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...Zurückgelassen, aber nicht verlassen und nicht vergessen

Bericht über die Informations- und Vorbereitungsreise nach Rumänien und Moldavien

vom 30. September bis 15. Oktober 2000

Ursula Honeck

 Am Samstagmorgen dem 30.September, sind wir alle sehr gespannt, wie die Informations- und Vorbereitungsreise (diesmal nach Rumänien und Moldavien) mit dem Auto (bisher sind wir immer geflogen), verlaufen wird. Alle, das sind mein Bruder Gunther, meine Schwägerin Uschi, meine Tochter Andrea und ich. Natürlich haben wir eine genaue Zeitplanung, wie bei den Transporten auch. Aber Dank des vielen Gepäcks, das in unserem HFO-Bus "Wölfchen" untergebracht werden muß, kommen wir später los als geplant. Ein Außenstehender könnte meinen, wir wollen auswandern, aber unser eigenes Gepäck ist das wenigste. Ein Koffer für Gusti (unsre Dolmetscherin), Geschenke für alle Freunde in Rumänien und Moldavien, Lebensmittelpakete, Waschpulver, Medikamente, ein großer Karton mit "Verschiedenem" für die lieben Grenzbeamten, zwei Pakete mit Proviant, zwei Kisten Mineralwasser, zwei Stangen Klopapier und zu guter Letzt noch ein Kopfkissen und Schuhe für ein Patenkind in Moldavien. So gegen 18.00 Uhr wollen wir das erste Ziel, ein Motel in Ungarn erreichen. Aber Stau und zähfließender Verkehr bei brütender Hitze auf Deutschlands und Österreichs Autobahnen lassen nicht zu, daß wir 1.110 km in 12 Stunden zurücklegen. Der Karton mit "Verschiedenem" kann an der ungarischen Grenze ungeöffnet bleiben, es werden nur unsere Pässe kontrolliert. Es ist 21.30 Uhr, als wir endlich vor dem Motel ziemlich müde und ausgelaugt unser "Wölfchen" parken können. Wir haben Zimmer vorbestellt und können beruhigt später ankommen, das Bett ist uns sicher. Doch was schlägt uns für ein Lärm entgegen? Schnell sind wir wieder hellwach. Es wird Hochzeit gefeiert mit wahnsinnig lauter Musik und unendlich vielen Leuten. Der Portier zeigt sich etwas verlegen, als wir ihm die Reservierung unter die Nase halten. Im August habe er noch nichts von dieser Hochzeit gewußt, wir könnten aber ein Zimmer im Keller, direkt unter der Tanzmusik beziehen, allerdings würde diese sicher bis vier Uhr morgens spielen. In Anbetracht der uns noch bevorstehenden langen Reise ziehen wir es jedoch vor, ein anderes Motel zu suchen und müssen dann allerdings alle Wertsachen aus dem Auto räumen (3/4 unseres Gepäcks), da es keinen bewachten Parkplatz gibt. Lieber alles in den oberen Stock schleppen, als am nächsten Morgen vor einem leeren Auto stehen.
Die Nachtruhe hat uns sichtlich gut getan, nur das Essen am späten Abend war nicht so das Richtige, so früh hatten wir nicht mit "Darmproblemen" gerechnet. Zumindest können wir uns nun auf das Kommende einstimmen.
Am Sonntagmorgen gelingt es uns, trotz Gepäckschlepperei und Einräumen, pünktlich abzufahren. Der Weg nach Tirgu-Mures, unserem nächsten Ziel, ist nur 571km lang. Das muß in 9 Stunden zu schaffen sein, auch wenn man mit einem längeren Aufenthalt an der Grenze rechnen muß. Ein wenig Herzklopfen hat man ja immer, wenn man an die ungarisch-rumänische Grenze kommt. Bei unseren vielen Grenzübertritten während der Transporte mußten wir zum Teil sehr schlechte Erfahrungen sammeln. Auch hier bleibt der Karton mit "Verschiedenem" unberührt, ein Blick in das übervolle Auto genügt. Nur der Rumäne möchte wissen, warum wir so viele Koffer und Geschenke dabei haben. "Wir sind auf dem Weg zu einer Hochzeit nach Moldavien", erklärt Gunther in perfekter rumänischer Sprache. Man fragt noch nach Waffen und Drogen, dann können wir uns wieder auf den Weg machen. Apropos Weg, wir haben uns gründlich verrechnet. Ab Klausenburg ist die Straße eine einzige, zudem noch ungesicherte Baustelle. Ein zügiges Vorankommen ist unmöglich. Mit vier Stunden Verspätung kommen wir in Tirgu-Mures bei unserem altbekannten Quartier an und begeben uns nach einem Nachtessen mit Dr. Liebhart und Forumsmitgliedern zur ersehnten Nachtruhe. Hier müssen wir unbedingt noch mal warm duschen, es ist vielleicht die letzte Gelegenheit, wie uns die Erfahrung gelehrt hat.
Der Montag ist ausgefüllt mit einem sehr interessanten Programm, welches Dr. Liebhart, Herr Goldner und Frau Marga vom Forum der Deutschen zusammengestellt haben. Wir besichtigen die Klinik und sind freudig überrascht, daß eine Station nach der anderen renoviert wird. Es ist ein Lehrkrankenhaus und bekommt daher einiges mehr an Geldern für Renovierung als ein kleines Landkrankenhaus. Diese Zuwendung betrifft aber nicht die Angestellten. Die Eingangshalle ist voll mit streikenden Ärzten, Schwestern und Pflegern, da die monatliche Entlohnung immer noch mehr als dürftig ist. Der Lohn einer Putzfrau ist viel höher.
Mit dem von uns vor sieben Jahren gebrachten Kleinbus geht es in rasanter Fahrt über herbstlich gefärbte Hügel und durch malerische Dörfer. Leider ist hier der Zerfall nicht zu übersehen. Wir fahren mit einem uralten Bus zur Besichtigung in eine ehemalige Salzgrube von riesigem Ausmaß, die heute der Therapie von Lungenkrankheiten dient. In den meterhohen Hallen mit Wänden und Fußböden, die aussehen, als wären sie aus Marmor, findet man sogar eine Kirche. Alles ist aus Salzgestein. Die salzhaltige Luft tut uns beim Atmen richtig gut, aber die anschließende Fahrt mit dem Bus aus dem Stollen zeigt deutlich, daß wir es hier mit einem "Umweltverschmutzer" zu tun haben. Die Atembeschwerden der Kranken, wenn sie zuvor gelindert waren, sind jetzt sicher wieder da. Eine Töpferei ist unser nächstes Ziel. Wir können uns kaum trennen, am liebsten würden wir den Laden leerkaufen. Der Tag endet bei einem gemütlichen Essen an einem Forellenteich, eigentlich ein Urlaubstag auf dieser Reise. Natürlich werden unterwegs viele Probleme besprochen, sowohl was die Klinik anbelangt als auch das Forum. Herr Goldner berichtet uns von einer zunehmenden Armut. Viele Familien können die teure Miete im Wohnblock, den Strom und die Heizung nicht mehr bezahlen. Sehr oft wohnt eine ganze Familie nur in einem Zimmer. Bei Oradea außerhalb der Stadt haben wir während unserer Fahrt auf einer Art Müllhalde Familien gesehen, die sich aus Plastikteilen Behausungen angefertigt haben. Die Wäsche haben sie zum Trocknen auf die Rohrleitungen der Fernwärmeversorgung (sofern sie funktioniert) gelegt. Für dieses Jahr verabschieden wir uns von Dr. Liebhart und den Forumsvorsitzenden und fahren unserem nächsten Ziel entgegen, der psychiatrischen Klinik Tulghes. Gusti war mit dem Bus aus Piatra-Neamts gekommen und begrüßt uns herzlich bei unserer Ankunft. Die Anstaltsärztin, Frau Dr. Moresanu bedankt sich für die Hilfsgüter (Medikamente, Matratzen, Waschpulver, Lebensmittel, Pflegeartikel, Krankenhausbetten), die vor einer Woche angekommen sind. Natürlich sprechen wir auch über die Probleme, welche die neuen Auflagen des Staates mit sich bringen. Nicht nur uns wird das Helfen immer schwerer gemacht, sondern auch die Empfänger bekommen immer mehr Prügel in den Weg gelegt. Ein Rundgang durch die einzelnen Häuser zeigt, daß auch hier etwas Geld für Renovierungsarbeiten locker gemacht wurde. Dennoch bittet man uns dringend weiterhin um Sanitäreinrichtung, Betten, Baumwolldecken und Matratzen. Am Allerwichtigsten sind aber Medikamente, Lebens- und Pflegemittel, für diese Dinge ist das magere Budget nicht ausreichend.

