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Morgengrauen Ich saß mal wieder im Zug auf dem Weg zur Arbeit. Ich gähnte eine Runde, es war noch zu früh um wirklich wach zu sein. Die Uhr zeigte 6.34 Uhr. Wir hielten in Duisburg. Die Frau in der Bank neben mir rutsche nervös auf ihrem Platz rum. Ein Mann setzte sich zu ihr... (bv) UND AUF EINMAL verwandelte sie sich in ein riesiges grünes achtarmiges Monster, die Arme quollen aus den berstenden Zugfenstern hinaus, und zum Kreischen der entsetzten Passagiere gesellte sich das Kreischen der Notbremse. Das grüne Vieh wuchs und wuchs, bis der Zug für es schließlich so klein war wie ein Spielzeugauto für ein Kleinkind, und es gab blubbernde Geräusche von sich... (dl) Der Mann, der sich neben es gesetzt hatte, war verschwunden. Statt dessen schwirrte eine riesige Wespe im Zug herum. Die Wespe versuchte alle Leute zu stechen. Die, die es gestochen hatte, liefen rot an und quollen auf. Das Monster schnappte sich die aufgequollenen Menschen und steckte sie in sein riesengrosses sabberndes Maul... (bv) ...rülpste dann einmal laut und unanständig, und sah sich nach weiteren Opfern um. Mich hatte es offensichtlich nicht entdeckt, denn ich hatte mich geistesgegenwärtig unter einen Sitz gequetscht, und bei dem Aufruhr und umherrutschenden Gepäckstücken hatte die Allgemeinheit mich wohl vergessen. Blieb nur zu hoffen, daß die Wespe nicht unter die Sitze schaute... (dl) ...aber da hörte ich schon, wie das Brummen der Wespenflügel immer lauter wurde. Da kam mir eine Idee. Ich suchte in meiner Tasche nach meiner Thermoskanne und schraubte sie langsam auf. Mal sehen, was die Wespe zu Mutters Hagebuttentee mit extra viel Zucker sagen würde. Das Gebrumme war mittlerweile ohrenbetäubend, wurde aber immer noch lauter. Als mir fast das Trommelfell platzte sprang ich mit gezückter Thermoskanne aus meinem Versteck... (mr) ...Das beeindruckte die Wespe aber leider überhaupt nicht! Sie kam immer weiter auf mich zu! Trotzdem versuchte ich in meiner Angst die Thermosflasche aufzuschrauben, was sehr schwer war mit zitternden Händen. Die Wespe kam immer näher, zückte ihren Stachel. Endlich, ich hatte die Kanne auf. Mit allerletzter Kraft schüttete ich den heissen Tee über ihren Stachel... (bv) Prima! Sie ging zu Boden, zuckte noch ein wenig und blieb dann ruhig liegen, während der Tee leise vor sich hin dampfte. Erfreut und mir sehr tapfer und heldenhaft vorkommend, die Thermoskanne immer noch wie eine Axt in der Hand (oder was tragen Helden sonst so?), sah ich auf die Wespe runter, um anschließend mit stolzgeschwollener Brust den Blick auf das Disaster um mich herum zu werfen. Ich, der großartige Held, hatte die von grundauf bitterböse Wespe erledigt, die Menschheit gerettet, den Weltfrieden hergestellt, mir die Hand der Prinzessin und das halbe Königreich verdient und - die Rechnung ohne das Monster gemacht, das nun meinen Blick aus großen, rot unterlaufenen Augen erwiderte... (dl) In meiner Verzweiflung fiel mir nicht besseres ein als laut "Hänschen Klein" zu singen und dazu den Macarena zu tanzen. Vielleicht würde das Monster sich dadurch so lange ablenken lassen, bis sich in der wabbeligen Masse, die mein Gehirn jetzt zu sein schien, wieder feste Gedanken abzeicheten. Ich nahm den letzten Schluck Tee, drehte die Kanne um und trommelte auf ihr, als ob es um mein Leben ging. Und tatsächlich fing das Monster an verblüfft mit den Augen zu zwinkern... (mr) Die Wespe lag immer noch da. Und da war er, der Geistesblitz, die Rettung. Ich trommelte weiter auf der Thermosflasche und bewegte mich tanzend in Richtung Wespenstachel. Das Monster liess sich durch mein Getrommele ablenke und versuchte seinen fetten Körper im Rythmus zu bewegen (was nicht besonders gut gelang). Ich musste mich ziemlich zusammen reissen um nicht laut los zu lachen, als ich das Monster so sah. Langsam näherte ich mich der Wespe. Das Monster achtete nicht auf mich, nur auf den Takt. Ich gin in die Knie, tastete mit der einen Hand nach dem Stachel der Wespe, die andere trommelte auf der zwischen den Beinen eingeklemmten Kanne weiter... (bv) Langsam ging ich in die Hocke. Das Monster hielt dies für einen besonders famosen Tanzstil und versuchte seinerseits etwas, was entfernt (aber wirklich nur ganz entfernt) an Twist erinnerte und schaute mich beifallheischend an. Ich beugte mich noch etwas tiefer, lächelte dem tanzenden grünen Wabbelmonster ermunternd zu und schnappte mir -zupp!