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...Zurückgelassen, aber nicht verlassen und nicht vergessen
Bericht über die Informations- und Vorbereitungsreise nach Rumänien und Moldavien
vom 30. September bis 15. Oktober 2000
Ursula Honeck
Am Samstagmorgen dem 30.September, sind wir alle sehr gespannt, wie die Informations- und Vorbereitungsreise (diesmal nach Rumänien und
Moldavien) mit dem Auto (bisher sind wir immer geflogen), verlaufen wird. Alle, das sind mein Bruder Gunther, meine Schwägerin Uschi, meine Tochter Andrea und ich. Natürlich haben wir eine genaue Zeitplanung, wie
bei den Transporten auch. Aber Dank des vielen Gepäcks, das in unserem HFO-Bus "Wölfchen" untergebracht werden muß, kommen wir später los als geplant. Ein Außenstehender könnte meinen, wir wollen
auswandern, aber unser eigenes Gepäck ist das wenigste. Ein Koffer für Gusti (unsre Dolmetscherin), Geschenke für alle Freunde in Rumänien und Moldavien, Lebensmittelpakete, Waschpulver, Medikamente, ein großer
Karton mit "Verschiedenem" für die lieben Grenzbeamten, zwei Pakete mit Proviant, zwei Kisten Mineralwasser, zwei Stangen Klopapier und zu guter Letzt noch ein Kopfkissen und Schuhe für ein Patenkind in
Moldavien. So gegen 18.00 Uhr wollen wir das erste Ziel, ein Motel in Ungarn erreichen. Aber Stau und zähfließender Verkehr bei brütender Hitze auf Deutschlands und Österreichs Autobahnen lassen nicht zu, daß wir
1.110 km in 12 Stunden zurücklegen. Der Karton mit "Verschiedenem" kann an der ungarischen Grenze ungeöffnet bleiben, es werden nur unsere Pässe kontrolliert. Es ist 21.30 Uhr, als wir endlich vor dem
Motel ziemlich müde und ausgelaugt unser "Wölfchen" parken können. Wir haben Zimmer vorbestellt und können beruhigt später ankommen, das Bett ist uns sicher. Doch was schlägt uns für ein Lärm entgegen?
Schnell sind wir wieder hellwach. Es wird Hochzeit gefeiert mit wahnsinnig lauter Musik und unendlich vielen Leuten. Der Portier zeigt sich etwas verlegen, als wir ihm die Reservierung unter die Nase halten. Im
August habe er noch nichts von dieser Hochzeit gewußt, wir könnten aber ein Zimmer im Keller, direkt unter der Tanzmusik beziehen, allerdings würde diese sicher bis vier Uhr morgens spielen. In Anbetracht der uns
noch bevorstehenden langen Reise ziehen wir es jedoch vor, ein anderes Motel zu suchen und müssen dann allerdings alle Wertsachen aus dem Auto räumen (3/4 unseres Gepäcks), da es keinen bewachten Parkplatz gibt.
Lieber alles in den oberen Stock schleppen, als am nächsten Morgen vor einem leeren Auto stehen. Die Nachtruhe hat uns sichtlich gut getan, nur das Essen am späten Abend war nicht so das Richtige, so früh hatten
wir nicht mit "Darmproblemen" gerechnet. Zumindest können wir uns nun auf das Kommende einstimmen. Am Sonntagmorgen gelingt es uns, trotz Gepäckschlepperei und Einräumen, pünktlich abzufahren. Der Weg
nach Tirgu-Mures, unserem nächsten Ziel, ist nur 571km lang. Das muß in 9 Stunden zu schaffen sein, auch wenn man mit einem längeren Aufenthalt an der Grenze rechnen muß. Ein wenig Herzklopfen hat man ja immer, wenn
man an die ungarisch-rumänische Grenze kommt. Bei unseren vielen Grenzübertritten während der Transporte mußten wir zum Teil sehr schlechte Erfahrungen sammeln. Auch hier bleibt der Karton mit
"Verschiedenem" unberührt, ein Blick in das übervolle Auto genügt. Nur der Rumäne möchte wissen, warum wir so viele Koffer und Geschenke dabei haben. "Wir sind auf dem Weg zu einer Hochzeit nach
Moldavien", erklärt Gunther in perfekter rumänischer Sprache. Man fragt noch nach Waffen und Drogen, dann können wir uns wieder auf den Weg machen. Apropos Weg, wir haben uns gründlich verrechnet. Ab
