Ein Komentar zu Reinigung eines Aussätzigen Mk 1, 40-45
Von Sirus Laia, Münster, Deutschland
1. Der Text
40 Und es kommt zu ihm ein Aussätziger
bittend zu ihm, auf Knie fallend
und sagend zu ihm,
Wenn du willst, du kannst mich reinigen.
41 Und Mitleid habend
streckte er die Hand aus,
berührte ihn,
und sagte zu ihm,
ich will. Werde rein!
42 Und sofort ging der Aussatz von ihm weg, und wurde er rein.
43 Und fuhr ihn an
trieb ihn weg,
44 und sagte zu ihm,
Sieh zu, sage es niemand,
sondern geh heimlich,
zeige dich dem Priester
und entrichte für deine Reinigung,
was Mose verordnet hat,
ihnen zum Zeugnis.
45 Er ging raus, fing an, vielfach zu verkünden und das Wort
auszubreiten,
so daß er nicht mehr konnte öffentlich in eine Stadt hineingehen,
sondern draußen am einsamen Ort war er, und sie kamen zu ihm von
überall her
2. Textkritik
Der Text ist durch Wörter (41: splagxnizomai, 43: e)mbrima¿omai und e)ce/ba¿llw), die uns mehr an einen Exorzismus als an eine Heilung von Aussatz erinnern, besonders aufgefallen. Diese Wörter finden sich in Mt und Lk nicht (oder sie haben sie weglassen). Aber gerade dies verleiht dieser markinischer Erzählung einen starken Charakter. Diese und andere Auffäligkeiten der Erzählung läßt feststellen, daß die Geschichte absichtsvoll gestaltet ist und etwas Bestimmtes bezweckt (D. Zeller).
3. Namen-, Zeit-, und Ortsangabe
Bei der Geschichte der Reinigung eines Aussätzigen in Mk 1,40-45 fällt uns besonders auf, daß ihr im Gegensatz zu ihren Parallelen in Mt und Lk Namen-, Orts-, und Zeitangabe fehlen. Der Kranke wird in der Erzählung nicht mit einem Namen identifiziert, sondern nur allgemein als ein Aussätziger . Auch Jesus wird nur in 3. personal Pronomen genannt. Der allgemeine Charakter der Erzählung kann nur durch den Blick auf den Gesamtrahmen des ersten Kapitels des Mk verständlich gemacht werden, sonst müssen wir annehmen, daß die Perikope ein Nachtrag ist (E.Klostermann). Oder wir müssen uns ein andere Lösung bedienen: der Redaktor hat mit Absicht die leeren Stellen in die Erzählung eingebaut, um ihr eine hohe Identifikationsmöglichkeiten bei den Lesern (pragmatischer Aspekt) zu gewähren (vgl. D. Zeller). Der Text hat ja gewisses Interesse an missionarischer Christusverkündigung (vg. R. Pesch).
4. Weitere Auffäligkeiten
Optisch gesehen fällt sofort durch die eingerückten wörtlichen Reden auf, daß diese auch die ganze Erzählung bestimmen. Es fängt mit der Bitte des Kranken an, die gepaart ist mit der Antwort Jesu auf diese Bitte. Und darauf folgt der Auftrag Jesu an den Geheilten und die Erzählung geht dann zu Ende mit dem erfolgreichen Ausführen dieses Auftrags. Es bildet sozusagen einen Chiasmus, mit dem Vers 42 als seine Achse: der Aussatz ging von ihm weg und er wurde rein. Diese Feststellung markiert das Ende einer über den Aussätzigen verhängten Situation und gleichzeitig den Anfang eines geheilten Lebens in seiner neuen Rolle, die Kunde von Jesus zu verbreiten und somit die Menschen, die von überall her (v.45) kamen, anzuregen, zu Jesus zu kommen.
Auffallend ist auch das wiederkehrende Wort: kaqarizw, das auch in beiden Sequenzen vorkommt und dadurch die ganze Erzählung ausprägt. Dies läßt natürlich fragen, worum es sich in dieser Geschichte handelt. Um Heilung oder Reinsprechung? Der Aussätzige bittet ausdrücklich um eine Reinsprechung. Und Jesus spricht ihn auch ausdrücklich rein. Diese Reinsprechung wird qualifiziert durch das Wollen Jesu: Ich will. Werde rein! Deshalb scheint der Auftrag Jesu an den Geheilten, sich dem Priester zu zeigen, sinnlos und widerspruchlich (vgl. J. Ernst).
