Die Entwicklung der gegenwärtigen Blutdoktrin der Wachtturm-Gesellschaft
Um zu verstehen, wie die Einwände der Gesellschaft gegen die Transfusionsmedizin ursprünglich ersonnen und formuliert wurden, muss man sich zuerst darüber im klaren sein, dass die Menschheit nicht immer genau verstanden hat, welche Rolle das Blut bei der Erhaltung des Lebens im Körper spielt. Eine grundlegend falsche Auffassung, die seit der Zeit von Claudius Galen im 2. Jahrhundert bis ins späte 19. Jahrhundert hinein vorherrschte, war der Glaube, das Blut sei letzten Endes die Nahrung, auf die sich ein Körper innerlich stütze. Dieses Missverständnis findet sich hier und da in der Literatur jener Zeit, und sogar noch später bis ins 20. Jahrhundert hinein, weil es die irrtümliche Auffassung vieler Laien blieb. Als Beispiel, wie diese falsche Vorstellung sogar im Denken intelligenter und gebildeter Leute in der Vergangenheit verankert war, diene ein Zitat aus dem 1898 entstandenen Roman Krieg der Welten.
So seltsam es einem Menschen auch erscheinen mag, der ganze komplexe Verdauungstrakt, der den Großteil unseres Körpers ausmacht, existierte bei den Martianern nicht . . . Sie aßen nicht, geschweige denn, dass sie verdauten. Statt dessen nahmen sie frisches Blut von anderen Lebewesen und injizierten es sich in ihre Venen.
H. G. Wells phantastische Spekulation, wie eine hochentwickelte Rasse sich am Leben erhalten könnte, spiegelt genau das Missverständnis wider, das es eben im Hinblick darauf gab, welche Rolle das Blut bei der Ernährung des Körpers spielt. Wenn man Blut in diesem Licht sieht, dann wird vollkommen verständlich, warum die Gesellschaft aufgrund biblischer Argumente die Praxis der Bluttransfusion abzulehnen pflegt. Wenn nämlich das Blut letztlich das Nahrungsmittel darstellt, das unseren Körper erhält, dann stellt die Annahme von Blut von einer anderen Person in einem sehr realen Sinne ein Essen von Blut eines anderen Geschöpfes dar. Die Verbindung zwischen dem Essen von Blut und einer Bluttransfusion wurde erstmals in der Ausgabe des Watchtowers vom 1. Juli 1945, Seite 200f, hergestellt, wo es hieß:
Unter den barbarischen und wilden, unzivilisierten Nationen wie den Skythen, Tartaren, wüstenbewohnenden Arabern, Skandinaviern usw., die sich hauptsächlich von Tierblut ernährten, gab es einige, die sogar das Blut ihrer Feinde tranken, nachdem sie ihre Schädel zu Trinkbechern gemacht hatten. Es ist recht interessant, dass beim Nachforschen in verschiedenen Nachschlagewerken zum Thema Blut der folgende damit zusammenhängende Punkt in der Encyclopedia Americana, revidierte Ausgabe von 1929, Seite 113, Spalte 1 ans Licht kam:
Bluttransfusionen gehen bis auf die alten Ägypter zurück. Der erste überlieferte Fall ist der von Papst Innozenz VIII im Jahre 1492. Die Operation kostete drei jungen Menschen das Leben, das Leben des Pontifex wurde nicht gerettet. Große Fortschritte in Forschung und Praxis der Transfusion bei Tieren gab es nach Harveys Entdeckung des Blutkreislaufs Mitte des 17. Jahrhunderts. Besonders Ärzte in Deutschland, England und Frankreich waren nach der Entdeckung auf dem Gebiete der Bluttransfusionen tätig. Sie überlegten, da das Blut das Hauptmittel sei, durch das sich ein Körper ernähre, seien Transfusionen schneller und eine Abkürzung, um einen mangelernährten Körper mit Nahrung zu versorgen, als dass er Speise zu sich nehme, die nach mehreren Veränderungen zu Blut wird. So dachte man sich eine Transfusion nicht nur als eine Behandlung, sondern auch als Jungbrunnen. **
Man sollte festhalten, dass das Zitat aus der Encyclopedia Americana von 1929, das im Watchtower wiedergegeben wurde, sich nicht auf den gegenwärtigen Stand der Medizin bezog, sondern auf die Meinung der Forscher des 17. Jahrhunderts. Sicherlich war 1945 bekannt, dass dieser Standpunkt falsch war. Warum diese Tatsache übersehen wurde, ist heute (1998) schwer zu sagen, doch es spielt zweifellos die Tatsache dabei eine Rolle, dass es um die Erkenntnisse von Personen geht, die sich ihre Vorstellungen und persönlichen Ansichten viele Jahre vor 1945 gebildet hatten. In den folgenden fünf Jahren wurde dieser Fehler noch weiter verschlimmert, als die Gesellschaft gebieterisch zu lehren begann, es gebe keinen physischen Unterschied zwischen der Transfusion eines Blutproduktes und dem Essen von Vollblut.