Klausenburg ist die Straße eine einzige, zudem noch ungesicherte Baustelle. Ein zügiges Vorankommen ist unmöglich. Mit vier Stunden Verspätung kommen wir in Tirgu-Mures bei unserem altbekannten Quartier an und
begeben uns nach einem Nachtessen mit Dr. Liebhart und Forumsmitgliedern zur ersehnten Nachtruhe. Hier müssen wir unbedingt noch mal warm duschen, es ist vielleicht die letzte Gelegenheit, wie uns die Erfahrung
gelehrt hat. Der Montag ist ausgefüllt mit einem sehr interessanten Programm, welches Dr. Liebhart, Herr Goldner und Frau Marga vom Forum der Deutschen zusammengestellt haben. Wir besichtigen die Klinik und sind
freudig überrascht, daß eine Station nach der anderen renoviert wird. Es ist ein Lehrkrankenhaus und bekommt daher einiges mehr an Geldern für Renovierung als ein kleines Landkrankenhaus. Diese Zuwendung betrifft
aber nicht die Angestellten. Die Eingangshalle ist voll mit streikenden Ärzten, Schwestern und Pflegern, da die monatliche Entlohnung immer noch mehr als dürftig ist. Der Lohn einer Putzfrau ist viel höher. Mit
dem von uns vor sieben Jahren gebrachten Kleinbus geht es in rasanter Fahrt über herbstlich gefärbte Hügel und durch malerische Dörfer. Leider ist hier der Zerfall nicht zu übersehen. Wir fahren mit einem uralten
Bus zur Besichtigung in eine ehemalige Salzgrube von riesigem Ausmaß, die heute der Therapie von Lungenkrankheiten dient. In den meterhohen Hallen mit Wänden und Fußböden, die aussehen, als wären sie aus Marmor,
findet man sogar eine Kirche. Alles ist aus Salzgestein. Die salzhaltige Luft tut uns beim Atmen richtig gut, aber die anschließende Fahrt mit dem Bus aus dem Stollen zeigt deutlich, daß wir es hier mit einem
"Umweltverschmutzer" zu tun haben. Die Atembeschwerden der Kranken, wenn sie zuvor gelindert waren, sind jetzt sicher wieder da. Eine Töpferei ist unser nächstes Ziel. Wir können uns kaum trennen, am
liebsten würden wir den Laden leerkaufen. Der Tag endet bei einem gemütlichen Essen an einem Forellenteich, eigentlich ein Urlaubstag auf dieser Reise. Natürlich werden unterwegs viele Probleme besprochen, sowohl
was die Klinik anbelangt als auch das Forum. Herr Goldner berichtet uns von einer zunehmenden Armut. Viele Familien können die teure Miete im Wohnblock, den Strom und die Heizung nicht mehr bezahlen. Sehr oft wohnt
eine ganze Familie nur in einem Zimmer. Bei Oradea außerhalb der Stadt haben wir während unserer Fahrt auf einer Art Müllhalde Familien gesehen, die sich aus Plastikteilen Behausungen angefertigt haben. Die Wäsche
haben sie zum Trocknen auf die Rohrleitungen der Fernwärmeversorgung (sofern sie funktioniert) gelegt. Für dieses Jahr verabschieden wir uns von Dr. Liebhart und den Forumsvorsitzenden und fahren unserem nächsten
Ziel entgegen, der psychiatrischen Klinik Tulghes. Gusti war mit dem Bus aus Piatra-Neamts gekommen und begrüßt uns herzlich bei unserer Ankunft. Die Anstaltsärztin, Frau Dr. Moresanu bedankt sich für die Hilfsgüter
(Medikamente, Matratzen, Waschpulver, Lebensmittel, Pflegeartikel, Krankenhausbetten), die vor einer Woche angekommen sind. Natürlich sprechen wir auch über die Probleme, welche die neuen Auflagen des Staates mit
sich bringen. Nicht nur uns wird das Helfen immer schwerer gemacht, sondern auch die Empfänger bekommen immer mehr Prügel in den Weg gelegt. Ein Rundgang durch die einzelnen Häuser zeigt, daß auch hier etwas Geld
für Renovierungsarbeiten locker gemacht wurde. Dennoch bittet man uns dringend weiterhin um Sanitäreinrichtung, Betten, Baumwolldecken und Matratzen. Am Allerwichtigsten sind aber Medikamente, Lebens- und
Pflegemittel, für diese Dinge ist das magere Budget nicht ausreichend.
