Löpa Berlin: Linksökologische pazifistische Anarchisten

Rio Reiser (1950-1996)

 
Rio Reiser jung

 

Rio Reiser ist am 9. Januar 1950 als Ralph Möbius in Berlin geboren worden. Er hat zwei ältere Brüder, Gert und Peter. Nicht lange nach seiner Geburt ist seine Familie nach Süddeutschland gezogen, weil sein Vater dort einen Job bei Siemens bekommen hat. Sie sind noch einige Male umgezogen, bis sie dann für ein paar Jahre nach Nürnberg und dann nach Niederroden, ein Dorf in der Nähe von Frankfurt (am Main) gezogen sind. Rio hat die Prüfung zur Oberschule bestanden und ist in Nürnberg aufs Melanchton Gymnasium, das als bestes der Stadt galt, gekommen. Ihm hat Schule nie Spaß gemacht und er war in vielen Fächern schlecht. Nur Musik und Religion haben ihm Spaß gemacht. Er begann früh, sich für Religion zu interessieren und die Bibel zu lesen. Ihn haben die Ungereimtheiten gewundert und seine erste Frage im Religionsunterricht war, warum es in diesem christlich regierten Deutschland eine Bundeswehr gäbe, wenn doch in der Bibel steht, dass mensch nicht töten soll.

Seine beiden Brüder Gert und Peter begannen, sich für Kunst zu interessieren und gingen in die Nürnberger Jazzkeller, wo Rio auch manchmal mit ging. Künstlerparties wurden bei ihnen zu Hause gefeiert und alternative Politik wurde diskutiert. Einige FreundInnen wurden ständig von der Polizei überwacht und irgendwann wurden auch Rio und seine Brüder immer von einem Streifenwagen nach Hause begleitet und das Telefon abgehört. Rio war begeistert von den ersten Songs der Beatles und später den Rolling Stones. Er spielte Klavier und fing an, Gitarre spielen zu lernen. Da es nirgendwo Beatles oder Stones-Notenbücher zu kaufen gab, fing er an, die Lieder nach dem Gehör nachzuspielen. Als die Familie 1965 nach Niederroden umzieht, bleiben Gert und Peter in Nürnberg. Rio entscheidet sich, nicht mehr zur Schule zu gehen. Seine Eltern meinen erst, dass er mit 15 Jahren noch zu jung ist, die Schule abzubrechen, aber er überzeugt sie schnell und fängt eine Lehre als Fotograf an, die er aber recht bald wieder abbricht, da er sich der Musik verschrieben hat und Musiker werden will. Er findet auch recht schnell eine Band, die ihn als Sänger und Gitarristen aufnimmt. Im Partykeller seines Hauses wird geprobt und unter der Dorfjugend werden sie recht schnell bekannt. Das ist auch die Zeit, in der ihm klar wird, dass er sich mehr für Jungen interessiert als für Mädchen. Er verliebt sich, aber die Chance verpatzen er und der andere Junge, da sie beide zu schüchtern und unerfahren waren.

Seine Brüder Gert und Peter haben sich dem Theater verschrieben und wollen mit einem mobilen Theater übers Land fahren und in den Dörfern, wo die Menschen konservativer waren, Theater spielen, um die Menschen zu verändern. Rio schreibt für das Theater die Musik und fährt manchmal nach Nürnberg, wo seine Brüder proben und alles vorbereiten. Nach der Tour übers Land gehen Gert und Peter nach West-Berlin. Sie erkennen schnell ihre Chancen in der "Theaterhauptstadt" und bestellen Rio nach Berlin. Er mag die Stadt zu Anfang nicht, bis er eines Tages nach Kreuzberg geht. Das ist nicht Berlin, das ist Kreuzberg. Seine Brüder jedenfalls haben die Idee einer Beatoper, der ersten Beatoper der Welt. Rio soll die Musik dazu schreiben und den ganzen musikalischen Teil übernehmen. Nachdem die ganzen formellen Dinge erledigt sind und ein Aufführungsort gefunden ist, beginnen die Proben. Die Beatoper wird jedoch kein Erfolg.

