Fabian wollte mal wieder absichtlich zu
spät kommen. Er liebte Aufmerksamkeit und Aufsehen. Da paßte
das doch zu seinem Einstand an der neuen Schule. Doch einfaches Zuspätkommen
genügte seinen Ansprüchen eigentlich nicht. Er überlegte
kurz und hatte wieder einen neuen Einfall. Fabian machte auf dem Absatz
kehrt, lief die Treppe herunter und suchte sich seinen Weg ins Sekretariat.
Auch dies kostete ihn einige Minuten. Als er dieses dann betrat, sah die
Sekretärin, die in dem Raum saß von ihrem Computer auf. „Kann
ich ihnen helfen?“ „Oh ja, das wäre sehr nett.“ Fabian setzte sein
nettestes Lächeln auf. „Ich bin neu hier und finde mich nicht so zurecht.
Ich habe jetzt Geschichte, glaube ich. Nur wo, das weiß ich nicht.“
„Ach, warten sie.“ Die Sekretärin sah kurz in einige Unterlagen, die
auf ihrem Schreibtisch lagen. „Süd 3.“ Sie sah auf. Doch da Fabian
ein so hilfloses Gesicht machte, stand sie auf. „Ich führe sie schnell
hin.“ „Vielen Dank.“ Fabian strahlte dankbar. Die Sekretärin lächelte
daraufhin zurück. Offensichtlich ein sympathischer, höflicher
Schüler. Sowas hatte sie selten erlebt, in den 15 Jahren, die sie
von ihren 53 hier verbracht hatte. So begleitete die Dame den natürlich
völlig unwissenden Fabian zu Süd 3.
Dort klopfte sie dann an die Tür
und öffnete. Die Sicht wurde frei auf den Klassenraum und seine Insassen,
18 Schüler und ihren Lehrer, den besagten Herrn Becker. „Herr Becker,
dieser junge Mann ist neu, er gehört in ihren Kurs“, sagte die Sekretärin.
Es gab den von Fabian gewünschten Effekt: Die Schüler sahen ihn
neugierig an und der Lehrer schenkte ihm volle Aufmerksamkeit. Die Sekretärin
war unterdessen schon wieder aus dem Raum verschwunden. Anscheinend hatte
sie Wichtigeres zu tun. „Ah ja? Dann kommen sie mal herein“, sagte Herr
Becker. „Wie war der Name?“ „Ich hatte noch keinen Namen gesagt“, meinte
Fabian. „Nun, Herr Neunmalklug, vielleicht würden sie das dann mal
tun?“ Herr Becker zog die Augenbrauen hoch. Einige Mädchen kicherten,
als wären sie noch in der Grundschule. „Sicher. Fabian Sander.“ „Wie
die von der Kaufhauskette?“, fragte ein Mädchen. „Nicht nur wie.“
Fabian zog seine Mundwinkel zu einem überlegenen Lächeln hoch.
Das Mädchen schaute beeindruckt. Fabian schaffte es immer wieder.
„Ob nun Kaufhaus oder nicht, sie sollten sich jetzt setzen und dem Unterricht
folgen“, schaltete sich Herr Becker ein. „Sie können sich ja
später über den momentanen Stoff informieren.“ „Natürlich“,
erwiderte Fabian und setzte sich hocherhobenen Hauptes auf einen Platz
neben einem Jungen am Fenster. Der sah ihn einen Moment an, bis Fabian
zurückstarrte. „Is was?“ Der Junge neben ihm schüttelte den Kopf
und konzentrierte sich auf ein Tafelbild, das Herr Becker anzeichnete.
Zufrieden lehnte sich Fabian zurück. Vorerst hatte er genug Aufmerksamkeit
auf sich gezogen.
Nach der Stunde, als er seine Sachen zusammenpackte,
trat ein Mädchen an seinen Tisch und streckte ihm die Hand entgegen.
„Hallo. Britta Krause.“ Fabian sah sie ein wenig überrascht an. Das
war anscheinend das Vorhaben des Mädchens gewesen, denn sie begann
zu grinsen. „Machst dir ja gleich viele Freunde, wie?“ „Was meinst du?“,
fragte Fabian, als er seinen erhabenen Tonfall wiedergefunden hatte. Britta
zog ein zerknülltes Blatt Papier hervor und gab es Fabian. Der glättete
es und las: „Ganz schön eingebildet der Neue, was?“ Fabian schaute
wenig irritiert. „Und wenn schon.“ „Hey, du bist doch bestimmt gar nicht
so.“ Britta holte einen Apfel aus ihrem Rucksack und biß hinein.
„So ‘ne Phase hatte ich auch mal.“ „Ach?“ Fabian sah sie fragend an. „Was
hast du jetzt?“, wollte Britta wissen, ohne weiter auf das Thema einzugehen.
„Ich weiß nicht. Fabian kramte einen Stundenplan aus seiner Tasche
heraus. „Physik. Herr Berg.“ „Wow, Leistungskurs. So gut bin ich in Physik
wirklich nicht“, meinte Britta ehrlich beeindruckt. „Naja, ich mag Naturwissenschaften.“
Langsam vergaß Fabian seinen snobistischen Unterton. „Ich auch! Aber
seine Begabungen kann man sich nicht aussuchen. Sag mal, sehen wir uns
in der Pause?“ „Wenn du willst.“ „Gut, treffen wir uns draußen in
der Raucherecke.“ Mit diesen Worten verließ Britta den Klassenraum.
Fabian sah ihr verwundert nach. Daß so schnell jemand mit ihm Freundschaft
schließen wollte, und daß, obwohl er sich wirklich nicht gerade
einladend verhalten hatte. Eigentlich war er froh darüber. Er ging
als Letzter aus dem Raum und suchte den Physiksaal, den er nach einiger
Zeit fand. Er bemühte sich in dieser zweiten Stunde, nicht aufzufallen.
Er bemerkte, daß er den Stoff, der durchgenommen wurde, gut beherrschte.
Die Schüler waren ihm in nichts voraus. Nach der Stunde ging er wie
verabredet in die Raucherecke auf dem Schulhof, die er ausnahmsweise
mal ohne Probleme fand. Auch Britta traf er nach kurzer Zeit dort an. „Hey,
wie war’s so?“, wollte sie wissen. „Einfach“, erwiderte Fabian leger. „Echt?
Alle sagen, der Kurs wäre schwer.“ Britta zündete sich eine Zigarette
an und hielt Fabian ihre Malboro- Packung hin. Der zögerte kurz, griff
dann aber zu. „Und was hast du jetzt?“, fragte Britta, während sie
Fabian den Glimmstengel ansteckte. „Deutsch, Doppelstunde. So weit ich
weiß.“ Fabian blies den grauen Rauch in die Frühlingsluft. „Bei
Herrn Teschner?“ „Kann sein.“ „Cool, da bin ich auch drin“, meinte Britta.
„Habt ihr hier nur Lehrer, keine Lehrerinnen?“, wollte Fabian wissen. „Nö.
Aber mehr Herren als Damen.“ „Ach?“ „Stört dich das?“ Britta sah ihn
fragend an. „Nö. Im Gegenteil.“ Fabian warf seiner Gesprächspartnerin
einen bedeutungsvollen Blick zu. „Wie?“ Brittas Miene wurde interessiert.
„Tja...“ Fabian grinste und Britta lächelte zurück. Fabian sah
sich noch einmal auf dem Schulhof um. „Gibt es hier keine interessanten
Leute?“ „Doch. Klar. Zumindest einige, die von sich reden machen“, erwiderte
Britta. Sie drehte sich um und zeigte verstohlen auf ein aufgedonnertes
Mädchen, das sich gerade mit einem anderen unterhielt. „Die da, Anja
Bechtel, die soll angeblich schon mit sieben Leuten hier geschlafen haben.“
„Schlampe also“, schlußfolgerte Fabian. „Dann habt ihr aber auch
die Leute, die im Zölibat leben.“ „Ja, sicher. Da. Die da drüben.“
Britta wies wieder mit der Hand auf ein Mädchen mit einem weiten Pullover
und Schlabberjeans, die gerade eifrig mit einem bebrillten 2 Meter Mann
diskutierte. „Total Öko. Und absolut Jungfrau – keusch.“ „Auch ne
Art“, meinte Fabian. „Aber nichts für mich.“ „So, so. Das ist ja interessant.“
„Britta! Endlich find ich dich!“ Ein weiterer Schüler kam auf die
beiden zu. „Du weißt doch, daß ich immer hier bin.“ „Egal“,
keuchte der Junge. „Uli hat gesagt, die Heinze schreibt heute nen Test.“
„Was?“, rief Britta überrascht. „Nich wahr!?“ „Ich weiß nicht.“
„Toll.“ Britta ließ ihre Zigarette fallen und drehte ihren Fuß
darauf. „Das ist übrigens Fabian Sander.“ „Aha, Hallo“, sagte der
Typ. „Harry, Harry Fredlich.“ „Schöner Ring.“ Fabian zeigte auf das
Piercing, das Harry in der Augenbraue trug. „Ich hab auch eins.“ Fabian
zog sein schwarzes Shirt hoch, bis sein Bauchnabel sichtbar wurde, in dem
sich ein silberner Ring befand.“ Harry schaute ein wenig befremdet drein.
„Ich kenn nur Mädchen, die das haben.“ Da gongte es. „Harry, laß
uns hoffen, daß Uli nur wieder rumspinnt. Der macht doch dauernd
die Leute verrückt“, sagte Britta. Dann wandte sie sich wieder Fabian
zu. „Komm, dann gehen wir jetzt zu Deutsch.“
Die Schüler im Grundkurs Deutsch
verstummten, als der Lehrer eintrat, Jan Teschner. Fabian richtete sein
Augenmerk auf die junge Lehrkraft. In seinen Augen blitzte es kurz auf.
Er musterte Jan Teschner genau. Er war recht groß, ziemlich gut gebaut,
hatte dunkle Haare und einen guten Klamottengeschmack, so wie Fabian das
sah. Ein Lächeln breitete sich über das Gesicht des 18–jährigen
aus. Da wurde er von seiner Nachbarin Britta angestupst. „Attraktiv, hm?“
Fabian nickte langsam. „Aber hoffnungslos. Verheiratet.“ Blitzschnell wandte
Fabian Britta seinen Blick zu. „Kinder?“ Sie schüttelte den Kopf.
„Na bitte.“ Beruhigt sah er nach vorne, um sich wieder seinem Lehrer zu
widmen. „Wie meinst du das?“ „Da hast du vielleicht doch noch eine Chance“,
meinte Fabian. „Wieso?“, fragte Britta neugierig. „Weißt du, die
Kerle trennen sich schwerer, wenn Kinder im Spiel sind.“ „Mag sein.“ Britta
senkte den Blick auf ihre Englischhausaufgaben, Fabian schaute wieder zu
Herrn Teschner. Ihre Blicke trafen sich. „Oh. Ein neuer Schüler? Mitten
im Schuljahr? Wie ist denn ihr Name?“ „Fabian Sander.“ Der Befragte legte
einen weichen Unterton in seine Stimme. „Und wieso geben sie uns die Ehre?“
Herr Teschner setzte sich auf das Lehrerpult und sah Fabian weiter an.
„Wir sind hergezogen. Aus Berlin.“ „Von Berlin nach Braunschweig. Was für
eine Umstellung!“ „Es hat sich gelohnt.“ Fabian lächelte tiefsinnig.
Herr Teschner ging nicht weiter auf die Bemerkung ein. „Wie auch immer.
Ich hoffe wenigstens, daß es ihnen hier gefallen wird und sie sich
hier zurechtfinden.“ „Danke.“ Fabian schenkte seinem Lehrer noch ein Lächeln.
„Gut. Wenden wir uns wieder unserer Lektüre zu.“ Unstimmiges Gemurmel
ging durch den Raum. „Faust, meine Damen und Herren. Widmen wir uns wieder
Goethes Faust.“ Fabian konnte sich nicht „Faust“ widmen, da er die Lektüre
noch nicht hatte. Aber er schaute sich sowieso lieber den Typen an, der
vorne auf dem Lehrertisch saß und in seinem Büchlein blätterte.
„Wie alt ist er?“, wandte sich Fabian erneut an Britta. „Und was macht
er sonst so?“ Britta sah ihn überrascht an. „Du willst es wohl ganz
genau wissen, wie? Er ist 30.“ „Britta, wenn sie sich darauf beschränken
könnten, außerhalb des Unterrichts mit unserem Neuzugang zu
flirten?“ Die Schüler schmunzelten aufgrund der Mahnung ihres Lehrers.
„Natürlich“, erwiderte Britta mit einem Lächeln. Als Herr Teschner
wieder dem Lehrstoff widmete, beugte sich Britta erneut zu Fabian. „Er
spielt Tennis. Außerdem macht er den Hobbytrainer bei einer Jugendfußballmannschaft.“
Fabian schaute interessiert. „Wirklich? Ich spiele auch Fußball.
Kommt man in die Mannschaft rein?“ „Grundsätzlich schon“, antwortete
Britta. „Aber es wäre etwas ungewöhnlich, daß er einen
seiner Schüler aus der Schule aufnimmt. Aber wenn du gut bist...“
„Der beste“, meinte Fabian selbstsicher. „Das will ich ja sehen.“ Britta
zwickte ihn in den Arm. „Britta. Bitte.“ Herr Teschner sah sie erneut mahnend
an. „OK, ich hör schon auf.“ „Gut.“
Dem weiteren Teil der Stunde folgten Britta
und Fabian mit großer Aufmerksamkeit, besonders letzterer. Als es
zur kleinen Pause klingelte und alle begannen, fröhlich miteinander
zu plaudern, stand Fabian auf und schlenderte auf den Lehrertisch zu, an
dem Herr Teschner saß und den Inhalt der Stunde ins Kursbuch eintrug.
„Herr Teschner?“ Der Lehrer sah auf. „Ja?“ „Ich hätte da mal eine
Frage.“ „Nur zu.“ Herr Teschner legte seinen Stift hin. „Ich hörte,
sie sind Trainer einer Fußballmannschaft.“ „Ja, das stimmt.“ Die
Lehrkraft sah Fabian gespannt an. „Nun, ich war in Berlin in einer Mannschaft
und wollte hier auch gerne weiter spielen. Darum wollte ich mal fragen,
ob sie noch jemanden gebrauchen können.“ Fabian blickte ihn mit einem
bittenden Ausdruck auf dem Gesicht an. „Nun, eigentlich schon. Jemand von
den Jungs zieht weg, deshalb sehe ich mich gerade nach einem Ersatz um.
Aber normalerweise unterlasse ich es tunlichst, jemandem aus meinem Unterricht
in die Mannschaft zu nehmen. Wissen sie, wegen der Unvoreingenommenheit.“
Fabian nickte, legte aber einen enttäuschten Unterton in seine nächste
Bemerkung. „Wirklich schade. Ich hörte, sie wären ein guter Trainer.“
Herr Teschner sah Fabian einen Moment lang prüfend an. „Naja. OK,
sie können ja mal zum Training kommen. Und vielleicht mitspielen und
mir zeigen, was sie draufhaben.“ „Wirklich? Das ist toll.“ Fabian strahlte
dankbar. „Jeden Montag und Mittwoch auf dem Sportplatz gegenüber der
Schule, von 16 Uhr bis 18 Uhr“, sagte sein Lehrer. „Praktisch, ein Sportplatz
genau an der Schule“, bemerkte Fabian. „Ja, richtig, das ist schon sehr
vorteilhaft“, bestätigte Herr Teschner. Da gongte es zur zweiten Deutschstunde.
„Also, vielen Dank noch mal.“ Fabian senkte leicht demütig den Blick
und ging auf seinen Platz. Dort tippte er Britta an, die immer noch nicht
mit ihren Englischhausaufgaben fertig war. Als sie ihn ansah, begann er,
„I won again“, zur Melodie von „You win again“ von den Bee Gees zu singen.
„Bitte was?“ Britta mußte lachen. „Ich komme in die Mannschaft.“
„Wie? Ohne, daß er dich einmal spielen gesehen hat?“ Britta sah ihn
skeptisch an. „Doch, heute gehe ich zum Training und er schaut sich an,
wie ich spiele. Aber ich weiß, daß er mich nimmt.“ Fabian lächelte
siegessicher. „Hoffentlich täuscht du dich nicht. Sag mir morgen,
wie es gelaufen ist“, bat ihn seine Gesprächspartnerin. „Klar.“ Fabian
musterte sie kurz, dann knuffte er sie kurz in die Schulter und sagte.
„Hey, du bist echt OK.“ „Du auch.“ Britta lächelte ihn freundschaftlich
an, bevor sie ihre Arbeit an den Hausaufgaben wiederaufnahm.
In dieser zweiten Deutschstunde dachte
Fabian über den anstehenden Nachmittag nach. Als es wieder zur Pause
klingelte, schenkte er seinem Deutschlehrer noch ein freundliches Lächeln,
bevor Britta und er den Raum verließen, um auf den Schulhof zu gehen.
„Sag mal, du wolltest mich doch spielen sehen oder?“, wollte Fabian von
Britta wissen, als sie in der Raucherecke angekommen waren. „Hm? Ach, beim
Fußball. Klar“, erwiderte sie. „Wie wäre es, wenn du nach der
Schule mit zu mir kommst und dann heute Nachmittag mit zum Training?“,
schlug Fabian vor. „Coole Idee“, stimmte Britta zu. „Bei mir ist sowieso
keiner Zuhause, da würde ich mich eh nur langweilen.“ „Hey, Britta.“
Ein Schüler war hinzugekommen und legte Britta den Arm um die Schulter.
„Mensch Uli, stimmt das nun mit dem Test? In Englisch?“, wollte Britta
gleich wissen. „Nein, falscher Alarm. Anja hat mir wieder Mist erzählt“,
erwiderte Uli. „Klar, daß du dann gleich wieder die Pferde scheu
machen mußt.“ Britta entfernte den Arm ihres Kumpels von ihrer Schulter.
„Das ist übrigens Fabian. Er ist neu. Und er will in Teschners Team“,
erklärte Britta. „Wirklich? Ich bin Uli.“ „Ach?“ Fabian zog die Augenbrauen
hoch. „Du willst bei Teschner Fußball spielen? Viel Glück, er
nimmt nur die Besten, die er kriegen kann“, sagte Uli. „Er wird froh sein,
mich zu kriegen.“ „Sei dir da nicht zu sicher“, meinte Uli. „Ich guck’s
mir heute an“, sagte Britta zu ihm. „Das lasse ich mir ja nicht entgehen,
wenn Mr. Großspurig hier den Ball kickt.“ Sie pikste Fabian in den
Bauch. „Hey, mach mich mal nicht zum Invaliden“, mahnte Fabian. „Ich muß
fit sein heute nachmittag.“ „Das würde ich ja auch gerne sehen“, meinte
Uli. „Warum kommst du nicht auch?“, wollte Britta wissen. „Um vier fängt
es glaube ich an.“ „Dann kann er doch auch gleich mit zu mir kommen“, schlug
Fabian vor. „Echt? Find ich ja gut.“ Uli nickte zustimmend. „Jetzt muß
ich aber erst mal Anja anmaulen gehen.“ Er klopfte Britta auf die Schulter.
„Treffen wir uns nach der 6. am Haupteingang, OK?“ „Alles klar“, sagte
Fabian. Schon war Uli zwischen den Schülern verschwunden. „Es schadet
nichts, wenn du dich hier gleich mit ein paar Leuten anfreundest. Später
wird das schwieriger“, erzählte Britta. „Habe ich mir auch so gedacht.“
„Aber gib nicht immer so an. Macht keinen guten Eindruck“, gab Britta ihm
einen Tip. „Der Eindruck ist mir nicht so wichtig“, sagte Fabian. „Wenn
ich denke, daß ich etwas gut kann, dann sage ich es auch.“ Britta
zuckte mit den Schultern. „Wie du meinst. Auf jeden Fall ist Uli OK. Und
Harry auch. Manchmal spinnt der zwar, aber sonst ist er cool drauf.“ „Sag
mal, hast du eigentlich einen Freund?“, wollte Fabian wissen. „Wieso fragst
du?“ Britta sah ihn neugierig an. „Nur so. Ich will es halt wissen.“ „Ach
so. Nein, ich habe keinen Freund“, erwiderte Britta. „Und du, hast du eine
Freundin? In Berlin, meine ich.“ Fabian lachte auf. „Ich? Bestimmt nicht.“
Britta lächelte ihn irritiert an. „Wieso? Ist das so unwahrscheinlich?“
„Wer sollte mich schon wollen?“, fragte Fabian. „Das verstehe ich nicht.
Du bist ganz nett und siehst gut aus...“ „Ha, du kennst noch nicht mein
wahres Gesicht.“ Fabian zog eine Grimasse, die Britta zum Lachen brachte.
„Blödmann.“ Da ließ der Gong wieder unmißverständlich
deutlich werden, daß die Stunde anfing. Britta und Fabian gingen
wieder auf das Schulgebäude zu. „Ich hab jetzt Englisch. Und du?“,
wollte das Mädchen wissen. „Kunst. Endlich ein wenig Entspannung“,
antwortete Fabian. „Also sehen wir uns nachher am Haupteingang?“, fragte
Britta noch. „Ja. Ich bin mit dem Auto, also...“ „Alles klar, bis dann.“
Britta hob noch kurz die Hand, bevor sich ihre Wege im Schulhaus trennten.
Nach zwei wirklich entspannenden Stunden
Kunst begab sich Fabian sofort zum ausgemachten Treffpunkt, wo Britta und
Uli ihn schon erwarteten. „Ich stehe unten auf dem Schülerparkplatz“,
sagte Fabian zur Begrüßung. „Kommt ihr?“ „Klar.“ Unten auf dem
Parkplatz ging Fabian schnurstracks auf einen Mercedes zu, ein Cabrio.
„Wow, ist das deiner?“, staunte Uli. „Naja, ich teile ihn mit meiner Mutter.
Heute braucht sie ihn nicht“, erwiderte Fabian und schloß das Gefährt
auf. „Hast du keine Angst, daß er dir geklaut wird?“, wollte Britta
wissen. „Eigentlich nicht. Steigt ein.“ Die drei ließen sich in die
Ledersitze sinken und brausten los.
