Loreena McKennit / The book of secrets In The Nursery / Asphalt Current 93 / Crowleymass Ah Cama-Sotz / Epithaphe In The Nursery / Lingua Project AR006351 / Machines
Die Kanadierin Loreena McKennit ist ein kosmopolitscher Globetrotter. Ihre Musik versteht sie als auditive Reiseberichte,
eine Art klingendes Logbuch. So vielfältig wie Ihre Reiseziele sind auch die Einflüsse ihrer Musik. Man findet russische, griechische,
türkische, italienische, britische und irische Elemente. Seit Jahren zieht sich aber ein dominierender Strang durch ihr Schaffen:
die Faszination der keltischen Kunst und Kultur. Hier findet sich eine Parallele zu der Schottin Enya. Ob Zufall oder nicht -
die Lieder ähneln sich teilweise verblüffend. So erinnert "La Serenissima" deutlich an "Bard dance", das Enya 1986 für die
BBC-Serie "The Celts" geschrieben hatte. Eine weitere Parallele ist der Umstand, das beide Sängerinnen zunächst im Umfeld
von New Age-Musik angesiedelt waren und später den großen Durchbruch schafften. Obgleich die Musik von Loreena McKennit
einige Deja vu-Erlebnisse bereit hält, ist eine Weiterentwicklung des Stils zu bemerken. Dabei knüpft Loreena McKennit zum einen
an ihre CD "The Mask and Mirror" (1994) an (es sei nur an das brilliante Stück „Fuil circle erinnert), erweitert aber auch zunehmend
ihr musikalisches Repertoire. So finden sich neben der traditionellen Harfe und Akkoustik-Gitarre vermehrt Violinen, Celli, Mandolinen
und vor allem Percussions. Besonders hervorzuheben ist die Integration eines russischen Kammerchors
("Alleluia, Behold The Bridgeroom" von dem Album "Russian Easter", gesungen von dem St. Petersbug Chamber Choir, dirigiert
von Nikolai Korniev) in „Dantes Prayer". Das Arrangement erinnert an „Hello Earth" von Kate Busch (Hounds of Love, 1985) mit dem
hervorragenden Sample des Nosferatu-Themas (Aus der Verfilmung mit Klaus Kinski und Bruno Ganz). Der Einsatz von Percussions
und orientalischen Elementen ("Marco Polo", "The Mummer´s dance") hat Anklänge an "Spiritchaser" von Dead Can Dance oder
"Luna" von Gabrielle Roth & The Mirrors. Ein eigenständiges stilprägendes Element ist allerdings ihr Harfenspiel und das Lamento
ihres Mezzo-Soprans. Alles in allem ist "The book of secrets" eine schöne Platte, die mit Recht einen breiten kommerziellen
Erfolg hat. (Gabriel Seiberth)
Asphalt ist das 12. Album, das die britischen Zwillinge Klive und Nigel Humberstone in 15 Jahre veröffentlicht haben. Hinzu kommen
drei "best of"-Compilationen, eine Live-CD und zwei Veröffentlichungen unter einem alias ("Les Jumeaux"). Trotz der regen
Publikationstätigkeit gelingt es den beiden Komponisten immer, ihre Arbeit weiterzuentwickeln. Während das Duo 1983 mit
Snare-Drums a la Test Dept. und Gitarren al a Joy Division startete und Punk und New Wave als Einflüsse benannte, sind die
letzten Veröffentlichungen von Synthesizer-Orchestern dominiert, ergänzt durch leichte Dance- bzw. Hip-Hop-Beats. Für diese
zeichnet z.T. der Ibiza-Techno-DJ Andrew Weatherall verantwortlich, bekannt durch Projekte wie The Sabres of Paradise und
Two Lone Swordsmen. Inhaltlich ließen sich die beiden Autodidakten von Anfang an durch die unterschiedlichsten künstlerischen
Strömungen der Kunst- und Literaturgeschichte inspirieren. So zitieren sie etwa Texte von John Donne (bekanntester Vertreter der
sog, "metaphysical poets", 17. Jh.), Ernest Dowson (19. Jh.), Stéphane Mallarmé (französischer Symbolist, 19. Jh.), William Butler
Yeats (irischer Mystiker und Nobelpreisträger) und Oscar Wilde. Musikalisch wurden Einflüsse von Schostakovitsch über Bela Bartok
bis hin zu Ennio Morriccone verarbeitet. Filme übten dabei von Anfang an eine große Faszination auf das Duo aus. Zu den Idolen
zählte etwa der russische Avantgardist Sergej Eisenstein oder der Neorealisten Luchino Visconti. Daher war es folgerichtig, daß die
