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SP Bern-Süd
IG Begegnungszone Beaumont

Sprachstrukturelle Unterschiede
zwischen dem Stadt-Berndeutsch und der deutschen Standardsprache

Diplomarbeit Martin Reck, 1994

 

*** KURZBESCHRIEB ***

 

INHALTSVERZEICHNIS

0.    Einleitung

1.    Das Mittelbernische und seine geographische Ausdehnung
1.1.        Das in der vorliegenden Arbeit untersuchte Idiom (Stadt Bern und Umgebung)

2.    Zur Schreibung der berndeutschen Laute im Vergleich zu den schriftdeutschen
2.1.        Die Vokale
2.1.1.     Qualität
2.1.2.     Quantität
2.1.3.     Diphtonge
2.1.4.     Triphtonge
2.2.        Die Konsonanten
2.2.1.     Qualität
2.2.2.     Quantität
2.2.3.     Die Vokalisation des L
2.2.3.1.  Zur Schreibung des vokalisierten L
2.2.4.     Velarisierung von nd im Auslaut von Nomina
2.2.5.     Das Bindungs-n
2.2.6.     Assimilation
2.2.7.     Metathese
2.2.8.     Einschiebung
2.2.9.     Hinzufügen eines Konsonanten am Anfang oder am Schluss eines Wortes
2.2.10.   st und sp im Berndeutsch

3.    Morphologische Unterschiede zwischen Berndeutsch und Schriftdeutsch
3.1.        Der Artikel
3.1.1.     Der bestimmte Artikel und seine Formen
3.1.2.     Der unbestimmte Artikel und seine Formen
3.2.        Das Pronomen
3.2.1.     Die Personalpronomina und ihre Formen
3.2.2.     Die Possessivpronomina
3.2.3.     Relativpronomen und subjunktives Relativelement
3.3.        Genus berndeutscher Nomina vs. Genus schriftdeutscher Nomina
3.4.        Plural der Nomina, Plural und Komparation der Adjektive
3.5.        Kasus
3.5.1.     Nominativ und Akkusativ
3.5.2.     Der Dativ
3.5.3.     Der Genitiv
3.5.3.1.  Der sächsische Genitiv
3.6.        Besonderheiten im Bereich der Flexion
3.6.1.     Das Flektieren der Kardinal- und Ordinalzahlen im Berndeutsch
3.6.2.     Das Flektieren der Adjektive in prädikativer Stellung als Besonderheit des Saanendeutsch (Berner Oberland)
3.7.        Tempora
3.7.1.     Das Präsens
3.7.2.     Das Futur
3.7.3.     Das Futur II
3.7.4.     Das Perfekt
3.7.5.     Das berndeutsche Plusquamperfekt
3.7.6.     Das berndeutsche «Dihrzen»
3.8.        Modus
3.8.1.     Der Konjunktiv I
3.8.2.     Der Konjunktiv II
3.8.2.1.  Der synthetische Konjunktiv
3.8.2.2.  Synthetischer oder analytischer Konjunktiv?

4.    Syntaktische Unterschiede zwischen Berndeutsch und Schriftdeutsch
4.1.        Der Determinativ
4.1.1.     Bestimmter Artikel vor Personennamen und Titeln im Berndeutsch
4.1.2.     Weglassen des bestimmten Artikels zwischen gewissen Präpositionen und männlichen Nomina im Berndeutsch
4.2.        Der fehlende Genitiv im Berndeutsch und die entsprechenden möglichen Paraphrasen
4.2.1.     Angabe zum Nomen
4.2.2.     Ergänzung zum Nomen (fakultativ)
4.2.3.     Ergänzung zum Verb (obligatorisch)
4.2.4.     Ergänzung zu Präposition (obligatorisch)
4.3.        Der Relativsatz
4.3.1.     Schriftdeutsche Relativpronomina im Dativ und berndeutsche Paraphrase
4.3.2.     Pronomina als Ergänzung zu Präposition im mit dem subjunktiven Relativelement eingeleiteten berndeutschen Relativsatz
4.3.3.     Die schriftdeutschen relativsatzeinleitenden Wörter dessen, deren und derer und die möglichen berndeutschen Paraphrasen
4.4.        Die Stellung der Verben im berndeutschen finiten Nebensatz (bei zweiteiliger Verbphrase)
4.4.1.     temporal
4.4.2.     kausal
4.4.3.     konzessiv
4.4.4.     konsekutiv
4.4.5.     final
4.4.6.     lokal
4.4.7.     adversativ
4.4.8.     Relativsatz
4.4.9.     dass-Satz
4.4.10.   Abhängiger Interrogativsatz
4.5.        Der mit dem subjunktiven Infinitivelement eingeleitete finale Nebensatz
4.6.        Der Relativsatz als häufige berndeutsche Paraphrase für adnominal gebrauchte adjektivierte Partizipien
4.6.1.     Adjektiviertes Partizip I
4.6.2.     Adjektiviertes Partizip II
4.7.        Verdoppelung der Verben gah und cho in Bern- und Zürichdeutsch

5.    Abkürzungen

6.    Bibliographie

 

 


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0.        Einleitung

Der vorliegenden Arbeit inhärent und nicht vermeidbar ist der problematische Umstand, dass das Schriftdeutsch, aufgrund dessen hier die sprachstrukturellen Unterschiede zum Berndeutsch herausgearbeitet wurden, eine geschriebene Sprache ist, die, wenn sie gesprochen wird, so einheitlich gar nicht ist und innerhalb eines Sprechaktes kaum jemals allen Regeln der normativen Duden-Grammatik Folge leistet. Allerdings ist es auf der einen Seite eben gerade interessant zu sehen, welche sprachliche Vielfalt das Berndeutsch als eine fast ausschliesslich gesprochene Sprache, für die bis dato nie schriftlich festgehaltene Regeln existiert haben, hervorbringt. Auf der anderen Seite wird auch sehr deutlich sichtbar, welche Menge an Vorschriften eine Sprache sich selbst auferlegt, ja auferlegen muss, um ihren SprecherInnen als brauchbarer Code für eine gut funktionierende Kommunikation zu dienen.

Wie aus dem Titel der vorliegenden Arbeit hervorgeht, soll vor allem das städtische Berndeutsch als ein sich aufgrund der Verkehrs- und Arbeitssituation z.Z. ausbreitender Dialekt des Mittelbernischen im Vergleich mit der deutschen Standardsprache Untersuchungsgegenstand sein. Und zwar deshalb, weil dieses Schweizer Idiom dem Autor am besten vertraut ist.

Die Unterschiede zwischen Berndeutsch und Schriftdeutsch können im Prinzip vier Ebenen zugewiesen werden: der lautlichen, morphologischen, syntaktischen und lexikalischen Ebene. Die morphologische ist hier mit Absicht von der lautlichen Ebene getrennt, da sie bei einem Vergleich dieser beiden Idiome sehr viel mehr umfasst, als dies in Grammatiken üblich ist, und sich eine solche Trennung deshalb geradezu aufdrängt. An dieser Stelle muss eingeräumt werden, dass nur den drei ersten Ebenen in dieser Arbeit Platz eingeräumt wurde; die zahlreichen lexikalischen Unterschiede bleiben weitgehend unerwähnt. An eben diesem Aspekt interessierte LeserInnen seien auf das «Berndeutsche Wörterbuch» und das «Deutsche Universal-Wörterbuch» verwiesen: Lexikalische Unterschiede lassen sich so nämlich am einfachsten feststellen.

Dafür werden dem (Stadt-)Berndeutsch eigene soziolinguistische Phänomene mit einbezogen, da diese für den Berner Alltag sehr wichtig sind. Sie werden allerdings nicht separat behandelt, sondern den entsprechenden sprachlichen Ebenen zugeordnet.

Ferner ist anzumerken, dass die etymologische Komponente fast ganz ausgeklammert bleibt; der Grund dafür sind nicht zuletzt Zeit- und Platzgründe. Zudem soll diese Untersuchung primär etwas aussagen über den heutigen Zustand von Berndeutsch und Schriftdeutsch, insbesondere auch über den einseitigen Einfluss des letzteren auf ersteres.

Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann angesichts der untersuchten Materie, der Sprache, die ein sich in ständiger Veränderung befindender Organismus ist, nicht erhoben werden, umso weniger als Berndeutsch eine in erster Linie gesprochene Sprache ist. Einsprüche, Ergänzungen und jegliche Art von Reaktionen sind jederzeit willkommen.

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1.        Das Mittelbernische und seine geographische Ausdehnung

Das Mittelbernische wird mehrheitlich auf dem Gebiet des Kantons Bern zwischen Thun und Jura gesprochen. Teile des Kantons Solothurn liegen allerdings durchaus innerhalb der Ausdehnung des Mittelbernischen, während der im Kanton Bern liegende Oberaargau jenseits der Ja/jo-Grenze liegt und somit nicht mehr dazugehört. Das Mittelbernische gehört wie alle nördlich der Voralpen gesprochenen Schweizer Idiome zum Hochalemannischen.

Beim Mittelbernischen selbst handelt es sich allerdings um kein homogenes Idiom mit klaren Grenzen; denken wir nur an die Emmentaler oder Schwarzenburgerländer Mundart, nur zwei Beispiele für verschiedene sprachgeographische Regionen, in die das Mittelbernische selbst zerfällt.

Südlich von Thun verläuft die Grenze zum Höchstalemannischen, welches sich insbesondere durch die Hiatusdiphthongierung auszeichnet: Die nördlichen schweizerischen Mundarten haben einen Diphthong in Wörtern wie schneie, die südlichen einen Langvokal: schnyye.

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1.1.        Das in der vorliegenden Arbeit untersuchte Idiom
        (Stadt Bern und Umgebung)


Angesichts der eben beschriebenen Heterogenität des Mittelbernischen drängt sich für die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten sprachstrukturellen Unterschiede zwischen der deutschen Standardsprache (Schriftdeutsch) und Berndeutsch eine Beschränkung auf ein möglichst homogenes Berner Idiom auf. Dies soll das Berndeutsch sein, das in der Stadt Bern und Umgebung gesprochen wird.

Aus den genannten Gründen geht klar hervor, dass das im Rahmen dieser Arbeit untersuchte Idiom von einer relativ kleinen Sprachgemeinschaft gesprochen wird. Diese Sprachgemeinschaft ist jene des Ballungszentrums Bern und Agglomeration und umfasst ca. 400'000 Menschen, die diese Sprache unter dem Begriff «Berndeutsch» als ihre Muttersprache bezeichnen; ein Begriff allerdings, mittels dessen weitere ca. 400'000 Frauen und Männer ihren Dialekt bezeichnen.

Das stadtbernische Idiom kann als homogen bezeichnet werden, weist mit der Erscheinung des vokalisierten l als noch heute bewusst er- und gelebter Klassenunterschied allerdings eine interessante Zweiteilung auf (siehe 2.2.3.ff). Andere Verschiedenheiten wie sprachliche Unterschiede je nach Generationenzugehörigkeit und Herkunft der sprechenden Person sind als einer Sprache grundsätzlich inhärente Phänomene selbstverständlich auch im Stadtberndeutsch feststellbar.

Auch wenn es in der vorliegenden Arbeit vor allem darum geht, die stadtbernische Mundart im Vergleich zum Schriftdeutsch zu untersuchen, wird ab und zu auf andere Idiome, die dem Autor auch vertraut sind, Bezug genommen: In Kapitel 3.6.2. wird in einer Art Hommage an die Vielfalt der berndeutschen Idiome eine erstaunliche Erscheinung in einer Berner Oberländer Mundart im Bereich des Flektierens beschrieben; in den Kapiteln 3.3. und 4.5. wird das Zürichdeutsch, das sich sozusagen auf halbem Weg zwischen Berndeutsch und Schriftdeutsch befindet und für das am ehesten der Begriff «Schwyzertüütsch» verwendet werden darf, als weitere Vergleichsmöglichkeit beigezogen. Auch in Kapitel 4.7. über die Wiederholung der Verben gah und cho werden zürichdeutsche Eigenheiten vergleichend vorgestellt.