Bis 1950 hatte sich diese Ansicht bis zu dem Punkt verfestigt, an dem die Gesellschaft beides einfach als Übertragung von Blut bezeichnete. Dieser Standpunkt war in Erklärungen wie derjenigen kristallklar, die im Watchtower vom 1. Juli 1951 auf Seite 415 erschien:
Ein Patient im Krankenhaus kann oral, durch die Nase oder durch die Venen ernährt werden. Wenn ihm intravenös eine Zuckerlösung gegeben wird, nennt man das intravenöse Ernährung. So erkennt die eigene Terminologie in einem Krankenhaus den Prozess, jemandem intravenös Nährstoffe zu verabreichen, als Ernährung an. Wer daher jemandem eine Bluttransfusion verabreicht, der ernährt den Patienten über die Venen, und der Patient, der die Nahrung erhält, isst quasi durch seine Venen. **
Aus diesen Feststellungen wird klar, dass nach der damaligen Ansicht der Gesellschaft, Blut sei ein 'Nährstoff' und eine Transfusion sei eine 'intravenöse Ernährung', auch kein materieller Unterschied zu der Verabreichung von Dextran bestand. Zehn Jahre später mühte sich die Gesellschaft noch immer mit derselben falschen Vorstellung ab. So versuchte die Wachtturm-Ausgabe vom 1. Dezember 1961, Seite 718-719, diesem Standpunkt mit einer leicht geänderten Erklärung Gewicht zu verleihen:
Es ist nicht von Bedeutung, ob das Blut in den Körper durch die Venen statt durch den Mund aufgenommen wird. Auch ist die Behauptung, die einige erheben, dass dies nicht dasselbe sei wie eine intravenöse Ernährung, nicht von Belang. Tatsache ist, dass es nährt oder den Körper am Leben erhält. In Übereinstimmung damit ist eine Erklärung von Dr. Med. George W. Crile, A.M., der in seinem Buch Hemorrhage and Transfusion (Blutungen und Transfusion) einen Brief von Denis, dem französischen Arzt und Pionier auf dem Gebiet der Bluttransfusion, anführt und sagt: Wenn eine Transfusion verabreicht wird, ist das nichts anderes, als wenn man sich auf einem kürzeren Weg als gewöhnlich Nahrung zuführt, das heißt, man lässt den Venen schon fertiges Blut zukommen, statt Nahrung aufzunehmen, aus der erst nach mehreren Umwandlungen Blut entsteht.
Hier erkennen wir, wie dieselbe falsche Vorstellung über die Rolle von Blut wiederholt wird: dass Nahrung in Blut verwandelt wird und dass Blut das sei, was den Körper eigentlich ernähre. Ein praktisch identisches Zitat erschien auf Seite 14 der Broschüre Blut, Medizin und das Gesetz Gottes (1961). Doch was die Gesellschaft bei beiden Zitaten nicht zu sagen für nötig hielt: Das Buch Hemorrhage and Transfusion: An Experimental and Clinical Research war 1909 veröffentlicht worden und konnte auch bei bestem Wohlwollen 52 Jahre später nicht als maßgeblicher medizinischer Text angesehen werden. Des weiteren verlor die Gesellschaft kein Wort darüber, dass Jean Baptiste Denys seine Forschungen im 16. Jahrhundert angestellt hatte und im Jahre 1961 schon seit 257 Jahren tot war. Noch beunruhigender als diese beiden Versäumnisse ist jedoch die Art und Weise, in der dieses Zitat vorsätzlich den falschen Eindruck erweckt, der vorgestellte Standpunkt hätte die Unterstützung der neueren medizinischen Autorität Georg W. Crile selbst. Dies wird an der Studienfrage zu diesem Absatz selbst erkennbar, die lautet:
Was zeigt, dass eine Bluttransfusion einer Ernährung mit Blut gleichkommt?
