Craig Armstrong / The Space between us (CD)
Fast jeder kannte seine Arbeit, doch kaum jemand kannte seinen Namen: Craig Armstrong hatte im Pop-Business so ziemlich alles erreicht, bevor sein Debut-Album "The space between us" 1997 erschien.
Überall wo Streicher-Arrangements gebraucht wurden, war der an der Royal Academy of Music klassisch ausgebildete Brite gefragt. Seine Orchestrierung verlieh zahlreichen Superhits ihren charakterisitischen Sound: "Miss Sarajevo" von The Passengers & Luciano Pavarotti, "Goldeneye" von Tina Turner, "Hold me, thrill me..." von U2 und nicht zuletzt "Take a bow", "Frozen" und "The Power of good-bye" von Madonna.
Er ist einem breiten Publikum auch bekannt durch den Soundtrack zu "Mission impossible" und Baz Luhrmann´s "Romeo & Juliet". Er schrieb Songs für die Rockgruppe TEXAS ("I don´t want a lover"), die Trip-Hopper MASSIVE ATTACK ("Wheather storm", "Heat miser", "Sly") und die Techno-Soundtüftler FUTURE SOUND OF LONDON ("Eggshell").
Diese erstaunliche musikalische Breite wird zwar auf seinem Debut reflektiert, gleichwohl zeigt er sich hier einheitlicher: die elegischen Streicher und ein melodisches Klavier dienen als roter Faden durch die Mixtur aus hip-hop beats und symphonischen Träumereien. Seine Verbindung von elektronischen und klassischen Kompositionselementen läßt sich am ehesten mit dem Etikett "Neo-Klassik" beschreiben. Jedenfalls schafft er es, seine eigenen Arbeiten mit überarbeiteten Versionen von Massive Attack´s "Sly" und "Wheather storm" und Blue Nile´s "Let´s go out tonight" (mit Paul Buchanan) zu einem homogenen Ganzen zusammenzusetzen.
Zwar bedient er sich bei seinem auf dem Massive Attack-Label "Melankolic" erscheinen Album auch der Stimme der ehemaligen Cocteau Twins-Stimme und Massive Attack-Gastsängerin Elizabeth Frazer ("This love"), damit enden aber auch schon die Parallelen zu den Bristol-Avantgardisten.
Während sich Massive Attack mit The Cure und Velvet Underground-Samples ("Mezzanine", 1998) auf die Dark-Wave-Wurzeln besonnen haben, zelebriert Armstrong die elektronische Apotheose des Symphonie-Orchesters. Eine schöne CD, für ruhige Stunden. (Gabriel Seiberth)
Anne Clark & Martyn Bates / Just after sunset The poetry of Rainer Maria Rilke
"O Du der Gefühle / Wandlung in was?-: in hörbare Landschaft. / Du Fremde:
Musik".
Rainer Maria Rilke, der das Thema Musik immer wieder in seinen Gedichten aufgegriffen hat, dürfte dem Projekt einer Vertonung seiner Lyrik durchaus positiv gegenübergestanden haben. Und nicht nur das: auch musikalischen Experimenten gegenüber zeigte er sich aufgeschlossen.
Bereits 1922/23 wurde sein "Marienleben" (1913) von dem Vorreiter atonaler Musik,
Paul Hindemith, vertont.
Erstaunt haben dürfte Rilke im aktuellen Falle aber, daß man ihn nicht in seiner Landessprache zu Wort kommen läßt, sondern nur in englischer Übersetzung. Zwar ist die Übersetzung von J.B. Leisham durchaus kongenial, aber jede Übersetzung bleibt Interpretation.
Andererseits könnte man sich kaum vorstellen, daß Anne Clark Rilkes Gedichte
in gebrochenem Deutsch rezitiert... Schon so haben sich einige Fehler
eingeschlichen, die z.T., wie etwa ausgerechnet bei Rilkes berühmtesten
Gedicht "Der Panther", durchaus ärgerlich sind, da sie auf
Verständisprobleme schließen lassen (die letzte Zeile "Und hört im Herzen
auf zu sein", in Übersetzung: "And ends its being in the heart", heißt bei
Anne Clark: "And ends its beating in the heart.").
Abgesehen von solchen eher germanistischen Einwänden soll betont werden, daß das Experiment der
Vertonung durchaus gelungen ist. Das ist vor allem dem außerordentlichen
Talent von Martyn Bates geschuldet, das dieser zuvor schon bei der Vertonung
von Gedichten des irischen Dichters James Joyce unter Beweis gestellt hatte
(Chamber Music I & II, 1994 und 1995, Ambivalent Scale). Gegenüber der
Duologie zu Joyce ist aber bei dem neuen Werk eine bemerkenswerte
Veränderung festzustellen: die charakteristische Stimme von Bates, wie man
sei aus seinen sonstigen Solo-Projekten und auch seiner Zusammenarbeit mit
Peter Becker (Eyeless in Gaza) kennt, tritt meist in den Background und an
die Stelle der ansonsten sparsamen, ja minimalistischen Instrumentierung
treten klassische Gitarren, Piano, Cello, Violine, Melodica und Flöte.
