem nur. Er konnte sich aber nicht zurückhalten,
er mußte Martin einfach küssen. Am liebsten hätte er gleich
wieder mit ihm geschlafen, doch Martin schubste ihn auf sein Sofa. „Gut.“
Er lächelte überlegen. Christian erhob sich erneut, um diesmal
zur Tür zu gehen. „Ich bin morgen im Gemeindehaus, was vorbereiten,
vielleicht sehen wir uns. Und...Komm doch morgen Abend vorbei, wenn du
kannst.“ Sagte Martin. Christian lächelte. Das hatte er gewollt. Er
küßte Martin noch einmal lange und zärtlich, bevor er ging.
„Wo warst du denn so lange?“ fragte Anne
Spatz ihren Mann, als der zur Haustür hineinkam. „Im Gemeindehaus.“
Erwiderte der. „Ich mußte noch etwas klären, wegen den Vorkonfirmanden.
Und dann war ich noch bei Martin.“ Fügte er wahrheitsgemäß
hinzu. „Ja? Wieso?“ Anne stellte eine Kanne Kaffe und zwei Tassen auf den
Eßtisch. „Nur so.“ meinte Christian. „Er ist wirklich nett.“ Sagte
Anne. „Wir sollten uns wirklich öfter mit ihm treffen. Und falls er
irgendwann ml eine Freundin hat, können wir vielleicht zusammen Doppelkopf
spielen. Seit Lackmeiers weggezogen sind, haben wir nicht mehr gespielt.“
„Eine gute Idee.“ meinte Christian. „Ich glaube, er hat da mal etwas von
einer Freundin erzählt. Ich gehe morgen Abend mal bei ihm vorbei und
rede mit ihm darüber.“ Anne nickte. „Du kannst ihn auch mal so wieder
mitbringen. Irgendwie bin ich gerne in seiner Gesellschaft.“ „Werd nicht
schwach, Anne.“ Christian lächelte in sich hinein. „Ach was.“ Anne
grinste. „Und wenn doch, dann wirst du’s gar nicht erfahren.“ „Wie beruhigend.“
sagte Christian. „Wollen wir Kaffee trinken?“ „Eigentlich... habe ich mehr
Lust auf was anderes.“ Anne ging auf ihren Mann zu. „Markus ist im Kindergarten...wir
sind also ganz allein...“
Sie küßte Christian. Es war
für ihn, als würde ihn seine Schwester küssen. Ihm war klar,
was seine Frau wollte. Er wollte schon sagen, daß er nicht in Stimmung
sei, da fiel ihm ein, daß sie es dann wohl noch am ehesten bemerken
würde, daß etwas nicht stimmte. Schließlich war er bisher
immer sehr leidenschaftlich in Bezug auf Sex mit seiner Frau gewesen, bis
Martin gekommen war. Also sagte er lieber: „Gut, warum nicht.“ Er hob sie
hoch und trug sie ins Schlafzimmer.
„Du warst ja letzte Nacht richtig stürmisch.“
sagte Anne zu Christian, als die beiden am nächsten Morgen am Frühstückstisch
saßen. „Ja, ich war halt gut drauf.“ Erwiderte Christian und trank
einen Schluck Kaffee. Aber wahrscheinlich lag es doch daran, daß
er die ganze Zeit an Martin gedacht hatte, letzte Nacht. „Ich muß
auch bald los.“ „Papa, Papa!“ Markus kam auf seinen Vater zugerannt. „Na,
mein Kleiner?“ Christian wuschelte ihm durch die Haare. „Hast du gut geschlafen?“
„Ja. Darf ich heute bei Daniel übernachten?“ „Nanu! Du willst doch
sonst nie von Zuhause weg!“ wunderte sich Anne. „Doch. Jetzt will ich zu
Daniel.“ Meinte Markus. „Also gut, ich bringe dich nach dem Kindergarten
vorbei.“ Stimmte seine Mutter zu. „Oh toll!“ Markus sprang im Wohnzimmer
herum. „Gut, meine Lieben, ich geh jetzt mal.“ Christian stand vom Tisch
auf. „Ich esse irgendwo in der Stadt. Ich komme heute Abend irgendwann
wieder.“ Er küßte Anne noch auf die Wange, dann verließ
er die Wohnung.
Als er am Gemeindehaus ankam, sah er zu
seiner Freude schon Martins Wagen auf dem Parkplatz stehen. Mit schnellen
Schritten betrat er das Gebäude. Er hörte aus Pastor Hallmanns
Büro Martins Stimme, im Wechsel mit der des Pastors. Er klopfte also
an die Tür und trat ein. Drinnen stand Martin am Kopierer und unterhielt
sich, wie schon von draußen gehört, mit Uwe Hallmann. „Ach,
guten Morgen, Christian.“ Sagte Uwe Hallmann. „Hallo.“ Erwiderte der Angesprochene.
Martin nickte ihm lächelnd zu. „Hallo, Herr Spatz.“ „Martin hat mir
gerade von ihrem Besuch im Planetarium erzählt.“ Sagte der Pastor.
„Ja, es war wirklich gut.“ Meinte Christian, während er Martin beim
Kopieren beobachtete. „Es ist gut, wenn dir Jugendgruppe wieder zum Laufen
kommt.“ Meinte Uwe. Da betrat eine Frau, die Sekretärin des Pastors,
das Zimmer. „Herr Hallmann? Die Jahns sind da, zum Taufgespräch.“
Sagte sie. „OK, Frau Meier, ich komme.“ Er stand von dem Stuhl auf, auf
dem er eben noch gesessen hatte. „Wenn sie fertig sind, sagen sie Frau
Meier Bescheid, daß sie abschließt.“ „Klar.“ Meinte Martin.
Dann verließ der Pastor sein Büro. „Na, wie geht es dir?“ fragte
Christian. „Recht gut, und dir?“ „Ebenso.“ Christian sah Martin verliebt
an. „Du bist ja da.“ Martin erwiderte nichts. Er lächelte nur. „Willst
du heute mit mir in der Stadt was essen gehen?“ fragte Christian deswegen.
„Hat Anne da nichts dagegen?“ Martin lehnte sich an den Kopierer und verschränkte
die Arme vor der Brust. „Nein, im Gegenteil. Sie mag dich ziemlich gerne.“
Antwortete Christian ihm. „OK, dann kein Problem.“ Martin nickte. „Wohin
wolltest du gehen?“ „Ich weiß noch nicht. Irgendwo in der Stadt halt.“
Entgegnete Christian. „OK, treffen wir uns am Parkplatz. Um 12 Uhr?“ wollte
Martin wissen. „In Ordnung, 12 Uhr.“ Martin stapelte sein Papier. Als er
an Christian vorbeigehen wollte, hielt der ihn fest. „Es bleibt doch bei
heute Abend?“ Martins Augen blitzten kurz auf. Dann blinzelte er. „Sicher,
wenn du willst.“ „Gar keine Frage.“ Christian sah ihn von oben bis unten
an. Dann ging Martin aus dem Raum.
„Dieser Italiener ist auch nicht mehr
das, was er mal war.“ Meinte Christian, als Martin und er aus dem Restaurant
„Da Bruno“ kamen. „Ich fand es gar nicht schlecht.“ Meinte Martin hingegen.
„Du warst ja wahrscheinlich früher auch noch nie hier.“ „Das ist richtig.“
„Was hältst du noch von einem Eis bei Tiziano im City Point?“ fragte
Christian. „OK, dagegen hätte ich nichts einzuwenden. Wenn du bezahlst.“
Martin grinste. Die beiden gingen also
in die Innenstadt, um bei Tiziano ein Eis zu essen. Sie setzten sich nach
draußen, um die Leute anzusehen, die am City Point vorbeigingen.
