Vorbemerkung: Dies ist ein abgelegter
Dissertationsplan, auf dem Stand vom 1990 belassen, wo er auch bleiben
wird.
Vorarbeiten zu diesem Thema gab es keine - schon gar nicht von seiten der
"Arbeitsstelle", es ist also alles auf meinem Mist gewachsen - lauter zarte
Pflänzchen in einer ungelüfteten Suhle.
Die zweifellos zahlreichen Tipp- und sonstigen Fehler gehen auf Kosten von
Textbridge, die (physische) Qualität der Scanvorlage und auf meine Unlust,
abgelegte tote Sachen auch noch korrekturzulesen oder gar aufzuarbeiten.
Sorry, that was it.
Wer sich trotzdem durchwühlt, wird sehen, der Stoff der
"Arbeitsstelle"
reicht zu zwei oder drei 30-Seiten-Aufsätzen oder zwei oder drei
Dissertationen, zu mehr nicht.
Außerdem ist das Stoff für Komparatisten, weniger für bloße
Germanisten. :-)
Oder man guckt mal, wie das Thema in
Freiburg
behandelt wird: Wirklich "wissenschaftlich"!
BIOGRAPHIEN VON ÜBERLEBENSKÜNSTLERN
Lebensläufe in und aus einer Grenzregion. .
(Exposé zu einer Dissertation, von Hartmut Dietz)
I Eingrenzung (Definition) des Stoffs
II Ziele, Fragen und Methoden der Arbeit
III Sekundärliteratur (in Auswahl)
I DEFINITION DES STOFFS
Mit ,,Grenzregion" ist die deutsch—französische, vom Elsaß
über Lothringen und das Saarland bis Luxemburg gemeint. (Aus Gründen
der Kontrastierung sollen Exkursionen z.B. in die deutsch—slawische
Grenzregion, etwa zu August Scholtis ,,Ein junger Herr aus Bolatitz", oder
Horst Bieneks Romanen, nicht ausgeschlossen werden; diese Bemerkung ist
hypothetisch, wie die gesamten folgenden Ausführungen.) [Es gibt/gab
keineVorarbeiten zu diesem Thema]. Ursprünglich war eine Untersuchung
von Autobiographien der genannten Regionen geplant; kursorische Lektüre
(z.T, z.T. sind die Texte auch noch zu beschaffen, was B. Isemann und vielleicht
auch Marianne Oswald angeht,- s.u.) der gefundenen (etwa 40-50, je nach
Definition) Texte legt aber eine Erweiterung des zu untersuchenden Materials
(dem zu untersuchenden Genre nach) nahe als auch eine Präzisierung,
was Themen~fragen und Stoffe angeht; an umfangreicheren Autobiographien von
Autoren sind nicht allzu viele zu finden (bisher), von der Aussagekraft einmal
abgesehen: Als Autoren sind zu nennen Friedrich Lienhard und August Schneegans;
Hermann Stegemann, René Schickele, Friedrich Spieser, Paul Bertololy,
Gustav Regler, Otto Flake und, in Richtung des Memoiren— Typus gehend,
Hans Otto Meissner, mgw. auch die Kindheitserinnerungen von Albert Schweitzer
und Claus Reinbolt sowie die Erinnerungen von Peter Wust, oder auch, nicht
allzu ergiebig, Max Ophüls. Daneben finden sich eine Reihe von
Politiker-Memoiren: Aus der wilhelminischen Zeit vom Grafen Dürckheim
und einigen Beamten, vom Metzer Bischof (kathol.) und besonders eine Reihe
von ,,Rechtfertigungs"-Autobiographien ehemaliger ,,Autonomisten", - oft
eher Separatisten mit nazistischer Vergangenheit, in der die Reichs-Ideologie
der 30er und 40er Jahre dem Zeitgeist entsprechend in eine konservative
Europa—Ideologie umgewandelt wurde, nach der ,,großen Pleite"
(Meissner) des NS. An autobiographischen Romanen wären besonders Alfred
Pellons ,,Gozell Garin. Chronik eines Lothringer Vaganten, 1942) zu nennen
(noch nicht ganz gelesen, ich habe ihn zunächst für einen regelrechten,
d.h. üblichen, Roman gehalten), und besonders ,,Die Linden von Lautenbach"
von Jean Egen (1983), das wahrscheinlich beste, jedenfalls lesbarste Stück
des gesamten Korpus (ohne Regler und Flake unrecht tun zu wollen; s.u.).
Bestimmte Beobachtungen an einigen der genannten Autobiographien haben mir,
im Zusammenhang mit analogen Erscheinungen der rein fiktionalen
Erzählliteratur der Regionen, eine Richtungsänderung der gesamten
Arbeit zum Biographischen hin, also inklusive Biographien und ,,biographischer"
Romane - der Begriff müßte expliziert werden — als sinnvoller
erscheinen lassen; eingehendere historische Untersuchungen, bes. zu der Zeit
zwischen den Kriegen und der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945 ff.)
—2—
fehlen oder sind mit Mißtrauen zu betrachten, auch und gerade die wenigen
deutschen, die m.E. gelegentlich den ,,Zeugen"—Aussagen von deutschen
Übberlebenden auf den Leim gegangen zu sein scheinen,— was die
Untersuchung von Politiker-Memoiren nicht gerade erleichtert; literarisch
sind diese Memoiren (Bickler, Antoni, Ernst, z.T. auch Spieser, der einen
Sonderfall darstellt,- s.u.) wenig ergiebig, es sei denn, man könnte
wirklich literarisch—formale ,,Lügensignale" dingfest machen an
derartigen Rechtfertigungs— und Verdraängungsprodukten (s.u. zu
Lügensignalen) Was mir an den Autobiographien vor allem von Friedrich
Spieser, aber auch August Schneegans, und in einem speziellen Sinn bei Bertololy,
aufgefallen ist, entspricht einer gewissen Tendenz des Genres im allgemeeinen,
findet sich aber auch, wie gesagt, in Romanen, so daß es lohnend erscheint,
dem Thema zu folgen: Alle Autobiographen (vgl. Sloterdijk) zeigen die Tendenz,
das individuelle Leben mit symbolischer Bedeutung zu überhöhen,
es zum Repräsentanten eines — irgendwie gearteten — Allgemeinen,
Uberpersönlichen zu machen,- Sloterdijk nennt das Phänomen
,,Relevanzproduktion‘ zurück-gehend auf die ,,verstehende Soziologie"
des Alfred Schütz (,,Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt", 30er Jahre).
Dieses Bestreben äußert sich bei den genannten Autoren (bei Regler
und Flake z.B. anders) als Bestreben, sich selbst als Symbolfigur der Region
zu stilisieren: Spieser als angebl. ,,Brückenbauer" (s.u.) zwischen
den Nationen, Bertololys Landarzt wird zum mythischen Typus des vorindustriellen
Menschen,(im Zusammenhang mit der Heimatbewegung zu sehen), Schneegans, der
ehemalige ,,Protestler" von 1871 und nachmalige deutsche Diplomat in Italien,
sieht sich/möchte gern gesehen werden als Avantgarde seiner Landsleute,
was die Verständigung mit Deutschland, das Arrangement mit den neuen,-
für dauerhaft gehaltenen -Herren betrifft. Ähnlich hat Friedrich
Lienhard seinen Weg vom Elsaß nach Weimar (Goethe!) auch als
repräsentativ gesehen; z.T. findet sich bei ihm, ähnlich wie
später bei Spieser u.a., ein mehr oder weniger bewußtes Streben
danach, deutscher als die Deutschen zu sein,- gewiß nur ein Aspekt
an Lienhards Werk und Person. Den Typus des Märtyrers des deutschen
Elsaß hat P.C. Ettighoffer in zwei Biographien dargestellt, einmal
vor und einmal nach 1933; märtyrerhafte Züge trägt die Heldin
des — wahrscheinlich auch autobiographisch bestimmten Romans ,,Der Weg
in die Heimat" (1935) der Polly Maria Höfler: Sie stilisiert ihre ,,Jeanne
Martin" in Richtung einer deutschen Jeanne d‘Arc, die sich in der Weimarer
Zeit der Übergriffe einer Reihe von — nicht englischen Soldaten
-sondern jüdischer Herren (erfolgreich) zu erwehren hat; Hitler wird
sozusagen zu ihrem ,,Dauphin" — diese Heilige Johanna des Deutschtums
ist allerdings eher passiv, weniger kriegerisch als die französische
National— heilige (lt. Friedrich Sieburg, ,,Gott in Frankreich‘.