Lange haben wir noch die vielen sich nach Zuwendung sehnenden Gesichter der behinderten Kinder vor Augen. Das sehr knapp bemessene Personal gibt sich alle Mühe und tut was es kann. Zumindest haben die Kinder nun ordentliche Kleidung.
Piatra-Neamts erreichen wir nach einer herrlichen Fahrt am Stausee entlang gegen Abend. Gusti, bei der wir alle übernachten, ist es sehr peinlich uns sagen zu müssen, daß sie in ihrem Block kein warmes Wasser hat, und das schon seit Juli. Nun erwärmt sie jeden Morgen für uns einen Eimer Wasser auf dem Gasherd, was aber wirklich nicht nötig wäre. Nach einem schönen Abend bei unserer lieben Rosa, die sich unendlich über das Wiedersehen mit ihrem lieben "Andrechen" freut, haben wir am nächsten Tag volles Programm.
Das Kinderheim "Romanita" in Roman ist unser erster Programmpunkt. Auch hier wird erfreulicherweise renoviert. Dennoch fehlt es an Geld für die täglichen Bedürfnisse. Daher ist die Freude riesig, als ich von einem Spender aus unserer Region einen großen Geldbetrag überreiche. Zurück in Piatra-Neamts besuchen wir das Kinderheim "Alexandru cel Bun". Andrea hat vor Jahren einmal in diesem Heim für ein paar Monate gearbeitet und freut sich ihre ehemaligen Kolleginnen und natürlich auch viele Kinder wiederzusehen. Das Heim zeigt auch zusehends Fortschritte, einige Räume wurden inzwischen mit neuen Holzbettchen ausgestattet. Dennoch möchte man auf unsere Unterstützung nicht verzichten, gerade was Medikamente, Nahrung und Pflegeartikel anbelangt. Auch dem Kinderheim für die größeren Kinder statten wir einen Besuch ab. Die Heimleiterin bedankt sich herzlich für die bisherige Hilfe und hofft auf weitere Unterstützung durch uns. Nun wird es aber Zeit, wir sind beim katholischen Pfarrer zum Essen eingeladen. Der "Alt"- Pfarrer ist derzeit in Italien, und so empfängt uns, wie im vergangenen Jahr, der "Jung"- Pfarrer, mit dem man sich, Dank unserer Dolmetscherin Gusti, sehr gut unterhalten kann. Eine kleine Verschnaufpause bleibt uns, und schon wieder ist Programm. Wir sind eingeladen zum Abendessen von Direktoren des Syndikats Fibrex, Savinesti, dem Chemiewerk, dessen Ambulatorium wir schon seit Jahren mit Medikamenten versorgen. Nicht das Essen strengt mich an, sondern die hier üblichen Tischreden, die ich immer halten muß. Aber wie muß es unsrer lieben Gusti gehen, die alles noch zu übersetzen hat ?
Am nächsten Tag soll es auch nicht gemütlicher zugehen. Als erstes besuchen wir das Krankenhaus von Piatra-Neamts. Dr. Curelaru, Unfallchirurg, bedankt sich ganz herzlich für die Medikamente und den Krankenhausbedarf aus unserem Transport im Mai und September. Andrea, Medizinstudentin im 4. Jahr, interessiert sich natürlich besonders für die Arbeit der hier tätigen Mediziner und begleitet diese bei ihrer Visite. Eine Freude bereitet die neu eingerichtete Abteilung für Haemodialyse mit sechs Dialyseplätzen, die rund um die Uhr besetzt sind. Auch ein neu installierter Computer-Tomograph wird uns stolz gezeigt. Leasing-Verträge mit Firmen aus Japan und Deutschland machen diese wichtigen Anschaffungen möglich.
Im Kindergarten von Ana ist man schon ganz aufgeregt und wartet auf unser Kommen. Die Kinder haben verschiedene Tänze einstudiert und zeigen damit auf ihre Weise den Dank für unsere Unterstützung. Nach dem Besuch bei einer Patenfamilie folgt ein Interview mit Vertretern der lokalen Presse, und dann geht es auch schon wieder zum Essen bei Familie Munteanu. Herr Munteanu ist Präsident der Kinderhilfsorganisation "Fundatio Caritate Copilul". Ich kenne ihn schon seit 9 Jahren und arbeite mit ihm sehr gerne zusammen. Was bei ihm ankommt wird korrekt verwaltet und verteilt.
Es ist 8.00 Uhr Freitagmorgen. Wir fahren in Begleitung unsrer lieben Gusti in Richtung Moldavien. "Hast Du auch nichts vergessen?", fragen wir Gusti, sie hatte nämlich schon mal ihren Paß zu Hause gelassen. "Nein, ich habe alles", so lautet ihre Antwort. Unser Weg führt uns diesmal über einen anderen Grenzübergang, weil wir herausfinden wollen, ob man mit dem Transport hier schneller abgefertigt wird. Im Moment ist dieser Übergang eine einzige Baustelle, aber wenn er mal fertig ist, könnte es direkt möglich sein. Einige LKW stehen schon zur Abfertigung hier. Wir werden herzlich von Pater Joan auf der moldavischen Seite empfangen und treten, ohne größere Grenzformalitäten erledigen zu müssen, die Weiterfahrt an. Klein aber fein, denken wir bei diesem Grenzübergang. Wir sollten noch eines Besseren belehrt werden.