Lange haben wir noch die vielen sich nach Zuwendung sehnenden Gesichter der behinderten Kinder vor Augen. Das sehr knapp bemessene Personal gibt
sich alle Mühe und tut was es kann. Zumindest haben die Kinder nun ordentliche Kleidung. Piatra-Neamts erreichen wir nach einer herrlichen Fahrt am Stausee entlang gegen Abend. Gusti, bei der wir alle
übernachten, ist es sehr peinlich uns sagen zu müssen, daß sie in ihrem Block kein warmes Wasser hat, und das schon seit Juli. Nun erwärmt sie jeden Morgen für uns einen Eimer Wasser auf dem Gasherd, was aber
wirklich nicht nötig wäre. Nach einem schönen Abend bei unserer lieben Rosa, die sich unendlich über das Wiedersehen mit ihrem lieben "Andrechen" freut, haben wir am nächsten Tag volles Programm. Das
Kinderheim "Romanita" in Roman ist unser erster Programmpunkt. Auch hier wird erfreulicherweise renoviert. Dennoch fehlt es an Geld für die täglichen Bedürfnisse. Daher ist die Freude riesig, als ich von
einem Spender aus unserer Region einen großen Geldbetrag überreiche. Zurück in Piatra-Neamts besuchen wir das Kinderheim "Alexandru cel Bun". Andrea hat vor Jahren einmal in diesem Heim für ein paar Monate
gearbeitet und freut sich ihre ehemaligen Kolleginnen und natürlich auch viele Kinder wiederzusehen. Das Heim zeigt auch zusehends Fortschritte, einige Räume wurden inzwischen mit neuen Holzbettchen ausgestattet.
Dennoch möchte man auf unsere Unterstützung nicht verzichten, gerade was Medikamente, Nahrung und Pflegeartikel anbelangt. Auch dem Kinderheim für die größeren Kinder statten wir einen Besuch ab. Die Heimleiterin
bedankt sich herzlich für die bisherige Hilfe und hofft auf weitere Unterstützung durch uns. Nun wird es aber Zeit, wir sind beim katholischen Pfarrer zum Essen eingeladen. Der "Alt"- Pfarrer ist derzeit
in Italien, und so empfängt uns, wie im vergangenen Jahr, der "Jung"- Pfarrer, mit dem man sich, Dank unserer Dolmetscherin Gusti, sehr gut unterhalten kann. Eine kleine Verschnaufpause bleibt uns, und
schon wieder ist Programm. Wir sind eingeladen zum Abendessen von Direktoren des Syndikats Fibrex, Savinesti, dem Chemiewerk, dessen Ambulatorium wir schon seit Jahren mit Medikamenten versorgen. Nicht das Essen
strengt mich an, sondern die hier üblichen Tischreden, die ich immer halten muß. Aber wie muß es unsrer lieben Gusti gehen, die alles noch zu übersetzen hat ? Am nächsten Tag soll es auch nicht gemütlicher
zugehen. Als erstes besuchen wir das Krankenhaus von Piatra-Neamts. Dr. Curelaru, Unfallchirurg, bedankt sich ganz herzlich für die Medikamente und den Krankenhausbedarf aus unserem Transport im Mai und September.
Andrea, Medizinstudentin im 4. Jahr, interessiert sich natürlich besonders für die Arbeit der hier tätigen Mediziner und begleitet diese bei ihrer Visite. Eine Freude bereitet die neu eingerichtete Abteilung für
Haemodialyse mit sechs Dialyseplätzen, die rund um die Uhr besetzt sind. Auch ein neu installierter Computer-Tomograph wird uns stolz gezeigt. Leasing-Verträge mit Firmen aus Japan und Deutschland machen diese
wichtigen Anschaffungen möglich. Im Kindergarten von Ana ist man schon ganz aufgeregt und wartet auf unser Kommen. Die Kinder haben verschiedene Tänze einstudiert und zeigen damit auf ihre Weise den Dank für
unsere Unterstützung. Nach dem Besuch bei einer Patenfamilie folgt ein Interview mit Vertretern der lokalen Presse, und dann geht es auch schon wieder zum Essen bei Familie Munteanu. Herr Munteanu ist Präsident der
Kinderhilfsorganisation "Fundatio Caritate Copilul". Ich kenne ihn schon seit 9 Jahren und arbeite mit ihm sehr gerne zusammen. Was bei ihm ankommt wird korrekt verwaltet und verteilt. Es ist 8.00 Uhr
Freitagmorgen. Wir fahren in Begleitung unsrer lieben Gusti in Richtung Moldavien. "Hast Du auch nichts vergessen?", fragen wir Gusti, sie hatte nämlich schon mal ihren Paß zu Hause gelassen. "Nein,
ich habe alles", so lautet ihre Antwort. Unser Weg führt uns diesmal über einen anderen Grenzübergang, weil wir herausfinden wollen, ob man mit dem Transport hier schneller abgefertigt wird. Im Moment ist
dieser Übergang eine einzige Baustelle, aber wenn er mal fertig ist, könnte es direkt möglich sein. Einige LKW stehen schon zur Abfertigung hier. Wir werden herzlich von Pater Joan auf der moldavischen Seite