Man mußte ja auch die letzten warmen Herbsttage nutzen. Also löffelten
die beiden ihr hausgemachtes, italienisches Eis und beobachteten die Menschen,
die vorbeieilten. „Was hast du heute noch so vor?“ fragte Christian. „Nicht
viel.“ erwiderte Martin und schob sich noch einen Löffel Joghurteis
in den Mund. „Ich geh wohl nach Hause und ruh mich ein wenig aus.“ „Ich
hab...auch nichts mehr besonderes vor...ich könnte doch mit zu dir
-“ Martin schüttelte den Kopf. „Sieben Uhr ist ausgemacht.“ Er sah
ihn mit einem frechen Ausdruck an. „Wir wollen es nicht übertreiben.“
„OK.“ Meinte Christian, mit etwas Enttäuschung in seiner Stimme. „Vorfreude
ist die schönste Freude.“ Munterte Martin ihn auf. „Da bin ich mir
nicht so sicher.“ Christian sah Martin lange an. „Hey, Christian, nett,
dich hier zu treffen.“ Die beiden sahen auf. Vor ihnen stand Peter Folke,
in dem Martin einen der Finanzausschußler wiedererkannte. „Was machst
du hier?“ „Eis essen.“ Erwiderte Christian kurz. „Sag mal, kommst du heute
Abend auch? Wir machen eine kleine Skatrunde im Gemeindehaus.“ Peter wandte
sich auch an Martin. „Sie können natürlich auch kommen.“ „Skat
ist nicht mein Ding.“ Entgegnete Martin. „Ich spiele lieber andere Sachen.“
Er warf einen Seitenblick auf Christian, der sich ein Lächeln verkniff.
„Nein, ich kann nicht.“ Sagte er dann zu Peter. „Oh, wirklich schade. Hast
wohl was besseres vor, was?“ „Das kann man sagen.“ Erwiderte Christian
bedeutungsvoll. „Laß mich raten, romantischer Abend mit Anne?“ Peter
grinste. „So ähnlich.“ Christian blinzelte in die Herbstsonne. „Na
gut, dann...sehen wir uns sicher bald. Auf Wiedersehen.“ „Tschüs.“
Sagte Christian und sah Peter nach, der im Gewühl der Leute in der
Stadt verschwand. „Blödmann.“ Grummelte er. „Ach, der ist bestimmt
ganz nett.“ Meinte Martin. „Wie ist das gemeint?“ wollte Christian wissen.
„Ach, nur so.“ Plötzlich standen zwei Mädchen vor den beiden
am Tisch. Martin erkannte Kathrin und Janett aus der Jugendgruppe. „Hallo
Martin!“ sagte Kathrin lächelnd. „Na, wie hat es euch am Mittwoch
gefallen?“ fragte Martin. „Total gut.“ Erwiderte Janett. „Was machen wir
nächsten Mittwoch?“ „Ich weiß noch nicht.“ Martin zuckte mit
den Schultern. „Ich überleg mir was gutes, OK?“ Die beiden Mädchen
nickten. „Also, bis dann.“ Sie entfernten sich wieder vom Tisch. „Ich glaube,
die beiden mögen dich.“ vermutete Christian. „Kann schon sein. Macht
aber nichts.“ erwiderte Martin. „Ich will dann mal gehen.“ Er stand auf.
„Wir sehen uns ja noch.“ Ohne ein weiteres Wort verließ er den Tisch
und ließ Christian alleine sitzen. Christian sah ihm verwundert nach.
Manchmal war er ihm wirklich ein Rätsel.
Es war Christian ziemlich schwer gefallen,
sich die Zeit bis um 19 Uhr zu vertreiben. Er bereitete alle Mögliche
vor, räumte sogar sein Büro radikal auf, aber das beschäftigte
ihn auch nur zwei Stunden. Dann, endlich, war die Stunde gekommen, in der
sie sich wiedersahen, Martin und er. Christian fuhr zu seiner Wohnung und
klingelte an der Tür. Aufgeregt trat er von einem Fuß auf den
anderen, bis Martin endlich öffnete und er eintreten konnte. Er sah
an Martin herunter. Er trug nur ein langes, kariertes Holzfällerhemd.
Auch das stand ihm gut. „Da bist du also.“ Martin lächelte. „Ja, endlich.“
Christian erwiderte das Lächeln. Er trat auf ihn zu und nahm ihn die
Arme. „Du glaubst gar nicht, wie ich mich danach gesehnt habe.“ Sagte er.
„Wonach riechst du?“ fragte er. „Obsession.“ antwortete Martin. „Es ist
toll.“ Meinte Christian. „Ich wußte, daß es dir gefällt.“
„Gehen wir?“ fragte Christian. „Wohin denn?“ wollte Martin scheinheilig
wissen. „In dein Schlafzimmer.“ „Was wollen wir denn da?“ Martin ließ
sich von Christian in den Raum mit dem Bett schieben. „das wirst du schon
sehen.“ Christian drückte Martin auf das Bett. „Bin ich dir auch nicht
zu schwer?“ wollte er von Martin wissen, der unter ihm lag. „So schwach
bin ich nun auch wieder nicht.“ Meinte der. Er ließ sich küssen.
Christian öffnete langsam die Knöpfe von Martins Hemd. „Verrat
mir mal, was das werden soll...“ Christian antwortete nicht. Er sah Martin
nur lange in die Augen. Dann küßten sie sich und als ihre Zungen
sich zum ersten Mal berührten, ging ein Kribbeln durch Christians
Körper. Martins Atem wurde wilder. „Laß mich nicht länger
warten.“ Flüsterte er. „Schlaf mit mir.“ Christian konnte die Erregung
in seiner Stimme nicht überhören. Es tat seiner Leidenschaft
keinen Abbruch, daß Martin ihn darum bat. Er liebkoste zärtlich
seinen Körper. „Bitte...“ sagte Martin leise. Endlich kam Christian
seinem Wunsch nach.
„Magst du mich?“ fragte Martin Christian,
als sie erschöpft nebeneinander lagen. „Ob ich dich mag?“ Christian
beugte sich über seinen jungen Liebhaber. „Ich liebe dich.“ Er küßte
ihn. „Ich frage mich, wie ich jemals wieder von dir loskommen soll.“ Er
kuschelte sich wieder in die Kissen. „Ich bin dir einfach hoffnungslos
verfallen.“ „Ehrlich?“ Martin stützte seinen Kopf auf die Hand. „Ich
würde es sonst nicht sagen.“ Christian starrte an die Zimmerdecke.
„Wie soll es jetzt weitergehen?“ wollte Martin wissen. „Wie meinst du das?“
Christian sah ihn fragend an. „Naja, mit uns und so weiter.“ „Das wir uns
wiedersehen ist doch klar oder?“ fragte Christian. „Ich meine so wie jetzt.“
Martin setzte sich auf. „Denkst du nicht, daß Anne das merkt?“ „Denk
doch nicht immer an Anne!“ sagte Christian und zog Martin wieder zu sich
herunter. „Sie mag dich. Sie denkt, wir sind gute Freunde.“ Martin seufzte
und legte seinen Kopf auf Christians Brust. „Es ist ganz schön kompliziert,
mit einem verheirateten Mann eine Beziehung zu haben, wenn man die Frau
mag und umgekehrt.“ „Wieso? Besser kann es doch gar nicht sein.“ Meinte
Christian zuversichtlich. „Sie will übrigens, daß du mal mit
‘deiner Freundin’ zu uns zum Doppelkopf vorbeikommst.“ „Ach ja?“ Martin
legte sich auf ihn und küßte ihn. „Und was soll ich ihr sagen,
wenn ich alleine auftauche? ‘Entschuldigung, meine Freundin liegt neben
ihnen im Ehebett’?“ „Nein, ich glaube nicht.“ Christian strich Martin die
Haare aus dem Gesicht. „Es ist schon spät, du solltest jetzt gehen.“
Martin wies mit dem Kopf auf den Wecker, der zehn vor neun zeigte. „Sag
doch nicht immer, ich soll gehen.“ Christian brachte Martin durch eine
seitlich Rolle unter sich. „Ich habe meiner lieben Frau gesagt, ich komme
irgendwann heute abend. Sie sitzt bestimmt auf dem Sofa und guckt irgendeinen
schmalzigen Film im Fernsehen.“ „OK, sagen wir, bis halb zehn.“ Meinte
Martin. Seine Lippen berührten Christians Mund. „Angenommen, aber
diese Zeit müssen wir doch nutzen!“ Christian zog den beiden
die Bettdecke über den Kopf.