An diesem Tag besuchen wir noch das Kloster Curchi und eine "Weinkelterei" bei einem Bauern im Dorf. Am nächsten Tag geht für uns ein großer Wunsch in Erfüllung. Pater Joan fährt mit uns zum Kloster Noul Neamt nach Transnistrien. Dieses Kloster kennen wir von Bildern, und den sehr sympathischen Erzbischof Dorimedont haben wir im Mai kennengelernt. Beim Übertreten der sogenannten Grenze nach Transnistrien habe ich das Gefühl, ich sei auf dem Transport 96 in die Ukraine. Auch damals stellten sich uns wie heute junge Burschen in Uniform mit geladenen Gewehren in den Weg. Man will Geld für den Grenzübertritt, doch Pater Joan regelt das mit Kalendern, die er an alle verteilt, allerdings für das Jahr 2000. Bis man es bemerkt, sind wir schon lange über der Grenze. Alleine würde ich mich nie wagen nach Transnistrien zu fahren. Die prachtvolle Klosteranlage zeigt sich an diesem wundervollen Tag bei strahlend blauem Himmel von ihrer besten Seite. Nur die Basiliuskathedrale in Moskau auf dem roten Platz hat bisher bei mir solche Emotionen hervorgerufen. Wir betreten eine der Kirchen und werden von wunderbaren Gesängen junger Priester begrüßt. Das ist ein Erlebnis, das sehr tief geht. Die überaus herzliche Gastfreundschaft scheint alles bisherige übertreffen zu wollen. Diese Gastfreundschaft kommt aber aus ehrlichem Herzen, das spürt man. Auf der Rückfahrt besuchen wir noch ein Frauenkloster. Schon an der Blumenpracht kann man erkennen, daß hier Frauenhände im Spiel sind. Die Taufe eines Säuglings hier mitzuerleben, ist etwas ganz Besonderes. Nicht nur ein paar Tropfen Wasser, wie bei uns, gelten als Symbol der Taufe, sondern ein komplettes Tauchbad in einem Zuber muß der Täufling dreimal über sich ergehen lassen. Dabei werden ihm Nase und Ohren vom Priester zugehalten. Danach wird er vollkommen neu eingekleidet.
Nach dem Grenzübertritt, auch hier verteilt Pater Joan wieder seine Kalender, besuchen wir noch ein Dorf, wo Herr Snegur, Bürgermeister und Gemüsehändler, wohnt. Von ihm bekommen wir schon seit einigen Jahren wunderbare Gurken und Tomaten, die für unsere heimische Küche bestimmt sind. Seine Frau bewirtet uns bestens, er kann leider nicht dabei sein. Es könnte so schön sein, wenn sich unser Verdauungsmechanismus nicht so rigoros gegen die östliche Küche wehren würde. Alle haben wir inzwischen zu kämpfen, und das bei den hiesigen sanitären Einrichtungen. Das kostet schon Überwindung. Aber Gottlob haben wir noch eine Stange Klopapier.
Natürlich pflegen wir uns alle am Sonntagmorgen in Pater Joans Bad, wir wollen ja schließlich an der heiligen Messe teilnehmen. "Ich habe meinen Kulturbeutel zu Hause vergessen" , hören wir Gusti sagen. Es ist klar, daß wir sie alle aufziehen wegen dem Vergessen, aber mit unserer Hilfe kann auch sie sich pflegen. Die dreistündige Messe mit nüchternem Magen ist nicht jedermanns Sache, aber die wunderbaren Gesänge der Chöre überstimmen das Knurren des Magens. Keine Angst, lieber Magen, du sollst auch an diesem Tag nicht zu kurz kommen. Nach einem Besuch in einer Weinkellerei und einem anschließenden Picknick im Wald, das die Priesterehefrauen arrangiert haben, hat kein Magen mehr Grund zum Knurren.
Wollten wir nicht um 8.00 Uhr nach Chisinau fahren? Wenn wir nicht gedrängt hätten, wären wir um die Mittagszeit noch in Orhei gewesen.
Dr. Mosneaga und Dr. Donet freuen sich über unseren Besuch in der Klinik Republikan, obwohl wir mit etwas Verspätung ankommen. Wir übergeben das Geld für die Herzklappen und besichtigen noch einige Stationen und die Apotheke. Eine besondere Freude bereitet uns, daß die gebrachten Hilfsgüter des Transportes vor einer Woche schon auf die jeweiligen Stationen verteilt sind. Auch besuchen wir Patienten, die von uns eine Herzklappe bekommen haben. Es sind ausschließlich junge Leute. Im allgemeinen haben wir den Eindruck, daß die Klinik nur zu 50% belegt ist. Auf unsere Nachfrage sagt man uns, daß nur Patienten in die Klinik kommen, die das nötige Geld haben oder solche , wo die "Axt am Baum" ist , und man versucht bei der ganzen Verwandtschaft Geld zu borgen. Viele sterben Zuhause, weil sie sich die Medikamente und den Klinikaufenthalt, der inzwischen auch etwas kostet, nicht leisten können.
Wie schon seit ein paar Jahren haben wir unser Quartier in einem Studentenwohnheim nicht weit von der Klinik entfernt. Geändert hat sich nichts, das Wasser ist immer noch kalt und nachts frieren wir, weil es durch die undichten Fensterrahmen zieht. Aber sonst ist es sehr sauber. Gegen abend treffen wir uns bei Anatol Josan mit dem Bürgermeister des Dorfes, das wir im Mai besucht haben. Mit Tränen in den Augen bedankt er sich für die große Hilfe.
Am Dienstag heißt es früh aufstehen, wir haben volles Programm. Nelia, die Kardiologin der Kinderklinik holt uns zum Frühstück ab. Anschließend machen wir einen Rundgang durch die verschiedenen Abteilungen. In Nelias Abteilung, einstmals Vorzeigestation, sieht es sehr traurig aus. Nur noch wenige Kinder sind mit ihren Müttern in den Zimmern. Nicht, daß es weniger herzkranke Kinder gibt, im Gegenteil. Man hat kein Geld für Medikamente oder gar für Operationen. Nicht einmal die Busfahrt hierher kann man sich leisten. Ein Teil dieser Station soll jetzt vor dem Winter geschlossen werden, weil Heizung und Strom nicht mehr bezahlt werden können. Mittags ab 14.00 Uhr gibt es kein Licht mehr, nicht nur hier in der Kinderklinik sondern auch in anderen Krankenhäusern. Die Operationssäle verfügen meist über ein Notstromaggregat.