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2.        Zur Schreibung der berndeutschen Laute im Vergleich zu den schriftdeutschen

Das Berndeutsch ist wie alle anderen Deutschschweizer Dialekte in erster Linie eine gesprochene Sprache. Es wird heute nicht nur von Schriftstellern geschrieben, sondern wird mehr und mehr auch im familiären Briefverkehr, in Unterlagen zu Vorträgen, in der Werbung und im Mundartrock, der seinen Ursprung mit Polo Hofer und den «Rumpelstilz» in Bern hat, verwendet. Allerdings ist festzustellen, dass die vielzitierte – und z.T. wohl auch dramatisierte – Mundartwelle seit Anfang 90er Jahre im Rückgang begriffen ist.

Die SchreiberInnen von Mundarttexten halten sich nicht an Normen und schreiben zunächst, wie sie es gerade für richtig halten. So hat denn jede/jeder MundartschriftstellerIn nicht nur ihre/seine eigene Sprache, sondern auch ihre/seine eigene Orthographie; denn es macht sich fast niemand die Mühe eines der für die einzelnen Idiome mehr oder weniger einheitlichen Bücher zu diesem Thema zu lesen, bevor sie oder er zu schreiben beginnt.

Dennoch darf allgemein festgestellt werden, dass sich die meisten Mundart schreibenden Personen an der deutschen Schriftsprache orientieren, um so auch den höchstmöglichen Verständlichkeitsgrad zu erreichen, wodurch allerdings öfters auch ganz eigenartige, ungewollt lustig wirkende Stilblüten hervorgebracht werden. So ist und bleibt die gute Lesbarkeit die Maxime aller Dialekt Schreibenden, die nicht nur sich selbst und allenfalls einige wenige Eingeweihte erreichen wollen.

In diesem Kapitel soll die Schreibung des Berndeutsch vorgestellt und erklärt werden, die in dieser Arbeit verwendet wird, sodass alle der deutschen Sprache Mächtigen wissen, wie die berndeutschen Beispiele zu lesen und auszusprechen sind.


2.1.        Die Vokale

2.1.1.    Qualität

Die Vokalqualität bezeichnet die Klangfarbe der Vokale, d.h. ob die Vokale geschlossen oder offen gesprochen werden. Folgende Vokale können im Bd. sowohl offen als auch geschlossen sein: e, i, u, ü. Das Schrd. kennt davon folgende offenen Laute nicht: i, u, ü.

Werner Marti schlägt in seiner Berndeutsch-Grammatik 6. (S. 19) folgende Schreibung für die genannten Vokale vor:

e (auch für den Schwundvokal [Schwa])
y (geschlossen)
i (offen)
u (geschlossen)
u (offen)
ü (geschlossen)
ü (offen)

Da in dieer Arbeit die untergesetzten Punkte aus technischen Gründen nicht möglich sind, und diese aus Kostengründen und wegen der Lesbarkeit auch in keinem literarischen Text verwendet werden, wird an dieser Stelle darauf verzichtet. Vom Schrd. unterscheidet sich also nur das i, das in seiner geschlossenen Form im Bd. mittels eines y markiert wird. Dies entspricht auch der gängigen berndeutschen Schreibweise in Büchern, Zeitungen usw.

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2.1.2.    Quantität

Mit der Vokalquantität wird die Vokallänge bezeichnet. Sie wird nach Werner Marti 6. (S. 19) bezeichnet durch
a)     Doppelschreibung, wenn das verwandte Wort im Schrd. ebenfalls eine solche aufweist oder wenn es sich um schweizerdeutsches oder berndeutsches Sonderwortgut handelt;
b)     Übernahme des Dehnungs-h von der schrd. Rechtschreibung in verwandten Wörtern, sofern der Vokal tatsächlich noch gedehnt ist;
c)     Einfachschreibung in Wörtern mit gedehnten Stammlauten, die mit dem Schrd. verwandt sind. Werner Marti kennzeichnet diese Längen durch einen übergesetzten Strich 6. (S. 20), was er allerdings in seinem Buch «Bärndütschi Schrybwys» 7. erstaunlicherweise nicht einmal erwähnt. In der vorliegenden Arbeit wird auf diese übergesetzten Striche aus folgenden Gründen verzichtet:
    1.    technische Schwierigkeiten
    2.    Lesbarkeit
    3.    Lange Vokale, die im Schrd. nicht gekennzeichnet werden, sollten im Bd. analog dazu geschrieben werden. Die LeserInnen sind durchaus in der Lage, die richtigen Vokallängen zu machen.

Diesen drei Regeln ist eine vierte anzufügen, die Werner Marti nicht explizit erwähnt, sie jedoch öfters befolgt:
d)     Doppelschreibung des i, wenn ein schrd. ie im Bd. als langes offenes i ausgesprochen wird, da sonst die Lesbarkeit darunter leidet.

Beispiele:

a)    Saal, See, Boot, Moor, zaagge (trödeln), hüür (heuer), düür (dürr), schüüch (scheu)
b)     Bohne, Uhr, dehne (dehnen), Mahnig (Mahnung), meh (mehr)
c)     gar, Trüebsal (Trübsal), weni (wenig), ha (haben)
d)     viil (viel), wiviil (wieviel), riisig (riesig), Spiil (Spiel)

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2.1.3.    Diphtonge

Wir empfinden gewisse Vokalfolgen als Einheit, obwohl sie hörbar aus zwei oder drei Vokalen bestehen. Wir sprechen allerdings nur von Diphtongen oder Triphtongen, wenn die Vokale eine Silbe bilden.

Die schrd. Diphtonge sind:     ai, au, äu, ei, eu
Die bd. Diphtonge sind:    ai, äi, ei, ie, ou, öi, ue, üe, au (a + vok. l), äu (ä + vok. l),
                eu (e + vok. l), iu (i + vok. l), öu (ö + vok. l),
                ùu (u + vok. l; das erste u ist offen, das zweite geschlossen),
                üu (ü + vok. l).
                (vokalisiertes l: siehe 2.2.3.ff)

Werner Marti führt in seiner «Berndeutsch-Grammatik» noch eine Reihe weiterer Diphtonge auf, die sich allerdings entweder nur durch Längen unterscheiden oder die im Stadtberndeutsch nicht existieren. Trotzdem seien an dieser Stelle interessierte LeserInnen darauf verwiesen 6. (S. 31).

Diese Vielfalt an Diphtongen ist eines der wesentlichsten Merkmale des Berndeutsch. Sie ist weitgehend auf folgende lautlichen Erscheinungen zurückzuführen:
- Tilgung der Hiatusdiphtongierung (mhd. , bd. Bou)
- n-Schwund vor Reibelaut (Fäister [Fenster])
- l-Vokalisation (wildwiud)

Die bd. Diphtonge werden geschrieben wie oben aufgelistet, mit Ausnahme der durch l-Vokalisation entstandenen (siehe 2.2.3.1.), welche in den folgenden Beispiele der Klarheit wegen sowohl in der «falschen» Vokal- als auch in der «richtigen» l-Variante geschrieben sind.

Beispiele:

chaisch (eine Variante von chasch [kannst])
äine (jener)
Bei (Bein)
niemer (niemand)
Boum (Baum)
Böim (Bäume)
Gruebe (Grube)
üebe (üben)
Bauke/Balke (Balken)
säuber/sälber (selber, selbst)
Eutere/Eltere (Eltern)
wiud/wild (wild)
söu/söll (soll)
Mùude/Mulde (Mulde)
wüu/wüll (weil)

Anmerkungen:
a)    Der schrd. Diphtong eu wird in bd. Wörtern, die keine Lehnwörter (mehr) sind, öi geschrieben (Beispiele: Fröid, öich), es sei denn, es ist ein anderer Laut aus dem Diphtong geworden (Beispiele: schüüch [scheu], Uter [Euter]). Es empfiehlt sich ferner, Fremd- und Lehnwörter – meist griechischen Ursprungs – mit eu zu schreiben (Beispiele: Europa, Eunuch).
b)    Auch die schrd. Diphtonge au und äu werden im Bd. generell so geschrieben, wie sie gesprochen werden: ou (Beispiel: boue [bauen]) bzw. öi (Beispiel: söime [säumen]). Der schrd. Diphtong au kann im Bd. allerdings auch zu einem langen geschlossenen u werden (Beispiel: Huus (Haus). Lehn- und Fremdwörter mit dem Diphtong au – meist französischen Ursprungs – werden auch im Bd. mit au geschrieben (Beispiel: Aubergine).
Ein seltenes Wort wie äufnen, das laut Duden 2. (S. 117) mhd. Ursprungs ist und nur in der Schweiz verwendet wird, sollte im Bd. der Lesbarkeit wegen in der Regel äufne geschrieben werden, nicht öifne.
c)    Der Diphtong ei wird im Bd. gleich geschrieben wie im Schrd., nur wird er im Bd. [ei] ausgesprochen, nicht [ai]. Oft wird aus dem schrd. ei im Bd. ein geschlossenes i, das als y geschrieben wird (Beispiel: myne [meiner]).

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2.1.4.    Triphtonge

Triphtonge gibt es im Schrd. nicht. Sie sind bis auf eine Ausnahme (siehe untenstehende Anmerkung) auf die bereits mehrmals erwähnte bd. l-Vokalisation zurückzuführen.

Die bd. Triphtonge sind: ieu, ueu, üeu, üei/üej (vor i)

Da der letzte Laut der ersten drei aufgelisteten Triphtonge jeweils ein vokalisiertes l ist, treten die bd. Triphtonge mit Ausnahme von üei in Texten eigentlich nur in der folgenden Form auf: iel, uel, üel; sie sind deshalb als Triphtonge nicht sofort erkennbar.

Beispiele für die vier bd. Triphtonge:

    a)    Gieu/Giel (Knabe), Bieu/Biel (Biel [Stadt])
    b)    Schueu/Schuel (Schule), Schueusack/Schuelsack (Schultasche)
    c)    chüeu/chüel (kühl), er wüeut/wüelt (er wühlt)
    d)    Brüeji (Brühe)

Anmerkungen:
a) Wie das bd. ieu, ein als eher unhöflich geltendes Wort für ja, entstanden ist und ob es daher im Grunde auch mit einem l am Schluss geschrieben werden müsste, kann niemand genau sagen; ieu soll ein Überbleibsel des legendären Mattenenglisch sein und darf als solches «Exotikum» anschaulicherweise wohl auch mittels dreier Vokale geschrieben werden.
b) Werner Marti führt als vierten bd. Triphtong ebenfalls üei auf 6. (S. 30). Sein Beispiel ist Müei (Mühe), und er merkt an, dass «man sich fragen kann, ob es sich beim auslautenden -i nicht um ein Suffix-i handelt (etwa analog zu Töiffi, Längi, Längwyligi etc.)». üei ist aber ganz mit Sicherheit als einziger bd. Triphtong, der nicht auf die l-Vokalisierung zurückzuführen ist, zu analysieren bzw. aufzufassen, was das obige Beispiel Brüeji (Brühe) klar zeigt, da bei diesem Wort nämlich nur das zweite i Suffix sein kann.

