Kreuzsymbolik bei Irenäus von Lyon

Von Sirus Laia, Münster, Deutschland


  1. EinfÜhrung
  2. Über die Person
  3. Kreuzsymbolik bei Irenäus
    1. Kreuz als des Gehorsams und der Nachfolge
      1. Holz: Zeichen des Gehorsams Christi
      2. Holz bzw. Kreuz: Zeichen der Nachfolge
    2. Kreuzesform als Symbol des umfassenden Heils
      1. Heilsangebote Gottes
      2. Kreuz als Leiter zum Himmel
      3. Kreuz als Symbol des allumfassenden Heils
  4. Literaturhinweis
  5. Anmerkungen

1. Einführung

Irenäus gehört sicherlich zu den großen Gestalten der Kirchenväter. Dies läßt sich nicht nur durch seine geographische Biographie, die sich aus der griechischen Heimat Smyrna bis Südgallien streckt und ihm universalkirchliche Züge verliehen hat,(1) sondern auch in Hinblick auf sein theologisches Werk, von dem die fünfbändigen Gegen die Häresien und die Darlegung der apostolische Verkündigung Zeugnis ablegen. Wie kein anderer hat er den christlichen Glauben systematisch darzustellen versucht, auch wenn dieser Versuch von einer stark gefärbten Apologie motiviert und geprägt hat. In Irenäus findet sich "der erste große Versuch, die Überlieferung des Glaubens in einer heilsgeschichtlichen Gesamtschau darzustellen."(2) Dabei hat er sich eine sehr modern zu betrachtende Methode angeeignet: Er bemüht sich, zunächst die Lehre der Gnosis zu studieren, eher er mit dem Versuch beginnt, sie zu widerlegen. Offensichtlich war Irenäus der Überzeugung, daß man die Irrtümer einer Lehre dann nur auch offen zeigen kann, wenn man sie auch genau kennt. Denn -- so Irenäus -- "wer sie umlenken will, der muß ihre Grundanschauungen oder Prinzipien genau kennen. Es kann ja auch kein Mensch Kranke heilen, der nicht weiß, woran die Kranken leiden" (Gegen die Häresien IV, Vorrede 2). Auf jeden Fall gilt Irenäus im Hinblick auf diese seine theologische Leistung als Vater der katholischen Dogmatik(3).

Trotz dieser Leistung in der Systematik erweckt Irenäus, was die christliche Symbolik betrifft, eher einen wenig hervorragenden Eindruck. Denn in seinen Schriften sind kreuzsymbolikbezogene Texte nur wenig zu finden. Es ist schon bemerkenswert, daß Irenäus z.B. bei der Kirchensymbolik, wie die sehr umfangreiche Untersuchung Hugo Rahners dokumentiert,(4) ganz fehlt. Es stellt sich die Frage, ob Irenäus Gebrauch von Symbolik nur sparsam macht, oder kommt das, weil er ein Systematiker war? Trotzdem ist es schon interessant, die Kreuzsymbolik in seinen Schriften näher kennenzulernen. Denn er bedient sich zwar der gängigen christlichen Symbolik, aber diese steht -- wenn man auch den theologischen Hintergrund mit in Betracht zieht -- in einer einzigartigen Beziehung zu seiner systematischen Theologie, so daß die Kreuzsymbolik, die er gebraucht, noch viel aussagekräftiger wirkt.

2. Über die Person

Irenäus wurde circa 140 geboren und verbrachte in seiner Heimat Smyrna eine ganz christlich geprägte Kindheit. Davon bezeugen seine Schriften. Aus uns unbekannten Gründen verließ er mit den Eltern die griechische Westküste Kleinasiens, wanderte nach lateinischem Südgallien aus und fand dort eine neue Heimat. Dieser Ortswechsel soll auch seinen Begriff von dem Universalismus des Christentums geprägt haben, so hat z.B. N. Brox festgestellt.(5) Später wurde er in seiner Ortsgemeinde Presbyter und leiste dort gute Arbeit. Das beweist u.a. seine zweimalige Reise nach Rom als Vertreter seiner Ortskirche, um beim Montanismusstreit zu verhandeln, und für die Vereinheitlichung des Ostertermins mitzuwirken. Im Jahre 177 wurde er zum Nachfolger des verstorbenen Bischofs gewählt und somit konnte sich bis zum seinem Tod um 200 oder kurz danach noch mehr für die Einheit der von Häresien bedrohten Kirche eintreten.

