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Rechnen mit Licht

Informationsverarbeitung und Elektronik scheinen heutzutage noch weitgehend synonym zu sein. Eine junge Wissenschaft, die Photonik, macht aber sich seit etwa zehn Jahren daran, Information nicht durch Elektronen, sondern durch Lichtquanten, also Photonen, zu verarbeiten. Dabei werden einige Rollen neu verteilt. Die Position des Mikroprozessors könnte von sogenannten photonischen Kristalle besetzt werden. Die gewünschten Eigenschaften des idealen Kandidaten stehen zum großen Teil bereits fest, nur in welcher chemischen Stoffklasse er schließlich gefunden wird, ist noch lange nicht entschieden. Vielleicht haben kolloidale Systeme aus Polymeren, deren entfernte chemische Verwandtschaft sich in jedem Spülmittel findet, gute Chancen, den Job zu bekommen.

Vor genau fünfzig Jahren, im Februar 1949, beschrieb die Elektrotechnische Zeitschrift eine "Triode aus Halbleitern, die auf einem völlig neuen Prinzip beruht und die in vieler Hinsicht die Funktionen einer normalen Vakuumtriode übernehmen kann" . Dieses Bauteil würde in den USA auch als Transistor bezeichnet, teilte die Zeitschrift noch mit. (Elektrotechnische Zeitschrift, 70. Jahrgang, Heft 2, Seite 66). Seitdem hat die Elektronik unsere Welt verändert.

Während die Elektronik also eine etablierte Technologie ist, finden viele aufregende Entwicklungen heute in der Photonik statt, dem Komplex von Wissensgebieten, die sich mit der Informationsübertragung und -verarbeitung mittels Licht befassen. Gegenüber Elektronen haben Photonen als Informationsträger eine Menge Vorteile. Sie werden zum Beispiel durch die Gitterbestandteile des Mediums kaum beeinflußt. Energieverluste und alle damit verbundenen Nachteile wie Wärmeentwicklung und die Notwendigkeit von Verstärkern spielen deshalb kaum eine Rolle. Außerdem ist das Frequenzband, das zur Übertragung genutzt werden kann, viel breiter als bei Elektronen. Das heißt, es "paßt mehr Information auf einmal" durch einen Lichtleiter als durch einen elektrischen Leiter. Warum rechnen wir also immer noch mit "Elektronengehirnen", wie Computer vor nicht allzu langer Zeit gern einmal genannt wurden?

Außer ökonomischen Ursachen, sprich dem "natürlichen Beharrungsvermögen" einer einmal etablierten Technologie, hat das auch ganz prinzipielle Gründe. Wie allgemein bekannt ist, können wir zwar inzwischen Daten mittels Licht über enorme Entfernungen übertragen und dabei die Kapazität von Kupferleitungen je nach verwendeter Technik um eine Vielfaches schlagen. Auch kennt man mehrere Arten der optischen Speicherungstechnik in Form von relativ simplen Datenträgern wie CDs bis hin zur Holographie, wo Licht selbst das Medium ist. Was aber bisher nicht so recht gelingen will, ist die photonische Informationsverarbeitung, das "Rechnen mit Licht", auf englisch Optical Computing.

Dabei könnten sogenannte photonische Kristalle weiterhelfen, die auch als optische Halbleiter bezeichnet werden. Bei Kristallen denkt man oft nur an die Gitter von Stoffen wie Diamant, Kochsalz oder Kupfer, in denen eine Ordnung auf atomarem Niveau vorliegt. Die einzelnen Gitterbausteine, Atome, Ionen oder Moleküle, sind dort meist nur Bruchteile eines Nanometers voneinander entfernt. Der Begriff Kristall ist aber viel großzügiger definiert. Es spielt keine Rolle, ob die Gitterbausteine Atomkerne oder etwa Melonen sind. Solange das entstehende Gebilde eine periodisch wiederholte Struktur, also eine sogenannte Fernordnung, aufweist, ist es ein Kristall.

Für photonische Kristalle sind Abstände nötig, die im Bereich der Wellenlängen des sichtbaren Lichtes liegen. Grünes Licht zum Beispiel hat eine Wellenlänge von etwa 550 nm. Das heißt, die auch als Gitterkonstanten bezeichneten Abstände zwischen den einzelnen Kristallbauteilen müssen in diesem Bereich liegen, also etwa um den Faktor Tausend größer sein als bei "normalen" Kristallen. Die Gitterbausteine selbst sind dann natürlich auch keine Atome mehr, sondern setzen sich wiederum aus Tausenden einzelner Atomen zusammen. Wie dieser Aufbau konkret aussieht, spielt für die optischen Eigenschaften des photonische Kristalls keine Rolle. Wichtig ist nur, daß sich der Brechungsindex periodisch ändert.