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2.2.        Die Konsonanten

2.2.1.    Qualität

Die Klangfarbe der berndeutschen Konsonanten unterscheidet sich bei folgenden Lauten von jener der schriftdeutschen:

ch:    Im Schrd. kann das ch phonetisch als [ç] (ich), [x] (Bach) oder [k] (wachsen) wiedergegeben werden. Im Bd. dagegen wird es ausschliesslich [x] ausgesprochen. Davon sind selbstverständlich alle Fremdwörter ausgenommen, die sowohl im Schrd. als auch im Bd. möglichst so ausgesprochen werden wie in ihrem Herkunftsgebiet, wobei die bd. SprecherInnen darin eindeutig gewandter, da flexibler sind als die schrd.
k:    Während das schrd. k als [k] ausgesprochen wird, ist das bd. k immer von einem ch gefolgt: [kx]. Im Gegensatz zum schrd. k wird das bd. k nie aspiriert.
l:    Wird das l im Bd. nicht vokalisiert (siehe 2.2.3.ff), kommt es im Gegensatz zum schrd. l einem dunklen, schon fast russischen l sehr nahe, insbesondere im Anlaut.
p:    Im Gegensatz zum schrd. p wird das bd. meist nicht aspiriert (siehe untenstehende Anmerkung).
r:    Während im Schrd. das r relativ verschiedene Qualitäten haben kann, die hier nicht weiter erläutert werden sollen, wird es im Bd. immer gerollt.
s:    Im Bd. ist das s immer stimmlos; ein stimmhaftes s wie im Schrd. gibt es nicht.
t:    Im Gegensatz zum schrd. t wird das bd. nie aspiriert, ausser wenn gefolgt von einem h, was ja allerdings gerade das graphische Merkmal für eine Aspiration ist.

Anmerkungen:
a)    Bei neueren Lehnwörtern aus dem Schrd. wurde im Bd. die Aspiration übernommen. Beispiele: P
houke (Pauke), Phalme, Phuls. Es mag dennoch erstaunen, dass die Wörter Palme und Puls im Bd. aspiriert werden, da sie doch eigentlich lateinischen Ursprungs sind.
b)    Manche Konsonanten verändern ihre Qualität, wenn ihnen ein bestimmter anderer Konsonant vorangeht oder folgt. Dieses Phänomen der Assimilation wird in Kapitel 2.2.6. behandelt.

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2.2.2.    Quantität

Werner Marti schlägt vor, dass die Laute f, l, m, n, s bei längerer Dauer doppelt geschrieben werden 6. (S. 21). Dies ist eigentlich nicht empfehlenswert, insbesondere dann nicht, wenn ein Wort befremdend vom schrd. Äquivalent abweicht. Weshalb sollte die Entsprechung des schrd. Wortes schlafen im Bd. schlaaffe geschrieben werden? Bei einem bd. Wort wie schlüüffe, dessen Entsprechung im Schrd. relativ anders ist (schlüpfen), ist eine solche Verdoppelung hingegen durchaus angebracht.

Dagegen fragt sich schon, wie sehr das Schriftbild «entstellt» und die Lesbarkeit erschwert werden sollen, wenn Werner Marti 6. (S. 21) ch und sch von langer Dauer mittels eines Strichs über dem c markiert. Bei aller Treue zum Dialekt soll im folgenden die schrd. Schreibweise Richtlinie sein.

In bezug auf den Unterschied zwischen der Konsonantenquantität im Bd. und jener im Schrd. ist nur folgendes von Belang: Bei den Partizipien II wird der Konsonant des Verbstammes – auch im Inlaut – immer dann verdoppelt,

-    wenn das schrd. ge- im Bd. wegfällt, was allerdings nur bei Verbstämmen der Fall ist, die mit b oder d beginnen. Die Konsonanten p und t sind schon stark und werden nicht verdoppelt;
-    wenn das schrd. ge- vor einem mit einem g beginnenden Verbstamm steht, wodurch im Bd. automatisch der Vokal e wegfällt. Es handelt sich hierbei also eher um eine Zusammenziehung denn eine Verdoppelung.

Beispiele:

    Schrd.     bleiben – geblieben
    Bd.     blybe – bblibe

    Schrd.     drohen – gedroht
    Bd.     drohe – ddroht

    Schrd.     aufbauen – aufgebaut
    Bd.         ufboue – ufbbout

    Schrd.     gehen – gegangen
    Bd.     gah – ggange

Existiert kein schrd. Äquivalent eines Verbs, wird die Verdoppelung der konsonanten b, d und g gleichwohl vorgenommen (Beispiel: bäbele – bbäbelet [mit Puppen spielen]).

Andere Vergleiche zwischen Bd. und Schrd. im Bereich der Konsonantenquantität sind nicht nötig, da keine weiteren relevanten Unterschiede auszumachen sind.

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2.2.3.    Die Vokalisation des L

Die l-Vokalisation ist eine der lautgesetzlichen Eigenheiten, die das Bd. von denjenigen anderer Deutschschweizer Idiome am deutlichsten abhebt. Im Bd. wird das auf einen Vokal folgende l immer vokalisiert, wenn darauf ein Konsonant folgt oder wenn es im Auslaut steht: Es wird zu einem u. Der Doppelkonsonant ll wird grundsätzlich immer vokalisiert, auch vor einem Vokal. Ausnahmen bilden sowohl beim einfachen als auch beim Doppel-l nur wenige Wörter, insbesondere Fremdwörter (siehe unten).

Das vokalisierte l galt lange Zeit auch als schichtspezifisches sprachliches Merkmal. Daran wurden Angehörige unterer Schichten sofort erkannt. Heute sind es nur noch Angehörige – auch junge – einer kleinen Oberschicht in den Städten Bern und Thun, die auf die Vokalisation des l verzichten und sich daran bis an ihr Lebensende halten (werden). Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass sich diese «Bernburger» – so werden sie in der Stadt Bern genannt – und ihre Nachkommen darin nicht beirren lassen und es vielmehr die «gemeinen» BernerInnen sind, die sich anzupassen nicht scheuen und bei längerem Kommunizieren mit solchen «Vornehmen» vermehrt auf die l-Vokalisation verzichten.

Beispiele für die l-Vokalisierung:

    aahalte – aahaute (anhalten)
    albe – aube (jeweils, früher)
    Held – Heud (Held)
    Ghüül – Ghüüu (Geheul)
    schnäll – schnäu (schnell)
    voll – vou (voll)
    Väntyl – Väntyu (Ventil)
    Fäll – Fäu (Fell)
    Giel – Gieu (Knabe)
    Nordpol – Nordpou (Nordpol)
    Näbel – Näbu (Nebel)
    Schimel – Schimu (Schimmel)

Anmerkung:
Betr. Näbu und Schimu und allgemein zur Schreibung des vokalisierten l siehe 2.2.3.1.

In den folgenden Beispielen wird das l nicht vokalisiert; es handelt sich mit Ausnahme des ersten Wortes um Fremdwörter, die – im Gegensatz zum oben aufgeführten Wort Ventil – auch als solche erlebt werden:

    lalle – lalle (lallen)
    Vinyl – Vinyl (Vinyl)
    Formaldehyd – Formaldehyd (Formaldehyd)
    Pol – Pol (Pole aus Polen)

Anmerkung:
Das l des letztgenannten bd. Wortes Pol wird – meistens – nicht vokalisiert, nicht weil es als Fremdwort erlebt wird, sondern vielmehr um eine Homonymie mit Pou (z.B. im Sinne von Nordpol) zu vermeiden.

Aus dem Wort Italiener mag zudem hervorgehen, dass früher das l z.T. auch vor Vokalen vokalisiert wurde. So klang es Itauiäner, während heute in der Stadt Bern fast ausschliesslich Italiäner zu hören ist.

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2.2.3.1.     Zur Schreibung des vokalisierten L

In der vorliegenden Arbeit wird darauf verzichtet, das vokalisierte l speziell zu kennzeichnen; das l – ob als solches ausgesprochen oder als u – wird als l geschrieben. Es wird angenommen, dass der/die LeserIn aufgrund der oben aufgeführten Gesetzmässigkeiten selbst den Laut richtig zu lesen versteht. Ausgenommen sind allerdings Wörter, die auf -el auslauten; sie werden mit u geschrieben (Beispiel: Näbel – Näbu).

Werner Marti schreibt das Vokalisations-l normalerweise auch als l, nachdem er es im Kapitel zum Thema der Klarheit halber als u mit untergesetztem Punkt geschrieben hat 6. (S. 55). Er kennzeichnet aber auch das l bzw. ll mit einem Punkt darunter, da es ja eigentlich ein geschlossener Vokal ist, was hier wiederum aus technischen Gründen nicht möglich ist.

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2.2.4.    Velarisierung von nd im Auslaut von Nomina

Durch die Velarisierung von nd entsteht ng, wie im Schrd. ein Laut: Das g ist nicht hörbar. Es gibt allerdings Nomina, deren auslautendes nd, meist aus Gründen der Opposition (Vermeidung von Homonymie), nicht velarisiert wird. Im Inlaut wird nd normalerweise nicht velarisiert (Beispiele: Verständnis, Hundeloipe).

Wie bei der Vokalisation des l gibt es Leute, die, ihrem sozialen Status Rechnung tragend, den Laut nd auch da nicht velarisieren, wo es üblich ist (siehe 2.2.3.).

Beispiele für die bd. nd-Velarisierung:

    Hund – Hung (Hund)
    Grind – Gring (Kopf)
    Schand – Schang (Schande)
    Verstand – Verstang (Verstand)
    Bund – Bung (Bund, Bündel)

Beispiele für bd. Wörter, deren Auslaut nd nicht velarisiert wird:

    Land (in Opposition zum temp. Adj. in adv. Stellg. lang)
    Rand (in Opposition zum Nomen Rang [aus der Sprache des Sports])
    Brand (Brang ist auf dem Land vereinzelt zu hören.)
    Bund (im Sinne von Confoederatio od. des Namens einer Berner Zeitung)

Findet mündlich eine Velarisierung statt, wird sie auch geschrieben, hält Einzug ins Schriftbild, auch wenn dies Nicht-BernerInnen das Lesen nicht gerade erleichtert.

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2.2.5.    Das Bindungs-n

Während in manchen Fällen für das Einfügen des Bindungs-n etymologische Gründe vorliegen 6. (S. 65ff) – worauf hier nicht näher eingegangen werden kann –, wird heute grundsätzlich ein Bindungs-n überall da eingeschoben, wo ein Wort mit einem Vokal endet und das nächste mit einem solchen beginnt, und zwar unabhängig von der Wortart und der Funktion der beiden auf diese Weise gebundenen Wörter.

Beispiele:

    D Meitli stygen ufe Boum ufe.
    D Wahlen i der Stadt Züri sy für d FraP en Erfolg gsy.
    We men acht Bitze Brot darf ha, cha me sicher o nüün ha.
    So chunnsch natürlech nie ufen e grüene Zweig.
    On en alten Armlüüchter wott einisch im Monet abgstoubet sy.
    Win er würklech isch, chan i o nid säge.

Ich möchte hier gerade an das letzte Beispiel anknüpfen. Es fällt auf, dass das Bindungs-n im Hauptsatz chan i o nid säge zwischen dem Pronomen i und der Rangierpartikel o nicht eingefügt wurde. Dies ist darauf zurückzuführen, dass, sollte ein Bindungselement eingefügt werden, dieses ein g sein müsste: chan ig o nid säge. Die Erklärung dafür ist einfach: Das Personalpronomen 1. Pers. Sg. lautet im Bd. ig; i ist davon die schwache, unbetonte Form (siehe 3.2.1.). Das Bindungs-n in chan in o nid säge würde falsch verstanden: chan i no nid säge (kann ich noch nicht sagen anstatt kann ich auch nicht sagen). Ausnahme: Ein Bindungs-n wird an i angehängt, wenn das nachfolgende Wort ein unbetontes Personalpronomen im Dativ ist, das mit einem Vokal beginnt (Beispiel: Han in em's de eigetlech nid verbotte?).

In Verbindung mit den unbetonten, mit einem Vokal beginnenden Personalpronomina kann – bei Inversionen – sogar ein Bindungs-n an Personalpronomina gehängt werden, die mit einem r und nicht mit einem Vokal enden.

Beispiele:

    Chan ern ihm de nid bi de Ufgabe hälfe?
    Syt 'ern/dihrn ihm gester de nid uf em Münschterplatz begägnet?
    Sötte mirn is nid wider einisch e schöne Sunntig mache?
    Heit 'ern/dihrn ech eigetlech no nie gfragt, würum dass der i d Schuel göht?