Im folgenden das komplette Zitat aus dem Originalwerk, wie es in Kapitel VII, Eine kurze Geschichte der Transfusion, erscheint:
Im selben Jahr berichtete Denys de Montpellier über seine Experimente, die er mit Tieren angestellt hatte. Er folgte im allgemeinen Lowers Methode, außer dass er dem Spender nicht so viel Blut entnahm, um seinen Tod zu verursachen. Er versuchte auch Transfusionen von drei Kälbern auf drei Hunde durchzuführen, die sich jedesmal als erfolgreich erwiesen. In einem Brief an M. de Montmore beschreibt er zwei Transfusionen bei seinen Patienten. Seine Vorstellung war: Wenn man Transfusionen vornimmt, kann man nur das Vorbild der Natur nachahmen, die, um den Fötus im Uterus der Mutter zu ernähren, ständig Blut von der Mutter in den Körper des Kindes durch die Nabelschnurvene transfundiert. Bluttransfusionen vorzunehmen, ist also nichts anderes als eine Ernährung auf einem kürzeren Weg als gewöhnlich -- das heißt, man verbringt Blut in die Venen, statt Nahrung aufzunehmen, die sowieso nach mehreren Umwandlungen zu Blut wird." (Hemorrhage and Transfusion: An Experimental and Clinical Research, Seiten 153, 154).
Wenn man das Zitat im richtigen Textzusammenhang sieht, wird klar, dass Crile einfach eine historische Erzählung über die Zwischenfälle, die Unkenntnis und die Fehler liefert, die frühen Forschern auf diesem Gebiet unterliefen, und wohl nicht ernstlich mit dem schon komischen Stand an Unkenntnis übereinstimmt, die er in einem 1909 schon 252 Jahre altem Forschungsbericht vorfand. Überdies hätte niemand im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte selbst 1909, geschweige denn 1961, ernsthaft Denys eigenem Grund für diese Feststellung geglaubt -- dass das Blut der Mutter ständig in den Körper des Kindes transfundiert werde. (Es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass heute die Beziehung Mutter/Fötus benutzt wird, um bestimmte Blutbestandteile zu verbieten.)
Selbst wenn wir das Element der Unaufrichtigkeit, das sich in der Behandlung des Themas zu zeigen begann, unberücksichtigt lassen, stehen wir immer noch vor einem eindeutigen Beispiel für ein massives Missverständnis der Grundlagen der Biologie seitens der Gesellschaft. Denn auch im Jahre 1961 wäre es selbst für jemanden, der nur einen Grundschulabschluss besaß, absurd gewesen zu behaupten, der Körper würde direkt durch das Blut ernährt. Das Blut transportiert Nährstoffe zu den Zellen des Körpers. Das geschieht durch das Plasma und die darin gelösten Stoffe. Jede Zelle im Körper eines Menschen wird einzeln für sich ernährt --durch die direkte Versorgung über die Blutkapillaren. Das Verdauungssystem schließt die Nahrung, die man isst, auf und macht daraus lösliche Stoffe, die in das Plasma diffundieren können, nämlich Aminosäuren, einfache Zuckerarten, Fettsäuren, Spurenelemente (Vitamine und Mineralien) und Wasser. Das Plasma, das hauptsächlich aus Wasser besteht, funktioniert ganz einfach als Transportmittel, analog zu der Art und Weise, in der die Hände ein Transportmittel sind, die die Nahrung zum Mund führen. Man beißt sich nicht die Finger ab und schluckt sie beim Essen hinunter. So verschlingen die einzelnen Zellen im Körper nicht das Blut, wenn es vorbeiströmt. Das war sicher in den 50er und den frühen 60er Jahren bekannt. Dennoch spiegelten die Aussagen der Gesellschaft während dieser Zeit zum Thema Blut alle diese falsche Vorstellung wider. Das Buch Vergewissert euch über alle Dinge (1957) gab auf der Seite 43 die folgende Definition einer Bluttransfusion:
Blutübertragung von den Venen oder Arterien einer Person auf eine andere Person. Wie in intravenöser Ernährung, ist es eine Ernährung mit Blut. Ein unbiblischer Brauch.