Wir übergeben wie jedesmal einen Geldbetrag einer Todtnauer Spenderin an drei sehr arme Mütter mit ihren Kindern. Sie sind überglücklich, jetzt können die notwendigen Medikamente gekauft werden. In einer anderen Abteilung zeigt man uns fünf schwerbehinderte Waisenkinder aus einem Heim, die alle an Hepatitis (Leberentzündung) erkrankt sind. Der Chefarzt ist sehr traurig, weil er keine Möglichkeit hat, diese kleinen Patienten zu behandeln. Es fehlt an Geld für die Medikamente. Wir haben natürlich immer eine kleine Reserve dabei, und so wird sofort alles notwendige in der Apotheke bestellt. Die Kinder strahlen über das ganze Gesicht, als Andrea die mitgebrachten Plüschtierchen verteilt. Auch auf der Infektionsabteilung fehlt es an den notwendigsten Dingen. Dringend bittet man uns um Windeln für die an Durchfall erkrankten Kinder und natürlich um Waschpulver. Die Waschmittel in Moldavien und Rumänien sind sehr aggressiv, die Kinder bekommen Ausschläge und sind sehr wund. Gerade bringt eine Mutter ein kleines Baby, natürlich viel zu spät. Das Kind ist wenige Wochen alt und total unterernährt und ausgetrocknet. Die Durchfallerkrankung wird es sicher nicht überstehen. Wir stehen betroffen und machtlos daneben. Der anschließende Rundgang durch die Abteilungen, die Dank Sponsoren aus Amerika und Japan renoviert werden konnten, kann unsere Stimmung nicht aufhellen, aber wir freuen uns für die kleinen Patienten und das Personal.
Dr. Seremet, der Onkologe und Präsident der Hilfsorganisation "Helft den Armen und Kranken" holt uns pünktlich ab. Wir haben einen Termin beim Oberbürgermeister im Rathaus. Das Gespräch mit diesem Herrn und verschiedenen Vertretern städtischer Behörden ist bald beendet. Man möchte, daß wir die Hilfsgüter zentral abliefern, und die Verteilung in die Hände dieser Kommissionen geben. Ganz klar und deutlich sagen wir NEIN. Wenn wir die Verteilung und Kontrolle nicht mehr selbst in der Hand haben, geht der Sinn unserer Hilfe verloren. Übrigens treffen wir zufällig vor dem Rathaus Frau Fusa, die vor Jahren von uns zwei Herzklappen bekommen hat. Sie ist überglücklich mich zu sehen, ihre zweite "Mutter", wie sie immer sagt.
In der Haematologie haben wir noch ein kurzes Gespräch mit dem zuständigen Professor und werden auch schon im Hörsaal von sehr vielen Menschen, die von uns Hilfe bekommen haben, erwartet. Es ist rührend, wie dankbar diese Leute für alles sind, was wir bringen. Nach einem Gruppenfoto vor der Klinik drängt man schon wieder zum Aufbruch. Ganz kurz in unserem Quartier Blumen ins Wasser stellen, etwas "auffrischen" (soweit das noch möglich ist bei dem strengen Programm), und schon geht es zum nächsten Termin in die Klinik Nr.4. Dr. Noroc freut sich uns zu sehen und bedankt sich für die Hilfslieferung vom Mai und September. Wir beabsichtigen noch, vor dem Rundgang durch die Klinik auf die Personaltoilette zu gehen. ...Ich glaube, wir müssen doch nicht so dringend, wie muß erst das Patienten-WC aussehen?..... In der Klinik bieten sich Anblicke, die wir schon kennen, es hat sich nichts geändert. Andrea und Uschi sind sichtlich schockiert. Die beiden sind zum erstenmal hier. Essensausgabe aus Blecheimern in Blechnäpfe, dünner Grießbrei und irgendein Kompott. Man zeigt uns einen schwerkranken jungen Mann, der mit fiebrigen Augen schwer atmend im Bett liegt. Seine Mutter steht hilflos daneben. Er hat beidseitige Lungenentzündung, es gibt kein Geld für Medikamente. Bedrückt verlassen wir den Raum. 1.500,00 DM fehlen, um diesem Menschen zu helfen. In fast allen Zimmern sehen wir zu unserer Freude die gespendete Bettwäsche der Bundeswehr, die vor einer Woche angekommen ist, sogar als Tischtuch werden die Leintücher verwendet.
Nun trennen sich unsere Wege. Andrea und ich begeben uns zu Caritas Moldova, Uschi, Gusti und Gunther verbringen den Abend mit Dr. Seremet und Dr. Noroc. Es geht leider nicht anders, weil die Zeit unseres Aufenthaltes diesmal viel kürzer ist.
Fast alle Paten warten bei Caritas schon auf uns und natürlich auf die Briefe von Herrn Wunderle und von anderen Patenfamilien. Wir machen ein paar Fotos, und schon wieder drängt man zum nächsten Termin. Wir treffen uns bei einem Freund von Herrn Nadkrenitschnyi, dem Caritasdirektor, zum Abendessen. Ich freue mich sehr, Herrn Ahlbrecht von der Deutschen Botschaft und seine reizende Frau dort begrüßen zu können. Die Zeit hätte nicht gereicht bei der Botschaft einen Besuch zu machen.
Zu kurz ist die Nacht, schon wieder ist früh am nächsten Morgen Programm angesagt. Doch das mit der Körperpflege hat sich sowieso dank dem kalten Wasser ruckzuck erledigt, und so können Langschläfer etwas länger liegen bleiben.