Anmerkung:
Das Bindungs-n in den letzten zwei Beispielen hat sich dabei eigentlich bereits an die Wörter is bzw. ech gehängt: nis, nech. Sie tauchen nämlich in dieser Form auch an Orten auf, wo nicht von einem an das vorhergehende Wort gehängten Bindungs-n gesprochen werden kann (vgl. 2.2.9.). Beispiele:
    Das wei mer de uf jede Fall mit nis näh.
    Dä söll nech das zersch erkläre!

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2.2.6.    Assimilation

Bestimmte Lautfolgen, die mit einer erhöhten Anstrengung des Sprechens verbunden sind, werden aus sprachökonomischen Gründen assimiliert. Während einige Assimilationen durchaus auch in der deutschen Standardsprache gemacht werden, als solche jedoch nur noch etymologisch erkennbar sind (Beispiel: hintber [mhd.] – Himbeere), hält das Bd. als eine gesprochene Sprache eine grosse Menge solcher Angleichungen bereit. Selbstverständlich kommen ähnliche Assimilationen in schrd. Sprechakten auch vor.

Beispiele für bd. Assimilationen, ohne weitere Erläuterungen:

    Brotbrösmeli – Broprösmeli (Brosamen)
    guet bbunge – gue'punge (gut gebunden)
    Brandblatere – Bramplatere (Brandblase)
    er kennt mi – er kemp'mi (er kennt mich)
    es brönnt mi – es brömp'mi (es brennt mich)
    er git mer – er gip'mer (er gibt mir)
    Unfall – Umfall (Unfall)
    Gänf – Gämf (Genf)
    gib mer – gi'mer (gib mir)
    e Handvoll – e Hampfele (Handvoll)
    nid viil – nip'fiil (nicht viel)
    Husschlüssu – Huschlüssu (Hausschlüssel)
    handchehrum – hangkehrum (im Handkehrum)
    er het chönne – er he'könne (er hat gekonnt/können bzw. er konnte)

Beispiele für die mit einer Ausnahme zweistufige Assimilation des bd. bestimmten Artikels d (Sg. f. od. Pl. m./f./n.) vor den Konsonanten b, p, d, t, g, k, ch, m, f, s, z:

    d Partei – bPartei – 'Partei (die Partei)
    d Dili – dDili – 'Tili (die Diele, Decke)
    d Tische – dTische – 'Tische (die Tischg)
    d Kilo – gKilo – 'Kilo (die Kilos)
    d Chatz – dChatz – 'Katz (die Katze)
    d Frou – bFrou – pFrou (die Frau)
    d Sätz – dSätz – zSätz/'Zätz (die Sätze)
    d Zeiche – 'Zeiche

Was die Schreibweise anbelangt, wird im allgemeinen – so auch in der vorliegenden Arbeit – auf eine graphische Kennzeichnung der Assimilationen verzichtet. Allerdings – dies sei hier zugegeben – hat das Wort Hampfele in eben dieser Form Einzug gehalten in den bd. Wortschatz und sollte daher auch so geschrieben werden.

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2.2.7.    Metathese

Mit dem Begriff Metathese oder Interversion wird das Ergebnis der Vertauschung von Konsonanten innerhalb etymologisch verwandter Wörter bezeichnet 1. (S. 486). Obwohl in den folgenden Beispielen der Lautumsprung nicht innerhalb eines Wortes stattfand, kann er als Metathese bezeichnet werden, da die neu entstandene Lautfolge üblicherweise in einem Wort geschrieben wird. Es handelt sich hierbei ausschliesslich um folgende Zusammensetzung: auf n auslautende Präposition + unbest. Art. Dat. Sg. mask./neutr.

Beispiele:

    an eme (an einem) wird zu amene,
    von eme (von einem) zu vomene,
    in eme (in einem) zu imene.

Anmerkung:
Von den obigen Beispielen gibt es auch eine Kurzform; das ne wird fallengelassen: ame, vome, ime.

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2.2.8.    Einschiebung

Aus sprachmechanischen Gründen schieben sich im Bd. oft Übergangslaute zwischen gewisse Konsonanten.

Dafür einige Beispiele, ohne genauere Erklärungen:

    Bähndli (Bähnchen)
    Tanndli (Tännchen)
    Steindli (Steinchen): Das in Stei abgefallene n erscheint zusätzlich wieder.
    Manndli (Männlein, Männchen): Das a wird wieder kurz, das in Maa abgefallene Doppel-n     erscheint zusätzlich wieder.
    ds Männdli mache (Männchen machen): in dieser Bedeutung nur als Diminutiv
    Fähndrich (Fähnrich)
    faltsch (falsch)
    hingertsi (gebildet aus hinter sich; Bed.: rückwärts)
    Bedürftnis (Bedürfnis): wohl «fälschlicherweise» gebildet analog zu Gedächtnis.

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2.2.9.    Hinzufügen von Konsonanten am Anfang oder
        am Schluss eines Wortes


Bei gewissen Wörtern werden im Bd. zusätzliche Konsonanten an den Anfang oder an den Schluss gehängt. Solche Wörter werden von den Berndeutsch sprechenden Menschen als Einheit aufgefasst. In der Schule müssen die Kinder daher manche schrd. Wörter, d.h. die schrd. Äquivalente quasi neu lernen.

Beispiele, ohne weitere Erläuterungen:

    tschuld (schuld)
    tschudere (schaudern)
    ussert (ausser)
    Gspass (Spass)
    Gwunger (von Wunder; Bed.: Neugier)
    Härd (Erde; im Sinne von Humus)
    nech (euch; vgl. 2.2.5.)

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2.2.10.     st und sp im Berndeutsch

Während im Schrd. st oder sp nur im Anlaut scht (Ausnahme: gewünscht) bzw. schp ausgesprochen werden, sind sie im Bd. immer so auszusprechen.

In dieser Arbeit wird das bd. st im An- und Inlaut als st geschrieben, ausser es folgt direkt auf einen Konsonanten, der seinerseits nicht das Ende eines Präfix' bildet, oder der nachfolgende Vokal ist Flexem. Am Schluss eines Wortes wird das bd. st aus Gründen der Verständlichkeit als scht geschrieben, auch innerhalb von Komposita.

Beispiele:

st im Anlaut oder im Inlaut nach Vokal:
    meistens, Stei, stumm, bestens, bestyge, zuestecke
st im Inlaut nach Präfix mit Konsonant am Schluss:
    Verständnis, verstoue, verstuucht, entstah, Umstand, gstorbe
scht am Schluss eines Wortes:
    (der) erscht, Papscht, Proscht, Herbscht
scht am Schluss eines nicht an letzter Stelle stehenden Wortes innerhalb eines Kompositums: Herbschtsunne, Papschtreis, Poschtouto
scht im Inlaut nach Konsonant:
    Fänschter (Fäister ist nur eine Variante), günschtig, Ginschter, erschtens
scht vor Flexem-Vokal:
    (di) erschte, (di) Gröschti, (d) Herbschte (Plural), (er) proschtet (is) zue

Da sp in der deutschen Sprache nie im Auslaut vorkommt, wird es im Bd. nur als schp geschrieben, wenn es im Inlaut auf einen Konsonanten folgt – was im Schrd. nie der Fall ist –, ausser dieser Konsonant ist eindeutig der letzte Buchstabe eines Präfixes.

Beispiele:

sp in An- und Inlaut nach Vokal:
    Spiil, Espeloub, spinne, sech verhasple
sp im Inlaut nach Präfix mit Konsonant am Schluss:
    gspannt, gspilt
schp im Inlaut nach Konsonant:
    Gschpass, gschpüre, Gschpüri

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3.        Morphologische Unterschiede zwischen Bd. und Schrd.


3.1.        Der Artikel

3.1.1.    Der bestimmte Artikel und seine Formen

Wie im Schrd. gibt es im Bd. einen männlichen, einen weiblichen und einen sächlichen bestimmten Artikel: der, d, ds. Allerdings fällt im Bd. der Genitiv gänzlich weg. An die Stelle des Genitivs tritt im Bd. meistens der Dativ, und dies innerhalb einer mit der Präposition vo (vom) eingeleiteten Präpositionalphrase (siehe 4.2.ff und 4.3.3.).

 

mask.

fem.

neutr.

Nom. Sg.

der

d, di (vor Adj. od. nominal. Adj.)

ds, das (betont)

Dat. Sg.

em

(d)er

em

Akk. Sg.

der, e (nach Präp.)

d, di (vor Adj. od. nominal. Adj.)

das (betont)

Anmerkungen:
a)    Je nach Sprechweise kann der Schwund-Laut in der (Nom./Akk. Sg. mask.) mit dem nachfolgenden r in ein silbisches r eingehen.
b)    Zu beachten ist insbesondere, dass der bd. Artikel der im Gegensatz zum schrd. im Nominativ und im Akkusativ verwendet wird. Analog zu den entsprechenden weiblichen und sächlichen Artikeln wird im Bd. der Akkusativ des männlichen bestimmten Artikels also nicht markiert.
c)    Beispiele für den bestimmten Artikel di vor Adjektiven oder nominalisierten Adjektiven: di zfridni Gans, di Truurigi.
d)    Dat. Sg. fem.: er ist genauso häufig zu hören wie der. Beispiele: Si hei der/er Muetter nid wölle hälfe. Der/Er Chuchitüre geit's o nümm grad eso guet.
e)    Im Bd. wird die Präposition a in allen Genera oft zur Verstärkung des Dativs vor den bestimmten Artikel gesetzt. Häufig klingt sie nur noch wie der Schwundlaut e, wodurch sie allerdings im Sg. m./n. wieder mit dem (normalen) bestimmten Artikel im Dativ zusammenfällt. (In den nachfolgenden Beispielen 2 und 3 wäre dies der Fall.)
    Beispiele:
        1. I wott aber a/e der Muetter nid hälfe.
        2. Du söttsch de eigetlech no am Adriano schrybe.
        3. Am Chälbli het di Chelti nid eso guet taa.
        4. A/e de chlyne Teiche nützt alles Belüfte nüüt.
    Nota bene: Der männliche bzw. sächliche bestimmte Artikel und die vorangehende Präposition verschmelzen auch in diesem Spezialfall miteinander, analog z.B. zu am Bahnhof.
f) Analog zur Verschmelzung der Präpositionen a und i + Dativ mit dem männlichen bestimmten Artikel (am, im), die auch im Schrd. erfolgt, kann eine solche im Bd. auch mit dem weiblichen bestimmten Artikel gemacht werden: ar, ir. (Siehe auch 4.1.2.)
g) Beispiele für den bestimmten männlichen Artikel im Akkusativ nach Präpositionen: hinger e Boum, uf e Bärg. Meistens wird beim Schreiben der Artikel in diesen Fällen direkt an die Präposition gehängt: hingere Boum, ufe Bärg.

Im Plural ist der bd. bestimmte Artikel für alle Genera gleich, variiert nur nach Kasus (Dativ!) und Stellung:

    Nom. Pl.:     d, di (vor Adj. oder nominal. Adj.)
    Dat. Pl.:     de
    Akk. Pl.:     d, di (vor Adj. oder nominal. Adj.)

Anmerkungen:
a) Beispiele für den bestimmten Artikel di vor Adjektiven oder nominalisierten Adjektiven: di grossgchotzete Type, di Chlyne.
b) Zur Assimilation des Artikels d mit dem nachfolgenden Konsonanten (Nom./Akk. Sg. fem. od. Nom./Akk. Pl. m./f./n.) siehe 2.2.6.
c)    Zum Gebrauch des bd. bestimmten Artikels, insbesondere zur Frage des Null-Artikels bzw. Null-Determinativs, siehe 4.1.1. und 4.1.2.

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3.1.2.    Der unbestimmte Artikel und seine Formen

Wie im Schrd. gibt es im Bd. einen männlichen, einen weiblichen und einen sächlichen unbestimmten Artikel: e, e, es. Nur – und dies im Gegensatz zum Schrd. – sind der weibliche und der männliche unbestimmte Artikel in den Kasus Nominativ und Akkusativ identisch. Wie beim bestimmten Artikel fällt der Genitiv im Bd. auch beim unbestimmten Artikel weg; er wird auch hier meistens ersetzt durch den von der Präposition vo (von) regierten Dativ.

