Archiv

Textbeiträge aus zurückliegenden Ausgaben

[ HOME | INDEX | ARCHIV | History 1997 | 1998 | 1999 ]

 

Rubrik

Titel

veröffentlicht

Frühstück mit Peki (1)
[Kurzgeschichte]

Der Paragraph

29.09.97

Kurzgeschichte

Der Honigkuchenkater

10.07.97

sermonizing

Das stinkt uns

10.07.97

 


 

Der Paragraph

(veröffentlicht am 29.09.97)

Peki kam spät an diesem Mittwoch morgen. "Entschuldige, ich hab' total verpennt. Ich war bis vier im Park." - "Na, ich hoffe, es war wenigstens ergiebig." verzieh ich grinsend. "Schon, aber nicht so sehr beim Rumschrauben. Ich hab' mich mit so 'nem jungschen Typen recht gut unterhalten." antwortete er während er die Brötchentüte auf dem Tisch aufriß und wie gewöhnlich die Krümel über das halbe Zimmer verteilte. Ich dachte nur stillschweigend, gut, daß morgen die Putzfrau kommt und schenkte Kaffee ein. - "Die Polizei und der Schwulenverband hatten ihren Infostand aufgebaut. Wir machten uns darüber lustig, daß sich so viele Schwulis aufgeregt aus dem Staub machten. Er sagte 'Da gab's doch mal so 'nen Paragraphen. Ich weiß gar nicht mehr, wie der überhaupt hieß.'" - "Sag mal, wie alt war denn dieser Bubi?" fragte ich dazwischen. - "Ich schätze so Mitte zwanzig." antwortete Peki.

Ich seufzte nachdenklich "Hab ich dir noch nie erzählt, daß ich wegen diesem Paragraphen schon mal für fünf Stunden in einer Zelle gesessen habe?" Peki schluckte "Ne, das mußt du aber sofort nachholen."

"Ist schon 'ne Weile her. Ich war sechzehn und mein erster Freund war vierundzwanzig. Einer seiner Verflossenen war so eifersüchtig, daß er ihn bei der Sitte anschwärzte. Prompt wurde er observiert. Als wir uns eines Tages auf der Straße trafen und uns brav mit Handschlag begrüßten, waren wir plötzlich von vier Zivilbullen umringt. Da er gerade ohne Job war und in seiner Bude nicht offiziell angemeldet war, haben sie ihn für ein halbes Jahr in Untersuchungshaft gesteckt bis sie ihm dann den Prozeß machten." Peki war entsetzt: "Das ist ja grauenhaft!" - "Es war die Hölle." fuhr ich fort "Du kannst dir sicher denken, welch ein Horror daraufhin mit meinen Eltern ablief. Sie schleiften mich zu einem Psychiater, der mir das Schwulsein mit Hypnose abgewöhnen sollte."

"Und heutzutage läuft mir ein junger Mann über den Weg, so Mitte der Zwanziger, und weiß nicht mal mehr die Nummer dieses Paragraphen. Schon seltsam, wie schnell die Welt sich ändert." sinnierte Peki. "Glaubst du wirklich, daß sich die Welt so schnell ändert?" fragte ich zurück. "Wir sollten mal nicht vergessen, daß der weitaus größere Teil der heute in diesem Lande lebenden Schwulen sein Coming Out hatte, als der Paragraph noch voll in Kraft war. Er wurde in der letztgültigen Form immerhin erst so vor zwei oder drei Jahren abgeschafft." Peki fügte hinzu "Es hat wohl eher etwas mit unserer heutigen Single-Gesellschaft zu tun, daß Schwule besser ins allgemeine Bild passen. Jedenfalls ist es mir ziemlich suspekt, daß wir von den Talk-Shows so sehr als die hippen, netten Jungs hofiert werden. Das kann auch noch mal umschlagen. - Setzt du vielleicht noch mal neuen Kaffee auf?" - "Na klar!" ich stand auf und ging Richtung Küche. Plötzlich fiel mir ein, daß Peki immer nur von dem Paragraphen geredet hatte, wußte er denn wohl, welche Nummer der hatte?

"Einhundertfünfundsiebzig!" rief mir Peki hinterher "Ich mag vielleicht ein spaß-geiler, zeitgenössischer Schwuler sein, aber soviel von schwuler Geschichte kann ich noch gut behalten ..."