Irenäus lebte in einer Zeit, als die gnostische Religion mit all ihren Formen sich als ernsthafte Herausforderung für Christentum zu profilieren begann. Um dies entgegenzuwirken, ging Irenäus einen ganz intellektuellen Weg. Er versuchte die gnostische Lehre zu widerlegen, indem er sich intensiv mit ihr auseinandersetzte, und so ihre Irrtümer von innen her aufzudecken. Dieses Programm führte er in seinem fünf bändigen Werk Adversus haereses, Gegen die Häresien. Sein Anliegen war es, die Einheit der Kirche zu wahren und ihre ursprüngliche Lehre zu verteidigen. Dabei liegt seinem theologischen Denken die Überzeugung von der "weltweiten Präsenz der Wahrheit" und "einheitlichen Geschichte" der Welt zugrunde.(6)

Es gibt vier Grundgedanken der irenäischen Theologie, die der Widerlegung der gnostischen Häresie dienen sollen. Erstens, es gibt nur einen Gott beider Testamente. Der Gott des Alten Testamentes ist auch der Vater Jesu Christi und der alleinige Gott. Das garantiert die Einheit der Schöpfung vom Anfang ihrer Geschichte bis zum deren Ende. Zweitens, es gibt kontinuierlichen Fortschritt der Offenbarung vom Alten und zum Neuen Testament. Was im Alten verfallen war, wird nun im Neuen durch und in Christus wiederhergestellt. Drittens, es gibt einen Heilsplan Gottes, der sich allmählich durchsetzt und verwirklicht in der fortschreitenden Heilsgeschichte. Viertens, der Rekapitulationsgedanke (anakephalaiosis). Nach der Rekapitulationstheorie faßt Jesus Christus die lange Entwicklung der Menschen in sich zusammen (Adv III 18,1). In Wirklichkeit hat er sogar nicht nur die Geschichte der Menschen, sondern alle Geschöpfe, das All überhaupt, rekapituliert (Adv III 23,1). Brox hat diesen Rekapitulationsgedanken des Irenäus so zum Ausdruck gebracht: "Gott begann in Jesus Christus sozusagen noch einmal von vorn, in dem er das alte aufgriff und zum guten, reicheren Ende führte. Darum hat das Neue seine antithetischen Entsprechungen im Alten, so daß das eine das andere in seinem Sinn erklärt."(7)

Im Zusammenhang mit der Kreuzsymbolik sind besonders zwei dieser Grundgedanken seiner Theologie von relevanten Bedeutung. Der erste ist der Entwicklungs- bzw. Erziehungsgedanke, der am häufigsten in seiner Kreuzsymbolik mit spielt, und der nicht weniger wichtige zweite Gedanken der Wiederherstellung des Kosmos (Rekapitulationstheorie).(8)