Was macht aber nun das Gitter zum Halbleiter für Licht? Herkömmliche elektronische Halbleiter besitzen eine sogenannte Bandlücke. Für Elektronen im idealen Halbleiter sind Energieinhalte und damit auch Frequenzen innerhalb eines bestimmten Bereiches "verboten". Die Hersteller moderner Elektronik tun nun eigentlich nichts anderes, als diese Bandlücke zu manipulieren, indem sie das Material, meist Silicium, dotieren, das heißt, Fremdatome als Störstellen in das Siliciumgitter einbauen. Durch die Art dieser Dotierung und die Kombination unterschiedlich dotierten Siliciums wird die gesamte Palette der elektronischen Bauelemente möglich.

Fast genauso und doch ganz anders ist es beim photonischen Kristall. Auch er besitzt eine Bandlücke, aber nicht für Elektronen, sondern für Photonen bestimmter Energie. Folglich ist Licht eines gewissen Frequenzbereiches im Kristall "verboten". Diese Bandlücke kann ebenfalls durch den Einbau von Störstellen manipuliert werden. Gegenüber elektronischen Halbleitern haben aber die photonischen Verwandten zwei große Vorteile.

 

Um die Ecke gelenkt:
Lineare Defekte ermöglichen Photonenleitungsbahnen im Kristall. Licht einer Wellenlänge, die innerhalb der Bandlücke liegt, kann sich nur entlang dieses Defektes ausbreiten.
Das Rathaus von Schilda:
Punktdefekte können Licht mit einer Wellenlänge innerhalb der Bandlücke an einer bestimmten Stelle des Kristalls "einsperren". Dieser Effekt wird zur Herstellung von präzisen optischen Filtern genutzt.

 

© J. Joannopoulos, Massachusetts Institute of Technology

Da die Kristallstruktur eines photonischen Kristalls tausendmal größer ist, kann man mit Methoden aus der Nano- bzw. Mikrotechnologie die Störstellen gezielt an bestimmten Gitterpunkten anbringen und damit erstaunliche Effekte erzielen. So bringen "Kanäle" im Kristall die Photonen dazu, fast verlustfrei um die Ecke zu fließen oder sogenannte microcavities, kleine, durch Störstellen hervorgerufene Höhlen, werden dazu benutzt, Photonen bestimmer Frequenz einzusperren. Die Schildbürger, die Licht in ihr fensterloses Rathaus trugen und hofften, es bliebe dort, erfahren so eine späte Rehabilitierung. Außerdem kann man im Gegensatz zu elektronischen Systemen das Verhalten eines photonischen Kristalls mittels der Maxwellschen Gleichungen exakt berechnen, so daß sich ein gewünschtes photonisches Bauteil am Computer modellieren läßt und man es dann "nur noch" herstellen muß. Aber woraus?

Darauf gibt es eine einfache Antwort: Eigentlich ist das ganz egal!

Opale zum Beispiel sind in der Natur vorkommende photonische Kristalle. Im chemischen Sinne sind sie aber nicht kristallin, da sie auf atomarer Ebene keine Fernordnung besitzen. Sie bestehen aus Silikaten mit unterschiedlichem Wassergehalt. Ausgehärtete, wasserarme Silikatkügelchen sind dabei in regelmäßigen Abständen in einem "Bad" von weicheren, wasserreichen Silikaten angeordnet und bilden so das Gitter eines photonischen Kristalls. Einige Forscher stellen künstliche Opale her, wobei sie versuchen, deren Eigenschaften über Größe und Abstand der härteren Silikatkügelchen zu beeinflussen. Viele Arbeitsgruppen benutzen in der Halbleiterindustrie und der Nanotechnologie entwickelte Arbeitstechniken, um entsprechende Strukturen aus festem Material herauszuschneiden oder hineinzuätzen. Andere entwickeln Verfahren, winzige, mit Luft gefüllte Hohlkügelchen in regelmäßigen Abständen in Titanoxid einzulagern, oder bauen auf chemischem Weg regelmäßige Kohlenstoffstrukturen auf.

