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ERFURTER STRASSENZEITUNG 34/35 2000
Wenn der eigene Körper nicht zur Seele passt

"Ich habe mich bemüht, nicht aufzufallen..."

Über den schwierigen Weg, nach der Geschlechtsumwandlung eine neue Identität zu finden -
Aussagen über die zweite Geburt
Sie heißen Anna und sind 35 Jahre. Die meiste Zeit Ihres Lebens haben Sie als Mann gelebt. Vor vier Jahren haben Sie sich für eine Geschlechtsumwandlung entschieden. Damit gehören Sie zu etwa 10.000 Transsexuellen in Deutschland. Wie fing das alles an?
Ich hab immer gern Mädchensachen angezogen. Wenn meine Eltern weggefahren sind, habe ich mich ins Wohnzimmer gesetzt, gelesen und Frau gespielt. Innerlich war klar, was ich will, aber alle haben von mir was anderes erwartet. Ich bin als Kind auf dem Dorf groß geworden, auf einem Pfarrhof, daneben ein verwilderter Friedhof, da habe ich mir vier, fünf Verstecke gesucht und Frauenkleider versteckt und Lippenstifte, die meine Mutter weggeworfen hatte. Meine Mutter hat die Verstecke gefunden, aber nicht darüber geredet. Wahrscheinlich dachte sie, es wird sich schon wieder geben.

Aber es hat sich nicht gegeben...
Nein, aber ich habe ja gemerkt, irgendwas ist. Das habe ich schon mit vier, fünf Jahren gespürt. Ich wusste nur nicht, warum das "böse" sein sollte. So richtig vehement hat meine Mutter eingegriffen, als ich zu Fasching als Mädchen gehen wollte. Da musste ich einen kleinen Jägerjungen machen und dann wurden Fotos gemacht und der ganzen Verwandtschaft rumgereicht.

Haben Sie irgendwann aufgehört, "dagegen" anzukämpfen?
Ich habe versucht, ein Junge zu sein, aber ich habe mich immer ausgegrenzt gefühlt. Ich war weich und lieb und habe immer gelächelt, das passte nicht zu einem Jungen. Ich war der Klassenbeste, aber die Jungs haben mich nicht anerkannt. Ich habe viel allein gespielt oder mit Mädchen. Aber die Mädchen wollten mich auch nicht.

Welche Überlebensstrategie hat der kleine Junge gefunden?
Ich hatte in der Schulzeit viele Hobbys. Reiten, Lesen, Flöte spielen, Gartenarbeit. Ich habe mich viel mit den Pflanzen unterhalten und bin oft allein mit dem Rad in den Wald gefahren. Ich habe mich bemüht, nicht aufzufallen.

Und dann... später?
Im Gedächtnis ist mir eine Szene auf dem Schulhof. Die Jungs stehen extra, die Mädchen stehen extra und ich hab immer bei den Mädchen gestanden, bis die mich eines Tages - da war ich so etwa 13 Jahre - weg geschickt haben. Die Jungs haben mich nicht schlecht behandelt, aber irgendwie habe ich gemerkt, da gehöre ich nicht hin. In der 8. Klasse wurden mal Modelle zum Frisieren gesucht, da bin ich natürlich hin und habe mir eine Dauerwelle machen lassen. Ich war glücklich darüber, habe mich aber abends nicht nach Hause getraut. Einerseits hab ich versucht, möglichst weiblich auszusehen, andererseits bin ich zur Armee gegangen. Ich habe mich lange Zeit angestrengt, das körperliche Geschlecht anzunehmen. Und dann kam die erste Freundin...

Da wurden die Diskrepanzen in der Sexualität deutlich?
Im Gegenteil, in meiner Phantasie habe ich beim Einschlafen immer als Frau neben einer Frau im Bett gelegen. Ich habe als Mann mein weibliches Verständnis von Sexualität gelebt. Gerade im intimen Bereich konnte ich besser Ich sein, während ich sonst zwischen allen Stühlen gesessen hab.