Der Entwicklungsgedanke steht eng mit der Anthropologie des Irenäus zusammen. Entscheidend für seine Anthropologie ist die exegetisch nicht unumstrittene Unterscheidung zwischen Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit des Menschen, die Irenäus in Genesis 1,26 herleiten zu können glaubt.(9) Dort heißt es: "Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich" (In Luther Bibel 1984: Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei). Daraus liest Irenäus zwei Grundkonstitutionen des Menschen: die Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit (Siehe bes. Gegen die Häresien V 6,1; 16,2). Für Irenäus markieren also Ebenbildlichkeit (eikon, imago) und Ähnlichkeit (omoiosis, similitudo) zwei Momente des Daseins des Menschen als Gottes Geschöpf. Mit imago verbindet er einen Anfang des Menschen, der mit der Fähigkeit ausgestattet ist, sich zur Gotteskindschaft zu entwickeln. Gegen die Häresien II 28,1 kann als einer der Beispieltexte, die die einige der Stichworte zu diesem Entwicklungsgedanken des Irenäus enthalten: "Wachstum", "in der Liebe zu Gott wachsen", "zum Größeren brufen," "Kind," "Weizen." Und dieser Imago-Charakter des Menschen besteht, wie P. Schwanz richtig formuliert hat, "in Vernunft und Freiheit."(10) Nach Irenäus aber ist Jesus Christus, der Logos, das wahre Bild Gottes, der Mensch hingegen sei nur nach diesem (also Abbild) geschaffen worden. Jeder Mensch trägt in sich imago, und kann nicht verloren gehen. Die Ähnlichkeit dagegen muß der Mensch anstreben und er kann sie verlieren. Hier setzt sich der Entwicklungs- bzw. der Erziehungsgedanke des Irenäus ein. Denn die Bestrebung nach der Gottähnlichkeit ist ein ständiger Prozeß. Oder in freier Formulierung Haukes: "Gottes Gute wird niemals ganz gegeben, sondern nur stückweise."(11) Der Mensch kann sie nicht dauerhaft in Besitz nehmen, denn diese hat im Grunde genommen einen Geschenkcharakter. Auch wenn der Mensch in der Gegenwart gottähnliche Züge aufweisen kann, vollkommene Gottähnlichkeit wird es aber erst in der Zukunft geben. Irenäus stellt sich den Menschen wie ein Kind vor, der sich allmählich durch die viele Stufen der Entwicklung heranwächst und in der Lage ist, Gott aufzunehmen (Vgl. Gegen die Häresien V 32,1). In diesem Sinne versteht er Zeitlichkeit als Ort des Wachstums (Gegen die Häresien IV 5,1). Mit diesem Gedanken im Hintergrund darf das Begriffspaar Gehorsam-Ungehorsam, der in den Kreuzsymbolik betreffenden Texten sehr häufig vorkommt, interessant sein.

Der andere Gedanke ist die Rekapitulationstheorie. Der Versuch, die Lehre der Gnosis zu widerlegen, hat Irenäus dazu gezwungen, eine klare Linie in der systematischen Theologie nachzuzeichnen. Die Lehre der Gnosis lebt von einem dualistischen Weltbild, in dem zwei gegen einander konkurrierenden Prinzipien von Gut und Böse vorherrschend sind. Sie unterscheidet zwischen Gott, dem Urheber alles Guten, und dem Schöpfer Demiurg, der für das Unheil und Böse in der Welt verantwortlich ist.(12) Beide Prinzipien sind in allen wirksam: Licht - Dunkel, Geist - Leib, Gut - Böse. Und der Mensch kann aus dem "Gefängnis" des Bösen nur durch besonderes Wissen (gnosis) erlöst werden. Diesem Weltbild gegenüber setzt Irenäus ein anderes Weltbild entgegen, das aus einem einheitlichen Prinzip besteht, was eigentlich nicht anderes ist als konsequente Durchführung des monotheistischen Bekenntnisses. Geist und Leib werden nicht als Gegensatz betrachtet.(13) Es gibt nur einen Gott, den Urheber alles Guten, der auch der Gott des Alten Testamentes ist. Der menschgewordene Gott ist es, der das, was an der Schöpfung durch Sünde beschädigt war, wiederherstellt. So markiert Irenäus im Gegensatz zu Gnosis den Schöpfer und Erlöser zu einer Einheit und die ganze Geschichte als Vollzug des eines Heilsplans des einen Gottes. So bekommt die durch Christus vollzogene Erlösung kosmische Züge, denn in Christus vollzieht sich die Erlösung des ganzen Kosmos. Dieses allumfassende Heil Christi läßt sich durch die Kreuzesform symbolhaft darstellen.