Doch schließlich begann die Organisation zu erkennen, dass diese Sichtweise ein schwerwiegenden Fehler enthielt. In der nächsten Erklärung wurde der Versuch unternommen, das Problem anzusprechen, indem man eine mehr auf dem aktuellen Stand befindliche Darstellung dafür gab, warum man glaubte, eine Transfusion stelle eine Ernährung mit Blut dar. Sie erschien in der Wachtturm-Ausgabe vom 1. April 1968, Seite 209, einen Monat, nachdem das neue Verständnis, das Organtransplantationen verbot, eingeführt wurde:
Zur Verteidigung der Bluttransfusion wird ferner angeführt, dass das, was transfundiert werde, lediglich ein Vehikel sei, um dem menschlichen Körper direkt Nahrung zuzuführen, und dass sich der Körper nicht von dem Vehikel selbst ernähre. Wir fragen daher: Wird das Blut, das als Vehikel dient, nachdem es transfundiert worden ist und es seinen Sauerstoff und die Nährstoffe an das Körpergewebe abgegeben hat, dem Patienten wieder entzogen und dem Blutspender wieder transfundiert? Das wäre ziemlich kompliziert oder unmöglich, besonders in Fällen, in denen der Blutspender oder die Blutspender unbekannt sind oder wenn es sich um Blut von Leichen handelt. Der transfundierte, als Vehikel dienende Stoff bleibt daher im Körper des Patienten. Was geschieht dann? Im Laufe der Jahre, in denen sich der menschliche Körper völlig erneuert, macht sich der Körper des Patienten dieses als Vehikel dienende Blut zunutze oder er verbraucht es, ein Vorgang, der ja auch bei jeder Transplantation zu beobachten ist. Inwiefern wäre das im wesentlichen etwas anderes als sich von dem transfundierten Blut ernähren? Die Ergebnisse sind die gleichen: Der Körper des Patienten ernährt sich von dem transfundierten Stoff.
Man beachte, dass die Gesellschaft hier zwei Fliegen mit einer Klappe schlug, als sie gleichzeitig ihre Einwände gegen Organtransplantationen wie auch gegen Bluttransfusionen darlegte und dabei für beides exakt dieselbe Erklärung gab. Sowohl gespendete Organe, die in einen Körper verpflanzt werden, als auch Blutspenden, die durch Transfusionen in den Körper gelangen, werden aus prinzipiell demselben Grund so angesehen, als seien sie gegessen worden. Obwohl diese Erklärung vom medizinischen Standpunkt aus fundierter war, war sie in einer 'realen Welt' ungereimt, weil der beschriebene Prozess des metabolischen Abbaus und der zellulären Erneuerung ebenfalls mit unserem eigenen Blut wie auch mit unseren Organen geschieht. Wenn dieser Prozess, wie die Gesellschaft behauptet, tatsächlich eine Ernährung darstellt, dann ist jedermann schuldig, denn nach der eigenen Auslegung der Bibel durch die Gesellschaft ist es genauso eine Übertretung, das eigene Blut zu essen, wie das eines anderen. Daher würde diese Erklärung tatsächlich jedermann auf dem gesamten Planeten verurteilen. Mit der Kehrtwendung beim Verbot von Organtransplantationen musste diese Erklärung fallengelassen werden. Dies war auch der letzte Versuch, eine Erklärung vorzubringen, die eine Bluttransfusion direkt einem Essen von Blut gleichsetzt. Damit ist zu sehen, dass die Gesellschaft sich einige schwere Probleme aufzuhalsen begann, wollte sie den ursprünglichen Standpunkt aus den späten 60er Jahren beibehalten. Erinnern wir uns daran, dass die falsche Vorstellung von der Rolle des Blutes, das angeblich ein Nährstoff sein sollte, der grundlegende Eckpunkt der Ablehnung der Transfusionsmedizin war, wie es die Wachtturm-Ausgabe vom 15. November 1958, Seite 703, deutlich zeigt:
Jedes Mal, da in der Schrift ein Verbot gegen den Blutgenuss erwähnt wird, geschieht es in Verbindung mit dem Genuss des Blutes als Speise, und somit interessieren wir uns für dessen Verbot als Nährstoff. (Hervorhebung durch uns)
Doch Blut an sich ist kein Nährstoff, und deshalb ernährt eine Bluttransfusion auch nicht den Körper. Blut ist auch nicht dazu geschaffen und wird dem Patienten nicht verabreicht, weil er Nahrung braucht. Dies ist eine Tatsache, die die Gesellschaft allmählich stillschweigend einzuräumen gezwungen war.