Das Haus der Sanders lag am Rand von Braunschweig. Es war kein Haus, eher eine zweistöckige Villa mit einem Garten, wie gemacht für Grillparties im Sommer. Fabians Vater war der Besitzer einer Kaufhauskette mit Filialen in ganz Deutschland und einigen im Ausland. Daher konnte er sich ohne Probleme dieses Anwesen leisten. Nach kurzer Fahrt kamen die drei Schüler bei dem Haus an. Mit einem kurzen Knopfdruck auf einer Fernbedienung betätigte Fabian das weiße Metalltor, das dann den Weg auf die Hauszufahrt freigab. Aufmerksam betrachteten Britta und Uli das ebenfalls weiße Gebäude, dem sie sich näherten. Fabian parkte den Wagen vor der Garage und sie stiegen Haus. „Willkommen bei den Sanders“, sagte Fabian. „Wirklich eine bescheidene Hütte“, meinte Uli. „Stimmt. Unser Haus in Berlin war größer.“ Fabian grinste. „Kommt schon gehen wir rein.“ Fabian schloß die Haustür auf und sie betraten den „Flur“: Eine hohe Eingangshalle mit einer breiten Treppe, die in den ersten Stock führte und einigen Durchgängen zu Räumen im Erdgeschoß. Uli und Britta sahen sich immer noch beeindruckt um, als auf einmal ein kläffendes Etwas die Treppe hinunter gestürmt kam. Es war ein kleiner wuscheliger Yorkshire Terrier. „Ja, Herkules, da bist du ja mein Süßer!“ Fabian nahm den kleinen Hund auf den Arm und knuddelte ihn kurz, dann ließ er ihn wieder herunter. „Schau, Rüde, Besuch.“ Der Hund lief auf Britta und Uli zu, sprang fröhlich an ihnen hoch und schlabberte ihre Hände ab, als sie ihn streichelten. „Der ist ja süß.“ Die beiden waren ganz angetan von dem kleinen Tier. „Herkules ist aber ein komischer Name für so einen kleinen Hund“, bemerkte Uli. „Warte ab, bis er mit dir spielt. Du liegst im Handumdrehen auf dem Boden“, mahnte Fabian. Uli lachte. „Das soll er mal versuchen.“ Der Hund schnüffelte noch einmal an den beiden Gästen, dann lief er durch einen der Durchgänge davon. „Ja, Herkules, du bist ja ganz aufgeregt!“, sagte eine Frauenstimme, die auch aus der Richtung zu kommen schien, in die der Hund verschwunden war. „Was ist denn mit dir?“ Kurz darauf kam eine modisch gekleidete Frau um die 45 aus dem Durchgang, mit dem Hund auf dem Arm. „Ach Fabian! Ich hab dich gar nicht kommen hören!“ Die Frau trat auf die drei zu. „Oh, du bringst Besuch?“ „Das sind Britta und Uli“, stellte Fabian seine Gäste vor. „Und das ist meine Mutter, Anne Sander.“ „Freut mich.“ Fabians Mutter gab den beiden die Hand. „Wollt ihr was essen?“ Die drei sahen sich an. „Gerne. Oder was sagt ihr?“ „Da sag ich nicht nein.“ Uli grinste. „Ich wäre vorsichtig“, meinte Britta. „Der ist ganz schön verfressen.“ „Ist ja genug da“, sagte Anne Sander. „Am besten, ihr eßt in der Küche. Frau Schütz ist nämlich noch oben in deinem Zimmer.“ Anne Sander ging durch den Durchgang zurück, der in die besagte Küche führte. „Ich habe doch gesagt, ich will das nicht!“, rief Fabian ihr hinterher. Dann wandte er sich an seine Besucher. „Unserer russische Haushaltshilfe“, sagte Fabian zur Erklärung. „Mein Mutter will nicht, daß ich Putze sage.“ Die drei grinsten. Dann führte Fabian sie in die geräumige Küche. Wie auch schon die Eingangshalle, war sie ganz in schwarz und weiß gehalten. „Setzt euch.“ Fabian wies auf zwei Hocker am Küchentresen. „Was hast du zu essen, Mama?“, fragte der 18–jährige. „Ich habe ein paar Steaks für euch in die Pfanne gehauen. Dazu Gemüseauflauf. Ich bin nämlich Vegetarierin“, erklärte Fabians Mutter. „Das könnt ich nicht, ohne Mc Doof.“ Uli schüttelte den Kopf. „Ich auch nicht“, stimmte Fabian ihm zu. „Ich aber. Ich verzichte dann auf mein Steak“, sagte Britta. „Vernünftig“, sagte Anne Sander anerkennend. „Lassen wir die Jungs das tote Fleisch essen.“ „Mama!“, sagte Fabian genervt. „Nicht wieder das.“ „Wieso? Es stimmt doch. Ich esse nichts, was mal eine Mutter gehabt hat“, erklärte Frau Sander. „Dafür...“ „Esse ich den Tieren das Futter weg, ich weiß.“ Fabian seufzte. „Ich weiß, daß du weißt.“ „Laßt euch das Essen aber nicht von mit verderben“, bat seine Mutter. „Das will ich ja auch nicht.“ Sie warf einen Blick auf die brutzelnden Fleischstücke in der Pfanne auf dem Herd. Vor disem saß der Hund und sah sehnsüchtig nach oben, in der Hoffnung, daß vielleicht etwas von dem leckeren Essen herunterfallen würde. „Ja, Herkules, das ist für die Kinder hier. Aber vielleicht gibt dir jemand etwas ab.“ „Er kann ja mein Steak haben“, schlug Britta vor. „Das vergißt er dir nie“, warf Fabian ein. „Das ist ja Bestechung“, meinte Uli. „Ich vertraue mal darauf, daß der Hund mich auch so mag.“ „Wenn du mit ihm spielst bestimmt“, sagte Fabian zuversichtlich. „So, das Fleisch ist fertig.“ Anne Sander füllte das Fleisch mit etwas von dem Gemüseauflauf auf die Teller und gab sie den Jungen. Britta reichte sie einen Teller nur mit dem vitaminreichen Auflauf. „Guten Appetit. Ich hoffe, es schmeckt.“ „Danke schön“, sagten Britta und Uli. „Schon gut. Wie war denn ein erster Tag heute, Fabian?“, fragte Frau Sander ihren Sohn. „Gut“, erwiderte der. „Ich gehe heute Nachmittag zum Fußballtraining. Mein Deutschlehrer macht da den Hobbytrainer und sieht sich mal an, wie ich spiele.“ „Toll, wäre ja schön, wenn du hier wieder spielen kannst“, sagte seine Mutter. „Ihr entschuldigt mich jetzt. Ich habe noch zu arbeiten.“ Mit diesen Worten verließ Frau Sander die Küche. „Also, was dein Vater macht, weiß ich schon von Britta. Was arbeitet denn deine Mutter?“ wollte Uli wissen. „Sie ist Anwältin in einer Kanzlei. Sie ist gut, deshalb hat sie hier auch eine gute Stelle bekommen“, erwiderte Fabian. „Und nett ist sie auch noch“, meinte Uli. „Danke schön. Ja, ich komme gut mit ihr aus. Und mit meinem Vater auch.“ „Hast du noch Geschwister?“, wollte Britta wissen, die gerade eifrig damit beschäftigt war, Herkules mit dem verbliebenen Steak zu füttern. Fabian schüttelte den Kopf. „Ich bin das typische Beispiel eines verwöhnten Einzelkindes.“ „Dafür aber ganz umgänglich“, meinte Britta. „Wir kennen da noch ganz andere, ne, Uli?“ „Und wie“, meinte der Angesprochene mampfend. Fabian warf einen Blick auf den Yorkshire Terrier. „Wenn er soviel frißt, muß er nachher aber viel laufen. Sonst wird er zu fett, wenn alle ihn so verwöhnen.“ „Ich spiele nachher mit ihm. Wenn ich darf.“ Uli legte sein Besteck beiseite. „Klar. Mensch Rüde, du hast es aber gut heute, was?“ Fabian kraulte den Hund hinter den Ohren. Der knurrte allerdings etwas, weil er schließlich mit seinem Steak beschäftigt war. „Wenn ihr hier fertig mit Essen seid, dann können wir ja kurz raus gehen, mit dem Hund, in den Garten.“ „Also, ich bin fertig“, meinte Britta. „Ich auch“, stimmte Uli ebenfalls zu. „Tja, nur die Töle hier wird nicht fertig.“ Der Hund sah auf, als hätte er verstanden. Dann widmete er sich wieder seinem Fleisch. Nach einigen Minuten war auch der Rest davon verschwunden. „Gut. Dann mal raus. Komm Herkules, spielen!“ Der Rüde bellte kurz und rannte aus der Küche. „Der hat aber ‘n Zahn drauf“, meinte Uli, als er und Britta Fabian durch den anderen Durchgang der Eingangshalle ins Wohnzimmer folgte. Es war für dieses Haus angemessen groß, modern eingerichtet und beherbergte die neuesten Errungenschaften der Technik. Aber Fabian und seine Begleiter steuerten auf eine Terrassentür zu, die zur selben führte. Sie betraten also den Garten. Wieder kamen Uli und Britta aus dem Staunen nicht heraus: Der Garten bestand aus einer großen, gepflegten Rasenfläche, an dessen Rand große Büsche und Bäume die Sicht auf die Nachbarhäuser verdeckten. Blumenbeete säumten einen Weg, der sich durch den gesamten Garten schlängelte. Ein kleiner künstlich angelegter Bach führte in einen Teich am hinteren Ende des Geländes. Das Herzstück des Gartens war ein geräumiges Schwimmbecken, ziemlich in der Mitte der Rasenfläche. „Das ist kein Garten, das ist ein Park!“, meinte Uli und schüttelte den Kopf. „Hübsch, oder?“ „Hier kannst du ja Poolparties machen“, schlug Britta vor. „Habe ich auch vor. Wenn ich Geburtstag habe, Ende Juli“, bestätigte Fabian. „Mann, ich fühle mich wie ein Weib vom Jet Set“, sagte Britta. „Kann man bei euch einheiraten?“ Fabian lachte. „Ich weiß nicht.“ Er beobachtete Herkules, der über die Blumenbeete peste und kräftig Sand aufwühlte. Nach einer Weile machte er sich daran, eine Blume auszugraben und auf ihr herumzukauen. „Fabian!“, ertönte auf einmal die schockierte Stimme seiner Mutter aus einem Fenster im ersten Stock. „Hol den Hund da weg! Er zerstört die Beete!“ „Is ja gut!“, meinte Fabian. „Los Uli. Deine Aufgabe.“ „Was, ich?“, fragte der Angesprochene entgeistert. „Ja. Tu mal was Gutes.“ „Ich versuch‘s.“ Uli näherte sich langsam dem Hund. Der sah von seiner Pflanze auf und knurrte ihn an. Als er merkte, daß Uli es ernst meinte, wetzte er los. Er ließ sich von Uli durch den ganzen Garten jagen, zur Freude der beiden Zuschauer Britta und Fabian. Nur dessen Mutter war gar nicht begeistert. „Stoppt den Köter doch endlich!“ Doch der „Köter“ dachte ja gar nicht daran, aufzuhören. Er lief nur noch schneller. Nach ein paar Minuten gab Uli auf und ließ sich auf das Gras fallen. Schon war Herkules bei ihm und hüpfte angetan auf dem Wehrlosen herum. „Was habe ich gesagt? Schon liegst du auf dem Boden. „Ich gebe mich geschlagen.“ Uli streichelte den erfreuten Hund. „Guter Junge.“ „Jetzt komm aber, Herkules.“ Fabian befreite Uli von dem Rüden. „Du kannst doch nicht einfach auf irgendwelchen Leuten herumtrampeln.“ Herkules war gar nicht begeistert, daß sein Spiel abgebrochen wurde und strampelte ziemlich herum. „Nix is, Töle. Jetzt geht’s erst mal wieder rein.“ Fabian drehte sich zu seinen neuen Freunden um. „Kommt ihr? Ich kann euch jetzt mein Zimmer zeigen. Unsere Haushaltshilfe wird wohl fertig sein.“ „Oh ja, das will ich jetzt aber auch sehen.“ Die drei gingen wieder ins Haus. Dort führte Fabian sie in den ersten Stock, wo sich sein Zimmer befand. Er öffnete eine Tür und die Sicht wurde frei auf ein „jugendgerecht“ eingerichtetes Zimmer: Eine Sitzgruppe bestehend aus Sofa, Sessel und Beistelltisch befand sich neben einem großen Doppelfenster, vor dem das Bett aufgestellt war. Sonst gab es in Fabians Zimmer noch einen Tisch auf dem ein Computer thronte, der aber wohl eigentlich als Schreibtisch gedacht war, ein hohes Bücherregal, ein Regal, in dem ein Fernseher inklusive Videorecorder stand und ein Kleiderschrank. Neben Fabians Bett stand noch ein Nachttisch mit Stereoanlage. Die Wände waren weiß, die Möbel alle in Schwarz gehalten. „Der Luxus hört wohl nie auf, wie?“ Uli seufzte. „Hier paßt mein Zimmer ja zweimal rein.“ „Na und? Klein aber fein. Sagt man doch, oder?“, bemerkte Fabian und ließ sich auf sein Bett fallen. „Haut euch irgendwo hin. Sofa oder so.“ Die beiden nahmen das Angebot gerne an. „Spielst du?“ Uli wies auf eine Gitarre, die am Kleiderschrank lehnte. „Ab und zu. Aber ich singe lieber“, erwiderte der Sander – Sproß. „Echt? Sucht Harry nicht noch’n Sänger für seine Band? Christoph ist doch ausgestiegen“, wandte sich Britta an Uli. „Ich glaube schon“, antwortete der. „Ehrlich?“ Fabian wurde neugierig. „Harry hat eine Band?“ „Ja, sie heißen „The Confused“. Kannst ihn ja mal drauf ansprechen“, schlug Britta vor. „Das werde ich tun.“ „Hey, stehst du auf New Model Army?“, fragte Uli, der gerade damit beschäftigt war, einen Stapel CDs zu durchforsten. „Ja, alles so’n Kram“, bestätigte Fabian. „Ich finde die auch total geil.“ „Schmeiß rein, wenn du willst.“ Also tat Uli die CD in die Stereoanlage. „Wie spät ist es?“, wollte Britta wissen. „Kurz vor drei. Hm. Ich sollte mal meine Sachen packen.“ Fabian stand auf und öffnete den Kleiderschrank. Sofort fielen ihm einige Kleidungsstücke entgegen. „So ist das. Kaum ist man eingezogen, schon gibt’s Unordnung. Unten stehen immer noch Umzugskartons rum. Die sollte mal langsam jemand auspacken“, murmelte Fabian. Er zog ein knappes weißes Shirt heraus und warf es auf sein Bett. Außerdem eine Sporthose, Turnschuhe und ein T-Shirt zum Wechseln. Diese Sachen stopfte er in einen Rucksack. Dann ging er zu seinem Bett und zog sein schwarzes Shirt über den Kopf. Britta pfiff durch die Zähne, als sie Fabians trainierten Oberkörper sah. „Kein Gramm Fett, wie? Der deutsche Peter Andre.“ „Man tut, was man kann.“ Fabian streifte sein weißes Oberteil über. „Hübsches Piercing“, bemerkte Uli. „Ja?“ Fabian zog sein Shirt ein wenig hoch und drehte den Ring in seinem Bauchnabel. „Ich glaube, Harry fand es merkwürdig.“ „Wieso, der hat doch selber eins“, sagte Uli. „Ja, aber sonst haben das doch nur Mädchen an der Stelle“, erklärte Britta fachmännisch. „Jeder, wie er will“, meinte Uli daraufhin. „Genau.“ Fabian setzte sich wieder auf seine Schlafstätte. „Ich sollte echt mal ‘ne Party machen. Nur so. Als Einstand.“ „Aber du kennst noch nicht so viele Leute hier oder?“ „Ja, ich meine ja auch erst, wenn ich mich hier etwas eingelebt habe. Na gut, dann ist schon bald mein Geburtstag“, grübelte Fabian. „Und zwar wann?“, wollte Britta wissen. „27. Juli.“ „Mitten im Sommer“, sagte Uli neidisch. „Ich hab im November. Herbst ist doch echt die beschissenste Jahreszeit.“ „Beschwer dich bei deinen Eltern“, schlug Britta vor. „Sollte ich auch mal tun. Ich hab im Februar.“ „Tja. Was wollten wir jetzt machen?“, wollte Fabian wissen. Seine Gäste hoben unwissend die Schultern. „Wir haben ja noch fast eine Stunde. Wollen wir noch ein bißchen rumfahren und irgendwo ein Eis essen?“, schlug Fabian vor. „Das ist eine gute Idee“, stimmte Britta zu. „ich könnte ein Eis vertragen.“ „Ich auch“, meinte Uli. „Ihr kennt euch hier ja aus“, sagte Fabian und stand auf. „Dann kommt und lotst mich zu einer guten Eisdiele!“
Ein paar Minuten vor Beginn des Trainings
kamen Fabian, Britta und Uli am Sportplatz an. Fabian stellte das Auto
neben die anderen, die schon auf dem Parkplatz standen. „Du mußt
dich schnell umziehen“, meinte Uli. „Es ist gleich vier. Und Herr Teschner
haßt Unpünktlichkeit.“ „Gut“, sagt Fabian. Wenn er zu spät
käme, würde ihm wieder Aufmerksamkeit zuteil werden. „Wie? Gut?“
„Gut, dann beeile ich mich.“ „Wir gehen am besten schon mal zur Tribüne
auf dem Platz“, sagte Britta. „Du findest dich doch bestimmt zurecht?“
„Sicher, geht nur. Bis gleich.“ Fabian schlenderte auf das Gebäude
zu, das die Umkleidekabinen und Duschen beherbergte. Er suchte seinen Weg
zu den Räumen der Jungen. Nach einer Weile fand er diese. Er betrat
die Umkleide und stellte fest, daß schon alle auf dem Platz sein
mußten, denn außer den Klamotten der Spieler befand sich nichts
und niemand mehr dort. Gemütlich und ohne sich zu beeilen sah sich
Fabian noch einen Moment um. Dann machte er sich daran, sich umzuziehen.
Als er fertig damit fertig war, zeigte seine Uhr schon zehn nach vier.
Fabian lächelte, holte tief Luft und verließ die Umkleide durch
eine Tür, die zum Sportplatz führte. Er sah draußen in
einiger Entfernung einige junge Männer ihre Runden auf dem Rasen laufen.
Und er sah Herrn Teschner, der etwas abseits stand und Anweisungen gab.
Auf der Tribüne rechts neben dem Feld saßen Britta und Uli,
die ihm zuwinkten. Fabian nickte zurück und schlenderte auf seinen
Lehrer zu. „Herr Teschner? Da bin ich.“ Der Angesprochene sah ihn kurz
prüfend an. Dann blickte er auf seine Uhr. „Also, wenn sie hier spielen
wollen, dann müssen sie pünktlich sein. Sonst haben sie gar keine
Chance“, sagte er mahnend. „OK. Tut mir leid.“ Fabian sah zu Boden. Die
Aktion war nicht ganz so gelaufen, wie er sich das vorgestellt hatte. Keine
perfekte Begrüßung. „So, jetzt schließen sie sich am besten
mal den Jungs an. Aufwärmen ist angesagt“, meinte Herr Teschner. Fabian
nickte, joggte locker auf die Gruppe Jugendlicher zu und schloß sich
nach Anweisung an. „Hey!“, keuchte einer der Jungen. „Bist du neu?“ „So
siehst’s wohl aus“, erwiderte Fabian. „Ich will hier mitspielen. Herr Teschner
sieht sich an, wie ich spiele.“ Sein Gesprächspartner nickte nur,
da das Laufen ihn doch ziemlich beanspruchte. Fabian warf einen Blick auf
seinen Lehrer, der immer noch mit verschränkten Armen am Feldrand
stand und die Gruppe beobachtete. Fabian biß sich auf die Lippen
und lief schneller, bis er sich an die Spitze des Feldes gesetzt hatte.
Dank seiner guten Kondition hielt er sein Tempo durch, bis Herr Teschner
seine Trillerpfeife benutzte, um den Jungs eine Pause zu gönnen. Alle
blieben erleichtert und angestrengt auf dem Rasen stehen. Herr Teschner
gesellte sich zu ihnen. „So, Leute. Dehnen!“ Wie er es sagte, wurde es
getan. Nachdem auch das abgehandelt war, sagte der Lehrer: „Letztes Mal
haben wir soviel andere Übungen gemacht, da sind wir gar nicht zum
Spielen gekommen. Das holen wir heute nach.“ Zustimmendes Gemurmel wurde
in der Gruppe laut. „Das ist Fabian“, stellte er den genannten vor. „Er
will hier zeigen, was er so draufhat. Wenn Holger weggeht, brauchen wir
schließlich einen guten Mann im Sturm.“ „Ist er gut?“, fragte ein
recht großer Typ kaugummikauend skeptisch. „Eben das werden wir ja
gleich sehen.“ Herr Teschner nickte Fabian zu. „Richtig. Ich war auch in
Berlin Stürmer.“ „Großstadtjunge, wie?“ Der Typ sah ihn abfällig
an. „Genau.“ Fabian schnitt eine Grimasse in seine Richtung. „Nicht quatschen
Jungs, spielen! Aufstellung wie immer!“ Herr Teschner klatschte in die
Hände, teilte die Jungen in zwei Mannschaften ein und erklärte
Fabian noch schnell seine Position. Dann verließ er das Spielfeld
wieder. „Fatzke“, murmelte der Kaugummi – Junge zu Fabian, der in der gegnerischen
Mannschaft spielte. „Wart’s ab“, sagte Fabian und lächelte überlegen.
Da ertönte auch schon wieder der schrille Pfeifton. Das Spiel konnte
beginnen. Fabians Debüt war nicht anders als mit dem Wort grandios
zu bezeichnen. Er war schnell, schneller als die meisten seiner Mitspieler
und es verflüchtigten sich bald die Bedenken, er könnte vielleicht
nicht mithalten. Er erdribbelte sich Ball um Ball und schoß unter
den Anfeuerungsrufen seiner zwei Anhänger auf der Tribüne zwei
Tore in einer halben Stunde. Dann brach Herr Teschner das Spiel ab. Erledigt
fiel Fabian auf den Rasen und schloß die Augen. Er hörte sein
Herz laut in seiner Brust schlagen und sein Atem raste genauso dahin. Er
war noch in guter Form, hatte aber schon längere Zeit nicht mehr gespielt.