Trotzdem hat man den Eindruck, dass Sie sich in einen immer tieferen Zwiespalt hineinmanövriert haben. Der Bereich der Sexualität hat mir bald nicht mehr ausgereicht. Ich wollte mehr, vollständiger sein und nicht als Mann eine kaschierte Frauenrolle spielen. Aber zu dem Zeitpunkt wurde meine Freundin schwanger. Ich glaube, ich habe mich in Situationen hineinkatapultiert, die mich gezwungen haben, mich zu entscheiden. Aber ich konnte ja gar nicht so richtig artikulieren, was in mir und mit mir war, ich wusste den Begriff nicht... Mit meinem Sohn versuche ich übrigens heute Kontakt aufzunehmen. Das Versteckspiel ging erst mal weiter? 1992 kam dann eine Talk-Runde im ZDF unter dem Titel" Ich heiße Horst und bin eine Frau". Ich hab da auf den Bildschirm gestarrt und gedacht, Mensch, genau das ist es, so geht es dir. Das war eine unheimliche Erleichterung. Endlich wusste ich, was ich die ganze Zeit in meinem Bauch gefühlt hatte. Ich hab angefangen Informationen zu sammeln, Adressen von Selbsthilfegruppen...

Aber Sie lebten ja noch als Mann in einer Partnerschaft.
Wir haben die Sendung zu zweit gesehen. Meine Freundin sagte, dass sie mir helfen

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wolle, soweit sie kann. Sie würde mich als Mann lieben, aber wolle sehen, wie weit sie es mitmachen kann. Wir wollten so lange wie möglich zusammen bleiben.

Sie erleben die seltene Situation einer Frau, die auch als ein Mann geliebt wurde. Macht Sie das auch stolz? Es ist ein komisches Gefühl, manchmal denke ich, so schlecht warst du als Mann gar nicht, eigentlich schade... aber für mich ist es jetzt so richtig. Nach der Fernsehsendung hab ich mehr und mehr versucht, die Frau in mir wieder zu wecken.

Wie haben Sie das angestellt?
Ich wollte keinen Crash-Kurs machen, sondern alles im Einklang mit meinem Bauch. Ich hab mich ins Cafe gesetzt und geguckt, was gibt's für Typen von Frauen, wie gehen die, wie schminken die sich. Das war meine Pubertät. Dann hab ich mir drei Wochen bei meiner Dachdeckerfirma frei genommen und bin in Berlin als Frau auf die Straße gegangen. Aber ich habe Situationen gemieden, wo ich sprechen musste.

Irgendwann war das Thema Opera- tion dran.
Das Thema habe ich immer wieder raus geschoben, ich hatte mächtig Angst. Und dann habe ich die OP als etwas sehr Schönes, Befreiendes erlebt, aber der Zeitpunkt musste erst kommen. Als Frau tagtäglich im Alltag zu leben, das war eine schwere Geburt. Es ist nicht so, ich lass mir das Ding abschneiden und dann kann ich als Frau leben, das ist ein Trugschluss. Die innere Entwicklung ist genauso wichtig.

Wie soll man sich die äußere Veränderung vorstellen?
Es ist eine OP, die aus der Haut des Penis eine funktionsfähige Vagina macht, die auch orgasmusfähig ist. Empfängnisfähig bin ich nicht. Das ist traurig, aber ich empfinde es auch als gut, weil wir meinen, wir könnten alles verändern, wir sind aber nicht allmächtig.

Ihre OP ist auch ein Eingriff in eine Ordnung.
Es ist ein Eingriff, aber in Zusammenarbeit mit Gott, wenn ein glückliches Leben anders nicht möglich ist.

Können Sie verstehen, dass wir anderen manchmal auch Schwierigkeiten haben, das neue Geschlecht in Ihnen zu sehen?
Ja, das kann ich. Ich würde was drum geben, wenn ich kleinere Hände und eine andere Stimme hätte... Es gab auch Tage, da habe ich mich nicht auf die Straße getraut.

Ist es vermessen, nach Ihrer Geschlechtsidentität zu fragen?
Die Frage empfinde ich als schwierig, hinter diesem Begriff verbirgt sich so viel. Ich kann sagen, dass ich körperlich transsexuell bin und seelisch lesbisch.

