Einige Tage später klingelte mein Telephon.
Am Abend des großen Ereignisses klingelte es pünktlich halb sieben. (Ich hatte Charlotte
gesagt, sie solle um sechs bei mir sein, ich bestelle sie grundsätzlich eine halbe Stunde
früher
ein,
damit wir nicht zu spät kommen!) Ich öffnete die Tür, und vor mir stand - Liza Minelli!
Auch in der Waldbühne erregte Liza einiges Aufsehen. Sie verteilte großzügig Handküßchen
und niemand erkannte ihre wahre Identität, und das sollte was heißen, denn etwa die Hälfte
der
Leute waren ganz offensichtlich zumindest potentielle Lover von ihr. Ich hatte ihretwegen
aber
vor allem Shirleys wegen ganz verschwitzte Hände und hielt mich krampfhaft zum einen an
meinem geliebten Jean, zum anderen an der roten Rose, die ich Shirley auf die Bühne
werfen
wollte, fest. Endlich begann das Konzert. Shirley erschien. Jubel aus tausenden meist
Männerkehlen.
Tags darauf war in der Zeitung eine Kritik des Konzerts zu lesen, wo natürlich der
geheimnisvolle
Auftritt von Liza Minelli nicht unerwähnt blieb: "Wer ist diese perfekte Liza-Minelli-
Imitatorin? Aus gut unterrichteter Quelle haben wir erfahren, daß sich die echte Liza Minelli
in
New York aufhält, wo sie derzeit am Broadway auf der Bühne steht...."
Krieg der Sterne
Jean und ich saßen eines schönen Abends gemütlich auf der Couch und hörten eine meiner
zahlreichen Shirley Bassey-Platten an, als es Sturm klingelte. Seufzend stand ich auf und
öffnete die Tür.
"Hallöchen, mein Schatz, die gute Charlotte muß doch einfach mal wieder bei euch
'reinschauen! Was treibt ihr denn so? Ach, ich Dummerle, blöde Frage, ich habe euch doch
nicht gestört?"
Obwohl meine beste Freundin Charlotte, eigentlich Karl Ich-weiß-nicht-was,
dies in atemberaubender Schnelligkeit herunterspulte, schaffte sie es, in Sekundenschnelle
an
mir vorbei ins Wohnzimmer zu schweben und ebenfalls auf der Couch Platz zu
nehmen.
"Gute Güte, was jault hier denn so? Habt ihr den Pudel von der alten Tante unter euch in der
Mikrowelle eingesperrt?"
"Liebste Charlotte, das ist Shirley Bassey!" sagte ich im Ton tiefster Entrüstung.
"Ach, Shirley the Basset! Ich fürchte, Schätzchen, du hast den gleichen schlechten
Geschmack
wie dein Onkel, der liebe Rick. Shirley Bassey! Also wirklich!"
"Was hast du gegen Shirley?"
"Ich verstehe einfach nicht, was du und so viele unserer Mit-Schwestern an ihr finden!
Überhaupt, diese Mumienverehrung allenthalben! Schrecklich! Nur Liza Minelli ist doch ein
echter
Star!"
"Ist Liza Minelli etwa keine Mumie?"
"Schätzchen, Liza Minelli ist eine Göttin! Ich habe sie erlebt, live im Madison Square
Garden,
New York! Es war eine Offenbarung!"
"Hat sie auch gleich den dazugehörigen Eid geleistet?"
"Mon Dieu, bist du heute wieder witzig!"
Dieses Streitgespräch ging noch eine ganze Weile weiter, keiner konnte den bzw. die
andere(n)
überzeugen, und schließlich rauschte Charlotte genervt von dannen.
"Tilly, ma belle, Charlottchen hier! Hast du schon gehört? Shirley the Basset gibt in vier
Wochen ein Konzert auf der Waldbühne! Als ich das gelesen habe, mußte ich doch gleich an
dich
denken! Ist das nicht lieb von mir? Also, du besorgst die Karten - natürlich drei, ich will diese
Blamage um keinen Preis verpassen! (...)"
Nach diesem ziemlich langen Monolog Charlottes mußte ich ihr wirklich beipflichten, sie war
(und ist) ein echter Schatz. Natürlich machte ich mich gleich daran, drei Karten zu bestellen,
was mir auch gelang. Nun fieberte ich dem Auftritt meiner geliebten Shirley entgegen, und
die
nächsten vier Wochen wurden zur Ewigkeit!
"Na, da schaust du, was? Falls der guten Shirley zufällig die Stimme versagen sollte, kann
ich
immer noch den Auftritt retten, die Leute sollen ja schließlich ihr Eintrittsgeld nicht umsonst
bezahlt haben!"
Alles insistieren meinerseits hatte keinen Erfolg, ich mußte mit Jean und Liza Minelli zu
diesem
Konzert gehen. Allerdings sah Charlotte perfekt aus: schwarzer Hosenanzug,
paillettenbesetzter Top, schwarze High Heels, riesige Strass-Ohrgehänge, wunderbar
geschminkt,
mit typischer Liza-Minelli-Frisur.