„Hey.“ Fabian öffnete die Augen. Über sich sah er den Jungen,
der ihn vorhin dumm angemacht hatte. Dieser keuchte ebenfalls und streckte
Fabian die Hand hin. „Gutes Spiel.“ Fabian zögerte kurz, ergriff dann
aber doch die angebotene Hand und ließ sich hochziehen. „Danke. Du
bist auch nicht schlecht.“ „Tut mir leid wegen vorhin. Du kamst mir nur
so vor wie ein ziemlicher Angeber. Große Klappe nichts dahinter,
du weißt schon“, entschuldigte sich der Typ. „Ich bin Matthias.“
„Fabian Sander“, stellte sich Fabian erneut vor. „Meine Herren, zusammenkommen
bitte!“, rief Herr Teschner und auch die beiden gingen auf den Trainer
zu. „Das Spiel hat mir gefallen. Wenn ihr immer so spielt. Was haltet ihr
von unserem Neuzugang?“, fragte er in die Runde. „Ziemlich gut.“ „Und schnell“,
kamen so die Antworten von den Jungen. „Das meine ich auch.“ Herr Teschner
nickte Fabian anerkennend zu. „Ich denke, er ist ein würdiger Ersatz
für Holger.“ „Ja, Holgi würde sich freuen, daß ein so guter
Spieler seinen Platz einnimmt“, meinte Matthias. „Danke Leute“, sagte Fabian,
erstmals verlegen aufgrund so vieler netter Worte. „Machen wir früher
Schluß heute. Weil ihr so gut wart“, sagte der Trainer mit Blick
auf die Uhr. „Die zehn Minuten lohnt es sich nicht mehr.“ Ohne weitere
Aufforderung verließen die Jungen den Platz. Bis auf Fabian. Der
trat auf seinen Lehrer – und jetzt auch Trainer – zu. „Sie wollen mich
also mitspielen lassen?“, fragte er. „Wie gesagt, sie sind gut. Und ein
passender Ersatz.“ Herr Teschner nickte. Fabian strahlte. „Vielen Dank.
Ich freue mich, daß ich ihnen gefallen habe.“ Seine Augen blitzten
auf. „Nichts zu danken. Danken sie höchstens sich selber“, sagte Herr
Teschner. „Trauen sie sich zu am Sonntag bei einem „Freundschaftsspiel“
mitzuspielen? Eine Mannschaft aus Königslutter hat angefragt.“ „Natürlich.
Ich bin fit wie ein Turnschuh“, meinte Fabian lächelnd. „Das ist gut.
Einzelheiten erfahren sie noch am Mittwoch. Denken sie dran, gleicher Ort,
gleiche Zeit.“ Herr Teschner drehte sich um und wollte gehen, doch er wandte
sich noch kurz an Fabian: „Aber dann pünktlich.“ „Sicher.“ Fabian
sah ihm noch nach. Dann machte er einen Luftsprung, um seiner Freude endlich
Ausdruck zu verleihen. Er war gut. Er war der Beste. Das hatte er bewiesen.
Mit diesem Gefühl von Zufriedenheit machte er sich auf den Weg in
Richtung Umkleide. Doch vorher zeigte er seinen Zuschauern auf der Tribüne
einen enthusiastisch erhobenen Daumen, woraufhin diese noch einmal jubelten
und grölten. „Wir sehen uns am Auto!“, rief Fabian ihnen zu und lief
zu den Räumen, um sich umzuziehen.
„Du hast es wirklich geschafft.“ Britta
ließ sich auf den Sessel in Fabians Zimmer fallen. „Kompliment.“
„Ich sagte doch, ich bin gut“, sagte Fabian und nahm neben Uli auf dem
Sofa Platz, der den Hund auf dem Schoß hatte. „Hätte ich dir
gar nicht zugetraut“, meinte Uli.
„Na, vielen Dank.“ Fabians Mundwinkel
zuckten beleidigt. „Hey, nimm’s nicht so schwer“, sagte Britta. „Er hatte
eben das typische Angebervorurteil.“ „Bei uns auf der Schule gibt es eben
total viele, die große Sprüche klopfen, aber nichts im Kopf
oder sonst was zu verkaufen haben“, erklärte Uli. „Tja, ich bin aber
wohl keiner von denen.“ „Dann bist du aber eine große Ausnahme.“
„Kann sein.“ „Ich glaube, ich muß jetzt mal langsam gehen“, sagte
Britta nach einer Weile. „Ich habe noch Aufgaben rumliegen. Außerdem
schreiben wir morgen wirklich mal einen Englischtest. Grammatik, was immer.“
„Ich komme dann mit“, meinte Uli. „Soll ich euch nach Hause bringen?“,
wollte Fabian wissen und stand auf. „Wo ihr ja einen etwas weiteren Weg
habt, denke ich mal.“ „Das wäre total nett“, nahm Britta das Angebot
an. „Ja, finde ich auch. Sie wohnt nicht weit von mir“, meinte Uli. „Alles
klar. Dann gehen wir mal“, meinte Fabian. „Hey, ich fand’s nett bei dir“,
sagte Britta noch, bevor sie das Zimmer verließen. „Das nächste
Mal kommst du zu mir!“
Als Fabian die Haustür aufschloß,
hörte er gleich die Stimme seines Vaters aus dem Wohnzimmer. Er entschied
sich, diesen erst mal zu begrüßen. Tagsüber bekam er ihn
selten zu Gesicht. Als Besitzer einer Kaufhausketten hatte er eben doch
viel zu tun, entgegen vieler Annahmen. So wie Fabian das Wohnzimmer betrat,
sah er, daß sein Erzeuger in ein Telefongespräch verwickelt
war. Dennoch begrüßte er seinen Sohn, indem er die Hand hob.
Fabian nickte ihm zu und ließ sich auf eines der Ledersofas sinken.
Dann nahm er sich einen roten Apfel aus der Obstschale, die vor ihm auf
dem Tisch stand und biß hinein. Da kam auch schon der Hund ist das
Wohnzimmer gerannt und sprang neben Fabian auf die Couch. Gierig schaute
Herkules in Richtung Apfel. Fabian sah seinen Hund an. „Hör mal, das
magst du nicht“, sagte er leise, um das Gespräch seines Vaters nicht
zu stören. Doch der Hund schien davon unbeeindruckt und starrte weiter
wie hypnotisiert auf die Frucht. „Na gut, aber du wirst es nicht mögen.“
Fabian teilte ein Stück von dem Apfel ab und hielt es dem Hund hin.
Der schnappte es, ohne auch nur vorher daran zu schnüffeln und raste
aus dem Wohnzimmer. „Seid wann frißt der Hund Äpfel?“, fragte
Herr Sander, der sein Telefonat soeben beendet hatte. „Frag mich nicht.
Vielleicht liegt’s an der Luft hier“, vermutete Fabian. „Wie war dein erster
Tag?“, wechselte sein Vater das Thema. „Gut. Ich habe gleich ein paar nette
Leute kennengelernt“, erwiderte Fabian. „Hat mir deine Mutter schon erzählt.
Waren ihr auch sympathisch. Und sie hat mir auch von dem Vorspiel erzählt.“
Wolfgang Sander sah ihn gespannt an. „Wie ist es gelaufen?“ „Ich bin im
Team“, antwortete sein Sohn. „Also war ich wohl gut.“ „Glückwunsch“,
sagte Herr Sander. „Da kann ich ja stolz auf dich sein. Aber ich weiß
natürlich, warum du wieder in ein Team wolltest.“ „Ach ja?“ Fabian
schaute überrascht. „Und wieso?“ „Na, damit du dir leicht bekleidete,
muskulöse Männer ansehen kannst.“ Sein Vater lächelte spöttisch.
„Blödmann“, sagte Fabian beleidigt. „Du weißt doch, wie gerne
ich spiele.“ „Kommt ganz drauf an, was“, scherzte sein Erzeuger. „Hey,
habe ich jemals einen Fußballspieler angeschleppt und euch vorgestellt?
Außer als Kumpel?“, wollte Fabian wissen. „Nein, nein, ich ärgere
dich doch nur“, winkte sein Dad ab. „Du weißt, daß ich das
nicht mag“, meinte Fabian „OK, tut mir leid“, entschuldigte sich der 48–jährige.
„Gut. Wo ist Mama?“ fragte Fabian. „Sie hat noch zu arbeiten. Aber wenn
du mich fragst...“ Herr Sander beugte sich zu seinem Sohn vor. „...Dann
steht sie die ganze Zeit vor dem Kleiderschrank, um sich ein passendes
Outfit für die Party am Freitag herauszusuchen.“ „Hältst du sie
für so oberflächlich?“ Fabian betrachtete das Apfelskelett in
seiner Hand. „Wie viele Leute kommen denn?“ „Ich weiß gar nicht.
Aus Berlin kommen Weimers und Ziemanns. Die kennst du ja. Und ein paar
von unseren neuen Nachbarn, die deine Mutter eingeladen hat“, antwortete
sein Vater und strich sich über die Überreste seiner schwarz
– grauen Haarpracht. „Ich habe wirklich keine Ahnung. Sag mal, sind deine
Lehrer denn auch nett?“ Fabian nickte. „Sehr. Und ich komme auch ganz gut
mit. Am Sonntag ist übrigens ein Freundschaftsspiel von meiner Mannschaft.
Trainer ist übrigens mein Deutschlehrer“, erzählte Fabian. „Ach,
wirklich?“, hakte Herr Sander interessiert nach. „Vielleicht kann der ja
noch Sponsoren gebrauchen. Da ließe sich bestimmt was machen.“ „Oh
nein, nicht wieder die Sponsorgeschichte!“, stöhnte Fabian. „Das hat
mich in Berlin schon so genervt!“ „Wieso das denn?“, wollte sein Vater
überrascht wissen. „Naja, irgendwie finde ich es nicht so toll, wenn
ich in der Mannschaft spiele und mein Vater den großen Macker macht“,
erklärte Fabian. „Weißt du, das läßt doch an meinen
spielerischen Fähigkeiten zweifeln.“ „Ich verstehe schon. Aber schade
drum ist es trotzdem. Hätte bestimmt was werden können“, meinte
Herr Sander schulterzuckend. „Ist ja auch nett gemeint. Aber halt dich
da lieber raus.“ „OK, wie du meinst.“ „Und ich geh jetzt mal hoch. Hausaufgaben
machen.“ Fabian stand auf und verließ das Wohnzimmer. Sein Vater
sah ihm nach und seufzte ein wenig enttäuscht. Er hätte so gerne
wieder etwas gehabt, was ihm seinen Sohn näher gebracht hätte.
Völlig übermüdet fiel Fabian an diesem Abend ins Bett. Sein Wecker neben seiner Schlafstätte sagte ihm, daß es bereits kurz vor zwölf war. Die paar Hausaufgaben, die er hatte erledigen müssen, hatten eben doch ihre Zeit gebraucht. Dann noch ein bißchen gelesen, das läpperte sich schließlich doch. Und nun ließ er den vergangenen Tag noch einmal Revue passieren. So viele neue Eindrücke. Und er hatte gleich zwei neue Freunde gewonnen, auch wenn er sich zugegebenermaßen nicht gerade einladend verhalten hatte. Aber manchmal war es besser, sich zu distanzieren und keine überstürzten Freundschaften einzugehen. Das hatte Fabian mit der Zeit gelernt. Doch Britta und Uli schienen es ernst zu meinen. Sie waren auch nicht oberflächlich, doch wahrscheinlich kam er selbst anderen Leuten oft so vor und das wußte er auch. Vielleicht wirkte er eingebildet und wie ein Angeber. Nachdenklich drehte sich Fabian auf die Seite und schloß die Augen. War seine Art wirklich von Vorteil? Er war ja eigentlich nicht so, wie er sich gab. Das wirkte wahrscheinlich so abweisend auf seine Mitmenschen. Nein, wenn er so nachdachte, kam es ihm so vor, als würde es ihm wenig nützen, den großen wilden Mann zu spielen. Aber es gab natürlich Situationen, da mußte er einfach so sein. Aber vor seinen Freunden und allen, die es werden sollten, nützte das gar nichts. Bevor er einschlief, beschloß Fabian, seine hochmütige Art auf diese wesentlichen Situationen zu beschränken.
Am folgenden Dienstagmorgen kam Fabian
nur schwer aus den Federn. Seine Knochen schmerzten und seine Muskeln spannten
im ganzen Körper. Außerdem war ihm, als würde jemand ständig
mit einem Vorschlaghammer auf seinen Kopf einschlagen. Aber es half alles
nichts. Er stand also ächzend aus seinem Bett auf und reckte sich.
Im Schneckentempo zog er sich an und erledigte die üblichen Badezimmer
– Angelegenheiten. Dann ging er ins Erdgeschoß, um mit seinen Eltern
das Frühstück einzunehmen. Er mußte sich dann ziemlich
sputen, da es schon zwanzig vor acht war. Natürlich würde er
zu spät kommen, daß wußte Fabian schon, als er das Grundstück
mit dem Wagen verließ. Uns tatsächlich: Als er an der Schule
ankam war es bereits kurz nach acht. Der Unterricht hatte gerade begonnen.
Fabian beeilte sich, um sich nicht noch mehr zu verspäten. In den
ersten beiden Stunden konnte er seine Begabung in Mathe testen, dieses
Fach bei Frau Altmann stand auf dem Programm. Die Frau war alles andere
als alt, gerade mal Anfang dreißig, dynamisch und temperamentvoll
wie ein Wirbelwind, das sollte Fabian schnell merken. Als er an der Tür
zum Klassenraum klopfte, wurde diese kurz darauf von Harry geöffnet,
der gerade etwas zum Papierkorb gebracht hatte und den Zuspätkommer
empfangen konnte. Fabian war froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Frau
Altmann unterbrach ihre Tätigkeit, eine Aufgabe zu erklären,
um Fabian zu begrüßen. „So, Sie sind dann wohl Fabian Sander.
Wie ich hörte, Experte im Zuspätkommen.“ Die Schüler schmunzelten.
„Entschuldigen sie, es wird nicht mehr vorkommen“, sagte Fabian. „Schon
gut, nicht so tragisch, wenn es bei dem einen Mal bleibt. Es gibt da noch
ganz andere, nicht wahr, Jan?“ Frau Altmann nickte einem Jungen in er ersten
Reihe zu, der sie angrinste aufgrund der Bemerkung. „Sie halten den ungeschlagenen
Rekord. Aber jetzt wieder zurück zu unserem Versuch“, sagte die Lehrerin.
„Fabian, setzen Sie sich doch in die dritte Reihe dort rechts. Neben Imke.“
Fabian nickte und bezog den angewiesenen Platz neben dem Mädchen,
das ihn freundlich ansah. „Hey. Ich bin Imke. Das weißt du ja schon“,
sagte sie. „Ich bin Fabian. Aber das weißt du ja auch schon.“ Er
grinste. „Ich denke, du kommst hier zurecht. Es ist einfach.“ „Ja, es wird
gehen, danke.“ Fabian starrte auf die Tafel und machte sich daran, das
Angeschriebene in sein Heft zu übertragen. Dann hörte er eine
Weile konzentriert zu. Doch dann fiel ihm ein, was Uli und Britta gestern
gesagt hatten: Harry war es doch gewesen, der eine Band hatte. Und jetzt,
da er in dem gleichen Kurs war, wie er und direkt vor ihm saß, konnte
er ja mal anfragen. Also riß er ein Blatt aus seinem Heft und schrieb
darauf die Frage, ob Harry und seine Confused - Leute immer noch
einen Sänger bräuchten, er würde sich da anbieten. Dann
faltete er das Briefchen zusammen und warf es im passenden Moment bei seinem
Vordermann auf den Platz. Als Harry sich umdrehte und Fabian fragend ansah,
nickte der ihm zu. Daraufhin machte sich Harry daran, den Zettel zu lesen.
Er kritzelte einige Worte darauf und gab ihn an Fabian zurück. „Ja,
eigentlich schon. Wenn du singen kannst...Wir spielen alte Sachen und schreiben
auch selber. Kannst ja mal zum Bandtreffen kommen, Donnerstag um drei bei
mir.“ Darunter hatte Harry noch seine Adresse aufgeschrieben. Der drehte
sich auch noch einmal um, und als Fabian ihm wieder ein Zeichen als OK
gab, widmeten sich beide wieder der höheren Mathematik.
Nach den ersten zwei Stunden gingen Harry
und Fabian zusammen runter auf den Schulhof. „Du hast also Interesse, ja?“,
wollte Harry wissen. „Richtig. Ich singe ganz gut, also ich jaule zumindest
nicht wie ein Hund bei Vollmond“, bejahte Fabian die Anfrage. „Das ist
gut, ich kann nämlich überhaupt nicht singen. Da nehmen ja sogar
die Fliegen Reißaus“, meinte Harry grinsend. „Sieh mal, Britta und
Uli.“ Er zeigte auf die Raucherecke, wo die beiden wirklich standen und
Zeichen in ihre Richtung machten. „Gehen wir mal hin“, schlug Fabian vor.
„Na, ihr beiden?“, wurden sie dann von Britta begrüßt. „Harrylein,
wir haben Fabian von Confused erzählt -“ „Ich weiß schon“, unterbrach
sie der Angesprochene. „Wir haben schon was ausgemacht.“ „Ach ja? Du singst
vor?“, fragte Uli Fabian. „Genau“, erwiderte der. „Hey Uli, das lassen
wir uns auch nicht entgehen, oder?“ Britta stieß ihren Kumpel in
die Seite. „Auf keinen! Wenn wir ihn schon Fußball spielen gesehen
haben, dann wollen wir ihn auch singen hören.“ „Du spielst Fußball?“,
wollte Harry seinerseits wissen. „Ja, bei Herrn Teschner in der Mannschaft.“
„Wow, dann mußt du gut sein“, sagte der Bandleader anerkennend. „Ist
nicht am Sonntag dieses Spiel gegen Königslutter? Ich habe das in
der Zeitung gelesen.“ „Da liegst du richtig“, antwortete Fabian. „Und spielst
du mit?“ Fabian nickte. „Da kommen wir auch und feuern dich an.“ Britta
klopfte ihm auf den Hintern. „Hey, nicht handgreiflich werden“, mahnte
Uli lachend. „Für Handspiel gibt’s ne Karte!“, ergänzte Harry.
Doch Britta streckte ihnen nur die Zunge heraus. „Wenn sich das Opfer nicht
wehrt...“ Sie lächelte Fabian an, der etwas verlegen in die Runde
schaute. „Oder habe ich dich jetzt schwer belästigt?“, wollte Britta
dann doch mit ernster Miene wissen. „Oh ja. Ich glaube, das ist traumatisch“,
gab Fabian mir genau dem gleichen Ernst zurück. „Ich werde dich verklagen.“
Britta machte ein gespielt trauriges Gesicht. „Und ich dachte, du würdest
meine Liebe erwidern.“ Sie spielte ein Schluchzen vor. Fabian legte daraufhin
den Arm um sie. „Aber natürlich, gnä‘ Frau.“ Er improvisierte
einen Handkuß. „Na, da haben sich aber zwei gefunden“, vermutete
Uli. „Ja“, stimmte auch Harry zu. „Ein Schwachsinniger und ‘ne Nervensäge.“
„Vielen Dank.“ Britta machte einen Knicks. Als es klingelte, legte Britta
die Hand auf Fabians Schulter. „Sag mal, wir sollten uns auch mal so treffen.
Nur du und ich.“ Fabian zögerte. Aber dann sagte er: „OK, das wäre
sicher witzig.“ Brittas Gesicht hellte sich auf. „Hey cool. Wann hast du
denn mal Zeit? Freitag?“ „Da geben meine Eltern eine Begrüßungsparty.
Aber vielleicht kannst du auch vorbeikommen.“ „Alles klar. Ich ruf dich
an, ja?“ Fabian nickte zustimmend. „OK, bis denne.“ Britta lief die Treppe
im Schulhaus zu den Fachräumen hinauf. Fabian sah ihr nach. Britta
war wirklich in Ordnung.
In der letzten Stunde hatte Fabian wieder
Deutsch. Da war Britta dann auch wieder mit von der Partie. Fabian lächelte
Herrn Teschner freundlich zu, als er den Raum betrat. Dieser nickte ihm
wohlwollend zu. „Er kann dich anscheinend ab“, wisperte Britta ihm zu.
„Wenn du dich noch im Unterricht anstrengst und die Arbeiten gut schreibst,
dann kannst du glatt zum Lieblingskind aufsteigen.“ „Das will ich ja gar
nicht“, wehrte Fabian ab. „Ich glaube, wir liegen einfach auf derselben
Wellenlänge. Ich glaube, bei Herrn Becker in Geschichte kann ich mich
sonstwie reinhängen, der kann mich wohl nicht so leiden.“ „Der ist
allerdings ein Stinkstiefel.“ „Britta! Muß ich Sie wieder zur Ordnung
rufen?“ Herr Teschner warf dem Mädchen einen rügenden Blick zu.
„Fabian, was haben Sie nur mit ihr angestellt? Es ist wohl besser, ich
setze Sie auseinander.“ „Nein, nein!“, sträubte sich Britta. „Ich
bin ruhig. Ich versprech’s.“ „Na, mal sehen, wie das weitergeht. Dann könnten
Sie aber bitte gleich mal ihre Personencharakterisierung vorlesen.“ „Gerne.“
Britta las also ihre Hausaufgabe vor. Diese war vorbildlich, da war sie
aus dem Schneider. Und auch Fabian folgte dem Unterricht mit enormer Aufmerksamkeit.
Fabian lag gerade auf seinem Bett und las in einem Buch über die sexuelle Revolution, als sein Telefon klingelte. Er legte den Lesestoff beiseite und nahm den Hörer von seinem Siemens Telefongerät „schwarz“ ab. „Fabian Sander“, meldete er sich gewohnheitsmäßig. „Hallo, hier ist Britta!“, meldete sich die Stimme am anderen Ende. „Oh, hallo.“ Fabian sah aus dem Fenster auf den Garten, wo seine Mutter in einem Liegestuhl am Pool lag. „Ich wollte fragen, ob das mit Freitag klar geht.“ „Ach du je, das habe ich ganz vergessen“, sagte Fabian wahrheitsgemäß. „Aber ich kann fragen, wartest du kurz?“ „Nee, ich lege jetzt sofort auf“, sagte sie mit ernster Stimme. „OK, Moment mal!“ Fabian legte den Hörer beiseite und öffnete eines der zwei Fenster vor ihm. „Mama!“, rief er seine Mutter. Die drehte sich zu ihm um und nahm ihre Sonnenbrille ab. „Was denn?“ „Kann Britta am Freitag vorbeikommen? Auch wenn ihr hier fetet?“ „Warum nicht!“, erwiderte Frau Sander mit einem erfreuten Ausdruck auf dem Gesicht. „Danke.“ Fabian schloß das Fenster und nahm den Hörer wieder zur Hand. „Hallo?“ „Hallo.“ „Also, das geht klar.“ „Cool!“, freute sich Britta. „Soll ich dann noch irgendwas mitbringen oder...?“ „Das regeln wir alles noch in der Schule, OK?“ „Alles klar. Und, was machst du so?“ „Ich lese“, gab Fabian knapp zurück. „Der Autor beschäftigt sich mit der sexuellen Revolution und ihren Folgen für Gegenwart und Zukunft.“ „Klingt ja sehr spannend“, meinte Britta wenig begeistert. „Naja, Medium.“ „Naja...dann sehen wir uns wohl morgen, wie?“ „Hm-hm“, gab Fabian als Zustimmung zurück. Er war gerade damit beschäftigt, seine Heizung mit Bleistift anzumalen. Das war seine Macke, wenn er telefonierte. Dann brauchte er immer etwas zum rumkritzeln. „Gut. Dann schönen Dank noch.“ „Danke dir auch.“ „Tschüs denne.“ Britta legte auf und auch Fabian plazierte den Hörer auf dem Basisgerät. Dann legte er sich auf den Rücken in sein Bett zurück und starrte die Decke an, statt weiterzulesen. Fabian schubste das Buch mittels einer kleinen Handbewegung von der Bettdecke, so daß es leicht zerfleddert auf dem Fußboden landete. Seine Augen schlossen sich unwillkürlich. Er konnte sie einfach nicht mehr offenhalten. Gerade dachte er daran, daß es wohl besser wäre, heute früher ins Bett zu gehen. Da war er aber auch schon eingeschlafen.
