CD-Rezensionen

Februar 1998

Various Artists / Hyperium New Classics Volume 1

Dieser Sampler gehört zu den besten Veröffentlichungen 1997. Endlich hat sich Hyperium durchgerungen, den anspruchsvolleren Stücken Ihres Programms eine eigene Reihe zu widmen. Denn das Problem der "Heavenly voices"-Serie, die mittlerweile bei EMI mit Gruppen wie Enigma erscheint, war die Kombination von billigem Grufti-Pop mit kulturorientierten Titeln, die auch schon mal bei SFB 3 zu hören waren. Nun ist die Trennung vollzogen: "Heavenly Voices" hat sich mit Kate Bush, Deep Forest u.a. dem Mainstream geöffnet und zielt mit Covergestaltung und Verkaufsstrategie auf die Brigitte-Leserinnen um die 40; die ambitionierte Reihe "New Classics" bedient dagegen all jene Hörer, die Interesse an einer Erkundung musikalischen Neulands und einer experimentellen Verbindung von E- und U-Musik haben. Das Ergebnis überzeugt. Anders als der eher flache und konzeptionslose Sampler "Classica" schafft "New Classics" eine homogene Komposition durchaus unterschiedlicher Titel. Hier ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Das Spektrum reicht von mittelalterlich orientierten Titeln (Stoa, Schlömer, Love Is Colder Than Death und Eleven Shadows) über Dark-Ambient Soundscapes a la Delerium (Luxa) bis hin zur Intergration leichter dance-beats (Rosegarden) und einem elektro-orientierten Track mit Hit-Qualität (God´s Bow). Die besten Stücke, die den Kauf des Samplers für Jeden Dead Can Dance-Fan zum Muß machen, sind "My inner labyrinth" von Stoa und "in your presence" von Love Is Colder Than Death. Konzeption und Compilation des Erstlings wecken große Hoffnungen. Man darf auf Volume 2 gespannt sein ... (Gabriel Seiberth)

Black Rose / Into the glass house

"Into the glass house" ist die zweite offizielle CD des italienischen Düster- Duos "Black Rose". Das neue Album ist im Zuge des "heavenly voices"-Trends zu Hyperium gekommen, während die erste CD "the room inside" bei dem italienischen Label Contempo erschienen war. Das neue Opus konzentriert sich noch stärker auf die klassischen Elemente. Die Besetzung ist minimalistisch. Die häufigste Begleitung ist ein Old Bechstein Grand Piano. Nur gelegentlich tauchen zusätzliche Instrumente wie Analog-Synthesizer, Accordion eine verzerrte elektronische Gitarre aber auch eine ungarische Zitter und ein Cello auf. Die Kompositionen sind ganz auf die dominierende Stimme der Sängerin Mara zugeschnitten. Und in der Tat ist dies ein Pfund mit dem sich wuchern läßt. Der italienische Akzent und das geschulte Timbre verleihen der Stimme eine unverwechselbare Charakteristik. Allerdings liegt hier wohl auch der entscheidende Nachteil. Zwar hat das Duo eine gewisse musikalische Entwicklung durchgemacht: während die ersten Songs basierend auf einem Analog-Syntesizer stärker elektronisch orientiert waren (s. hierzu etwa die Songs "The dawn willl rise again" und "Encounters" auf Contemporary ´91 neben Lassigue Benthaus und Clock DVA) dominiert jetzt eine klassische Instrumentierung; Die beiden prägenden Stilelemente, Stimme und Piano, lassen allerdings relativ wenig Variationsspielraum zu. Desweiteren nervt die Stimme allenthalben durch übertriebene Dramatik und Düster-Kitsch. Andrerseits gibt es auf beiden CD´s derart umwerfende Stücke, daß ein Kauf allemal lohnend erscheint. Auf "the room inside" bestechen "Question and Answer", "The Dream" und "Someone I love", bei "Into the glass house" begeistern "For some dearest ones", "The time has come" und "Osare pensare". Alles in allem läßt sich sagen: Black Rose sind eine außergewöhnliche Formation auf deren Neuveröffetnlichungen man gespannt sein darf ... (Gabriel Seiberth)

T21 / Gohohako (Play it Again Sam-Records, 1997)