3. Kreuzsymbolik bei Irenäus

Die auf die Kreuzsymbolik bezogene Texte zeigen, daß Irenäus sowohl die Symbolik der Kreuzform als auch die auf das Material des Kreuzes beruhende Symbolik selbst kennt. Die Symbolik der Kreuzform kommt in vier Texten (Darlegung 46, 79, 34, und Gegen die Häresien II 24.4) vor, während das symbolhafte Material des Kreuzes in den sechs weiteren Texten die Verwendung findet. Der Blick in den Kreuzsymbolkatalog des Irenäus sagt uns, daß er besondere Vorliebe für die typologische und antithetische Parallelität zwischen bestimmten Heilgeschehen im Alten und im Neuen Testament auf. Zur typologischen gehört z.B. die Parallelität Holz des Isaaks und Kreuz Jesu als Symbol der Nachfolge (Gegen die Häresien IV 5,4) oder Leiter Jakobs und Kreuz Jesu als Symbol für Aufstieg in den Himmel (Darlegung 45), oder die Erhöhung der Schlange in der Wüste und die Erhöhung Jesu auf dem Kreuz (Gegen die Häresien IV 2,7). Die antithetische findet sich in der Parallelität des Ungehorsams Adams am Baum der Erkenntnis mit dem Gehorsam Jesu auf dem Kreuz (Gegen die Häresien V 16,3; Darlegung 33; 34). Nur die Symbolik vom Frucht bringenden Holz (Gegen die Häresien IV 4,18) paßt nicht so sehr in dieses Schema.

Die interessantere Symbolik bei Irenäus ist ihrem Irenäus typisch theologischen Gehalt nach die der Kreuzform. An erster Stelle muß das kosmische Kreuz in Darlegung 34 genannt werden. Irenäus, der die dualistische Vorstellung der Gnosis zu widerlegen versucht, sieht in der Form des Kreuzes ein Bild, mit dem er seine eigene Theologie bildhaft präsentieren kann.

3.1 Kreuz als Symbol des Gehorsams und der Nachfolge

3.1.1 Holz: Zeichen des Gehorsams Christi

In den Texten zur Kreuzsymbolik kommt bei Irenäus das Wort Holz oft vor. Für ihn aber steht das Holz im Zeichen des Kreuzes. Mit Holz verbindet er eine Tragik des Sündenfalls, für die er den Begriff Ungehorsam zu verwenden pflegt. Holz erinnert also an den Ungehorsam des Menschen gegen Gott, der ihm auch die Gottähnlichkeit beraubt hat. Der Mensch hat die Früchte des Baum der Erkenntnis gegessen, und hat somit selbst sein Todesurteil herbeigeführt. Doch diese Tragik war nicht alles. Der Sohn Gottes hat den Ungehorsam des Menschen durch seinen Gehorsam am Holz des Kreuzes auf- und eingelöst. Irenäus schreibt: "Durch den Gehorsam nun, den er (sc. der Menschensohn) bis in den Tod festhielt, an das Holz gehängt, löste er den alten mit dem Holz verbundenen Ungehorsams auf" (Darlegung 34). Das Heilsgeschehen am Kreuz sieht er also unter der Perspektive der Wiederherstellung des gebrochen Urzustands. Wobei dieses parallelisierende Schema stark in den Vordergrund tritt: was am Holz beschädigt war, wird auch am Holz wiederhergestellt. Ein anderes Zitat wird dies verdeutlichen:

Auch das Vergehen, das an einem Baum stattgefunden hatte, wurde durch einen Baum des Gehorsams aufgelöst, indem der Menschensohn im Gehorsam gegen Gott an das Holz angeschlagen wurde, wodurch er die Erkenntnis des Bösen vernichtete, die Erkenntnis des Guten aber einführte und aneignen ließ (Darlegung, 33).

Ausführlicher hat Irenäus dies in Gegen die Häresien zum Ausdruck gebracht:

Doch nicht nur auf die genannte Weise [durch die Menschwerdung] offenbarte der den Vater und sich, sondern auch durch sein Leiden. Er hob nämlich den im Anfang am Holze geschehenen Ungehorsam des Menschen auf, indem er "gehorsam wurde bis zum Tode, bis zum Tode aber des Kreuzes". Den Ungehorsam am Holze heilte er durch den Gehorsam am Holze. Er wäre nicht denselben Weg gegangen, um den Ungehorsam gegen unseren Schöpfer aufzuheben, wenn er einen anderen Vater verkündet hätte. Da er jedoch durch das Holz, durch welches wir Gott nicht gehorcht und seinem Worte nicht geglaubt hatten, auch den Gehorsam und die Erfüllung seines Wortes einführte, so hat er doch offenbar hierdurch darauf hingewiesen, daß wir mit demselben Gott, den wir im ersten Adam beleidigt hatten, indem wir sein Gebot nicht hielten, in dem zweiten Adam versöhnt worden sind, indem wir gehorsam bis zum Tode wurden (Gegen die Häresien V, 16.3).