Fabian wachte auf, als seine Mutter das
Zimmer betrat. „Na, Schlafmütze?“ Fabian gähnte. „Wie spät
ist es?“ „Kurz nach sechs“, erwiderte seine Mutter. „Kannst du mit dem
Hund gehen? Der spielt schon ganz verrückt.“ Fabian nickte und streckte
sich. „Hast du Hunger? Willst du vorher noch was essen?“, wollte Anne Sander
fürsorglich wissen. „Nein laß mal.“ Florian stand auf. „Wo ist
der Rüde?“ „Im Wohnzimmer, bei Papa.“ Fabian warf einen prüfenden
Blick aus dem Fenster. Das Wetter sah gut aus, keine dicken Wolken, Sonne.
Frische Luft würde gut sein. „Frische Luft wird dir gut tun“, sagte
seine Mutter. „Genau das habe ich auch gerade gedacht.“ Die beiden verließen
das Zimmer und gingen ins Erdgeschoß, dann betraten sie das Wohnzimmer.
Sogleich sprang Herkules von dem Sofa, auf dem er bis eben gesessen hatte.
„Er weiß ganz genau, was jetzt kommt“, bemerkte Herr Sander, der
auf dem anderen Sofa saß und ein Fußballspiel im Fernsehen
sah. „Wer spielt?“, wollte sein Sohn wissen, während er den erfreuten
Rüden anleinte. „Juventus gegen Bayern“, erwiderte sein Erzeuger.
„Hoffentlich gewinnt Juventus.“ Fabian grinste. „Was? Bayern muß
gewinnen!“, widersprach sein Vater. „Ach was. Ich gehe jetzt.“ Das tat
Fabian dann auch. Er ließ sich von dem Hund durch die Haustür,
vom Grundstück, auf die Straße ziehen.
Während er so mit Herkules Gassi
ging, dachte Fabian an das Fußballtraining morgen. Hoffentlich hielt
sich das Wetter. Fabian sah in den blauen Himmel. Es sah zumindest noch
ganz danach aus, als würde ihnen das Hoch Daniel noch ein paar weitere
schöne Frühlingstage bescheren. Fabian wurde aus seinen Gedanken
gerissen, als der Hund anfing zu kläffen. Fabian erblickte in einiger
Entfernung schon den Grund dafür: Ein anderer Hund und sein Besitzer
näherten sich den beiden auf ihrer Straßenseite. Als sie näherkamen,
erkannte Fabian auch, wer es war: Es war Herr Teschner in Begleitung eines
Collies. Fabians Mund formte sich zu einem Lächeln. „Hallo, Herr Teschner!“,
rief er seinem Lehrer aus einiger Entfernung zu. Der Angesprochene sah
auf, erblickte Fabian und hob die Hand als Gruß. Schließlich
standen sie sich gegenüber. „Das ist aber ein süßer Hund“,
meinte Fabian und zog den aufgeregten Herkules ein wenig zurück. „Wie
heißt er denn?“ „Lassie“, erwiderte Herr Teschner mit Leidensmiene.
„Wie der Hund aus dem Fernsehen?“ „Das ist es ja“, meinte der Lehrer. „Meine
Frau wollte ihn so nennen.“ „Eine Dame oder ein Rüde?“, wollte Fabian
wissen. „Ein Mädchen. Zwei Jahre alt.“ „Dann ist gut.“ Fabian ließ
Herkules etwas lockerer, so daß er die Hundedame beschnüffeln
konnte. „Meiner ist nämlich ein Rüde. Er heißt Herkules.“
Sein Lehrer lächelte. „Guter Name. Wenn es nach mir ginge, dann hieße
Lassie nicht Lassie. Mir wäre sicher etwas besseres eingefallen, aber
meine Frau meinte, es wäre besonders originell, einen Collie so zu
nennen.“ „Wohnen sie in der Nähe oder wieso gehen sie hier mit ihrem
Hund spazieren“, wollte Fabian wissen. „Nein, ich wohne ein Stück
weiter weg, aber wenn ich schon mit Lassie gehe, dann richtig“, erklärte
Jan Teschner. Er betrachtete die beiden Hunde, während sie sich „kennenlernten“.
„Sind sie auf das Training morgen vorbereitet?“, wechselte der Beamte das
Thema. „Sicher. Ich freue mich schon auf das Spiel am Sonntag. Denen werden
wir es schon zeigen“, meinte Fabian, selbstsicher wie immer. Herr Teschner
nickte. „Ja, wenn alle so spielen wie Sie gestern, dann sehe ich kein Problem.“
„Ach, danke.“ Fabian schlug verlegen die Augen nieder. „Naja, dann sehen
wir uns ja morgen in der Schule. Meine Frau wartet sicher schon mit dem
Essen auf mich.“ Herr Teschner zog seine Lassie zurück. „Ja, bis dann
und schönen Abend.“ „Ihnen auch.“ Dann gingen die beiden Hundebesitzer
in entgegengesetzte Richtungen weiter. Fabian sah seinem Lehrer und Trainer
noch nach. Wie mochte wohl seine Frau sein? Anscheinend war sie in seinem
Leben ziemlich wichtig. Muß eine tolle Frau sein, dachte Fabian bei
sich. Sie hatte Glück. Nun zog auch Fabian seinen Hund mit sich, der
Herrn Teschner und Lassie sehnsüchtig hinterherschaute.
Fabian hatte sich vorgenommen, an diesem
Mittwoch pünktlich zum Fußball zu kommen. Er war sogar zehn
Minuten zu früh dran, außer ihm standen nur noch ein paar Jungen
auf dem Sportplatz. Und natürlich Herr Teschner. Er war sicher die
Pünktlichkeit in Person, wie Fabian vermutete. Dann wollte er auch
nicht mehr durch Zuspätkommen glänzen. Als dann um vier alle
Spieler eingetroffen waren, konnte das Training beginnen. Aufwärmen,
dehnen, Torschüsse üben, Trainingsspiel. Auch dieses Mal versuchte
Fabian, sich ganz besonders anzustrengen. Leider litt er noch unter dem
Muskelkater von Montag, so daß er an diesem Tag nicht ganz so viel
Einsatz zeigte oder zeigen konnte. Aber er spielte trotzdem gut. Und am
Sonntag würde er bestimmt, mußte er wieder fit sein. „Nach dem
Training heute, werde ich bestimmt gut schlafen können“, sagte Matthias
keuchend zu Fabian. „Ich auch. Das war hart“, meinte auch Fabian. „Sag
mal,“, begann sein Mitspieler. „Wollen wir uns mal irgendwann treffen?
Auf ein Bier? Was immer?“ Fabian überlegte. Er wurde ja momentan von
Angeboten geradezu bombardiert. „Diese Woche wird’s eng“, sagte er. „Ich
bin total verplant.“ „Verstehe“, sagte Matthias mit spürbarer Enttäuschung
in der Stimme. Er fand Fabian nett. Er mochte ihn lieber, als die anderen
Mannschaftsspieler. Das hatte Fabian bemerkt. Und auch er fand ihn sympathisch,
aber für mehr war keine Zeit. Das Bandtreffen, Britta am Freitag,
Ausruhen am Samstag und am Sonntag das Spiel... „Vielleicht nächste
Woche“, meinte Fabian aufmunternd. „OK“, erwiderte Matthias. „So, meine
Herren, ab unter die Dusche!“, rief da Herr Teschner, der auf die beiden
zukam. „Alles klar!“ Matthias joggte auf die Umkleidekabinen zu und ließ
Fabian stehen. „Du auch Fabian“, sagte der Trainer. Er stockte. „Jetzt
habe ich Sie aus Versehen geduzt. Entschuldigung.“ „Macht doch nichts!“,
wehrte Fabian sofort ab. „Sie duzen die anderen ja auch.“ „Die sind auch
nicht in meiner Klasse. Aber auf dem Spielfeld ist das ja eigentlich wirklich
was anderes“, sagte Herr Teschner daraufhin. „Also, wenn es Ihnen, dir
nichts ausmacht...“ „Gar nicht“, meinte Fabian und lächelte. „Also,
dann geh duschen und erhol dich gut für das Spiel. Bis morgen!“ Herr
Teschner lief in schnellen Schritten davon. „Ja!“, rief Fabian ihm hinterher.
„Bis dann“, fügte er dann noch in leiser Lautstärke hinzu. Dann
machte auch er sich auf den Weg zu den Umkleiden.
Am Donnerstag Nachmittag ging Fabian also
zu Harry um dort vorzusingen. Wie er erfahren hatte, waren „The Confused“
Stammband bei dem jährlichen Musikabend der Schule. Das brachte doch
wohl Publicity. Vorausgesetzt, Harry und seine Band hatten den Blues oder
was immer sie spielten. Fabian war sich auf jeden Fall ziemlich sicher,
daß sie ihn nehmen würden. Als er nach der Schule Zuhause unter
der Dusche stand, hatte er schon mal geübt. Und auch Herkules war
ein mehr oder weniger freiwilliger Zuhörer. Aber er jaulte nicht,
als Fabian ihm „Bye Bye Love“ von den Beatles vorsang. Und das war ein
gutes Zeichen. Also machte sich Fabian selbstsicher wie immer auf den Weg
zu Harry. Der wohnte nicht allzu weit von ihm, nach zehn Minuten fahren
war er da. Er klingelte an der Tür des Neubaureihenhauses und wartete
geduldig, bis Harry öffnete. „Hey, komm rein. Die anderen sind auch
schon da.“ Die anderen bekam Fabian zu Gesicht, als sie Harrys Zimmer im
1. Stock betraten. Der Zustand des Raumes war mit dem Wort chaotisch ausreichend
beschrieben. Auf Stühlen, dem Fußboden und dem Bett hockten
noch drei andere Jungen seines Alters. „Also. Das da ist Tim.“ Harry zeigte
auf einen langhaarigen Typen, der gerade damit beschäftigt war, mit
Sticks auf einen Bettpfosten einzudreschen. „Hi“, sagte der. „Der da, der
lange, das ist Olaf alias Zugspitze. Er spielt Bass.“ Der wirklich große
Typ, der auf dem Boden saß, hob die rechte Hand. „Hallo.“ „Und der
Kerl auf dem Sofa, das ist Björn. Er und ich spielen Gitarre. Akustik
und E. Außerdem kann Björn notfalls noch ans Keyboard“, erklärte
Harry abschließend. „Und das ist Fabian. Ich hab euch ja von ihm
erzählt.“ „Hey, Leute!“, sagte Fabian und schickte einen All – Round
– Blick durchs Zimmer. „Wir wollen was hören!“, grölte Tim. „Gut.
Was denn?“ Fabian verschränkte die Arme vor der Brust. „Öh...“
„Ja...“ Die vier Bandmitglieder sahen sich ratlos an. „Sing irgendwas Gutes.“
„Ach wirklich.“ Fabian schnitt eine Grimasse. „Keine Vorschläge, meine
Herren?“ Harry hob die Augenbrauen. „Tja...schlag du doch was vor, Pavarotti.“
Fabian überlegte. Dann hellte sich sein Gesicht auf. „Idee!“, sagte
er. „Steht ihr auf Oldies?“ „Hey, „Love me do“ und „Stayin‘ Alive“ gehören
zu unserem Pflichtprogramm!“, antwortete die „Zugspitze“. „Gut. Ich hoffe,
ihr habt keine Abneigung gegen den Rocket Man.“ „Elton John!“, rief Björn
und betonte jede Silbe. „Ich habe alle CDs!“ „Super. Wunderbar. Dann kennt
ihr doch sicher den Song hier.“ Fabian räusperte sich und begann,
„Crocodile Rock“ zu improvisieren. Für eine Improvisation war die
Vorführung inklusive wildem Herumgespringe und Grimassen schneiden
wirklich gut. Natürlich war der Gesang das wichtigste. Als Fabian
fertig gesungen hatte, starrten ihn alle an. Er sah irritiert in die Runde.
„Nicht gut?“ Er verzog das Gesicht. „Doch. Doch.“ Harry begann, wild zu
nicken. „Du warst der beste von den bisherigen Bewerbern.“ „Oh ja, Alexander
Neubauer gestern, furchtbar!“, rief Tim. „Aber du warst gut.“ „OK. Stimmen
wir ab“, schlug Harry vor. „Wer ist für diesen Virtuosen hier?“ Vier
Hände hoben sich. „Wer ist dagegen?“, fragte Olaf. „Ha, ha, sehr witzig,
Zugspitze.“ Tim klopfte mit seinen Sticks auf Olafs Kopf. „Au!“, rief der
Geschlagene. „Mein Dez!“ „Gehirnzellen zerstören, Gehirnzellen zerstören!“,
schrie Tim begeistert und drosch weiter auf seinen Kumpel ein. „Welche
Gehirnzellen?“, wollte Björn wissen. „Ey, Jungs. Ihr habt sie nicht
mehr alle“, meinte Fabian und schüttelte den Kopf. „Jetzt weiß
ich, warum ihr „Confused“ heißt.“ „Du gehörst jetzt auch dazu“,
meinte Harry. „Wartet mal, hallo, hört mal zu.“ Tim unterbrach seine
Tätigkeit, Olafs Kopf als Drums zu benutzen. „Ja?“ „Ich will jetzt
aber auch mal was hören.“ „OK. Zeigen wir Pavarotti hier mal, was
wir so drauf haben. Kommt.“ Die Band folgte ihrem Leader Harry in den Keller
des Hauses. Dort hatten sie sich einen kleinen, schalldichten, oder fast
schalldichten Übungsraum aufgebaut. Dort wurden die ganzen Instrumente
samt Verstärkern gelagert. Die Jungs griffen sich ihre Instrumente
und legten los. Sie spielten ein Gemisch aus Metallica, den toten Hosen
und ACDC. „Kriegt ihr hier keinen Hörschaden?“, brüllte Fabian
gegen die Lautstärke an. „Hä?“ „Schon gut.“ Dann spielten die
Jungs etwas ruhigeres. Beatlesmäßig. Das gefiel Fabian schon
besser. Die Jungs hatten wirklich was drauf. Wahrscheinlich jahrelange
Übung. „OK, OK. Ich habe genug gehört“, wehrte Fabian dann ab,
als „Confused“ zum dritten Mal loslegen wollten. „Mir reicht‘s für
heute. Ich geh nach Hause und schone mein Gehirn.“ Fabian klopfte gegen
seinen Kopf. „Gut. Ich sag dir irgendwann mal Bescheid, wenn wir für
den nächsten Musikabend planen müssen“, meinte Harry. Er begleitete
Fabian noch zur Haustür. „Und sonst, jeden Donnerstag, gleiche Zeit,
gleicher Ort.“ „Alles klar.“ Harry gab Fabian zum Abschied förmlich
die Hand. „Senior Pavarotti, es hat mich gefreut, ihre Bekanntschaft zu
machen.“ „Ich habe zu danken, Meister“, sagte Fabian demütig. Dann
stieg er in seinen Wagen und fuhr davon.
Fabian sah auf seine Uhr und seufzte. Es
war Freitag. Es war sechste Stunde. Es war Geschichte. Und es waren noch
ganze zehn Minuten, die die Schüler vom Wochenende trennten. Fabians
Augen fielen zu. Wochenende. Britta. Party. Schlafen. Fußballspiel.
Fabian öffnete seine Augen wieder und starrte auf Herrn Becker, der
vorne an der Tafel wie ein Wilder am gestikulieren war. Fabian mußte
grinsen und fragte sich, ob der Lehrer aus irgendeiner geschlossenen Anstalt
geflohen war und sich eingeschlichen hatte. Durch die Klingel wurde er
aus seinen Gedanken gerissen. „Endlich Wochenende!“, entfuhr es Fabian,
der als erster aufgesprungen waren. Die anderen Schüler stimmten ihm
nickend zu und tauschten ihre Wochenendpläne aus. Als Fabian die Klasse
verlassen wollte, tippte Britta ihn an. „Hey du, wann soll ich heute vorbeikommen?“
Fabian überlegte. „So gegen sechs? Dann ist noch nicht soviel los.“
Britta nickte zustimmend. „Bis dann!“ Sie drückte dem überraschte
Fabian einen flüchtigen Kuß auf die Wange, bevor sie mit schnellen
Schritten aus dem Klassenraum ging. „Na, die hat wohl einen Narren an dir
gefressen“, meinte Uli, der sich an Fabian vorbei hinaus drängelte.
Fabian erwiderte gar nichts. Er machte sich statt dessen auch schnell davon.
Pünktlich um sechs Uhr klingelte
Britta bei den Sanders und Fabian öffnete ihr. „Hallo“, sagte sie
und trat in das Haus ein. „Wo ist der Hund?“ „Draußen“, antwortete
Fabian. „Warte.“ Er streckte den Kopf ins Wohnzimmer und rief aus der offenen
Gartentür. „Herkules! Besuch!“ Nach einigen Sekunden war Herkules
im Flur und begrüßte Britta herzlich und fröhlich wie immer.
„Nach draußen oder nach drinnen?“, wollte Fabian wissen. „Ist ja
schön warm, gehen wir raus, ja?“ „OK, komm.“ Britta und Fabian gingen
durch das Wohnzimmer in den Garten. Dort bereitete die Mutter gerade mit
ihrer „Haushaltshilfe“ eine große Essenstafel vor. „Ach, hallo!“,
begrüßte sie die beiden und kam lächelnd auf sie zu. „Guten
Abend, Frau Sander:“ Britta gab Fabians Mutter die Hand. „Hallo. Was habt
ihr vor?“, wollte diese wissen. Fabian zuckte mit den Schultern. „Also,
die Gäste kommen um sieben. Um halb acht wollen wir Essen, das Büfett
müßte bald kommen.“ Leicht nervös sah sie auf die Uhr.
„Ihr könnt natürlich mitessen.“ „Das ist gut“, meinte Fabian.
„Hoffentlich geht alles glatt“, sagte Anne Sander. „Mach dir keine Sorgen,
es wird perfekt“, ermutigte Fabian sie. „Wenn du meinst...“ Sie wandte
sich wieder ihrer Aufgabe zu. Britta, Fabian und nun auch der Hund schlenderten
durch den Garten. „Sonntag ist dein Spiel“, bemerkte Britta. „Ich weiß.“
„Und? Fit?“, wollte sie wissen. „Na klar. Hoffentlich dann auch noch.“
„Was ist eigentlich mit der Confused – Sache?“ „Die Band? Sie nehmen mich“,
erwiderte Fabian. „Wirklich? Das ist toll“, meinte Britta. „Da seid ihr
auf dem Musikabend bestimmt wieder dabei.“ Schweigend wechselten sie die
Richtung und gingen auf das Haus zu. „Willst du was trinken?“, wollte Fabian
wissen. Britta nickte. „Ja, gerne.“ Sie betraten das Wohnzimmer und gingen
in die Küche. „Wasser? Cola? Saft?“ „Wasser, danke.“ Britta setzte
sich auf einen der Hocker am Tresen. „Viel zu tun für deine Mutter,
wie?“ „Ja, aber sie macht es ja freiwillig“, antwortete Fabian und goß
Mineralwasser in ein Glas. „Sie liebt Parties.“ Er gab Britta das Wasser.
„Danke.“ Sie nahm einen Schluck. „Und du? Du auch?“ „Klar, Parties sind
witzig. Wollen wir hochgehen? Im Moment tobt hier ja noch nich so der Mop“,
bemerkte Fabian. „OK.“ Britta rutschte von dem Hocker und folgte Fabian
nach oben. In seinem Zimmer ließ sie sich auf das Sofa fallen. „Endlich
mal ein Wochenende ohne lernen!“, sagte sie erleichtert. „Du hast recht.
Sag mal, wollen wir vielleicht ein Video gucken?“, schlug Fabian vor. „Was
hast du denn so?“, wollte seine Besucherin wissen. „Einiges. Ein paar von
Tarantino, Action, ein paar Komödien. Tin Cup, Two Much und sowas.“
„OK. Hast du Pulp Fiction?“ „Englisch und Deutsch“, erwiderte Fabian. „Oh,
gut. Ich habe ihn noch nie im Original gesehen.“ „Also Pulp Fiction.“ Er
kramte in seinen Videokassetten und legte schließlich eine ein. Er
setzte sich neben Britta und sie starrten auf den Bildschirm. Sie sahen
sich den Film zur Hälfte an, dann wurden unten einige Stimmen laut.
„Wir sollten gleich mal runtergehen“, schlug Fabian vor. „Gleich.“ Britta
rückte ein wenig an Fabian heran und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
Fabian war überrumpelt. Er saß ein paar Sekunden wie erstarrt
da und versuchte, sich auf den Film zu konzentrieren. Britta hatte ihren
Kopf wieder angehoben und sah Fabian an. Der wandte ihr langsam den Kopf
zu und schaute ihr in die blauen Augen. Er sah, wie ihr Gesicht sich seinem
näherte, bis ihre Lippen schließlich seine berührten. Er
schloß seine Augen. Doch nach einer Weile löste er sich aus
dem Kuß. „Hör mal..“, begann er. „Du...bist wirklich total nett,
ich habe dich sehr gerne -“ Britta rückte ab. „Aber mehr nicht. Ich
verstehe“, sagte sie mit Enttäuschung in ihrer Stimme. „Es liegt nicht
an dir. Es ist einfach -“ „Nein, du brauchst mir nichts zu erklären“,
unterbrach sie ihn wieder. „Will ich aber. Ich mag dich. Aber nicht so.