Christian drehte den Schlüssel im
Schloß herum und öffnete die Tür zu seinem Haus. Er betrat
gleich das Wohnzimmer. Es war so, wie er zu Martin gesagt hatte: Anne lag
friedlich auf dem Sofa und sah fern. „Hallo, na, was guckst du?“ fragte
er und küßte seine Frau. „Bist du auch wieder da?“ Sie streckte
sich. „Ach, ich weiß nicht, wie der Film heißt. Irgendein Schmachtfetzen
mit Humphrey Bogart.“ Sie sah ihren Mann an. „Du siehst so...kaputt aus.
War’s anstrengend bei der Arbeit?“ „Ja, ziemlich.“ erwiderte Christian.
„Deshalb gehe ich jetzt auch schlafen.“ Christian drehte sich um, um ins
Schlafzimmer zu gehen. „Ehe ich’s vergesse, kannst du Markus morgen Abend
von Daniel abholen?“ fragte Anne. „Er wollte unbedingt bis morgen Abend
bleiben.“ „Muß das sein?“ Christian zog die Augenbrauen hoch. „Kannst
du das nicht machen?“ „Würde ich, aber ich bin morgen Abend nicht
da.“ Erwiderte seine Frau. „Ach?“ Christian sah sie an. „Wo bist du denn?“
„Frau Ziemann aus dem Büro hat Geburtstag und feiert. Es ist etwas
außerhalb, sie hat mir angeboten, bei ihr zu übernachten, aber
ich kann euch beide doch nicht allein lassen.“ Meinte Anne. „Moment, wieso
denn nicht?“ Christian witterte seine Chance. „Naja, ich dachte nur, du
willst das nicht, deswegen - “ „Ach, wie kommst du denn darauf!“ unterbrach
Christian sie. „Ich komme ganz gut alleine zurecht. Und vielleicht will
Markus ja auch bei Oma bleiben über Nacht, dann kann ich mit Peter
und den anderen einen Skatabend machen.“ „Ach so!“ Anne grinste. „Darauf
läuft das ganze also hinaus. OK, wenn du meinst. Wenn Markus auch
bei Oma schlafen will, na gut.“ Christian lächelte erfreut. „Das...ist
toll. Wann kommst du denn wieder, am Sonntag, meine ich.“ „Zum Gottesdienst
werde ich wohl nicht kommen können.“ Meinte sie. „So um 11, schätze
ich.“ Christian nickte zustimmend. „Gut, ich geh dann mal ins Bett. Gute
Nacht, Schatz.“
„Ich will aber nicht bei Oma schlafen!“
Trotzig stampfte Markus mit dem Fuß auf. „Aber wieso denn nicht?“
Christian hockte sich vor seinen Sohn. „Es ist blöd da.“ „Was redest
du denn da, du bist doch immer gerne da!“ „Jetzt aber nicht!“ Markus zog
beleidigt eine Schnute. Christian mußte sich schon was einfallen
lassen. „Hör zu, wenn du heute bei Oma übernachtest, dann gehe
ich mit dir morgen ins Kino.“ „Wirklich?“ fragte Markus wieder etwas versöhnt.
„Ja, ja, und auch ein Eis essen, aber nur, wenn du bei Oma -“ „Au ja!“
Markus fiel seinem Vater um den Hals. „Sehr gut, dann mal los. Mama bringt
dich vorbei.“ Da betrat ‘Mama’ auch schon das Wohnzimmer. „Na, alles klar?“
„Papa geht morgen mit mir ins Kino!“ Rief Markus und lief auf Anne zu.
„Wirklich?“ Sie hob ihn hoch. „Ja, ich dachte, das habe ich schon lange
nicht mehr gemacht.“ Erklärte Christian. „Gut, ich werde dann mal
gehen. Hast du deine Sachen?“ Markus nickte. „Gut. Grüß Peter
und die anderen von mir.“ Anne küßte ihren Mann. „Mach’s gut
und viel Spaß.“ „Dir auch.“ Christian sah Anne nach, als sie aus
der Tür ging, mit Markus an der Hand. Dann wartete er nicht länger,
er griff zum Telefonhörer und rief Martin an. Nach schier einer Ewigkeit,
nahm Martin ab. „Martin? Hier ist Christian.“ „Hey, nett, daß du
anrufst. Was ist los?“ hörte er ihn sagen. „Kann ich vorbeikommen?“
wollte Christian wissen. „Ja, weißt du, das kommt jetzt aber etwas
plötzlich.“ Sagte Martin. „Wieso? Kannst du nicht?“ Christian drehte
besorgt am Telefonkabel. „Nein, nein, aber was ist mit Anne und -“ wollte
Martin fragen. „Das ist geregelt.“ Erwiderte Christian. „OK, dann komm
in einer halben Stunde vorbei.“ Christian lächelte. „Ja, mach ich.“
„Bis dann.“ Es knackte in der Leitung und er legte auf. Er konnte es nicht
erwarten.
Genau eine halbe Stunde nach dem Telefonat
stand Christian vor Martins Tür. Martin öffnete wie immer. „Komm
rein.“ Christian trat ein und schloß die Tür. In Martins Wohnzimmer
war alles dunkel, nur Kerzen erleuchteten den Raum. „Wow.“ brachte Christian
nur heraus. Leise Musik lief im Hintergrund. „Hast du schon gegessen?“
fragte Martin. „Nein, wieso?“ „Ich habe uns ‘ne Pizza in den Ofen geschoben.“
„Ich bin aber gar nicht hungrig...“ Christian zog Martin n sich und wollte
ihn küssen, doch der wand sich schnell aus der Umarmung. „Oh, nein
mein Freund! Jetzt wird gegessen!“ Martin verschwand in der Küche
und kam mir der Pizza wieder, die er auf den Tisch stellte. „Setz dich.“
Widerwillig folgte Christian dieser Anweisung. „Iß.“ befahl Martin.
„Na gut.“ Christian nah ein Stück von der Pizza und steckte
es in den Mund. Sie schmeckte ziemlich gut. Dennoch kam bei ihm kein richtiger
Hunger auf. „Ich hab doch Appetit auf was ganz anderes...“ sagte er. „Hör
mal, eine Beziehung besteht nicht nur aus Sex!“ Martin biß von seiner
Pizza ab. „Erstmal würde ich dich gerne ein bißchen näher
kennenlernen. Schließlich möchte ich wissen, mit wem ich da
schlafe!“ „Was soll ich dir erzählen?“ fragte Christian unwillig.
„Na, wie zum Beispiel...hast du deine Frau kennengelernt?“ „Also, das paßt
doch wirklich nicht hierher.“ meinte Christian und schüttelte den
Kopf. „Doch! Schließlich ist Anne die Frau, die alle Zeit mit meinem
Freund hier verbringen kann! Da will ich doch wissen, was an ihr so besonderes
war, daß du sie geheiratet hast.“
erklärte Martin seine Frage. Christian
zögerte. „Ach komm schon, erzähl es mir.“
Christian seufzte. „Na gut. Und ich dachte
schon, es würde ein romantischer Abend werden...“ „Was nicht ist...“
Martin zwinkerte. „Erzähl endlich.“ „OK, also, es war vor...9? 9 Jahren?
Ja, ich glaube. Ich war grade eine Woche in München, meine Schwester
besuchen. Ich war in der neuen Pinakothek, falls dir das was sagt. Da stand
sie dann. Sie sah sich dieses Gemälde an...von...wie hieß das
noch...“ „Gedächtnis wie’n Sieb.“ Warf Martin ein. „Also willst du’s
jetzt hören?“ Christian sah Martin genervt an. „Bin schon still.“
Er konzentrierte sich auf seine Pizza. „Also wie gesagt, da stand sie also.
Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich machte von dem guten alten Trick
mit der Uhrzeit Gebrauch -“ „Was für’n Trick?“ wollte Martin wissen.