Eine dritte Erklärung, die sich mit der zweiten Erklärung teilweise überschneidet, aber diese letztendlich überdauerte, ging von einer Analogie zwischen Blut und anderen Substanzen aus. Ein Beispiel: Bestimmte Substanzen haben dieselbe Wirkung auf den Körper, egal ob sie durch den Mund eingenommen oder ob sie injiziert werden; ein Verbot, eine Substanz durch den Mund einzunehmen, würde auch auf eine Injektion zutreffen. Dieser Grundsatz sollte angeblich auch auf Blut zutreffen. Diese Analogie taucht bereits in der Publikation Die Wahrheit, die zum ewigen Leben führt aus dem Jahre 1968 auf, aber auch in einer Publikation neueren Datums, dem Buch Unterredungen anhand der Schriften (1989). In beiden Büchern bezog sich die Analogie auf Alkohol. In der Broschüre Jehovas Zeugen und die Blutfrage wurde auf Seite 18 dieselbe Argumentationslinie benutzt, diesmal mit Antibiotika:
Ärzte wissen, dass jemand sowohl durch den Mund als auch intravenös ernährt werden kann. Bestimmte Arzneimittel können auf verschiedenen Wegen verabreicht werden. Einige Antibiotika zum Beispiel können oral in Tablettenform eingenommen werden; sie können aber auch in die Muskeln oder in den Blutkreislauf (intravenös) eingespritzt werden. Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Tablette mit einem bestimmten Antibioticum eingenommen, daraufhin hätte sich eine gefährliche allergische Reaktion gezeigt und man hätte Ihnen daher geraten, sich in Zukunft dieser Droge zu enthalten. Wäre es vernünftig, anzunehmen, der Arzt hätte mit seiner Warnung gemeint, Sie sollten das Mittel nicht mehr in Tablettenform einnehmen, könnten es sich aber gefahrlos in den Blutkreislauf injizieren lassen? Wohl kaum! Es käme nicht auf die Form der Verabreichung an, sondern darauf, dass Sie dieses Antibiotikum überhaupt nicht zu sich nehmen dürften. Genauso verhält es sich mit der Entscheidung, dass sich Christen des Blutes enthalten müssen: Sie bezieht sich auf die Aufnahme von Blut in den Körper, ganz gleich, ob diese durch den Mund oder direkt in den Blutkreislauf erfolgt.
Bei Substanzen wie Alkohol und manchen Antibiotika macht es keinen Unterschied, wie sie verabreicht werden, da das Endergebnis -- die Aufnahme in den Körper -- dasselbe ist. Würde Dir ein Arzt verbieten, Alkohol zu trinken, dürftest Du ihn natürlich auch nicht in Deinen Blutstrom injizieren, weil er dieselbe unerwünschte Wirkung hätte. Bedeutet dies aber, dass Du jetzt auch kein Mundwasser benutzen oder Hustensaft einnehmen darfst, oder Alkohol nicht mehr als Antiseptikum oder als Aftershave nehmen darfst? Natürlich nicht. Schon die Vorstellung an sich ist absurd, da entweder das Endergebnis nicht dasselbe ist, oder der Nutzen das Risiko bei weitem aufwiegt. Ist im Falle von Blut das Endergebnis einer Transfusion dasselbe, als ob Du Blut gegessen hättest?
Ein lebensfähiges Blutprodukt wie beispielsweise konzentrierte rote Blutkörperchen ist lebendig; es ist ein lebendes Gewebe. Das ist der ganze Grund, warum Blutprodukte typischerweise eine begrenzte Lagerfähigkeit haben. Wenn sie nicht mehr lebendig sind, sind sie funktionsunfähig und damit nutzlos. Beim Essen tötet der Verdauungsvorgang dieses lebende Gewebe auf jeden Fall ab. Transfundiertes Blut jedoch behält seine Form bei und nimmt seine von Gott vorgesehene Funktion im Körper des Empfängers wieder auf. Im Grunde genommen ist eine Bluttransfusion also eine Organtransplantation. Selbst in der Broschüre Jehovas Zeugen und die Blutfrage wird dies auf der Seite 41 anerkannt:
Daher lehnen manche Personen ungeachtet ihrer religiösen Überzeugung Bluttransfusionen einfach deswegen ab, weil es sich dabei im Grunde genommen um eine Organverpflanzung handelt und bestenfalls nur eine teilweise Verträglichkeit mit dem eigenen Blut besteht. (Hervorhebung durch uns)
Es besteht also ein grundlegender Unterschied zwischen dem Essen von Blut als Nahrungsmittel und einer Transfusion. Es ist derselbe Unterschied wie zwischen dem Essen der Niere eines anderen Menschen und dem Verpflanzen der Niere. Die beiden Handlungen sind radikal verschieden, eine Tatsache, die die Gesellschaft jetzt anerkennt. Es gab also keinen Grund für den Vergleich einer Transplantation lebenden Gewebes -- in einer Weise, die mit dem Zweck übereinstimmt, für den es da ist-- mit dem Einnehmen einer Substanz, die einfach vom Körper absorbiert wird, egal wie sie verabreicht wird. Das Lächerliche an der Analogie, zu der die Gesellschaft greift, wird leicht an einem Vergleich deutlich:
Wie verhält es sich zum Beispiel mit jemandem, dem der Arzt dringend geraten hat, sich des Alkohols zu enthalten? Würde er den Rat befolgen, wenn er zwar aufhören würde, Alkohol zu trinken, ihn sich aber statt dessen direkt in die Venen spritzen würde? (Unterredungen anhand der Schriften, Seite 77)
Wie verhält es sich zum Beispiel mit jemandem, dem der Arzt dringend geraten hat, sich von Fleisch zu enthalten? Würde er den Rat befolgen, wenn er zwar aufhören würde, Fleisch zu essen, aber eine Nierentransplantation annähme?
