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Stern Nr. 20 11.5.2000 'NACHFRAGE' Seite 244

Was macht eigentlich Michaela Lindner?

Als PDS-Bürgermeister des Dorfes Quellendorf in Sachsen-Anhalt bekannte sich Norbert Lindner im Sommer 1998 zu seiner Transsexualität und wurde deswegen abgewählt. Die Republik war empört

stern: Nennt Sie noch jemand Norbert?
Lindner: Nein, ich bin jetzt nur noch die Michaela. Meine Kinder, meine Freunde, selbst meine Eltern nennen mich nun so. Und denen ist es besonders schwer gefallen.
stern: Und was ist mit Norbert?
Lindner: Norbert hat halt mal gelebt. Der war dann fertig mit leben.
stern: Sie sind jetzt durch und durch Frau ?
Lindner: Ja. Die Hormone wirken wie verrückt: Meine Brüste sind gut gewachsen. Der Bartwuchs ist minimal. Es gibt aber immer noch Dinge, die mich stören. Meine Nase ist zu groß und mein Gesicht hat zu viel Härte. Da lasse ich die Schönheitschirurgen noch mal ran, wenn ich Geld habe. stern: Und Ihre tiefe Stimme?
Lindner: Die will ich behalten. Eine so tiefe erotische Stimme.
stern: Warum?
Lindner: Für viele ist das interessant: ein weiblicher Körper und eine männliche Stimme. Man kann so schön damit spielen
stern: Die Geschlechtsumwandlung...
Lindner:... ist abgeschlossen. Alles ist gut gegangen. Es war eine Laseroperation. Und die neuen Körperteile
Michaela Lindner - Stern
GANZ FRAU Michaela Lindner, 41, im Berliner Bezirksparlament von Kreuzberg, wo sie sich vor allem für soziale Gerechtigkeit einsetzt. Rechts: ein Foto von 1996, "Norbert" Lindner war verheiratet, Vater von zwei Töchtern - und viele Kilo schwerer.
funktionieren prächtig. Es ist richtig schön im Bett.
stern: Was kostet so was?
Lindner: 40000 Mark. Aber das hat das Sozialamt bezahlt.
stern: Sie sind ein Sozialfall?
Lindner: Ja, ich bin arbeitslos. Die Jobsuche gestaltet sich sehr schwierig. Erstens weil ich transsexuell bin, und zweitens will keiner mit der ständigen .Medienpräsenz umgehen. Das würde den betrieblichen Ablauf stören.
stern: Haben Sie überhaupt keine berufliche Perspektive? Lindner: Doch. Ich mache gerade eine Umschulung zum Internationalen Betriebswirt. Ich will ins Event-Management. Da stört sich keiner an meinem Aussehen.
stern: Nach Ihrem Coming-out sind Sie aus Quellendorf rausgeekelt worden. Noch wütend?
Lindner: Daran denke ich nicht mehr. Ich bin damals di-
rekt nach Berlin gegangen, mit zwei Koffern. Es war hart. Ohne Job, ohne Wohnung, ohne Familie, ohne Bekannte. Ich habe das Abendbrot erbettelt und im Wohnwagen gewohnt.
stern: Geht es vielen Transsexuellen so?
Lindner: Der Prozess ist in jedem Fall immer ganz schwer. Ich kenne eine Pastorin und eine Autorin, bei denen war es die Hölle. Viele begehen Selbstmord.
stern: Wie geht es Ihnen jetzt?
Lindner: Jetzt geht es mir besser. Ich lebe mit einer Frau zusammen, Berlin tut mir gut. Nur die Scheidung von meiner Ex-Frau kommt nicht voran. Die Beamten wollen zwei Frauen partout nicht scheiden.
stern: Wie hat Ihre Ex-Frau das Ganze verkraftet?
Lindner: Gut. Sie hat einen neuen Partner gefunden. Und aus unserer Ehe ist eine Freundschaft geworden - ganz ohne Vorwürfe.
stern: Schiefe Blicke auf der Straße erhalten Sie auch nicht mehr?
Lindner: Doch, ein paar. Aber dann blicke ich zurück-selbstbewusst. Und rede mit den Leuten. Früher hätte ich meinen Kopf weggedreht, das mache ich jetzt nicht mehr.
stern: Der PDS sind Sie treu geblieben.
Lindner: Ja. Ich mag die Politik sehr und setze mich gern für andere Menschen ein. Ich bin Bezirksabgeordnete in Kreuzberg und würde bei der nächsten Wahl gern ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen.
stern: Und dann in den Reichstag?
Lindner: Vielleicht passiert's irgendwann mal, aber dann nicht wegen meiner transsexueilen Vergangenheit. Ich will
keine Vorzeige-Transe mehr sein.
stern: Waren Sie das mal?
Lindner: Ja, ein Stück weit wollte ich das sogar. Damit Otto Normalbürger sich mal mit dem Thema auseinander setzt.
stern: Und nun kommt ihre Geschichte auch noch ins Kino. Lindner: Ja. Eine richtig große Produktion. Die gleiche Preisklasse wie Aimee und Jaguar. Der Film soll im nächsten Jahr zur Berlinale rauskommen. Und ein Buch schreibe ich auch. Den Verlag konnte ich mir aussuchen. Die wollten mich alle haben.
stern: Was kommt dann? Wechseljahre?
Lindner: Ich bin gespannt. Mit Glück bleiben mir die Wechseljahre ja erspart.
INTERVIEW: JAN-CHRISTOPH WIECHMANN
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