28. Mai 1999
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Zum Verständnis von Transsexualität
von Eva Sturm
Für die meisten Menschen spielt das Geschlecht eine ganz zentrale Rolle in ihrem Selbstverständnis. Daher ist es für viele sicher recht schwierig, sich vorzustellen, dass jemand eindeutig die äusserlichen Merkmale des einen Geschlechts besitzt und sich trotzdem dem anderen Geschlecht zugehörig fühlt. Diejenigen, die so etwas empfinden, nennt man transsexuell. Ein häufiger Versuch, dieses Dilemma zu erklären ist: 'Stell' dir vor, du wachst eines morgens im Körper des anderen Geschlechts auf.' Es ist wohl kaum möglich, eine solche Erfahrung nachzuvollziehen, allerdings kann man erklären, wie es dazu kommt und wie man damit umgeht.
Fehlbesetzung einer Rolle
Transsexuelleäussern oftmals das Gefühl, eine Rolle spielen zu müssen, für die sie nicht geeignet sind. Nichtsdestotrotz haben sie sich in das Theaterstück einzufügen. Sie lernen ihre Rolle und versuchen nach Kräften, ihr gerecht zu werden. Gute Schauspieler können so ganz überzeugend wirken, Gesten und Worte stimmen und alles scheint perfekt, niemand zweifelt. Doch wenn sie dann die Bühne verlassen, ist ihnen vollkommen klar, dass diese Rolle nicht das richtige für sie ist, sie fühlen sich völlig überfordert und fehl am Platz. Im Gegensatz zu Schauspielern können Transsexuelle jedoch nicht einfach das Kostüm ablegen, denn ihr Kostüm ist ihr eigener Körper.
Theorien zur Entstehung von Transsexualität
Das körperliche Geschlecht wird im Kern durch die Geschlechtschromosomen festgelegt. Ob sich dann daraus körperlich ein Junge oder ein Mädchen entwickelt, hängt jedoch auch davon ab, welche Hormone das ungeborene Baby im Mutterleib beeinflussen. Nach einer weit verbreiteten Theorie gerät bei manchen Ungeborenen etwas mit dieser Hormon'dusche' durcheinander. Sei es die Zusammensetzung oder der Zeitplan, offenbar kommt es zu einer Mischung des geistigen und körperlichen Geschlechts. Deshalb wird Transsexualität manchmal auch als eine Art Geburtsfehler angesehen. Ob das nun stimmt oder nicht, zu sehen ist von alledem dummerweise überhaupt nichts. Nur die betroffenen Personen haben oftmals schon zu Kindertagen das sichere Gefühl, dass etwas nicht zusammenpasst. Die Mitmenschen ihrerseits sind sich sicher, das es sich um eine ganz 'normale' Frau oder einen ganz 'normalen' Mann handelt. Da äusserlich nun rein gar nichts feststellbar ist, halten viele das ganze für eine 'Macke' oder geistige Störung, die mit etwas gutem Willen und einer Therapie wohl in den Griff zu bekommen sein sollte. Doch das funktioniert leider nicht.
Es gibt keine Heilung, aber es gibt eine Behandlung
In der Vergangenheit haben Psychologen jahrzehntelang versucht, das Problem durch irgendeine Behandlung in den Griff zu bekommen und die betroffenen Menschen so zu 'heilen'. In keinem einzigen Fall ist dies nachweisbar gelungen. Deshalb kam in den 50iger Jahren der amerikanische Arzt Dr. Harry Benjamin auf die Idee, es von nun an andersherum zu versuchen: Anstatt den Geist dem Körper anzupassen, so folgerte er, sollte man doch vielmehr versuchen, den Körper dem Geist anzugleichen. Zum erstenmal wurde damit transsexuellen Menschen die Möglichkeit gegeben, sich in ihrem Körper 'zu Hause' zu fühlen.
Als Möglichkeiten dieser Behandlung stehen hormonelle und chirurgische Massnahmen bereit. Auch der erwachsene Mensch wird durch Sexualhormone in seiner körperlichen Erscheinung noch massgeblich beeinflusst. Erhält zum Beispiel eine Frau über längere Zeit das Hormon Testosteron verabreicht, bekommt sie recht bald erkennbaren Bartwuchs, eine tiefere Stimme und kräftigere Muskeln. Umgekehrt setzt bei Männern, die mit weiblichen Hormonen (Oestrogenen) behandelt werden, das Brustwachstum ein und die Muskelmasse schwindet. Zusätzlich zur Hormontherapie nehmen vielen Transsexuelle auch chirurgische Hilfe in Anspruch, um das körperliche Erscheinungsbild möglichst natürlich werden zu lassen.