„Ich habe sie gefragt, wie spät es ist.“ Christian schüttelte
den Kopf. „Denk doch mal nach. Und dann habe ich sie gefragt, ob sie am
Abend schon was vorhat. Sie lächelte mich an und sagte: ‘Ja, ich gehe
mit ihnen ins Kino’. Da hatte ich also die Reaktion auf meine blöde
Anmache. Aber sie hat uns zusammengebracht.“ „Sehr romantisch.“ meinte
Martin mampfend. „Äh - du warst doch fertig, oder? Ich wollte dich
nicht unterbrechen.“ „Doch, doch. Das war alles.“ Meinte Christian. „Jetzt
will ich aber auch was von dem Blödmann hören.“ „Blödmann?“
Martin sah seinen Freund fragend an. „Dein Ex.“ „Ach der!“ Martin schnaubte
wütend. „So’n Idiot! Der dachte, ich wäre zu dumm, um zu
merken, daß er mich nach Strich und Faden betrügt.“ „Oh, das
tut mir leid.“ Sagte Christian. „Wie gesagt, er war ein Blödmann.“
„Wie hieß er denn?“ wollte sein Freund wissen. „Jürgen.“ Sagte
Martin. „Jürgen Blödmeier.“ Er grinste. „So hieß er?“ Martin
winkte ab. „Ich hab noch ‘ne Frage: Warum hast du dich gerade in mich verliebt?“
„Das ist dieselbe Frage, wie: Warum ist der Unfall gerade jetzt und gerade
dem und dem passiert.“ Erwiderte Christian. „Was für ein Unfall? Wurde
jemand verletzt?“ fragte Martin. „Es war doch nur in Beispiel.“ Meinte
Christian noch mehr genervt. Martin grinste. „Ach nee!“ Christian grinste
zurück. „Willst du noch’n Stück Pizza? Ich hab noch was da!“
Martin zeigte auf die Küche. „Nein, danke. Was gibt’s zum Nachtisch?“
Martin antwortete nicht, sondern kam zu Christian und setzte sich auf seinen
Schoß. „Martin. Auf Wunsch auch flambiert. Aber ich glaube, ich bin
auch so heiß genug...“ Er küßte ihn. „Das wurde ja auch
Zeit.“ Meinte Christian und wollte schon Martins Shirt ausziehen, doch
der hielt seine Hände fest. „Noch nicht. Erst will ich...“ Er stand
auf. „...Tanzen.“ „Du willst was?“ Christian sah ihn ungläubig an.
„Das ist mein Lieblingssong.“ Sagte Martin und lauschte ‘Nightshift’ von
den Commodores. „Meiner auch.“ meinte Christian. Martin lächelte ihn
an. „Dann komm.“ Er zog ihn von seinem Stuhl. „Ach, komm, das ist doch
blöd.“ Martin erwiderte nichts, sondern legte seine Arme um Christians
Hals und lehnte seinen Kopf an die Schulter seines Freundes. „Ist es nicht.“
Sagte er noch leise. Langsam bewegten sich die beiden durch das Wohnzimmer.
Nach einer Weile kam sich Christian auch nicht mehr albern vor.
Als auch die letzten Töne des Liedes
verklungen waren, ließ Martin Christian los und sich auf den Boden
fallen. Er gähnte. „Ich bin so müde.“ Sagte er, legte sich
auf den Fußboden und schloß die Augen. „Willst du jetzt etwa
schlafen?“ fragte Christian. „Nein, nein.“ Murmelte sein Freund. „Nur ein
bißchen...ausruhen.“ „OK.“ Meinte Christian und legte sich neben
ihn. Eine Zeitlang lagen sie so nebeneinander. „Sag mal, wann mußt
du denn wieder gehen?“ wollte Martin wissen. „Willst du mich loswerden?“
fragte Christian zurück. „Weißt du...“ Er rollte sich auf seinen
Freund. „Ich habe gerade beschlossen, daß ich die ganze Nacht hierbleibe.“
„Na, hör mal!“ Martin richtete sich so ruckartig auf, daß Christian
wieder auf den Boden zurückpolterte. „Und was ist mit Anne?“ „Jetzt
hältst du mal den Mund.“ Sagte Christian und legte ihm die Hand auf
den Mund, um seine Aussage zu bekräftigen. „Anne ist über Nacht
weg und Markus schläft bei seiner Oma. Es ist alles geregelt.“
„Das heißt, wir haben wirklich die
ganze Nacht für uns?“ fragte Martin. „Das siehst du richtig.“ Christian
nickte. „Also, womit fangen wir an?“ „Ich weiß nicht.“ Martin zuckte
mit den Schultern. „Auf was hast du Lust?“ „Auf dich.“ antwortete Christian
lächelnd. „Das ist schön.“ Martin erwiderte das Lächeln.
„Komm.“ Martin stand auf und zog Christian hoch. „Wir gehen jetzt duschen.“
„Glaubst du, daß wir uns wieder
trennen könnten?“ Christian stützte den Kopf auf die Hand und
zupfte am Kopfkissen. „Ja, ich denke schon.“ Erwiderte Martin, der an die
Zimmerdecke starrte. „Was? Wie meinst du das?“ fragte Christian überrascht.
„Nicht aufregen. Ich meine damit, daß wir uns trennen können,
nicht daß wir uns trennen.“ „Also, ich glaube das nicht.“ „Das ist
das Problem, Christian.“ Meinte Martin und stützte seinen Kopf ebenfalls
auf die Hand und sah Christian an. „Wir dürfen uns nicht zu sehr voneinander
abhängig machen. Das würde vielleicht alles kaputtmachen.“ „Was,
alles?“ wollte Christian wissen. „Alles eben. Diese Harmonie, deine Ehe
-“ „Fängst du wieder damit an?“ fragte Christian gereizt. „Letzten
Endes war es ja meine Entscheidung, daß ich mit dir jetzt hier
liege.“ „Du siehst das falsch. Hätte ich es nicht zugelassen, lägest
du nicht mit mir, sondern mit deiner Frau im Bett und wärst glücklich.“
„Das glaube ich nicht.“ Christian schüttelte den Kopf. Martin legte
sich wieder auf den Rücken. „Es ist alles so kompliziert.“ „Weil du
es kompliziert machst.“ „Es ist aber auch nicht so einfach, wie du dir
das vorstellst.“ Meinte Martin. „Also, im Moment läuft es doch gut
oder? Findest du nicht?“ wollte Christian wissen. „Doch, doch...“ Martin
seufzte. „Sei doch nicht immer so negativ.“ Christian strich Martin über
das Gesicht. „Unsere Gespräche führen immer irgendwie zu diesem
Punkt. Und das gefällt mir nicht.“ „Mir auch nicht.“ Sagte Martin.
„Ich finde, wir sollten auch mal was zusammen unternehmen. Anne wir sicher
nichts dagegen haben. Wir können auch zu dritt irgendwas machen.“
Meinte Christian. „Tolle Kombination.“ warf Martin ein. „Ein Mann und seine
Ehefrau und ein Bekannter des Paares, der gleichzeitig der Geliebte des
Mannes ist.“ Sie schwiegen. „Was hättest du getan, wenn ich dich nicht
gewollt hätte?“ fragte Christian nach einer Weile. „Ich weiß
nicht.“ erwiderte Martin. „Vielleicht wäre ich drüber weggekommen.
Aber ich glaube, es ist...“ Er stockte. „Es ist was? Sag es.“ „Ich glaube,
es ist...die große Liebe. Du bist der Mann, auf den ich immer gewartet
habe.“ „Es ist das erste Mal, daß du das so sagst.“ Christian lächelte.
„Und das macht mich glücklich.“ Martin antwortete nicht. „Ich hätte
es dir nicht sagen sollen.“ meinte er kurz darauf. „Wieso nicht?“ fragte
Christian leicht irritiert. „Es macht uns wahrscheinlich noch abhängiger
voneinander. Und das will ich nicht.“ „Das verstehe ich nicht.“ Christian
fiel wieder in seinen gereizten Ton. „Ich dachte, du liebst mich.“ „Trotzdem.
Wir müssen noch unser eigenes Leben führen. Ich kann das so nicht.
Es wäre vielleicht besser, wenn wir uns eine Weile nicht sehen.“ „Was?“
Sein Freund fuhr auf. „Wir haben uns doch erst gefunden.“ „Eben deshalb.
