Blut bei den Urchristen

 

Die Gesellschaft behauptet, Christen müssten sich auch heute noch „des Blutes enthalten“. Auch die Urkirche hätte dies als einen ewiggültigen Grundsatz verstanden. Da das Neue Testament (die christlich-griechischen Schriften) dies an keiner Stelle sagt und da an der einzigen Stelle, an der vom Essen von Blut die Rede ist, der Textzusammenhang zeigt, dass es darum ging, die Juden nicht vor den Kopf zu stoßen, ist die Behauptung schon aus diesem Grund nicht stichhaltig.

Die Gesellschaft versucht, ihre Ansicht durch gewisse frühchristliche Schriften zu stützen. Dies ist wegen ihrer Lehre, dass unmittelbar nach dem Tod des Apostels Johannes ein großer Abfall vom wahren Glauben einsetzte, sehr überraschend, denn deswegen weigert sie sich sonst immer, das Wort der Kirchenväter in irgendeiner anderen Frage als Autorität anzuerkennen. Überdies findet jeder, der diese alten Schriften untersucht, dass kaum jemals in irgendeiner Frage Übereinstimmung herrschte, nicht einmal in den wesentlichen Lehren. Das ist besonders für Zeugen bemerkenswert, die sich auf Debatten über die Dreieinigkeitslehre einlassen und diese Texte als historischen Beleg für ihre Haltung angeben, nur um dann zu erfahren, dass ihr Gegenüber andere Beweistexte findet, die das Gegenteil zeigen.

Offensichtlich ist, dass die Kirchenväter selbst in der Frage des Wesens Jesu Christi große Meinungsverschiedenheiten hatten. Wir wissen, dass die Ansichten von der des Arius, der etwa eine Haltung gleich der unsrigen einnahm, bis zu der des Athanasius reichten, aus dessen Lehre sich schließlich die Trinitätslehre entwickelte, wie wir sie heute kennen. Dass man diese Männer als Autorität für Glaubensfragen benutzt, kann man kaum redlich nennen, wenn die Gesellschaft im gleichen Atemzug behauptet, dass sie zur abtrünnigen Christenheit gehörten. Wir stimmen jedoch damit überein, dass ihre Schriften zumindest dabei helfen können zu belegen, wie die frühen Christen bestimmte Bibeltexte auffassten.

Wir wollen einmal sehen, wie die Wachtturm-Gesellschaft einige frühchristliche Texte zur Unterstützung heranzieht:

„Und 177 u. Z., über hundert Jahre später, als in Lyon (heute Frankreich) religiöse Feinde die Christen fälschlicherweise beschuldigten, Kinder zu essen, sagte eine Frau namens Biblis: „Wie können solche Menschen Kinder verspeisen, da es ihnen nicht einmal gestattet ist, das Blut unvernünftiger Tiere zu genießen!“ (Eusebius von Cäsarea, Kirchengeschichte, herausgegeben von H. Kraft, 1967, S. 237).
Die ersten Christen aßen keinerlei Blut. Darüber schrieb Tertullian (ca. 160--230 u. Z.) in seinem Werk Apologeticum (herausgegeben von Carl Becker, 1961, S. 91, 92): „Vor Scham erröten sollte eure Verblendung vor uns Christen, da wir nicht einmal Tierblut unter die zum Genuss erlaubten Speisen rechnen und da wir von dem Fleisch auch erstickter und verendeter Tiere deshalb nichts wissen wollen, damit wir mit keinerlei Blut besudelt werden, auch nicht wenn es in ihren Eingeweiden begraben ist. Deshalb legt ihr ja, wenn ihr die Christen auf die Probe stellen wollt, ihnen auch Würste vor, die mit Tierblut gefüllt sind -- offenbar in der festen Gewissheit, dass deren Genuss bei ihnen verboten ist --, und wollt sie damit von ihrem Glauben abtrünnig machen.“ Minucius Felix, ein römischer Rechtsgelehrter, der um das Jahr 250 u. Z. starb, äußerte einen ähnlichen Gedanken, indem er schrieb: „Uns hingegen ist es nicht einmal gestattet, ein Menschenmorden anzusehen oder anzuhören; ja so sehr haben wir Scheu vor Menschenblut, dass wir nicht einmal das Blut essbarer Tiere unter unseren Speisen kennen“ (Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 14, 913, Dialog Octavius, XXX, 6, S. 190). (Einsichten über die Heilige Schrift, Band 1, Seite 423)

Die Blutfrage war in den frühen Jahren wohl kaum eine Frage von zentraler Bedeutung für den christlichen Glauben. Wir finden sie nie in einem Glaubensbekenntnis formuliert, und die wenigen Quellen, die die WTG gefunden hat, dokumentieren zwar die Gewohnheit, kein Blut zu essen, aber immer als Teil einer Beweisführung gegen die weitverbreitete Anklage, Christen würden das Blut von Kindern trinken (wahrscheinlich hat dieser populäre Mythos seinen Ursprung in der Eucharistie, d. h. dem Abendmahl). Es ist zu beachten, dass es für die christlichen Schreiber in keinem dieser Fälle hilfreich gewesen wäre, den Hintergrund für diese Praxis anzugeben, weil dies ihr Argument entkräftet hätte.