Es gibt ganz eindeutig keinen Zusammenhang zwischen dem Essen und Verdauen von Nahrung und der Transplantation von lebendem Gewebe. Die Alkohol/Antibiotikum-kontra-Blut-Analogie ist nicht mehr als ein Scheinbeweis. Das klingt vielleicht etwas streng, aber man muss sich vor Augen halten, dass eine Analogie nur ein Sprachbegriff ist, eine Art und Weise, eine Aussage durch das Ziehen eines Vergleichs zu treffen. Eine Analogie kann man wie jede andere Redetechnik dazu benutzen, alles mögliche zu beweisen, egal ob es richtig oder falsch ist. Typischerweise nehmen falsche Analogien ihren Anfang mit falschen Vergleichen. Man kann das an der Analogie der Gesellschaft sehen, wo alles davon abhängt, dass der Leser die Gleichsetzung zwischen der Transplantation eines lebenden Gewebes wie Blut mit der Injektion einer Substanz wie Alkohol akzeptiert. Die Schlüssigkeit einer jeden Analogie liegt nicht in der Analogie selbst, sondern in dem Beweis, dass der zu ziehende Vergleich tatsächlich stimmt, was normalerweise an erster Stelle zu klären wäre.
Das Jahr 1980 brachte eine Kehrtwende in der Vorschrift der Gesellschaft aus dem Jahre 1967 zur Frage von Organtransplantationen. Nun waren sie wieder eine Sache des Gewissens des einzelnen und damit erlaubt. Damit stand die Angelegenheit mit den verbotenen Bluttransfusionen auf schwächeren Füßen als je zuvor. Man darf nicht vergessen, dass im Jahre 1967 Organtransplantationen aus genau demselben Grund verurteilt wurden wie Bluttransfusionen. Nun wurde diese Begründung offiziell zurückgenommen. Nachdem öffentlich gesagt wurde, die Aufnahme einer Organspende in den Körper durch eine Transplantation müsse im Prinzip nicht als Essen betrachtet werden, konnte die Gesellschaft ja an diesem Punkt nicht gut wieder auf die Erklärung zurückfallen, die sie gerade verworfen hatte, und sagen, gespendetes Blut über eine Transfusion in den Körper aufzunehmen heiße, es zu essen; besonders nachdem sie gerade einmal drei Jahre zuvor eingeräumt hatte, eine Bluttransfusion sei im wesentlichen eine Organtransplantation.
Unserer Sicht nach war dies der Punkt, an dem die Gesellschaft in bezug auf Bluttransfusionen völlig ins Abseits geriet und ihre Sache verlor. Sie konnte nicht mehr, ohne sich zu widersprechen, behaupten, eine Bluttransfusion sei selbst dem Grundsatz nach eine Ernährung mit Blut, und deshalb war die Verbindung zum biblischen Verbot, Blut zu essen, irreparabel zerrissen. Die Gesellschaft gab nicht auf, doch von dieser Zeit an stellte man jede Verbindung zwischen Bluttransfusionen und dem Essen von Blut nur noch in der nebelhaftesten und weitschweifigsten Weise her.
In der Broschüre Wie kann Blut dein Leben retten? (1990) wurde auf der Seite 6 wiederum der Versuch unternommen, eine Verbindung zwischen dem Essen von Blut und Transfusionen herzustellen, indem man einen Anatomieprofesser aus dem 17. Jahrhundert namens Thomas Bartholin anführte, der glaubte, die zwei Dinge seinen einander ähnlich:
Ähnlich verhält es sich mit der Aufnahme von Fremdblut aus einer aufgeschnittenen Vene, sei es nun durch den Mund oder durch Transfusionsinstrumente. Die Urheber dieser Operation haben das göttliche Gesetz gegen sich, das das Essen von Blut verbietet.