beiden Brüder sich selbst an der Komposition von Filmmusiken versuchten. Zunächst handelte es sich dabei um den Soundtrack zu
einem imaginären Film ("Stormhorse"), dann folgte die Produktion des Original-Score für die britische Filmproduktion
"An ambush of ghost" (der im übrigen nur bei zwei Filmfestivals gezeigt wurde) und zuletzt die Vertonung von zwei Stummfilmen
(Robert Weine´s "The Cabinet of Dr. Caligary", 1919 und Joe May´s "Asphalt", 1929). Die beiden Stummfilmvertonungen bilden eine
musikalische Einheit. Von der Konzeption her erinnern sie stärker an die beiden "Les Jumeaux"-Alben, als an die bisherigen
"In The Nursery"-Veröffentlichungen. Es dominieren ambientorientierte Synthesizer-Klangstrukturen wie bei Brian Eno oder
Jean Michel Jarre. Metallische Sequencer schaffen eine beklemmende Horror-Soundtrack-Athmosphäre, während semi-orchestrale
Keyboards, die zwischen klassischer Streicherbegleitung und avantgardistische Analog-Synthesizer-Ästhetik changieren, einen
Kontrapunkt bilden. Der Ausflug in neue technische Klangwelten ist sehr überzeugend gelungen. Das nächste Album soll aber wieder
stärker an den bisherigen ITN-Stil anknüpfen, das heißt neoklassische Elemente in den Vordergrund stellen. Die ITN-Fans werden es
danken. (Gabriel Seiberth)
Es ist schon etwas verwunderlich, daß ausgerechnet eine Maxi von Current 93 zu einem der gesuchtesten Sammlerstücke
wurde, die sich musikalisch von allen anderen Veröffentlichungen eines David Tibet radikal unterscheidet. Nun liegt dieses Werk
als Re-Release auf CD vor, sodaß für viele die Sucherei ein Ende hat.
"Diskomusik" nennt Tibet den Stil der hier vertretenen Stücke und für seine Verhältnisse mag das stimmen, auch wenn es für die
breite Masse sicher immer noch zu kantig sein dürfte. Für viele Fans des ehemaligen O.T.O.-Mitgliedes sind die Stücke hingegen sicher
zu poppig. Aufstoßen mag dem ein oder anderen auch der Sprechgesang des Titelstückes, der ansatzweise an eine
Hip Hop-Nummer erinnert, aber doch weit davon entfernt ist.
"As For the Other Side" wirkt sehr schnell zusammengeschustert : Ein Rhythmus, der mit diversen Samples (Chor, fliegende Bomben) und
sehr kurz gehaltenen Sequenzen angereichert wurde.
Für David Tibet war diese Scheibe sicher einst ein kurzweiliger Spaß, der aber auch als solcher rüberkommt, wodurch die Songs schon
wieder das Prädikat Originalität verdienen - zumindest für eine Band, die sich gerade in den letzten 7-8 Jahren fast ausschließlich dem
Neofolk verschrieben hat .
Für dienjenigen, die sich mit dem "konventionellen" Current-Sound nicht anfreunden können, hält die CD noch ein Bonus-Stück in alter
Current-Manier bereit; schräg, aggressiv, düster und vorallem ganze 11 Minuten lang. Der Kauf lohnt sich also in jedem Fall.
Bands aus dem Bereich des rhytmischen Industrial sprießen wie Pilze aus dem Boden. Da fällt es zunehmend schwer, das prägende
Element einer solchen Kombo auszumachen. Industrial ist nunmal geprägt von einem (gewollten) Minimalismus.
Positiv heben sich die Formationen ab, die sich nicht stur und dogamatisch an die klassischen Stilelemente halten ("Hauptsache viel
Krach"), sondern auch über den Tellerrand hinaus schauen und Einflüsse anderer Coleur in ihren Stücken verarbeiten. Das Zusammenwachsen
der unterschiedlichen Musikrichtungen hat bereits begonnen und wird in den nächsten Jahren sicher weiter an Bedeutung gewinnen.
Ah Cama-Sotz orientieren sich nach erstem Hören sehr stark an Althergebrachtem, doch dieser Eindruck verblaßt mit zunehmendem Genuß
dieser CD. Grundlage vieler Stücke bildet ohne Zweifel der Rhythmus, doch unverkennbar ist auch die Vorliebe für experiementelle Soundspielereien -
seien sie nun synthetischer Art oder durch Verfremdung akustischer Klangkörper; als Beispiel sei hier nur z.B. "Istayul" erwähnt.