In der Broschüre Jehovas Zeugen und die Blutfrage (1977) finden wir dieselben Quellenangaben wie im Einsichten-Buch. Auf der Seite 14 ist eine Fußnote, die weitere Beweise im Überfluss anzuführen scheint:

Andere Bezugnahmen (aus dem 2. und 3. Jahrhundert), die diese Anwendung von Apostelgeschichte 15:28, 29 unterstützen, sind in folgenden Werken zu finden: Origenes, Gegen Celsus, VIII, 29, 30 und Kommentar zu MatthäusXI, 12; Klemens, Der ErzieherII, 7 und Teppiche IV, 15; Klementinen: Homiliensammlung VII, 4, 8; Wiedererkennungsroman IV, 36; Justinus der Märtyrer, Dialog XXXIV; Cyprian, Traktate, An Quirinius III, 119; Lehren der zwölf Apostel VI; Apostolische Konstitutionen VI, 12; Lucian, Über das Lebensende des Peregrinus, Abs 5.

Die Gesellschaft teilt uns nur nicht mit, dass es die Apostelgeschichte in diesen frühen Jahrhunderten in mehreren Fassungen gab. Einigen Schreibern kam der Beschluss des Apostelkonzils merkwürdig vor, und sie änderten ihn ab, um ihn richtiger erscheinen zu lassen. In den sogenannten Westlichen Texten kamen die Apostel zu einem anderen Beschluss: (alle von uns übersetzten Texte sind im folgenden durch (**) gekennzeichnet)

„(b) Die Westlichen Texte lassen 'und Erwürgtes' aus und fügen eine negative Form der Goldenen Regel in 15.20 und 29 hinzu . . . Was (b) betrifft, so ist offensichtlich, dass das dreifache Verbot . . . sich auf moralische Anordnungen bezieht, sich des Götzendienstes, der Unkeuschheit und des Blutvergießens (oder Mordens) zu enthalten; dem ist dann noch die Goldene Regel in negativer Form hinzugefügt.“(Bruce M. Metzger, A Textual Commentary on the Greek New Testament, Seite 430-431) **

Es waren die „Westlichen Texte“, die von einer bedeutenden Anzahl dieser frühen christlichen Schreiber verwendet wurden, und diese Texte hatten bereits die rein rituellen Vorschriften in der ursprünglichen Beschreibung des Apostelkonzils durch Moralvorschriften ersetzt. Offensichtlich waren sich also diese späteren Abschreiber nicht des Hintergrundes des Blutverbotes bewusst, und sie hatten Mühe, den Text zu verstehen. Um ihn annehmbarer zu machen, „korrigierten“ sie den Text so, dass drei Moralvorschriften herauskamen: Götzendienst, Unkeuschheit und Mord. Und kaum jemand wird leugnen, dass diese Grundsätze auf alle Christen Anwendung finden! Kein Wunder also, dass die frühen Christen meinten, der apostolische Erlass sei immer noch in Kraft.

Über diese Texte lesen wir:

„Von den verbleibenden Arten von Texten, die Westcott und Hort herauskristallisierten, ist der sogenannte Westliche Typ sowohl alt als auch weit verbreitet . . . Sein Ursprungsdatum muss äußerst früh liegen, vielleicht vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts. Marcion, Tatian, Justin, Irenäus, Hippolyt, Tertullian und Cyprian machten alle in mehr oder minder großem Ausmaß von der westlichen Textform Gebrauch.“ (Bruce M. Metzger, The Text of the New Testament, 1968, NY: Oxford University Press, Seite 132.) **

So verwandte eine bedeutende Anzahl früher Schreiber, die die Gesellschaft anführt, einen Text, der anzeigte, dass die Apostel von Mord -- Blutvergießen -- sprachen, wenn sie sagten, man solle sich des Blutes enthalten, und nicht über das Essen von Blut. Es ist daher nicht überraschend, dass diese Schreiber meinten, die Vorschrift des Konzils sei immer noch für Christen bindend! Die Gesellschaft verzerrt die Wahrheit, wenn sie sich auf Cyprian und Tertullian beruft, um ihre Auslegung des Apostelkonzils zu stützen.

Wenn also einige frühe Schreiber sagten, sie hätten sich des Blutes enthalten, hatte das nichts mit dem Text aus Apostelgeschichte 15 zu tun, denn soweit ihnen bewusst war, ging es hier um das Verbot zu morden und nicht um das Essen von Blut. Es liegt natürlich auf der Hand, dass die Praxis, kein Blut zu essen, zumindest bei einigen Urchristen ihren Ursprung in der Verordnung von Jerusalem hatte, die nur dazu gedient hatte zu vermeiden, dass unter den Juden Unruhe entstand. Aber es gibt kein ausdrückliches biblisches Verbot, sondern es ist nur eine kulturelle Entwicklung.