Die Gesellschaft unternahm nicht einmal den Versuch zu erklären, warum die beiden Dinge ähnlich waren; sie stützte sich voll und ganz auf das Zitat Bartholins. Da sie jedoch selbst ganz offenbar dreißig Jahre zuvor die Rolle, die Blut spielt, missverstanden hatte, warum sollten wir da die Gedanken eines Mannes akzeptieren, der vor über 300 Jahren lebte? Bartholin hatte bei seiner Argumentation offensichtlich die gleiche falsche Vorstellung von der Rolle des Blutes im Körper wie sein Zeitgenosse Denys (und in dieser Hinsicht wie jeder andere im 17. Jahrhundert). In Bartholins Tagen waren Blutegel und Abführmittel die Allheilmittel für alles mögliche, und die Anwendung einer Narkose bei einem Patienten erforderte es, auf seinen Kopf eine Metallschale zu setzen und mit einem Hammer darauf zu schlagen. Er starb 184 Jahre, bevor das Thema der Urzeugung geklärt war, und 92 Jahre, bevor Sauerstoff entdeckt wurde. Vielleicht war er ein guter Mensch, aber genaue Beobachtungen in medizinischen Dingen benötigen nun einmal genaues Wissen über die Zusammenhänge.
Schließlich hörte man ganz mit Erklärungen auf. In dem größten Artikel zum Thema Blut aus neuerer Zeit, Das wirkliche Leben schätzen, der in der Wachtturm-Ausgabe vom 15. Januar 1995 erschien, wurde überhaupt kein Versuch mehr unternommen, zu erklären, warum eine Bluttransfusion das selbe wie das Essen von Blut sein sollte. Um mit dem völligen Fehlen auch nur eines Zipfelchens an Beweisen zu Rande zu kommen, das in irgendeiner Weise diese Vorstellung untermauern würde, hat die Gesellschaft dabei zu der Taktik Zuflucht gesucht, Bibelstellen auszuschmücken, d.h. die relevanten Texte in einer Weise umzuformulieren, dass ihr Aussagebereich erheblich vergrößert wird. Die üblichste dieser Umformulierungen in den Publikationen spricht vom Verbot des Schöpfers, Blut anzunehmen, um das Leben zu erhalten. Bei diesem Ansatz tauchen jedoch eine Anzahl von Problemen auf:
Zuallererst würde ein derart drakonisch formuliertes Gesetz Jehovas jegliche Verwendung von Blut verbieten. Das kann aber unmöglich mit der gegenwärtigen Haltung der Gesellschaft in Einklang gebracht werden, die einige Blutbestandteile erlaubt und andere verbietet.
Das offensichtlichste Problem bei diesem Ansatz ist jedoch, dass sich NIRGENDWO in der Bibel ein in solchen Worten ausgedrücktes Gebot Jehovas finden lässt. Nirgendwo in der Bibel wird ein Unterschied im Hinblick auf die Beweggründe gemacht, die jemand, der Blut isst, vielleicht hat. Es spielte keine Rolle, ob damit Leben erhalten wurde oder nicht, und deshalb ging es nicht um das 'Erhalten des Lebens'. In gleicher Weise ist das Ersetzen des Wortes 'essen' durch den Begriff 'Leben erhalten' völlig bedeutungslos und sogar ein Ablenkungsmanöver, weil es nirgends in der Bibel auch nur einen Hinweis gibt, dass Blut in einer anderen Weise als durch Essen in den Körper gelangte. Und deswegen ist auch hier der erweiterte Aspekt des 'Annehmens' (z.B. einer Gewebetransplantation) nicht das Thema. Die Tatsachen zeigen, dass die Transfusion eines Blutproduktes nicht dasselbe ist wie eine Ernährung mit Blut.
Das Umformulieren der Bibel erweckt den Eindruck, als sage sie etwas aus, was sie in Wirklichkeit nicht tut. Man muss sich schon fragen, warum eigentlich die Bibelstellen umformuliert werden müssen. Will man versuchen, einen Punkt zu beweisen, der mit Vernunft und Logik nicht bewiesen werden kann? Man muss doch vernünftigerweise annehmen, dass Jehova Gott, der Schöpfer der Sprache selbst, dazu in der Lage ist, seinen Willen klar und eindeutig gegenüber seinen Dienern in einer Weise auszudrücken, die es unnötig macht, dass spätere Generationen etwas hinzufügen, neuinterpretieren oder umformulieren müssen.
Angesichts der abschätzigen Art und Weise wie argumentiert wurde, um das Verbot von Bluttransfusionen aufrechtzuerhalten, muss man sich wirklich fragen, warum die Gesellschaft so verbissen an der Ansicht festhält, Transfusionen seien in Wirklichkeit eine Ernährung mit Blut. Ich kann nicht anfangen, alle Gründe zu erklären, aber der hervorstechendste ist wohl, dass für die Gesellschaft eine moralische Notwendigkeit dazu besteht.
