Wie lange, schätzen Sie, hat wohl der kürzeste Monat aller
Kalendersysteme gedauert? Genau 2 Tage. Und zwar war es der 12. Monat des
5. Jahres des Kaisers Meiji, der letzte des alten japanischen Kalenders.
Denn am 3. Tage dieses 12. Monats oder am 1. Januar 1873 n. Chr. wurde
in Japan unser moderner, heutiger Kalender eingeführt. Und ohne große
Bedenken ließ die japanische Regierung dem letzten Monat des erloschenen
Kalenders nur noch 2 Tage -- ein recht radikaler Prozeß der Neueinführung.
Radikal vor allem, wenn man die lange und ehrwürdige Tradition
des japanischen und auch des chinesischen Kalenders betrachtet. Beide sind
einander außerordentlich ähnlich und unterscheiden sich fast
nur in den Namen der einzelnen Elemente. Ihr hervorstechendstes Merkmal
bildete der klare Aufbau. Kaum ein anderer Kalender der Welt war so streng
astronomisch ausgerichtet wie gerade der der Chinesen und Japaner.
Die gelbe Bahn
Das zeigt sich z.B. recht deutlich an der Bezeichnung der Jahreszeiten.
Bei den Chinesen wurden sie nicht wie bei vielen anderen Völkern nach
Erscheinungen in der Natur wie Aussaat, Ernte oder Trockenheit bezeichnet,
sondern ganz allein nach der scheinbaren Bewegung der Sonne am Himmel.
Bewegung der Sonne?? Das hört sich zunächst sicher etwas eigenartig
an, da doch die Erde in einem Jahr um die Sonne herumläuft. Wirklich
sehen könnte man das aber nur, wenn man Sonne und Erde von ferne betrachtet.
Wir sind dagegen auf der Erde festgehalten, und wenn wir nun zur Sonne
schauen, ergibt sich eine ähnliche Erscheinung wie bei einer Zugfahrt.
Unbefangen könnte man dort ja bisweilen der Meinung sein, nicht der
Zug, sondern die Landschaft fahre rückwärts vorbei. Und etwas
Ähnliches meinen wir von der Sonne. Wir haben den Eindruck, sie würde
sich an den Sternen vorbeibewegen, und man nennt die Bahn, auf der sie
sich scheinbar (!) bewegt, die ,,Ekliptik" (Bild 5).
In einem Jahr beschreibt sie so einen vollen Kreis um die Erde herum,
d.h. 360 Grad. Seit Urzeiten teilt man nun die Ekliptik in 12 gleiche Teilbereiche
ein, von denen also jeder 360 / 12 = 30 Grad lang ist, und nennt die so
entstehenden Bahnstücke die Tierkreiszeichen. Das sind z.B - Widder,
Stier, Zwillinge, Krebs usw., die man auch und vor allem im Horoskop findet.
Eine ganz ähnliche Einteilung der Ekliptik in 12 sogenannte „kung“
finden wir bei den Chinesen, die die Ekliptik als „gelbe Bahn“ bezeichneten.
Ein Unterschied bestand nur darin, daß das erste Zeichen nicht wie
bei uns der Widder war, sondern die Zählung 30 Grad davor, bei den
Fischen begann. Folgende kleine Tabelle zeigt das etwas deutlicher (Bild
6):
Die Mondmonate
Auch bei den Monaten zeigt sich wieder die streng mathematische Auffassung
der Chinesen vom Kalenderwesen. Sie kannten deren 12, gaben ihnen aber
keine Namen, sondern bezeichneten sie lediglich als den 2., 3., 4., 5.
usw. Monat. Nur der 1. bildete eine Ausnahme: Er hieß der „geweihte
Mond“. Man sollte nun meinen, daß es nahegelegen hätte, die
Länge des Jahres auf diese 12 Monate aufzuteilen, und zwar möglichst
gleichmäßig. Dann hätte sich das Jahr natürlich nur
nach dem Sonnenlauf gerichtet. Doch das wollten die chinesischen Astronomen
gerade vermeiden. Für sie spielte auch der Mond eine sehr wichtige
Rolle.