Da diese Eingriffe grösstenteils nicht mehr umkehrbar sind, ist es dringend geboten, die Anwendung solcher Behandlungen zusammen mit den betroffenen Personen gründlich zu überdenken. Ein bestehender Bartwuchs, egal ob bei Frau oder Mann, kann nur in einer langwierigen und schmerzhaften Prozedur wieder entfernt werden. Die meisten operativen Massnamen hingegen sind nicht rückgängig zu machen. Es ist Aufgabe einer psychologischen Betreuung, zu klären, ob alle möglichen Massnahmen sinnvoll und angebracht sind. Zudem soll den Menschen dabei auch geholfen werden, die Probleme des Geschlechtsrollenwechsels zu meistern.
Zur Aenderung des Vornamens gibt es in Deutschland das sog. Transsexuellengesetz. Auf Antrag und Vorlage von 2 Gutachten kann aufgrund eines richterlichen Entscheides der Vornamen geändert werden. Zudem kann nach einer angleichenden Operation der Geschlechtsmerkmale (Entfernen der Brüste und der Eierstöcke bei der Frau, bzw. Entfernen der Hoden und des Penis beim Mann) auch der Personenstand geändert und damit beispielsweise eine entsprechende Eheschliessung ermöglicht werden.
Beziehungen zu den Mitmenschen
Nachdem viele transsexuelle Menschen über lange Jahre ihre Rolle so überzeugend gespielt haben, fällt es der Familie, Freunden und Kollegen oftmals und verständlicherweise recht schwer, mit den plötzlichen körperlichen Aenderungen klarzukommen. Auch das Verhalten der transsexuellen Personen ändert sich meistens, sie probiert nun eine neue Rolle aus, was anfangs natürlich nicht immer gleich überzeugend gelingt. Nicht selten fühlen sich die Mitmenschen dann betrogen und werfen den Betroffenen vor, egoistisch zu handeln und die bisherige Ordnung zu zerstören. Oftmals wird der Ruf laut: 'Geh doch mal zum Psychiater!' Man möchte die alten Verhältnisse wiederhergestellt wissen.
In Beziehungen, bei denen das Geschlecht keine erhebliche Rolle spielt, ist diese Umstellung sicher einfacher zu bewältigen. Schliesslich lässt sich anstelle der bisherigen Kollegin auch mit einem Kollegen gut zusammenarbeiten. Und anstelle eines Sohnes ist sicher auch eine Tochter liebenswert. Schwieriger sind da schon sexuelle Beziehungen, die einen derartigen Wechsel nur in sehr wenigen Fällen überdauern. Auch im Hinblick auf eine neue Beziehung gestaltet sich die Situation für viele transsexuelle Menschen nicht ganz einfach, denn die Vergangenheit im anderen Geschlecht kann nicht ungeschehen gemacht werden und nur wenige haben das Glück, körperlich der Durchschnittserscheinung des ersehnten Geschlechts zu entsprechen. Zudem ändert sich meist wenig daran, ob Männer oder Frauen als Sexualpartner bevorzugt werden, weshalb sich Transsexuelle dann oft in der Situation wiederfinden, nun als lesbisch oder schwul zu gelten, was es ihnen nicht gerade einfacher macht.
Statistiken
In Deutschland haben zwischen 1981 und 1990 ca. 1500 Menschen einen Antrag auf Aenderung ihres Vornamens gestellt. Ungefähr die Hälfte davon hat sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen. Das Verhältnis zwischen Frauen und Männern ist nicht ganz gleich, der Anteil von Männern, die sich als Frau empfinden, ist etwa doppelt so hoch. Es ist davon auszugehen, dass viele betroffene Menschen sich allerdings niemals trauen, die Geschlechterrolle zu wechseln. Ðber diese Menschen liegen recht unterschiedliche Schätzungen vor, sie schwanken zwischen einem Verhältnis von 1:1000 bis zu 1:10000, bezogen auf den Anteil von Transsexuellen in der Bevölkerung. Nachweisbar gibt es Lebensbereiche, in denen Transsexuelle überproportional häufig zu finden sind. Beispielsweise sind das bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen nicht unbedingt Bars und Showbusiness, wie man annehmen möchte, sondern unter anderem auch die französische Fremdenlegion und die U.S. Marines. Manche Menschen treibt es aus lauter Angst vor dem Entdecktwerden in solche Gruppen, da sie hoffen, nur hier als 'echte' Männer zu bestehen. Was solche Einzelschicksale somit oft erdulden, lässt sich wohl kaum erahnen.
Zum Schluss
Wenn sie einem transsexuellen Menschen begegnen, dann treffen sie jemanden, der viele Jahre versucht hat, es allen recht zu machen. Jemand, der viel über sich und andere nachgedacht hat und sich dann im Abwägen aller möglichen Folgen entschieden hat, ein Leben ohne Lüge vor sich selbst und den anderen zu leben. Jemand der gelernt hat, sich selbst zu verstehen und zu lieben und demzufolge auch andere verstehen und lieben kann. Wie viele Menschen können das für sich in Anspruch nehmen?
( Eva Sturm, nach einer Vorlage der Renaissance Gender Association, Inc.)
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