Der Gehorsam Christi ist somit für Irenäus ein Begriff des Heils in Christus. Der Heilsplan Gottes in ihm kommt also einer Wiedergutmachung des Vergehens am Baum der Erkenntnis gleich. So interpretiert er das Erlösungsgeschehen am Kreuz auf den Fall des Menschen hin. Das Schema ist klar: was am Holz zu Fall gekommen war, muß nun auch am Holz wieder gut gemacht werden.

3.1.2 Holz bzw. Kreuz: Zeichen der Nachfolge

Wenn wir nun den Entwicklungsgedanken des Irenäus als Folie dieser Texte benutzen, wird das Begriffspaar Ungehorsam-Gehorsam dynamisch erscheinen. Ungehorsam war der Mensch. Indem er aber Christus nachfolgt, lernt er den Gehorsam zurück zu gewinnen. Das folgende Zitat bringt dies zum Ausdruck:

Mit Recht nehmen aber auch wir, die denselben Glauben haben, wie Abraham ihn hatte, das Kreuz auf uns wie Isaak das Holz und folgen ihm nach. In Abraham hatte der Mensch nämlich früher schon gelernt und sich daran gewöhnt, dem Wort Gottes nachzufolgen (Gegen die Häresien IV, 5.4).

Gehorsam steht somit für einen Prozeß des Lernens auf dem Weg der Nachfolge. Und unweigerlich kommt uns beim Lesen eigentlich der Horizont in den Blick, der das Ziel dieses Prozesses ist: die Gottähnlichkeit. Der Weg der Nachfolge ist ein Weg des Lernens. Das erinnert uns aber an das Menschenbild des Irenäus selbst: Der Mensch wird durch Zunahme und Wachstum auf Gott hin konstituiert. "Der Mensch erfährt aber Fortschritt und Wachstum zu Gott. Gott hört nämlich niemals auf, dem Menschen Gutes zu tun und ihn reichlich zu versorgen, und der Mensch hört nicht auf, die Wohltaten anzunehmen und sich von Gott bereichern zu lassen" (Gegen die Häresien IV 11,2).

3.2 Kreuzform als Symbol des umfassenden Heils

3.2.1 Heilsangebote Gottes

In den weiteren Texten tritt die Symbolik der Kreuzesform deutlich in den Vordergrund. Die Form des Kreuzes, die an die ausgebreiteten Hände erinnert, symbolisiert das Heilsangebot Gottes zu seinem Volk. Irenäus schreibt:

Und wiederum sagt Jesaja über sein Kreuz so: Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgebreitet nach einem unverständigen und widerspenstigen Volk" (Jes 65,2 LXX). Denn das ist ein Zeichen des Kreuzes (Darlegung, 79).

In den ausgebreiteten Händen sieht Irenäus also die Hände Gottes selbst, der selbst die Initiative ergriffen hat, sein Volk aus der Macht des Feindes zu befreien. Das geschieht auf dem Kreuz und in der Kreuzesform wird es symbolhaft dargestellt:

Auch hat er [Mose] die widerspenstigen Ungläubigen in der Wüste aussterben lassen, die an ihn Glaubenden aber und die an Bosheit Kinder sind, in das Erbe der Väter eingeführt, das nicht Mose, sondern Jesus zur Erbschaft verteilt, der uns auch von Amalek durch das Ausstrecken seiner Hände (am Kreuz) befreit und in das Reich des Vaters führt und hinaufbringt (Darlegung, 46).

3.2.2 Kreuz als Leiter zum Himmel

Wenn das Kreuz nun als Symbol der ausgebreiteten Hände Gottes gedeutet werden kann, gilt auch dieses Kreuz, das als Schule des Gehorsams zu betrachten ist, als Weg zu Gott bzw. zur vollkommenen Gottähnlichkeit. Das Bild von Leiter kann dies symbolhaft versinnbildlicht. Das Bild des Kreuzes kommt dem Bild einer Leiter gleich, wobei der gemeinsame Inhalt berücksichtigt werden muß: beide bringen den Menschen nach "oben". Irenäus schöpft dazu sein allegorisches Talent aus, wenn er schreibt:

Und als Jakob nach Mesopotamien ging, sah er ihn im Traum oben auf der Leiter stehen, das heißt, auf dem Holz (sc. dem Kreuz), die von der Erde bis zum Himmel reichte; denn auf ihr steigen die an ihn Glaubenden in den Himmel hinauf.. (Darlegung, 45).