empfangen und treten, ohne größere Grenzformalitäten erledigen zu müssen, die Weiterfahrt an. Klein aber fein, denken wir bei diesem Grenzübergang. Wir sollten noch eines Besseren belehrt werden. An diesem Tag
besuchen wir noch das Kloster Curchi und eine "Weinkelterei" bei einem Bauern im Dorf. Am nächsten Tag geht für uns ein großer Wunsch in Erfüllung. Pater Joan fährt mit uns zum Kloster Noul Neamt nach
Transnistrien. Dieses Kloster kennen wir von Bildern, und den sehr sympathischen Erzbischof Dorimedont haben wir im Mai kennengelernt. Beim Übertreten der sogenannten Grenze nach Transnistrien habe ich das Gefühl,
ich sei auf dem Transport 96 in die Ukraine. Auch damals stellten sich uns wie heute junge Burschen in Uniform mit geladenen Gewehren in den Weg. Man will Geld für den Grenzübertritt, doch Pater Joan regelt das mit
Kalendern, die er an alle verteilt, allerdings für das Jahr 2000. Bis man es bemerkt, sind wir schon lange über der Grenze. Alleine würde ich mich nie wagen nach Transnistrien zu fahren. Die prachtvolle
Klosteranlage zeigt sich an diesem wundervollen Tag bei strahlend blauem Himmel von ihrer besten Seite. Nur die Basiliuskathedrale in Moskau auf dem roten Platz hat bisher bei mir solche Emotionen hervorgerufen. Wir
betreten eine der Kirchen und werden von wunderbaren Gesängen junger Priester begrüßt. Das ist ein Erlebnis, das sehr tief geht. Die überaus herzliche Gastfreundschaft scheint alles bisherige übertreffen zu wollen.
Diese Gastfreundschaft kommt aber aus ehrlichem Herzen, das spürt man. Auf der Rückfahrt besuchen wir noch ein Frauenkloster. Schon an der Blumenpracht kann man erkennen, daß hier Frauenhände im Spiel sind. Die
Taufe eines Säuglings hier mitzuerleben, ist etwas ganz Besonderes. Nicht nur ein paar Tropfen Wasser, wie bei uns, gelten als Symbol der Taufe, sondern ein komplettes Tauchbad in einem Zuber muß der Täufling
dreimal über sich ergehen lassen. Dabei werden ihm Nase und Ohren vom Priester zugehalten. Danach wird er vollkommen neu eingekleidet. Nach dem Grenzübertritt, auch hier verteilt Pater Joan wieder seine
Kalender, besuchen wir noch ein Dorf, wo Herr Snegur, Bürgermeister und Gemüsehändler, wohnt. Von ihm bekommen wir schon seit einigen Jahren wunderbare Gurken und Tomaten, die für unsere heimische Küche bestimmt
sind. Seine Frau bewirtet uns bestens, er kann leider nicht dabei sein. Es könnte so schön sein, wenn sich unser Verdauungsmechanismus nicht so rigoros gegen die östliche Küche wehren würde. Alle haben wir
inzwischen zu kämpfen, und das bei den hiesigen sanitären Einrichtungen. Das kostet schon Überwindung. Aber Gottlob haben wir noch eine Stange Klopapier. Natürlich pflegen wir uns alle am Sonntagmorgen in Pater
Joans Bad, wir wollen ja schließlich an der heiligen Messe teilnehmen. "Ich habe meinen Kulturbeutel zu Hause vergessen" , hören wir Gusti sagen. Es ist klar, daß wir sie alle aufziehen wegen dem
Vergessen, aber mit unserer Hilfe kann auch sie sich pflegen. Die dreistündige Messe mit nüchternem Magen ist nicht jedermanns Sache, aber die wunderbaren Gesänge der Chöre überstimmen das Knurren des Magens. Keine
Angst, lieber Magen, du sollst auch an diesem Tag nicht zu kurz kommen. Nach einem Besuch in einer Weinkellerei und einem anschließenden Picknick im Wald, das die Priesterehefrauen arrangiert haben, hat kein Magen
mehr Grund zum Knurren. Wollten wir nicht um 8.00 Uhr nach Chisinau fahren? Wenn wir nicht gedrängt hätten, wären wir um die Mittagszeit noch in Orhei gewesen. Dr. Mosneaga und Dr. Donet freuen sich über
unseren Besuch in der Klinik Republikan, obwohl wir mit etwas Verspätung ankommen. Wir übergeben das Geld für die Herzklappen und besichtigen noch einige Stationen und die Apotheke. Eine besondere Freude bereitet
uns, daß die gebrachten Hilfsgüter des Transportes vor einer Woche schon auf die jeweiligen Stationen verteilt sind. Auch besuchen wir Patienten, die von uns eine Herzklappe bekommen haben. Es sind ausschließlich
junge Leute. Im allgemeinen haben wir den Eindruck, daß die Klinik nur zu 50% belegt ist. Auf unsere Nachfrage sagt man uns, daß nur Patienten in die Klinik kommen, die das nötige Geld haben oder solche , wo die
