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CD-Kritiken

Januar 1999

Craig Armstrong / The Space between us (CD)

Fast jeder kannte seine Arbeit, doch kaum jemand kannte seinen Namen: Craig Armstrong hatte im Pop-Business so ziemlich alles erreicht, bevor sein Debut-Album "The space between us" 1997 erschien.
Überall wo Streicher-Arrangements gebraucht wurden, war der an der Royal Academy of Music klassisch ausgebildete Brite gefragt. Seine Orchestrierung verlieh zahlreichen Superhits ihren charakterisitischen Sound: "Miss Sarajevo" von The Passengers & Luciano Pavarotti, "Goldeneye" von Tina Turner, "Hold me, thrill me..." von U2 und nicht zuletzt "Take a bow", "Frozen" und "The Power of good-bye" von Madonna.
Er ist einem breiten Publikum auch bekannt durch den Soundtrack zu "Mission impossible" und Baz Luhrmann´s "Romeo & Juliet". Er schrieb Songs für die Rockgruppe TEXAS ("I don´t want a lover"), die Trip-Hopper MASSIVE ATTACK ("Wheather storm", "Heat miser", "Sly") und die Techno-Soundtüftler FUTURE SOUND OF LONDON ("Eggshell").
Diese erstaunliche musikalische Breite wird zwar auf seinem Debut reflektiert, gleichwohl zeigt er sich hier einheitlicher: die elegischen Streicher und ein melodisches Klavier dienen als roter Faden durch die Mixtur aus hip-hop beats und symphonischen Träumereien. Seine Verbindung von elektronischen und klassischen Kompositionselementen läßt sich am ehesten mit dem Etikett "Neo-Klassik" beschreiben. Jedenfalls schafft er es, seine eigenen Arbeiten mit überarbeiteten Versionen von Massive Attack´s "Sly" und "Wheather storm" und Blue Nile´s "Let´s go out tonight" (mit Paul Buchanan) zu einem homogenen Ganzen zusammenzusetzen.
Zwar bedient er sich bei seinem auf dem Massive Attack-Label "Melankolic" erscheinen Album auch der Stimme der ehemaligen Cocteau Twins-Stimme und Massive Attack-Gastsängerin Elizabeth Frazer ("This love"), damit enden aber auch schon die Parallelen zu den Bristol-Avantgardisten.
Während sich Massive Attack mit The Cure und Velvet Underground-Samples ("Mezzanine", 1998) auf die Dark-Wave-Wurzeln besonnen haben, zelebriert Armstrong die elektronische Apotheose des Symphonie-Orchesters. Eine schöne CD, für ruhige Stunden. (Gabriel Seiberth)