3.2.3 Kreuz als Symbol des allumfassenden Heils

Diesen einzelnen Bildern steht ein anderes gewaltiges Bild gegenüber, das das ganze All umfaßt. Durch seinen Gehorsam am Kreuz hat Christus die ganz beschädigte Schöpfung wiederhergestellt. Das gewonnene Heil betrifft also nicht nur bestimmte einzelne Aspekte in der Schöpfung, sondern durchdringt sie in einem kosmischen Maß. Irenäus schreibt dazu:

Durch den Gehorsam nun, den er (sc. der Menschensohn) bis in den Tod festhielt, an das Holz gehängt, löste er den alten mit dem Holz verbundenen Ungehorsams auf. Denn er ist selbst das Wort des allmächtigen Gottes, welches in unsichtbarer Gestalt in uns über die ganze Welt verbreitet ist und ihre Länge und die Breite und die Höhe und die Tiefe durchzieht, denn durch das Wort Gottes hat das Universum seinen Bestand; und ihn ihm ist der Sohn Gottes gekreuzigt, indem er dem Universum (sc. allen Dingen) das Kreuzzeichen eingezeichnet hat. Denn es gebührte ihm, daß der, sichtbar gekommen, die Kreuzgemeinschaft von uns allen mit ihm in Erscheinung bringt, damit er seine Wirkung im Sichtbaren durch sichtbare Form zeige. Denn er ist es, der die Höhe ins Licht stellt und die Länge von Ost und West hinstreckt und die Nordseite und die Mittagsbreite durchschifft und die Zerstreuten von allen Seiten zur Erkenntnis des Vaters zusammenruft (Darlegung, 34).

Die Gestalt des Kreuzes, die alle Richtungen zeigt und einen Mittelpunkt in der Mitte hat, vergegenwärtigt für Irenäus die ganze Heilsgeschichte im Christus, der im Kreuzgeschehen den Heilsplan Gottes zur Vollendung brachte. Die Kreuzesform ist wie eine Kurzfassung dessen, was die ganzen theologischen Traktate nur in Umrissen darstellen können. Deshalb kann Irenäus in die biblichen Loblieder (Eph 1,3-14 und Kol 1,12-20) einstimmen, wie das Zitat zeigt. Das heißt, Irenäus hat dieses Bild nicht erfunden. Er bedient sich aber diese Loblieder, mit deren Begriffen er seine eigene Theologie am besten zum Ausdruck bringt.(14) Das heißt, in diesem Zitat hat der theologische Gehalt wesentlich stark mit gespielt. Die Wirkung des Heilsgeschehen in Christus durchdringt den ganzen Kosmos und durchzieht die ganze Geschichte. Der Theologie des Irenäus nach faßt Jesus Christus die lange Entwicklung des Kosmos in sich zusammen (Rekapitulation). Und dies alles, das kein theologisches Traktat ausschöpfend zu Wort bringen kann, läßt sich aber im Bild der Kreuzesform symbolhaft präsentieren. Christi Kreuz ist ein kosmisches Kreuz, was auch die christliche Kunst nachhaltig geprägt hat.(15)


Literaturhinweise und weiterführende Literatur:

  • Brox, Norbert, Offenbarung, Gnosis und gnostischer Mythos bei Irenäus von Lyon, Salzburg, München: Pustet, 1966.
  • Haubst, R., "Anakephalaiosis," in: LthK 1, 1957.
  • Hauke, Manfred, Heilsverlust in Adam. Stationen griechischer Erbsündenlehre: Irenäus - Origines - Kappadozier, Paderborn: Bonifatius, 1991.
  • Irenäus von Lyon, Darlegung der apostolischen Verkündigung, Freiburg i.B. u.a: Herder, 1993, übersetzt und eingeleitet von Norbert Brox.
  • Irenäus von Lyon, Gegen die Häresien I-IV, Freiburg i.B. u.a: Herder, 1993-1995, übersetzt und eingeleitet von Norbert Brox.
  • Jaschke, Hans-Jochen, Irenäus von Lyon, in: TRE 16, 258-268.
  • Ladner, Gerhart B., Handbuch der frühchristlichen Symbolik: Gott - Kosmos - Mensch, Wiesbaden: VMA-Verlag, 1996.
  • Scharl, Emmeran, "Recapitulation" Mundi, Freiburg 1941.
  • Schlier, H., , µ, in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, hrsg. von G. Kittel, fortgesetzt von G. Friedrich, Stuttgart, 1933ff.
  • Schlier, H., Der Brief an die Epheser, Düsseldorf: Patmos, 21958.
  • Schwanz, Peter, Image Dei, Halle (Saale): Veb Max Niemeyer, 1970.