Als Freundin eben“, erläuterte Fabian. „Das wäre auch so, wenn
es ein anderes Mädchen gewesen wäre.“ „Willst du im Moment keine
Beziehung oder so was?“, fragte Britta. „Nein, das ist es nicht. Aber es
liegt nicht an dir. Glaub mir.“ „Muß ich wohl.“ Sie seufzte traurig.
„Was man macht, das macht man falsch.“ „Du bist jetzt hoffentlich nicht
deprimiert oder so?“ „Was sonst? Ich habe gedacht, es wird schon alles
klappen. Und dann das.“ Fabian legte den Arm um sie. „Können wir nicht
einfach Freunde sein?“ „Freunde. Wie in den Serien“, meinte Britta. „Laß
uns Freunde sein, heißt es da immer. Aber es bleibt ja nichts anderes
oder?“ Fabian schüttelte den Kopf. „Besser als gar nichts“, meinte
sie und sah ihn an. „Oh nein. Sag bloß..:“ Sie schlug sich mit der
flachen Hand auf die Stirn. „Ich bin auch ein Blindfisch.“ „Was meinst
du?“, fragte Fabian irritiert. „Du würdest lieber mit jemandem wie
Uli ausgehen oder?“ Fabian lächelte. „Naja, er ist nicht gerade mein
Typ, aber...“ „Die Richtung stimmt...“ Britta ließ sich tiefer in
die Kissen des Sofas sinken. „Das ich das nicht bemerkt habe. Jetzt ist
alles klar.“ „Es tut mir ja echt leid, aber -“ Er konnte wieder nicht ausreden.
„Nein. Das ist OK. Ich meine, klar, ich hatte mir schon Hoffnungen gemacht,
aber das ist nicht zu ändern, nehme ich an.“ Fabian zuckte mit den
Schultern. „Im Moment...vielleicht ist es eine Phase oder so.“ „Phase?
Wenn du meinst. Sag mir Bescheid, wenn die vorbei ist, OK?“, sagte Britta.
„OK.“ Fabian lächelte erneut. Britta sprang auf. „OK. Jetzt bloß
nicht durchhängen.“ Sie reichte Fabian die Hand. „Gehen wir was essen?“
„Klar!“ Er ließ sich hochziehen.
Am Samstag Morgen erwachte Fabian mit Kopfschmerzen.
Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Hoffentlich war es keine Grippe, einen
Tag vor dem Spiel. Sofort dröhnte sich Fabian mit einigen Vitamintabletten
zu und blieb im Bett. Er brauchte sowieso ein wenig Ruhe. Der Abend gestern
war ziemlich nett gewesen. Fabian hatte aber nicht geahnt, daß Britta
in ihn verliebt war. Natürlich tat es ihm für sie leid, aber
er konnte es ja auch nicht ändern. Außerdem waren sie als Freunde
bestimmt ein besseres Team, als als Paar. Und heute konnte sich Fabian
den ganzen Tag durch das Fernsehprogramm zappen. Serien so weit das Auge
reichte. Außerdem bekam er einen Anruf von Harry, der ihn fragte,
ob er vorbeikommen wollte. Aber Fabian fühlte sich nicht genug motiviert,
seinen Samstag mit den Verrückten von Confused zu verbringen. Harry
sah das ein, wünschte einen schönen Tag und ein gutes Spiel für
den Sonntag. Fabian dachte die ganze Zeit daran. Er hoffte, daß er
gut in Form war und wieder zeigen konnte, daß er gut war.
Nach dem unspektakulären, erholsamen
Samstag folgte der Sonntag. Das Fußballspiel stand an. Schon früh
am Morgen erwachte Fabian mit einer gewissen Aufregung im Bauch. Er stand
sofort auf und nahm ein gesundes Sportlerfrühstück zu sich. Um
drei Uhr am Nachmittag sollte das Spiel beginnen. Treffen um kurz vor halb.
Viel zu früh packte Fabian seine Sachen. Dann verbrachte er einige
Zeit damit, seine Eltern verrückt zu machen. Hoffentlich gab es keinen
Regen! Was, wenn er auf der Treppe stolperte und sich den Fuß verstauchte?
Fabian hielt es für richtig, die Bewegungen auf das Nötigste
zu beschränken. Also setzte er sich auf das Sofa im Wohnzimmer und
versuchte, sich zu entspannen. Der Hund leistete ihm Gesellschaft.
Um Punkt zwei Uhr fuhr Fabian mit dem
Auto zum Sportplatz. Viel zu früh, natürlich. Er war auch als
erster da, ausgenommen von Herrn Teschner. „Hallo Fabian. Ziemlich früh
oder?“, sprach der seinen Spieler an. „Besser zu früh als zu spät“,
meinte Fabian. „Richtig. Dann kannst du dich ja schon mal umziehen“, schlug
der Trainer vor. „Die ersten Zuschauer kommen anscheinend auch schon.“
Er wies auf zwei Autos, die auf dem Parkplatz hielten. „Und unsere Gegner
sind auch unterwegs, ich habe mal den Trainer über sein Handy angerufen.“
Fabian nickte. „Ich geh dann mal.“ Das tat er dann auch. Er konnte sich
mit dem Umziehen viel Zeit lassen. Nach und nach trudelten dann auch seine
Mannschaftskollegen ein. Sie waren sich einig darin, daß sie Königslutter
schlagen würden. Fabian war sich dessen besonders sicher. Er fühlte
sich gut, die „Grippe“ vom gestrigen Tag hatte sich als einfache Erschöpfung
erwiesen. Und jetzt ging es ihm ziemlich gut. Beim Aufwärmen legte
er auch gutes Tempo vor. Und er hatte gute Laune. Er hatte sich wirklich
auf das Spiel gefreut. Mit der Zeit füllten sich die Plätze auf
den Tribünen mit Zuschauern. Fabian erblickte zufällig Britta
und Uli, die ihm zuwinkten. „Macht sie fertig!“, rief Britta. Fabian nickte
ihr zuversichtlich zu. Dann rief Herr Teschner sie zusammen. „So. Es geht
gleich los. Der Schiedsrichter ist endlich auch da. Taktik ist klar?“,
fragte der junge Trainer. Alle bejahten die Frage. „Wunderbar. Auf ein
gutes Spiel.“ Fabian lächelte ihm zu. Es würde ein gutes Spiel
werden. Die Mannschaft bezog Stellung auf dem Platz und begrüßte
die Gegner aus Königslutter. Der Schiedsrichter warf dann die Münze
und Königslutter durfte die Seite wählen. Dann konnte es losgehen,
es war Anpfiff. Fabian zeigte gleich vollen Einsatz. Er versuchte, sich
jeden Ball zu erspielen. Aber die andere Mannschaft war auch nicht schlecht.
Sie hatten gute Stürmer und auch die Verteidigung zeigte kaum Lücken.
Nach ein paar Minuten hatte Fabian eine aussichtsreiche Chance: Er hatte
sich in einem Zweikampf durchgesetzt und stürmte auf das gegnerische
Tor zu. Alles sah gut aus. Doch plötzlich spürte er eine Art
Schlag. Er geriet ins Stolpern und fiel schließlich auf den Boden.
Sein Kopf schmerzte. Außerdem hatte er einen faden Blutgeschmack
im Mund. Er öffnete seine Augen. Über ihm stand ein Spieler von
Königslutter. „Ich hab ihn umgehauen“, sagte der. Nach einer Weile
sah Fabian auch den Schiedsrichter über sich, der dem anderen Spieler
die gelbe Karte zeigte. Außerdem war Matthias da. „Kannst du aufstehen?“
„Ich versuch’s.“ Fabian hob den Kopf und spürte einen stechenden Schmerz
im Nacken. Sofort ließ er seinen Kopf wieder auf den Boden sinken.
„Es geht nicht.“ „Wo sind denn die Sanitäter?“ Jetzt war auch Herr
Teschner bei ihm. „Ich weiß nicht. Ich habe sie noch nicht gesehen“,
erwiderte Matthias. „Komm, du mußt aufstehen. Ich hab meinen Erste
– Hilfe – Kasten in der Umkleide“, sagte der Trainer. Matthias half Fabian
auf die Beine. „Was tut dir weh?“, wollte der Trainer wissen. „Mein Kopf.
Mein Nacken“, antwortete Fabian gequält. „Komm. Ganz langsam.“ Herr
Teschner und Fabian gingen auf die Umkleidekabine zu. „Spielt weiter!“,
rief der Trainer den anderen Spielern zu. Fabian warf einen Blick auf die
Tribüne und sah Britta und Uli mit besorgten Gesichtern. Dann betraten
sie die Umkleide. Der Trainer räumte eine Bank frei. „Leg dich hier
hin.“ Fabian tat wie ihm geheißen und ließ sich ein Handtuch
als Kissen unter den Kopf legen. „Ich bin gleich wieder da.“ Der Trainer
verschwand in einem Nebenraum. Fabian starrte an die Decke. Gerade heute
mußte so ein Trampel ihn umrennen. Ihm wurde schwindlig, also schloß
er die Augen. Als Herr Teschner wiederkam, öffnete er sie wieder.
Sein Trainer tränkte einen Tupfer in Alkohol. Dann berührte er
damit vorsichtig die verletzte Stelle an Fabians Mund. Der gab einen kurzen
Schmerzenslaut von sich, denn der Alkohol brannte höllisch. Herr Teschner
hatte einen Ausdruck auf dem Gesicht, der sagen wollte „Es tut weh, aber
da mußt du durch“. Fabian blickte auf die Hand seines Trainers. Nach
einem kurzen Zögern legte er seine Hand auf die von Herrn Teschner,
die immer noch damit beschäftigt war, den Tupfer auf die Wunde zu
pressen. Der überraschte Blick des Trainers traf Fabians für
einen Moment. Nach einer Weile zog er seine Hand unter der seines Spielers
hervor. „Das sollte reichen“, sagte Herr Teschner mit Verlegenheit in seiner
Stimme. Fabian sah ihn an, doch der Trainer erwiderte seinen Blick nicht.
„Du solltest wohl besser nicht mehr spielen“, sagte dieser statt dessen
nüchtern. „Ich habe noch einen Ersatz.“ Fabian nickte enttäuscht.
„Willst du nach draußen auf die Bank?“ Wieder nickte Fabian. „Dann
komm.“ Der Trainer verließ den Raum und ließ Fabian zurück.
Einen Augenblick lang blieb Fabian verwirrt liegen. Er wußte gar
nicht, was los war. Statt weiter nachzudenken, stand er mühsam auf
und folgte Herrn Teschner. Langsam ließ der Schmerz in seinem Kopf
nach. Aber er spürte einen anderen Schmerz, einen Stich an der Stelle,
wo sein Herz saß.
Fabian schloß die Augen und ließ
das heiße Wasser der Dusche auf sich herunterprasseln. Sie hatten
gewonnen, zwei zu eins. Er hatte das restliche Spiel auf der Bank verbracht.
Und sein Trainer hatte ihn nicht einmal angesehen oder gefragt, wie es
ihm ging. Die restliche Mannschaft war bereits fertig geduscht zu ihrer
Stammkneipe verschwunden, um den Sieg zu feiern. Nur Fabian stand noch
im Duschraum der Umkleidekabinen und dachte angestrengt über seinen
Trainer und Lehrer nach. Was hatte ihn selbst dazu bewogen, dessen Hand
zu berühren? Das brauchte er sich nicht zu fragen: Seit Fabian ihn
das erste Mal in Deutsch gesehen hatte, verspürte er jedes Mal ein
kribbelndes Gefühl, wenn er ihn sah. Aber es war trotzdem nicht richtig
gewesen, was er da vorhin getan hatte. Und doch erhellte sich Fabians Gesicht,
wenn er an das Gefühl von Jan Teschners Haut dachte. Seine Hand war
weich und warm gewesen. Ein richtig tolles Gefühl. Plötzlich
schreckte Fabian auf, als er glaubte, Schritte zu hören. Er öffnete
seine Augen und drehte sich um. Er sah seinen Trainer in dem Durchgang
zwischen Dusch – und Umkleideraum stehen. Der schaute ihn in atemloser
Spannung an. Als der Fabians Blick bemerkte, verschwand er schnell. Nach
einigen Sekunden hörte Fabian eine Tür auf – und zugehen. Jetzt
war er vollends durcheinander. Was hatte das zu bedeuten? Fabian drehte
die Dusche ab und ging in den Umkleideraum herüber. Nein, Herr Teschner
war weg.
An diesem Abend konnte Fabian nur schwer
einschlafen. Er war vom Sportplatz gleich nach Hause gefahren, denn er
wollte nicht noch einmal Herrn Teschner begegnen. Morgen aber würde
sich das wohl kaum verhindern lassen. Eigentlich wollte er ihn ja sehen,
aber er wußte ja gar nicht, was jetzt eigentlich los war. Vielleicht
war da ein klärendes Gespräch fällig. Fabian wälzte
sich in seinem Bett herum. Sein Kopf tat noch immer ein bißchen weh,
aber das war im momentan nicht sein Problem. Nach längerer Zeit voller
schwerer Gedanken fiel Fabian doch noch in einen unruhigen Schlaf.
Am Montag Morgen fühlte sich Fabian
ziemlich zerschlagen, als er in der Schule ankam. Britta erwartete ihn
dort bereits. „Wie geht es dir denn?“, fragte sie ihn besorgt, während
sie sich auf den Weg zum Geschichtsunterricht machten. „Naja. War schon
besser. Aber mach dir keine Sorgen“, erwiderte Fabian und warf ihr einen
zuversichtlichen Blick zu. „Wir hatten uns nur gestern gar nicht mehr gesprochen,
deshalb dachte ich, dir geht’s vielleicht nicht so toll.“ „Nett, daß
du dir Sorgen machst.“ Da waren sie auch schon in Süd 3 angekommen.
Herr Becker war auch schon da und ermahnte die beiden aufgrund der kleinen
Verspätung, doch allzu dramatisch war das nicht.
Die nächsten beiden Stunden waren
für Fabian geradezu unerträglich. Er war irgendwie nervös,
er konnte kaum still sitzen. In der großen Pause mußte er zur
Beruhigung erst mal eine Zigarette rauchen, obwohl das ja sonst nicht seine
Art war. Den anderen fiel auch auf, daß er nicht besonders gesprächig
war. Doch Fabian selber merkte das gar nicht, was kein Wunder war, denn
er dachte nur an die beiden Folgestunden. Als es dann endlich klingelte,
holte Fabian tief Luft, bevor er das Schulgebäude betrat. Er war der
erste, der vor dem Raum stand, in dem er nun Deutsch haben sollte. Nach
einiger Zeit hatte sich der ganze Kurs eingefunden. Fabian hielt nach seinem
Lehrer Ausschau. Diesen sah er dann auch, als er um eine Ecke bog. Schnell
sah er weg. Feigling, dachte er so bei sich. Herr Teschner schloß
auf und die Schüler betraten den Raum. Fabian setzte sich auf seinen
Platz. Erst dort wagte er es wieder, seinen Lehrer anzusehen. Der unterhielt
sich kurz mit einem anderen Schüler, dann setzte auch dieser sich
auf seinen Platz. Und dann trafen sich die Blicke von Fabian und Herrn
Teschner. Fabian konnte nicht feststellen, was in den Augen seines Lehrers
zu sehen war. Auf jeden Fall war es diesmal Fabian, der als erster den
Blickkontakt unterbrach. Einige Momente später begann der Deutschlehrer
wie gewöhnlich mit dem Unterricht. Fabian konnte sich natürlich
nicht konzentrieren. Statt dessen suchte er immer wieder den Augenkontakt
mit Herrn Teschner, der diesen auch manchmal aufnahm. Diese Chancen nutzte
Fabian dann immer, um etwas Anzügliches, fast Betörendes in seinen
Blick zu legen. Es war sicher, daß sein Lehrer das bemerkte. Und
als es dann zur kleinen Pause klingelte und sich alle anderen angeregt
unterhielten, trat Herr Teschner auf Fabian zu. „Ich muß Sie nach
der Stunde einmal sprechen. Sie wissen ja, wo das Sprechzimmer ist.“ Fabian
nickte nur, dann begab sich der Lehrer auch schon wieder zu seinem Pult.
Nach dieser Mitteilung war die nächste Stunde für Fabian nur
noch schwerer auszuhalten. Was wollte Herr Teschner wohl mit ihm besprechen?
War er sauer auf ihn? Oder gab es etwas anderes? Auch Britta schien sich
das zu fragen, denn sie stieß ihren Nachbarn an. „Was wollte er denn
von dir?“ Fabian zuckte nur mit den Schultern und grübelte weiter.
Als es nach einer für Fabian schier
endlosen Zeit endlich gongte, war er schnell aus dem Raum verschwunden.
Nun überlegte er, ob er überhaupt zum Sprechzimmer gehen sollte.
Doch nach einer Weile rang er sich durch und machte sich auf den Weg dorthin.
Der besagte Raum war vor dem Lehrerzimmer, neben dem Krankenzimmer. Es
herrschte ein reges Treiben vor dem Lehrerzimmer. Duzende von Schülern
standen herum und wollten alle möglichen Lehrer sprechen. Fabian klopfte
an die Tür des Sprechzimmers und öffnete dann vorsichtig. Er
schaute hinein und sah Herrn Teschner an einem Tisch sitzen und etwas in
seinen Kalender schreiben. Er bemerkte Fabian und sah auf. „Kommen Sie
rein.“ Fabian tat dieses und setzte sich auf einen Stuhl. Herr Teschner
schloß die Tür und nahm dann selber wieder Platz. Zuerst herrschte
kurzes Schweigen, dann begann der Lehrer: „Was sollte das heute?“ „Was?
Ich verstehe nicht.“ Fabian schaute ihn fragend an. „Die ganzen Blicke.
Und nicht nur heute. Das gestern, beim Spiel...“ Fabian sah auf die weiße
Tischplatte. „Haben Sie dazu gar nichts zu sagen?“ Fabian erwiderte nichts.
Brauchte er auch nicht, denn Herr Teschner stand auf und lehnte sich neben
Fabian an den Tisch. „Wollen Sie es mir denn nicht sagen?“, fragte er.
Fabian schüttelte den Kopf. „Müssen Sie auch gar nicht. Ich weiß
ja, worum es geht.“ Fabian sah auf. „Wie meinen Sie das?“ „Naja, es ist
nicht schwer, das herauszufinden“, sagte Herr Teschner. „Dein Annäherungsversuch
gestern, diese Blicke heute...“ Fabian schluckte, aber Herr Teschner fuhr
fort. „Jetzt habe ich das doch durcheinander gebracht, dieses Du und Sie.“
„Macht nichts“, meinte Fabian. „Doch. Ich denke schon. Hören Sie,
ich bin Ihr Lehrer. Ich weiß nicht, wie Sie sich das vorgestellt
haben oder was Sie erwartet haben, was ich tue.“ Wie aus einem Reflex nahm
Fabian die Hand seines Lehrers. Dieser stockte kurz in seinen Ausführungen.
„Sie wissen ja gar nicht, was Sie da tun“, sagte er dann nur. „Und Sie
wissen gar nicht, was sie mir antun“, meinte Fabian und stand auf. Herr
Teschner sah ihn an. „Und was jetzt?“ Fabian mußte nicht mehr lange
überlegen. Vorsichtig näherte er sich seinem Lehrer und küßte
ihn kurz. Herr Teschner ließ es geschehen und sah ihn daraufhin nachdenklich
an. „Wer tut hier wem etwas an?“, wollte er wissen. Er hob seine Hand und
strich über Fabians Gesicht. „Das geht nicht“, meinte er dann. „Ich
weiß“, sagte Fabian. „Darauf kann ich mich nicht einlassen. Ich bin
dein Lehrer, noch dazu verheiratet...“ „Darüber bin ich mir im Klaren.“
Fabian nickte und setzte sich auf den Tisch. „Aber wenn wir bis hierher
gekommen sind, können wir auch noch weitergehen.“ Er legte die Arme
um seinen Lehrer und zog ihn zu sich heran. Sie schauten sich einen Moment
lang in die Augen. Dann küßten sie sich wieder. Schon hatten
Fabians Hände den Weg zwischen die Beine seines Lehrers gefunden,
während der sich unter das Shirt seines Schülers tastete. Eine
Weile lang tauschten sie Zärtlichkeiten aus, dann klopfte es auf einmal
an der Tür. Erschrocken ließen sie voneinander ab und Fabian
rutschte vom Tisch auf einen Stuhl. Dann öffnete sich auch schon die
Tür. Eine Fabian unbekannte Lehrerin steckte den Kopf herein. „Ach,
entschuldige Jan, brauchst du noch lange hier?“, fragte sie. „Nein. Zwei
Minuten“, erwiderte Herr Teschner ziemlich gefaßt. „OK. Ich habe
dann auch noch ein Gespräch. Sag mir Bescheid.“ Schon war sie wieder
verschwunden. „Das war knapp“, sagte Fabian nach einer Weile. Jan Teschner
nickte. „Wie geht es jetzt weiter?“, wollte der Schüler wissen. „Ich
weiß es nicht“, erwiderte der Lehrer. „Ich will dich wiedersehen.
Nicht so, in der Schule..“, sagte Fabian. „Ich dich auch.“ Herr Teschner
lächelte ihn an. „Wirklich?“ Fabian sah ihn glücklich an. „Aber
wir müssen äußerst vorsichtig sein. Hast du ja gerade gesehen,
warum.“ Fabian nickte zustimmend. Sein Lehrer strich ihm über die
Wange. „Du bist ganz warm“, bemerkte er. „Kein Wunder.“ Fabian lächelte.
„Ja, wir müssen uns absprechen. Du weißt ja, da ist meine Frau.
Das macht es noch ziemlich kompliziert.“ Fabian sah Jan Teschner verständnisvoll
an. „Aber sie ist dieses Wochenende auf dem Geburtstag einer Freundin in
Hamburg. Frauenparty, verstehst du“, erklärte der Lehrer. „Du meinst,
du willst, daß ich zu dir komme?“, fragte Fabian. „Ja. Das will ich.
Wenn du willst.“ „Keine Frage.“ Fabian strahlte noch mehr. „Jetzt geh.
Ansonsten passiert noch irgendwas“, meinte Herr Teschner. „OK. Es soll
nicht vorbei sein, bevor es angefangen hat.“ Fabian stand auf und griff
nach der Hand seines Lehrers. Ihre Lippen berührten sich noch einmal
sanft und ausgiebig, dann löste sich Fabian. Er öffnete die Tür,
warf seinem Lehrer noch einen liebevollen Blick zu, dann verließ
er das Zimmer. Herr Teschner sah ihm noch nach.
Den restlichen Montag schwebte Fabian auf
Wolke 7. Aber wie sollte Fabian die Zeit bis zum Wochenende herumkriegen?