- den Stachel. ich mußte zwar etwas rupfen, bis ich ihn der Wespenleichen entreißen konnte, aber vertuschte diese Pause geschickt durch einen Trommelwirbel. Dann näherte ich mich trommelnd, tanzend und grölend dem Ungeheuer... (dl) Ich hatte diesen Plan. Es war eigentlich gar kein Plan. Ich wollte dem Monster nur mit dem Stachel einen herben Schlag direkt in's Herz verpassen. Doch wo war das Herz. Hatte es überhaupt ein Herz?!? Diese Gedanken noch in meinem Kopf kreisend, sah ich wie sich das Monster veränderte. Es bekam kleine Warzen auf der Haut. Sie wurden größer. Größer. Was hatte dieser Tanz mit dem Monster angestellt? Ich bemerkte, wie diese Knubbel, wenn man melonengroße Abszesse Knubbel nennen darf, anfingen sich zu bewegen. Oh nein! Konnte das etwa...? Ja, dieser schreckliche Gedanke schien wahr zu sein... (jw) Es war das weltberühmte Bolschoi-Monsterwarzen-Ballett. Ich hatte bisher nur in zwielichtigen Postillen davon gelesen, und immer gedacht, das sei alles frei erfunden, aber jetzt, wo ich mit eigenen Augen sah, wie die Warzen auf der Haut des Monsters Figuren formten und sich im Rhythmus bewegten, wusste ich, dass es das sein musste. Ich bemerkte, dass noch mehr Leute um das Monster herumstanden, Musik machten und tanzten. Da fiel mir ein, dass ich zu spät zur Arbeit kommen würde, wenn ich mir nicht ganz schnell etwas einfallen ließ... (mr) Ich zermaterte mein Gehirn, dass riesige Rauchwolken in den wolkenbedeckten Himmel aufstiegen. Wie konnte ich bloss das Monster besiegen und doch noch rechtzeitig zur Arbeit kommen? Oder fiel das hier unter höhere Gewalt? Mein Blick fiel wieder auf diese tanzenden Warzen und mich überfiel eine grosse Überkeit. Ich lief gelb und grün an. Das Monster schaute mich verblüfft und irritiert an und kam dabei aus dem Takt. Die Warzen hörten auf sich im Rythmus zu bewegen. Ich konnte meine Augen nicht von den Warzen nehmen. Was ging da vor sich? Ich hatte leider nie auf das Ende der Geschichte geachtet. Ich konnte nicht anders, ich musste mich erstmal übergeben... (bv) Während ich hingebungsvoll mein Frühstück erbrach, behielt ich aus dem Augenwinkel Ungeheuer samt ungeheuerlichen Warzen im Blick. Sowohl Monster als auch Warzen schienen mich interessiert zu mustern, und als ich schließlich erschöpft aufblickte, sah ich, daß die Riesenknubbel namens Warzen sich nun an der Stelle vom Rücken des Monsters tummelten, die am allerweitesten von meinem Ex-Frühstück entfernt war. Wie war das nochmal mit dem Plan? Ich hatte zwar einen, beschloß aber, ihn rigoros zu ändern. Mit neuem Plan und einem diabolischen Grinsen näherte ich mich... (dl) Als ich direkt vor dem Monster stand rief ich: "Hey Monster, du tanzt total Scheiße!!! Da tanzt ja 'ne Oma mit Krückstock tausendmal besser als du Hampelmann!! Und guck dir mal an was du hier angerichtet hast!! Du bist doch das größte Scheusal, das mir je untergekommen ist..." Ich sah, wie sich im riesigen Augenwinkel des Monster ein See bildete und musste schnell handeln, bevor sich diese Wassermassen aus ihrer Halterung lösten. Während ich weiter die übelsten Beschimpfungen von mir gab näherte ich mich langsam dem, wie ich aus dieser Nähe bemerkte, übelst riechenden, rechten Fuß der Kreatur... (mr) Der Geruch half mir. Ich hatte heute morgen ausnahmsweise doppelt gut gefrühstückt. Ich war beim Monster, ging gefährlich nah an seinen Fuss und erbrach mich ein weiteres mal. Das Monster brach in Panik aus. Die Warzen auf seinen Rücken liefen im Körper auf und ab. Das Monster schrie vor Schmerz auf und versuchte die Warzen, die überall zu sein schienen, zu erdrücken. Aber seine Arme waren zu kurz. Da sah es den abgebrochenen Stachel der Wespe und nahm ihn und versuchte sich damit an den unerreichbaren Stellen seines Rückens zu kratzen... (bv) Es gab ein ekelhaftes Geräusch, so à la Fingernägel auf