 

mask.

fem.

neutr.

Nom. Sg.

e

e

es

Dat. Sg.

em(e)ne, eme

enere, ere

em(e)ne, eme

Akk. Sg.

e

e

es

Anmerkungen:
a) Die beiden Dativformen des männlichen und sächlichen unbestimmten Artikels emene und emne sind ungefähr gleich häufig zu hören, erstere entsteht bei eher langsamem Sprechen, letztere bei schnellerem.
b) Die beiden zusammengezogenen Dativformen eme (mask./neutr.) und ere (fem.) sind heute weniger üblich – obwohl sie etymologisch jünger sein müssen, da mhd. ein(e)me und einre 6. (S. 79) –, werden aber insbesondere bei schnellem Sprechen manchmal immer noch verwendet.
c) Die Präposition a wird – wie beim bestimmten Artikel – in allen Genera häufig zur Verstärkung des Dativs vor den unbestimmten Artikel gesetzt.
    Beispiele:
        I wott aber a(ne)re nätte Frou keni Schwirigkeite mache.
        Ame(ne) Ching darf me ke Chlapf gä.
Er het sech nid entblödet, ame(ne) Maa, wo viil stercher isch gsy als är, fräch verby
        z cho.
    Nota bene: Im Plural kann die Präposition a nie eingefügt werden, denn der Plural des unbestimmten Artikels ist der Null-Artikel bzw. Null-Determinativ.
d)    Zum Phänomen der Metathese beim bd. unbestimmten Artikel siehe 2.2.7.

Der Gebrauch des unbestimmten Artikels ist im Bd. nicht anders als im Schrd.

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3.2.        Das Pronomen

Es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, alle Arten von Pronomina zu untersuchen. Es sollen im folgenden die berndeutschen Personal-, Possessiv- und Relativpronomina genauer betrachtet werden; sicherlich drei Typen, die in bezug auf Unterschiede zwischen Bd. und Schrd. viel hergeben. Die hier «vernachlässigten» berndeutschen Reflexiv-, Demonstrativ-, Indefinit- und Interrogativpronomina sind im Bd. sicherlich lautlich – z.T. sogar lexikalisch – anders als im Schrd., verhalten sich im Satz jedoch wie die schrd.

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3.2.1.    Die Personalpronomina und ihre Formen

Im Unterschied zu Artikel, Nomen und Adjektiv wird bei den bd. Personalpronomina der Akkusativ vom Nominativ unterschieden.
Im Bd. als einer primär gesprochenen Sprache hat es gerade bei den Personalpronomina zu einer Vielfalt von Formen geführt, die je nach Stellung im Satz und der dem Pronomen zugedachten Wichtigkeit, wobei die Sprechgeschwindigkeit auch einen gewissen Einfluss hat, mehr oder weniger «abgenutzt» werden oder – wie im Fall des Pronomens du im Nominativ bei Inversionsinterrogativsätzen – ganz verschwinden (siehe unten).

Die Genitivformen der bd. Personalpronomina ist bis auf einige wenige als veraltet geltende Überbleibsel, die nurmehr in bestimmten Redewendungen vorkommen, gänzlich verschwunden und werden hier als «quantité négligeable» nicht aufgeführt.

Die ursprünglichen bd. Personalpronomina, die hier als starke Formen bezeichnet und nur emphatisch verwendet werden, sind die folgenden:

Nominativ:

1. Pers.

Sg.

 

ig, i (mit langem offenem i)

2. Pers.

Sg.

 

du

3. Pers.

Sg.

m.
f.
n.

är
si (mit langem offenem i)
äs

1. Pers.

Pl.

 

mir

2. Pers.

Pl.

 

dihr (auch Höflichkeitsform)

3. Pers.

Pl.

 

si (mit langem offenem i)

Dativ:

1. Pers.

Sg.

 

mir

2. Pers.

Sg.

 

dir

3. Pers.

Sg.

m.
f.
n.

ihm
ire
ihm

1. Pers.

Pl.

 

üs

2. Pers.

Pl.

 

öich (auch Höflichkeitsform)

3. Pers.

Pl.

 

ine

Akkusativ:

1. Pers.

Sg.

 

mi (mit langem offenem i)

2. Pers.

Sg.

 

di (mit langem offenem i)

3. Pers.

Sg.

m.
f.
n.

ihn
si (mit langem offenem i)
ihns

1. Pers.

Pl.

 

üs

2. Pers.

Pl.

 

öich (auch Höflichkeitsform)

3. Pers.

Pl.

 

si (mit langem offenem i)

Dazu im Vergleich die schwachtonigen Formen der bd. Personalpronomina:

Nominativ:

1. Pers.

Sg.

 

i (mit kurzem offenem i)

2. Pers.

Sg.

 

Ø, d', de

3. Pers.

Sg.

m.
f.
n.

er
si (mit kurzem offenem i)
's, es

1. Pers.

Pl.

 

mer

2. Pers.

Pl.

 

'er, der (auch Höflichkeitsform)

3. Pers.

Pl.

 

si (mit kurzem offenem i)

Dativ:

1. Pers.

Sg.

 

mer

2. Pers.

Sg.

 

der

3. Pers.

Sg.

m.
f.
n.

em, ihm (mit kurzem geschlossenem i)
're, ere
em, ihm
(mit kurzem geschlossenem i)

1. Pers.

Pl.

 

is, nis (mit kurzem geschlossenem i)

2. Pers.

Pl.

 

ech, nech (auch Höflichkeitsform)

3. Pers.

Pl.

 

ne

Akkusativ:

1. Pers.

Sg.

 

mi (mit kurzem geschlossenem i)

2. Pers.

Sg.

 

di (mit kurzem geschlossenem i)

3. Pers.

Sg.

m.
f.
n.

ne
se
's, ins (mit kurzem geschlossenem i)

1. Pers.

Pl.

 

is, nis (mit kurzem geschlossenem i)

2. Pers.

Pl.

 

ech, nech (auch Höflichkeitsform)

3. Pers.

Pl.

 

se

Anmerkungen:
a)    Damit keine Verwechslungen mit der Präposition in entstehen, werden die Personalpronomina ihn und ihm auch in der schwachtonigen Form mit h gschrieben (graphemische Priorität). (ins kann im Bd. nicht falsch verstanden werden, da die Präposition i + Akk. mit dem bestimmten sächlichen Artikel keine Einheit bilden kann. Beispiel: I ga i ds Huus. [Ich gehe ins Haus.])
b)    Auch die Schreibung von 'er (2. Pers. Nom. Pl.) dient der Vermeidung von Verwechslungen mit er (3. Pers. Nom. Sg. m.).
c)    Die Pronomina nech und nis sind aus falscher Trennung entstanden (siehe 2.2.5.).

Was den Gebrauch der bd. Personalpronomina anbetrifft, ist nur die Null-Form der 2. Pers. Nom. Sg. von Belang. Sie kann nur in direkten Interrogativsätzen (Inversion!) verwendet werden, ist da aber der Normalfall.
Beispiele für das bd. Ø-Pronomen:

    Bd. Hesch alles erlediget, win i der's gseit ha?
    Schrd. Hast du alles erledigt, wie ich es dir sagte?

    Bd. Würum machsch das nid besser als är?
    Schrd. Weshalb machst du das nicht besser als er?

    Bd. Muesch eigetlech immer e suure Stei mache?
    Schrd. Musst du eigentlich immer ein saures Gesicht machen?

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3.2.2.    Die possessiven Determinative und Possessivpronomina

Es sollen insbesondere die Formen der bd. possessiven Determinative und Possessivpronomina vorgestellt werden. (Determinativ = Wort, das einem Nomen im Minimum vorangehen muss; es kann auch unsichtbar sein [Null-Determinativ].) Nominativ und Akkusativ sind – anders als bei den Personalpronomina – im Bd. immer identisch, und dies im Gegensatz zum Schrd. Der Genitiv existiert im Bd. nicht und wird in der Regel durch den von der Präposition vo regierten Dativ ersetzt.

In der folgenden Tabelle sind die bd. possessiven Determinative aufgeführt:

Nominativ und Akkusativ:

mask.

fem.

neutr.

Plural

1. Pers.

Sg.

 

my

my(ni)

mys

myni

2. Pers.

Sg.

 

dy

dy(ni)

dys

dyni

3. Pers.

Sg.

m.
f.
n.

sy
ire
sy

sy(ni)
iri
sy(ni)

sys
ires
sys

syni
iri
syni

1. Pers.

Pl.

 

üse

üsi

üses

üsi

2. Pers.

Pl.

 

öie

ö(i)ji

öies

ö(i)ji,
öier

3. Pers.

Pl.

 

ire

iri

ires

iri

Dativ:

mask.

fem.

neutr.

Plural

1. Pers.

Sg.

 

mym

my(ne)re

mym

myne

2. Pers.

Sg.

 

dym

dy(ne)re

dym

dyne

3. Pers.

Sg.

m.
f.
n.

sym
irem
sym

sy(ne)re
ire(re)
sy(ne)re

sym
irem
sym

syne
irne
syne

1. Pers.

Pl.

 

üsem

üsere

üsem

üsne

2. Pers.

Pl.

 

öiem

öiere

öiem

öine

3. Pers.

Pl.

 

irem

irere

irem

irne

Anmerkungen:
a)    Die Schreibung öiji oder öji wird in der «Bärndütsche Schrybwys» empfohlen 7. (S. 67).
b)    Die Variante öier ist relativ selten, ist aber noch immer – besonders von älteren SprecherInnen – zu hören, insbesondere in der Nominalphrase öier Ching.
c) Die Varianten mit dem angehängten ni bzw. dem eingeschobenen ne sind sehr häufig und sind wohl sogar der Normalfall bei langsamerem Sprechen. Eingang gefunden in den possessiven, ein Nomen modifizierenden Determinativ haben diese längeren Varianten über die Formen des Possessivpronomens: Die Determinative werden analog zu den Possessivpronomina gebildet (siehe unten), wobei die ne-Option im Dativ auch beim Possessivpronomen Variante ist.

Übersicht über die bd. Possessivpronomina:

Nominativ und Akkusativ:

mask.

fem.

neutr.

Plural

1. Pers.

Sg.

 

myne

myni

mys

myni

2. Pers.

Sg.

 

dyne

dyni

dys

dyni

3. Pers.

Sg.

m.
f.
n.

syne
ire
syne

syni
iri
syni

sys
ires
sys

syni
iri
syni

1. Pers.

Pl.

 

üse

üsi

üses

üsi

2. Pers.

Pl.

 

öie

ö(i)ji

öies

ö(i)ji,
öier

3. Pers.

Pl.

 

ire

iri

ires

iri

Dativ:

mask.

fem.

neutr.

Plural

1. Pers.

Sg.

 

mym

my(ne)re

mym

myne

2. Pers.

Sg.

 

dym

dy(ne)re

dym

dyne

3. Pers.

Sg.

m.
f.
n.

sym
irem
sym

sy(ne)re
irere
sy(ne)re

sym
irem
sym

syne
irne
syne

1. Pers.

Pl.

 

üsem

üsere

üsem

üsne

2. Pers.

Pl.

 

öiem

öiere

öiem

öine

3. Pers.

Pl.

 

irem

irere

irem

irne

Die bd. Anwendung sowohl der possessiven Determinative als auch der Possessivpronomina ist identisch mit der schrd. Deshalb wird auf Erläuterungen zum Gebrauch verzichtet.

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3.2.3.    Relativpronomen und subjunktives Relativelement

Im Bd. werden Relativsätze grundsätzlich immer mit «wo» eingeleitet. (Zur Ausnahme «was» siehe unten.) Dieses Relativpronomen ist genus-, kasus- und numerusunabhängig, wird also nicht flektiert.