"Epithaphe" in die Industrial-Schublade zu stecken wäre verfehlt, denn sie besitzt keine wirklich derben brachialen Momente.
Vielmehr dominieren die vielen ambienten und düsteren Elemente, die mich u.a. sehr stark an Future Sound Of London´s
"Lifeforms" erinnern.
Eine durch und durch gelungene Soundkollage.
"Die Grenzen der Sprache sind die Grenzen der Welt". Diesen Ausspruch
des behavioristischen Semantikers Ludwig Wittgenstein müssen In The
Nursery bei der Komposition ihres neuen Albums im Hinterkopf gehabt
haben. Auf "Lingua" experimentieren die Zwillinge mit gesprochenen
Klängen aus aller Welt, mit denen sie gleichsam die Grenzen der
Sprache zu erforschen suchen. Die universelle Ausdrucksform Musik wird
mit phonetischer Performance in Spanisch, Französisch, Jugoslawisch,
Mayan (Ur-Mexikanisch), Japanisch und Friulan (alt-Italienischer
Dialekt) kombiniert. Eine Studie auditiver Phonetik, ein Experiment
mit der Wahrnehmung und Verarbeitung von artikulierten Worten. Die
multilinguale Vokalistin Dolores Marguerite C. kann ihrem Talent
freien Lauf lassen. Zudem tauchen Gastsprecher wie Nadia Borrás
Markovic, Eloisa Gottdiener, Tomoyasu Hayakawa und Francesco Tami auf,
die den internationalen Charakter des Projektes unterstreichen. Als
Textgrundlage dienen teils moderne Gedichte, teils Fragmente
vergangener Kulturen, wie etwa dem "Popol-Vuh" der Mayas, einem
mittelalterlichen italienischen Gedicht oder einem japanischen Stück
vom Anfang des Jahrhunderts. Die Integration gesprochener Worte hat
bei dem Sheffield-Duo durchaus Tradition. Regelmäßig zitierten sie die
Poesie von Dichtern wie Oscar Wilde, John Donne und Jean Cocteau in
ihren Werken. Anfangs wurden Samples von Filmgrößen wie James Mason
und Richard Burton verwendet, dann konnten sie den berühmten
englischen Okkult-Autor Colin Henry Wilson dafür gewinnen, seine
liebsten romantischen Gedichte zu ihrer Musik zu rezitieren. Eine
erstaunliche Symbiose, die die Kritiker begeisterte. Das jetzt
vorliegende Album ist aber sprachlich sicher das ambitionierteste
Projekt der Klangforscher. Der semantische Charakter tritt in den
Vordergrund, die Musik erhält eine katalytische Funktion, wird
gleichsam zu einem funktionalen Medium. Die Verbindung von modernen
und traditionellen Elementen wird in den Klangstrukturen reflektiert.
Ambientorientierten Synthesizer-Sounds und leichten Dance-Beats stehen
akustische Elemente, wie Gitarre, Oboe, Cor Anglais, Bassflöte,
Piccoloflöte und Percussions gegenüber. Dabei ist dieses Werk, im
Stile eines Konzeptalbums, durchkomponiert. Die thematische Klammer
ist ein Motiv, das im Opener auftaucht und im letzen Stück variiert
wird. Dazwischen stehen homogene Soundteppiche, die eine musikalische
Geschlossenheit signalisieren. Das eingängiste Stück ist sicher
"biello dumlo". Man könnte zunächst versucht sein, das Werk als
eintönig zu bezeichnen. Beim wiederholten Hören erschließen sich aber
immer weitere Dimensionen des vielschichtigen Arrangements. "Language
makes thought possible, for language is thought". (Gabriel Seiberth)
Es könnte eine neue Sachgeschichte der "Sendung mit der Maus" sein : Wie wird eine CD produziert ? - Dieser Frage ging die hier
besprochene Band nach und lieferte auch gleich den passenden Soundtrack dazu. Stampfende Maschinen, rollende Laufbänder und zielsicher navigierte
Greifarme in "Frühschicht", "Spätschicht" und "Nachtschicht" treffen hier aufeinander und liefern durchweg straighten Tanzstoff.
Die 4 Tracks umfassende CD, die zum Thema passend in einer schlichten, silbernen Metallbox verpackt ist, läßt die Vermutung aufkommen,
daß es sich hierbei um ein weiteres Projekt aus der Industrial-Szene handelt; doch dem ist nicht so. Meines Wissens stammen die
beiden Macher dieses Silberlings eher aus dem Techno-Umfeld (was bei genauerem Hinhören auch auffallen dürfte).
Und so schreitet das Verschmelzen der Stile und Szenen weiter voran...
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