Anmerkungen

1. Vgl. Brox, N., "Einführung", in: Irenäus von Lyon, Darlegung der apostolischen Verkündigung; Gegen die Häresien, Band 8/1. Übersetzt und eingeleitet von Norbert Brox, Freiburg u.a., 1993, 7-20, hier 16.

2. Hauke, Manfred, Heilsverlust in Adam, Paderborn: 1991, 195. Hauke bezieht sich hier auf das Werk von A. Bengsch Heilsgeschichte und Heilswissen, Leipzig 1957, 207.

3. Diese viel zitierte Bezeichnung stammt vom Übersetzer des Irenäus-Werks Ernst Klebba, Des heiligen Irenäus fünf Bücher gegen die Häresien, Kempten-München: 1912, IV.

4. Siehe Rahner, Hugo, Symbole der Kirche. Salzburg 1964.

5. Brox, N., "Einführung", 16.

6. Ibid., 18.

7. Brox, N., Offenbarung, Gnosis und gnostischer Mythos bei Irenäus von Lyon, Salzburg: Pustet, 187

8. Zum ersten Hauptgedanken schreibt z.B. Hauke, "Der Gedanke der Entwicklung und Erziehung ist für Irenäus zentral." Ders., Heilsverlust in Adam, 211. Zu dem zweiten z.B. P. Schwanz, "Daß die Gottebenbildlichkeits-Vorstellung bei Irenäus nicht am Rand seines Gedankengebäudes steht, zeigt die Rekapitulationstheorie." Ders., Imago Dei, Halle (Saale): Veb Max Niemeyer, 1970, 117.

9. Peter Schwanz hat mit Recht festgestellt, daß "daß die Lehre von der Gottebenbildlichkeit für Irenäus von Bedeutung ist, tritt schon rein äußerlich in der häufigen Zitierung von Gen 1,26 hervor, genauso in der ständig wiederkehrenden Verwendung der Begriffe eikon und homoiosis bzw. imago und similitudo." Siehe Anm. 11 in Schwanz, Peter, Imago Dei, 117.

10. Schwanz, P., Image Dei, 140.

11. Hauke, Manfred, 211.

12. In einigen Gruppierungen der Gnosis gilt der Gott des Altes Testamentes als der Demiurg, also der Schöpfer dieser von Bösen beherrschenden Welt. Siehe Brox, N.,"Einführung", 9.

13. Zum Thema Leib bei Irenäus siehe z.B. Joppich, Godehard, Salus Carnis. Eine Untersuchung in der Theologie des hl. Irenäus von Lyon, Münsterschwarzach, 1965.

14. Siehe u.a. Scharl, Emmeran, "Recapitulation" Mundi, Freburg 1941, und Schlier, H., , µ, in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, hrsg. von G. Kittel, fortgesetzt von G. Friederich, Stuttgart, 1933ff. In der Theologiegeschichte hat Irenäus den Begriff "recapitulatio" mit geprägt und einen starken Einfluß auf besonders katholisches Denken geübt.

15. Als Beispiel dazu dienen zwei Mosaiken: die Apsismosaik von Sant'Apollinare in Classe bei bei Ravenna und die Kuppelmosaik im sog. Mausoleum der Galla Placidia auch in Ravenna. Detaillierte Angabe über das kosmische Kreuz in der frühchristlichen Kunst findet sich bei Gerhart B. Ladner, Handbuch der frühchristlichen Symbolik, Wiesbaden: VMA-Verlag, 1996, 99ff.


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