Wenn dieses kurze Wort subjunktives Relativelement (sr) und Pronomen zugleich ist, nenne ich es Relativpronomen, da es – im Gegensatz z.B. zu einem schrd. der (d-er) – nicht in diese beiden Teile (sr und Pron.) zerlegt werden kann. Hat das wo ausschliesslich relativsatzeinleitenden Charakter (siehe unten), kann es gut und gerne als subjunktives Relativelement bezeichnet werden. Diese beiden Begriffe aus der traditionellen Grammatik einerseits und aus der Dependenzgrammatik anderseits, eignen sich hervorragend, um hier eine Trennung machen zu können, die im Schrd. aufgrund der Zerlegbarkeit der relativsatzeinleitenden Wörter nicht nötig ist.

Bezieht sich das einen Relativsatz einleitende Wort auf einen ganzen Satz, wird im Schrd und im Bd. das Wort was (nur in Nom. und Akk.) verwendet.

Anzumerken bleibt hier noch, dass die schrd. Wendung das, was im Bd. das, wo heisst, was die eben vorgestellte Regel in bezug auf was bestätigt.

Beispiele für das bd. Relativpronomen:

    D Frou, wo si süsch immer dert gseh stah, isch hüt nid ar Tramstation gsy.
    D Froue, wo si süsch immer dert gseh stah, sy hüt nid ar Tramstation gsy.
    Der Mitarbeiter, wo hüüfig z spät chunnt, isch gester pünktlech gsy.

Steht das Relativpronomen vor einem Konsonanten, wird ein Bindungs-n angehängt (siehe 2.2.5.).

Beispiele für das Relativpronomen mit Bindungs-n:

    d Frou, won er eigetlech nie meh wett gseh
    ds Meitli, won i gester z erschte Mal ha gseh

Wenn der äquivalente schrd. Relativsatz mit einer Präposition eingeleitet wird, kann das wo im bd. Relativsatz eindeutig als subjunktives Relativelement erkannt und analysiert werden, da es im Bd. im Gegensatz zum Schrd. losgelöst ist vom Pronomen der TP (E4, E5 oder E6). Das Pronomen, das im Schrd. mit dem auf die Präposition folgenden sr verschmolzen ist, steht im Bd. unmittelbar nach der T und ist so in seiner gewohnten Form Teil der TP. Mit dieser TP, die übrigens oft auch ein Pronominaladverb sein kann oder muss (siehe 4.3.1.), bildet das sr wo sogar eine Klammer, zwischen der sich mindestens das Subjekt des RS befindet.

Beispiel für wo in der Funktion eines sr, das vom Pronomen der TP losgelöst ist:

    Bd.         Iri Fründin, wo si sech nie uf se cha verlaa, het vor zwo Wuche ds Bei bbroche.
    Schrd.     Ihre Freundin, auf die sie sich nie verlassen kann, brach sich vor zwei Wochen
                das Bein.

Beispiel für wo als sr; Pronomialadverb ersetzt TP:

    Bd.        Der Stuel, wo si druff sitzt, het si vo irem Grossvatter gerbt.
    Schrd.     Den Stuhl, auf dem sie sitzt, hat sie von ihrem Grossvater geerbt.
Anmerkung:
Es gibt DeutschschweizerInnen, die gelegentlich die hochdeutschen Relativpronomina verwenden. Es sind dies vor allem PolitikerInnen und Leute, die im Alltag sehr oft Hochdeutsch sprechen (müssen). Die Verwendung der hochdeutschen Relativpronomina ist «falsch» und fällt daher sehr stark auf.

Weiteres zum Relativsatz: siehe 4.3.ff

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3.3.        Genus berndeutscher Nomina vs. Genus schriftdeutscher Nomina

Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, ist das grammatische Genus der Nomina im Bd. dasselbe wie im Schrd. Diese Ausnahmen sollen anhand der folgenden Beispiele näher erläutert werden.

    Bd.         ds (Telefon-)Nummero (n)
    Schrd.     die (Telefon-)Nummer (f)
    Wir können annehmen, dass das sächliche bd. Wort Nummero in Anlehnung an das frz. numéro (m) entstand. Unter Einfluss der zentral- und ostschweizerischen Dialekte wird das Wort Nummero wohl in absehbarer Zeit durch Nummere ersetzt werden.

    Bd.         ds Täller (n)
    Schrd.     der Teller (m)

    Bd.         ds Ameisi (n)
    Schrd.     die Ameise (f)

    Bd.         ds Hummeli (n)
    Schrd.     die Hummel (f)

    Bd.         der Radio (m)
    Schrd.     das Radio (n)

    Bd.         ds Be(i)ji/Bieni (n)
    Schrd.     die Biene (f)

    Bd.         der Schildchrott (m)
    Schrd.     die Schildkröte (f)

    Bd.         d Balle (f)
    Schrd.     der Ball (m)
    Zu beachten ist bei diesem Beispiel insbesondere, dass im Bd. keine Homonymie des Wortes Ball existiert:
        - Schrd. der Ball (m)     - Fussball u.ä.
        - gesellschaftlicher Anlass
        - Bd.     d Balle (f)      - Fussball u.ä.
        - Bd.     der Ball (m)     - gesellschaftlicher Anlass
    Anmerkung:
    Während das Doppel-l in Balle vokalisiert wird, ist dies beim Wort Ball nicht der Fall, obwohl die Vokalisation – analog z.B. zu Stall – zu erwarten wäre. Die beiden Wörter unseres Beispiels sind verschiedenen etymologischen Ursprungs 11. (S. 115), und wir können deshalb davon ausgehen, dass die Vokalisation des Doppel-l im bd. Ball nicht gemacht wird, weil so immer noch der französischen Herkunft des Wortes Rechnung getragen wird.

    Bd.         ds Tassli (n)
    Schrd.     die Tasse (f)
    Dieses Wort existiert im Bd. ausschliesslich im Diminutiv.

    Bd.         der Chino (m)
    Schrd.     das Kino (n)
    Es ist nur eine Frage der Zeit, bis im Bd. das Wort Chino auch neutrum ist; erste Anzeichen dafür – entsprechende Äusserungen insbesondere von Jugendlichen – sind vorhanden.

    Bd.         d Züpfe (f) (in der Bedeutung des helvetischen sonntäglichen Frühstücksbrotes)
    Im Vergleich dazu das zürichdeutsche Wort Zopf (m).
    Östlich der Brünig-Napf-Reuss-Linie steht dieses Wort dem bd. Züpfe gegenüber. Interessant ist hierbei, dass das berndeutsche Wort Züpfe (f) früher – und heute noch in ländlichen Regionen – sowohl den Butterzopf, als auch den Haarzopf zu bezeichnen pflegte. Die Angleichung an das schrd. oder zentral- und ostschweizerische Zopf allerdings erfolgte im Bd. nur beim Haarzopf (der Zopf), während der Butterzopf noch heute in der Regel mit Züpfe bezeichnet wird. Grund hierfür mag die Vermeidung von Polysemie sein.

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3.4.        Plural der Nomina, Plural und Komparation der Adjektive

Im Bd. gibt es nur zwei Formen eines Nomens: den Singular und den Plural. Die bd. Nomina werden also im Gegensatz zu den schrd. nicht nach Kasus flektiert. Wie im Schrd. wird im Bd. ein Plural gebildet mittels:
    a)    Plural-Flexem
    b)    Plural-Flexem + Umlaut
    c)    Umlaut (ohne Plural-Flexem)
    d)    Null-Flexem

Beispiele:
    a)    Schrd.     Frau – Frauen
        Bd.     Frou – Froue
    b)    Schrd.     Haus – Häuser
        Bd.     Huus – Hüser
    c)    Schrd.     Kloster – Klöster
        Bd.    Chloster – Chlöster
    d)    Schrd.     Nebel – Nebel
        Bd.     Ching – Ching (Kinder)
Anmerkung:
Nomina der Typen 3 und 4 sind im Bd. wesentlich häufiger als im Schrd.

Im Bd. kann der Plural eines Nomens auch folgendermassen gebildet werden:
    a)    durch «Entvokalisierung» des vok. l + Ausstossung des e der Endung -el +
        Plural-Flexem
    b)     durch Hinzufügen von im Singular «eliminierten» Elementen + Plural-Flexem

Beispiele:
    a)     Bd.          Näbu – Näble (Nebel)
        Bd.          Igu – Igle (Igel)
    b)     Bd.          Maa – Manne (Männer)

Der Plural der Adjektive wird im Bd. wie im Schrd. mittels eines Flexems gebildet. Im Plural sind alle bd. und schrd. schwachen Adjektive genus- und kasusunabhängig (siehe 3.5.1. und 3.5.2.). Das starke Adjektiv – im Plural folgt es auf den Null-Determinativ – richtet sich sowohl im Schrd. als auch im Bd. nach dem Kasus, ist jedoch immer genusunabhängig.

Übersicht über die bd. und schrd. Plural-Flexeme der starken und schwachen Adjektive, ohne weitere Erläuterungen:

starke Form

schwache Form

Nominativ

schöni Lüt
schöne Leute

di schöne Lüt
die schönen Leute

Genitiv

***
schöner Leute

***
der schönen Leute

Dativ

schöne Lüt
schönen Leuten

de schöne Lüt
den schönen Leute

Akkusativ

schöni Lüt
schöne Leute

di schöne Lüt
die schönen Leute

Der Komparativ eines Adjektivs wird im Schrd. und im Bd. folgendermassen gebildet:
    a)    mit Komparativ-Flexem -er
    b)    mit Komparativ-Flexem -er + Umlaut

Beispiele:
    a)    Schrd.     grün – grüner
        Bd.     grüen – grüener
    b)    Schrd.     gross – grösser
        Bd.     bruun – brüüner

Anmerkungen:
a)    Im Bd. wird oft ein Umlaut gebildet, wenn im Schrd. keiner gebraucht wird. Beispiel:
    doof – dööfer (bd.) / doof – doofer (schrd.).
b)    Beim bd. Adjektiv gross wird im Komparativ von den meisten SprecherInnen nur ein s gesprochen: gröser.
c)    Im Bd. ist der Umlaut von a nicht ä, sondern e (Beispiel: chalt – chelter / kalt – kälter).
Auch der Superlativ wird im Bd. analog zum schrd. gebildet:
    a)    mit Superlativ-Flexem -st bzw. -scht
    b)    mit Superlativ-Flexem -st bzw. -scht + Umlaut

Beispiele:
    a)    Schrd. grün – am grünsten
        Bd. grüen – am/em grüenschte
    a)    Schrd. gross – am grössten
        Bd. rund – am/em ründschte

Anmerkungen:
a) Steht unmittelbar vor dem Superlativ-Flexem -st ein d, wird im Schrd. manchmal ein e dazwischen gesetzt (Beispiel: wund – am wundesten). In adnominaler Stellung sind grundsätzlich beide Varianten möglich. Bei einem t vor dem Flexem -st ist im Schrd. das eingefügte e zwingend (Beispiel: hart – am härtesten). Im Bd. hingegen wird im gleichen Fall nach d grundsätzlich nichts eingefügt, nach t allerdings kann ein i eingefügt werden (Beispiel: chalt – am/em cheltischte); diese Einschiebung ist in jedem Fall freiwillig.
b) Im Bd. wird oft ein Umlaut gebildet, auch wenn im Schrd. keiner verwendet wird. Beispiel: doof – am dööfschte (bd.) / doof – am doofsten (schrd.).
c)    Zum bd. Umlaut von a siehe oben.

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3.5.        Kasus

3.5.1.    Nominativ und Akkusativ

Im Bd. fallen Nominativ und Akkusativ zusammen, ausser bei den Personalpronomina. Dies ist der Unterschied zum Schrd. im Bereich des Deklinierens. Allerdings sind auch im Schrd. viele Wörter, vor allem weibliche und sächliche Nomina, in Nominativ und Akkusativ identisch.

Die schrd. NPs der gute Mensch (Nom.) und den guten Menschen (Akk.) stehen ein und derselben, für Nom. und Akk. gültigen bd. NP gegenüber: der guet Mönsch. Aufgrund dieser klaren Verhältnisse sind weitere Vergleiche in diesem Bereich überflüssig.