Lieber früher als später. Wir sollten beide allein über
die neue Situation nachdenken. Es ist eben nicht so einfach, wie gesagt.“
„Wir werden uns sehen. Bei der Arbeit.“ „Das meine ich ja auch nicht. Privat,
das meine ich. Versteh mich doch.“ „Nein, daß will ich nicht verstehen.“
Christian stand auf. „Dann geh ich eben jetzt, wenn du mich nicht bei dir
haben willst.“ Zu seiner Überraschung hielt Martin ihn nicht zurück.
„Ja, das wird besser sein. Wir sehen uns ja noch.“ Christian nahm seine
Sachen und zog sich an. Dann verließ er die Wohnung, um in seine
eigene zu fahren.
Als er ankam, war die Wohnung natürlich
leer. Und einsam. Christian legte sich sofort ins Bett. Doch er tat
die ganze Nacht kein Auge zu.
Am nächsten Morgen saß Christian
um kurz vor zehn in der Kirche der Gemeinde, zusammen mit einigen anderen
Mitgliedern des Kirchenvorstandes. Er sah sich um.
Da erblickte er auf einmal Martin, als
der die Kirche betrat. Er folgte ihm mit den Augen. Es kam ihm sehr merkwürdig
vor, Martin in dieser Kirche zu sehen. Er mußte an die Dinge denken,
die sie zusammen gemacht hatten. Die Bilder zogen an ihm vorbei. Und jetzt
war er hier, in der Kirche. Er sah unschuldig und verführerisch zugleich
aus. Martin setzte sich in einen der vorderen Reihen, ohne Christian auch
nur einmal anzusehen. Christian sah sich weiter um. Die ganzen Menschen,
die das Gotteshaus füllten, wußten nichts von ihm und Martin.
Waren sie beide nur elendige Sünder? Er dachte wieder an die Momente,
in denen sie so intim gewesen waren. Ein unbehagliches Gefühl beschlich
ihn. Er warf einen Blick auf das Kreuz am Altar. Unruhig rutschte er hin
und her. Und Martin? Er saß ganz ruhig in der Bank, mit gesenktem
Blick. An was dachte er wohl? Fühlte er sich schuldig? Er hatte weniger
Grund dafür als Christian. Er war ja nicht nur ein Ehebrecher. Er
hatte das Gefühl, daß es Martin war, machte alles noch sündiger.
Es war in den Augen der anderen unmoralisch, ruchlos, schlecht. Doch die
Augen der anderen sahen die Bilder nicht, die Christian im Kopf herumgingen.
Wenn er Martin ansah, begehrte er ihn. Wenn er ihn berührte, empfand
er soviel Liebe. Wenn er nicht bei ihm war, vermißte er ihn. Martin
hatte recht gehabt: Er war von ihm abhängig. Doch für Christian
war es ein wundervolles Gefühl, jemanden so zu begehren und auch zu
bekommen, was er begehrte. Christian sah auf. Pastor Hallmann hatte die
Kirch betreten und machte sich daran, die Abkündigungen zu verlesen.
Der Gottesdienst nahm seinen üblichen Verlauf für Christian.
Bis zur Predigt dachte er das zumindest. Als der Pastor die Kanzel betrat,
war er wieder in Gedanken versunken. „Was...ist Sünde?“ Christians
Augen trafen den Pastor wie ein Dolch. Dann sah er Martin an. Der wandte
ihm langsam seinen Blick zu, diesen geliebten Blick, als hätte er
geahnt, was Christian dachte. „Was ist Sünde, liebe Gemeindemitglieder,
diese Frage haben sie sich sicher auch schon einmal gestellt. Ich möchte
heute über die Sündenvorstellung der Bibel und über meine
eigene sprechen.“ Sprach Pastor Hallmann von der Kanzel. Christian hatte
auf einmal das Gefühl, das nicht weiter ertragen zu können. Er
sprang von seinem Platz auf und ging schnellen Schrittes durch die Reihen
und unter den Blicken der Menschen aus der Kirche. Martin sah ihm nicht
nach. Er ahnte aber auch so, was er dachte. Als er nach draußen trat,
schlugen ihm Regentropfen ins Gesicht. Es hatte in kürzester Zeit
angefangen zu regnen. Christian schloß die Augen und ließ den
Regen auf sich niederprasseln. Alle Gedanken in seinem Kopf schossen durcheinander.
Seine anfängliche Unbeschwertheit, mit der er über Martin und
sich nachgedacht hatte, war verschwunden. An seinen Gefühlen hatte
sich nichts geändert, aber ihm wurde bewußt, daß Martin
recht gehabt hatte. Das alles war keinesfalls ein Kinderspiel. Er hatte
mehr Probleme, als er gedacht hatte. Was sollte er nur tun? Der Regen vermischte
sich mit den Tränen seiner plötzlichen Verzweiflung.
„Hallo Schatz! Wie siehst du denn aus?“
Anne Spatz stutzte, als sie ihren völlig durchnäßten Mann
durch die Wohnungstür kommen sah. „Bist du in den Badesee gefallen?“
Christian erwiderte nichts. Er ging ins Schlafzimmer, trocknete sich ab
und zog sich um. „Was ist los?“ Er sah zur Tür. Anne lehnte im Türrahmen.
„Nichts. Was sollte sein.“ Er schob sich an ihr vorbei in die Küche.
Er nahm die Kaffeekanne und gab etwas von dem Getränk in eine Tasse.
„Wo warst du gestern abend? Ich habe angerufen, aber du hast nicht abgenommen.“
Christian sah auf. „Nein?“ „Vorsicht, der Kaffee!“ Sie lief zu ihm und
nahm ihm die Kaffeekanne weg. „Ich...ich muß schon geschlafen haben...ich...ich
habe den Skatabend nicht gemacht.“ „Was ist bloß los mit dir?“ Anne
schüttelte den Kopf. „Ich habe doch Markus extra des wegen zu meiner
Mutter geschickt. Ich möchte wirklich wissen, was du hast.“
„Ich sagte schon, es ist nichts. Ich bin
nur etwas unkonzentriert und...sehr müde.“ „Gut, dann solltest du
jetzt wohl eine Weile schlafen. Ich werde ein bißchen spazierengehen.“
Sagte Anne kühl. Christian ließ seinen Kaffee stehen und legte
sich in sein Bett.
Martin stand gerade am Kopierer im Gemeindehaus,
als er Annes Stimme aus dem Nebenzimmer hörte. Neugierig geworden,
trat er aus dem Raum und erstarrte, um besser zu hören, mit wem und
was die Frau seines Liebhabers redete. „Das bildest du dir sicher nur ein,
Anne.“ Hörte Martin Uwe Hallmann sagen. „Christian ist nicht der Typ
dafür.“ „Das habe ich doch auch immer gedacht.“ erwiderte die Gesprächspartnerin
mit zitternder Stimme. „Aber er benimmt sich in letzter Zeit so merkwürdig,
daß ich es mir nicht anders erklären kann. Zuerst war er nur
öfter abends weg, aber gestern war er so seltsam, daß ich wirklich
glaube, daß...er mich betrügt.“ Martins Herz klopfte schneller.
„Eine andere Frau?“ fragte Pastor Hallmann. „Ja. Es gibt keine andere Alternative.“
Martin holte tief Luft. Eine andere Frau! Das konnte er ja nicht sein.
Aber Anne hatte die Veränderungen an Christian bemerkt, die Martin
so glücklich gemacht hatten. Er hatte es doch gewußt. Er lauschte
weiter. „Warum redest du nicht mit ihm?“ „Ich habe ihm die Chance gegeben,
mir zu sagen, was mit ihm ist, aber ich will ihn auch auf keinen Fall falsch
verdächtigen. Ich kann es nicht.“ „Soll ich mal mit ihm reden?“ „Ich
weiß nicht...Vielleicht warte ich auch erst mal ab.“ Martin hörte
Anne seufzen. „Aber danke für das Gespräch, Uwe. Ich melde mich
wieder.“ Martin ging schnell zurück in den Kopierraum, bis er Annes
Schritte hörte. „Hey, Anne.“ Er trat in den Flur. „Oh, hallo Martin.“
Sagte Anne mit gebrochener Stimme. „Alles in Ordnung mit dir?“ fragte Martin.