Anne Clark & Martyn Bates / Just after sunset ­ The poetry of Rainer Maria Rilke

"O Du der Gefühle / Wandlung in was?-: in hörbare Landschaft. / Du Fremde: Musik".
Rainer Maria Rilke, der das Thema Musik immer wieder in seinen Gedichten aufgegriffen hat, dürfte dem Projekt einer Vertonung seiner Lyrik durchaus positiv gegenübergestanden haben. Und nicht nur das: auch musikalischen Experimenten gegenüber zeigte er sich aufgeschlossen.
Bereits 1922/23 wurde sein "Marienleben" (1913) von dem Vorreiter atonaler Musik, Paul Hindemith, vertont.
Erstaunt haben dürfte Rilke im aktuellen Falle aber, daß man ihn nicht in seiner Landessprache zu Wort kommen läßt, sondern nur in englischer Übersetzung. Zwar ist die Übersetzung von J.B. Leisham durchaus kongenial, aber jede Übersetzung bleibt Interpretation.
Andererseits könnte man sich kaum vorstellen, daß Anne Clark Rilkes Gedichte in gebrochenem Deutsch rezitiert... Schon so haben sich einige Fehler eingeschlichen, die z.T., wie etwa ausgerechnet bei Rilkes berühmtesten Gedicht "Der Panther", durchaus ärgerlich sind, da sie auf Verständisprobleme schließen lassen (die letzte Zeile "Und hört im Herzen auf zu sein", in Übersetzung: "And ends its being in the heart", heißt bei Anne Clark: "And ends its beating in the heart.").
Abgesehen von solchen eher germanistischen Einwänden soll betont werden, daß das Experiment der Vertonung durchaus gelungen ist. Das ist vor allem dem außerordentlichen Talent von Martyn Bates geschuldet, das dieser zuvor schon bei der Vertonung von Gedichten des irischen Dichters James Joyce unter Beweis gestellt hatte (Chamber Music I & II, 1994 und 1995, Ambivalent Scale). Gegenüber der Duologie zu Joyce ist aber bei dem neuen Werk eine bemerkenswerte Veränderung festzustellen: die charakteristische Stimme von Bates, wie man sei aus seinen sonstigen Solo-Projekten und auch seiner Zusammenarbeit mit Peter Becker (Eyeless in Gaza) kennt, tritt meist in den Background und an die Stelle der ansonsten sparsamen, ja minimalistischen Instrumentierung treten klassische Gitarren, Piano, Cello, Violine, Melodica und Flöte.
Gegenüber den eher ansprucksvoll-vertrackten Joyce-Interpretationen, klingt "Just after sunset" elegisch, ja geradezu gefällig ­ was in diesem Fall aber kein Nachteil ist.
Gegenüber "Chamber Music" werden die Texte in den meisten Fällen auf dem neuen Werk nicht gesungen (Ausnahmen sind die besonders schönen Stücke: The apple orchard, The fruit, From the book of pilgrimage, Song of the sea), sondern rezitiert. Das führt zu dem Mißverständnis, daß die CD allerorts in das Fach "Anne Clark" sortiert wird, was insofern irreführend ist, als die gesamte Komposition ­ besonders deutlich etwa bei den instrumentalen Stücken (Silent forces, Sehnsucht, The garden of olives) ­ ausschließlich die Handschrift von Martyn Bates trägt.
Manch ein eingefleischter Anne Clark-Fan wird sich wohl bei erstem Hören etwas irritieren gezeigt haben. Demgegenüber dürfte sich der eine oder andere Martyn Bates-Fan manchmal eher wünschen, daß der Meister selber singt statt andere vorlesen zu lassen. Wenn man aber von puristischen Standpunkten absieht, wird man zugeben müssen, daß die schon bei Anne Clark´s Album "The Law is an Anagram of wealth" angeknüpfte Zusammenarbeit hier einen außerordentlich reichen Ertrag eingebracht hat.
Für jeden Literaturfreund und jeden Anhänger gefühlvoll inszenierter "hörbarer Landschaften" eine dringende Empfehlung. Mein Tip: die Interpretation von "Herbsttag" (autmumn day). (Gabriel Seiberth)

Various Artists / Bliss

"`Bliss´ ist chill-out-music ohne Delphin-Geschrei oder unechte Ethno-Gesang samples".
So beschreibt das Label selbst seine neueste Kompilation aus dem Bereich "World music". Die CD versteht sich als eine Einführung in die "atmosphärische und spirituelle Seite" von "Real World". Dabei wehrt sich Label-Chef Peter Gabriel gegen die Kategorisierung "Welt-Musik": "Was auch immer für Musik, was auch immer für Technologie, große Platten kommen von großer Leistung".
Und in der Tat bezeichnet Welt-Musik zwar zutreffend die Ursprünge der Musik, nicht aber ihr Selbstverständnis. Die Künstler aus aller Herren Länder vereint nichts anderes als die Freude an musikalischen Entdeckungen und auditiven Experimenten. Zwar sind die kulturellen Wurzeln und Einflüsse konstitutiv für die unterschiedlichen Beiträge aus Irland, Kenia, Indien, Pakistan, China, Georgien, Kanada und Großbritannien, diese sind aber thematisch verknüpft durch die Ähnlichkeit der durch ihre Musik geschaffenen Atmosphäre.
Der Zusammenhang wird unterstrichen durch den Umstand, daß die Lieder ineinander übergehen und somit ein 62-Minütiger Trip durch die unterschiedlichsten Instrumente, Stimmen und Stile entsteht. Dabei verweist der von Peter Gabriel verwendete Begriff "chill-out music" durchaus zutreffend auf die Kategorie "Ambient-music", die durch Gruppen wie "The Grid", "Jam Nation" oder "Afro Celt Sound System" auf dem Sampler vertreten ist.
Ein anderer Hinweis in Richtung elektronischer Musik ist der Umstand, daß die CD durch das Massive Attack-Label "Caroline" (u.a. Fat Boy Slim, Chemical Brothers etc.) vertrieben wird. Und daß sich "Real World"-Musik phantastisch als Bereicherung für elektronische Musik eignet, haben nicht zuletzt Gruppen wie DELERIUM bereits unter Beweis gestellt (vgl. etwa die Stücke "Rise Above" und "Barren Ground" von der CD "Spiritual Archive (1991), die Samples von den "Real World"-CD´s "Passion" und "Passion Sources" beinhalten").
Für Peter Gabriel, der für die Zusammenstellung verantwortlich ist, ist die Fusion von alter und moderner Musik fast eine Selbstverständlichkeit. So arbeitete er bereits mit Brian Eno und William Orbit zusammen, als elektronische Musik noch ein Nischendasein fristete.
Es ist wohl nicht übertrieben, diese Kompilation als eines der interessantesten musikalischen Experimente im Bereich elektronischer Musik und Welt-Musik der letzten Jahre zu bezeichnen. Allein die Namen der vertretenen Musiker lassen aufhorchen: Nusrat Fateh Ali Khan, Sheila Chandra, Peter Gabriel (vertreten mit einem Stück von dem Martin Scorsese-Soundtrack "Passion"), Alex Gifford (als Produzent), Michael Brook sowie einige einzigartige internationale Fusionen (etwa Assorted Artists, Jam Nation). Es finden sich traditionelle Gesänge (The Tsinandali Choir mit der Interpretation eines Stückes, mit dem der vor einiger Zeit verstorbene Hamlet Gonashvili in den 80er Jahren reüssierte, vgl. etwa die Aufnahme auf "The Spirit in Past & Present", JARO, 1996), Stücke im Stil von Dead Can Dance und Lisa Gerrard (etwa der Beitrag der Inderin Sarmila Roy) und nicht zuletzt Soundscapes mit traditionellem Dudouk (Blasinstrument) und leichten Dance-beats (Afro Celt Sound System). Das ist Ambient-music jenseits von Sven Väth, Deep Forest und Enigma, die man demnächst möglicherweise sowohl in den "Chill-out-rooms" der örtlichen Techno-Disco wie dem pakistanischen Ethno-Kaffee um die Ecke zu hören bekommt. (Gabriel Seiberth)