Dr. Seremet holt uns ab, und wir fahren zu einer Klinik, die wir noch nie gesehen haben, der Klinik Nr. 1. Hier erfahren wir vom Klinikdirektor, daß Herr Dr. Seremet einen Teil der von uns gebrachten Medikamente und Krankenhausbedarf an diese Klinik weitergibt. Wir besichtigen eine Station und lehnen dankend eine weitere Führung ab. Irgendwann ist das Maß voll und man kann nicht mehr. Auch machen uns die penetranten Gerüche, die teils aus undichten Abwasserrohren und teils aus der allmählich zerfallenden Substanz der Gebäude herrühren, zu schaffen. Die Kunststoffbeläge des Fußbodens in den Krankenzimmern und auf dem Flur lösen sich in Einzelteile auf. Infusionsständer sind aus einfachen Holzbengeln gezimmert. Ich finde keinen Ausdruck für den Zustand der hier zu sehenden Matratzen. Ich frage den Arzt " bekommen die Patienten hier zu essen?", "Ja natürlich, aber meist eine Suppe aus in Wasser gekochten Rüben". Ohne die zusätzliche Versorgung durch die Verwandtschaft kann man hier nicht gesund werden. Immer wieder geht uns allen ein Gedanke durch den Kopf, ja hier nicht krank zu werden oder einen Unfall zu haben. Auf dem Weg in Richtung Ausgang kommen wir noch an einem Schwesternzimmer vorbei, wo wir zwei volle Plastikbehälter mit benutzten Einmalspritzen entdecken. Natürlich werden diese in Anbetracht der großen Not wiederverwendet. Der Chefgynäkologe, mit dem wir noch ein Gläschen auf seinen Geburtstag trinken, ist entsetzt über die Gesetzgebung, was die Mindesthaltbarkeit eingeführter Medikamentenspenden anbelangt. Er berichtet uns, daß alle Ärzte und das gesamte Klinikpersonal in Moldavien seit Juni keinen Lohn mehr bekommen haben.
Andrea füttert im Park der Klinik noch ein paar junge Hunde mit ihren Reispuffern. Da sie schon als Kleinkind mit Haustieren aufgewachsen ist, kann sie auch nicht die Augen vor der Not der heimatlosen und hungernden Tiere verschließen.
Das Altenheim von Chisinau, oder besser gesagt eines der Altenheime, wollen wir jetzt besuchen. Beim Septembertransport war einiges für dieses Haus bestimmt, und nun bekommen wir ein herzliches Dankeschön. Eine große und freudige Überraschung können wir mit dem beachtlichen Geldbetrag eines Spenders aus unserer Region bereiten. "Endlich können wir noch vor dem Winter kaputte Fenster und Türen reparieren, damit nicht soviel Wärme verloren geht". Ein Herzenswunsch ist in Erfüllung gegangen, der allen Heimbewohnern zugute kommt.
Auf der Heimfahrt machen wir noch einen Abstecher in ein staatliches Kinderheim, welches auch schon einiges an Hilfsgütern durch Dr. Seremet von uns erhalten hat. Wir interessieren uns besonders für die Möglichkeiten von Adoptionen nach Deutschland. Gut Ding will Weile haben, wir bleiben, trotz der spärlichen Auskunft bis jetzt, am Ball.
Die Hilfsorganisation von Dr. Seremet lädt uns zum Abschiedsessen ein. In einem Raum einer Schule ist ein wunderschöner Tisch gedeckt, die Speisen wurden von den Damen der Hilfsorganisation vorbereitet. Natürlich werden wieder viele Ansprachen gehalten, das ist hier so üblich. Was mich aber besonders beeindruckt und nachdenklich stimmt, sind die Worte von Dr. Seremet "Ihr könnt uns nicht verstehen, wir leben von einem Tag auf den anderen, mit nichts in den Händen, das Morgen kann unseren Untergang bedeuten oder einen neuen Anfang. Wir wissen nichts. Versteht ihr, warum wir Euch, unseren lieben Freunden, solch einen Tisch bereiten? Wir haben nichts zu verlieren, geben aber alles, was wir können, auch wenn wir es nicht haben. Nein, Ihr könnt uns nicht verstehen." Diese Worte machen uns betroffen. Wie würde die Welt aussehen, wenn alle Menschen, die alles haben einen Teil an die Bedürftigen abgeben würden?
Abschiednehmen am nächsten Morgen, alle unsere lieben Freunde sind da. Ich habe ein wenig Angst vor der langen Rückreise. Es ist viel einfacher in ein Flugzeug zu steigen und sechs Stunden später wieder Zuhause zu sein. Wir haben viel erlebt und viel gesehen, man muß das ganze erst verarbeiten. Egal, auf unsere Seele können wir im Moment noch keine Rücksicht nehmen, unser "Wölfchen" muß noch heil nach Hause gebracht werden. Doch zuvor sind wir noch zum Frühstück bei unserem Schirmherren Metropolit Vladimir eingeladen. "Ich weiß, daß Sie Pater Joan mehr in Ihr Herz geschlossen haben als mich", sagt er am Tisch. "Das stimmt nicht, wir haben einfach mehr Gelegenheit mit Pater Joan in Kontakt zu treten, als mit Eurer Eminenz", gebe ich zur Antwort.