Ganze fünf Jahre haben sich die soundtüftelnden Brüder Philippe und Hervé Lomprez, aka Trisomie 21, für ihr neues Album zeitgelassen. Der etwas verstörende Name Trisomie 21 - die Bezeichnung für eine durch das Vorhandsein eines triploiden homologen Chromosemsatz hervorgerufene Behinderung ("Down- Syndrom", "Mongolismus") - taucht nicht mehr auf, sondern ist vollständig durch das neutrale "T21" ersetzt worden. Und - nomen est omen - auch die Musik ist weniger verstörend. Abgesehen von dem Titelsong "Gohohako" und der Variation dieses Themas "Unlawful magic", die durch irritierende Samples und düstere Klangkollagen an das geniale Opus magnum "T21 plays the pictures" anknüpfen (es sei nur an die paranoiden Frankie Goes To Hollywood-Samples in "Friday report" erinnert), handelt es sich in grosso modo um "nette" Musik, die durch die Verwendung von Elementen französischer Chansons oder gar traditioneller Japanischer Klänge etwas angereichert wurde. Wirklich hervorstechende Stücke gibt es außer den beiden Genannten nicht, was vielleicht durch den Weggang von Bruno Donini erklärt werden kann. Eine gewisse Ausnahme macht allerdings das Stück "Ten years by rose", das durch den brillianten Sample eines russischen Hochzeitsliedes besticht (das Original "Pine Tree", gesungen von dem Dmitri Pokrovsky Ensemble, findet sich auf dem empfehlenswerten Sampler "Plus from Us" von Peter Gabriels Ethno-Label "Realworld", 1993). Alles in allem steht auch dieses Werk wie sein Vorgänger "Distant voices", 1992 im Schatten des genialen Konzeptalbums "Plays the pictures", 1989 - ein Soundtrack zu einem imaginären Film, der aus Remixen alter Stücke und einigen neukomponierten Songs besteht. Auch die sieben weiteren Alben - die heute, abgesehen von der Kompilation "The songs of T21 1&2", nicht mehr im regulären Handel erhältlich sind, wirken nur wie intellektuelle Nullnummern, die erst in "Plays the pictures" ihre endgültige Form gefunden haben.
Alles in allem ist "Gohohako" eine schöne Platte, von der aber in zwei Jahren niemand mehr reden dürfte. (Gabriel Seiberth)

Synaesthesia / Ephemeral (Zoth Ommog, 1997)

"Ephemeral" ist die dritte Platte, die Rhys Fulber und Bill Leeb von Delerium unter dem Signum Synaesthesia herausgebracht haben. Wie der Name des Albums treffend aussagt, ist diese Platte ephemer (gr.-lat. "für einen Tag"), was soviel bedeutet wie flüchtig oder nur für kurze Zeit bestehend. Die 9 bis 10 Minuten langen Tracks bieten einen homogenen Soundteppich, der wenig Raum für Wiedererkennungseffekte läßt, was in diesem Fall kein Nachteil, sondern ein ausgeklügeltes Konzept ist. Auch der Bandname verrät einiges über das musikalische Selbstverständnis dieses Projekts. Unter Synästhesie versteht man das gleichzeitige Erleben von Sinneseindrücken verschiedener Sinnesgebiete bei Reizung von nur einem Sinnesorgan. Die auditive Stimulierung durch meditative Soundscapes weckt in der Tat allerlei Reminiszenzen an assoziative Traumwelten vergangener Trips. Die Platte ist die mit großen Abstand die ausgereifteste der drei Synaesthesia-Alben, was sich unschwer dadurch erklärt, daß die Meister selbst für die Kompositionen verantwortlich sind, wogegen sie auf den beiden ersten Platten nur als Produzenten auftraten (Kompositionen R. Deckard). Die neue CD läßt vermuten, daß nun Synaesthesia die experimentelle Spielwiese der kreativen Masterminds werden soll, nachdem das Projekt "Delerium" sich der Pop-Musik geöffnet hat. Der unumstrittene "Hit" der Platte ist "Naked sun", ein deliriöses Stück mit bestechenden Streicherarrangements und Xylophon-Reminiszenzen (ein Anknüpfen an das brilliante "Symbolism" von Delerium, auf "Reflections 2", 1996). Auffallend ist, daß dieses Werk ohne Samples auskommt, wogegen die Vorgänger voller - nicht auf dem Klappentext nachgewiesener - Zitate und Soundschnipsel verschiedener Provenienz sind. Beide leiden aber etwas an gelegentlichen EBM/Techno-Elementen, die an die "Spheres"-Duologie von Delerium erinnern. Eine Assoziation, die offenbar gewollt ist, da ein Stück dieser Platten gesampelt wird. So wirken diese Kompositionen im Vergleich zu der neuen Platte eher einfallslos, was nicht durch die Verwendung so unterschiedlicher Soundelemente wie "Yulunga (Sprit dance)" von Dead Can Dance ("Into the Labyrinth", 1993) und "Room 208" von Future Sound of London ("Lifeforms", 1994) kompensiert werden konnte.
Die Fans des alten Delerium-Projektes dürften sich in Zukunft eher bei Synaesthesia gut aufgehoben fühlen. (Gabriel Seiberth)

Weitere Rezensionen vom Januar 98



Zuletzt aktualisiert am 17.Oktober 1998


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