Various Artists / Hyperium New Classics Volume 1 Black Rose / Into the glass house T21 / Gohohako (Play it Again Sam-Records, 1997) Synaesthesia / Ephemeral (Zoth Ommog, 1997)
Dieser Sampler gehört zu den besten Veröffentlichungen 1997. Endlich hat sich
Hyperium durchgerungen, den anspruchsvolleren Stücken Ihres Programms eine
eigene Reihe zu widmen. Denn das Problem der "Heavenly voices"-Serie, die
mittlerweile bei EMI mit Gruppen wie Enigma erscheint, war die Kombination von
billigem Grufti-Pop mit kulturorientierten Titeln, die auch schon mal bei SFB
3 zu hören waren. Nun ist die Trennung vollzogen: "Heavenly Voices" hat sich
mit Kate Bush, Deep Forest u.a. dem Mainstream geöffnet und zielt mit
Covergestaltung und Verkaufsstrategie auf die Brigitte-Leserinnen um die 40;
die ambitionierte Reihe "New Classics" bedient dagegen all jene Hörer, die
Interesse an einer Erkundung musikalischen Neulands und einer experimentellen
Verbindung von E- und U-Musik haben. Das Ergebnis überzeugt. Anders als der
eher flache und konzeptionslose Sampler "Classica" schafft "New Classics" eine
homogene Komposition durchaus unterschiedlicher Titel. Hier ist das Ganze mehr
als die Summe seiner Teile. Das Spektrum reicht von mittelalterlich
orientierten Titeln (Stoa, Schlömer, Love Is Colder Than Death und Eleven
Shadows) über Dark-Ambient Soundscapes a la Delerium (Luxa) bis hin zur
Intergration leichter dance-beats (Rosegarden) und einem elektro-orientierten
Track mit Hit-Qualität (God´s Bow). Die besten Stücke, die den Kauf des
Samplers für Jeden Dead Can Dance-Fan zum Muß machen, sind "My inner
labyrinth" von Stoa und "in your presence" von Love Is Colder Than Death.
Konzeption und Compilation des Erstlings wecken große Hoffnungen. Man darf auf
Volume 2 gespannt sein ... (Gabriel Seiberth)
"Into the glass house" ist die zweite offizielle CD des italienischen Düster-
Duos "Black Rose". Das neue Album ist im Zuge des "heavenly voices"-Trends zu
Hyperium gekommen, während die erste CD "the room inside" bei dem
italienischen Label Contempo erschienen war. Das neue Opus konzentriert sich
noch stärker auf die klassischen Elemente. Die Besetzung ist minimalistisch.
Die häufigste Begleitung ist ein Old Bechstein Grand Piano. Nur gelegentlich
tauchen zusätzliche Instrumente wie Analog-Synthesizer, Accordion eine
verzerrte elektronische Gitarre aber auch eine ungarische Zitter und ein Cello
auf. Die Kompositionen sind ganz auf die dominierende Stimme der Sängerin Mara
zugeschnitten. Und in der Tat ist dies ein Pfund mit dem sich wuchern läßt.
Der italienische Akzent und das geschulte Timbre verleihen der Stimme eine
unverwechselbare Charakteristik. Allerdings liegt hier wohl auch der
entscheidende Nachteil. Zwar hat das Duo eine gewisse musikalische Entwicklung
durchgemacht: während die ersten Songs basierend auf einem Analog-Syntesizer
stärker elektronisch orientiert waren (s. hierzu etwa die Songs "The dawn
willl rise again" und "Encounters" auf Contemporary ´91 neben Lassigue
Benthaus und Clock DVA) dominiert jetzt eine klassische Instrumentierung; Die
beiden prägenden Stilelemente, Stimme und Piano, lassen allerdings relativ
wenig Variationsspielraum zu. Desweiteren nervt die Stimme allenthalben durch
übertriebene Dramatik und Düster-Kitsch. Andrerseits gibt es auf beiden CD´s
derart umwerfende Stücke, daß ein Kauf allemal lohnend erscheint. Auf "the
room inside" bestechen "Question and Answer", "The Dream" und "Someone I
love", bei "Into the glass house" begeistern "For some dearest ones", "The
time has come" und "Osare pensare". Alles in allem läßt sich sagen: Black Rose
sind eine außergewöhnliche Formation auf deren Neuveröffetnlichungen man
gespannt sein darf ... (Gabriel Seiberth)
Ganze fünf Jahre haben sich die soundtüftelnden Brüder Philippe und Hervé
Lomprez, aka Trisomie 21, für ihr neues Album zeitgelassen. Der etwas
verstörende Name Trisomie 21 - die Bezeichnung für eine durch das Vorhandsein
eines triploiden homologen Chromosemsatz hervorgerufene Behinderung ("Down-
Syndrom", "Mongolismus") - taucht nicht mehr auf, sondern ist vollständig