Danach gründen die Brüder mit ein paar anderen Leuten das "Hoffmann Comics Teater" (ohne "h"). Sie leben zusammen in einer Wohngemeinschaft und arbeiten zusammen an Masken und Stücken und treten in Jugendklubs auf. Sie machen stets Theater, das aus dem Leben der einfachen Menschen gegriffen ist, zum Beispiel eine Szene im Betrieb. Nachdem sie fertig sind, ermutigen sie das Publikum immer, sich die Masken zu nehmen und selbst mal etwas aus ihrem Leben zu spielen. Sie haben großen Erfolg damit und reisen auch noch mal durch Deutschland und treten an verschiedenen Orten auf. Sie entscheiden sich dann, ganz normales Straßentheater zu machen, ganz ohne Bühne und ganz ohne viele Vorbereitungen. Sie nehmen zum Beispiel eine Meldung aus der aktuellen Zeitung, überlegen sich eine Szene, gehen mit ihren Masken irgendwo auf die Straße, wo viele Leute sind, und spielen diese Szene. Die ZuschauerInnen erkennen das richtige Leben normalerweise hinter der Szene, fangen an zu diskutieren oder auch ihre eigenen Dinge zu spielen, und schon ist das Ziel erreicht. Rio hatte sich aber nun mal der Musik verschrieben und träumt nach wie vor von einer eigenen Band.

Er schreibt viele Lieder und eines Tages sagt ihm jemand, er solle doch mal Marijuana rauchen, dann würde er auch bessere Musik schreiben. Er hat sich dann mit Freunden verabredet und seinen ersten Joint geraucht. Das war für ihn, "als wenn jemand einen Schleier wegzieht, alles ist so deutlich, der ganze Wahnsinn der Welt so offensichtlich". Für ihn war das Marijuana rauchen nicht, wie viele sagen, eine Flucht aus der Wirklichkeit, sondern eine Konfrontation mit der Wirklichkeit, "eine Möglichkeit, sich mit der Welt auseinander zu setzen". Er steigt aus "Hoffmann's Comics Teater" aus. Er will seine eigene Band. 1970 gründet er mit größtenteils Leuten aus dem Comics Teater die Band "Ton Steine Scherben". Im gleichen Jahr wird die erste Platte veröffentlicht, "Warum geht es mir so dreckig".

Im September des gleichen Jahres werden die Scherben zum "Festival der Liebe" auf der Insel Fehmarn eingeladen. Das Festival war sehr schlecht organisiert, es gab nicht genug zu trinken und zu essen und viele Bands kamen nicht. Außerdem gab es keine Toiletten und auch das Wetter war schlecht. Die Stimmung war sehr schlecht und dann sind die Scherben aufgetreten. Mit ihren Liedern "Solidarität" und "Wir streiken" eroberten sie das wütende Publikum. Als sie die beiden Lieder gespielt hatten, erfuhren sie, dass sich der Veranstalter gerade mit all dem Geld aus dem Staub gemacht hat. Rio Reiser hat das der Menge erzählt und hat gesagt: "Hau'n wir doch den Veranstalter ungespitzt in den Boden!" Dann haben die Scherben ihr Lied "Macht kaputt, was euch kaputt macht" gespielt. Am Ende des Stückes stand das Veranstaltungsbüro in Flammen. Die Scherben haben ihre Instrumente eingepackt, habe die Bühne verlassen und kurze Zeit später ging auch die in Flammen auf. Nach dem Auftritt waren die Ton Steine Scherben in der linken Szene bekannt. In Kreuzberg stand ein großes Haus am Bethaniendamm leer. Es sollte nun abgerissen werden, aber Rio Reiser und einige Freunde haben sich überlegt, dass mensch dort doch etwas wie ein selbstbestimmtes Jugendzentrum aufmachen könnte. So haben sie Leute mobilisiert und eines nachts nach einem Konzert sind sie alle dorthin gegangen und haben sich in dem Haus niedergelassen. Kurze Zeit später haben sie dann einen Teil eines ehemaligen Krankenhauses gleich am Mariannenplatz besetzt. Es wurde das Rauch-Haus genannt, nach Georg Rauch, der von der Polizei bei seiner Verhaftung erschossen wurde. Nach dem Haus hat Rio Reiser auch den Rauch-Haus-Song geschrieben. Die Polizei kam mit Hundertschaften und alle Anwohner um den Mariannenplatz konnten ihre Häuser für einen Tag nicht verlassen. Das Haus konnte nicht geräumt werden, denn es war von außen uneinnehmbar. Irgendwann mussten die Polizisten aufgeben und sind abgehauen. Das war die Geburt der Hausbesetzungen. In den nächsten Jahren haben sich die Scherben vor ihren Konzerten immer zusammengesetzt und überlegt, was an dem Ort, wo sie als nächstes auftreten, fehlt, und wo vielleicht ein Haus leer steht. Nach den meisten Konzerten haben sie dann Diskussionen mit dem Publikum angefangen und vorgeschlagen, nach dem Konzert zusammen zu dem leeren Haus zu gehen und es zu besetzen. Sei es für einen Jugendklub oder ein selbstbestimmtes Theater oder Proberäume für Bands oder was auch immer. Ton Steine Scherben waren die Hausbesetzerband.

