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Das schöne Leben des Edelmannes Robert Pyle und die Kriege der anderen
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Alessandro Barbero

Im Jahr 1806, "in jener unvorstellbaren Zeit, in der Washington ein sumpfiges Dorf ohne eine einzige Kirche" war, sind die Vereinigten Staaten von Amerika gerade mal dreißig Jahre alt und ein schwacher Staat ohne Armee, der fürchtet, Napoleon könnte sich nicht nur Europa, sondern auch Amerika einverleiben. Also bemüht sich Präsident Jefferson schweren Herzens, den ehemaligen Kolonialherrn England als Verbündeten zu gewinnen.

Um seinen Vetter Bill Pinkney, den amerikanischen Unterhändler, mit Informationen vom preußischen Königshof zu versorgen, bereist der amerikanische Gentleman Robert Pyle mit einer Kutsche den europäischen Kontinent in halboffizieller politischer Mission.

Seine Reise führt ihn durch die Salons, Bordelle und Fürstenhöfe des zerstückelten Deutschland und weit hinein nach Polen. Er hat Umgang mit verführerischen Maitressen und Wäscherinnen, standesbewußten Offizieren und Bürgerlichen, verlausten Bauern, unfähigen Generälen, geistreichen und verstaubten Prinzen, korrupten Ministern und natürlich mit Friedrich Wilhelm, dem zögerlichen König von Preußen. Neben seinem eigentlichen Auftrag tut Pyle das, was ein Gentleman, der etwas auf sich hält, Anfang des 19. Jahrhunderts eben tut. Er verliert sein Geld beim Kartenspiel, trifft Gott und die Welt im Theater, tanzt auf allen Bällen und vergnügt sich mit den Damen, oft - wenn es ihn so überkommt - für ein paar Groschen auf einem Strohsack am Wegesrand.

Da er auch noch ein akribisch genaues Tagebuch über seine vielfältigen Erlebnisse und Begegnungen führt, entsteht ein Zeit- und Sittengemälde der napoleonischen Zeit, das durch seine Detailfülle und Lebendigkeit beeindruckt.

Ganz nebenbei stellt Barbero in diesem Roman so verschiedene Zeitgenossen wie Jean Paul, Rahel Levin, Turnvater Jahn, Carl von Clausewitz und den alten weimarischen Minister Goethe auf die Beine ohne simples name-dropping zu betreiben, denn Robert Pyle ist sich der historischen Bedeutung dieser Figuren nur sehr vage bewußt.

Ob das alles historisch verbürgt ist, ist fraglich. Es ist ja auch für einen Roman ohne Belang, wenn man denn von einem Roman sprechen kann. Was dem Buch scheinbar fehlt, ist nämlich eine übergeordnete Handlung. "Scheinbar", weil man sich sehr schnell an den reflektierenden Tagebuchstil gewöhnt, wenn man sich erst einmal von der Erwartung gelöst hat, ein Roman müsse eine Story haben. Barbero überläßt die Dramaturgie ganz dem Gang der Ereignisse in einem an Spannung und Nervenkitzel gewiß nicht armen Zeitalter und man braucht gar keinen so langen Atem, um sich durch 700 Seiten zu lesen, denn das Ganze ist intelligent und witzig geschrieben.

Gut gewählt ist auch die Perspektive eines Vertreters der Neuen Welt, der staunend, immer etwas gönnerhaft und von oben herab, wie es sich für einen Gentleman seines Standes gehört, von außen direkt ins Herz der maroden europäischen Monarchien schaut. Veraltete militärische Ausbildungsmethoden, unbrauchbare Ausrüstung und der Standesdünkel der politischen und militärischen Führungsschicht führen dann auch erwartet und unabwendbar zum völligen Zusammenbruch Preußens in der Schlacht bei Jena und Auerstedt.

Die Erschöpfung und der unterwegs eingefangene Tripper lassen am Ende auch Robert Pyle im Fieberwahn zusammenbrechen. Und damit endet sein Tagebuch und auch der Roman, "den man nicht liest, um zu wissen, wie er endet, sondern in der Hoffnung, daß er niemals endet", wie Aldo Busi auf der Umschlagrückseite meint.

© G!G 03.01.98 Lese!zeichen



Alessandro Barbero: Das schöne Leben des Edelmannes Robert Pyle und die Kriege der anderen
Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1997,
730 Seiten, 49,80 DM
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