Das Motiv würde eine spezielle Untersuchung lohnen, auch bei A. Pellon,
der eine Erzählung mit dem Titel ,,Die falsche Johanna" geschrieben
hat, vgl. auch ,,Gozell Garin"; bei dieser Variation eines Stücks aus
der politischischen Mythologie der anderen Seite handelt es sich um ein Beispiel
von ,,Interferenz"— 2 Phänomenen). Diese Beispiele mögen belegen,
daß es sinnvoll erscheint, statt gattungsgebunden vorzugehen,
Lebensläufe und ihre symbolisch—typische Verdichtung in einzelnen
Figuren zu untersuchen, in Autobiographien, Biographien und ,,biographischen
Romanen", d.h. Romanen, die in erster Linie den Lebensweg einer Mittelpunktsfigur
erzählen; als Beispiel für letzteren wäre etwa auch der (freilich
als nazistischer Propagandaroman zu lesende) Roman ,,Zwischen den Mächten"
der Anna Maria Falkenstern (=Pseud.) zu sehen (1942). In einer Region mit
Identit äsproblemen waren literarische Erfindungen erwarten, die
Identität gerade stiften sollen, durch Identi-
-3-
fikationsangebote an den Leser - diesem Thema nachzugehen, erscheint mir
sinnvoller als eine amorphe Masse von Autobiographien chronologisch abzuhandeln.
Da ,,Region" ein Auswahlprinzip der Arbeit ist, wäre eine erste
mögliche (und sehr grobe) Gliederungsmöglichkeit das Verhältnis
(Verhalten) der Autoren zu eben ihren Regionen, zu ihrer Heimat;
Verhaltensforscher unterscheiden u.a. zwischen Nesthockern und
Nestflüchtern; eine psychologische Analogie dazu stellt wohl Michael
Balints Typenpaar Oknophile und Philobaten dar (wäre genauer zu
untersuchen), aus literaturwissenschaftlicher Sicht wären Heimatliteratur
und pikarische Literatur die beiden Pole. Wie bei allen derartigen Konstruktionen
ergeben sich natürlich Mischungsverhältnisse der beiden ,,Idealtypen"
(M. Weber): Heimat ist für ihre Autoren oft auch ein Fluchtpunkt, aus
der Stadt, der modernen Industriegesellschaft o.ä.; andererseits ist
die Flucht aus dem Nest nicht selten eine Vertreibung (s.u.) usw. Als
heuristisches Prinzip mag diese Unterscheidung doch nützlich sein, für
eine erste grobe Einteilung. Für das erste der beiden Hauptkapitel,
HEIMAT, wären folgende Autoren zu betrachten ( Charakterisierung der
Werke weiter unten): Lienhard, Bertololy, Spieser, Isemann; unter typologischem
Aspekt die beiden Biographien von Ettighoffer, dazu mgw. Pellon (noch nicht
ganz gelesen, der Untertitel ,,lothr. Vagant" kann auch in die zweite Richtung
weisen) und auch der ,,Muzot" von Mungenast, der ja wohl als Symbolfigur
Lothringens gemeint ist; mgw. auch sein erster Roman, ,,Christoph Gardar".
Schwer einzuordnen ist Hermann Stegemann, dessen Lebensweg, von Koblenz
über das Elsaß in die Schweiz, in die ,,Heimat"-Sparte einzuordnen
ist, ebenso wie seine Romane und das hostor. Werk über den ,,Kampf um
den Rhein Ein Unterkapitel sollte politischen Memoiren gewidmet sein: Solchen,
die sich auf die Kaiserzeit beziehen, wie die des Grafen Durckheim, die des
Bischofs von Metz, Benzler, die Alexanders von Hohenlohe sowie die des
frühen Autonomisten Zorn von Bulach. Dazu kommen eine Reihe von
Rechtfertigungs-Schriften ehemaliger Autonomisten aus den 50er und 60er Jahren:
V. Antoni, Robert Ernst, Hermann Bickler. (Spieser ist unter gewissem Aspekt
eigentlich ebenfalls hierher zu rechnen, verddient aber eine ausführlichere
Behandlung, s.o.). Ein mgw. ergiebiges Unterkapitel sollte, von dem
Mißtrauen ausgehend, das den ,,unsicheren Kantonisten" der Regionen
von deutscher wie französischer Seite entgegengebracht worden ist, um
die Themen Opportunismus, Verrat, Desertion, Kollaboration, Ma1gré-nous
u.ä. kreisen. ,,Lorrain vilain, trahit Dieu et son prochain" (zitiert
bei Ernst Bertram in seinem Buch gegen Barrès, ,,Rheingenius und
génie du Rhin") ist nur zufällig ein französisches Sprichwort,
von Antoni bis Mungenast gehen fast alle Autoren auf dieses Thema ein, Louis
Bertrand hat etwa 1920 einen Essay mit dem Titel ,,Nous autres Lorrains:
La légende de notre mauvais caractère" veröffentlicht.
Wieder unter typologischem Gesichtspunkt wäre hier mgw. von dem ,,Hans
im Schnokeloch", nicht nur Schickeles, auszugehen. Der Luxemburger Nikolaus
Hein hat 1948 eine Novelle m.d. Titel ,,Der Verräter" veröffentlicht,
die allerdings 1830, zur Zeit der belgischen Staatsgründung, spielt.
Beginnen müßte man wohl chronologisch mit den Memoiren von Schneegans.
Passend wäre auch der Roman ,,Der Grenzlandteufel" des nicht mehr
identifizierbaren Charles Merckling. Außerdem gibt es einige
Erinnerungsbücher ehemaliger Mitläufer und Kollaborateure, so von
Stroebelund Wurch, dazu auch Dumser.
-4-
Zum Thema Verrat, doppelte Loyalität o.ä. ist mgw. das Buch der
Margret Boveri, ,,Verrat im 20. Jahrhundert" aufschlußreich, das aus
existentialistischer Persektive der 50er Jahre sich dem Thema nähert;
der im Elsaß geborene Hans Otto Meissner hat einen, allerdings (leider)
nicht regionalbezogenen Roman zum Thema geschrieben, über den Spion
Richard Sorge, den er aus seiner Tokioter Zeit als Diplomat selbst kannte,
und einen Nietzscheschen Macht- und Übermenschen ohne Moral aus ihm
gemachte wohl zu Otto Flake sollte ein weiteres Kapitel gewidmet werden,
ebenso René Schickele. Das zweite Hauptkapitel, FREMDE, könnte
in freiwille und unfreiwillige ,,Nestflüchter" aufgeteilt werden; zu
den ersteren wären Hermann Wendel zu zählen, Norbert Jacques, Regler,
Meissner, Ophüls, Ruelf, dazu mgw. Marianne Oswald und vielleicht auch
Albert Schweitzer. Vertreibung aus der Heimat schildern Abel, Falkenstern,
Höfler. Nachtrag: Unter das Opportunismus-Kapitel wäre mgw. auch
das Thema Desertion zu subsummieren, mit einem Seitenblick auf Romane von
Barrès und Bazin. Das Thema spielt auch bei Falkenstern und Egen eine
Rolle. Zum Abschluß wären neuere Werke zu betrachten, besonders
Jean Egen, mgw. auch Hang und Römbell (?).
—5—
Kommentierte Bibliographie der Primartexte: (unvolist., kursorisch,
in der o.a. Reihenfolge)
1 Nesthocker
ABEL, Hans Karl: Was mein einst war. Poesie und Prosa. Stgt.
