Deutsches Archiv 1997

Mai 1997

Durch die Straßen schlendernd,
sah ich im achten Stockwerk eines
Hochhauses zwei Männer
auf dem Balkon stehen.
Der eine hatte seinen Arm
um die Schulter des anderen gelegt,
während der andere Arm ausgesteckt war
und über die Stadt zeigte.
Dies erweckte den Eindruck,
als sei der eine zu Besuch in der Stadt
oder ein Gast, dem die ungewohnte
Aussicht erklärt würde.
Beide schienen,
wie sie so lässig dastanden,
dem Tumult enthoben.
Als ich, weitergehend,
sie aus dem Auge verlohr,
wünschte ich,
sie möchten noch lange
freundschaftlich
verbunden auf dem Balkon bleiben,
in dem schwebenden Mastkorb
über dem Geflecht der Stadt.
Gedanken erspähen,
die Glück verheißen.

von Cyrus Atabay

Juni/Juli 1997

Mir schöner Freund, mir wirst du niemals alt;
so schön, wie ich dich einst sah, bist du heute.
Und dreier Winter Wut und Sturmgewalt
fiel dreimal sommerlicher Glanz zur Beute.

Drei grüne Lenze sind dem Jahr im Land
allmählich in den gelben Herbst entschwunden;
dreimal verglühte Mai im Junibrand,
seit ich dich, jung wie heute, hab' gefunden.

Und doch, obschon der Zeiger auf der Uhr
zu stehen scheint, wo die Zeit ihn vorwärts treibt:
so täuscht vielleicht an dir mein Aug sich nur;
wenn es vermeint, daß Schönheit dir verbleibt.

Drum höre, Zeit, die noch nicht angefangen:
bevor du warst, war Schönheit schon vergangen!

von William Shakespeare (1564-1616),
Übersetzung Karl Kraus

August 1997

Unerträglich, auch nur
Deinen Namen nennen zu hören.

Deine Erscheinung irritierte mich, ich litt,
Weil ich Dich nicht verletzten konnte...
Bis wir einander begegneten !
Es nieselte, der Abend dämmerte.
-Ein feiner Regen aufdringlich und kalt
Wie ein ironisches Lächeln
Um einen begehrten Mund.
Ich weiß schon nicht mehr, was Du sagtest;
Noch erinnere ich mich, was ich sagte...

Der Regen hielt an.
Wir durchquerten einen Garten,
Und im matten Licht einer Laterne
Flüstertest Du mir ins Ohr:
- Ich will Dir meinen Leib geben.
Und ich fügte hinzu: - Nun ja.

Der Regen wurde dichter.
Ich war durch und durch naß.
Endlich kamen wir an; ich trat ein...
Ein Matrose kam herunter,
Richtete sein Hemd
und strich die Locken zurecht.

Ein ungewöhnliches Haus, wo die Liebe
- verborgen vor allen Sonnen
Gegeben, verkauft wurde
Im Tausch gegen den stärksten Trieb
Ich bereute. Ich fluchte.
Aber als ich Deine Arme verließ,
Fühle ich,daß ich mehr Seele besaß !

Und nie mehr bin ich Dir begegnet.

von Antonio Botto (1902-1959)