"Axt am Baum" ist , und man versucht bei der ganzen Verwandtschaft Geld zu borgen. Viele sterben Zuhause, weil sie sich die Medikamente und den Klinikaufenthalt, der inzwischen auch etwas kostet, nicht
leisten können. Wie schon seit ein paar Jahren haben wir unser Quartier in einem Studentenwohnheim nicht weit von der Klinik entfernt. Geändert hat sich nichts, das Wasser ist immer noch kalt und nachts frieren
wir, weil es durch die undichten Fensterrahmen zieht. Aber sonst ist es sehr sauber. Gegen abend treffen wir uns bei Anatol Josan mit dem Bürgermeister des Dorfes, das wir im Mai besucht haben. Mit Tränen in den
Augen bedankt er sich für die große Hilfe. Am Dienstag heißt es früh aufstehen, wir haben volles Programm. Nelia, die Kardiologin der Kinderklinik holt uns zum Frühstück ab. Anschließend machen wir einen
Rundgang durch die verschiedenen Abteilungen. In Nelias Abteilung, einstmals Vorzeigestation, sieht es sehr traurig aus. Nur noch wenige Kinder sind mit ihren Müttern in den Zimmern. Nicht, daß es weniger herzkranke
Kinder gibt, im Gegenteil. Man hat kein Geld für Medikamente oder gar für Operationen. Nicht einmal die Busfahrt hierher kann man sich leisten. Ein Teil dieser Station soll jetzt vor dem Winter geschlossen werden,
weil Heizung und Strom nicht mehr bezahlt werden können. Mittags ab 14.00 Uhr gibt es kein Licht mehr, nicht nur hier in der Kinderklinik sondern auch in anderen Krankenhäusern. Die Operationssäle verfügen meist
über ein Notstromaggregat. Wir übergeben wie jedesmal einen Geldbetrag einer Todtnauer Spenderin an drei sehr arme Mütter mit ihren Kindern. Sie sind überglücklich, jetzt können die notwendigen Medikamente
gekauft werden. In einer anderen Abteilung zeigt man uns fünf schwerbehinderte Waisenkinder aus einem Heim, die alle an Hepatitis (Leberentzündung) erkrankt sind. Der Chefarzt ist sehr traurig, weil er keine
Möglichkeit hat, diese kleinen Patienten zu behandeln. Es fehlt an Geld für die Medikamente. Wir haben natürlich immer eine kleine Reserve dabei, und so wird sofort alles notwendige in der Apotheke bestellt. Die
Kinder strahlen über das ganze Gesicht, als Andrea die mitgebrachten Plüschtierchen verteilt. Auch auf der Infektionsabteilung fehlt es an den notwendigsten Dingen. Dringend bittet man uns um Windeln für die an
Durchfall erkrankten Kinder und natürlich um Waschpulver. Die Waschmittel in Moldavien und Rumänien sind sehr aggressiv, die Kinder bekommen Ausschläge und sind sehr wund. Gerade bringt eine Mutter ein kleines Baby,
natürlich viel zu spät. Das Kind ist wenige Wochen alt und total unterernährt und ausgetrocknet. Die Durchfallerkrankung wird es sicher nicht überstehen. Wir stehen betroffen und machtlos daneben. Der anschließende
Rundgang durch die Abteilungen, die Dank Sponsoren aus Amerika und Japan renoviert werden konnten, kann unsere Stimmung nicht aufhellen, aber wir freuen uns für die kleinen Patienten und das Personal. Dr.
Seremet, der Onkologe und Präsident der Hilfsorganisation "Helft den Armen und Kranken" holt uns pünktlich ab. Wir haben einen Termin beim Oberbürgermeister im Rathaus. Das Gespräch mit diesem Herrn und
verschiedenen Vertretern städtischer Behörden ist bald beendet. Man möchte, daß wir die Hilfsgüter zentral abliefern, und die Verteilung in die Hände dieser Kommissionen geben. Ganz klar und deutlich sagen wir NEIN.
Wenn wir die Verteilung und Kontrolle nicht mehr selbst in der Hand haben, geht der Sinn unserer Hilfe verloren. Übrigens treffen wir zufällig vor dem Rathaus Frau Fusa, die vor Jahren von uns zwei Herzklappen
bekommen hat. Sie ist überglücklich mich zu sehen, ihre zweite "Mutter", wie sie immer sagt. In der Haematologie haben wir noch ein kurzes Gespräch mit dem zuständigen Professor und werden auch schon im
Hörsaal von sehr vielen Menschen, die von uns Hilfe bekommen haben, erwartet. Es ist rührend, wie dankbar diese Leute für alles sind, was wir bringen. Nach einem Gruppenfoto vor der Klinik drängt man schon wieder
zum Aufbruch. Ganz kurz in unserem Quartier Blumen ins Wasser stellen, etwas "auffrischen" (soweit das noch möglich ist bei dem strengen Programm), und schon geht es zum nächsten Termin in die Klinik Nr.4.