21918.Schildert das Leben auf seinem im 1. Weltkrieg von den Deutschen
zerstörten Landgut bei Mctzeral/Elsaß, A. war vor allem wohl
Dialektdichter. Von besonderem Interesse ist sein Roman ,,Die elsässische
Tragödie. Ein Volksroman" (erste Version 1911,? Neu 1918 u.d. T. ,,Ruf
in der Nacht"). Gecshildert wird, ausgehend von einem elsassisch—
französischen Sündenfall, eine Art Reinigungs— oder
Entwelschungsprozeß in Form einer Familiengeschichte, die der Hoffnung
auf ein allmähliches Wiederdeutschwerden des Elsaß beim Autor
entspricht; Glaube an den primär deutschen Chjaraktcr des Elsaß,
ohne Aggressionen gg. Frankreich, aber durchaus auch mit Kritik an Deutschland.
Wäre u.a. für Deutschland— und Frankreichbild interessant:
Der junge Deutsche am Ende des Romans, ein Musiker und Naturliebhaber, entspricht in etwa dem Deutschland—Bild der Mme. dc Stael, sein Großvater, ein ehem. napoleon. Soldat, ein frankophiler Elsässer, eher dem frz. Deutscnlandbild der Zeit,— wenn er auch nicht direkt als ,,Militarist" geschildert wird, sondern als Nachkomme eines frz. Soldaten, der eine elsäss. Bäerin verführt hat (s.o. ,,Sündenfall").
FALKENSTERN, Anna Maria: Zwischen den Mächten. Bln. 1942.(Name ist wohl Pseudonym ?) Schildert den repräsentativ gemeinten Lebensweg eines jungen Elsässers von etwa 1920 bis 1938, dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reicn, mit ex post- Prophezeiung oder mgw. auch Appell, da ein formaler ,,Anschluß" nie erfolgte. Militärdienst, Desertion, Gefangenschaft, Autono— mismus usw. sind zahlr. Motive, die auch in anderen — auch späteren, vgl. Egen — Romanen aus der Region erscheinen Ebenfalls aufschlußreich für das dt- Frankreichbild. Typus des Märtyrers, darin Höfler vergeichbar. (Thema Desertion vgl. auch Bazin und Barrès).
HÖFLER, Polly Maria: Der Weg in die Heimat. Mchn. (Eher)
1935.Der Roman soll in der aus Lothringen 1918 ausgewiesenen Jeanne
Martin/Johanna Martin eine Symbolfigur des ,,Grenz— landmenschen" schaffen;
aggressiv ist der Roamn weniger gegen Frankreich (mit Ausnahme der frankophilen
Lothringer in Metz, ihrer Heimatstadt) als gegen die Gleichgültigkeit
der deutschen Landsleute, und gegen das Weimarer System, das sich in
Höflers Augen auf eine Galerie jüdischer Herren reduziert, vom
Kommunisten über den Gecshäftsmann (Vergewaltigung) zum
Intellektuellen, die ihr auf den Fersen sind; Anklänge an Jeanne d'Arc:
Hl. Johanna des Deutschtums, gelegentlich, nicht ganz durchgeführt;
Hitler ihr ,,Dauphin", auf den sie — anders als die histor. Johanna
,gewartet hat, wie auf einen Messias. Ihre ,,Grenzland"—Mentalität
erinnert an die Front—Etappen—Gegensätze der Kriegsromane;
ähnliches auch in sudetendeutschen Romanen der Zeit zu finden.
H.s zweiter Roman, Andrè und Ursula, 1937 (?), erzählt eine tragisch
endende deutsch—französische Liebesgeschichte; interessant ebenfalls
für das Frankreichbild.
LIENHARD, Friedrich: Jugendjahre. Erinnerungen (1917). 0.0. 1917,
1919. Nach dem Goetheschen Muster; Pntwicklungsroman: Vom Sohn des elsass.
Dorfschullehrers über das Theologiestudium zur Dichtung. Beispiel
dafür, wie mit mehr oder weniger Gewalt das Goethesche Muster aufrecht
erhalten wird. Entwicklung zur ,,Persönlichkeit"; die Darstellung deckt
Unstimmmigkeiten eher zu; seine Entwicklung, eine Art Weg nach Innen, ist
auch als Flucht vor dem autoritären Vater lesbar (Prügel,
Versöhnung auf seinem Totenbett, wo der Vater dann doch die ,,Leistung"
des Sohnes noch anerkennt. Synkretist. bildungsbürgerlichre Idealismus
aus Goethe, Luther, Richard Wagner, mit nationalistischen Tönen. Auch
seine ,,Heimatkunst" ist ihm im Rückblick nur Stufe auf seinem Weg nach
,,Weimar". Dichter und Priester will der entlaufene Theologiestudent sein.
Auch relig. Muster: ,,Seelenkämpfe" in Tagebuchform geschildert, zum
,,Durchbruch" zur Poesie. Nebenabsicht: Deutschheit des Elsaß belegen,
ähnlich Spieser u.a., auch Reaktion auf reichsdeutcshes Mißtrauen.
Goethe-Parallelen: Vom Elsaß nach Weimar.
BERTOLOLY, Paul: Im Angesicht des Menschen. Aus dem Leben eines
Landarztes. Mchn. 1956.- B. erzählt fast ohne alle Orts- und
Zeitan— gaben; er war Artzt in Lembach/Els. Allein die beiden Weltkriege
sind als Zäsuren erkennbar. Seine Literaturproduktio nicht erwähnt;
der Landarzt wird zum mythisch überhöhten Symbol der vortechn.
und vorindustriellen Epoche; anekdot.novellist. Erzählen: Ärztliche
Diagnose an oft grotesken Einzelfällen wird zur kulturkonservativen
Epochendiagnose; teilw. Schwulst; trotz der Episodenreihung, z.T. thematisch
gegliedert, Reste eines Entwicklungsschemas rekonstruierbar: Ein von seiner
kirche wegen Sonderdogmen gemaßregel— ter protest. Pfarrer wird
mit seinen Lehren zu einer Art Erzieher B.s; es steht weniger seine
bäuerliche Klientel im Vordergrund als vielmehr eine Reihe von
Stadtflücht— lingen wie B. selbst ( er war wohl auch vor der
deprimierenden Vorstadtpraxis seines Vaters in einem Stzraßburger
Arbeitervorort aufs Land geflohen); betont seine ,,eigentlichen" geistigen
Interessen, der Arztberuf ist eher Handwerk, Stofflie ferant, mit Zügen
von Charlatanerie. - Literar. gelegentl. an Schnitzler erinnernd: Letzte
Liebe einer krebskranken Dame. Seine Hinwendung zu seinesgleichen (Pfarrer,
Maler usw.) und der gelegentlich kalte Blick auf seine Bauern lassen eine
gewisse Desillusionierung vermuten, was seine länd lich—"heimatlichen"
Ausgangspositionen betrifft. Mgw. Einfluß von Klages: Geist als Widersacher
der Seele? Landarzt wird zum Symbol des vorindustriellen Zeitalters, Nähe
zu ,,Heimatkunst" ?
-6-
SPIESER, Friedrich: Tausend Brücken. Eine biographische
Erzählung aus dem Schicksal eines Landes. Hg. von Agnes Gräfin
Dohna-Schlobitten. Stgt. u.a. 1952 u.o. (neu 1990) Aus dem Titel ist bereits
dreierlei, wenigstens, herauszulesen: Die Richtung seiner Selbststilisierung
in Richtung ,,Vermittlung" (eine Schwindelei, an die er mgw. selbst glaubt);
seine Absicht, in der eigenen Biographie die des Landes (= des Elsaß)
zu erzählen; und schließlich sein Feudalismus, gemischt mit grotesk
narzißtischen Zügen: Die Herausgeberin, eine ostpreußische
Grafentochter, ist Spiesers Ehefrau (gewesen?, der Autor selbst ist vom
Kürschner noch nicht als tot gemeldet) und Finanzier seiner Projekte.
5. ist der Sohn eines altelsäss. protestant. Pastors — mit alldeutschen
Neigungen - aus der Nähe von Zabern, 1903 geboren. Neben den antifrz.