Auch die RAF ist auf die Scherben aufmerksam geworden und hat ein Lied bei Rio Reiser "bestellt". Es sollte ein Lied sein, das die Leute schreiend aus den Häusern laufen lässt, um den Kampf gegen die imperialistischen Paläste zu wagen. Rio hat darauf das Lied "Keine Macht für Niemand" geschrieben. Es wurde allerdings von der obersten Kommandoebene der RAF als "politischer Blödsinn und für den anti- imperialistischen Kampf unbrauchbar" abgetan. Die Scherben haben es dennoch veröffentlicht, denn es hat ihnen gut gefallen. Rio Reiser war nie wirklich Sympathisant der RAF. Die Meinungen in der linken Szene gingen weit auseinander, wenn es um Menschenleben ging. Wie Rio in seiner Autobiographie schreibt, war ihm das Argument, dass wenn bei einem Anschlag eine Putzfrau getötet wird, sie dann eben nicht für die Regierung hätte arbeiten sollen, etwas dünn. Er war nie dafür, Menschenleben aufs Spiel zu setzen. Seine Devise war, Menschen in ihrer Denkweise zu verändern, sie zum Nachdenken zu bringen. Er sprach in seiner Musik vielen Menschen aus dem Herzen. Er traf den Nerv einer von Frust geladenen Generation, die ohne Ziel und ohne Perspektive auf ein besseres Leben jeden Tag einer Arbeit nachgeht, die ihr nicht gefällt.

1974 entschieden sich die Scherben, auf einen Bauernhof zu ziehen. Es gab kein Geld, aber irgendwie haben sie es geschafft, genug aufzutreiben, um einen alten, verfallenen Bauernhof in dem Dorf Fresenhagen in Schleswig-Holstein zu kaufen und am 1. Juni 1975 sind sie dort eingezogen. Rio ist noch ein paar Mal für kurze Zeit zurück nach Berlin gegangen, aber dann ist er in Fresenhagen geblieben, bis er am 26. August 1996 mit 46 Jahren ganz unerwartet an inneren Blutungen starb. Die Ton Steine Scherben haben noch bis 1985 weiter zusammen Musik gemacht, aber Rio Reiser ist bereits 1983 das erste Mal solo aufgetreten. Er hat auch nachdem sich die Band aufgelöst hat, noch weiter Musik gemacht und ist, was er vorher nie geschafft hat, 1986 mit seinem Lied "König von Deutschland" in die Hitparaden gekommen und wurde somit zum ersten Mal in seinem Leben einem breiteren Publikum bekannt.

Rio Reiser hat außer der Musik mit den Scherben und solo auch Kindermusik, Filmmusik und Theatermusik geschrieben. Außerdem hat er in seinem Leben in acht Filmen mitgespielt. Seine erste Filmrolle war in dem Film "Johnny West" (1977) und seine letzte hat er in dem Film "Die Gang" (1996) gespielt. Rio Reiser war eine Kultfigur der linken Szene in Deutschland und er ist es noch immer. Seine Lieder werden noch heute von vielen Bands gecovert und immer wieder von Menschen aller Generationen gerne gehört und wiederentdeckt.

Rio Reiser lebt in unseren Herzen!

weitere Informationen über Rio Reiser:
Ein Nachruf von uns für Rio
RioLyrics tolle Seite mit allen Texten und vielen Artikeln etc.
Ton Steine Scherben (Rio Reisers Band)
das Rio Reiser Haus e.V.
eine der ersten Rio Reiser Fanseiten (die uns auch das Bild zur Verfügung gestellt hat)

 
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Diese Seite wurde zuletzt am 21.03.2004 aktualisiert.
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