„Naja, es geht.“ Anne zuckte mit den Schultern. „Willst du...darüber
reden? Wenn es etwas gibt, über das du reden könntest.“ „Ehrlich
gesagt, ja.“ „Gut, dann komm.“ Martin ging vor in das Zimmer mit dem Kopierer
und setzte sich dort an den Tisch. „Setz dich.“ Anne folgte der Aufforderung.
„Also, was ist los?“ „Es ist wegen Christian. Ich habe deswegen auch schon
mit Uwe gesprochen. Ich weiß ja, es ist blöd, nicht mit ihm
zu sprechen, aber ich kann es nicht.“ „Langsam. Sag mir doch erst mal,
worum es geht.“ Bat Martin erneut. „Gut.“ Anne holte Luft. „Ich glaube,
es gibt da eine andere Frau.“ „Was?“ Martin tat überrascht. „Meinst
du wirklich? Das glaube ich nicht.“ „Ich kann es mir aber nicht anders
erklären. Er ist so merkwürdig.“ Meinte Anne überzeugt.
„Weißt du..., wenn du nicht mit ihm sprechen willst...ich könnte
es doch tun.“ Schlug Martin vor. „Ich meine, es geht mich zwar nichts an,
aber wir kennen uns jetzt schon ein bißchen, wir arbeiten ein wenig
miteinander...“ „Das ist eine gute Idee.“ Stimmte Anne zu. „Ich wollte
nicht, daß Uwe das übernimmt...Er...ist ein guter Pastor, aber...“
„Ich verstehe schon.“ Martin lächelte. „Wann soll ich mit ihm reden?“
„Von mir aus gleich. Ich wollte sowieso spazieren gehen. Einen klaren Kopf
bekommen und so weiter. Ich wäre dir sehr dankbar.“ „Klare Sache.
Dann geh ich mal, ich bin sowieso fertig hier.“ Meinte Martin. „Hier, ich
habe Christians Schlüssel da. Du weißt ja, wo du ihn findest.“
Martin schloß die Wohnungstür
auf. Er betrat die Wohnung des Spatz - Ehepaars. Er ging durch das Wohnzimmer,
zum Schlafzimmer. Er wußte, daß Anne das nicht gemeint hatte,
mit: „Du weißt ja, wo du ihn findest.“ Aber er fand ihn dort. Christian
lag schlafend auf dem Ehebett. Martin sah ihn eine Weile nur an. Er sah
so friedlich aus. Noch wußte er nicht, was auf ihn zukam. Martin
ging leise zu ihm hinüber und setzte sich auf die Bettkante. Er Strich
ihm über den Kopf. Christian ließ ein leises Brummen von sich
hören. „Hallo.“ Flüsterte Martin und küßte Christian.
„Anne...“ Christian öffnete langsam die Augen. Nach ein paar wachen
Sekunden, fuhr er auf. „Martin! Was...was tust du denn hier? Wo ist Anne?“
„Sie hat mich geschickt. Ich soll mit dir reden.“ Erklärte Martin.
„Aber...wieso?“ „Sie glaubt, daß du sie betrügst?“ „Was?“ Christians
Augen weiteten sich. Dann lachte er kurz auf. „Und dafür schickt sie
dich. Wie grotesk.“ „Sie glaubt, es ist eine Frau.“ „Was denn auch sonst?
Ich und ein Mann!“ Christian lachte wieder. Doch sein Lachen wandelte sich
in ein Schluchzen. „Oh, Gott, was ist bloß los mit dir.“ Er schlang
seine Arme um Martin. Martin sagte eine Zeitlang nichts. Er hielt ihn nur
fest. „Ich wußte nicht, daß es so schlimm ist.“ Sagte er dann.
„Du warst doch noch so gut drauf, gestern.“ „Ich weiß doch auch nicht,
was los ist. Ich liebe dich, ich will dich, aber es...ich kann es nicht
erklären.“ „Ich verstehe es. Erst der große Gefühlstaumel,
aber dann die große Verwirrung und die Schuldgefühle.“ Meinte
Martin. Glaub mir, ich verstehe nur zu gut.“ „Da bist du mir voraus.“ Sagte
Christian, der sich wieder einigermaßen gefangen hatte. „Was sag
ich Anne?“ wollte Martin von ihm wissen. „Sag ihr...ich weiß es nicht.
Ich weiß nicht.“ „Na, ich laß mir schon was einfallen.“ Martin
küßte Christian auf die Stirn. „Es ist gut, daß du über
alles mal nachgedacht hast.“ Er stand auf. „Und denk dran: Für mich,
bist und bleibst du der einzige, den ich liebe.“
Als Martin aus der Haustür trat,
wäre er beinahe mit Anne zusammengestoßen, die gerade das Haus
betreten wollte. „Huch!“ rief sie in ihrer Überraschung. „Und? Hast
du...mit ihm gesprochen?“ fragte sie, als sie sich von dem kleinen Schock
erholt hatte. „Ja. Du brauchst dir keinen Sorgen machen. Er ist zur Zeit
nur etwas neben der Kappe. Er hat ziemlich viel zu tun, weißt du.“
log Martin. „Ja?“ fragte Anne unsicher. „Nur daran hat es gelegen?“ „Also,
er meinte, ihm wäre das gar nicht bewußt gewesen, was er mit
seinem unbewußten Verhalten bei dir auslöst.“ beruhigte Martin
sie. „Er meinte, er würde in nächster Zeit wieder mehr mit dir
unternehmen. Schließlich liebt er dich.“ „Das hat er gesagt?“ Annes
Gesicht wurde heller. „Ja, das hat er.“ Sie schwiegen sich kurz an, bis
Martin schließlich sagte: „Also, ich geh dann mal. Meine Arbeit ist
getan.“ „OK, Martin, vielen Dank.“ Anne küßte ihn auf die Wange.
„Na, na! Sieh zu, daß du ihm nicht untreu wirst!“ mahnte Martin scherzhaft.
„I wo!“ Anne lachte. „Aber sag, was hältst du davon, zum Essen zu
bleiben?“ „Nein, ich glaube, das ist keine gute Idee.“ Wehrte Martin ab.
„Aber wir sehen uns sicher bald wieder. Also bis dann!“ Er lief die kurze
Strecke bis zur Straße, stieg in sein Auto und fuhr nach Hause.
„Hallo, Schatz.“ Anne Spatz betrat das
Schlafzimmer. „Warum hast du nicht mit mir geredet?“ begrüßte
Christian sie, der immer noch auf dem Bett lag. „Meinst du -“ „Ja. Warum
schickst du Martin, statt selbst mit mir zu sprechen?“ wollte er von ihr
wissen. „Weil...ich dich nicht falsch verdächtigen wollte.“ erklärte
Anne. „Ach? Aber aller Welt davon zu erzählen, daß ich dir angeblich
untreu bin?“ Christian schüttelte den Kopf. „Gute Vertrauensbasis!“
„Was hättest du denn gesagt, wenn ich dich zur Rede gestellt hätte?“
fragte Anne ihrerseits etwas gereizt. „Du hast dich total seltsam benommen
und nicht mit mir gesprochen. Ich habe dich gefragt, ob was mit dir nicht
stimmt, aber du hast dich ja ausgeschwiegen!“ „Es gab ja nichts zu sagen.
Und ich war viel zu müde, um überhaupt irgendwas zu sagen.“ sagte
Christian etwas lauter. „Außerdem muß ich mich nicht vor dir
rechtfertigen, nur weil ich Streß bei der Arbeit habe!“ „Ach, das
ist doch kein rechtfertigen. Eine einfache kurze Antwort hätte gereicht!“
meinte Anne wütend. „Was soll ich denn deiner Meinung denken, bei
deinem Verhalten in letzter Zeit?“ „Auf jeden Fall nicht, daß ich
eine andere Frau habe.“ Rief Christian. „Wirklich nett, wieviel Vertrauen
du nach den Jahren Ehe in mich hast.“ „Das hat doch damit nichts zu tun!“
Anne funkelte ihn an. „Weißt du, das ist mir zu blöd.“ Christian
stand auf und ging an ihr vorbei zur Wohnungstür. „Ja, genau, lauf
nur weg.“ Anne ging ihm hinterher. „So machst du es ja immer.“ Christian
hörte nicht auf sie. Er nahm seine Jacke, öffnete die Haustür
und schlug sie dann hinter sich zu. Anne stand noch eine Weil im Wohnzimmer
herum, bevor sie sich auf ihr Bett warf und in Tränen ausbrach.