Dr. Noroc freut sich uns zu sehen und bedankt sich für die Hilfslieferung vom Mai und September. Wir beabsichtigen noch, vor dem Rundgang durch die Klinik auf die Personaltoilette zu gehen. ...Ich glaube, wir müssen
doch nicht so dringend, wie muß erst das Patienten-WC aussehen?..... In der Klinik bieten sich Anblicke, die wir schon kennen, es hat sich nichts geändert. Andrea und Uschi sind sichtlich schockiert. Die beiden sind
zum erstenmal hier. Essensausgabe aus Blecheimern in Blechnäpfe, dünner Grießbrei und irgendein Kompott. Man zeigt uns einen schwerkranken jungen Mann, der mit fiebrigen Augen schwer atmend im Bett liegt. Seine
Mutter steht hilflos daneben. Er hat beidseitige Lungenentzündung, es gibt kein Geld für Medikamente. Bedrückt verlassen wir den Raum. 1.500,00 DM fehlen, um diesem Menschen zu helfen. In fast allen Zimmern sehen
wir zu unserer Freude die gespendete Bettwäsche der Bundeswehr, die vor einer Woche angekommen ist, sogar als Tischtuch werden die Leintücher verwendet. Nun trennen sich unsere Wege. Andrea und ich begeben uns zu
Caritas Moldova, Uschi, Gusti und Gunther verbringen den Abend mit Dr. Seremet und Dr. Noroc. Es geht leider nicht anders, weil die Zeit unseres Aufenthaltes diesmal viel kürzer ist. Fast alle Paten warten bei
Caritas schon auf uns und natürlich auf die Briefe von Herrn Wunderle und von anderen Patenfamilien. Wir machen ein paar Fotos, und schon wieder drängt man zum nächsten Termin. Wir treffen uns bei einem Freund von
Herrn Nadkrenitschnyi, dem Caritasdirektor, zum Abendessen. Ich freue mich sehr, Herrn Ahlbrecht von der Deutschen Botschaft und seine reizende Frau dort begrüßen zu können. Die Zeit hätte nicht gereicht bei der
Botschaft einen Besuch zu machen. Zu kurz ist die Nacht, schon wieder ist früh am nächsten Morgen Programm angesagt. Doch das mit der Körperpflege hat sich sowieso dank dem kalten Wasser ruckzuck erledigt, und
so können Langschläfer etwas länger liegen bleiben. Dr. Seremet holt uns ab, und wir fahren zu einer Klinik, die wir noch nie gesehen haben, der Klinik Nr. 1. Hier erfahren wir vom Klinikdirektor, daß Herr Dr.
Seremet einen Teil der von uns gebrachten Medikamente und Krankenhausbedarf an diese Klinik weitergibt. Wir besichtigen eine Station und lehnen dankend eine weitere Führung ab. Irgendwann ist das Maß voll und man
kann nicht mehr. Auch machen uns die penetranten Gerüche, die teils aus undichten Abwasserrohren und teils aus der allmählich zerfallenden Substanz der Gebäude herrühren, zu schaffen. Die Kunststoffbeläge des
Fußbodens in den Krankenzimmern und auf dem Flur lösen sich in Einzelteile auf. Infusionsständer sind aus einfachen Holzbengeln gezimmert. Ich finde keinen Ausdruck für den Zustand der hier zu sehenden Matratzen.
Ich frage den Arzt " bekommen die Patienten hier zu essen?", "Ja natürlich, aber meist eine Suppe aus in Wasser gekochten Rüben". Ohne die zusätzliche Versorgung durch die Verwandtschaft kann man
hier nicht gesund werden. Immer wieder geht uns allen ein Gedanke durch den Kopf, ja hier nicht krank zu werden oder einen Unfall zu haben. Auf dem Weg in Richtung Ausgang kommen wir noch an einem Schwesternzimmer
vorbei, wo wir zwei volle Plastikbehälter mit benutzten Einmalspritzen entdecken. Natürlich werden diese in Anbetracht der großen Not wiederverwendet. Der Chefgynäkologe, mit dem wir noch ein Gläschen auf seinen
Geburtstag trinken, ist entsetzt über die Gesetzgebung, was die Mindesthaltbarkeit eingeführter Medikamentenspenden anbelangt. Er berichtet uns, daß alle Ärzte und das gesamte Klinikpersonal in Moldavien seit Juni
keinen Lohn mehr bekommen haben. Andrea füttert im Park der Klinik noch ein paar junge Hunde mit ihren Reispuffern. Da sie schon als Kleinkind mit Haustieren aufgewachsen ist, kann sie auch nicht die Augen vor
der Not der heimatlosen und hungernden Tiere verschließen. Das Altenheim von Chisinau, oder besser gesagt eines der Altenheime, wollen wir jetzt besuchen. Beim Septembertransport war einiges für dieses Haus
bestimmt, und nun bekommen wir ein herzliches Dankeschön. Eine große und freudige Überraschung können wir mit dem beachtlichen Geldbetrag eines Spenders aus unserer Region bereiten. "Endlich können wir noch vor
dem Winter kaputte Fenster und Türen reparieren, damit nicht soviel Wärme verloren geht". Ein Herzenswunsch ist in Erfüllung gegangen, der allen Heimbewohnern zugute kommt. Auf der Heimfahrt machen wir noch
einen Abstecher in ein staatliches Kinderheim, welches auch schon einiges an Hilfsgütern durch Dr. Seremet von uns erhalten hat. Wir interessieren uns besonders für die Möglichkeiten von Adoptionen nach Deutschland.