Affekten des Vaters, der nebenher auch Sprachforscher und -pädagoge
war, ist der Kontakt zur Jugendbewegung ein prägender Faktor gewesen,
daneben auch die Bekanntschaft mit den Autonomisten der 20er Jahre; er studierte
in Grenoble (!), promovierte aber in Marburg über Volkslieder in Lothringen
(Pinck) und wurde zum völkischen Propagandisten und Verleger
(Straßburger Monatshefte seit 1937; daneben Autoren wie B. Isemann
-sein ehemaliger Lehrer —, Ettighoffer u.a.~ 5. ließ, mit Geld
aus dem Reich und dem seiner Frau, die Ruine der Hünenburg im nördl.
Elsaß wiedererrichten - was von den Franzosen als antifrz. Demonstration
(zurecht) verstanden wurde; er zog mit seinen Wander—Genossen des von
ihm gegründeten Erwin-von-Steinbach-Bundes durch die Lande und propagierte
die deutschen Volkslieder des Elsaß - ebenfalls eine Provokation; er
war eng befreundet mit dem Gründer der deutlich an der SS orientierten
,,Elsaß—Lothringischen Jungmannschaft des Hermann Bickler (s.u.)
und hatte Komtakt zu Robert Ernst (s.u.). Daß die Franzosen einen
bloßen Propagandisten, dessen ,,Volkstums"-Ideologie gelegentlich wie
eine fixe Idee wirkt, zweimal zum Tode verurteilten (1939 und 1945), hat
seinem Geltungsbedürfnis nicht gerade geschadet, wirkt aber grotesk
- auch angesichts der real geringen Bedeutung seiner völkischen Autonomisten
(der weitaus größere Teil der Heimatrechtler war katholisch
geprägt und ließ an der Treue zu Frankreich keinen Zweifel); die
VolkstumsIdeen können aber — angesichts des französischen
Zentralismus — auch als Angriff auf das Staatsprinzip und die Einheit
Frankreichs angesehen werden, und sind dann weniger harmlos (vgl. Bretonen,
Aquitanien, Basken, Korsen usw.). Seine ,,Brücken"—Funktion als
Vermittler beschränkte sich im Anpreisen dieser Volkstumsideologie,
sein Frankreich-Bild, wie es sich seinem Buch entnehmen läßt,
ist sehr dürftig. Nach 1940 wurde seine Ztschr. immer mehr zu einem
offiziösen NS-Organ - die vor 1940 so peinlich genau eingehaltene
(jedenfalls betonte) ,,Loyalität" zu Frankreich enthüllte sich
als das , was sie war: Heuchelei, Mimikry. - trotzdem hat der Elsässer
S. auch an dem NS öffentlich Kritik geübt; nicht an der Idelogie,
aber an der Parteiorganisation und ihrer Verwaltung des Elsaß;
möglicherweise mit Rückendeckung der SS, deren Mitglied er war.
-7-
S. ist in mancher Hinsicht ein typisches Phänomen: Der Außenseiter,
der sich als Mittelpunkt sehen möchte. Außenseiter ist er erstens
als pro-deutscher Autonomist innerhalb der durch die laizistische Politik
Frankreichs vor allem bestimmten Autonomiebewegung; 5., Bickler und Karl
Roos und ihr Anhang waren zahlenmäßig gesehen, eine Splittergruppe,
mit dem politischen Katholizismus allein durch die Sprachenfrage verbunden.
Außerdem war der protest. Nordelsässer im überwiegend,
katholischen Elsaß wohl noch einmal Außenseiter. Ob 5., der aus
der Nähe von Zabern stamm den typischjen alemannischen Dialekt, den
er in seinem Buch gern gebraucht, so gesprochen hat, wäre eine weitere
Frage. Sein Buch ist - literarisch genommen - ein kurioses Konglome: sehr
verschiedener Einflüsse; es trägt Züge des Bildungs-romans,
soweit eine innere Entwicklung seiner ,,geistigen" Interessen, vom
Volkstumsgedanken (ahistorisch) über parapsychologische Phänomene
(er berichtet von eigenen Wunderheilungen) bis zur Astrologie geschildert
wird,immer wieder gestört durch böswillige Störungen
französische~ seits - gewissermaßen per aspera ad astra,
buchstäblich. Romantisch-märchenhaft ist vor allem der erste Teil;
in dem 5. seiner späteren Frau ,,sein" Elsaß bei einer Wanderung
zeigt, und zugleich seine Jugendgeschichte nachholt; der Märchenprinz
zeigt seiner Prinzessin sein ,,Reich"; ein grotesker Narzißmus, von
der Bedeutung seiner Person absolut überzeugt (Sonnenfinsternis bei
der Geburt — vgl. den Anfang von ,,Dichtung und Wahrheit" mit Jupiter,
Venus usw. mischt sich mit feudalistischen, antibürgerlichen Zügen:
gegen das frankophile Strarßburger Bürgertum — aus
völkischen ,,Heimatkunst"- und ideologisch—konservativen Gründen:
Frankreich ist ihm vor allem identisch mit den Ideen von 1789, wobei 5. den
frz. Zentralismus mit der ihm verhaßten ,,Gleichheit" identifiziert
( der Zentralismus stammt aber gerade aus der Zeit des feudalen Absolutismus.)
Ein weiterer literarischer Aspekt des Buches — näher zu untersuchen
- wäre der Einfluß Ad. Stifters, eines im böhmischen Grenzland
aufgewachsenen Dichters, was S. aber nicht thematisiert; weniger der Nachsommer
als vielmehr ,,Witiko" ist ihm dabei interessant,- er tauft auch einen seiner
Söhne nach ihm, einer mgw. sehr ,,opportunistischen" Figur.
ISEMANN, Bernd: Die Reise in das Ich. Autobiogr. Roman,
etwa 1954-56 entst., unveröffentlicht. Suche nach dem Nachlaß.
Autor wohl doch stärker als in dem ,,Killy"-Lexikon-Artikel in die
Nähe der Heimatkunstbewegung zu rücken. (Nachtrag1998: Die
Beschaffung des Manuskripts war eine Geschichte für sich: Der rasende
Halef und der
milieugeschädigte Professorensohn haben mir mal kurz die entsprechende
Post verschwinden lassen, was für mich natürlich etwas peinlich
war).
ETTIGHOFFER, P.C. (PAUL COLESTIN): Von der Teufelsinsel zum Leben.
Das tragische Schicksal des Elsässers Alfons Paoli Schwartz.
Köln 1932. Neu Gütersloh 1940 (140 000 Ges. aufl.). Geht um den
Streit um eine Staatsangehörigkeit; Sch. ist, wie der 2. Vorname zeigt
(Paoli;der Nationalheld der Korsen) auf korsischem, d.h. frz. Boden geboren,
aber von elsässisch~ Eltern, nach 1871, nach frz. ,,ius soli" also frz.
Staatsangehöriger, solange die Eltern nicht Einspruch erheben; Sch.
diente im Krieg bei der dt. ,,Geh. Feldpolizei", also der militär.
Spionageabwehr (Zweisprachigkeit) und h—8— Kontakte zu frz.
Kollaborateuren. Nach 1918 wurde er in Kehl von Erz. aufgegriffen und als
Hochverräter angeklagt, von elsäss. Richtern zur Deportation nach
Guyana verurteilt; nach langen Verhandlungen 1930 freigelassen. Symbolfigur,
Märtyrer. Ähnlich auch E.s 2. Biographie:
ETTIGHOFFER, P.C.: Erschossen zu Nanzig. Das aufrechte Leben und heldenhafte
Sterben des Karl Roos (U.titel mgw. nicht ganz authentisch).
Straßburg (Hünenburg—Vlg. — F. Spiesers —)1942.
Eindeutig nazistische Tendenz; was aber E.s Entnazifizierung nicht verhindert
hat, wie die im Archiv vorhandenen Materialien aus dem Berlin Document Center
belegen. R., ein fanatischer Propagandist des nichts als deutschen Elsaß,
Autonomist mit eindeutig separatistischer Tendenz, wurde von den Franzosen
1940 als Spion in ,,Nanzig" (=Nancy) hingerichtet, sein Leichnam nach dem
Frankreichfeldzug feierlich heimgeholt und bei Spiesers Hünenburg
beigesetzt. Wie der in Spionagefälle verwickelte‘Schwartz zeigt,
noch durch Ettighoffers propagandistischen Text hindurch, auch der ,,deutsche"
Roos zweideutige Züge: in den 20er Jahren hat er für die
französische Schulverwaltung an der Saar gearbeitet, nachdem ihm die
Franzosen im Elsaß seine Privatschule enteignet hatten. Beide Stücke
Ettighoffers könnten auch unter der Rubrik ,,Opportunismus" abgehandelt
werden; ,,Verrat" o.ä. E. hat mgw. noch weitere einschlägige
Stücke geschrieben, über den Ruhrkampf und seine Gefangenschaft
in Frankreich. PELLON, Alfred: Gozell Garin. Chronik eines Lothringer Vaganten.