Viele Christen heute haben ähnliche kulturelle Verbote: einige halten sich an die Thora und vermeiden eine Heirat zwischen engen Verwandten, die meisten verbieten Polygamie, sie beachten den Sonntag als einen 'christlichen Sabbat' usw., obwohl wir darüber keine ausdrücklichen Gesetze im Neuen Testament finden. Als Zeugen Jehovas haben wir viele eigene Tabus: wir wünschen niemandem 'Viel Glück', wir benutzen keine Trinksprüche, und eine Anzahl von Dingen sehen wir als „heidnisch“ an, ohne wiederum dafür eine Stütze in der Bibel zu finden. In manchen Fällen sind sie nicht einmal mehr in der Literatur der Gesellschaft verboten.

In ähnlicher Weise war der Rat aus Apostelgeschichte 15:28, 29 zu der Zeit, als das Bemühen, die jüdischen Christen nicht zum Straucheln zu bringen, in den Hintergrund getreten war, ausgeweitet und zu einem kulturellen Tabu geworden; zu einem Gesetz, kein Blut zu essen. Die Mechanismen hinter dieser Entwicklung sind leicht zu durchschauen. Wir erkennen, dass sogar in der Urchristenversammlung viele Personen Regeln und Vorschriften entwickeln wollten, die weit über das hinausgingen, was für Christen unter dem königlichen Gesetz der Liebe notwendig war. Es ist insbesondere interessant festzustellen, dass einer der Texte, auf den sich die Wachtturm-Gesellschaft beruft, Tertullians Abhandlung Über die Mäßigkeit ist. Jeder Zeuge Jehovas, der diesen extremen Text liest, wird damit in dem Glauben bestärkt, dass die Schriften der Kirchenväter oftmals eine Perversion und Abkehr von dem christlichen Glauben der Apostel darstellten.

Überdies zeigt die Tatsache, dass das Dekret sich von einer Sammlung ritueller Vorschriften zu ethischen Grundsätzen gewandelt hatte, dass es von vielen Abschreibern und frühen Christen nur als ein zeitweiliges Gesetz verstanden wurde. Trotz der Tatsache, dass einige Christen genau denselben Fehler wie die Wachtturm-Gesellschaft begingen und die Vorschrift über Blut als ewigwährend interpretierten (wie es auch Martin Luther tat), stärkt dieser Textbeweis weiter das Verständnis, dass das Dekret erlassen wurde, um Judenchristen nicht zum Straucheln zubringen, und nicht als ein auf ewig gültiges Gesetz.

Zusammenfassung der Beweise aus den Christlichen Schriften:

Die Schriften der Kirchenväter unterstützen kaum die Behauptung, das Apostelkonzil habe ein auf ewig gültiges Gesetz gegen das Essen von Blut geschaffen. Man kann darüber streiten, aber die Haltung steht auf schwachen Füßen. Darüberhinaus ist, wie wir gesehen haben, eine Bluttransfusion nicht dasselbe wie das Essen von Blut. Keine Auffassung aus der nachapostolischen Zeit, und das ist noch weit wichtiger, kann etwas an den eindeutigen Beweisen aus dem Neuen Testament selbst ändern:

  1. Jakobus selbst sagt, diese vier Anordnungen seien erlassen worden, weil die Thora an jedem Sabbat in den jüdischen Synagogen vorgelesen wurde -- Apg. 15:21
     
  2. Für eine Auflistung universeller christlicher Grundsätze fehlen auffallenderweise einige wie Mord und Diebstahl gänzlich. Die vier in Apg 15:20,29 aufgeführten Erfordernisse sind genau dieselben, wie sie für im alten Israel ansässige Fremdlinge zwingend vorgeschrieben waren, und sie werden auch in derselben Reihenfolge aufgezählt (3. Mose 17:1 bis 18:27).
     
  3. Die Worte selbst stehen nicht in der Befehlsform, wie eine Anzahl von Griechischexperten betont hat. Diese Tatsache allein untergräbt das Argument der Gesellschaft völlig.
     
  4. Später wiederholte Jakobus, dass der Brief ausgesandt wurde, um Judenchristen vor dem Straucheln zu bewahren, und empfahl, dass Paulus sich aus demselben Grund an ein jüdisches Ritual hielte. Sich des Blutes zu enthalten war damals für einen Christen keine größere Verpflichtung als ein jüdisches Ritual einzuhalten (Apg. 21:23-25)
     
  5. Paulus betonte in seinem Brief, dass die christliche Freiheit ihnen das Recht einräumte, Fleisch, das Götzen geopfert worden war, zu essen, also eines der in Apostelgeschichte 15 ausdrücklich erwähnten Dinge. Doch sogar Paulus bemerkte, dass sie lieber, um nicht schwächere Brüder zum Straucheln zu bringen, davon Abstand nehmen sollten (Kor. 8:1,4,7)
     
  6. Jesus sagte, nichts, was von außen käme, könnte den Körper verunreinigen, und das schließt notwendigerweise auch Fleisch mit ein, das Blut enthält. (Mar. 7:15).
     

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letzte Aktualisierung: 28. 12. 1999
Web-Adresse: http://geocities.datacellar.net/athens/ithaca/6236/history1.htm

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