Gegenüber den eher ansprucksvoll-vertrackten Joyce-Interpretationen, klingt
"Just after sunset" elegisch, ja geradezu gefällig was in diesem Fall aber
kein Nachteil ist.
Gegenüber "Chamber Music" werden die Texte in den meisten
Fällen auf dem neuen Werk nicht gesungen (Ausnahmen sind die besonders
schönen Stücke: The apple orchard, The fruit, From the book of pilgrimage,
Song of the sea), sondern rezitiert. Das führt zu dem Mißverständnis, daß
die CD allerorts in das Fach "Anne Clark" sortiert wird, was insofern
irreführend ist, als die gesamte Komposition besonders deutlich etwa bei
den instrumentalen Stücken (Silent forces, Sehnsucht, The garden of
olives) ausschließlich die Handschrift von Martyn Bates trägt.
Manch ein eingefleischter Anne Clark-Fan wird sich wohl bei erstem Hören etwas
irritieren gezeigt haben. Demgegenüber dürfte sich der eine oder andere
Martyn Bates-Fan manchmal eher wünschen, daß der Meister selber singt statt
andere vorlesen zu lassen. Wenn man aber von puristischen Standpunkten absieht, wird man zugeben müssen, daß die schon bei Anne Clark´s Album "The
Law is an Anagram of wealth" angeknüpfte Zusammenarbeit hier einen
außerordentlich reichen Ertrag eingebracht hat.
Für jeden Literaturfreund und jeden Anhänger gefühlvoll inszenierter "hörbarer Landschaften" eine dringende Empfehlung. Mein Tip: die Interpretation von "Herbsttag" (autmumn
day). (Gabriel Seiberth)
Various Artists / Bliss
"`Bliss´ ist chill-out-music ohne Delphin-Geschrei oder unechte Ethno-Gesang
samples".
So beschreibt das Label selbst seine neueste Kompilation aus dem
Bereich "World music". Die CD versteht sich als eine Einführung in die
"atmosphärische und spirituelle Seite" von "Real World". Dabei wehrt sich
Label-Chef Peter Gabriel gegen die Kategorisierung "Welt-Musik": "Was auch
immer für Musik, was auch immer für Technologie, große Platten kommen von
großer Leistung".
Und in der Tat bezeichnet Welt-Musik zwar zutreffend die
Ursprünge der Musik, nicht aber ihr Selbstverständnis. Die Künstler aus
aller Herren Länder vereint nichts anderes als die Freude an musikalischen
Entdeckungen und auditiven Experimenten. Zwar sind die kulturellen Wurzeln
und Einflüsse konstitutiv für die unterschiedlichen Beiträge aus Irland,
Kenia, Indien, Pakistan, China, Georgien, Kanada und Großbritannien, diese
sind aber thematisch verknüpft durch die Ähnlichkeit der durch ihre Musik
geschaffenen Atmosphäre.
Der Zusammenhang wird unterstrichen durch den Umstand, daß die Lieder ineinander übergehen und somit ein 62-Minütiger Trip durch die unterschiedlichsten Instrumente, Stimmen und Stile entsteht. Dabei verweist der von Peter Gabriel verwendete Begriff "chill-out music" durchaus
zutreffend auf die Kategorie "Ambient-music", die durch Gruppen wie "The
Grid", "Jam Nation" oder "Afro Celt Sound System" auf dem Sampler vertreten
ist.
Ein anderer Hinweis in Richtung elektronischer Musik ist der Umstand,
daß die CD durch das Massive Attack-Label "Caroline" (u.a. Fat Boy Slim,
Chemical Brothers etc.) vertrieben wird. Und daß sich "Real World"-Musik
phantastisch als Bereicherung für elektronische Musik eignet, haben nicht
zuletzt Gruppen wie DELERIUM bereits unter Beweis gestellt (vgl. etwa die
Stücke "Rise Above" und "Barren Ground" von der CD "Spiritual Archive
(1991), die Samples von den "Real World"-CD´s "Passion" und "Passion
Sources" beinhalten").
Für Peter Gabriel, der für die Zusammenstellung verantwortlich ist, ist die
Fusion von alter und moderner Musik fast eine Selbstverständlichkeit. So
arbeitete er bereits mit Brian Eno und William Orbit zusammen, als
elektronische Musik noch ein Nischendasein fristete.