Die Leute in der S-Bahn staunten nicht schlecht, als Liza Minelli mit zwei offensichtlich
homosexuellen Elementen einstieg und sich, als wäre es das normalste auf der Welt, auf
einen
freien
Platz setzte. Ich beobachtete ein Touristen-Pärchen (mit Stadtplan und Photoapparat
bewaffnet),
das sich aufgeregt unterhielt, immer wieder auf Charlotte, Verzeihung: Liza, deutend.
Endlich überwand das Weibchen seine natürliche Scheu und kam mit gezücktem Stift und
Notizblock auf uns zu:
"Sorry, madam, would you give me a autogramm?" (Das Englisch war furchtbar!)
"Oh, yes, my sweetheart! What's your name?"
"Rosie." Das Weibchen errötete stark.
Liza nahm Stift und Zettel schrieb und murmelte vor sich hin:
"For my dear friend Rosie, Liza Minelli"
Glücklich huschte das Weibchen von dannen.
"Also Charlotte, wie kannst du nur! Das grenzt ja beinahe an Urkundenfälschung! Einfach mit
Liza Minelli zu unterschreiben!"
"Wieso denn? Das habe ich doch gar nicht!"
"Ich habe doch ganz deutlich das große L und M gesehen!"
"Stimmt. Ich habe geschrieben: For the ugly bitch Rosie, Leck Mich!"
Ich verdrehte die Augen.
"Ich gebe zu, ihr Fummel ist nicht schlecht!" erkannte Liza großzügig an.
Dies war für die nächsten anderthalb Stunden ihre letzte Äußerung. Shirley legte eine Show
hin, die ihr so schnell niemand nachmachen konnte. Meistens war ich ja von ihr in den Bann
gezogen, manchmal erlaubte ich mir aber einen Seitenblick auf die stumme Liza neben mir,
die
ebenfalls ganz versunken auf die Bühne schaute. Bei "All by myself" meinte ich ein paar
Tränen
in ihren Augen zu erkennen, und bei Shirleys Abschiedslied "Who wants to live forever"
sagte
sie plötzlich:
"Ich halte es einfach nicht mehr aus!"
Sie stand auf, entriß mir die Rose und stürmte
Richtung
Bühne. Ich witterte eine Katastrophe! Glücklicherweise hatte Shirley es geschafft, rechtzeitig
fertig zu werden, bevor Liza die Bühne erreicht hatte, und die tosende Begeisterung
überdeckte
Lizas verzweifelte Versuche, die Show an sich zu reißen. Doch wieder mußte ich fest
stellen: Ich hatte Charlotte unterschätzt! Irgendwie hatte sie sich durch die Massen von Fans
geboxt und stand plötzlich mitten auf der Bühne. Shirley war sichtlich erstaunt, so unerwartet
Liza Minelli gegenüberzustehen, diese jedoch hielt ihr mit der rechten Hand meine Rose hin,
während sie mit der linken abwechselnd perfekte Togal- und Dekolletégriffe vollführte. Die
beiden Stars unterhielten sich kurz, und aus der Ferne erkannte auch ich meine Charlotte
nicht
mehr. Der Jubel hatte inzwischen nur noch frenetischere Formen angenommen, und
natürlich
mußte Shirley eine Zugabe geben. Es erklangen die ersten Takte von "New York, New York".
Es kam, wie es kommen mußte: Diese Hymne an die Großstadt und den Starkult wurde von
beiden, Shirley und Liza, in Szene gesetzt, und zwar, wie ich zugeben muß, von beiden so
gekonnt, daß auch ich mich in den allgemeinen Trubel hineingezogen fühlte und wie wild
applaudierte. Dieses denkwürdige Duett kam so gut an, daß noch einige Zugaben aus dem
gemeinsamen Repertoire folgten, bevor sich die beiden Showgrößen endgültig gemeinsam
hinter die
Bühne zurückzogen. Ich wartete noch eine Stunde auf Charlotte, aber sie blieb
verschwunden.
Der Neid kochte in mir, und frustriert fuhr ich mit Jean nach hause.
Gleich um zwölf fuhr ich zu Charlotte. (Früher durfte man bei ihr nicht erscheinen, wollte
man
es sich nicht mit ihr verscherzen!) Sie hatte sich weder abgeschminkt noch umgezogen, nur
die
High Heels lagen irgendwo in einer Ecke. Shirley Basseys Stimme schwebte durch die
Wohnung,
auf dem Wohnzimmertisch war eine Art Schrein aufgebaut: umrahmt von sicherlich
zwanzig zum Teil schon abgebrannten Kerzen prangte eine Autogrammkarte von Shirley, auf
der zu lesen stand: "For my dearest friend, Liza Charlotte Minelli, the Queen of Show
in Berlin, in admiring love, Shirley".
Und Charlotte sagte mit verträumtem Blick: "Till, du hattest recht. Sie ist eine Göttin!"
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