Diese Woche hatte es in sich: Nicht nur,
daß Fabian das übliche Fußballtraining im Terminplan stehen
hatte (was ihm aber natürlich nicht unangenehm war), ein Bandtreffen
stand eben so an, wie einige Tests in der Schule. Doch irgendwie ging auch
diese Woche herum, wenn auch viel zu langsam, wie Fabian meinte.
Am Samstag erwachte Fabian schon früh
am Morgen vor Aufregung. Er hatte nur wenig geschlafen, da er am Abend
noch lange wach gelegen hatte. Dennoch verspürte er nicht das geringste
Anzeichen von Müdigkeit. Er konnte es kaum noch erwarten, Jan Teschner
wiederzusehen.
Irgendwie gelang es ihm, sich die Zeit
bis zum Nachmittag zu vertreiben. Doch langsam wurde er unruhig. Es durchfuhr
ihn nun ein Gedanke: Was, wenn er das Treffen vergessen hatte? Naja, das
sicher nicht, aber wenn seine Frau nun doch nicht weg war? Fabian beschloß,
einfach bei seinem Lehrer anzurufen. Wenn seine Frau ans Telefon ging,
würde er einfach auflegen. Mit unruhiger Hand suchte er aus dem Telefonbuch
die entsprechende Nummer heraus, nahm seinen Telefonhörer ab und wählte
sie. Das Freizeichen ertönte. Als auch nach einiger Zeit niemand ans
Telefon ging, wollte Fabian schon auflegen, als sich auf einmal die nach
Atem ringende Stimme seines Lehrers meldete: „Jan Teschner?“ Fabians Herz
ging schneller, erst nach ein paar Sekunden konnte er etwas sagen. „Hallo,
ich bin’s, Fabian.“ Sein Gesprächspartner wußte erst einmal
gar nichts zu erwidern, deshalb fragte Fabian gleich: „Hast du mich vergessen?“
„Auf keinen Fall“, wehrte Jan Teschner sofort energisch ab. „Ich hatte
nur gar nicht mehr damit gerechnet, daß du dich meldest.“ „Warum
sollte ich nicht?“ „Wann kannst du vorbeikommen?“ Der Lehrer überging
die Frage. „Das heißt, du willst wirklich, daß -“ Fabian wurde
unterbrochen. „Natürlich. Ich habe alles ernst gemeint. Und ich tue
es auch jetzt noch.“ Fabian mußte lächeln. „OK. Ich komme gleich
zu dir. Wenn du mir sagst, wo du wohnst.“ „Sicher.“ Jan Teschner beschrieb
schnell den Weg zu einer Straße nahe der Innenstadt. Fabian notierte
alles, um sicherzugehen, daß er nichts vergaß. „Gut, ich beeile
mich“, sagte er dann. „Dann bis gleich.“ Fabian legte auf und war mit einem
Sprung auf den Beinen. Am liebsten wäre er sofort los gesprintet,
aber es fiel ihm gerade noch ein, daß er sich vielleicht noch etwas
Vernünftiges anziehen sollte. Er sah an sich herunter: Abgewetzte
Bluejeans, verwaschenes T-Shirt...nicht gerade der Situation angemessen,
auch wenn es ihn natürlich seiner Meinung nach besonders sexy machte.
Dennoch zog er mit einem Grinsen sein Shirt aus und legte auch die Hose
ab. Er wählte ein eng anliegendes schwarzes Oberteil und eine schwarze
(nicht abgewetzte) Jeans. Er fand sich sehr schick. Der Meinung schien
auch der Hund zu sein, der gerade ins Zimmer getrottet kam, denn er wollte
auch sofort probieren, wie die neue Hose seines Herrchens schmeckte. Doch
gerade als er seine lange Zunge danach ausstrecken wollte, wurde er von
Fabian hochgenommen. „Untersteh dich!
Ich will mich nicht noch mal umziehen“,
drohte Fabian, woraufhin Herkules anfing, unwillig zu kläffen. „Ist
ja gut.“ Mit Schwung setzte er den Hund auf seinem Bett ab. „Wünsch
mir Glück!“ Herkules machte ein zuversichtliches Gesicht, als Fabian
mit schnellen Schritten den Raum verließ. Er lief die Treppenstufen
hinab und sucht im Erdgeschoß nach seinen Eltern. Er fand seine Mutter
im Wohnzimmer, wo sie ein Buch las und einen Tee zu sich nahm. Als ihr
Sohn das Zimmer betrat, sah sie auf. „Na, wo willst du drauf los?“ „Ich
latsch mal in die City. Weiß noch nicht, wann ich wieder da bin.“
Anne Sander nickte zustimmend. „Brauchst du den Wagen?“ „Nö, ich nehme
mal ganz konventionell den Bus.“ „Ich verstehe zwar nicht, wieso, mein
Kind, aber wenn du willst.“ Sie zuckte mit den Schultern. „OK, bis irgendwann.“
Er machte kehrt. Seine Mutter schüttelte den Kopf. „Diesen Jungen
soll einer verstehen“, murmelte sie und widmete sich wieder ihrem Buch.
Ganz in der Nähe der Sanders befand
sich eine Bushaltestelle, zu der sich Fabian nun begab. Zu seinem großen
Glück (Herkules sei Dank!) mußte er nicht lange auf einen Bus
in die Stadt warten. Eigentlich bevorzugte Fabian die Straßenbahn,
aber hier tat es auch ein schnöder Bus. Er suchte sich einen Platz
ganz weit hinten. Während der Fahrt schaute er interessiert durch
das Fenster nach draußen. Er war schon ganz in Gedanken versunken,
als er bemerkte, daß der Bus fast an der Haltestelle angekommen war,
an der er aussteigen mußte. Also stand Fabian auf und drückte
den Knopf für den „Haltewunsch“. Er mußte nicht lange warten,
bis der Bus hielt und er das Fahrzeug verlassen konnte. Er kannte sich
in der Wohngegend des Lehrers einigermaßen aus, deshalb war es kein
großes Problem für Fabian, das Reihenhaus zu finden, in dem
dieser wohnte. Als er endlich vor Jan Teschners Tür stand, raste sein
Puls förmlich. Ihm war, als ob gleich der Boden unter seinen Füßen
wegrutschen würde. Schließlich konnte er sich dafür entscheiden,
an der Tür zu klingeln, auf der mit großen schwarzen Buchstaben
„Teschner“ stand. Nach einer kleinen Weile wurde die Tür geöffnet
und Fabian sah in das lächelnde Gesicht seines Lehrers. „Komm schnell
rein!“ Er hielt Fabian die Tür weit auf, so daß dieser eintreten
konnte. „Wegen der neugierigen Nachbarn“, meinte Jan Teschner und schloß
die Tür hinter sich. „Verstehe. Typisch Reihenhaussiedlung, wie?“
Fabian sah sich neugierig um. Er stand noch im Flur, von dem aus eine Holztreppe
in das obere Stockwerk führte. Sein Lehrer schob ihn jedoch weiter
durch eine Tür, hinter der offensichtlich das Wohnzimmer lag. Es war
gemütlich eingerichtet, nicht zu modern und nicht zu altmodisch. Jan
Teschner wies auf eine schwarze Ledercouch, auf der Fabian und auch er
selbst sogleich Platz nahmen. Einen Moment lang wußte keiner von
beiden, was er sagen sollte. Doch dann fing der Hausherr an zu sprechen:
„Ich hoffe, dir macht es nichts aus, wenn wir ein wenig reden?“ „Wieso,
weswegen bin ich denn sonst hier?“ Fabian sah vielsagend in die Augen seines
Lehrers. „Naja...was soll ich sagen.“ Jan Teschner räusperte sich.
„Also die ganze Sache mit uns beiden ist sicher höchst...ungewöhnlich.
Und außerdem verboten. Ich, oder wir, machen uns strafbar.“ „Wenn
wir miteinander reden?“ Fabian mußte diese Bemerkung einfach machen.
„Du weißt doch, was ich meine“, sagte sein Lehrer leicht nervös.
„Ja, eben, das ist mir alles ganz klar.“ „Dann ist ja gut. Ich wollte nur
sicher sein, daß du weißt, was wir riskieren.“ „War’s das,
was du mir sagen wolltest? Dann kann ich ja wieder gehen“, meinte Fabian
und stand auf. Er liebte diese Spielchen. „Meinst du das ernst.?“ Jan sah
ihn fragend an. „Was denkst du denn?“ Fabian ließ sich auf Jans Schoß
sinken. „Naja, ich kann ja noch eine Weile bleiben.“ Er berührte mit
seinem Gesicht das seines Lehrers. „Laß uns nach oben gehen“, sagte
der leise. „Was ist denn oben?“ Fabian küßte Jan. „Komm mit,
dann siehst du’s.“ Sie standen auf und Fabian ließ sich von Jan Teschner
die Treppe hochziehen. Im ersten Stock betraten sie durch eine Tür
ein Zimmer, in dem ein großes Ehebett stand. Das Schlafzimmer. „Jetzt
verstehe ich, warum du unbedingt wolltest, daß ich herkomme.“ Fabian
lächelte. „Du willst es doch auch oder?“, fragte Jan etwas verunsichert.
„Wäre ich sonst hier?“ Das genügte dem jungen Lehrer als Antwort.
Sofort begann er damit, Fabians Oberteil auszuziehen. Das nahm Fabian zum
Anlaß, Jan ebenfalls zu entkleiden. Es dauerte eine Weile, doch dann
standen sie sich beide unbekleidet gegenüber. „Weißt du eigentlich,
wie gut du aussiehst?“, ergriff Jan das Wort. „Danke gleichfalls“, erwiderte
Fabian. „Das habe ich schon bemerkt, als ich dich das erste Mal gesehen
habe, in der Klasse.“ „Mir geht es genauso“, meinte Jan. „Und seitdem ich
dich nach dem Fußball im Duschraum gesehen hatte, wünschte ich
mir nichts sehnlicher, als dich endlich berühren zu dürfen.“
Mit diesen Worten trat er auf Fabian zu.
Vorsichtig begann Jan, ihn zu streicheln.
Sein Gesicht, seinen Oberkörper. Fabian schloß seine Augen.
Wie sehr hatte er sich das alles erhofft. Wie oft hatte er sich vorgestellt,
wie sein Lehrer ihn an den intimsten Stellen seines Körpers berührte.
Und jetzt war es so. Alles andere war unwichtig geworden. So ließ
er sich von Jan in die weichen Kissen des Ehebettes drücken und genoß
jede einzelne Berührung.
Fabian lag ganz dicht bei Jan und hielt
kurz den Atem an, um dessen Herz schlagen zu hören. Er spürte,
wie die Hand seines Lehrer sich durch seine Haare bewegte und dabei zärtlich
sein Gesicht streifte. „War das dein erstes Mal?“, fragte Jan schließlich.
Fabian lachte. „Soll das ein Witz sein? Du bist nicht mein erster Lehrer.“
Als Fabian das erschrockene Gesicht Jans sah, fügte er noch schnell
hinzu: „Das war ein Witz, OK? Aber nein, mein erstes Mal war das nicht.
Aber bestimmt das schönste.“ Die Gesichtszüge seines Lehrers
entspannten sich zusehends. „Und wie steht es mit dir? Ich meine, jetzt
mal deine Frau nicht eingeschlossen.“ „Du willst wissen, ob ich schon mal
was mit einem Mann hatte? Nicht direkt. Ich habe zwar schon gemerkt, daß
ich nicht nur Frauen attraktiv finde, bin der Sache aber nie nachgegangen.
Bis du gekommen bist.“ „Und, war es so schlimm?“, wollte Fabian wissen.
„Schlimm? Es war einfach...überwältigend. Ich habe es mir immer
ganz anders vorgestellt“, sagte Jan. „Das alles soll aber nicht heißen,
daß ich meine Frau nicht liebe. Karin ist...ich liebe sie, aber ich
begehre sie nicht mehr so, wie ich es früher getan habe. Bei dir ist
es -“ „Umgekehrt. Keine Liebe. Nur Lust.“ „Ach, red doch keinen Unsinn“,
sagte Jan, doch Fabian konnte an seiner Stimme hören, daß er
recht hatte. „Ist ja auch nicht so wichtig. Wichtig ist, daß wir
beide hier sind.“ „Ja.“ Einen Moment lang schwiegen beide wieder. „Warum
habt ihr keine Kinder?“, wollte Fabian dann aber wissen. „Nun...ich weiß
nicht, ob ich es dir erzählen sollte...“ Jan zögerte. „Sag‘s
doch einfach.“ „Also, Karin kann keine Kinder bekommen.“ „Das tut mir leid“,
sagte Fabian und es war ehrlich gemeint. „Naja, es ist nicht zu ändern.
Wir haben die ganzen anderen Möglichkeiten schon durchgespielt, aber
das ist alles nicht das Wahre. Sie hat Angst, daß ich sie eines Tages
verlasse, weil ich Kinder haben möchte.“ An dieser Stelle hörte
Jan auf, von der Sache zu sprechen, da er wohl gemerkt hatte, wie weit
er sich geöffnet hatte. Auch Fabian wußte das. Er hörte
auch auf zu fragen, da er Angst hatte, daß dann dadurch „alles“ kaputt
gehen könnte. „Wann sehen wir uns wieder?“, fragte er statt dessen.
„Ich weiß es nicht. Es ist alles so schwierig. Ich will dich wiedersehen,
aber ich weiß nicht, ob und wann ich es einrichten kann.“ „Dann sollten
wir diese Zeit jetzt nutzen.“ Fabian richtete sich auf, beugte sich über
Jan und ließ sich schließlich auf ihn sinken. „Sag Bescheid,
wenn ich dir zu schwer werde.“ „Sicher nicht“, sagte Jan und ließ
sich von Fabian überall mit Küssen bedecken.
Mit einem Glücksgefühl
im Bauch schloß Fabian später am Abend die Haustür auf.
Zu seiner Überraschung brannte im Wohnzimmer noch Licht. Er betrat
den Raum und fand seine Eltern vor dem Fernseher vor. „Ach, du läßt
dich auch mal wieder blicken?“ Sein Vater sah ihn mit seinem strengen Blick
an. „Wieso? Ich hatte doch gesagt, daß ich nicht weiß, wann
ich wieder da bin.“ „Du sagtest, du würdest in die Stadt gehen. Du
warst doch sicher später bei irgendeinem deiner Freunde. Du hättest
wirklich mal anrufen können“, sagte Anne Sander. „Ja, ja, das nächste
Mal mache ich das.“ Genervt ging Fabian aus dem Raum, die Treppe hoch in
sein Zimmer. Er hatte keine Lust, sich von seinen Eltern seine gute Laune
verderben zu lassen. Auf seinem Bett fand er Herkules schlafend vor. „Was
machst du denn hier Rüde?“ Fabian setzte sich auf sein Bett und kraulte
den Hund. Dieser wachte auf und fing an, Fabians Hand abzuschlabbern. „Nein,
jetzt ist gut.“ Fabian gab dem Hund einen Klaps, so daß der träge
von seinem Bett hopste und durch den offenen Türspalt entschwand.
Fabian gähnte. Er war doch ziemlich müde und geschafft von dem
ganzen Tag. Aber es ging ihm gut. Er hatte leider nicht mit Jan vereinbaren
können, wann sie sich das nächste Mal außerschulisch treffen
konnten, doch Fabian war zuversichtlich. Jetzt mußte er erst einmal
schlafen. Schnell zog er sich um und legte sich in sein Bett. Schon nach
kurzer Zeit fiel er in einen tiefen Schlaf.
Am folgenden Sonntag Morgen wurde Fabian
vom grausamen Klingeln seines Telefons geweckt. Noch völlig verschlafen
und total genervt griff Fabian nach dem Hörer. „Was?“ „Oh, da ist
aber jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden.“ „Harry“, stellte
Fabian fest. „Richtig! Ich weiß, es ist noch mitten in der Nacht
für dich, aber du mußt vorbeikommen. Gestern hat mich Frau Gerke,
du weißt schon, die Musiklehrerin angerufen. Der Musikabend soll
in zwei Wochen sein und wir sind dabei. Wir müssen besprechen, was
wir machen. Und üben wir die Bekloppten!“ Fabian grummelte und fragte
dann: „Gut. Wann?“ „In einer halben Stunde bei mir.“ „Ich bin da.“ Ohne
ein weiteres Wort legte Fabian den Hörer wieder auf. Erst jetzt war
er einen Blick auf die Uhr. Es war kurz nach elf. Mit einem Seufzen schwang
er sich aus dem Bett. Er wankte zum Kleiderschrank, um schnell ein paar
Klamotten herauszusuchen. Auf dem Weg fiel ihm der Stapel Anziehsachen
auf seinem Sofa auf. Er ging auf die ganzen Sachen zu und nahm von oben
das Shirt, das er am Tag davor angehabt hatte. Er hielt es vor sein Gesicht
und atmete ein. Es roch ganz eindeutig nach Jan. Er lächelte und ließ
das Oberteil wieder auf den Berg Anziehsachen fallen. Das konnte er unmöglich
anziehen. Es hatte noch diesen Geruch des Lasterhaften an sich. Also suchte
er doch noch schnell eine Hose und einen Pullover aus seinem Schrank, bevor
er die Treppe herunter sprintete. Er begab sich schnell in die Küche,
um wenigstens noch einen Toast einzuschieben. Er traf dort seine Mutter
an, die gerade irgend etwas Undefinierbares in einem Topf zubereitete.
„Was machst du da? Rattengift?“ Fabian grinste. „Ich werd dir gleich was
von wegen Rattengift!“ Seine Mutter drohte ihm mit dem Kochlöffel.
„Guten Morgen.“ „Morgen. Ich muß gleich los, Harry hat angerufen,
bald ist der Musikabend und wir haben noch nichts vorbereitet.“ „Ach ja,
diese Bandgeschichte. Dann ißt du gar nichts?“ „Bewahre, nein! Aber
einen Toast hätte ich gerne.“ „Mach dir selber einen, du Banause!“
Anne Sander wandte sich wieder ihrem Essen zu. Also machte sich Fabian
noch schnell einen Toast, bevor er mit dem Wagen davon brauste.
Fabian kam sogar einigermaßen pünktlich
bei Harry an. Die anderen von „Confused“ waren auch schon da. Sie saßen
alle in üblicher Formation in Harrys Zimmer. Nur hatte irgend jemand
Tim seine Sticks entwendet. Der hüpfte nämlich wie ein Irrer
auf Harrys Bett herum und greinte: „Ich will jetzt meine Sticks wieder
haben!“ „Hör auf, du machst das Teil noch kaputt“, warnte Harry. Tim
ließ sich also mit einem abschließenden Rums auf das Bett fallen.
„Gut. Hier ist also auch Fabian.“ Dieser setzte sich auf den Boden, denn
neben Tim zu sitzen konnte nur der Gesundheit schaden. „Also?“ Fabian sah
fragend in die Runde. „Punkt eins der Tagesordnung -“ „Ich kriege meine
Sticks wieder“, funkte Tim dazwischen. „Ruhe jetzt. Punkt eins: Songauswahl.
Irgendwelche Vorschläge?“ Die Frage hätte Harry sich sparen können,
denn nun waren auf einmal alle von Confused furchtbar mit irgend etwas
Wichtigem, wie Federn aus den Kissen vom Sofa ziehen, beschäftigt.
„Keine Vorschläge also.“ „Doch, wenn ich’s mir recht überlege...also
Oldies machen wir ja wenn ich mich recht erinnere sowieso. Also vielleicht
mal ein Lied, was ein bißchen fetzt“, sagte Fabian. „Jawoll“, rief
Tim mal wieder dazwischen. „Nicht, was du denkst. Vielleicht...‘Poison‘
von Alice Cooper“, schlug Fabian weiter vor. „Hey, gute Idee! Wie’s der
Zufall will, habe ich das Gitarrenzeugs irgendwann mal gespielt“, meinte
Harry. „Ist zwar manchmal recht schwer, aber es geht. Und die Drums sind
wichtig oder was meinst du, Tim?“ „Redet ihr mit mir? Ich sag gar nichts
mehr, bevor ich nicht meine Sticks wieder habe.“ Tim wollte die beleidigte
Leberwurst spielen. „Dann eben nicht.“ Harry hob die Schultern. „Guter
Einfall, das wollte ich also damit sagen, Fabian. Sonst noch was?“ „Ihr
kennt doch sicher ‚Push‘ von Matchbox 20?“, wollte Björn wissen. „Sicher“,
bestätigte Fabian. „Fühlst du dich im Stande, das zu singen?“
„Warum nicht. Die CD habe ich Zuhause.“ „Gut. Frau Gerke meinte 3 Lieder,
also eins noch.“ „Ich würde sagen, einen Song, den jeder kennt“, sagte
Tim. „Mensch, das ist ja mal ein richtig guter Vorschlag von dir!“ Harry
grinste seinen Kumpel an. „Olaf, gib ihm seine Babies wieder.“ „Auf deine
Verantwortung.“ Olaf zog die Sticks aus seinem Rucksack. „Nee, auf deinen
Kopf“, freute sich Tim und sein ganzes Spielchen ging von Vorne los. „Also
was noch?“ „Was von ‚The Police‘“, meinte Olaf. „Siehst du, deine Gehirnzellen
funktioneren noch viel zu gut“, meinte Tim. „Every Breath you take“, führte
Fabian den Gedanken weiter. „Gut. Womit wir das geklärt hätten.
Jetzt brauchen wir nur noch massig Termine zum Üben.“ Also machten
die 5 von „Confused“ noch recht viele Tage zum Üben aus, bevor sie
zur Tat, das heißt, in den Keller schritten um in die Saiten, Tasten
und alles weitere zu hauen. Wie sie bald merkten, brauchten sie noch etwas
Zeit. Und vor allen Dingen die Noten für „Push“. Doch Harry konnte
anscheinend alles organisieren. Er versprach, die Noten im Haus zu haben,
wenn sie sich das nächste Mal trafen. Den Song von Police bekamen
sie allerdings schon ziemlich gut hin, die Jungs hatten ihn schon öfter
mal zum Spaß gespielt.
Nach einigen anstrengenden Stunden kam
Fabian völlig abgeschlafft Zuhause an. Zu allem Überfluß
forderte seine Mutter ihn noch auf, mit dem Hund zu gehen. Leicht genervt
machte sich Fabian also mit Herkules auf den Weg. Er war völlig in
Gedanken, als Herkules plötzlich anfing, wie ein Wilder zu kläffen.
„Was ist denn los mit dir, Herkules, was -“ Doch da sah Fabian schon, was
los war. Ihnen entgegen kam Jan Teschner mit seiner Colliedame Lassie.