© 1997 Klaus Knust, Hamburg, Germany

 


 

Der Honigkuchenkater

(veröffentlicht am 10.07.97)

Ich renne bei strömendem Regen durch den Park und rufe "Kater! - Kater!". Irgendwo spielt jemand 'Moon River'. Mehr noch als Audrey Hepburn's zerfließende Hochfrisur fällt mir das von Regentropfen beperlte Gesicht von George Peppard ein. Ich rauche eine weitere Zigarette. Eine mehr als veranschlagt. Aber der Kater kommt - natürlich - nicht. Ich spiele schon mit dem Gedanken mich mit einem Ersatz-Kater abzulenken, den Deckel wieder fest auf die Liebesfontäne zu drücken. Ich grinse und schlendere zum Auto zurück. Langsam schleifender Blick über das Panorama bringt Gewißheit: kein Sportwagen-Kabrio weit und breit zu sehen. Vorsicht, Junge, bloß nicht wieder die Auto-Manie. Die Liebeswahn-Torturen mit anstrengender, immerwährender Ausschau nach dem Gefährt des Geliebten sollte ich besser im Pappkarton übler Erfahrungen schlummern lassen. Ich fahre heim.

 

Der darauffolgende Donnerstag im Café Gnosa. Auf der Empore im hinteren Raum sitzt ein junger Mann an einem Tisch und ist interessiert über die ausgebreitete Zeitung gebeugt. Ich nähere mich vorsichtig und erkenne 'Die Zeit'. Ich schlucke kurz und bringe dann ein halbwegs gut intoniertes "Hi!" heraus. Er schaut auf. Er ist es. Bei ihm scheint's noch nicht zu klingeln. Hastig entschließe ich mich zum Angriff, grinse und sage ruhig und möglichst faltenfrei "Mit dir möchte ich gerne nach Paris fahren."

 

"Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob du wohl alle deine Liebhaber 'Kater' nennst." fragt er grinsend. - "Nein, mein Kleiner, nur dich. Aber hast du denn unser erstes mal vergessen? Damals im Busch hast du mich beim Ficken leidenschaftlich in den Rücken gebissen. Und ich mußte an meine Vierbeiner denken. Der Kater ist auch etwas kleiner als die Katze. Und eines Tages waren wir zu acht." Er grinst wie ein Honigkuchenpferd: "Das würde ich sehr gerne gleich hier wiederholen." - "Zum Glück brauchen wir den Busch jetzt nicht mehr. Wollen wir mal sehen, ob wir deine Zeitung hier bekommen können?" Wir schauen uns noch einmal um und genießen den Ausblick über die Stadt, besteigen den Fahrstuhl und fahren zwischen achtzehntausend Stahlträgern den Eiffelturm hinab. Die Erde hat uns wieder.

 

© 1997 Klaus Knust, Hamburg, Germany

 


 

Thema: Das stinkt uns - Szene-Kritik

(veröffentlicht am 10.07.97)

Peki nörgelt schon wieder 'rum. Will seine neue maßgeschneiderte Lederkluft ausführen und dabei unter seinesgleichen sein. Und nicht nur er bemängelt, daß in den Lederbars der Hansestadt an allen Tagen der Woche allzu gemischtes Cruiser-Volk Einlaß findet. Das Tom's verkommt immer mehr zum Pornokino mit Getränkeausschank. Wobei dort die Rumrennerei der Weißhosen und Baseballköpfe es nicht mal mehr zu gepflegter, geiler Anmache kommen läßt. Allzu oft reduzieren inzwischen in dieser Atmosphäre auch die eigentlich szene-heimischen Typen ihren Sex auf einen Klappen- oder Darkroom-Abwichs. Was ist los, Männer? Zum Wichsen kann man doch auch bei besserer Atemluft in den Stadtpark gehen. Und da ist z.Zt. ganz schön was los. - Wechseln wir also ins Black. Ganz o.k. gemischt, in der Woche sowas wie 'ne Nachbarschaftskneipe, am Wochenende laute Disse. - Ab ins Chaps. Seit dem Inhaberwechsel zu Jahresbeginn wieder etwas mehr los, auch an Wochentagen. Alt-Lederherren haben hier Heimspiel. Aber, aber, Sirs, daß wir in Lederkneipen nicht tanzen dürfen - Fußwippen heimlich erlaubt - ist schon seit den Siebzigern überholt. Lautes Lachen ist hier verpönt, die Stimmung streng und ernsthaft. Wann es zu letzten Züchtigungen kam ist uns nun auch wiederum nicht bekannt.

Hör auf zu nörgeln, Peki, laß dir was einfallen!

Ihm ist was eingefallen. Peki sagt "Ich hab' ja gar nichts gegen die Typen. Nur ihre Fashion sollen sie bei sunshine durch die Lange Reihe schieben. In den Lederkneipen sollen sie doch ihre 501 und 'n T-Shirt tragen." Peki kam vorbei und hat sich an meinen PC gesetzt. Er fabriziert jetzt Schilder mit dem Aufdruck "Heute Dress-Code! Zutritt nur in Leder / Gummi / Uniform oder kerligen Jeans!". Die will er jetzt am Wochenende vor die Lederbar-Türen kleben.

Na, schau'n mer mal!

 

 


[ HOME | INDEX | ARCHIV | History 1997 | 1998 | 1999 ]


This Website is hosted by Get your own free homepage!

1