Sie müssen oft mit fragenden Blicken leben. Aber Sie haben auch den Vorzug, beide Identitäten zu kennen. Mich ärgert oft, dass Frauen emanzipiert sein wollen, bei kleinen handwerklichen Dingen nach dem Mann rufen.
Ja, eine Frau sagt schnell, das kann ich nicht. Dabei hat sie oft nur keine Lust, etwas Unangenehmes zu machen, aber das gesteht sie sich nicht ein. Bei Frauen vermisse ich oft den Stolz, sich selbst zu helfen.

Wie erleben Sie denn als "Ehemaliger" das männliche Geschlecht?
Männer haben einen Bonus in der Gesellschaft, einen Anerkennungsvorschuss, die kommen oft gar nicht auf den Gedanken, dass sie was nicht könnten. Ich erlebe immer wieder, dass sie ein Selbstvertrauen haben, das durch nichts begründet ist, obwohl ich das auch toll finde.

Als Frau haben Sie nicht zum bevorzugten Geschlecht gewechselt
Mir wird klar, dass ich mit dem Frauenstatus größere Probleme habe, etwas durchzusetzen. Mir war nicht bewusst, dass ich Existenzprobleme dadurch bekomme, dass ich das Geschlecht gewechselt habe. Es wird mir schwer gemacht, Geld zu verdienen, weil ich in dieser jungen, schönen, attraktiven Gesellschaft in bestimmten Bereichen nicht einsetzbar wäre.

Nachdem klar war, dass Sie Frau sein wollen, mussten Sie das ja auch Ihren Eltern sagen. Wie haben die reagiert?
Mit einem Schock und Tränen und mit Schuldvorwürfen, warum hast du uns denn früher nichts gesagt? Und ich habe gesagt, ich hab's doch die ganze Kindheit versucht... Ich glaube, mein Vater war dann erleichtert, dass es raus war. Und meine Mutter hat gefragt, sag mal, gibt es da nicht eine Selbsthilfegruppe für Eltern? Mein Vater ist Pfarrer und hat beim Begräbnis meiner Mutter von der Kanzel herunter gesagt, "....und dann eröffnete uns unser Sohn, dass er unsere Tochter ist." Ich habe bei der Verwandtschaft viel Zuspruch, aber auch Distanz gespürt.

Sie leben seit vier Jahren als Frau. Erzählen Sie ihren neuen Freunden und Bekannten Ihr Vor-Leben? Manchmal ja. Bei vielen, vor allem bei Männern, kommt das aber oft falsch an. Erzähle ich es, dann bleibe ich bei den meisten auch ein Mann.

Welchen Männernamen hatten Sie eigentlich?
Den habe ich vergessen...

Gesprächspartnerin war Birgit Vogt

GLOSSAR

- TRANSSEXUALITÄT. Das Gefühl, bzw. die Gewissheit, nicht das Geschlecht zu sein, als das man geboren ist. Damit verbunden ist ein hoher Leidensdruck. Die Ursachen sind strittig (Laune der Natur?). Transsexualität ist kein Phänomen unserer Zeit. Bei den afrikanischen und indianischen Urvölkem z.B. war es immer schon möglich, das Wunschgeschlecht ohne größere Probleme zu leben.
- TRANSVESTITEN. Menschen, die sich zeitweise als das "Gegengeschlecht" und dabei auch oft als Mann oder Frau empfinden. Dabei besteht aber kein Wunsch, das "Alltagsgeschlecht" zu ändern. Manchmal wird geschlechtliche Erregung beim Tragen von gegengeschlechtlicher Kleidung empfunden. TV ist häutiger bzw. auffälliger bei Männern anzutreffen.
- TRANSIDENTITÄT. Umfasst ganzheitlich Fühlen, Wollen und soziales Rollenverständnis. Der Begriff wird bevorzugt, weil er nicht automatisch den Bezug zur Sexualität herstellt, oder auf sie reduziert wird.

KONTAKTADRESSE
Selbsthilfegruppe für Transsexuelle und Transvestiten.
jeden l. und 3. Mittwoch im Monat ab 19 Uhr,
Windthorstraße 43 a, Telefon 712233 (Thomas K.)
- Internet-Adresse: www. Transsexualität.de
Buchtipp: "Das dritte Geschlecht", Rasch und Röhring Verlag

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Anmerkung: nichtssagendes Foto weggelassenn (UH)
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