Wenn man die Frage von einem rein rechtlichen Standpunkt aus betrachtet, ist keine große Einsicht nötig, um zu erkennen, dass es ein viel soliderer Ansatz ist, wenn man beweisen will, dass eine bestimmte Handlungsweise verboten sein soll, indem man zeigt, dass sie nicht in den Bereich dessen fällt, was ein Gesetz ausdrücklich nennt, als wenn man das Gesetz dehnt, um eine Handlungsweise durch das Gesetz abzudecken, die außerhalb seiner Grenzen fällt, indem man willkürlich behauptet, das Gesetz hätte/sollte/könnte mehr gemeint haben, als das, was es ausdrücklich benennt. Selbst wenn das vom rechtlichen Standpunkt her zulässig wäre, darf man nicht vergessen, dass wir es mit einer religiösen und nicht mit einer rechtlichen Frage zu tun haben. Für einen religiösen Standpunkt, der sich auf die Bibel stützt, gibt es ein paar eindeutige Präzedenzfälle, die den Ansatz ausschließen, das Gesetz so zu dehnen, dass es zu einer Situation passt. Die Gesellschaft hat immer die moralische Notwendigkeit anerkannt, eine eindeutige Verbindung herzustellen, die die medizinische Prozedur einer Transfusion innerhalb der klaren Grenzen dessen setzt, was in der Bibel ausdrücklich verboten wird, nämlich Blut zu essen. Das war in knappen Worten vor über 40 Jahren gesagt worden:
Es ist sein Gesetz, das wir in dieser Blutfrage zu erfüllen suchen, und ist es nicht genug, wenn wir seinem Erfordernis nachgekommen sind, und das Tier haben ausbluten lassen? Wir müssen keine absurden Vorsichtsmaßnahmen treffen und wie die Pharisäer uns um Kleinigkeiten streiten, und Lasten anhäufen, die über die Forderungen des göttlichen Gesetzes hinausgehen. -- Matth. 23:4 (Watchtower, 1. Juli 1951, Seite 415, Fragen von Lesern) **
Es heißt entschieden, die Sünde der Pharisäer im vollsten Wortsinne zu begehen, wenn man die persönlichen Vermutungen eines einzelnen, was das Verbot, Blut zu essen, heute mit den Möglichkeiten der Medizin des 20. Jahrhunderts bedeuten könnte, nimmt und diese Ansicht zu einem absolute Maßstab für andere erhöht, den alle gezwungen sind, als einen wichtigen Glaubensartikel anzunehmen.
Daher sollte es offensichtlich sein, dass die Notwendigkeit, eine Verbindung zwischen Transfusion und dem ursprünglichen Verbot herzustellen, so lange Thema bleibt und bleiben wird, wie die Annahme eines Blutproduktes ein Vergehen bleibt, das einen Gemeinschaftsentzug zur Folge hat. Das ist jedoch genau das Problem, vor dem die Gesellschaft jetzt steht. Wenn heutzutage jemand die ursprüngliche Voraussetzung akzeptieren soll, dann sollte er auch erwarten können, dass ihm diese Voraussetzung logisch erklärt werden kann. Wie kann jemand erwarten, dass Eltern auf dieser Grundlage über medizinische Behandlungsmethoden entscheiden sollen, wenn die zugrunde liegenden Grundsätze nicht angemessen verstanden werden können?
In dieser Hinsicht ist zu sehen, dass trotz 53 Jahre langer Versuche niemals eine anschauliche Erklärung gegeben wurde. Heute beschränkt sich die Gesellschaft darauf, die Bibel umzuformulieren und als Beweis für ihre Behauptung falsche Vorstellungen über Blut zu verwenden, die auf das siebzehnte Jahrhundert zurückgehen. Die Tatsache, dass die Gesellschaft auch nicht aus nur einer modernen Quelle zitieren kann, ist weiter symptomatisch für das Problem, vor dem sie heute steht -- ein Problem, das darin besteht, dass die Begründung für die Behauptung, die Bibel verurteile Bluttransfusionen, in erster Linie auf einer falschen Voraussetzung beruhte. Kein Arzt (einschließlich Ärzten, die Zeugen sind) würde heute diesen Standpunkt unterstützen. Aus diesem Grund versucht die Gesellschaft heute nicht einmal mehr, zu erklären, warum Transfusionen unter das Verbot fallen, kein Blut zu essen, weil es unmöglich geworden ist, weiter auf der ursprünglichen falschen Voraussetzung zu beharren.
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letzte Aktualisierung: 28. 12. 1999
Web-Adresse: http://geocities.datacellar.net/athens/ithaca/6236/history3.htm
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