In Kapitel 3.5. soll dafür aber insbesondere das Adjektiv mit seiner starken und schwachen Form behandelt werden: Wie im Schrd. kann ein Adjektiv stark oder schwach flektiert werden; stark wird es flektiert, wenn es auf einen unbestimmten Artikel oder einen Null-Deter-minativ folgt, schwach in allen anderen Fällen. (Zum Adjektiv siehe auch 3.4.)

Die folgenden Tabellen stellen die bd. starken und schwachen Adjektivformen im Singular den schrd. gegenüber; diese Tabellen ermöglichen dem/der LeserIn auch gleich noch den angesprochenen, eigentlich überflüssigen Nominativ/Akkusativ-Vergleich zwischen bd. und schrd. NPs ohne Nachfeld:

Nominativ und Akkusativ:

stark

schwach

Sg. m.

e guete Maa

der guet Maa

Sg. f.

e gueti Frou

di gueti Frou

Sg. n.

es guets Ching

ds guete Ching

Pl. m.

gueti Manne

di guete Manne

Pl. f.

gueti Froue

di guete Froue

Pl. n.

gueti Ching

di guete Ching

Vergleiche damit die schrd Adjektivformen:

Nominativ:

stark

schwach

Sg. m.

ein guter Mann

der gute Mann

Sg. f.

eine gute Frau

die gute Frau

Sg. n.

ein gutes Kind

das gute Kind

Pl. m.

gute Männer

die guten Männer

Pl. f.

gute Frauen

die guten Frauen

Pl. n.

gute Kinder

die guten Kinder

 

Akkusativ:

stark

schwach

Sg. m.

einen guten Mann

den guten Mann

Sg. f.

eine gute Frau

die gute Frau

Sg. n.

ein gutes Kind

das gute Kind

Pl. m.

gute Männer

die guten Männer

Pl. f.

gute Frauen

die guten Frauen

Pl. n.

gute Kinder

die guten Kinder

Anmerkungen:
a)    Im Bd. werden Nomina nie nach Kasus flektiert: Nomina werden nur aufgrund des Numerus' flektiert. Adjektive werden je nach Stellung stark oder schwach flektiert, und dies nach Kasus (Dativ!), Genus und Numerus des modifizierten Nomens.
b)    Vgl. Plural der Adjektive in 3.4.

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3.5.2.    Der Dativ

Auch der Dativ soll im Hinblick auf das Adjektiv erläutert werden. Im Gegensatz zum Nomen wird das bd. Adjektiv nach Kasus flektiert – vgl. Nominativ/Akkusativ-Tabelle in 3.5.1. –, was im Dativ folgendermassen aussieht:

Dativ:

stark

schwach

Sg. m.

eme(ne) guete Maa

em guete Maa

Sg. f.

e(ne)re guete Frou

er guete Frou

Sg. n.

eme(ne) guete Ching

em guete Ching

Pl. m.

guete Manne

de guete Manne

Pl. f.

guete Froue

de guete Froue

Pl. n.

guete Ching

de guete Ching

Anmerkung:
a)    Der Vergleich mit dem Schrd. erübrigt sich, da das Adjektiv analog zum bd. guete stets guten lautet; die schrd. Nomina hingegen bekämen Dativ-Flexeme angehängt, was aber im Bd. nicht der Fall ist, wie schon mehrmals erwähnt.
b)    Vgl. Plural der Adjektive in 3.4.

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3.5.3.       Der Genitiv

Im Gegensatz zum Schrd., wo der Genitiv noch recht lebendig ist, allerdings nach Präpositionen vermehrt durch den Dativ abgelöst wird, existiert er im Bd. fast nicht mehr. Dieser Umstand macht eine Vielzahl von Paraphrasen nötig, die in Kapitel 4.2.ff beschrieben werden.

Einzig der sächsische Genitiv, der im folgenden Unterkapitel behandelt wird, ist im Bd. noch existent.

Generell kann festgestellt werden, dass der fehlende Genitiv im Bd. generell vom Dativ und vom Akkusativ, meistens innerhalb einer Präpositionalphrase, abgelöst wurde; andere Möglichkeiten bieten sich ja auch nicht an.

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3.5.3.1.    Der sächsische Genitiv im Berndeutsch

Wie im Schrd. gibt es im Bd. den sogenannten sächsischen Genitiv: Personennamen und gewisse Nomina können mittels des angehängten Flexems -s in den Genitiv gesetzt und vor das Nomen gestellt werden, das sie modifizieren. Es handelt sich hierbei in den meisten Fällen um den possessiven Genitiv (siehe 4.2.ff).

Beispiele:

    Bd.        Hesch du Muetters guldige Chugeler gseh?
    Schrd.    Hast du Mutters goldenen Kugelschreiber gesehen?

    Bd.        Sonjas Velo steit hinger der Schüür.
    Schrd.    Sonjas Fahrrad steht hinter der Scheune.

    Bd.        Würum gisch mer nid eifach Brunos Schäri?
    Schrd.    Weshalb gibst du mir nicht einfach Brunos Schere?

Anmerkung:
Stellt man schon nur einen sichtbaren Determinativ vor das mittels s-Flexem in den Genitiv gesetzte Nomen, stimmt die ganze NP sowohl im Bd. als auch im Schrd. nicht mehr. Das Schrd. kann die nicht mehr nur aus einem Nomen bestehende NP im Genitiv ins Nachfeld des durch sie modifizierten Nomens versetzen, während dies im Bd. nicht möglich ist: Im Bd. wird eine Paraphrase nötig, im Fall des possessiven Genitivs vo (von) + Dativ oder eine noch kompliziertere Dativ-Konstruktion (siehe 4.2.1. und 4.2.2.).

Der sächsische Genitiv ist im Bd. im Rückgang begriffen und wird früher oder später wohl ganz verschwinden. Eine Annahme, die auf der Hand liegt, wenn frau/man feststellt, dass ältere Menschen den sächsischen Genitiv noch sehr oft verwenden, während Jugendliche ihn fast ausnahmslos nicht mehr gebrauchen. Nach Verschwinden des sächsischen Genitivs wird das Bd. ein absolut genitivloses Dasein fristen, woraus ihm allerdings für eine funktionierende Kommunikation keinerlei Nachteile erwachsen sollten. Für die Kinder, die den schrd. Genitiv als gänzlich fremden, neuen Kasus in der Schule lernen müssen, mag dieser Umstand allerdings einige Schwierigkeiten mit sich bringen.

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3.6.        Besonderheiten im Bereich der Flexion

3.6.1.    Das Flektieren der berndeutschen Kardinal- und
        Ordinalzahlen


Im Schrd. und im Bd. wird die Kardinalzahl ein analog zum unbestimmten Artikel, der seinerseits aus eben dieser Kardinalzahl entstand (vgl. 3.1.2.), flektiert. Das Bd. geht aber bei den Kardinalzahlen insofern weiter als das Schrd., als es auch die Wörter zwe (zwei) und drei (drei) flektiert. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über das Flektieren der bd. Kardinalzahlen zwe und drei:

Nominativ und Akkusativ:

Dativ:

 

zwe

drei

zwe

drei

m.

zwe Manne

drei Manne

zwene Manne

dreine Manne

f.

zwo Froue

drei Froue

zwone Froue

dreine Froue

n.

zwöi Ching

drü Ching

zwöine Ching

drüne Ching

Anmerkungen:
a)    Man beachte, dass im Dativ stets das Dativ-Flexem -ne an die jeweilige Form der beiden nach Genus des modifizierten Wortes flektierten Kardinalzahlen gehängt wird.
b)    Auch nominalisierte Kardinalzahlen werden im Bd. nach Genus flektiert, während sie im Schrd. nur nach Kasus flektiert werden.
c)    Insbesondere jugendliche SprecherInnen brauchen diese Formen nicht mehr richtig. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass diese Genus-Flexeme im Verschwinden begriffen sind und sich z.B. die sächliche Form (zwöi/drü) durchsetzen wird: Fehler wie zwöi Froue werden immer auf ein Unvermögen oder eine unergründliche Gleichgültigkeit gegenüber «richtigem» Sprechen zurückgeführt, und solches äussernde Personen werden oft von bewussteren SprecherInnen korrigiert, was sie zwar meistens nur mit einem genervten «jaa, i weis» quittieren.

Die Ordinalzahlen werden im Schrd. nur dann nach Genus flektiert, wenn sie auf einen Null-Determinativ oder einen unbestimmten Artikel folgen (starke Form, analog zum Adjektiv [vgl. 3.5.ff]), was allerdings ein seltener Fall ist. Im Bd. dagegen werden auch die schwachen Formen der Ordinalzahlen – auch sie analog zum Adjektiv – nach Genus des modifizierten Nomens flektiert, und dies bei allen Zahlen. Die Flexion der Ordinalzahlen nach Genus wird in der folgenden Tabelle an den Beispielen zwölft- und dryssigscht- – es könnte auch tuusigsibe-hundertdvieredryssigscht- sein – aufgezeigt, wobei dafür nur Nom./Akk. Sg. von Bedeutung sind:

Nominativ und Akkusativ:

Dativ:

Sg.m.

dr zwölft Maa

em zwölfte Maa

 

dr dryssigscht Maa

em dryssigschte Maa

Sg. f.

di zwölfti Frou

(d)er zwölfte Frou

 

di dryssigschti Frou

(d)er dryssigschte Frou

Sg. n.

ds zwölfte Ching

em zwölfte Ching

 

ds dryssigschte Ching

em dryssigschte Ching

Pl. m.

di zwölfte Manne

de zwölfte Manne

 

di dryssigschte Manne

de dryssigschte Manne

Pl. f.

di zwölfte Froue

de zwölfte Froue

 

di dryssigschte Froue

de dryssigschte Froue

Pl. n.

di zwölfte Ching

de zwölfte Ching

 

di dryssigschte Ching

de dryssigschte Ching

Anmerkungen:
a)    Nominalisierte Ordinalzahlen werden sowohl im Schrd. als auch im Bd. analog zum Adjektiv auch nach Genus flektiert.
b)    Wegen der Seltenheit adnominal gebrauchter Ordinalzahlen in NPs, die mit einem unbestimmten Artikel oder einem Null-Determinativ beginnen, wird hier auf eine entsprechende Tabelle verzichtet und auf Kapitel 3.5.ff verwiesen.
c)    Ältere bd. SprecherInnen verwenden meistens die Form dryssgischt; die Angleichung an die schrd. Form dreissigst- (dryssigscht-) kann aber als abgeschlossen betrachtet werden.

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3.6.2.    Das Flektieren der Adjektive in prädikativer Stellung als
        Besonderheit des Saanendeutsch (Berner Oberland)


Dieser sprachlichen Eigenart sei hier ein wenig Platz eingeräumt, da sie doch sehr zu erstaunen vermag und deshalb als anschauliches Beispiel mehr als andere Phänomene die grammatischen Verschiedenheiten von Idiomen auf kleinstem Raum aufzeigt.

Während im Bd. wie im Schrd. die Adjektive in prädikativer Stellung unflektiert bleiben, werden sie z.B. im Saanendeutsch flektiert. Diese Erscheinung tritt innerhalb des Kantons Bern auch im Emmental und im Schwarzenburgerland auf, scheint da aber einerseits im Schwinden begriffen zu sein, andererseits «hat sie schon den Charakter einer bewussten Sprechweise, eines bestimmten Stils angenommen» 6. (S. 119).