Ludwigshafen u.a. 1942. Autobiogr. Roman, in dem u.a. auch Hermann Wendel,
als Korpsstudent auftritt. Soweit gelesen bisher, etwas zweideutige Haltung
des Autors: Durchaus prodeutsch, die Popularität der reichsdt. Verwaltung,
des Kaisers wohl doch übertriebe der ,,Daniel" am Metzer Dom ist ihm
durchaus nicht peinlich; andererseits auch Züge einer lothringer
Identität, wie schon der Name der Hauptfigur belegt: Gozell=erstes
lothringer Rittergecshlecht, ,,Garin" < Loheran - garin, nach P. der mythische
Namengeber des Landes, Lohengrin (Wagner spielt in dem Roman eine gewisse
Rolle, als Repräsentant deuts Kultur). Der in Metz geborene Paul Verlaine
(par hazard, als Soldatenkind/~wird zum typ. Lothringer stilisiert, als Mischung
aus frz. Geistigkeit und deutscher Romantik. Der gelesene erste Teil eine
Künstlerautobiogr. in erster Linie, trotz des Titels wenig ,,Vagantenhaftes"
(bis 1918) Metz und das Lothr. Land Handlungsort. Mgw. auch unter
Vertriebenen-Romane einzuordnen ?
MUNGENAST: Der Zauberer Muzot, der gewiß auch seine Heimat
repräsentieren soll in ihrer Vitalität, trägt doch auch
,,opportunistische"Züge, bzw. die des Überlebenskünstlers:
Die Preußen machen ihn zum Krüppel, er macht später gute
Geschäfte mit ihnen, ebenso wie später, durch Vermittlung sein
frankophilen Schwiegersohns mit den zurückgekehrten Franzosen.
Außerdem ist sein Gegenspieler, der alte Sansterre, für M.s
Frankreichbild interessant (s.u.)
-9-
STEGEMANN, Hermann: Erinnerungen aus meinem Leben und meiner
Zeit. Stgt. 1926. Krieg als Metapher des eigenen Lebenskampfes, deshalb
sein Werk über den ersten Weltkrieg als sinngebenden Lebens-mittelpunkt
dargestellt; die Autobiographie wahrscheinlich durch Kritik an den
Kriegs-Büchern erst motiviert, als Verteidigungsschrift. Das literar.
Werk St.s, auch sein Verh. zum Elsaß, wörüber er zahlr.
Zeitungsaufsätze geschrieben hat, tritt in den Hintergrund der Darstellung;
die Hälfte seiner über 500 S. gilt den 4 Jahren des Weltkriegs.
DÜRCKHEIM-MONTMARTIN, Eckbrecht: Erinnerungen eines elsässischen
Patrioten. Hg. von Guido Knörzer.Stgt. 1922. Noch nicht gelesen,
deckt fast das ganze 19. Jh. ab; beendet 1887.
BENZLER, Willibrord: Erinnerungen aus meinem Leben. Mit
Nachträgen und Belegen hrsg. von Pius Bihlmeyer. Beuron 1922. Verf.
war von Wilhelm II. protegierter kathol. Bischof von Metz, wurde 1918 unter
entwürdigenden Umständen des Landes verwiesen.
ERNSTHAUSEN, A. Ernst von: Erinnerungen eines preußischen
Beamten. Bielef./Lpzg. 1894.
HOHENLOHE, Alexander von: Aus meinem Leben. Ffm 1925. Sohn d. ehem.
Reichskanzlers Hohenlohe-Schillingsfürst; war Reichstagsabgeordneter
für elsäss. Wahlkreise.
ZORN von BULACH, Claus von: Aus meinem Leben. Was ich gesehen,
gehört, erlebt habe, verbunden mit "Gedanken über die Elsässer
Frage". Osthausen/Els. (Selbstverl.) 1926. Ders. Erinnerungen aus
meinem politischen Leben. Gerstheim/Els. (Selbstver.) 1928.
ANTONI, Victor: Grenzlandschicksal — Grenzlandtragik.
Lebenserinnerungen und menschliche Betrachtungen eines Lothringers zu den
politischen Irrungen und Wirrungen seiner Zeit (!). Finstingen/SB
(Selbstverl.) 1957. A. war Bürgermeister von Finstingen
(Fénétrange), gehörte zum Autonomismus katholischer
Provenienz; ,,Nanziger" (d.h. wurde mit Bickler, Rossé u.a. in Nanzig
von dt. Militär a.d. Gefängnis befreit, nachdem sie von den Franzosen
als Spione verurteilt worden waren.) Rechtfertigungs-Memoiren, die gern vom
Persönlichen weg zum Historischen gehen; gehörte zu denjenigen,
die 1940 in der Deklaration von Drei Ähren für einen Anschluß
des Elsaß an das Reich eingetreten sind, was den Autonomismus bisheute
diskreditiert. (Nicht die eigenen ,,Wirrungen", sondern die ,,seiner Zeit").
ERNST, Robert: Rechenschaftsbericht eines Elsässers. Bln.
21954. Ebenfalls apologetischer Natur, wie aber eigentlich alle
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Autobiographien. 1900-1945. In frz. Gefängnis geschrieben; war zunächst wg. Landesverrats angeklagt, ähnl. Schwartz, dann als Kriegsverbrecher.
Stammt aus einer dt.-elsäss. Familie in Straßburg; 1914 im
,,Schicksalsrausch" (Th. Mann) Entscheidung für Deutschland. Nach d.
Krieg Kontakte zu konserv. Gruppen (,,Juni-Klub"z.B.), schnell
Verbandsfunktionär der Vertriebenen Elsaß-Lothringer, der
Auslandsdeutschen—Organisationen überhaupt, mit g<ten Kontakten
zum AA, steuerte wohl auch (finanziell) die Heimatrechtsbewegung mit, jedenfalls
den völkischen Teil (Spieser, Bickler). Blieb auch nach 1933 und den
entsprechenden Gleichschaltungen seiner Verbände (z.T. auch
Auflösungen) an der Spitze; machte sich Hoffnungen, mit oder neben Otto
Meissner e.Art Reichsstatthalter im Elsaß zu werden; wurde aber lediglich
dem Gauleiter Wagner in Straßburg als Berater ohne Kompetenzen beigeordnet,
zeitw. Oberstadtdirektor von Straßburg.
Ehrgeiziger Verbandsfunktionär, nicht immer glaubwürdig, zweideutig,
wie fastr alle hier zu untersuchenden Autoren.
BICKLER, Hermann: Ein besonderes Land. Erinnerungen und Betrachtungen
eines Lothringers. Lindhorst 1978.Autonomist völkischer
Prägung. War in seiner frz. Militärzeit (1930 etwa) beim
,,Deuxième Bureau" in Kehl, nach seinem Abgang aus Straßburg,
wo er nicht den erhofften Einfluß geltend machen konnte, als SS- und
SD-Mann (!) nach Paris. Gründete, nachdem der erste Schub des Autonomismus
verebbt war (um 1930), die ,,Elsaß—Lothringische Jung-mannschaft",
ein Gemisch aus Jugendbewegung und elitärer Volkstums-SS. Ztschr. ,,Frei
Volk". Freund Spiesers, dessen Generation. Kehler und Pariser Episode
natürlich nicht erzählt, bricht 1940 ab. (Gelernter
Rechtsanwalt).
SCHNEEGANS, August: 1835-1898. Memoiren. Ein Beitrag zur Geschichte des
Elsaß in der Ubergangszeit. Bln. 1904. Hg. von Heinrich Schneegans.