„Jetzt verstehe ich, Herkules.“ Fabian beugte sich zu seinem Hund herunter
und streichelte ihn. „Guter Hund.“ Aufgrund des Bellens hatte jetzt auch
der Lehrer Fabian und natürlich Herkules bemerkt. Er kam näher
und sagte: „Hallo Fabian.“ „Hallo Jan. Ich meine, Herr Teschner.“ Sein
Lehrer lächelte. „Wie geht es dir? Ist deine Frau schon wieder zurück?“
„Ja seit ein paar Stunden ist sie wieder da“, erwiderte Jan. Er schaute
auf seine Lassie, die damit beschäftigt war, den aufgeregten Herkules
anzuknurren. „Und ich darf mit dem Hund gehen.“ „Ich auch. War vielleicht
doch gar nicht so schlecht“, meinte Fabian. „Ich habe gute Nachrichten
für dich. Für uns: Nächstes Wochenende ist Karin wieder
weg, das hat sie mir vorhin mitgeteilt. Sie hat gestern auf dem Geburtstag
eine alte Freundin wieder getroffen, du weißt ja, wie sowas ist.
Und zu der will sie nächstes Wochenende fahren.“ „Das ist ja wunderbar“,
sagte Fabian glücklich. „Du kommst am besten wieder so wie gestern
vorbei“, schlug Jan vor. „Alles klar“, stimmte Fabian zu. „Dann muß
ich jetzt weiter. Wir sehen uns morgen, in der Schule.“ „Ja, bis dann.“
Fabian zog Herkules langsam weiter und sah seinem Lehrer noch nach, der
mit Lassie in die andere Richtung ging.
Den restlichen Abend mußte sich
Fabian der Schule widmen. Er mußte am Dienstag eine Klausur im Englisch
LK schreiben, eine Interpretation irgendeiner Novelle. Seine Englischlehrerin,
Frau Weber, war aber sehr nett und der Unterricht ziemlich interessant.
Was die anderen dagegen von Frau Heinze erzählten...da war Fabian
doch froh, im Leistungskurs zu sein. Außerdem war Englisch seine
starke Seite, zusammen mit Physik. Also strengte er sich am Sonntag nicht
mehr so viel an, um etwas für die Klausur zu tun. In seinen Ohren
war immer noch so ein piependes Geräusch, so ein langer, endloser,
total nerviger Ton. Natürlich war dieses Bandtreffen daran Schuld!
Am nächsten Tag in der Schule plagten
Fabian ziemlich Kopfschmerzen. Im Unterricht war er außerdem ziemlich
unkonzentriert. Außer in den beiden Deutschstunden natürlich.
Doch Fabians Aufmerksamkeit galt weniger dem Unterrichtsstoff als seinem
jungen Lehrer. Natürlich ließ er sich nicht anmerken, woran
er dachte, wenn er Jan Teschner ansah. Niemand konnte etwas bemerken. Bis
auf den Lehrer selber, der anscheinend genau das gleiche dachte, wenn er
zufällig seinen Schüler Fabian Sander anschaute. Im Grunde waren
die Stunden für Fabian eher unerträglich. Mit Jan in einem Raum
zu sein, ihn sprechen zu hören, ihn aber nicht berühren zu dürfen
– das alles bekam jetzt einen ganz anderen Ausdruck. Doch er dachte mit
Freude und Aufregung an das Wochenende, obwohl es erst Montag war und zwei
Klausuren für diese Woche anstanden.
In der Pause sprach ihn Britta in der
Raucherecke an. „Ich dachte, du meldest dich vielleicht mal“, sagte sie
leicht vorwurfsvoll. „Du mußt ja ein spannendes Wochenende gehabt
haben.“ „Richtig“, erwiderte Fabian mit einem Lächeln. „Tut mir echt
leid, meine Liebe, aber in nächster Zeit bin ich dauernd mit Lernen
und Confused verplant. Nächste Woche Freitag ist doch der Musikabend
und wir müssen noch viel proben.“ „Verstehe.“ Britta schaute ein wenig
traurig drein. „Da kommt auch schon Harry.“ Fabian zeigte auf Harry Fredlich,
der gerade in ihre Richtung kam. „Na ihr zwei“, begrüßte er
die beiden und wandte sich dann an Britta. „Du, ich war gerade am Lehrerzimmer.
Frau Heinze will heute wirklich einen Test schreiben.“ „Was?“ Britta fiel
aus allen Wolken. „Und da tut sie am Donnerstag noch so scheinheilig, von
wegen, nein, sie würde ja nie einen Test unangekündigt schreiben.“
„Das war dann wohl der Wink mit dem Zaunpfahl“, meinte Harry. „Eher mit
dem ganzen Zaun“, sagte Fabian und grinste. „Und ich Dummbrot habe das
nicht mitgekriegt“, regte sich Britta weiter auf. „Also, Kinder, das mach
ich nicht mit. Ich klemm den Rest des Tages ab.“ „Ist ja auch gar nicht
auffällig oder so“, sagte Harry. „Ach, erzähl der Alten irgendwas
von Magenbeschwerden. Oder noch besser, Menstruationsbeschwerden“, rief
Britta begeistert von ihrem schlauen Einfall. Fabian und Harry sahen sich
an. „Igitt“, sagten die beiden und schüttelten sich. „Ach, ihr wißt
ja gar nicht, wie das ist“, meinte Britta und lächelte. „Muß
auch nicht sein. Ich nehm die Magenbeschwerden“, meinte Fabian. „Gut, ich
verzieh mich mal.“ Britta schnappte sich also ihre Tasche und machte sich
auf den Weg zum Fahrradständer. Die beiden Jungen sahen ihr noch hinterher,
bis sie hinter der Biegung beim Schulhof verschwand. „Und du? Kannst du
Englisch?“, wollte Fabian von Harry wissen. „Naja, Medium würde ich
sagen. Vielleicht haue ich auch noch ab.“ „Gut“, meinte Fabian und grinste.
„Dann lasse ich euch beide wegen Menstruationsbeschwerden entschuldigen!“
Am Montag fand außerdem noch Fußballtraining
statt. Auch hier mußte Fabian sich beherrschen, sich nichts anmerken
zu lassen. Am liebsten hätte er sich ja auf seinen Lehrer gestürzt
und ihm die Kleider vom Leib gerissen. Aber damit mußte er wohl oder
übel bis zum Wochenende warten. Das dachte er zumindest.
Nach dem Training war er wieder einmal
der letzte, der noch unter der Dusche stand. Er ließ den Tag noch
einmal Revue passieren. Er fand, daß er sich ganz gut gehalten hatte,
beim Training. Er mußte ja irgendwie seine überschüssige
Energie loswerden...Plötzlich hielt Fabian inne, als er glaubte, eine
Tür klappen zu hören. Seine Sinne hatten ihn nicht getäuscht.
Auf einmal stand sein Trainer im Türrahmen. „Ach? Du bist mal wieder
der Letzte, wie?“ „Stimmt“, sagte Fabian und grinste. „Besser als das Letzte
oder? Aber was machst du noch hier?“ „Ich wollte dir auflauern.“ Jan Teschner
kam näher auf ihn zu. Diese Gelegenheit nutzte Fabian, ihn mit Wasser
zu besprühen. „Das kriegst du zurück“, rief Jan und schon ging
die Wasserschlacht los. Nach einer Weile waren die beiden jedoch ziemlich
erschöpft und schlossen deswegen Frieden. „Jetzt kann ich meine Sachen
ebensogut ausziehen“, meinte der Trainer und tat das auch. „Und was ist,
wenn jemand reinkommt?“, wollte Fabian wissen. „Wieso? Ich dusche doch
nur“, sagte Jan lächelnd, fügte dann aber noch hinzu: „Keine
Sorge, ich habe die Türen abgeschlossen.“ „Du denkst wohl an alles.“
Fabian zog ihn an sich heran und küßte ihn. „Von dir kann man
wirklich viel lernen. In jeder Beziehung.“ Da sie sich ihrer Ungestörtheit
sicher sein konnten, gaben sie sich beide ihrem Verlangen hin.
Fabian kam aus dem Klassenzimmer und schloß
die Tür hinter sich. Er atmete tief durch. Eine vierstündige
Klausur war nicht unbedingt der Traum seiner schlaflosen Nächte. Aber
er hatte ein ganz gutes Gefühl. Englisch war nicht besonders schwer,
fand er. Und die Klausur war einigermaßen fair gewesen. Aber Fabian
graute vor der Geschichtsarbeit bei Herrn Becker. Dieser Typ konnte ihn
anscheinend überhaupt nicht ab und ließ auch wirklich keine
Gelegenheit aus, ihn anzuschnauzen. Aber was kümmerte ihn das? Er
hatte gute Freunde, war in einer Band und hatte den Lover seiner Träume.
Im Moment verlief sein Leben wirklich gut.
In der großen Pause nach der Klausur
traf sich Fabian mit Harry in der Raucherecke. Sie wollten nur noch ein
bißchen über ihre Proben sprechen. Fabian mußte eine Weile
warten, bis Harry endlich aus dem Schulgebäude auf ihn zu kam. „Hey
Fabian, ich war gerade bei Frau Gerke“, sagte er zur Begrüßung.
„Und?“, wollte Fabian wissen. „Sie hat mir gesagt, wann wir dran sind“,
erwiderte Harry. „Und wann wäre das?“, fragte Fabian ungeduldig. „Nach
dem das ganze Klassikzeugs und die Jazztanzgruppe fertig sind. Als erste
von den drei Bands“, erklärte Harry endlich. Fabian war überrascht.
„Es gibt noch mehr Bands?“ „Ja, eine offizielle Schülerband und noch
eine andere Möchtegern – Band.“ „Also sind wir die besten“, sagte
Fabian zufrieden. „So sehe ich das auch. Wir werden es den ganzen Leuten
schon zeigen“, meinte Harry zuversichtlich. „Sind eigentlich viele Lehrer
beim Musikabend?“, fragte Fabian. „In der Regel schon. Außer die,
die ganz weit draußen in der Pampa wohnen“, war Harrys Antwort. Fabian
nickte zufrieden. Jan wohnte ja nicht unbedingt hinterm Wald in Hinterpottegutschen...er
mußte grinsen. „He, da ist Britta“, bemerkte Harry. Ja, da war sie.
Und sie war sauer, daß konnte man an ihrem Gesichtsausdruck ohne
Probleme ablesen. „Was ist dir denn über den Weg gelaufen?“, wollte
Fabian wissen. „Die Heinze! Ich muß diesen verdammten Test nachschreiben.“,
schnaufte Britta wütend. „So eine blöde Kuh! Die versaut mir
noch meine 11 Punkte!“ „Das sind allerdings keine guten Nachrichten“, sagte
Harry mitfühlend. „Warum lernst du nicht einfach und knallst ihr 14
Punkte vor die Nase?“, fragte Fabian. „Weil man für diesen Test so
gut wie nichts machen kann“, erklärte Britta. „Es kommt immer drauf
an, wie fies sie sein will. Ich habe gar keine Chance.“ „Warum denn so
pessimistisch? Das wird schon.“ Harrys Bemerkung wurde vom Gong unterstrichen,
der zum Unterricht drängte. „Na toll!“ Britta hob die Hände in
die Luft. „Meine Zigarettenpause ist auch hin!“ Ohne ein weiteres Wort
verschwand sie im Schulhaus. „Die beruhigt sich auch wieder“, meinte Harry
abschließend zu Fabian.
In den folgenden Tagen hatte Fabian kaum
eine ruhige Minute. Entweder probten „Confused“, er mußte lernen
oder es war Fußballtraining. Deswegen war Fabian auch ziemlich erschöpft,
aber auch erleichtert, als er am Freitag Abend todmüde ins Bett fiel.
Wieder einmal hatten sie für den Musikabend geübt. Sie kamen
wirklich ganz gut klar. Ein paar Kleinigkeiten waren noch zu bewältigen,
aber Fabian war zuversichtlich. Außerdem war morgen erst mal Samstag.
Er würde Jan wiedersehen. Dieser Gedanke verursachte ein angenehmes
Kribbeln in Fabians Bauch. Ob Jan wohl auch gerade an ihn dachte?
Am Samstag stand Fabian pünktlich
um 15 Uhr vor Jans Wohnungstür. Er mußte nicht lange warten,
bis der Hausbesitzer öffnete. „Hey, schön, daß du da bist“,
wurde Fabian begrüßt. Schnell betrat er nun den Hausflur, der
Nachbarn wegen. „Ja, es ist gut, daß wir uns mal wieder treffen.“
Jan und Fabian gingen ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch vor dem Sofa standen
zwei Rotweingläser und daneben der dazugehörige Wein. „Du willst
mich wohl betrunken und gefügig machen, wie?“ Fabian setzte sich auf
die Couch. „Du hast mich mal wieder durchschaut.“ Jan nahm ebenfalls Platz
und schenkte den beiden Wein ein. „Du darfst doch schon Alkohol oder?“
„Nein. Ich bin noch viel zu klein dafür“, scherzte Fabian. „Oh. Naja.“
Jan reichte Fabian ein Glas und nahm selbst das andere. „Auf einen schönen
Tag.“ Die Gläser erzeugten einen hellen Klang, als sie aufeinander
trafen. Der süße Rebensaft lief warm durch Fabians Kehle. „Die
Gärung des Alkohols...“, philosophierte er. „Wie treffend.“ Jan stellte
sein Glas auf der Tischplatte ab. „So. Erzähl doch mal irgendwas.“
„Wirst du am Freitag beim Musikabend da sein?“, fragte Fabian. „Werde ich
wohl. Wieso?“ Jan sah ihn fragend an. „Ach, das weißt du ja noch
gar nicht. Ich singe da in einer Band. Confused“, erklärte Fabian.
„Das ist doch die Gruppe von Fredlich, wie heißt er gleich“, überlegte
Jan. „Harry. Harry Fredlich.“ „Genau. Das war’s. Und du singst? Hatten
sie nicht mal einen anderen Sänger?“ „Ja, aber der ist ausgestiegen
irgendwann vor kurzer Zeit“, erwiderte Fabian. „Sehr interessant. Dann
werde ich natürlich noch mit mehr Freude da sein.“ Jan lächelte
ihn an. Fabian erwiderte das Lächeln. Er fing an, auf die Tischplatte
zu klopfen. Nach einer Weile sagte Jan: „Laß das, das macht mich
ganz nervös.“ „Echt?“ Fabian klopfte noch unruhiger auf den Holztisch.
„Na warte!“ Mit einem Mal hatte sich Jan auf ihn gestürzt und seinen
Mund auf Fabians eigenen Lippen gepreßt. Dabei war er mit dem Arm
an einem der Gläser hängengeblieben, aus dem im hohen Bogen der
Wein auf den Boden kippte und den Boden rot einfärbte. Doch weder
Jan noch Fabian kümmerten sich darum.
„Wie willst du das jemals wieder rausbekommen?“
Fabian betrachtete Jan, wie er versuchte, den Rotweinfleck mit Salz und
Pril aus dem Teppich zu reiben. „Ich weiß es nicht. Verflucht.“ Jan
stand auf und warf den Lappen auf den Fußboden. „Reg dich nicht so
auf.“ Fabian, immer noch unbekleidet nach dem Liebesspiel mit Jan, räkelte
sich zufrieden auf dem Sofa. „Komm lieber wieder her.“ Jan sah ihn an.
„Was wird wohl Karin dazu sagen? Das ist ja furchtbar.“ Fabian seufzte.
„Also Schluß mit Romantik und Wollust.“ Er grinste und suchte seine
Sachen zusammen. „Hast du meine Socken gesehen?“ „Dich kümmert das
wohl gar nicht“, sagte Jan vorwurfsvoll. „Nö, is ja nicht mein Teppich.“
„Fiesling.“ Jan zog ihn an sich und küßte ihn. Fabian sah über
sich, zur Hängelampe. „Hier ist sie.“ Er angelte sich seine weiße
Sportsocke von der Lampe. „Ich geh jetzt mal“, sagte er dann. „Wieso? Wir
könnten doch noch ein bißchen reden“ schlug Jan vor. „So? Worüber
denn?“ Fabian ließ sich wieder auf das Sofa sinken, seine Anziehsachen
auf dem Arm. „Einfach so. Über uns.“ Jan nahm wieder neben ihm Platz.
„Wenn du meinst.“ Fabian hob die Schultern. „Ich finde alles ganz gut so.“
„Wirklich? Aber es ist nicht gerade so, wie man sich sonst eine Beziehung
vorstellt“, meinte Jan. „Affäre meinst du wohl. Beziehung ist in der
Tat was anderes.“ Fabian starrte auf den Rotweinfleck. „Da hast du ja echt
was angestellt.“ „Aber meinst du, wir können das immer so weitermachen?“,
fragte Jan weiter. „Immer nicht. Also ich meine, da ist deine Frau und
-“ „Was soll das denn heißen?“, unterbrach Jan Fabian. „Naja, die
Tatsache, daß du verheiratet bist, ist nicht gerade hilfreich für
uns“, sagte Fabian. „Du willst doch nicht damit sagen, daß ich mich
lieber von Karin trennen soll?“ Jan schaute ihn ärgerlich an. „Das
will ich nämlich gerade nicht. Ich bin ganz zufrieden mit meiner Ehe.“
„Du hast doch selber gesagt, daß du Karin nicht mehr begehrst“, hielt
Fabian ihm vor. „Naja, nicht mehr so, wie am Anfang, aber da ist immer
noch ein bißchen...du weißt schon.“ „Ja, ich weiß, und
du liebst sie.“ Fabian wurde ungehalten. „Und was ist mit mir? Glaubst
du, ich will immer nur die kleine Nummer zwischendurch sein?“ Er stand
auf. „Das läuft nicht.“ „Das Gespräch war vielleicht doch keine
so gute Idee“, begriff Jan. „Oh, doch. Jetzt weiß ich immerhin, was
ich dir wert bin“, sagte Fabian verletzt. „Ach, jetzt warte doch mal.“
Jan stand ebenfalls auf und legte Fabian die Hand auf die Schulter. „Sei
mir nicht böse. Für mich ist das alles nicht so einfach“, sagte
er beschwichtigend. „Ja, ja. Schon OK.“ Fabian versuchte sich an einem
versöhnten Lächeln, das ihm aber nur halb gelang. „Ich werde
jetzt trotzdem gehen.“ „Wie du willst.“ Fabian zog sich also schnell an.
„Wir sehen uns dann in der Schule.“ Er ging zügig durch den Hausflur,
verschwand durch die Haustür und ließ Jan mitsamt dem Rotweinfleck
in dem Haus zurück.
An diesem Abend lag Fabian nachdenklich
wach. Jan hatte sicher recht. Für ihn war das nicht so leicht. Wahrscheinlich
hatte er sich das selbst viel zu einfach vorgestellt. Jetzt kam es Fabian
wirklich albern vor, daß er geglaubt hatte, Jan würde seine
Frau seinetwegen verlassen. Und dann? Fabian wälzte sich herum. Dann
wären sie beide ausgewandert, hätten geheiratet und zehn Kinder
bekommen! So ein Unsinn! Schnell verscheuchte Fabian diese lächerlichen
Gedanken aus seinem Kopf. Er konnte wirklich froh sein, daß Jan sich
überhaupt mit ihm eingelassen hatte!
Am folgenden Sonntag hatte Fabian endlich
mal wieder etwas Zeit. Sie mußten nicht proben und er nicht lernen.
Ihm fiel auf, daß er Britta und Uli in letzter Zeit ziemlich vernachlässigt
hatte. Er beschloß, sich erst mal mit Britta zu treffen. Er rief
also bei ihr an. Zu seinem Glück war sie da. „Du hältst mich
gerade vom Joggen ab“, sagte sie. „Oh, ich wollte natürlich nicht
stören.“ „Bewahre! Meinst du, ich mache das gerne? Also, was gibt’s?“
„Ich wollte fragen, ob du Lust hast vorbeizukommen, dann reden wir ein
bißchen“, schlug Fabian vor. „Klar, bin schon unterwegs“, stimmte
Britta zu. „Na, dann bis gleich.“
Einige Minuten später stand Britta
vor seiner Tür. „Hallo!“ Fabian ließ sie rein. Sofort war der
Hund zur Stelle, um die Besucherin zu begrüßen. „Also, gehen
wir hoch?“ Britta nickte zustimmend. Die zwei begaben sich also in Fabians
Zimmer. „Setz dich doch.“ Fabian wies auf das Sofa, auf dem Britta auch
sogleich Platz nahm. „Nun, was hast du auf dem Herzen?“ Britta sah Fabian
neugierig an. „Wieso? Kann ich dich nicht einfach mal zu mir einladen?“
„Nein, da steckt doch was dahinter“, vermutete Britta. „Sicher, es könnte
auch sein, daß ich mich täusche, aber...“ „Nein, nein. Wahrscheinlich
hast du recht“, meinte Fabian schließlich einsichtig. „Ich glaube,
ich bin derjenige, der nicht mitgekriegt hat, daß ich was zu erzählen
habe. Hätte. Theoretisch.“ „Wieso nur theoretisch?“, fragte Britta.
„Naja, die Sache ist nicht ganz einfach.“ Fabian ließ sich auf sein
Bett fallen. „Es geht bestimmt um Liebe oder?“ Britta grinste. „Na dann
mal raus mit der Sprache.“ Fabian zögerte. „OK. Also hör zu.
Du hast natürlich wieder recht. Es geht um Liebe. Und zwar bin ich
ziemlich verschossen in jemanden. Allerdings ist der, die, das Jemand verheiratet
und will das auch bleiben.“ „Nun -“ Plötzlich hielt Britta inne. Ihre
Kinnlade klappte herunter. „Ach du scheiße! Du meinst doch nicht...es
wird doch nicht...“ „Was denn?“, wollte Fabian beunruhigt wissen. „Es ist...Herr
Teschner!“ Fabian sagte gar nichts. Sie hatte ihn durchschaut. „Wie kommst
du denn darauf?“, fragte er aber nur. „Auf einmal ist mir das klar geworden!
Jetzt wo du’s sagst...schon in der ersten Deutschstunde wolltest du alles
von ihm wissen!“ Britta schüttelte den Kopf. „Was läuft da, Fabian?
Du machst ja hoffentlich keine Dummheiten!“ „Ach, Blödsinn“, wehrte
Fabian ab. „Er weiß ja gar nichts davon!“ Er biß sich auf die
Lippen. Er konnte Britta nicht die Wahrheit sagen. Das war völlig
unmöglich. „Dann ist ja gut! Weiß der Himmel, was alles passieren
könnte.“ Britta lehnte sich einigermaßen beruhigt zurück.