Gut Ding will Weile haben, wir bleiben, trotz der spärlichen Auskunft bis jetzt, am Ball. Die Hilfsorganisation von Dr. Seremet lädt uns zum Abschiedsessen ein. In einem Raum einer Schule ist ein wunderschöner
Tisch gedeckt, die Speisen wurden von den Damen der Hilfsorganisation vorbereitet. Natürlich werden wieder viele Ansprachen gehalten, das ist hier so üblich. Was mich aber besonders beeindruckt und nachdenklich
stimmt, sind die Worte von Dr. Seremet "Ihr könnt uns nicht verstehen, wir leben von einem Tag auf den anderen, mit nichts in den Händen, das Morgen kann unseren Untergang bedeuten oder einen neuen Anfang. Wir
wissen nichts. Versteht ihr, warum wir Euch, unseren lieben Freunden, solch einen Tisch bereiten? Wir haben nichts zu verlieren, geben aber alles, was wir können, auch wenn wir es nicht haben. Nein, Ihr könnt uns
nicht verstehen." Diese Worte machen uns betroffen. Wie würde die Welt aussehen, wenn alle Menschen, die alles haben einen Teil an die Bedürftigen abgeben würden? Abschiednehmen am nächsten Morgen, alle
unsere lieben Freunde sind da. Ich habe ein wenig Angst vor der langen Rückreise. Es ist viel einfacher in ein Flugzeug zu steigen und sechs Stunden später wieder Zuhause zu sein. Wir haben viel erlebt und viel
gesehen, man muß das ganze erst verarbeiten. Egal, auf unsere Seele können wir im Moment noch keine Rücksicht nehmen, unser "Wölfchen" muß noch heil nach Hause gebracht werden. Doch zuvor sind wir noch zum
Frühstück bei unserem Schirmherren Metropolit Vladimir eingeladen. "Ich weiß, daß Sie Pater Joan mehr in Ihr Herz geschlossen haben als mich", sagt er am Tisch. "Das stimmt nicht, wir haben einfach
mehr Gelegenheit mit Pater Joan in Kontakt zu treten, als mit Eurer Eminenz", gebe ich zur Antwort. Jetzt ist es aber endgültig an der Zeit aufzubrechen, Pfarrer Petrisor in Talpa erwartet uns ab 14.00 Uhr.
Nun muß ich gezwungenermaßen wieder auf die vorher erwähnte Grenze zurückkommen, an der wir nun stehen. Ein moldavischer Vorposten registriert erst mal unsre Pässe und das Auto. Dann stehen wir und man läßt uns
unendlich viel Zeit zum Beobachten, zum Schlafen oder zum Gummibärchen naschen. Wir amüsieren uns köstlich wegen einer Frau, die eine übergroße Trainingshose trägt. Ewig ist sie am Schieben und Zurechtrücken.