Urspr. antipreuß. Journalist im Elsaß (?), 1870 im Parlament
von Bordeaux, fühlte sich von Frankreich im Stich gelassen; ließ
sich als Protestler in den Reichstag wählen; ging allmählich
,,realistisch-opportunistisch" zur deutschen Seite über, schließlich
als dt. Konsul nach Italien.— Auch Verf. heute vergessener Erz. u. histor.
Romane.
MERCKLING, Charles: Der Grenzland-Teufel. Straßb.
1929.Interessant unter typolog. Aspekten; ungleiches Brüderpaar: der
(whrscheinlich) prodeutsche kleine Beamte als positive Figur (Schilderung
des Milieus), dem der Halbbruder gegenüber:hat früher die Deutschen
ausgebeutet als Kriegsgewinnler, und nun die Franzosen, bzw. Elsässer;
Schieber im großen Stil (zeittyp. Figur, nicht nur im Elsaß);
wird schließ—
—11—
lich wg. erot. Konkurrenz erschossen; Schlüsselroman in mancher Hinsicht,
mgw.: Der Staatsanwalt im Colmarer ,,Komplott-Prozeß" 1928 hieß
Fachot, Mercklings Grenzland-Teufel ,,Richot" (natürlich auch ein
sprechender Name für den Sich-Bereichernden); auf Fachot wurde, wie
auf Richot, ein Attentat verübt, das d*e reale Figur überlebte;
Fachot wurden auch finanzielle Manipulationen zu seinem eigenen Vorteil im
Zusammenhang mit Enteignungsverfahren vorgeworfen,- ähnlich ,,Richot".
Da der Autor mehr Haß als literar. Phantasie - oder genauere Kenntnisse
der ,,Geschäfte" hat, ist der Roman leider nicht sehr spannend.
M. hat außerdem noch einen Roman pazifistischer Tendenz geschrieben,
der mit einem schönen Weltuntergang endet, ein Versuch, die elsäss.
Satire-tradition fortzusetzen.
STROEBEL, Josef: Erinnerungen eines Kollaborateurs. Lebensweg eines
Elsässers unter wechselnden Herren. Bad Neustadt a.d. Saale.
1983. Karriere eines kleinen NS-Funktionärs, der natürlich nur
das beste für seine Landsleute wollte...; Sprache ein kurioses Gemisch
aus vulgärer Alltagssprache und den ideolog. Zeitungsphrasen von einst.
Könnte, da vollkommen unliterarisch, Objekt für die projektierte
Suche nach ,,Lügen"-, d.h. Verdrängungssignalen sein.
WURCH, JOSEF: Grenzlandschicksal des Elsasses. Seine Glanzzeit - seine
Tragik. Erlebnisroman (!). Straßb. (Selbstverl.) 1973. Ähnl.
wie Stroebel, aber literarisch gecshickter; ebenfalls der Typus des kleinen
Funktionärs, z.T. auch SD-Mitarbeiter, Spitzel. Haß auf Rob. Ernst
und den kommunist. Autonomisten Hueber. In Er-Form gecshrieben, aber wohl
nicht, um Distanz zu sich selbst zu schaffen, sondern um im Sinne des
,,Erlebnisroman den Relitätsbezug offen/fiktionalzu halten.
DUMSER, Jean: Bekenntnisse eines waschechten elsaß—lothringischen
Autonomisten. Straßb./Nancy 1929.Ein ehem. ,,insider" des Autonomismus
erzählt; entweder wg. erot. Konkurrenz oder auch ,,gekauft"; gezielt
wohl auf den Colmarer Prozeß, nachträglich, wenn das Datum stimmt.
D. versucht nachzuweisen, daß die Heimatrechtler von außen,
über die Schweiz, im grunde aus dem ,,Reich", finanziert worden sind
(wahrscheinl. durch R. Ernst); in diesem Golmarer Prozeß wurden einige
Heimatrechtler auf der Basis schlechten Materials als Landdesverräter
verurteilt; mgw. wollte Dumser (oder sollte?) nachträgl. Material, das
den Justizskandal in einem günstigeren Licht erscheinen ließ,
liefern. Spieser nennt ihn einen ,,Verräter", was wohl für die
Wahrheit seiner Angaben spricht< Dumsers!)
HEIN, Nikolaus: Der Verräter. Lux. 1948.Nov., die einen
scheinbaren ,,Verräter" (das sind immer die anderen) zum Märtyrer
und Nationalhelden stilisiert. Spielt 1830, als Belgien sich von den Vereinigten
Niederlanden löste, und Luxemburger Tendenzen in die belgische Richtung
sich zeigten. Stadt—Land—Ggs..
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Nestflüchter
FLAKE, Otto: Es wird Abend. Bericht aus einem langen Leben.
Gütersloh 1960. Neuausg., verm., Ffm 1980. Nüchterner, metaphernioser
,,Bericht", wäre gut mit Regler zu kontrastieren. Nüchternheit
könnte aber genauso als Verdrängungs-Methode betrachtet werden
wie Reglers oft ausufernde Bildhaftigkeit. Ein Ansatzpunkt, um diese
prätendierte ,Nüchternheit" ,,aufzubrechen", wäre seine
Darstellung der Zürcher Zeit im Umkreis des Dadaismus; die beiden Roamne
aus dieser Zeit, ,,Nein und Ja" und ,,Stadt des Hirns" (vgl. Farins Diss.
über diese ,,Lauda-Romane", nach der Hauptfigur) wollte F. später
nicht mehr gelten lassen, wegen allzu expressionistische Züge, angeblich;
zu vermuten ist vielmehr, daß die radikale Egozentrik dieser Stücke
— der Mensch als ,,um sich selbst kreisender Kosmos" ist eine Leitmetapher
in dieser Zeit bei dem sonst doch so nüchternen Flake — hat
später der ,,bürgerlich" gewordene F. zum Ideal der
,,Souveränität" abgemildert; der frühe Radikalismus mag ihm
peinlich geworden sein.
F. war in seiner Zürcher Zeit u.a. befreundet mit Walter Serner, dessen Hochstapler—Ideal — einer gegen den Rest der Welt — dem frühen Flakesclien Solipsismus vergleichbar wäre. F. hat Serner in ,,Nein und Ja" porträtiert und eine, allerdings kurzlebige, Ztschr. mit ihm zusammen herausgegeben, ,,Der Zeltweg". Ein weiterer Ansatzpunkt wäre ein Vergleicn der Autobiographie mit dem Roman ,,Fortunat"; nach dessen Muster: ,,Europäer", ,,Souveränität" usw., hat Flake sicn als ,,Mann von Welt" (Titel eines Roman—Teils) selbst stilisiert/phantasiert. ,,Bürgerlich" (vgl. Max Weber über bürgerl. Hausbücher u.ä. in ,,Der Geist des Kapitalismus u. die prot. Ethik") ist auch F.s Methode, an gewissen Abschnitten sein Leben in Soll und Haben zu summieren, seine literar. Verdienste in Geldform aufzuführen. — Weiterer Ansatzpunkt: Der Selbstmord des Vaters, gegen den F. mgw. lebenslang angeschrieben hat,— er hat selbst in den 50er Jahren einen Versuch unternommen: Wette gegen den Tod.
(Nachtr.: Zur ,,solipsist." Seite mag auch sein Interesse am Marquis de Sade
zu rechnen sein, noch im großen Essay der 20er Jahre.) Flake als Typus
des Vermittlers au dessus de la melée - Europäer; trotzdem auch
heimat—, landschaftsgebunden.
REGLER, Gustav: Das Ohr des Malchus. Eine Lebensgeschichte.