Jetzt ist es aber endgültig an der Zeit aufzubrechen, Pfarrer Petrisor in Talpa erwartet uns ab 14.00 Uhr. Nun muß ich gezwungenermaßen wieder auf die vorher erwähnte Grenze zurückkommen, an der wir nun stehen. Ein moldavischer Vorposten registriert erst mal unsre Pässe und das Auto. Dann stehen wir und man läßt uns unendlich viel Zeit zum Beobachten, zum Schlafen oder zum Gummibärchen naschen. Wir amüsieren uns köstlich wegen einer Frau, die eine übergroße Trainingshose trägt. Ewig ist sie am Schieben und Zurechtrücken. Natürlich ist die Hose voll mit Zigaretten, die sie nach Rumänien schmuggeln möchte. An einem großen Ziehbrunnen können die Wartenden Wasser zum Trinken schöpfen, es ist sogar eine Tasse da. Doch bei der Beobachtung, wie ein junger Soldat aus der Tasse trinkt und einen Teil wieder in den Brunnen spuckt, verzichten wir lieber auf das kühle Naß. Endlich geht es weiter. Vor einem Gebäude noch auf der moldavischen Seite steigt Gunther mit Gusti aus um Papiere zu erledigen. Alles ist registriert in dem modernen mit Computer ausgestatteten Büro. Es wurde festgehalten, daß wir am 06.10. ohne die Straßengebühr zu bezahlen nach Moldavien eingereist sind. Natürlich erledigen wir das Versäumnis und hoffen bald wieder fahren zu können. Die Waschanlage zur Desinfektion der aus Moldavien kommenden Fahrzeuge besteht an der rumänischen Seite dieser Grenze aus einem Mann mit einem Kanister auf dem Rücken. Er besprüht die Reifen mit einer stinkenden Brühe, und dafür muß man bezahlen. Wir kommen durch ein Mißgeschick, eben dieses Mannes, um diese Prozedur der Reifenwäsche herum, haben allerdings schon bezahlt (immerhin 7.-DM), was aber jetzt auch keine Rolle mehr spielt. Die rumänische Grenzpolizei prüft unsere Pässe und die Autopapiere und bemängelt, daß wir vom Verein keine Vollmacht haben, mit "Wölfchen" unterwegs zu sein. Endlich kapiert der Beamte, daß ich als Vorsitzende berechtigt bin, das vereinseigene Auto zu bewegen. Nun warten wir und warten auf die rumänischen Zollbeamten. Es laufen genügend dieser Grenzbeamten herum, meistens mit den Händen bis zum Ellbogen in den Hosentaschen. Es geschieht nichts, man läßt uns einfach stehen. Gusti ist schon ganz nervös und erkundigt sich, ob wohl ein Streik sei. Nein, wir warten ohne ersichtlichen Grund. Irgendwann kommt noch einmal der Grenzpolizist vorbei und wundert sich, warum wir immer noch da stehen. Er nimmt sich einen Zollbeamten vor und meint, "müssen wir uns nicht schämen, das sind Ausländer und wir wollen doch in die EU". Schnell werden wir nun abgefertigt, ohne unser Paket mit "Verschiedenem" aufmachen zu müssen. Fast vier Stunden haben wir für diesen Grenzübertritt gebraucht. Klein aber fein? Nein, das ist ganz bestimmt nichts für einen Konvoi mit mehreren LKW.
Es gelingt uns einfach nicht den Pfarrer von Talpa per Handy zu erreichen. Natürlich wird es nun nichts mehr mit unserer Verabredung. Ein wenig enttäuscht ist er schon, als wir gegen Abend bei ihm eintreffen. Wir trinken zusammen ein Gläschen neuen Wein und brechen auch gleich wieder auf, wir werden noch zum Nachtessen bei Freunden erwartet. Ein langer , anstrengender Tag ist zu Ende. Bei Gusti zu Hause spüren wir schon ein wenig Heimat.
Noch eine Station, unsere Abladestelle in Bistritz beim Krankenhaus und beim Forum, zu der wir am nächsten Morgen aufbrechen, ist unser Ziel. Herr Dr. Suteu erwartet uns schon am Eingang des Krankenhauses und fragt, ob wir einen Rundgang machen möchten. Wir lehnen dankend ab, unser Bedarf an Besichtigungen ist reichlich gedeckt. Man muß das Gesehene schließlich noch verarbeiten. Nach einem Essen in der Klinik begeben wir uns zu dem Deutsch-Rumänischen Forum. Der sich anschließende Spaziergang durch Bistritz tut uns allen gut. Dana Suteu, bei der wir immer übernachten, hatte eine tolle Idee. Sie führt uns auf eine alten zentral gelegenen Friedhof, wo man an Hand der Grabsteininschriften Geschichte lesen kann. Wir werden in eine Welt entrückt, in der noch der Spenglermeister soundso und die Hutmacherin soundso in dieser Stadt gelebt haben. Wie vergänglich ist doch alles in diesem Leben und wie friedvoll kann ein solcher Ort sein. Wir schöpfen hier viel Ruhe und neue Kraft für unser Tun, für die Menschen, die heute hier sind und unsere Hilfe brauchen.
Lediglich eine reale Grenze zwischen Rumänien und Ungarn ist noch zu überwinden, dann sind wir auf dem Weg nach Hause. Auch hier müssen wir trotz aller Befürchtungen (vor uns muß ein PKW total ausgeräumt werden), keine intensive Kontrolle über uns ergehen lassen, auch den Karton mit "Verschiedenem" können wir hier nicht los werden.
Noch eine Übernachtung in dem vorbestellten Motel, diesmal findet keine Hochzeit statt, und nach einer erholsamen Nachtruhe geht es in Richtung Heimat. Die Stunden während der Fahrt scheinen viel länger zu sein als auf dem Hinweg, wir können es kaum erwarten, nach Hause zu kommen.
Wie zu Beginn schon angedeutet, sah alles nach einer "Auswanderung" aus. Aber das war es nicht, wir konnten uns bei dieser Reise über die ordnungsgemäße Verwendung der überbrachten Hilfsgüter überzeugen und gleichzeitig uns über den zukünftigen Bedarf informieren.
Die Wiedersehensfreude mit der Familie ist groß, und die Dankbarkeit für die gesunde Heimkehr kommt von Herzen. Aber in unseren Gedanken bleiben all die Menschen, die wir in ihrer Armut und Not zurückgelassen haben. Notgedrungen zurückgelassen, aber nicht verlassen und nicht vergessen.
November 2000 

