4. Auffälligkeiten im gegenwärtigen Erziehungsverhalten der
Eltern
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Alle Eltern
wollen es in ihrer Erziehung besser machen als ihre eigenen Eltern. Das,
was sie selbst als Erziehung teils erleiden mussten, wollen sie nicht an
ihren eigenen Kindern wiederholen (kognitive Ebene: Absichten und Ziele;
Überlegungen, wie man es machen will). Gleichzeitig stellen Untersuchungen
aber immer wieder fest, dass es eine starke Tradition von Erziehungsverhalten
gibt. Vor allem in schwierigeren Situationen erziehen junge Eltern häufig
doch wieder so, wie sie erzogen wurden (Verhaltensebene: Erziehungspraktiken
(Loben, Drohen), Vorstellungen vom richtigen Verhalten der Kinder). Folge
ist eine manchmal nur erahnte Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit,
was zu Verunsicherung, machmal einem Hin und Her im Verhalten führt.
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Die Grenzen zwischen den Generationen verwischen immer mehr. Eltern eifern
teilweise dem Lebensstil der Kinder nach („forever young“; Jugendkultur).
Daraus entsteht oft ein Bemühen, „Verständnis für ihre adoleszenten
Kinder an den Tag zu legen, ihnen eher als Freunde, denn als Autoritätspersonen
zu begegnen, Entscheidungen gemeinsam zu treffen, Kompromisse auszuhandeln
und sich in vielen Hinsichten den Jugendlichen anzupassen, anstatt Anpassung
an eigene Prinzipien und Verhaltensmuster zu verlangen.“ (Schütz,
1993) So werden seltener als früher Grenzen gezogen, die für
eine gesunde seelische Entwicklung der Kinder notwendig sind. Es steht
gewissermaßen keine Bezugsperson zur Verfügung stehen, die sich
nicht scheut, Reibungsfläche zu bieten, enttäuschte und wütende
Gefühle auf sich zu ziehen.
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Im Bemühen der Eltern um eine kindgerechte und liberale Erziehung
hat sich diese von Ge- und Verboten hin zu einer zähen Verhandlungsarbeit
(Erklärungen, Diskussionen) verlagert (vom Befehls- zum Verhandlungshaushalt).
Das verlangt viel Zeit, Energie und kognitive Kompetenz. Hinter dem Ideal
des ruhigen und vernünftig Miteinander-Redens, um zu einem Kompromiss
zu kommen, kann jedoch eine andere Form von Erziehungsgewalt stehen. Kinder
verfügen oft nicht über die gleiche Sprach- und Argumentationsgewalt
wie ihre Eltern, sie werden mit Vernunftargumenten überschütten
(Rederitis; verbaler Overkill). Die Eltern machen so in anderer Weise von
ihrer Macht Gebrauch („Pseudo-Verhandlungshaushalt“). Kinder spüren
das oft mehr, als dass sie es verstehen, sie wehren sich aber durch Opposition
und Verweigerung.
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„Für viele Väter ist die Familie bloß Erholungsort, aber
nicht ein erziehungsgestaltender Ort des aktiven Zusammenlebens, und sie
werden mit dieser Einstellung noch unbewusst von solchen Frauen unterstützt,
die ihre Rolle vorrangig als eine ehemann- und kindversorgende verstehen,
weil sie ihre Existenzberechtigung vor allem dann, wenn sie nicht berufstätig
sind, aus der Fürsorge für die Familie und aus der Hausarbeit
ableiten ...“ (P. Struck). Im Durchschnitt verbringen deutsche Väter
weniger als eine Stunde pro Tag mit ihren Kindern, Mütter dagegen
zehn. So ist es nicht verwunderlich, dass beispielsweise Jugendliche deutsche
Mädchen, die ein Pferd besitzen, auf die Frage, wer ihre wichtigste
Bezugsperson ist, antworten: die Mutter (79 %), das Pferd (70 %), der Vater
(67 %). Durch die Abwesenheit der Ehemänner von Familie und Erziehung
spitzt sich die Situation für die im Beruf erziehende Mutter oft zu
(Reduktion auf die Mutterrolle; Gefühl, in der Erziehung alleingelassen
zu sein).
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Unsere Erwartungen
und Anforderungen an das eigene Leben sind in den letzten zwanzig Jahren
drastisch gestiegen. Selbstbestimmung, Selbstentfaltung, Selbstverwirklichung,
persönlicher und beruflicher Erfolg sind Schlagwörter, die für
eine Vorstellung und ein Anrecht auf persönliches Glück stehen.
Die Familie als Gruppe und Gemeinschaft teilweise voneinander abhängiger
Menschen fordert aber Rücksichtnahme und Verzicht. Kinder können
daher - trotz des Kinderwunsches - als lebende Beengung und Begrenzung
empfunden werden, woraus Konflikte zwischen den Eltern und zwischen Eltern
und Kindern entstehen.
Weiter mit Erziehungsverhalten, das sich als
wenig vorteilhaft herausgestellt hat!