Natürlich ist die Hose voll mit Zigaretten, die sie nach Rumänien schmuggeln möchte. An einem großen Ziehbrunnen können die Wartenden Wasser zum Trinken schöpfen, es ist sogar eine Tasse da. Doch bei der
Beobachtung, wie ein junger Soldat aus der Tasse trinkt und einen Teil wieder in den Brunnen spuckt, verzichten wir lieber auf das kühle Naß. Endlich geht es weiter. Vor einem Gebäude noch auf der moldavischen Seite
steigt Gunther mit Gusti aus um Papiere zu erledigen. Alles ist registriert in dem modernen mit Computer ausgestatteten Büro. Es wurde festgehalten, daß wir am 06.10. ohne die Straßengebühr zu bezahlen nach
Moldavien eingereist sind. Natürlich erledigen wir das Versäumnis und hoffen bald wieder fahren zu können. Die Waschanlage zur Desinfektion der aus Moldavien kommenden Fahrzeuge besteht an der rumänischen Seite
dieser Grenze aus einem Mann mit einem Kanister auf dem Rücken. Er besprüht die Reifen mit einer stinkenden Brühe, und dafür muß man bezahlen. Wir kommen durch ein Mißgeschick, eben dieses Mannes, um diese Prozedur
der Reifenwäsche herum, haben allerdings schon bezahlt (immerhin 7.-DM), was aber jetzt auch keine Rolle mehr spielt. Die rumänische Grenzpolizei prüft unsere Pässe und die Autopapiere und bemängelt, daß wir vom
Verein keine Vollmacht haben, mit "Wölfchen" unterwegs zu sein. Endlich kapiert der Beamte, daß ich als Vorsitzende berechtigt bin, das vereinseigene Auto zu bewegen. Nun warten wir und warten auf die
rumänischen Zollbeamten. Es laufen genügend dieser Grenzbeamten herum, meistens mit den Händen bis zum Ellbogen in den Hosentaschen. Es geschieht nichts, man läßt uns einfach stehen. Gusti ist schon ganz nervös und
erkundigt sich, ob wohl ein Streik sei. Nein, wir warten ohne ersichtlichen Grund. Irgendwann kommt noch einmal der Grenzpolizist vorbei und wundert sich, warum wir immer noch da stehen. Er nimmt sich einen
Zollbeamten vor und meint, "müssen wir uns nicht schämen, das sind Ausländer und wir wollen doch in die EU". Schnell werden wir nun abgefertigt, ohne unser Paket mit "Verschiedenem" aufmachen zu
müssen. Fast vier Stunden haben wir für diesen Grenzübertritt gebraucht. Klein aber fein? Nein, das ist ganz bestimmt nichts für einen Konvoi mit mehreren LKW. Es gelingt uns einfach nicht den Pfarrer von Talpa
per Handy zu erreichen. Natürlich wird es nun nichts mehr mit unserer Verabredung. Ein wenig enttäuscht ist er schon, als wir gegen Abend bei ihm eintreffen. Wir trinken zusammen ein Gläschen neuen Wein und brechen
auch gleich wieder auf, wir werden noch zum Nachtessen bei Freunden erwartet. Ein langer , anstrengender Tag ist zu Ende. Bei Gusti zu Hause spüren wir schon ein wenig Heimat. Noch eine Station, unsere
Abladestelle in Bistritz beim Krankenhaus und beim Forum, zu der wir am nächsten Morgen aufbrechen, ist unser Ziel. Herr Dr. Suteu erwartet uns schon am Eingang des Krankenhauses und fragt, ob wir einen Rundgang
machen möchten. Wir lehnen dankend ab, unser Bedarf an Besichtigungen ist reichlich gedeckt. Man muß das Gesehene schließlich noch verarbeiten. Nach einem Essen in der Klinik begeben wir uns zu dem
Deutsch-Rumänischen Forum. Der sich anschließende Spaziergang durch Bistritz tut uns allen gut. Dana Suteu, bei der wir immer übernachten, hatte eine tolle Idee. Sie führt uns auf eine alten zentral gelegenen
Friedhof, wo man an Hand der Grabsteininschriften Geschichte lesen kann. Wir werden in eine Welt entrückt, in der noch der Spenglermeister soundso und die Hutmacherin soundso in dieser Stadt gelebt haben. Wie
vergänglich ist doch alles in diesem Leben und wie friedvoll kann ein solcher Ort sein. Wir schöpfen hier viel Ruhe und neue Kraft für unser Tun, für die Menschen, die heute hier sind und unsere Hilfe brauchen.
Lediglich eine reale Grenze zwischen Rumänien und Ungarn ist noch zu überwinden, dann sind wir auf dem Weg nach Hause. Auch hier müssen wir trotz aller Befürchtungen (vor uns muß ein PKW total ausgeräumt werden),
keine intensive Kontrolle über uns ergehen lassen, auch den Karton mit "Verschiedenem" können wir hier nicht los werden. Noch eine Übernachtung in dem vorbestellten Motel, diesmal findet keine Hochzeit
statt, und nach einer erholsamen Nachtruhe geht es in Richtung Heimat. Die Stunden während der Fahrt scheinen viel länger zu sein als auf dem Hinweg, wir können es kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Wie zu
Beginn schon angedeutet, sah alles nach einer "Auswanderung" aus. Aber das war es nicht, wir konnten uns bei dieser Reise über die ordnungsgemäße Verwendung der überbrachten Hilfsgüter überzeugen und
gleichzeitig uns über den zukünftigen Bedarf informieren. Die Wiedersehensfreude mit der Familie ist groß, und die Dankbarkeit für die gesunde Heimkehr kommt von Herzen. Aber in unseren Gedanken bleiben all die
Menschen, die wir in ihrer Armut und Not zurückgelassen haben. Notgedrungen zurückgelassen, aber nicht verlassen und nicht vergessen. November 2000
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