Es ist wohl nicht übertrieben, diese Kompilation als eines der interessantesten musikalischen
Experimente im Bereich elektronischer Musik und Welt-Musik der letzten Jahre
zu bezeichnen. Allein die Namen der vertretenen Musiker lassen aufhorchen:
Nusrat Fateh Ali Khan, Sheila Chandra, Peter Gabriel (vertreten mit einem
Stück von dem Martin Scorsese-Soundtrack "Passion"), Alex Gifford (als
Produzent), Michael Brook sowie einige einzigartige internationale Fusionen
(etwa Assorted Artists, Jam Nation). Es finden sich traditionelle Gesänge
(The Tsinandali Choir mit der Interpretation eines Stückes, mit dem der vor
einiger Zeit verstorbene Hamlet Gonashvili in den 80er Jahren reüssierte,
vgl. etwa die Aufnahme auf "The Spirit in Past & Present", JARO, 1996),
Stücke im Stil von Dead Can Dance und Lisa Gerrard (etwa der Beitrag der
Inderin Sarmila Roy) und nicht zuletzt Soundscapes mit traditionellem Dudouk (Blasinstrument) und leichten Dance-beats (Afro Celt Sound System). Das ist
Ambient-music jenseits von Sven Väth, Deep Forest und Enigma, die man
demnächst möglicherweise sowohl in den "Chill-out-rooms" der örtlichen
Techno-Disco wie dem pakistanischen Ethno-Kaffee um die Ecke zu hören
bekommt. (Gabriel Seiberth)
Philip Glass / Kundun - Music from the original Soundtrack
"Philip Glass´s Musik zu dem Film Kundun ist die Erfüllung eines lang
gehegten Traumes", betonte Martin Scorsese zum Erscheinen des Soundtracks.
Jahrelang habe er gehofft mit Philip Glass zusammenarbeiten zu können und
habe dann in der Lebensgeschichte des 14. Dalai Lamas das ideale Thema
gefunden. Und in der Tat war kaum jemand für die Aufgabe der Vertonung eines
Films über den "Ozean der Weisheit" (Kundun) geeigneter als der studierte
Mathematiker, Philosoph, Musiker und bekennende Buddhist Philip Glass.
Bereits nach der Fertigstellung des Drehbuchs wurde dieser in das Projekt
involviert, so daß die Musik schon bei der Erarbeitung des Films den
Pulsschlag der Handlung vorgeben konnte. Das Ergebnis ist eine einzigartige
Synthese von Bild und Musik, die den Film zu einem multimedialen Ereignis
werden läßt, das in der surrealistisch-mystischen und 10 Minuten dauernden
"Flucht nach Indien" kulminiert.
Dabei kann die gefühlvoll und vielschichtig
komponierte Musik durchaus auch für sich alleine stehen. Glass gelingt eine
einmalige Verbindung tibetanischer Mönchsgesänge mit dichten und
eindringlichen Klanglandschaften aus Sythesizern, Harfen, Klarinetten,
Percussions, Flöten, Trompeten und Klavier. Hier zeigt sich ein Philip
Glass, wie man ihn sonst nicht kennt: Der gerne als "Minimalist" bezeichnete
Komponist entfacht hier ein opulentes Feuerwerk aus Akkorden und Harmonien.
Weder in seinen Opern, wie "Satyagraha" und "Akhnaten", noch in seinen
anderen Soundtracks, wie "Mishima", "Hamburger Hill", "A brief history of
time" und den beiden "Candyman"-Filmen - um nur einige zu nennen - findet
sich ein derartig dichter und narrativer Stil und eine vergleichbar üppige
Inszenierung. Deshalb betont Scorsese: "Für mich stehen die Bilder des Films
nicht mehr für sich ohne die Musik". Damit hat Scorsese ein weiteres Mal
bewiesen, daß er den Film als audio-visuelles Gesamtkunstwerk versteht und
zu zelebrieren weiß.
Wie in seinem früheren Film über einen
religiös-spirituellen Führer, der von Peter Gabriel kongenial vertont wurde
("The last temptation of Christ"), gelingt auch hier die multimediale
Synopse. Die Höhepunkte der rhythmisch-evolutionäten Tonstrukturen von
Philip Glass ist sicherlich das wunderbare "Distraught" (die "Beisetzung
des Vaters) und "Escape to India". In den Worten von Scorsese: "Die Musik
von Philip Glass wirkt aus dem Inneren des Films, aus seinem Herzen und
schafft so eine kraftvolle emotionale Intensität, die noch für Tage im Kopf
des Hörers erhalten bleibt."
Ein unvergleichliches Hörerlebnis, das wohl nur noch durch das Anschauen des Filmes selbst übertroffen wird. (Gabriel Seiberth)
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