Dies ist eine kleine Geschichte, die ich nahe Bahia Blanca so - oder zumindest so ähnlich - erlebt habe:

Von außen sah Emilio Zanonis Haus aus wie alle anderen Häuser in der Straße, rechteckige Schachteln mit grün oder blau gestrichenen Holzfassaden und silbrigen, matt glänzenden Wellblechdächern. Die geöffnete Eingangstür gab den Blick auf die Baustelle im Innern frei. In der Diele lag ein halbvoller Sack Zement und in einer verrosteten Schubkarre daneben stand eine grasgrüne Plastikgießkanne. Durch einen Türrahmen gingen wir in die Küche. Drei Wände waren mit Rauhfaser tapeziert. An der vierten Wand hingen traurige, handtellergroße Reste einer verblassten, rötlichen Tapete mit hellen, kleinen Kreisen. Die Mitte des Raumes füllte ein schlichter, ovaler Holztisch. Zwei Stühle aus Metallrohr standen daran, der eine hellblau, der andere leuchtend rot lackiert. Auf dem Tisch überlagerte eine Mischung aus Staub und Schmutz das hellgelbe Blümchenmuster eines weissen Porzellanbechers mit schwarzen Kaffee, in dem eine Stubenfliege ihre letzte Ruhe gefunden hatte. Aus einer offenen Dose Instantkaffee ragte der silbrige Stiel eines Esslöffels.

In der hinteren Zimmerecke stand eine hüfthohe Holzkommode mit vier Schubladen, die an ihrer rechten Seite von einer Küchenzeile aus den fünfziger Jahren flankiert wurde. Eine kleine Spinne mit stecknadellangen Beinen zog feine Linien durch die Staubwüste auf dem Spülbeckenboden. Die Küche hätte trostlos gewirkt, wäre nicht das Fenster zur Straßenseite gewesen, dessen Staubfelder das Licht noch nicht aufhielten. Die weichen, warmen Sonnenfinger griffen hindurch, berührten Tisch und Stühle, glitten an ihnen ab, flossen auseinander, und als nunmehr feine Lichtfäden sponnen sie die winzigen Staubteilchen in der Raumluft in einen glitzernden Kokon.

Ich lernte Emilio an der langen, geraden Straße kennen, die von Buenos Aires bis zur Fähre nach Feuerland führt. Es war kurz vor Mittag, als ich meinen Rucksack einige Meter hinter dem südlichsten Haus einer namenlosen Häuserzeile auf den Grünstreifen am Strassenrand legte. Ein karmesinrotes Auto fuhr vorbei, der Fahrer bremste,schob den Rückwärtsgang ein und kam zurück.

"Buenos Dias. Wohin willst Du, mein Freund?"
"Nach Feuerland, Senor."
"Ich fahre bis Pares, das ist drei Stunden von hier. Willst Du mit?"
Natürlich wollte ich mit.

Emilio Zanoni trug eine dunkle Cordhose und ein grell gemustertes, kurzärmeliges Hemd, dessen Knöpfe bis zum Bauchnabel offenstanden. Sein schwarzes, gelocktes Haar wuchs nur noch spärlich. Eine breitflügelige Nase und buschige, ausgefranste Augenbrauen dominierten sein rundes Gesicht. Er war um die fünfundvierzig und definierte sein Idealgewicht zweifellos selbst.

Wir fuhren geradeaus. Der Weg nach Feuerland hat nur wenige Kurven. Die asphaltierte Gerade schneidet sich bis zum Horizont durch eine unendliche grüne und bräunliche Patchworkdecke. Die Zweidimensionalität des Landes durchbrechen nur wenige Sträucher und weitaus weniger Bäume, die vom Wind in einen diagonalen Wuchs gezwungen werden. In Patagonien grasen mehr Schafe als Rinder, weil sie den häufigen Winterstürmen weniger Angriffsfläche bieten. An diesem Tag begnügte sich der Wind jedoch damit, in großer Höhe Wolken vor sich her zu treiben, die aussahen wie Kinderzeichnungen von Walen und bauschigen Kopfkissen.

Emilio erzählte mir von seinem bevorstehenden Umzug von Buenos Aires nach Pares. Seine Firma, ein Großhandel für LKW-Reifen, wollte eine Aussenstelle eröffnen, und Emilio würde zum Filialleiter aufsteigen. Vor Monaten hatte er das Haus in Pares gekauft und renovierte es seitdem an Wochenenden und Urlaubstagen. Anschließend beschrieb er mir seine beiden Töchter Maria und Agnes, seine Frau Margarita und den Vorteil von Zwillingsreifen an den Hinterachsen von Lastwagen. Etwa einhundert Kilometer später sprach er von den Vorbehalten seiner Frau bezüglich des herannahenden Umzugs.