Philip Glass / Kundun - Music from the original Soundtrack

"Philip Glass´s Musik zu dem Film Kundun ist die Erfüllung eines lang gehegten Traumes", betonte Martin Scorsese zum Erscheinen des Soundtracks. Jahrelang habe er gehofft mit Philip Glass zusammenarbeiten zu können und habe dann in der Lebensgeschichte des 14. Dalai Lamas das ideale Thema gefunden. Und in der Tat war kaum jemand für die Aufgabe der Vertonung eines Films über den "Ozean der Weisheit" (Kundun) geeigneter als der studierte Mathematiker, Philosoph, Musiker und bekennende Buddhist Philip Glass.
Bereits nach der Fertigstellung des Drehbuchs wurde dieser in das Projekt involviert, so daß die Musik schon bei der Erarbeitung des Films den Pulsschlag der Handlung vorgeben konnte. Das Ergebnis ist eine einzigartige Synthese von Bild und Musik, die den Film zu einem multimedialen Ereignis werden läßt, das in der surrealistisch-mystischen und 10 Minuten dauernden "Flucht nach Indien" kulminiert.
Dabei kann die gefühlvoll und vielschichtig komponierte Musik durchaus auch für sich alleine stehen. Glass gelingt eine einmalige Verbindung tibetanischer Mönchsgesänge mit dichten und eindringlichen Klanglandschaften aus Sythesizern, Harfen, Klarinetten, Percussions, Flöten, Trompeten und Klavier. Hier zeigt sich ein Philip Glass, wie man ihn sonst nicht kennt: Der gerne als "Minimalist" bezeichnete Komponist entfacht hier ein opulentes Feuerwerk aus Akkorden und Harmonien. Weder in seinen Opern, wie "Satyagraha" und "Akhnaten", noch in seinen anderen Soundtracks, wie "Mishima", "Hamburger Hill", "A brief history of time" und den beiden "Candyman"-Filmen - um nur einige zu nennen - findet sich ein derartig dichter und narrativer Stil und eine vergleichbar üppige Inszenierung. Deshalb betont Scorsese: "Für mich stehen die Bilder des Films nicht mehr für sich ohne die Musik". Damit hat Scorsese ein weiteres Mal bewiesen, daß er den Film als audio-visuelles Gesamtkunstwerk versteht und zu zelebrieren weiß.
Wie in seinem früheren Film über einen religiös-spirituellen Führer, der von Peter Gabriel kongenial vertont wurde ("The last temptation of Christ"), gelingt auch hier die multimediale Synopse. Die Höhepunkte der rhythmisch-evolutionäten Tonstrukturen von Philip Glass ist sicherlich das wunderbare "Distraught" (die "Beisetzung des Vaters) und "Escape to India". In den Worten von Scorsese: "Die Musik von Philip Glass wirkt aus dem Inneren des Films, aus seinem Herzen und schafft so eine kraftvolle emotionale Intensität, die noch für Tage im Kopf des Hörers erhalten bleibt."
Ein unvergleichliches Hörerlebnis, das wohl nur noch durch das Anschauen des Filmes selbst übertroffen wird. (Gabriel Seiberth)

Weitere Rezensionen vom November 1998



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Zuletzt aktualisiert am 17.Oktober 1998


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