„Was machst du denn hier?“ Martin sah
Christian fragend an, der jetzt vor seiner Tür stand. „Ich hatte Streß
mit Anne.“ Erwiderte der. „Hätt ich mir denken können. Komm rein.“
Christian betrat die Wohnung. „Und, was sagt sie?“ „Ich möchte nicht
darüber reden.“ Antwortete Christian. „Weswegen bist du dann hier,
wenn du nicht darüber reden willst?“ wollte Martin wissen, obwohl
er die Antwort eigentlich schon kannte. „Ich war auch schon früher
hier, aber nicht um über die Probleme mit meiner Frau zu reden.“ Christian
sah ihn sehnsüchtig an. Martin musterte ihn. „Naja, dann setz dich
erst einmal. Kaffee?“ „Nein, danke.“ Christian nahm auf Martins Sofa Platz.
„Dann nicht.“ Martin setzte sich ich gegenüber auf einen Sessel. „Also,
du bist nicht hier, um dich an meiner Schulter auszuweinen?“ „Nicht direkt.“
Christian lehnte sich zurück und seufzte. „Am liebsten würde
ich irgendwohin wegfahren. Mit dir.“ „Ach so. Mal wieder typisch!“ Martin
schüttelte den Kopf. „Mal wieder alle Verantwortung für deine
Familie aus dem Fenster schmeißen, nur weil du plötzlich rausgefunden
hast, daß du auf Männer stehst.“ „Das hätte auch vor fünf
Jahren oder so passieren können, wenn du gekommen wärst.“ Erklärte
Christian. „Aha, also bin ich schuld an allem?“ fragte Martin. „Niemand
redet von Schuld. Sagen wir, du warst einfach der Auslöser.“ „Und
wäre statt mir eine schöne Frau dahergekommen?“ wollte Martin
wissen. „Wärst du dann auch mit der ins Bett gegangen?“ „Nein, das
ist was anderes.“ „Im Prinzip nicht. Ehebruch ist Ehebruch. Und mit einem
Typen wohl noch mehr, als mit einer Frau.“ „Sagst du. Was soll ich denn
deiner Meinung nach tun?“ fragte Christian. „Erst mal hättest du unsere
Abmachung einhalten sollen: Bis auf weiteres keinen privaten Kontakt mehr.“
„Denkst du, mir wäre dadurch eine Art Wunderheilung widerfahren? Für
seine Gefühle kann doch niemand was.“ „Das stimmt schon, aber für
das, was folgt schon.“ Meinte Martin. „Du hättest doch nein sagen
können.“ Christian hatte Martins Schwachstelle getroffen. „Das hätte
ich nicht. Das weißt du.“ „Dann kannst du das aber auch nicht von
mir erwarten.“ „OK, OK. Da haben wir sie.“ „Wen? Sie?“ „Eine Patt - Situation.
Remis. Unentschieden.“ Meinte Martin. „Tja...was soll ich dazu sagen. Ich
brauche dich, das weiß ich. Und das weißt du.“ Martin nickte
verlegen. Er kam zu Christian und setzte sich neben ihn. „Ja, das weiß
ich.“ Er lehnte seinen Kopf an Christians Schulter. „Wie soll das bloß
alles weitergehen?“ „Tja, daß weiß ich allerdings mal nicht.“
erwiderte Christian. „Dafür weiß ich, daß ich aus der
Schuldgefühlphase raus bin.“ „Schön, zu hören.“ „Ja, ich
muß ja schließlich damit klarkommen.“ „Du hast wohl die 5 Phasen
einer Krise überstanden, wie?“ „Welche 5 Phasen?“ wollte Christian
wissen. „Zorn, Depression, nicht wahr haben wollen, Selbstmitleid, Zustimmung.“
Erklärte Martin. „Nie gehört? Elisabeth Kübler - Ross. Naja.“
„Nein, davon habe ich noch nichts gehört. Aber laß uns das noch
mal vergessen. Ich brauche keinen Kurs in Psychologie.“ „Ich wollte es
nur nicht unerwähnt lassen.“ „OK, du bist ein sehr gebildeter Mensch,
ich danke dir für deine Information. Zufrieden?“ „Zufrieden.“ Wiederholte
Martin und kuschelte sich enger an Christian. „Du auch?“ „Nun, auf jeden
Fall nicht mehr so schlecht wie vor kurzem noch.“ Er wartete einen Moment.
„Darf ich...dich küssen oder willst du nicht?“ „Was für eine
Frage.“ Martin setzte sich auf und küßte Christian. „Ich dachte
nur wegen der Vereinbarung und so.“ „Wen kümmert das jetzt noch?“
„OK.“ Christian drückte Martin auf das Sofa. Während er ihn küßte,
öffnete er Martins Hemd und Martin seines. Da klingelte es an der
Tür. Sie hielten inne. „Erwartest du jemand?“ fragte Christian mit
Flüsterstimme. „Ich hab vorhin ‘ne Pizza bestellt.“ „Wichtig?“ „Naja,
die streichen mich vielleicht aus ihrer Kartei oder sonstwas, wenn ich
nicht aufmache.“ Christian gab ihn daraufhin frei und ließ ihn die
Tür öffnen. Martin erstarrte. „Anne! Was...was machst du denn
hier?“ Christian sprang auf. „Ich wollte mit dir reden.“ Ohne Aufforderung
betrat sie die Wohnung. Ihr Blick fiel sofort auf Christian, der damit
beschäftigt war, sein Hemd zuzuknöpfen. „Was tust denn du hier?“
„Ich...“ er mußte kurz überlegen. „Ich wollte Martin fragen,
ob ich hier schlafen kann. Zuhause erscheint es mir jetzt unmöglich.“
„Das hätte ich mir ja denken können.“ Anne machte kehrt. „Gut,
Martin, dann erübrigt sich das.“ Sie ging zur Tür. „Du solltest
dir langsam darüber klar werden, auf welcher Seite du stehst.“ Mit
diesen Worten verließ sie Martins Heim. Der war noch immer etwas
verstört über den unverhofften Besuch. Als er sich wieder gefaßt
hatte, schloß er die Tür. „Anne, typisch Anne. Bloß nicht
das Gespräch mit mir suchen, immer zu jemandem anderen gehen.“ Martin
setzte sich auf das Sofa und starrte ins Leere. „Das war ja wieder so typisch.“
Christian sah Martin an. „Was ist mit dir?“ „Was?“ Martin schaute auch
ihn an. „Ich glaube, du solltest jetzt gehen.“ „Was?“ „Du hast doch gehört,
das ist das Beste.“ „Aber warum?“ „Weil ich es möchte.“ Christians
Blick ruhte noch etwas auf seinem jungen Freund, bevor er aufstand. „OK,
wenn du das willst...“ „Ja, will ich.“ „Gut. Dann gehe ich.“ Er ging zur
Tür, Martin folgte ihm. „Wir sehen uns dann ja irgendwann.“ Er öffnete
die Tür. „Ja.“ Christian ging. Martin schloß die Tür. Er
lehnte sich an sie und sank auf den Boden. Er hätte wissen müssen,
daß das alles in einem Chaos enden würde. Er fuhr sich durch
die Haare. Er mußte das beenden.
Christian fuhr durch die Straßen
ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Was sollte er jetzt tun? Zu
Martin konnte er nicht. Und zu Anne? Nein, unter diesen Umständen.
Allerdings - sie mußten sich aussprechen. Früher oder später.
Und dann lieber früher als später. Also machte Christian auf
der Straße kehrt und fuhr in Richtung Zuhause.
Als er dort ankam, war Anne ebenfalls
da. Sie lag auf dem Sofa und sah sich irgendeine Kochsendung an. „Wir müssen
reden.“ Sagte er nur zur Begrüßung. Anne sah auf. „Ach? Das
fällt dir ja früh ein.“ „Hör doch einmal damit auf. Jetzt
bin ich da, also laß uns endlich reinen Tisch machen.“ Christian
wurde sich bewußt, was er sagte. Die Karten auf den Tisch legen?