 

Eindrücke einer Reise nach Moldavien

(Teilnehmer Ursula Honeck und Gunther Köllner)

Phantastisch......

......dies ist eines der Wörter, die Bischof Vulpe, der inzwischen eifrig deutsch lernt, bei jeder passenden Gelegenheit zum Besten gibt.

 Phantastisch.....

.......das war auch unser "Wochenendausflug", den wir vom Freitag 19. Mai bis zum Dienstag 23. Mai 2000 unternommen haben. Beim Aufenthalt während unseres letzten Transports, der uns am 7. und 8. Mai nach Orhei führte, erhielten wir eine mündliche und dann auch eine offizielle schriftliche Einladung, an den Feierlichkeiten der orthodoxen Kirche von Moldavien aus Anlaß "2 000 Jahre seit der Geburt von Jesus Christus" teilzunehmen. Wir waren natürlich sehr überrascht und fühlten uns in höchstem Maß geehrt. Natürlich mußte alles erst zu Hause mit der Familie abgesprochen werden, denn erst 14 Tage unterwegs und nach der Heimkehr gleich wieder.... Aber es ging alles klar und so wechselten wir, Ursula und ich, praktisch nur die Wäsche und den Koffer. Durch Vermittlung des Direktors von "Caritas Moldova", Herrn Nadkrenitschnyi, mit dem wir das ganze Jahr über sehr engen Kontakt halten, erhielten wir in aller Kürze die nötigen Flugkarten. Eine weitere sehr gute Verbindung, die wir im Lauf der Zeit zum Oberbürgermeister von Orhei sowie zum Präfekten des Kreises Orhei aufgebaut haben ermöglicht es uns schon seit Januar mit einem Dauervisum jederzeit nach Moldavien einreisen zu können. Auch das kam uns jetzt bei dem engen Terminplan zu gute.

Wir wurden am späten Freitagmittag in Chisinau von Herrn Nadkrenitschnyi am Flugplatz

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abgeholt und nach einer zwangsläufigen Stadtrundfahrt zu einem Abendessen und Übernachtung bei ihm eingeladen. Am anderen Morgen holten wir um 10.30 Uhr am Bahnhof unsere liebe Dolmetscherin Gusti ab, die natürlich ebenfalls eingeladen war und auf deren Hilfe wir nicht verzichten können und fuhren nach Orhei. Im Pfarrhof war ein riesiges Gedränge und wir konnten uns kaum zu unserem Gastgeber Bischof Vulpe, der uns freudig erwartete und begrüßte, durchschlagen. Vor der Kirche war eine alte Ikone ausgestellt, die kurz nach

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1700 von einem Fürsten einem Kloster in der Nähe gestiftet worden war. Diese wurde für die Feierlichkeiten und einige Zeit danach der Kirche und dem Kloster von Bischof Vulpe zugesprochen, was jedoch einem Mönch des ursprünglichen Klosters nicht gefiel. Und so wollte er die Ikone am Samstag entführen, was auf energischen Widerstand und Protesten bis hin zum Metropoliten geführt hat. Danach wurde sie von einer Ehrengarde des Militärs bis zum Ende der Feiertage bewacht. Am Nachmittag waren wir bei einem Gesangswettbewerb von Kirchenchören aus Gemeinden, die zum Bistum von Bischof Vulpe gehören. Am Sonntagvormittag fuhren wir nüchtern (das heißt in diesem Fall ohne Frühstück) zur Messe, die in der Kirche des Klosters von Curchi stattfand. Am Eingang des Klosterhofes warteten wir wie alle anderen auf die Ankunft des

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Staatspräsidenten sowie des Parlamentspräsidenten. In einer großen Prozession zogen sie dann zusammen mit dem Metropoliten von Chisinau und anderen Kirchenfürsten an uns vorbei, wobei wir sofort in ihre Reihen einbezogen wurden und somit die Ehre hatten neben bzw. hinter dem Staatspräsidenten mitgehen zu dürfen. Den Sicherheitsbeamten gefiel das nicht so sehr, sie versuchten immer wieder uns zur Seite zu schieben, besonders nachdem Ursula verdächtig lange in ihrer Tasche nach dem Fotoapparat gesucht hatte. Aber sie gaben nach einiger Zeit auf. Durch eine riesige Menschenmenge wurden wir durch die vollbesetzte Kirche, in der es ja nach den orthodoxen Gebräuchen keine Sitzmöglichkeiten gibt, in die vorderste Stehplatzreihe durchgereicht. Dort trafen wir auch den Vertreter der deutschen Botschaft in Chisinau, Herrn Ahlbrecht, mit dem wir ebenfalls sehr gut bekannt sind. Die Dauer der Messe mit etwas über drei Stunden erscheint durch das dauernde Stehen auf einem Fleck natürlich doppelt so lang, aber die Rituale der orthodoxen Kirche vom Einkleiden des Metropoliten auf einem Podest in der Menge über die wunderbaren Gesänge von mehreren Chören auf der Empore und zwischen den Gläubigen bis zu den Gesängen der Priester hinter der Altarwand oder der Austeilung des Abendmahls sind so vielseitig, fremdartig aber auch spannend, daß sie für uns immer wieder ein tiefgreifendes Erlebnis sind. Genauso ist es für die Gläubigen. Wir mußten erleben, wie zwei Frauen in großer Hysterie mit nach oben ausgestreckten Armen laut schreiend zusammenbrachen und dann von einem herbeieilenden Priester mit Weihwasser besprengt wurden. Am Ende der Zeremonie wurde die Ikone vom Militär nach draußen getragen. Dabei kam es zu einem solchen Gedränge, daß uns Angst und Bange wurde. Wir konnten uns einfach nicht mehr dagegen stemmen. Selbst der Staatspräsident, hinter dem wir ja uns anfangs noch befanden, wurde eingeklemmt. Draußen wurde dann die Ikone um die Kirche herumgetragen, wobei wie bei uns an Fronleichnam an vier Altären Station gemacht wird.