Köln 1958.Neu: Ffm 1975.Eine ,,Überprüfung" seines manifest
,,historischen" Gehalts anhand von Detailforschungen erscheint mir nicht
sehr erhellend (und aussichtsreich), u.a. weil sie die Gattung Autobiographie
verkennt: In ihr wird gerade keine ,,dokumentarische" Literatur zu sehen
sein, charakteristisch ist für sie doch die literarische Stilisierung
des Erfahrungs— und Erlebnisnaterials. Reglers Untertitel zeigt in seiner
becsneidenen Unbescheidenheit — eine Lebensgeschichte meint ja wohl
die Lebensgecshichte der ersten Jahrhun— derthälfte, an seinen
Verleger Witsch hat er von der Geschichte ,,meiner Generation" egsprochen
— die Richtung einer mögl. Untersuchung an: Gliederung parallel
zur "großen" Geschichte. Sein Weg von rechts nach links, schließliche
,,Rückkehr" (?) zum Individualismus (von dem er wohl nie ausgegangen
ist), oder nicht doch Rückkehr zu sienen ursprünglichen
,,metaphysischen Bedürfnissen" (Schopenhauer), wie sie sich in ,,Hellseher
u. Charlatane‘ und in seinem Interesse an dem indischen ,,Guru" (?)
Krishnamurti, in seiner Indienreise ebenfalls, zeigen. Sein auf Wendepunkte
hin pointierendes Erzählen, auf Damaskuserlebnisse hin, wenn man es
religiös wenden möchte:
Schon zu Anfang die Flucht vor den Autoritätspersonen (Festnahme in Merzig) in die Kirche, in der sein ganzer Leben schon in nuce enthalten ist, was sich u.a. in der Schilderung von den ,,blauschwarzen Fliesen" der Polizei am Blutsonntag des 1. Mai 1929 wiederholt mit dem darauffolgenden Eintritt in die Partei wiederholt; in der Schilderung seiner Kriegserlebnisse und der Trennung von seiner ersten frau sind ähnliche Wendepunkte zu sehen (in letzterem Fall sein Austritt aus der bürgerlichne Gesellschaft).
Aller sozialen und geographischen, auch politischen, Grenzüberschreitungen ungeachtet, scheint mir R. sich doch in der Grundstruktur gleich geblieben zu sein, vor allem in seinem ambivalenten Verhältnis zur Autorität: Flucht vor ihr, Suche nach ihr, und auch Versuche, selbst sie zu spielen.
SCHICKELE, René: Die Heimkehr. Strasb. 1938. Übs.
a.d. Frz. von Ferdinand Hardekppf. Urspr. als ,,Le Retour" von Sch. in frz.
Sprache geschrieben. Vorw. von Hermann Kesten.
Formal das wohl interessanteste Stück, inhaltl. ohne intimere Kenntnis
des Schickeleschen ,,Systtems" schwer durchschaubar. Nicht chronologisch
erzählt, Dialog—, Gedicht— Essay— und
Feuilleton—Formen. Jugenderinnerungen, aber auch polit. Abrechnung mit
Deutschland, dem NS (,,Fünrer" als ,,Ekzema—Kranker" wie Nietzsche...);
andeut.weise Rückkehr zu Mytnos, Religion; Tod der Mutter als pers.
Trennung vom Elsaß - Schluß des Buches; ,,Wiedergeburt" in der
Provence, deren Landschaft, neben der des Elsaß, eine große Rolle
spielt; das mittlere Kapitel,"Der Wald", enthalt die eigentl. Jugenderinnerungen:
Landschaft, Mutter u.ä.; der deutcshe Vater spielt kaum eine Rolle.
Rückkehr wohin: zur ,,mère patrie" Frankreich? In die Provence
als in eine dem Elsaß vergleichbare ,,Jugend"— lanschaft des
Wiedergeborenen?
Dialogpartien in Analogie zu Gerichtsverfahren: Eine profrz. ,,Feuerzunge"
und der mildere ,,Pompier" streiten sich um seine Seele (?).
Neben diesen Jugenderinnerungen noch der ,,Hans im Schnokeloch", aus
typologischen Gründen, mit hineinzunehmen!
WENDEL, Hermann: Jugenderinnerungen eines Metzers. Strasb.
1934.
Schildert mit vitalist. Zügen die Bohème—Jugend des Sohnes
aus preuß.—kleinbürgerlicher Familie, mit schlußendlicher
Flucht: Gegenstück zu Schülertragödien aus der geleichen Zeit.
Metz wird zu Wendeis ,,Klein—Paris" (wörtlich), prägend für
seine frankophilen Neigungen.
—14—
Teils thematisch gegliederte Schilderung der Garnisonsstadt Metz, teils
Erinnerung an an die persönl. Dinge; ehr zu feuilletonist. Memoiren
als zu Autobiograpnie neigend. Wirft, gerade mit dem Vitalismus, der anti—
bürgerlichen Haltung, ein gewisses Licht auf W.s späteren
,,Sozialismus" — er war Reichstagsabgeordnerter dere SPD von 1912 bis
1918.
Nachtrag 1998: Einer der interessanteren Autoren; vgl. den folgenden
Artikel im "Literaturlexikon"
Wendel, Hermann, auch: Leo Parth, Karl Max, * 2. oder 3. 3. 1888 Metz, 10.
10. 1936 St. Cloud bei Paris; Grabstätte: Paris, Friedhof Père
Lachaise. — Journalist, Biograph, Essayist.
Für den Sohn eines preuß. Postheamten wurde Metz zu seinem »Klein-Paris» (Jugendcrinnerungen eines Metzers. Straßb. 1934); der junge Bohemien bewunderte Verlaine u. Lilieneron u. war befreundet mit Renè Schickele u. Otto Flake; der Korpsstudent u. Reserveoffizier ,>rettete sieh zu den Sozialisten« (Flake), wurde unter Anleitung Franz Mchrings sozialdemokratischer Journalist u. war 1912—1918 Mitgl. des Reichstags, in dem er noch 1914 für eine dr.—frz. Verständigung eintrat. Nach dem Krieg ohne Amt, sehrieb W. unter anderem für die ,,Frankfurter Zeitung>‘ über polit. u. literar. Themen. Den oft bereisten Balkan beschrieb er z. B. in Kreuz und quer durch den slawischen Süden (Ffm. 1922). Sein auf Quellen— studien beruhendes Hauptwerk ist die DantonBiographie (BIn. 1930. Neudr. Mchn. 1988); in der Darstellung des Revolutionärs u. seiner Zeit entwarf er das Vorbild einer Synthese aus polit. Idealismus u. Pragmatismus.
WEITERE WERKE:: August Bebel. Ein Lebensbild für dt. Arbeiter.
Bln.1913. . Ncuausg. Offenbach 1948. — Heinrich Heine. Ein Lebens- u.
Zeitbild. Dresden 1916.— Aus drei Kul— toren». Bln. 1922 (Ess.).
— Kämpfer u. Künder. Ebd. 1928 (Ess.).- Die Marseillaise.
Biogr. einer Hymne. Zürich 1936.
LITERATUR: Rainer Stübling: >Vive La France!> Der Sozialdemokrat
H. W. Ffm,. 1983.- Roswitha Bauer: H. W. als Südosteuropapublizist.
Neurwied 1985. — Helmut Scheuer: Ein Grenzfall - In: H. W.: Danton.
a. a. 0.
Hartmut Dietz
(Eine weitere interessante Biografie bietet der greuliche Schriftsteller
Max Lay, der aus einer Berliner
Hugenottenfamilie stammte und u. a. für das "Literarische Büro",
die deutsche Propaganda in Straßburg,
arbeitete.)
JACQUES, Norbert: Mit Lust gelebt.
1950. (Luxemburger, Doktor-Mabuse-Erfinder)
OPHÜLS, Max: Spiel im Dasein. Eine Rückblende.Stgt.
1959. RUFIF, Shlomo: Ströme im dürren Land. Stgt. 1964.
Autor war Oberrabiner in Saarbrücken, in den dreißiger Jahren
nach Palästina geflüchtet.
MEISSNER, Hans Otto: Völker, Länder und Regenten.
(0.0., o.J., wahrsch.um 1956. Zuerst zweibändig als So schnell schlägt
Deutschlands Herz und So schnell dreht sich die Welt, beide Giessen 1951.