Ein elegantes Verfahren, bei den das photonisches Gitter durch einen Kristallisationsprozeß von selbst entsteht (self-assembly), wurde kürzlich von Chemikern der University of Rochester vorgestellt (Science, 15. Januar 1999). Ausgangsmaterialien sind spezielle grenzflächenaktive Substanzen, sogenannte rod-coil-Block-Copolymere. Eine eher kleine Anzahl relativ sperriger Monomeren bildet dabei einen starren, stäbchenförmigen Kopf, während sich der flexible Schwanz aus einer großen Anzahl einfacherer Moleküle zusammensetzt. In einem geeigneten Lösungsmittel, zum Beispiel Schwefelkohlenstoff, lagern sich viele einzelne Polymermoleküle zu hohlkugelartigen Aggregaten von einigen Mikrometern Durchmesser zusammen. Die Struktur dieser Aggregate, auch als Micellen bezeichnet, bleibt erhalten, wenn das Lösungsmittel vorsichtig verdampft wird.

 


© S. A. Jehnekhe, University of Rochester, N.Y
Ein photonisches Gitter aus Micellen:
Links schematischer Aufbau, rechts rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Micellfilmes aus rod-coil-Block-Copolymeren auf einem Aluminiumsubstrat. Die Löcher in der Wabenstruktur entstprechen den Innenräumen der Micellen im Bild links. Die Abstände der Gitterbausteine entprechen einer Wellenlänge aus dem Infrarotbereich des elektromagnetischen Spektrums.

 

Was man bei zunehmender Konzentration des Polymers beobachten kann, ist ein faszinierender Prozeß der Selbstordnung: Die Micellen bilden periodische Strukturen in zwei oder auch drei Dimensionen aus, mit anderen Worten: Sie formen einen Kristall. Das entstehende Gebilde hat also in verschiedenen Größenbereichen jeweils unterschiedliche Ordnungsgrade: Die Anordnung der Kohlenstoff-, Wasserstoff- Sauerstoff- und Stickstoffatome zu Ringen oder Ketten auf atomarer Ebene, die Verknüpfung dieser Elemente zu Polymeren, die Aggregierung der Polymere zu Micellen und schließlich die Formierung der Micellen zu kristallinen Strukturen. Letztere weist dabei die höchste Symmetrie, also die größte Ordnung auf. Ein herkömmlicher Ionenkristall wie das Kochsalz etwa ist hingegen schon auf atomarer Ebene hochgeordnet.

Die aus Micellen aufgebauten Strukturen sind beindruckend regelmäßig. In großen Bereichen kommen nur sehr wenige Baufehler vor. Es wurden Flächen von etwa 1 cm2 ohne Kristallfehler erreicht. Strukturen, die mit anderen Verfahren hergestellt wurden, weisen oft sehr viel mehr Baufehler auf.

Die Gitterkonstanten des entstehenden Kristalls, die durch den Mizelldurchmesser im unteren Mikrometerbereich bestimmt werden, sind für photonische Anwendungen noch nicht unbedingt geeignet. Das dazu passende Licht würde im Infrarotbereich des Spektrums liegen, besser wäre sichtbares Licht. Da aber die Polymerchemiker ein beachtliches Know-how im Maßschneidern derartiger Molekülen haben, könnte es möglich sein, deren Parameter wie Zusammensetzungen, Kettenlängen oder Kristallisationsbedingungen so zu verändern, daß photonische Kristalle "nach Maß" herauskommen. Die Arbeit hat außerdem gezeigt, daß sich die Brechungsindizes der entstehenden Kristalle durch Zusatz von Fullerenen beeinflussen lassen. Damit deutet sich ein weiterer Weg zur Manipulation der optischen Eigenschaften an.

Optische Halbleiter können also, zumindest im Prinzip, mit einem verschwindend geringen Bruchteil der bei der Produktion von herkömmlichen elektronischen Halbleitern anfallenden Energie- und Materialkosten hergestellt werden. Dazu kommt, daß sie auch im Betrieb nur einen Bruchteil der Energie elektronischer Schaltungen benötigen werden. Ob die Zukunft der Informationsverarbeitung also Photonik heißt, hängt jedoch von vielen Faktoren ab - von quantenmechanischen bis zu makroökonomischen Überlegungen, vom Stand konkurrierender Technologien bis zum cash flow der IT-Unternehmen. Eine faszinierende Alternative wäre ein mit Licht rechnender Urenkel von Pentium, Alpha und Co aber schon, und sei es nur, weil man ihm mit der Taschenlampe ein "Reset" geben kann.

Autor: Ulrich Wolf

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