War das wirklich das beste? Nein, Anne würde das sicher nicht ertragen,
ihr Mann und Martin... „Dann sag, was du zu sagen hast.“ „Danke.“ Christian
setzte sich zu ihr. „Also, soweit ich das hier sehe, beruht unser ganzer
Streit nur auf einem Mißverständnis und meiner Starrköpfigkeit.“
„Was für eine Einsicht.“ Warf Anne ein. „Du dachtest, ich hätte
was mit einer anderen Frau und wolltest mich nicht ansprechen, um mich
nicht falsch zu verdächtigen. Das war ja eigentlich eine lobenswerte
Absicht. Unterbrich mich bitte, wenn ich was falsches sage.“ Anne nickte.
„Gut, und als ich dann erst von Martin erfuhr, was los war, war ich natürlich
sauer. Ich gebe es ja zu, es war wohl übertrieben.“ „So sehe ich das
auch. Aber ich hätte dich natürlich auch fragen können.
Das wäre wohl besser gewesen, als dieses ganze Desaster. Aber gut,
daß du das alles eingesehen hast.“ Ja...gut, es tut mir leid, daß
alles so gelaufen ist.“ „Mir auch. Schläfst du dann diese Nacht hier?“
fragte Anne. „Ja, aber vorsichtshalber...auf dem Sofa.“ „Einverstanden,
das ist dann eine Art Bewährung.“ Anne grinste.
Als Christian zwei Tage später arbeitsbedingt
im Gemeindehaus war, bekam er zufällig ein Gespräch mit, das
Pastor Uwe Hallmann mit Frau Lisbeth Kämmerer führte. „Wir müssen
natürlich möglichst schnell einen Ersatz für ihn finden.“
hörte Christian Uwe sagen. Ersatz? Er wurde hellhörig. Für
wen? „Ich weiß gar nicht, warum der nette junge Mann uns schon wieder
verlassen will.“ Sagte Frau Kämmerer. „Er sagt, es wäre einiges
schief gelaufen. Er verläßt uns nicht gerne, aber er fühlt
sich hier nicht ganz wohl.“ Christian beschlich eine schreckliche Ahnung,
die daraufhin auch schon bestätigt wurde. „Wie lange war Herr Loge
dann hier?“ Christian mußte sich setzen. Hatte er richtig gehört?
Martin wollte gehen? Warum erfuhr er das erst jetzt? Und hier? Nicht von
ihm? Christians herz klopfte schneller. Ohne weiter nachzudenken, nahm
er seine Autoschlüssel, stürmte aus dem Gemeindehaus und fuhr
los.
Christian klingelte Sturm an Martins Wohnungstür,
die kurz darauf von ihm geöffnet wurde. „Hallo, was -“ „Warum gehst
du?“ unterbrach Christian seinen Freund mit zitternder Stimme. „Stimmt
es? Ist es wahr.“ Martins Blick wurde schwermütig. „Ja. Es ist wahr.“
Christian betrat die Wohnung und Martin schloß die Tür. „Aber...warum?“
Er lief unruhig auf und ab. „Verstehst du das denn nicht?“ Rief Martin.
„Nein, das tue ich nicht! Sag’s mir!“ „Dieses ganze Chaos, das habe ich
angerichtet! Ich ertrage das so nicht!“ „Aber mit Anne ist doch alles klar!“
„Kannst du nicht oder willst du es nicht verstehen?“ schrie Martin völlig
außer sich. „Es ist alles falsch gelaufen! Wir hätte niemals
das tun dürfen, was wir getan haben! Ich hätte nie Annäherungsversuche
unternehmen dürfen!“ „Aber ich bereue es nicht, was ich getan habe!
Wenn sich einer schuldig fühlen muß, dann ich!“ rief Christian.
„Du verstehst es wirklich nicht!“ „Ich verstehe sehr gut! Aber ich habe
das Gefühl, das ist nicht der Grund.“ Christian konnte Martin ansehen,
daß er ihn durchschaut hatte. Und Martin merkte es auch. „Ja, du
hast recht. Es ist auch was anderes. Wir...wir haben uns völlig voneinander
abhängig gemacht. Ich...ich liebe dich so sehr, ich würde dich
völlig kaputtmachen, wir würden uns kaputtmachen. Deshalb gehe
ich. Weil ich zu sehr von dir besessen bin.“ Christian schwieg betreten.
Und er hatte immer gedacht, Martin würde nicht so stark empfinden,
wie er. „Aber...ich liebe dich doch auch! Was kann denn daran schlecht
sein?“ „Christian, denk einmal nach, hör einmal auf deinen Verstand!
Ich habe noch nie jemanden so geliebt, begehrt wie dich. Aber mein Verstand
sagt mir, verschwinde hier, laß ihn gehen! Sonst machst du ihn kaputt.
Und sein Leben dazu.“ „Aber sag mir, was ist schlimmer, das oder ein gebrochenes
Herz?“ Dies löste die ganzen aufgestauten Gefühle in Martin.
Er klappte einfach zusammen und brach in Tränen aus. „Mach es mir
doch nicht noch schwerer als es schon ist!“ schluchzte er. Christian überlegte
nicht länger, reflexartig fiel er vor Martin auf die Knie und nahm
ihn in den Arm. Doch der stieß ihn weg. „Nein! Geh weg, ich ertrage
das nicht.“ „Laß mich doch, solange ich noch kann!“ Jetzt kamen auch
Christian die Tränen. „Wenigstens jetzt noch, bevor du mich verläßt!“
Martin sah auf. „Aber das macht es mir noch schwerer.“ „Ich weiß.
Aber...das würde es mir vielleicht einfacher machen. Mit den Erinnerungen.“
Martin sagte nichts. „Bitte. Noch ein mal...schlaf noch einmal mit mir.“
Martin wischte sich die Tränen ab. Er umarmte Christian. „Ja.“ Flüsterte
er. Sie küßten sich. Sie ließen sich viel Zeit, genossen
alles, was sie taten ganz bewußt, weil sie wußten, daß
es das letzte Mal war. Christian spürte Martins Körper, fühlte
seinen heißen Atem auf seiner Haut. Er wollte ihn festhalten und
nie wieder loslassen, doch Martin ging fort. Er würde ihn nie wieder
festhalten können.
„Ich finde es schade, daß Martin
uns verläßt.“ Meinte Anne, als sie und ihr Mann auf dem Weg
zu Martins Verabschiedung waren. „Hm.“ Christian war mit seinen Gedanken
bei Martin und bei ihrem letzten Mal, das sie zusammen verbracht hatten.
„Aber vielleicht hat er was besseres gefunden.“ „Wahrscheinlich.“ Christian
parkte den wagen, als sie beim Gemeindehaus ankamen. Die beiden stiegen
aus. „Ah, da ist er. Martin!“ Anne lief auf Martin zu und umarmte ihn.
Christian kam hinterher. „Hallo Martin.“ „Hallo Christian.“ Martin lächelte
tapfer. „Es ist wirklich traurig, daß du gehst.“ Sagte Anne. „Wir
werden dich vermissen.“ „Ich werde euch auch...vermissen.“ Er sah Christian
kurz tief in die Augen. „Aber ich muß gehen.“ Er seufzte. „Hast du
dich schon von den anderen verabschiedet?“ wollte Anne wissen. „Ja, von
Uwe und den anderen vorhin.“ erwiderte Martin. „Ich muß jetzt auch
los.“ „Versprich mir aber, daß du schreibst, ja?“ Anne drückte
ihn noch einmal fest. „Na klar.“ Martin reichte Christian die Hand, doch
der zog ihn an sich und umarmte ihn. „Tschüs Martin.“ Sagte er. „Ich
werde dich nie vergessen.“ Flüsterte Martin noch schnell, bevor er
sich von ihm löste. „Also dann.“ Martin stieg in seinen Wagen. „Auf
Wiedersehen, ihr zwei!“ Martin startete den Wagen. „Wiedersehen, Martin!“
Anne winkte noch. Christian glaubte noch, Martins Geruch in der Luft zu
bemerken, als er die Straße herunterfuhr. Nein, er würde ihn
bestimmt nicht vergessen.
THE END
beendet: 17/12/97