5. Narrative und pragmatische Analyse
Die Erzählung hat die allgemeinen Merkmale einer Wundererzählung. In der ersten Sequenz spielt sich die eigentliche Heilungszene ab, angefangen mit dem Auftreten des Kranken (40a), und die Bitte um Heilung, die hier dramatisiert wird dem Niederfallen (40b) und mit der totalen Vertrauensäußerung des Kranken (40c). Der Erzähler spart sich eine Charakterisierung der Krankheit und der Situation und konzentriert sich ganz auf den erfolgreich bestandenen qualifying test (D. Zeller). Ganz schnell wird die Erzählung auf die Höhe der Spannung gebracht. Jetzt bleibt nur zu erwarten, wie Jesus nun auf die voll vertrauen vorgetragene Bitte um Heilung des Kranken reagiert.
Auf dem Weg zum Klimax bedient sich der Erzähler ein Motiv, das in den parallelen Geschichten in Mt und Lk fehlt, nämlich die pneumatische Erregung des Wundertäters (41a). Es folgt dann der Heilungsvorgang, der durch Berührung und das Heilungswort (41bc) vollzogen wird. Auch hier dramatisiert der Erzähler den Vorgang der Heilung durch Bruch des Tabus, man solle nicht mit dem Aussätzigen in Berührung kommen. Damit wird die erste Sequenz zum Höhepunkt der Erzählung gebracht und schließt sich mit der Feststellung der Heilung (42) ab.
Nun bleiben nur noch der Auftrag und die Entsendung. Auch hier bedient der Erzähler eine drastische Sprache mit interessanten Motiven. Jesus treibt den Geheilten weg und gibt ihm einen widerspruchlichen Auftrag. Einerseits soll der Geheilte heimlich weggehen und niemand von der Heilung erzählen, andererseits muß er Zeugnis geben, nicht nur vor dem Priester, vor dem er sich zeigen und sein Reinsein amtlich bestätigen soll, sondern auch Opfer bringen, und d.h. vor einer unbestimmten Mehrheit (D. Zeller) Zeugnis ablegt. Das Wissen über die Tat Jesu ist von hoher Bedeutung, daß es der Erzähler noch mit Schweigegebot unterstreicht. Doch es ist nicht ein für sich selbst zu behaltenes Wissen. Spätestens beim Vollzug des Opfers muß der Reingewordene dieses Wissen offen halten. Und genau das tut er. Die Verbreitung des Wissen bringt die Menschen dazu, Jesus aufzusuchen, dort wo er seine Vollmacht üben kann. Die wiederholende Erzählung dieses Wissen ist die mit gewünschter Wirkung. Was einst ein Geschehen war, wird nun zur Geschichte, die bein den Lesern die Wirkung zeigt. Die Geschichte wiederholt sich nun im neuen Kontext. Wie der Aussätzige zu Jesus gekommen war, so kommen auch jetzt viele zu ihm. Eine neue Wundergeschichte könnte anheben . Diese Menschen wird zum potentiell Adressaten des Wunderwirkens von dem Geheilten, indem er die Stelle Jesu einnimmt (D.Zeller). Also quasi ein Rollenwechsel ist vollzogen worden. Missionarisches Motiv der Erzählung läßt sich nicht verdecken.
6. Verständnis von Krankheit und Heilung
Es ist deutlich, daß die Geschichte kaum Interesse hat, die genaue Bestimmung der Krankheit zu schildern. Es ist aber vorauszusetzen, daß der Aussatz erhebliche sozialen und kultischen Folgen hat. Jesus schenkt nicht nur Heilung, sondern auch Reinsprechung, die die Vollmacht Jesu in den Vordergrund stellt. Heilung bedeutet also die Reintegration des Kranken in das soziale und kultische Leben. Der Reingewordene kann nun Ofper bringen, also vor Gott hintreten. Die Beziehungsmöglichkeit zu Gott wird hergestellt. In dankbaren Lobpreis wird die Heilung auf Gott als Urheber zurückgeführt, sein Tun wird bekannt gemacht (D.Zeller). Das ist die neue Rolle des Geheilten, die er nun spielen soll. Das Wissen um diese Macht Jesu ist ein Wissen, das er verbreiten muß. So tritt er an die Stelle Jesu, so daß die Menschen dort Anteil an diesem Wissen haben; daß auch ihnen das Wesen Jesu aufgehen kann (D. Zeller). Wie der Aussätzige zu Jesus gekommen war, so kommen auch jetzt viele zu ihm.