Jeder Monat begann mit dem Tag, in dessen Verlauf ein Neumond am Himmel
eintrat. Da von einem bis zum anderen Neumond rund 29 1/2 Tage verstreichen,
mußten diese Mondmonate also entweder 29 oder 30 Tage lang sein.
Wie lange nun genau -- das bestimmten viele andere Völker, die ebenfalls
ihre Zeit nach dem Mondlauf rechneten, mit verkürzten, vereinfachenden
Verfahren. Nicht so die Chinesen; auch hier triumphierte wieder die exakte
Sternkunde, denn die Anfänge der einzelnen Monate und ihre Dauer wurden
nach genauen astronomischen Tafeln berechnet. Mit solchen Tafeln aber war
es in China ursprünglich nicht gut bestellt, und als die ersten Jesuitenpater
im 16. Jahrhundert in das Reich der Mitte kamen, fanden sie das Kalenderwesen
in ziemlicher Unordnung. Aber sie brachten aus Europa neue und gute Tafeln
für die Mondbewegung mit und konnten deshalb durch exakte Studien
den Kalender wieder in Gang bringen. Einer dieser Missionare, der deutsche
Pater JOHANN ADAM SCHALL VON BELL wurde sogar für seine Hilfe bei
der Kalenderberechnung zum höchsten Beamten des chinesischen Kaiserreiches,
zum „Präsidenten der kaiserlichen Kanzlei“ ernannt. Keinem anderen
Deutschen ist jemals eine solche Ehre im Reich der Mitte zuteil geworden.
Der namenlose Monat
Obwohl sich die Monate nach dem Lauf des Mondes richteten, wollten die
Chinesen trotzdem nicht auf eine Verbindung mit dem Jahr, also dem Sonnenlauf
verzichten. Da sie sowohl Mond- als auch Sonnenbewegung miteinander kombinierten,
lag ihrem Kalender das Lunisolarjahr zugrunde. Eine derartige Jahrform
finden wir auch bei anderen Völkern; aber die Methode, mit der die
Chinesen Mond- und Sonnenlauf kombinierten, steht einzigartig unter den
Kalendersystemen der Völker dar.
Betrachten wir dazu einmal die nachstehende Zeichnung (Bild 7).
Neumonde Sonneneintritte Monatsanfänge in am 25. 1.63 22Uhr 1. Monat 25. 1.63 hai 19. 2.63 24. 2.63 10Uhr 2. Monat 24. 2.63 siü 21. 3.63 25. 3.63 20Uhr 3. Monat 25. 3.63 yeu 20. 4.63 24. 4.63 4Uhr 4. Monat 24. 4.63 schin 22. 5.63 23. 5.63 12Uhr SCHALTMONAT 23. 5.63 KEIN EINTRITT 21. 6.63 20Uhr 5. Monat 21. 6.63 wei 22. 6.63 21. 7.63 5Uhr 6. Monat 21. 7.63 ngu 24. 7.63 19. 8.63 l6Uhr 7. Monat 19. 8.63 sze 24. 8.63 18. 9.63 5Uhr 8. Monat 18. 9.63 schin 24. 9.63 17.10.63 21Uhr 9. Monat 17.10.63 mao 24.10.63 16.11.63 l5Uhr 10. Monat 16.11.63 yin 23.11.63 16.12.63 20Uhr 11. Monat 16.12.63 tscheu 22.12.63 15. 1.64 5Uhr 12. Monat 15. 1.64 tse 21. 1.64 13. 2.64 20Uhr 1. Monat 13. 2.64 hai 19. 2.64Links sind die Neumonde angegeben in der für China gültigen Uhrzeit. Daneben stehen die Eintritte der Sonne in die entsprechenden Zeichen, wobei sie jedesmal auf Lücke gesetzt sind, um anzudeuten, daß die Sonne im Laufe des Monats das neue Zeichen erreicht. Tut sie das nicht, so ergibt sich (in unserem Beispiel im Anschluß an den vierten Monat) ein Schaltmonat.
