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29. Jan. 2001

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Babel als Nabel der Kunst

Die neue Kultursendung am Schweizer Fernsehen DRS spielt in einem heruntergekommenen Hotel namens «Babylon»

VON GRET HEER

Der Kulturchef von SF DRS, Iso Camartin, schwärmt: «Wir wollen Neuland betreten, wir wollen etwas ausprobieren, was bisher nicht existierte!» Tatsächlich wirkt auf den ersten Blick mutig und gewagt, was seine Kulturabteilung geplant hat: Ausgerechnet zur besten Sendezeit wird das Schweizer Fernsehen DRS am Sonntagabend um 20.30 Uhr die Kultursendung «Babylon» ausstrahlen. Als Gastgeberin der neuen Sendung soll die Transsexuelle Zazie de Paris auftreten.

Dabei will das Fernsehen DRS selbst zur Kulturwerkstatt werden, Kulturerlebnisse schaffen und inszenieren. Während die anderen Sender auf publikumsträchtigen Unterhaltungsschienen fahren, indem sie zur gleichen Zeit mit «Big Brother» den Voyeurismus des Publikums befriedigen, mit dem «Tatort»-Krimi für Nervenkitzel sorgen oder mit der Millionärsshow den einfachen Wissensdurst löschen, will Camartin das breite Publikum «mit Kunst verführen». Ein schwieriges Unterfangen, über das die Konkurrenten nur schmunzeln können: «Es ist ein spannendes Experiment, wenn die jetzt ein komplementäres Programm bringen», meint beispielsweise Jürg Wildberger, Chef von TV3 .



Moderiert die neue Kultursendung: Die Transsexuelle Zazie de Paris


Die SRG muss den Beweis antreten, dass die Gebühren legitimiert sind

Doch auf den zweiten Blick wirkt das Kulturengagement des Schweizer Fernsehens DRS als knallhartes Kalkül. Denn die Revision des Radio- und Fernsehgesetzes steht vor der Tür, und die SRG zittert um ihr Gebührenmonopol. Jetzt geht es darum, die Politiker zu Gunsten der SRG einzustimmen. Die SRG besitzt einen Kulturauftrag und muss den Beweis antreten, dass ihre Konzession und damit ihre Gebühren legitimiert sind.
Kein anderer Deutschschweizer Sender profiliert sich mit Kultur, weil damit kein Massenpublikum zu holen ist. Das weiss auch Fernsehdirektor Peter Schellenberg. Dafür ist Kultur aber bestens geeignet, die Politiker für sich einzunehmen. Die Wahl des musischen Adrian Marthaler zum Programmdirektor war Schellenbergs erster Streich, der zweite die Wiedererschaffung der Kulturabteilung im Leutschenbach und die Ernennung ihres neuen Chefs, des Rätoromanen Iso Camartin. Und der dritte folgt nun mit «Babylon».

Start der neuen Sendung ist der 1. April. «Das ist kein Aprilscherz», betont Camartin. Noch wird ein Geheimnis um die kulturelle Wundertüte gemacht, doch einiges ist bereits durchgesickert. Hinter der neuen Sendung ist die Handschrift von Programmdirektor Adrian Marthaler zu spüren. Ausgangspunkt der Sendung ist eine Hotelhalle. «Eine Halle, früher wohl ein Grand Hotel, inzwischen eine Absteige der etwas sonderbaren Art. Die Franzosen würden sie eine Auberge espagnole nennen.» So steht es im Konzept der Studioshow. Offensichtlich haben es alte Herbergen den Brüdern Marthaler angetan: Auch Christoph Marthaler hat mit «Hotel Angst» in Zürich als Schauspielhausdirektor seinen Einstand gegeben.

Die Gastgeberin im Fernsehhotel wird von Zazie de Paris verkörpert. Die transsexuelle Schauspielerin wurde in Paris als Serge geboren, strippte Anfang der Siebzigerjahre in Tingellokalen wie etwa der Zürcher Haifischbar, bis sie Regie-Guru Peter Zadek für eine Produktion ans Schillertheater in Berlin holte. Die launische Diva spielte unter anderem vor gut einem Jahr auch am Zürcher Schauspielhaus und hatte kürzlich einen Auftritt in der Fernsehserie «Lüthi & Blanc». Offensichtlich hat das Schweizer Fernsehen von den Erotikshows gelernt, die immer wieder Transvestiten als Publikums-magnet einsetzen. Monika Schärer, die bisher das Kulturmagazin «Next» moderierte, wird nicht mehr durch die Sendung führen, sondern als Produzentin agieren und kann dabei auf einen Mitarbeiterstab von gegen 30 Personen zählen.

Die neue Sendung bewegt sich auf abgründigem Terrain

Im Fernsehhotel von «Babylon» soll Kultur wie in einer Soap Opera mit Schauspielern inszeniert werden. Die laut Drehbuch «lebenserfahrene, kluge Gastgeberin mit etwas undurchsichtiger Vergangenheit» hat Dauergäste zu betreuen, aber jeden Sonntag kommen neue Gäste hinzu, Prominente und Unbekannte. Ein «hîtel des histoires folles»? Nicht ganz. Jede Sendung widmet sich einem bestimmten Thema. «Diese Themen stehen aber nicht in der Konvention der Kulturtäter», sagt Camartin. Und gibt als Beispiel den Mond an. Dabei assoziiert er: «Der Mann im Mond, der Vollmond, mondsüchtig, Mondkalb.» In diesem Innenteil der Sendung soll Kultur inszeniert werden, indem auch Künstler mitwirken. «Wir haben ihnen gegenüber eine Holschuld», sagt Camartin. Dabei will er alle Zuschauerinnen und Zuschauer ansprechen, «jedes Individuum», wie er betont.

Die Innengeschichte im Studio soll mit Aussenereignissen dramaturgisch verbunden werden. «Babylon» macht eine Reise durch die Schweiz und berichtet über kulturelle Ereignisse, besucht Ateliers und Premieren und fährt dort auf der Schiene der herkömmlichen Kultur-berichterstattung. Allerdings wird nur punktuell informiert: «Wir produzieren keine kulturelle Agenda», sagt Camartin.
Mit diesem Konzept bewegt sich die neue Sendung am Abgrund: Einerseits will das Boulevardmedium Fernsehen Kultur für die Massen schaffen, anderseits soll es mit kritischer Berichterstattung über das Kulturschaffen berichten. «Hinter dem Titel steckt die Vorstellung von etwas Chaotischem», sagt Camartin, «wir wollen damit Neugierde wecken.»

Für Christian Eggenberger, den Redaktionsleiter der Sendung, tönt «Babylon» «schön und hat auch etwas Verruchtes an sich». Doch Babylon steht auch für den masslosen Turmbau der Menschen von «Babel», die von Gott mit der sprichwörtlichen babylonischen Sprachverwirrung bestraft wurden. Ein Symbol also für Kommunikationsunfähigkeit und Grössenwahn. Hoffentlich kein schlechtes Omen für die neue Sendung.


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