Memoiren—Typus, vermeidet persönl. Reflexion; Anekdotier; M. ist
in Straßburg geboren als Sohn des nachmaligen Staatssekretärs
,,unter Ebert, Hindenburg und Hitler", Otto Meissner; wirkt. gelegentlich
als oberflächlicher Sproß seiner Oberklasse, der unter dem NS
nicht allzu sehr gelitten hat; der NS kommt kaum vor, außer etwa als
dunkler Hintergrund eines glänzenden Abends in Hitlers Reichskanzlei
— fast die einzige Stelle, an der die KZs erwähnt werden; NS war
,,eine große Pleite"; wird aber ärgerlich, wenn die amerikanischen
Sieger ihn und seinen Vater etwas ruppig anfassen; Diplomat; Soldat in
Rußland (freiw.), Konsul während des Krieges in Italien; nach
1945 Reiseschriftsteller, gelegentl. etwas arrogant wirkender Europäer
ohne exotistische Anwandlungen; Flucht vor der Massengesellschaft in die
Natur.Neueste Version seiner Erinnerungen (bisher erschienen): Straßburg
o Straßburg. Eine Familiengeschichte. Stgt. u.a.1986 Junge Jahre im
Reichspräsidentenpalais. Ebd. 1988.In stürmischer Zeit. Als Diplomat
in London, Tokio, Moskau, Mailand. Ebd. 1990.
OSWALD, Marianne: Je n' ai pas appris à vivre. Paris
1948.Autorin um 1903 in Saargemünd geboren als M. Collin; als
Chansonsängerin in den 20er Jahren in Berlin, nach 1933 emigriert anch
Paris; Gustav Regler erwähnt sie kurz in ,,San of Nomansland" als ein
Symbol der 30er Jahre in Paris. War in den 50ern ,,productrice" bei ORTF;
der autobiogr. Roman ist nach W.H. Recktenwald angebl. zweimal übersetzt
worden, ohne Publikation. Wäre, der Generation nach neben Höfler
und Thomas zu stellen., (Vorwort von Jacques Prèvert)..
EGEN, Jean: Die Linden von Lautenbach. Kehl u.a. 1983. Autobiogr.
Roman, von etwa 1920 bis 1945 Mit pikaresken Zügen, Humor, ohne
,,gemütlich" zu werden (,,Gspernst").
Auflösung deutsch—französicsher Stereotype: Aus dem preuß. Unteroffizier wird ein Musik— und Poesieliebhaber mit Neigung zu den elsässischen Leibesfreuden, ein Antimilitarist (ohne Ideologie), mit wieder komischen Zügen; aus dem Vater des Helden, profranzösisch, ein aufschneiderischer Tartarin de Tarascon; die erste Hälfte des Buches erzählt die Jugend-geschichte des Autors in anekdoticsher Form; die zweite Hälfte komprimiert seinen Weg durch den 2. Weltkrieg in einen piKarischen Lebenslauf, weniger anklagend als etwa Andrè Weckmann, mit mehr grotesken Zügen, aber nicht weniger ernst im ganzen. (Video im Archiv)
WEITERE mgw. brauchbare TITEL:
APPELL, Paul: Souvenirs dun Alscien. 1858—1922. Paris 1923. ARP, Hans:
Unsern täglichen Traum heute. Dichtungen und Betrachtungen aus den Jahren
1914—1954. Zürich 1955
BAUMANN, Charles: Zwischen Rhein und Vogesen. Hinter den Kulissen der Politik.
Gefährliche Spione. Straßb.-Neudorf (Selbtverl.) 1928. (Umkreis
des Zorn von Bulach).
BRENTANO, Lujo: Elsässer Erinnerungen. Bin. 1917.
CLAUDE, Pierre: Elsaß—Lothringer in Feldgrau. Straßb.
1931.
CURTIUS, Friedrich: Deutsche Briefe und elsässische Erinnerungen.
Frauenteld 1920.— Vater von E.R. Curtius, prot. (?) Pfarrer in Straßb.
, vgl. Robert Ernst.
DRUMM, Paul: Von der 111 zum Lot ins Exil. rlulhouse 1946. ERNST—
WElS, Agnes: So war es in Lothringen. Ffm 1957.
FALCK, Maria: Sturm über dem Rhein. Tagebuch einer Elsässerin aus
dem Jahre 1918. In: Elsaß—Lothringen Heimatstimmen 1935, S. 329—
368.
HEITZ, Robert: Souvenirs de jadis et de naguère. Wörth 1963.
HERBER, Edmond: Elsässisches Lust— und Leidbuch. Erinnerungen seit
1918.
Hagenau 1926.
HEUSS—KNAPP, Elly: Ausblick vom Münsterturm. Erlebtes aus dem
Elsaß und dem Reich. Bin. 1934.
KOESSLER, Alfred: Unser Elsaß. Aus meinem Tagebuch. Straßb. 1028.
LALANCE, Auguste: Meine Erinnerungen 1830—1914. Paris/Nancy
1914.Philanthrop. Fabrikant; Protestler von 1871 ff, a.d. Elsaß
ausgewiesen; etwas unglaubwürdiger, vielleicht von frz. Seite ausgenutzer
,,Friedensengei" kurz vor 1914.
NOELDEKE, Arnold: Jugenderinnerungen an das deutsche Elsaß. Hbg. 1934.
de PANGE, Jean Comte: Mes Prisons. Paris 1945. Lothr. Graf und Europäer,
eines seiner letzten Bücher, ,,VAuguste Maison de Lorraine", m.e. Vorwort
von ,,Othon de Habsbourg" versehen; von Friedr. Spieser als ,,Vermittler"
zw. Deutschland und Frankreich als ungeeignet gesenen, trotz des Adels;
Briefwechsel mit Peter Wust; Bücher über Goethe im E. Elsaß.
Gymnasium in Saargemünd nach ihm benannt; Bibliogr. in der UB.
POINCARE, Raymond: Au Service de la France. - Gebürt. Lothringer, das
vielbändige Werk 1928 ff. in 3 Bde ins Deutsche übersetzt.
REDSLOB, Robert: Entre la France et l'Allemagne. Paris 1933. Elsässer,
war Rechtslehrer in Deutschland vor 1914 (?).
REINACHER, Eduard: Am Abgrund hin. Fragmente der Lebenserinnerungen.Weinheim
1972.
REINBOLT, Claus: Im Schatten des Münsterturms. Aus Kindheit und
Jugendzeit.Wörth 1953.
REINERT, Werner: In diesem Land. St. Ingbert 1989.
SCHNEID, Sadi: SS—Beutedeutscher. Weg und Wandlung eines
Elsässers.Lindhorst 1979. (Bearb.vom Verlag).Gecshichte eines jungen
Elsässers, der in die SS eintrat, angebl. an Kreigsverbrechen beteiligt
war usw. Typus Wurch/Stroebel, Rechtfertigungsschrift, im selben Verlag wie
Bickler.
SCHWEITZER, Albert: Aus meiner Kindheit und Jugendzeit. Straßb. 1928.Aus
meinem Leben und Denken. Lpzg. 1932.Selbstdarstellung. Lpzg . 1930.
Zwischen Wasser und Urwald. In: Ges. Werke, Bd. 1, Mchn. 19??
STRAUB, Karl Willy: Erinnerung an das Elsaß. Ein Zeitdokument. Lahr
1966.(Schriftsteller, Zeit: vor 1914, ,,besonnte Vergangenbheit"). (Muß
auch für SZ geschrieben haben)
STÜRMEL, Marcel: Dr. Ricklin. ein Lebensbild. Colmar 1931.Über
einen frühen Autonomisten, schon der Kaiserzeit, aus kathol .
—autonomistischor Perspektive.(Bi ographie)
TRITTELVITZ, Bernhard: Meine Patienten, die Kumpels ,und ich. 27 Jahre Arzt
an der Saar. Lpzg. 1934.Autor stammt von der Insel Rügen; kommt als
Knappschafts— arzt, und Teil der preuß. Oberschicht an der Saar,
in den tiefen Süden; was eher komisch—beschaulich beginnt, entpuppt
sich schließlich als Propagandastück für die Deutsche Front
von 1935, mit deutlichen NS—Zügen.
WUST, Peter: Gestalten und Gedanken. Rückblick auf mein Leben. Mchn.
1950
ZEMB,Joseph: Chanoine Eugene Muller 1861 - 1948. Zeuge seiner Zeit.Colmar
1960.
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