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Zugleich werden die Glocken im Kirchturm mit der Hand angeschlagen, was bei den hellen und hohen Tönen ganz schnell geschieht, während die tiefen Töne sehr langsam erklingen. Das ergibt eine ganz eigenartige Melodienfolge. Nach dem Ende des Rundgangs um die Kirche wurde dann zum Mittagessen gebeten. Neben dem Staatspräsidenten, dem Metropoliten und den Bischöfen kam dann "natürlich" gleich unser Platz, während andere geladene Ehrengäste die verbleibenden einnehmen mußten. Selbstverständlich wurden auch Tischreden geschwungen, von den zuvor erwähnten Personen, vom ebenfalls anwesenden Inneinister Moldaviens, vom Präfekten des Kreises Orhei, von einem Armee-General und vielen anderen, die hier etwas zu sagen haben, auch unsere Frau Vereinspräsidentin durfte eine halten, und jedes Mal gab es zum Schluß ein "noroc" mit vollständigem Leeren des Cognac-Glases. Und es waren viele Tischreden. Da Ursula die Schirmherrin des Klosters ist, hatte es Bischof Vulpe so arrangiert, daß die Teilnehmer an einem großen Bild von ihr vorbeigehen mußten und so sich viele sagten, die kenne ich doch. Bei einer Pause im Freien gab es dann noch lockere Gesprächsrunden, die ebenfalls auch für uns ganz nützlich waren. Nach der Rückkehr fand dann um 17 Uhr im Kulturpalast ein kleines Konzert des Kirchenchores statt. Natürlich gab es auch hier wieder Reden, aber da es keine Tische gab, entfiel auch zum Glück – siehe weiter oben. Unser abschließender Besuch fand dann noch im Gemeindesaal einer anderen Pfarrei statt, wo wir auch wiederum stark verköstigt wurden. Auch hier mußten wir viel von unserer Arbeit und dem Leben in Deutschland erzählen, denn es waren ja viele fremde Pfarrer da mit ihren Ehefrauen, die uns noch nicht so sehr kannten. Am Abend wollten wir uns dann mit einem Glas Wein aus dem Pfarrkeller in unsere Unterkunft zurückziehen, denn wir merkten doch, daß alle sehr angespannt und müde wirkten. Aber daraus wurde noch nichts. Ein Fahrer brachte uns zum Haus von Dr. Simam, zu dem wir ebenfalls ein herzliches Verhältnis haben. Er ist Arzt im Krankenhaus in Orhei. Dort durften wir dann noch dessen Wein probieren.

Am Montag war der Feiertag des heiligen Nicolae. Da wiederholte sich fast alles vom Vortag. Wiederum nüchtern ging es zur Messe in die Kirche, wiederum zelebriert vom Metropoliten und den anderen hohen Würdenträgern der Kirche. Während der Messe erhielten einige der Priester Bestätigungen ihres Amtes oder auch Beförderungen. Dies wurde dokumentiert durch Übergaben von verschiedenfarbigen Kopfbedeckungen oder Veränderungen am Talar. Anschließend wurde auf der Hauptstraße der Stadt vor der Kirche wiederum vom Militär die Ikone aufgebaut. Inmitten einer riesigen Menschenmenge hielten alle hohen Kirchenfürsten sowie der Präfekt und ein Bürgermeister Reden und verteilten bzw. erhielten gegenseitig Auszeichnungen. Am Schluß lud der Bischof als Gastgeber alle (a l l e) Teilnehmer der Veranstaltung zu einem Essen ein. Das war für uns schon etwas überraschend, eine solche Menschenmenge zum Essen einzuladen. Aber auch das ist Brauch in der orthodoxen Kirche, wer bei der Messe ist wird auch zum Essen eingeladen. Das fand dann in verschiedenen Räumen rund um das Pfarrhaus statt. Für uns wiederholte sich das Zeremoniell vom vorausgegangenen Mittag, viele Tischreden, auch Essen und Trinken, diesmal auch von Persönlichkeiten der Stadtverwaltung, von anderen örtlichen Organisationen und anderen hochgestellten Personen. Gegen Abend war dann jedoch endgültig Schluß. Die Ehrengäste verabschiedeten sich und uns sehr eindrucksvoll. In Moldavien begrüßt und verabschiedet man sich sehr oft je nach gegenseitiger Verehrung mit einem Wangenkuß und ich glaube, wir stehen mit unserem Ansehen nicht schlecht da, wenn sich verschiedene Bischöfe und viele Pfarrer von uns mit eben solch einem Wangenkuß verabschieden. Wir saßen dann zum Sonnenuntergang mit einigen vom Chorbesuch in Todtnau wohlbekannten Priestern bei einem richtigen Glas Bier zusammen. Das tut nach soviel Cognac richtig wohl und das Bier in Moldavien schmeckt im Gegensatz zu Rumänien gar nicht so schlecht.

Am Dienstag war dann der Abschied nahe, nach einem "kurzen" Frühstück, das natürlich wiederum mit Cognac begonnen wurde, sollte es um 8 Uhr soweit sein. Wir wollten um 9.30 Uhr am Flugplatz sein, der ja immerhin ca. 70 km von Orhei entfernt ist. Aber nur keine Hektik. Es hat ja geheißen, Gott hat die Zeit erschaffen, von Eile hat er nichts gesagt. Nach dem endgültigen Abschied von vielen Priestern, die extra deswegen nochmals gekommen waren, fuhr uns Pfarrer Rodeon erst noch zu einem Ladengeschäft, wo er und seine Frau, die dort wartete, für uns als Geschenk noch eine Flasche Wein erstand. Danach ging es in zügiger Fahrt zur nächsten Tankstelle, um noch Diesel zu tanken. Wir saßen allmählich wie auf Kohlen, aber wie heißt es dort immer in jeder auch noch so verzwickten Lage "kein Problem", und tatsächlich, wir kamen noch rechtzeitig zum Flugplatz. Wir waren dort am Diplomateneingang auf wundersame Weise schon angemeldet und wurden sehnlichst erwartet sowohl vom Abfertigungspersonal als auch von den Herren Dr. Manolache und Dr. Seremet wie auch von Herrn Nadkrenitschnyi und seiner Frau. Lediglich bei der Zollkontrolle wurden wir wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Bei Ursula wurde penibel der Tascheninhalt kontrolliert, ihr Orden, den sie im Mai überreicht bekam und auf Wunsch des Metropoliten dabei hatte, wurde genau untersucht und wir hatten den Eindruck und die Angst, daß er beschlagnahmt werden sollte. Da half nochmals die Redekunst von Gusti, die uns bis vor die Abfertigungsschranke begleitet hatte. Nach dem Ausfüllen einer neuen Zollerklärung und dem Vergleichen mit der alten von der Ankunft und dem schriftlichen ( ! ) Eintrag unserer Pässe in ein Buch erhielten wir dann sämtliche notwendigen Stempel und durften in einem Sonderbus zum Flugzeug fahren. Nach einem guten und ruhigen Flug in Frankfurt angekommen, stellt sich beim Anblick der dortigen Reisenden unwillkürlich die Frage: wenn hier solch eine Abfertigung wäre wie in Chisinau ??? Aber trotz solch ketzerischen Gedanken komme ich zum Anfang meines Berichtes zurück und muß nochmals feststellen, diese Reise war

phantastisch

Gunther Köllner

24.05.00

 

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Letzte Änderung: 30/03/02 -- Autor: Dr.med. Thomas Honeck

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