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“ Fabian hätte sich diese
Frage auch sparen können. Wenn Britta nicht die ganze Geschichte kannte,
nützte ihre Meinung wenig. „Naja, du solltest dir unseren lieben Lehrer
lieber ganz schnell aus dem Kopf schlagen. Gibt es keinen anderen, mit
dem du...“ Sie zog die Augenbrauen hoch. „Ausgehen könntest?“ „Naja,
schon, aber...“ Fabian stockte. „Ja, du hast recht. Da ist noch jemand
anders. Er hat mich auch schon gefragt, ob ich mit ihm mal weggehe.“ Das
war schließlich keine Lüge und so kam Fabian am schnellsten
aus der Sache raus. „Siehst du, das Problem löst sich ganz von selbst.“
Britta sah zufrieden aus. Fabian hingegen fühlte sich auf einmal gar
nicht mehr so wohl. Hätte er sie doch bloß nicht angerufen!
Wieder einmal eine seiner fixen Ideen! Er mochte Britta ja. Aber jetzt
im Moment war es ihm gar nicht mehr so recht, daß sie da war. Er
mußte sie irgendwie loswerden, nur um sich selbst vor noch größeren
Dummheiten zu bewahren. „Ach du je...“ Er ließ sich in die Kissen
sinken und legte sich eine Hand auf den Kopf. „Ich habe auf einmal so schreckliche
Kopfschmerzen.“ Fabian verzog das Gesicht. „Wirklich?“ Britta schaute besorgt
zu ihm herüber. „Ja. Auf einmal. Ich glaube, mir wird schlecht...“
„Oh, oh! Dann gehe ich besser! Vielleicht hast du einen Virus und steckst
mich an!“ Sie sprang vom Sofa auf und ging zügig zur Zimmertür.
„Also, gute Besserung dann.“ Fabian schaffte ein gequältes Nicken.
Dann ging Britta aus dem Zimmer. Fabian hielt kurz den Atem an. Als er
die Haustür hörte, atmete er erleichtert auf. Er drehte sich
auf den Bauch und starrte sein Kopfkissen an. Wütend schlug er mit
der Faust in die weichen Federn. Was war er nur für ein Dummkopf!
So ein Leichtsinn! Am liebsten wollte er die Episode eben schnell vergessen.
Sicher, Britta hatte ihm seine Geschichte sicher abgenommen. Aber wieso
mußte er nur immer so leichtsinnig werden, wenn alles gerade so...perfekt
war. Er versuchte sich selber zu beruhigen. Sie würde sicher nicht
mehr viel über sein Problem nachdenken. Sie hatte bestimmt auch andere
Sachen zu tun. Außerdem würde sie sicher keinem was erzählen.
Fabian hoffte für sich selber, daß er Recht behielt.
Der Montag und der Dienstag verliefen ziemlich
ereignislos. Fabian mußte zwar einen Physiktest schreiben, aber da
es keine Klausur war, hatte er dafür nicht zu viel lernen müssen.
Am Mittwoch war wie am Montag wieder Fußballtraining. Als dieses
zu Ende war, Fabian wollte gerade in seinen Wagen steigen, wurde er von
seinem Trainer angesprochen. „Gut, daß du noch da bist“, sagte er
ganz außer Atem vom Laufen. „Habe ich dich gerade noch erwischt.“
„Was gibt es denn?“, wollte Fabian wissen. „Ich wollte dich fragen, ob
du noch ein wenig mit zu mir kommen willst. Karin kommt heute erst irgendwann
in der Nacht wieder.“ Fabian sah Jan Teschner überrascht an. „Das
ist ja mal eine nette Überraschung“, sagte er. „Klar komme ich mit.“
„OK. Du kommst am besten nach. Ich fahre schon mal.“ Jan ging zügig
zu seinem Auto. Fabian sah ihm nach, als er vom Gelände fuhr. Dann
setzte auch er sich in den Wagen und fuhr in gemächlichem Tempo in
Richtung der Wohnung.
Fabian klingelte bei Teschners an der
Haustür. Er wurde bald darauf von Jan in die Wohnung gelassen. „Wohin?“
Fabian sah Jan fragend an. „Wohnzimmer, würde ich sagen“, erwiderte
Jan. Also gingen die beiden ins Wohnzimmer und nahmen wie gewöhnlich
auf der Couch Platz. „Wirklich gut, daß ich hier bin“, meinte Fabian
zufrieden. Jan nickte zustimmend. „Wir sollten keine Zeit verlieren“, meinte
er dann und rückte etwas näher an Fabian heran. „Vorteilhaft,
daß diesmal kein Rotwein in der Nähe ist.“ Fabian lächelte.
„So lustig ist das gar nicht, Karin war ziemlich wütend“, sagte Jan.
Er fing an, Fabian langsam auszuziehen. Dieser rührte sich kaum. Erst
als Jan anfing, ihn auch noch zu streicheln, erwiderte er die Zärtlichkeiten.
Bald war alles andere für die beiden unwichtig, sie nahmen kaum noch
etwas anderes war, als sich selbst. Erst das plötzlich Geräusch
der Haustür ließ die beiden aufschrecken. „Was war das?“ Fabian
sah Jan ängstlich an. „Ich weiß nicht -“ Er kam nicht weit.
„Jan! Ich bin schon wieder da“, sagte eine Frauenstimme. Ehe Jan oder Fabian
etwas tun konnten, erschien auch schon die zu der Stimme gehörende
Person im Wohnzimmer: Karin, Jans Ehefrau. „Ich konnte früher gehen,
weil -“ Ihr Blick traf erst Fabian, dann Jan, so gnadenlos wie ein Messer.
„Was geht hier vor?“, fragte sie langsam. „Karin, weißt du -“ Jan
war von der Couch aufgesprungen. „Wer ist das, Jan?“ Karin kam auf ihn
zu und sah über seine Schulter zu Fabian. Der saß da, kaum bekleidet,
starr vor Schreck wie ein Eisblock, unfähig, sich auch nur einen Zentimeter
zu bewegen. „Ich kann das alles erklären“, begann Jan. „Ach, hör
doch auf zu reden wie in einer billigen Seifenoper! Ich habe doch Augen
im Kopf“, rief Karin ungehalten. Jan schwieg. Fabian blickte langsam zu
ihm auf. „Ich gehe dann jetzt“, brachte er leise hervor. Keiner der beiden
Eheleute gab einen Kommentar dazu. Hastig zog Fabian sich seine Anziehsachen
über und stürmte dann zur Haustür. Als er draußen
war, konnte er Karins laute Vorwürfe aus dem Haus hören.
Durch den Schleier von Tränen fiel
es Fabian schwer, die Straße vor sich zu erkennen. Auch war es schwierig
für ihn, sich auf das Fahren zu konzentrieren, denn in Gedanken war
er ganz woanders. In seinem Kopf wirbelte alles wie bei einem Tornado durcheinander.
Warum mußte das alles so enden mit ihm und Jan. Es war doch so perfekt
gewesen, nahezu perfekt. Und dann, auf einmal, sollte alles vorbei sein?
Fabian schluchzte. Das war alles nicht fair! Und was würde jetzt passieren?
Er wußte es nicht. Ohne es zu merken war Fabian schon bei sich Zuhause
angekommen. Er hielt vor der Garage und blieb starr in dem Wagen sitzen.
Was sollte er jetzt tun? Abwarten? Was gab es denn schon für Möglichkeiten.
Er gab sich einen letzten Ruck und stieg aus dem Auto. Aber er konnte jetzt
unmöglich mit jemandem sprechen. Schnell schloß er die Haustür
auf und trat ein. Ohne sich nach jemandem umzusehen lief er die Treppe
hoch in sein Zimmer. Er wollte niemanden sehen oder hören. Er warf
sich auf sein Bett. Wieder konnte er die Tränen nicht aufhalten, die
in seine Augen stiegen. Er wollte es auch nicht. Es war das erste Mal seit
Jahren, daß Fabian sich in den Schlaf weinte.
Am nächsten Morgen wollte Fabian
nicht aufstehen. Doch er mußte ja. Es blieb ihm gar nichts anderes
übrig. Zur Schule zu gehen war die einzige Möglichkeit, Jan wiederzusehen
und zu erfahren, wie es weitergehen sollte. Also zog sich Fabian um und
nahm seine Schultasche. Er kümmerte sich nicht darum, was er für
Fächer hatte. Er nahm einfach alles so in der Tasche mit, wie es war.
Wie in Trance ging er die Treppe hinunter. Als er unten stand, überlegte
er kurz. Sollte er in die Küche gehen? Seine Mutter würde da
sein. Nein, er war nicht in der Lage, jetzt jemanden zu sehen. Er mußte
erst wissen, woran er war. Also verließ er das Haus so schnell wie
möglich und fuhr mit dem Wagen zur Schule.
An der Schule angekommen, überkam
Fabian ein Unwohlsein, als er auf das Schulhaus zuging. Alles war wie immer,
zumindest schien es so. Fabian betrat das Gebäude, in dem wie jeden
morgen Schüler verschiedenen Alters herumliefen, standen oder saßen.
Fabian hatte jetzt eine Doppelstunde Physik. Er nahm kaum war, was durchgenommen
wurde. Außerdem war er froh, daß er noch niemanden von seinen
Freunden getroffen hatte. Er wollte erst Klarheit haben.
Eben diese Klarheit bannte sich an, als
es zur großen Pause klingelte. Fabian ging zügig aus dem Klassenraum
und lief die Treppe ins Erdgeschoß hinunter, um zum Lehrerzimmer
zu gehen. Ungeduldig schaute er sich nach Herrn Teschner um. Etliche Schüler
standen noch vor dem Lehrerzimmer, um irgendwelche Sachen abzugeben oder
einen kleinen Plausch zu halten. Nach einigen endlosen Minuten sah Fabian
ihn. Jan Teschner kam um die Ecke und erblickte Fabian. Einen Moment lang
blieb er stehen und starrte ihn an. Dann setzte er seinen Weg fort und
sprach Fabian an. „Ich muß mit Ihnen reden.“ Er öffnete die
Tür zum Sprechzimmer und Fabian trat ein. Jan schloß die Tür
und sagte: „Setz dich.“ Fabian tat, wie ihm geheißen und nahm auf
einem Stuhl Platz. Er sah Jan an. „Es ist wichtig, daß du mir jetzt
zuhörst“, sagte dieser. „Sicher.“ Fabian nickte. „Aber sag doch bitte,
wie es weitergehen soll.“ „Gut.“ Jan lehnte sich an die Wand. „Meine Frau
ist bereit, mir zu verzeihen. Ich kann bei ihr bleiben. Und wie du weißt,
will ich das auch, weil ich sie liebe.“ Fabian schwieg. „Aber wir dürfen
uns nicht mehr sehen“, fuhr der Lehrer fort. „Das ist ihre Bedingung und
ich werde sie ihr erfüllen. Sonst würde sie alles bei der Schulbehörde
melden.“ „Sie erpreßt dich.“ Fabian schüttelte den Kopf. „Und
das läßt du dir gefallen?“ „Du mußt doch zugeben, es ist
ihr gutes Recht. Sie kann die Bedingungen nennen.“ Jan ging im Raum auf
und ab. „Ich sehe das auch alles ein. Es war ein großer Fehler -“
„Was war ein Fehler?“ Fabian war aufgesprungen. „Du wolltest mich doch!
Und jetzt? Ich bin dir doch völlig egal.“ „Red doch keinen Unsinn.
Wir hatten unseren Spaß, ja, aber -“ „Spaß?“ Fabian sah Jan
durchdringend an. „Das war kein Spaß für mich.“ Jan holte tief
Luft. „Hör mal. Ich weiß nicht, ob es so gut ist, wenn wir uns
hier fast täglich über den Weg laufen. Meinst du nicht, es wäre
besser, wenn du auf einen andere Schule gehen würdest?“ Fabian schaute
Jan fassungslos an. „Damit du deinen Fehler schnell wegschieben und vergessen
kannst, verstehe.“ Jan kam auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Fabian, ich -“ Fabian riß sich los. „Faß mich nicht an.“ Er
drehte sich um und öffnete die Tür des Zimmers. „Wahrscheinlich
war es wirklich ein Fehler...daß wir uns jemals begegnet sind.“ Mit
diesen Worten verließ Fabian den Raum und seinen Lehrer zurück.
Fabian spürte, wie ihm die Tränen
in die Augen stiegen. Doch er mußte sich beherrschen. Wenigstens,
bis er aus diesem furchtbaren Schulhaus draußen war! Die große
Pause war gerade zu Ende, die meisten Schüler waren schon in die Klassenräume
gegangen. Doch Fabian hatte keine Lust mehr, noch länger hierzubleiben.
Er wollte weg, alleine sein.
Fabian stieß die Tür zum Schulhof
auf. Es hatte mittlerweile angefangen zu regnen. Fabian blieb regungslos
im Regen stehen. Er konnte wieder von vorne anfangen. War Jan es wert,
ihm hinterher zu trauern? Er hatte ihn doch nur ausgenutzt, das hatte diese
Gespräch mit ihm zutage gefördert. Auch für Fabian selbst
würde es wirklich besser sein, nie wieder diese Schule zu betreten.
Fabian fuhr sich durch die durchnäßten Haare. Wie aber sollte
er das alles seinen Eltern erklären? Die paar Wochen, die er auf der
Schule hier war. Er konnte ihnen nicht die Wahrheit sagen. Und Britta?
Und Uli, und Harry? Er hatte sie alle gerne. Er konnte sie doch nicht einfach
so ohne ein Wort verlassen. Außerdem, das fiel Fabian gerade ein,
war auch noch am nächsten Tag der Musikabend. Für den hatten
sie so lange geprobt. Das konnte er nicht einfach hinschmeißen. Er
würde morgen seine Abschiedsvorstellung geben, und was für eine.
Seinen neuen Freunden würde er schon etwas halbwegs glaubwürdiges
erzählen können. Und sie konnten sich ja auch weiterhin sehen.
Er beschloß, daß er aufhören mußte, wie ein Baby
zu heulen. Nein, Jan war das nicht wert. Aber wie um alles in der Welt
sollte er seinen Eltern diese Misere erklären?
Diesen Felsen mußte Fabian an diesem
Abend erklimmen. Er ging nervös im Wohnzimmer auf und ab, weil er
abwarten mußte, bis beide Elternteile Zuhause waren. Nach einiger
Zeit des Wartens war es dann soweit. Seine Eltern kamen nach Hause. Als
sie durch die Haustür traten, empfing sie Fabian mit folgenden Worten:
„Mama, Papa: Ich muß mit euch reden. Jetzt gleich.“ Das Ehepaar Sander
sah sich neugierig an. „Na gut, dann mal los.“ „Gehen wir ins Wohnzimmer“,
schlug Fabian vor. Die Familie begab sich also samt Hund in die Wohnstube.
„Setzt euch bitte.“ „Das kommt mir ja alles gar nicht gut vor“, vermutete
sein Vater. Fabian überging diese Bemerkung und begann zu erzählen:
„OK, hört mir zu: Ich kann nicht mehr auf diese Schule gehen.“ Die
Sanders fielen aus allen Wolken. „Aber Fabian! Wieso denn nicht?“ „Das
will ich ja gerade erzählen“, fuhr der Sohn fort. „Ich weiß,
ich bin erst einige Wochen auf der neuen Schule. Es lief auch immer alles
ganz gut, ich habe neue Freunde gefunden, aber -“ Fabian sah seine Eltern
ratlos an. „Ich kann es nicht erklären.“ „Was gibt es, was du uns
nicht sagen kannst?“, wollte seine Mutter wissen. „Du weißt doch,
daß du über alles mit uns reden kannst.“ „Ja, Mama. Ich weiß.
Aber diesmal ist es nicht so einfach. Um es einfach zu sagen, ich habe
Mist gebaut. Und ich kann das nur halbwegs ausbügeln, wenn ich die
Schule so schnell wie möglich wechsle.“ „Was hast du gemacht?“, fragte
sein Vater beunruhigt. „Ich kann euch das nicht sagen. Ihr müßt
mir diesmal einfach nur vertrauen“, bat Fabian. „Das ist schwer, wenn es
so ernst ist, wie es sich anhört“, meinte Anne Sander. „2Ja, ich kann
mir das vorstellen. Aber bitte, ich flehe euch an: nehmt mich von dieser
Schule. Es wird dann alles wieder in Ordnung kommen.“ „Also, wenn es so
wichtig für dich ist“, ergriff sein Vater nach einer Weile das Wort.
„Dann machen wir das. Vielleicht erzählst du uns irgendwann, warum.“
„Ich danke euch! Vielen Dank!“ Fabian fiel seinen Eltern um den Hals. „Ich
schulde euch was. Aber ich kann es euch wirklich nicht sagen.“ „Na gut,
wir vertrauen dir“, meinte Frau Sander. Fabian lächelte erleichtert.
„Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll.“
Am Freitag in der Schule stand Fabian noch
bevor, seinen Freunden mitzuteilen, daß dies sein letzter Tag an
der Schule sein würde. Aus diesem Grund scharrte er seine Freunde
in der großen Pause in der Raucherecke um sich. „Was gibt es denn
so Wichtiges?“, wollte Britta wissen, die als Letzte dazu stieß.
Uli und Harry waren schon da. „Wir haben uns heute hier versammelt...“,
nuschelte Harry mit Priesterstimme. „Halt mal die Klappe, Harald.“ Fabian
machte eine abwehrende Geste. „Also. Ich habe euch alle hier her getrommelt,
weil ich euch sagen wollte, daß ich auf eine andere Schule gehen
werde.“ „Das ist allerdings eine Überraschung.“ Britta sah Fabian
fragend an. „Aber...wieso?“, wollte Harry wissen. „Tja, das ist eine ziemlich
schwierige Geschichte. Es wäre mir unangenehm, sie euch erzählen
zu müssen“, sagte Fabian. „Also nehmt das einfach so zur Kenntnis
ja?“ „Gut, wenn du meinst.“ Uli hob die Schultern. „Dabei bist du doch
erst so kurz hier.“ „Wir werden uns doch auch weiterhin sehen können.“
Fabian sah sich um. Er erblickte Herrn Teschner auf dem Schulhof. Doch
er sprach unbeirrt weiter. „Und das ist ja die Hauptsache.“ „Stimmt. Und
was ist mit dem Musikabend?“, wollte Harry beunruhigt wissen. „Keine Sorge“,
beschwichtigte Fabian ihn und warf noch einen Blick auf seinen Deutschlehrer.
„Heute abend werden wir es ihnen schon zeigen.“
Am Freitag Abend fand also der Musikabend
statt und Fabians Auftritt mit „The Confused“ stand kurz bevor. Fabian
hockte im Schulklo in einer Kabine. Ihm war furchtbar schlecht. Er hatte
die Befürchtung, daß er sich jeden Moment übergeben mußte.
„Fabian“, rief Harry in den Raum. „Komm schon! Wir sind gleich dran!“
Fabian hustete. „Ich glaube, ich muß mich übergeben.“ „Mach
keinen Blödsinn und komm!“ Fabian stand auf und schwankte zur Klotür.
Er holte tief Luft, dann verließ er den Raum. Er hätte am liebsten
gleich wieder kehrt gemacht, als er die vielen Schüler, Lehrer und
Eltern sah, die die Pausenhalle bevölkerten. Vor so vielen Leuten
konnte er unmöglich auftreten. Er ging auf Harry und die anderen von
Confused zu, die gerade dabei waren, ihre Instrumente zu stimmen. „Hört
mal, wollt ihr das nicht lieber alleine machen, ich -“ „Nichts ist, Sander.
Drücken gibt’s nicht. Wie haben ein Ruf zu verteidigen.“ Tim gab ihm
eins mit den Sticks über den Kopf. „He, Frau Gerke macht uns ein Zeichen.
Wir sind dran“, sagte Björn und stand auf. „Los Jungs. Auf geht’s.“
Confused inklusive Fabian mit zitternden Knien, betraten die kleine Bühne,
die an einer Seite der Aula aufgebaut worden war. Fabian ging auf einen
Mikrofonständer zu und ließ seinen Blick noch mal über
sein gespanntes Publikum gleiten. Er faßte sich schließlich
ein Herz und sagte: „Hallo Leute. Also die Jungs hier kennt ihr wahrscheinlich.
Ich gehöre jetzt auch dazu, zumindest noch. Also, das erste Lied,
was wir für euch spielen, ist ‚Every Breath you take‘ von ‚The Police‘“
Fabian holte also noch einmal tief Luft und wartete, bis die Musik für
ihn einsetzte. Er war so froh, als er merkte, daß seine Stimme alles
brav mitmachte. Er sang noch etwas brav und traute sich nicht so richtig,
aber als sie das erste Lied gespielt hatten und das Publikum wohlwollend
klatschte, wurde Fabian schon mutiger. Bei „Push“ von Matchbox 20 wurde
seine Stimme schon kräftiger. Doch das beste Lied hatten sie sich
bis zum Schluß aufgehoben. Als der Applaus für das zweite Lied
verstummt war, räusperte sich Fabian noch einmal. „So. Zum Abschluß
unseres Auftritts spielen wir für euch noch einen weiteren Song aus
den 80ern: ‚Poison‘ von Alice Cooper.“ Einige begeisterte Anhänger
des Sängers aus den letzten Reihen grölten begeistert. Bevor
Fabian anfangen konnte, suchte er mit seinem Blick die Menge ab. Bis er
ihn gefunden hatte, Jan Teschner. Er stand da, ziemlich weit hinten und
hatte Fabian mit seinen Augen fixiert. „Also dann“, sagte Fabian zu den
Jungs von Confused. Sie fingen an und auch Fabian konnte beginnen. „Your
cruel device, your blood, like ice.“ Fabians Blick traf Jan Teschner wieder.
„One look could kill, my pain, your thrill.“ Eine Art Wut stieg in Fabian
auf. „I want to love you but I better not touch. I want to hold you but
my senses tell me to stop.“ Wie gut das Lied doch auf ihre Geschichte paßte.
„I want to kiss you but I want it too much, I want to kiss you but your
lips are venomous, poison.“ Am liebsten wäre er jetzt zu diesem Jan
Teschner hingegangen und hätte ihm alles Mögliche ins Gesicht
geschrien. Doch der war auf einmal nicht mehr da. Fabian überkam ein
Gefühl der Genugtuung. Er hatte es ihm gezeigt. Und der begeisterte
Applaus des Publikums am Schluß gab ihm im Stillen recht.
Ziemlich verloren stand Fabian auf dem
Schulhof zwischen den vielen Jungen und Mädchen. Ein Schulhof, wie
es sie zu Tausenden in ganz Deutschland gab...
Beendet am 22.10.98
Anna Wewetzer
Copyright : Anna E. R. Wewetzer