September 1997

Das Einmaleins der Liebe:
Auszüge aus dem
Tagebuch eines Sarkasten

Treue Liebe, romantische Liebe. Die Erfindung des Großhirns um Regungen des Unterleibes zu entschuldigen. Anspruchslose Liebe, selbstlose Liebe. Verleiht uns die tragische Aura, die wir an anderen so bewundern. Erste Liebe, unschuldige Liebe. Der Countdown läuft für die Suche nach dem Einzigen. Einzige Liebe, wahre Liebe. Mit der Lebenserwartung einer schlüpfenden Eintagsfliege. Erbarmungslose Liebe, besitzergreifende Liebe. Und wenn ICH liebe nimm Dich in Acht. Einmalige Liebe, unersättliche Liebe. Wer wird denn weinen, wenn man auseinander geht, wenn an der nächsten Ecke schon ein anderer steht. Träumerische Liebe, erfüllende Liebe. Wie ein Theaterstück, abgesetzt, vertagt oder umbesetzt. Sexuelle Liebe, erotische Liebe. Gib mir Deinen Saft, ich geb Dir meinen. Der Austausch von Körperflüssigkeiten. Grenzenlose Liebe, Tragische Liebe. das einzig Grenzenlose ist der Wille das Objekt der Begierde beständig nach den eingen Wünschen zu verändern. Ewige Liebe, zärtliche Liebe. Immer noch das vorprogrammierte Himmelfahrtskommando mit den meisten Freiwilligen von ROVA.

Oktober 1997

"Süßer Jüngling, Sag mir, warum irrst du trauig und seufzend In diesen vergnüglichen Gefilden umher?" Er sagte: " Mein Name ist Liebe", Dann drehte sich gleich der erste zu mir um Und schrie: " Er lügt, sein Name ist Schmach. Ich bin die Liebe, und ich war es gewohnt, Allein in diesem schönen Garten zu sein, bis er kam, Ungefragt in der Nacht; ich bin die wahre Liebe, ich fülle die Herzen der Knaben und Mädchen mit gegenseitiger Flamme." Der andere seuftzte und sprach: " Es sei, wie du willst; Ich bin die Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt."

Lord Alfred Douglas (1870-1945), Freund und Feind von Oscar Wilde zum Thema schwule Liebe. Die Zeiten waren damals augenscheinlich anders.

November 1997

Wo du jetzt bist, da wird es niemals regnen, und selbstverständlich ist es niemals kalt. Ein junger Gott wird deine Wohnstatt segnen, das ist ein Haus von Marmor und Basalt. In deinen Höfen blühen Hyazinthen, in deinem Brunnen sprudelt kühl der Sekt. Ein schöner Gärtner liebt dich scheu von hinten, weil ihn dein junges Antlitz fast erschreckt. Wo du jetzt bist, wird niemals etwas enden, drum bleibt der Gärtner ewig an dir dran, hält ewig dich in seinen schönen Händen- was ich nicht konnte, weil das niemand kann. Ich ließ dich los nach ein paar schönen Jahren, und du verschwandest wie ein schöner Traum. Sacht spielt der Wind in deinen schönen Haaren. Spürst du das noch ? Du spürst es kaum... Detlev Meyer an einen an Aids gestorbenen Freund.

Dezember 1997

Dein Lächeln sticht so tief, Du marschierst über mein offenes Herz Es zieht- sticht und schmerzt Du sagst: Ich bin glücklich Ein gähnender Abgrund, denn ich bin nicht der Star der Saison.

Du schenkst Umarmungen der gönnerischen Art. Völlig aufgelößt,steh ich da und denke: Nur jetzt nicht weinen zu Hause hast Du mehr Taschentücher Zu Hause habe ich Deinen Namen aus meinem Telefonbuch radiert. Jetzt suche ich im Branchenbuch jemanden der Radiergummis für Gefühle verkauft. Rova '95

August 1997

Drei Schwule auf der Toilette
des Historischen Seminars.
Sagt der eine: Schau mal wie das ausieht ?
Der andere: Igitt Sperma.
Der Dritte nimmt einen Finger davon und probiert.
"Aber von keinem Studenten dieser Fakultät."

September 1997

Zwei schwule Freunde unterhalten sich.
Gesteht der eine: " Du ich bin vor zwei
Wochen beschnitten worden."
"Oooooh", sagt sein Freund,
"das muß ich sehen !"
Der erste läßt seine Hosen herunter
und steigt stolz seinen Penis.
Darauf schrillt sein Freund:
" Darling, Du siehst 10 Jahre jünger aus."

Last Updated May 2001