"Sie ist die beste Frau der Welt, aber ihr fehlt leider der Abenteuergeist. Schau mal, mein Freund, Buenos Aires bietet uns jeden Komfort, den ich mir vorstellen kann, aber was bedeutet das schon? Ein Mann braucht doch Herausforderungen!"

Pares war so groß, dass die Häuser nicht nur an der Hauptstraße aufgereiht standen, sondern es einige Nebenstraßen gab, die rechtwinklig von ihr wegführten um sich einige hundert Meter weiter im Gras zu verlieren. Fast am Ende eines dieser Schotterwege stand auf der linken Seite, von einem hellblauen und einem dunkelblauen Haus eingerahmt, ein grüner Flachbau mit einem Wellblechdach, auf dessen metallenen Wellenkämmen Mooskolonien siedelten.

Ich setzte mich auf den roten Stuhl aus Metallrohr an den Holztisch in der Küche und Emilio ging zu der Kommode und nahm eine Thermoskanne aus der obersten Schublade. Er trat einen Schritt zur Seite und drehte den Heisswasserhahn auf. Die Spinne in der Spüle versuchte panisch die glatte Wand des Spülbeckens zu erklimmen.

Nichts passierte. Kein Gurgeln und Plätschern unterbrach die Stille des Zimmers. Einen langen Moment verharrte Emilio bewegungslos, dann zerquetschte sein linker Daumen die kleine Spinne mit den stecknadellangen Beinen.
"In der Garage habe ich auch Wasser. Lass es uns dort versuchen."

Wir gingen in die Garage neben dem Haus. Zweifelnd sah Emilio den Kaltwasserhahn an. Seine rechte Hand schloss sich um die Armatur und drehte sich ruckartig herum. Erst gluckste es, dann rauschte es, dann schoß ein gewaltiger Wasserstrahl in die stählerne Thermoskanne.

"Gut, dass ich einen Tauchsieder habe. Gleich trinken wir einen schönen Kaffee, mein Freund."
Emilio schlurfte zu seinem Wagen und wühlte im Kofferraum. Es fanden sich eine rote Daunenjacke, ein Klappspaten, ein Klappstuhl, ein Klapptisch und schliesslich ein koreanischer Tauchsieder. Emilio lächelte zufrieden. Auf dem Weg ins Haus grub sich das Lächeln immer tiefer in sein schweißnasses Gesicht. Mit seinem Taschentuch wischte er über seine Stirn und den Stecker des Tauchsieders und stöpselte das Gerät in die Steckdose neben dem Türrahmen. Den Bruchteil einer Sekunde später schossen grelle, kleine Sternschnuppen aus der Buchse und der Geruch von Verbranntem zog durch den Raum. Emilios Lächeln versteinerte, stürzte in sich zusammen und wurde zur Erinnerung.

Versunken starrte er auf die Dose Instantkaffee. Um seine Mundwinkel spielte ein nervöses Zucken. Die Schweissperlen auf seiner gefurchten Stirn bewegten sich nicht.

Plötzlich verschwand Emilio mit großen Schritten aus der Küche und kurze Zeit hörte ich ein Poltern und Kramen aus einem Nebenraum. Dann kam er zurück. In der rechten Hand schwenkte er einen antiken Benzinkocher wie eine erbeutete Fahne und in der linken ein Stück durchsichtigen Schlauch und eine kleine, schwarze Emailleschüssel. Mit dem Stück Schlauch und der Schüssel gingen wir zum Auto. Emilio öffnete den Tankverschluß, schob ein Schlauchende tief in den Tank und sog kräftig am anderen Ende. Der Schlauch färbte sich vom Stutzen her schwarz, und als die Farbe das Stück erreichte, das kurz vorher Emilios Lippen umschlossen hatten, begann Benzin in die Schüssel zu fließen. Emilio kniete auf dem Kies und schien für den Ritterschlag bereit.

Er stellte den Kocher auf den Holztisch, füllte das Benzin ein, nahm einen braunen Emailletopf aus der Kommode und goss das Wasser aus der Thermoskanne hinein. Dann öffnete er die Benzinleitung des Kochers, nahm ein Streichholz und zündete die Flamme. Einige Minuten später kochte das Wasser.

"Siehst du, mein Freund, so ist das Leben hier in Patagonien. Es ist schwierig, aber ich habe bisher alle Probleme gemeistert. Aber Frauen sind nun mal von Natur aus ängstlicher als Männer, da kann man nichts machen."

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