durch das neutrale "T21" ersetzt worden. Und - nomen est omen - auch die
Musik ist weniger verstörend. Abgesehen von dem Titelsong "Gohohako" und der
Variation dieses Themas "Unlawful magic", die durch irritierende Samples und
düstere Klangkollagen an das geniale Opus magnum "T21 plays the pictures"
anknüpfen (es sei nur an die paranoiden Frankie Goes To Hollywood-Samples in
"Friday report" erinnert), handelt es sich in grosso modo um "nette" Musik,
die durch die Verwendung von Elementen französischer Chansons oder gar
traditioneller Japanischer Klänge etwas angereichert wurde. Wirklich
hervorstechende Stücke gibt es außer den beiden Genannten nicht, was
vielleicht durch den Weggang von Bruno Donini erklärt werden kann. Eine
gewisse Ausnahme macht allerdings das Stück "Ten years by rose", das durch den
brillianten Sample eines russischen Hochzeitsliedes besticht (das Original
"Pine Tree", gesungen von dem Dmitri Pokrovsky Ensemble, findet sich auf dem
empfehlenswerten Sampler "Plus from Us" von Peter Gabriels Ethno-Label
"Realworld", 1993). Alles in allem steht auch dieses Werk wie sein Vorgänger
"Distant voices", 1992 im Schatten des genialen Konzeptalbums "Plays the
pictures", 1989 - ein Soundtrack zu einem imaginären Film, der aus Remixen
alter Stücke und einigen neukomponierten Songs besteht. Auch die sieben
weiteren Alben - die heute, abgesehen von der Kompilation "The songs of T21
1&2", nicht mehr im regulären Handel erhältlich sind, wirken nur wie
intellektuelle Nullnummern, die erst in "Plays the pictures" ihre endgültige Form gefunden haben.
Alles in allem ist "Gohohako" eine schöne Platte, von der
aber in zwei Jahren niemand mehr reden dürfte. (Gabriel Seiberth)
"Ephemeral" ist die dritte Platte, die Rhys Fulber und Bill Leeb von Delerium
unter dem Signum Synaesthesia herausgebracht haben. Wie der Name des Albums
treffend aussagt, ist diese Platte ephemer (gr.-lat. "für einen Tag"), was
soviel bedeutet wie flüchtig oder nur für kurze Zeit bestehend. Die 9 bis 10
Minuten langen Tracks bieten einen homogenen Soundteppich, der wenig Raum für
Wiedererkennungseffekte läßt, was in diesem Fall kein Nachteil, sondern ein
ausgeklügeltes Konzept ist. Auch der Bandname verrät einiges über das
musikalische Selbstverständnis dieses Projekts. Unter Synästhesie versteht man
das gleichzeitige Erleben von Sinneseindrücken verschiedener Sinnesgebiete bei
Reizung von nur einem Sinnesorgan. Die auditive Stimulierung durch meditative
Soundscapes weckt in der Tat allerlei Reminiszenzen an assoziative Traumwelten
vergangener Trips. Die Platte ist die mit großen Abstand die ausgereifteste
der drei Synaesthesia-Alben, was sich unschwer dadurch erklärt, daß die
Meister selbst für die Kompositionen verantwortlich sind, wogegen sie auf den
beiden ersten Platten nur als Produzenten auftraten (Kompositionen R.
Deckard). Die neue CD läßt vermuten, daß nun Synaesthesia die experimentelle
Spielwiese der kreativen Masterminds werden soll, nachdem das Projekt
"Delerium" sich der Pop-Musik geöffnet hat. Der unumstrittene "Hit" der
Platte ist "Naked sun", ein deliriöses Stück mit bestechenden
Streicherarrangements und Xylophon-Reminiszenzen (ein Anknüpfen an das
brilliante "Symbolism" von Delerium, auf "Reflections 2", 1996). Auffallend
ist, daß dieses Werk ohne Samples auskommt, wogegen die Vorgänger voller -
nicht auf dem Klappentext nachgewiesener - Zitate und Soundschnipsel
verschiedener Provenienz sind. Beide leiden aber etwas an gelegentlichen
EBM/Techno-Elementen, die an die "Spheres"-Duologie von Delerium erinnern.
Eine Assoziation, die offenbar gewollt ist, da ein Stück dieser Platten gesampelt wird.
So wirken diese Kompositionen im Vergleich zu der neuen Platte
eher einfallslos, was nicht durch die Verwendung so unterschiedlicher
Soundelemente wie "Yulunga (Sprit dance)" von Dead Can Dance ("Into the
Labyrinth", 1993) und "Room 208" von Future Sound of London ("Lifeforms",
1994) kompensiert werden konnte.
Die Fans des alten Delerium-Projektes dürften sich in Zukunft eher bei Synaesthesia gut aufgehoben fühlen. (Gabriel Seiberth)
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