Angehängt wurden dann an diese 12 X 30 = 360 Tage noch 5 Zusatztage,
die sogenannten Epagomenen. Damit war das altägyptische Jahr fertig,
klarer und übersichtlicher aufgebaut als jeder andere Kalender des
Alter-tums.
Das wandernde Jahr
Jahrtausende lang galt dieser Kalender in Ägypten. Das tatsächliche
Sonnenjahr aber ist um rund einen viertel Tag länger, und deshalb
verschoben sich natürlich im Laufe der Zeit Überschwemmung, Saat
und Ernte immer weiter nach vorne (vgl. Einleitung). 1300 v.Chr., zur Zeit
des berühmten Pharao RAMSES II, begann die Überschwemmungszeit
mit dem ersten Monat Thoth, 500 Jahre später aber bereits im
Tybi und noch 500 Jahre später, im 3. Jahrhundert v. Chr.,
mit dem Monat Pachon. Nach 1461 ägyptischen Jahren hatte der
Zeitpunkt der Nilüberschwemmungen einmal den gesamten Kalender durchlaufen.
Natürlich blieb den Ägyptern diese Verschiebung nicht verborgen,
doch sie störte sie wenig. Es gab nämlich einen Himmelskörper,
der ihnen auch ohne komplizierte Schaltregeln immer andeutete, wann die
lebenswichtige Überschwemmung eintrat. Dieser wichtige Stern war der
hellste Fixstern des Himmels, der Sirius.
Sirius, der Hundsstern
Die heißen Tage im Monat August nennen wir bei uns auch die Hundstage.
Um diese Zeit erscheint früh morgens in der Dämmerung zum ersten
Mal nach Monaten der Unsichtbarkeit der Stern Sirius, der hellste Stern
des Himmels im Sternbild des Großen Hundes. Die Monate davor zog
er unsichtbar mit der Sonne über den Tageshimmel. Doch die Sonne bewegt
sich
ja langsam weiter und so wird auch der Abstand zum Sirius langsam größer.
Schließlich ist er so groß, daß man den Sirius zum ersten
Mal wieder kurz vor Sonnenaufgang in der Morgendämmerung sehen kann.
Man nennt diesen Zeitpunkt übrigens den „heliakischen Aufgang“ (Bild
9).
Er erfolgt in Ägypten in der Jetztzeit ungefähr am 4. August. In den Wochen danach geht Sirius immer früher auf und läßt sich dadurch natürlich immer besser beobachten. In den Jahrtausenden v.Chr. aber erfolgte sein heliakischer Aufgang bereits um den 17., 18. Juli herum -- d.h. beinahe gleichzeitig mit dem ersten Steigen der Nilflut. Der Sirius eignete sich darum ganz vorzüglich zur Vorhersage der lebenswichtigen Überschwemmung. Wenn er zum ersten Mal nach langer Pause sein Licht über die Wüstengebiete glitzern ließ, kündigte sich die neue Flut des mächtigen Flusses an. Warum sollte man also den Kalender reformieren, wenn so ein wunderbarer Wegweiser am Himmel stand? Als König PTOLEMÄUS III EUERGETES dann schließlich doch sein Dekret 238 v. Chr. erließ, mußte er beinahe zwangsläufig damit scheitern. Schon sein Nachfolger setzte es nach wenigen Jahren außer Kraft, und das Kalenderjahr enthielt wieder gleichbleibend 365 Tage. Doch ganz umsonst war das Dekret von Canopus nicht, denn JULIUS CÄSAR benutzte es vermutlich, um daraus die Grundlagen für unseren heutigen Kalender zu formen.