Tafel, und mir und den paar anderen Restpassagieren lief es kalt den Rücken hinunter. Vor allen Dingen bei diesem Anblick: Wo immer das Monster sich kratzte, blubberten die Warzen und ließen kleine schleimige Krater zurück. Bald sah das Ungeheuer mehr einem brodelnden, grün glibberndem Haufen ähnlich als sonst irgend etwas. Ich erinnerte mich an die Thermoskanne, wand meine Aufmerksamkeit vom Monster ab und ergriff diese. Die Wassermassen in den Monsteraugen konnten jeden Augenblick losplatzen, die chemische Reaktion stand unmittelbar bevor. Ich fuchtelte mit dem Rest des Hagebuttentees, brüllte "Ey, du Sockenbügler und Beckenrandschwimmer, tanz doch endlich mal richtig...!", und in diesem Augenblick... (dl) zerplatzte das Monster mit einem klatschenden Plopp und riesige Mengen übelriechender, glibbriger Monsterschleim ergossen sich über das mittlerweile reichlich anwesende Publikum. Geistesgegenwärtig rannte ich los in Richtung Zug, bevor die Schleimwellenfront über mir zusammenschlug. Ich schaffte es mit knapper Not und Hilfe einer offenen Zugtür das Dach des Zuges zu erklimmen, bevor die anbrandenden Glibbermassen den Zug zum Beben brachten. Der Gestank war unerträglich, obwohl ich mir angesichts meiner mittlerweile mehr als einmal ruinierten Unterhose nicht sicher war, woher er eigentlich kam. Mir wurde langsam schwarz vor Augen...(mr) Ich weiss nicht, wie lange ich weg war. Ich hörte aufgeregte Stimmen ganz weit weg und entschloss, aus meiner Ohnmacht zu erwachen. Langsam schlug ich die Augen auf. Ich sah alles wie durch einen Schleier. Jemand beugte sich über mich und rief: "Er kommt wieder zu sich" Ich versuchte zu erkennen, wer das war. War das meine Prinzessin, die ich als Belohnung für die Rettung der Menschheit erhielt? Ich versuchte zu sprechen, aber meine Zunge klebte an meinem Gaumen. Irgendwas bewegte sich in meiner Hand. Ich führte sie ganz langsam zu meinen Augen und öffnete sie unter Schmerzen.... (bv) In meinem Gehirn sprangen noch immer Bilder von munter tanzenden grünen Monstern, Hagebuttentee, Wespen und Prinzessinen umher. Langsam konnte ich meine Augen auf eine Stelle fokussieren, sah auf meine Hand und entdeckte zu meiner großen Überraschung eine Miniaturausgabe des Monsters von vorhin, das eine Mini-Wespe umschwirrte. Ich blinzelte ein paar mal, sah dann wieder auf meine Hand und konnte es immer noch nicht glauben. Wie in Zeitlupe richtete ich meinen Blick auf die Menschen, die um mich herum standen, und was ich sah, kam einem Alptraum gleich... (dl) Was ging hier vor? Hatte ich bei meiner Rettungsaktion irgendetwas übersehen? Die Menschen schauten mich mit blutunterlaufenden Augen an, die rot leuchteten. Das grüne Monster sprang von meiner Hand auf meinen Bauch und veranstaltete erstmal einen Freudentanz. Die Miniaturwespe flog umher und versuchte mich zu stechen. Mit allerletzter Kraft versuchte ich sie davon abzuhalten. Ich schlug wild um mich. Einmal erwischte ich die Wespe auch und sie flog ein paar Meter in die Luft. Die Leute um mich herum amüsierten sich bei meinen dürftigen Abwehraktionen. Plötzlich wurde ich festgehalten. Unter riesengrossen Schmerzen versuchte ich mich zu wehren und mich loszureissen... (bv) Déjà vu. Wieder Zugrumpeln und gedämpftes Unterhalten im Hintergrund. Ich kam wieder zu mir, Schatten bewegten sich wieder um mich herum, und ich machte die Augen gar nicht erst auf. Vielmehr versuchte ich, meinem Hirn einen Impuls zu schicken, um festzustellen, ob sich vielleicht wiederum etwas kleines, sich bewegendes in meiner Hand befand. Das Gehirn meldete, daß dem nicht so sei; also beschloß ich, dann doch mal die Augen aufzumachen. Was ich sah, entsprach in etwa einem üblichen Morgen im Zug. Ich sah auf die Uhr... (dl) Es war 6:48. Der Zug müsste gleich in Düsseldorf einfahren, wenn die Bahn mal pünktlich ist (was sie aber schon seit langem nicht mehr geschafft hat). Da sah ich auch schon die Anfänge der Gleise. Die Leute standen auf und drängeten sich in Richtung der Türen. Der Zug hielt, die Türen wurden mit Kraft aufgestossen und die Leute stürmten raus... (bv) Ende
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