Beispiel für das Flektieren des Adjektivs bruun in der Funktion einer E8 (Qualitativ- oder Adjektivalergänzung):

    Saad.     m.    Der Schnee isch bruuna.
                f.     D Tane isch bruuni.
                n.     Ds Chind isch bruuns. (nach s: -es, wysses)
                Pl.     D Hüsleni sy bruuni. (genusunabhängig)

Die Angleichung des Adjektivs nach Kopulaverben im Saanendeutsch ist wahrscheinlich zurückzuführen auf ein Weglassen eines wiederaufgreifenden unbestimmten Artikels, der das Adjektiv die Aufgabe eines Nomens übernehmen, die E8 zur E7 (Subsumptiv- oder Nominalergänzung) werden liesse. Nehmen wir an, dass in den die Adjektive in prädikativer Stellung flektierenden Idiomen ein solcher (unsichtbarer) Null-Determinativ zwischen Kopulaverb und Adjektiv vorhanden ist, müssten wir die vermeintliche E8 als E7 analysieren.

Beispiele für E7 mit nominalisiertem Adjektiv:

    Saad.    Der Schnee isch e bruuna.
    Bd.        Der Schnee isch e bruune.
    Schrd.    Der Schnee ist ein brauner.

    Saad.    D Tane isch e bruuni.
    Bd.        D Tanne isch e bruuni.
    Schrd.    Die Tanne ist eine braune.

    Saad.    Ds Chind isch es bruuns.
    Bd.        Ds Ching isch es bruuns.
    Schrd.    Das Kind ist ein braunes.

Das Adjektiv wird durch das Einfügen des unbestimmten Artikels nominalisiert und bildet mit diesem zusammen eine Nominalphrase. Während das Schrd. und das Bd. beim Weglassen dieses Artikels im auf das Kopulaverb folgenden Wort ein nicht zu flektierendes Adjektiv sehen, könnten wir sagen, dass das Saanendeutsch und andere Idiome das eigentliche Adjektiv weiterhin als Nomen behandeln und es flektieren.

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3.7.        Tempora

Es kann nicht in den Rahmen dieser Arbeit gehören, die vom Schrd. abweichenden Flexionsformen zu untersuchen und irgendwie aufzulisten. Es gilt nur festzuhalten, dass es im Bd. – wie nicht anders zu erwarten von einer in erster Linie gesprochenen Sprache – z.T. mehrere Varianten für ein Verb in demselben Tempus, derselben Zahl und derselben Person gibt, die allerdings meistens nicht stark voneinander abweichen. Auch die grossen lautlichen oder gar lexikalischen Unterschiede bei den Verbstämmen selbst können hier nicht aufgeführt werden, insbesondere weil generelle Gesetzmässigkeiten nicht herauszuarbeiten sind, ohne die Etymologie mit einzubeziehen und sich eventuell sogar darin zu verlieren.

Es geht in Kapitel 3.7. vielmehr darum zu zeigen, welche Tempora es im Bd. überhaupt gibt und wie allfällige durch fehlende Tempora entstandene «Lücken» gestopft werden. Dies mag z.T. stark in die Syntax übergreifen, insbesondere weil den Adverbien im Zusammenhang mit den Verben eine wichtige Rolle zukommt und sie deshalb an dieser Stelle nicht beiseite gelassen werden können. Ich gehe aber davon aus, dass die ein- oder mehrteilige Verbphrase als das satzkonstitutive Element schlechthin primär als Variante des darin enthaltenen Vollverbs aufzufassen ist und die Wortstellung hier deshalb nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ferner wird in den Kapiteln 4.4.ff und 4.5. näher auf die Wortstellung im finiten und infiniten Nebensatz eingegangen. (Bei den Hauptsätzen erübrigt sich ein solcher Vergleich, da die Stellung des Verbs oder der Verbphrase im Schrd. und im Bd. identisch ist.)

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3.7.1.     Das Präsens

Das bd. Präsens ist bis auf die bereits erwähnten lexikalischen und Flexem-Unterschiede mit dem schrd. identisch. Es wird wie im Schrd. für die Beschreibung von Vorgängen und Zuständen in der Gegenwart, der Zukunft oder der Vergangenheit (Präsens historicum) verwendet. Auxiliarverben, Modalverben und Modalitätsverben dienen auch im Bd. der Bildung von zusammengesetzten Tempora, von Verbphrasen.

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3.7.2.     Das Futur

Grundsätzlich können wir sagen, dass es im Bd. die Form des Futurs (werd- + Inf.), die ein Modalverbgefüge ist, gibt; d.h. das Futur ist als Tempus vorhanden, wird aber sehr selten verwendet. Im Normalfall kommt an Stelle des Futurs das Präsens zum Einsatz.

Dies hat einmal mehr damit zu tun, dass Bd. eine primär gesprochene Sprache ist. Im Schrd. ist nämlich zu beobachten, dass das Futur mit der modalen Bedeutung «Zukunft» in der geschriebenen Sprache häufiger verwendet wird als in der gesprochenen; in der gesprochenen schrd. Sprache wird es sehr oft auch durch das Präsens ersetzt, insbesondere dann, wenn eine temporale Adverbiale die zukünftige Bedeutung klar macht.

Und genau darauf baut auch das Bd.: Die bd. SprecherInnen haben keinerlei Bedenken, auf das Futur zu verzichten, insbesondere dann nicht, wenn sie mit einer temporalen Adverbialen den zeitlichen Zusammenhang markieren. Das Präsens ersetzt also das Futur.

Dazu ein paar Beispiele:

    Bd.        Morn gan i zersch mal i d Schuel, nächhär chumen i hei u ise Zmittag.
    Bd.        I zwone Stung bin i mit den Ufgabe fertig; de chan i cho spile.
    Bd.        Am nächschte Zystig triffen i mi mit der Denyse; mir gö i Chino.
    Bd.        I wette, dass de nächscht Wuche scho wider dym Laster frönsch.

Das Futur wird im Bd. nur emphatisch verwendet. Es kann durchaus auch dann stehen, wenn eine temporale Adverbiale den zeitlichen Verhalt eigentlich bereits klar macht; genau die dadurch erreichte Redundanz schafft ja gerade die Emphase, dies ganz in Analogie zum Schrd.

Beispiele:

    Bd.        I wirde nie wider mit ihm abmache!
    Bd.        Nei, e Straf wirden i der nid gä, aber yverstande bin i nid dermit.
    Bd.        Är wird o morn nid mit is cho spaziere.
    Bd.        Gloubsch mer eigetlech nid, dass i nie meh e seregi Velotour wirde mache?

Was die modale Bedeutung «Möglichkeit in der Gegenwart» anbelangt, wird das Futur im Bd. nur sehr selten verwendet (vgl. untenstehende Anmerkung): Wiederum tritt das Präsens in der Regel an die Stelle des Futurs. Es gilt allerdings festzuhalten, dass insbesondere ältere bd. SprecherInnen in diesem Fall noch immer recht häufig das Futur gebrauchen. Um eine solche Möglichkeit auszudrücken, taucht im Schrd. sehr häufig das im Bd. in dieser Bedeutung nicht vorhandene Wort wohl zusammen mit dem Futur oder aber auch dem Präsens auf. Im Bd. drücken Wörter wie bestimmt, sicher, wahrschynlech diese Modalität aus, deren jeweilige Entsprechung auch im Schrd. denselben Zweck erfüllen kann; nur können diese Wörter im Bd. grundsätzlich nicht neben dem Futur stehen. Neben dem Futur können im bd. etwa Wörter wie äue oder öppe, Entsprechungen des schrd. wohl.

Beispiele:

    Schrd.    Was, er ist noch nicht hier? Er wird (wohl) krank sein.
    Bd.        Was, er isch no nid da? Er isch wahrschynlech chrank.
                Er wird (öppe) chrank sy.

    Schrd.    Sie wird (wohl) wieder einmal keine Lust dazu haben.
    Bd.         Si het bestimmt wider einisch ke Luscht derzue.
                Si wird (äue) wider einisch ke Luscht derzue ha.

    Schrd.    Er wird jetzt schmollend zu Hause sitzen.
    Bd.        Er sitzt itz sicher schmollend deheim.
                Er wird itz schmollend deheim sitze.

Anmerkung:
Es ist klar, dass in den obigen Beispielen auch im Schrd. das Präsens das Futur ersetzen kann, insbesondere in der gesprochenen Sprache.

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3.7.3.    Das Futur II

Zuerst einmal muss vorausgeschickt werden, dass im Schrd. das Futur II im Verschwinden begriffen ist. Insbesonders wenn temporale Adverbialen die zukünftige Bedeutung explizit machen, wird das Perfekt an Stelle des Futurs II verwendet. Das Futur II wird aber immer noch recht häufig gebraucht, wenn eine Möglichkeit in der Vergangenheit ausgedrückt werden soll.

Im Bd. wird das Futur II mit der Modalität «Vergangenheit in der Zukunft» ausschliesslich emphatisch verwendet, wie das Futur also. Ferner taucht es auf, wenn eine Möglichkeit in der Vergangenheit bezeichnet werden soll. Das Futur II kann immer durch das Perfekt ersetzt werden, was wie im Schrd. z.Z. immer häufiger gemacht wird. Ob das Futur II im Bd. oder im Schrd. einmal ganz verschwinden wird, kann heute noch niemand sagen; denkbar ist es beim heutigen Hang zu Kürze und «Vereinfachungen» alleweil.

Beispiele für das emphatische Futur II und den jeweiligen Perfekt-Ersatz (Modalität: Vergangenheit in der Zukunft):

    Schrd.     In zwei Wochen werde ich meine Diplomarbeit geschrieben haben.
    Bd.         I zwone Wuche wirden i myni Diplomarbeit gschribe ha.
    Schrd.     In zwei Wochen habe ich meine Diplomarbeit geschrieben.
    Bd.         I zwone Wuche han i myni Diplomarbeit gschribe.

    Schrd.     Du willst doch nicht sagen, dass du dies in drei Tagen nicht erledigt
                haben wirst?
    Bd.         Du wosch doch nid säge, dass de das i dreine Täg nid wirsch erlediget ha?
    Schrd.     Du willst doch nicht sagen, dass du dies in drei Tagen nicht erledigt hast?
    Bd.         Du wosch doch nid säge, dass de das i dreine Täg nid erlediget hesch?

Beispiel für das Futur II und den Perfekt-Ersatz (Modalität: Möglichkeit in der Vergangenheit):

    Schrd.     Er wird's (wohl) noch nicht gemacht haben.
    Bd.         Er wird's no nid gmacht ha.
    Schrd.     Er hat's wohl noch nicht gemacht.
    Bd.         Är het's wahrschynlech no nid gmacht.

Anmerkung:
Mittels der unterstrichenen Adverbien kann bei der Perfekt-Variante die Modalität den ZuhörerInnen vermittelt werden; das Futur II kann so problemlos durch das Perfekt ersetzt werden.

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3.7.4.    Das Perfekt

In allen Schweizer Dialekten gibt es das Präteritum nicht. Diese Tatsache führt zu einem sprachlichen Defizit, dem die Schweizer Idiome eine durchaus taugliche Alternative entgegensetzen können: Das Perfekt (Vaf im Präs. + Part. II) wird als einzige einfache Vergangenheitsform verwendet. Diese hat seit dem späten Mittelalter im oberdeutschen Raum das alte, direkt gebildete Präteritum verdrängt 6. (S. 159).

Ein Nachteil mag sein, dass die traditionelle und häufigste Verbform für Erzählungen sich im Bd. aus zwei Verben zusammensetzt – falls nicht auf das historische Präsens zurückgegriffen wird –, während im Schrd. dafür normalerweise das kurze und prägnante Präteritum verwendet wird. Das Bd. ist hier vielleicht ein wenig schwerfällig, was aber seinem eher langsamen Charakter eigentlich nur gerecht wird, der zwar eigentlich nur ein Klischee ist und anderen Schweizer Idiomen, die auch nur über das Perfekt verfügen, nicht nachgesagt wird.

Beispiele:

    Schrd.     Hast du ihm jetzt endlich gesagt, was du von ihm hältst?
    Bd.         Hesch em itz ändlech gseit, was de von ihm haltisch?

    Schrd.     Als sie kam, erschrak die ganze Meute und wollte wissen, wie sie denn nun
                eigentlich hierher gekommen war.
    Bd.         Wo si isch cho, isch di ganzi Möite verschrocke u het wölle wüsse, wi si de itz
                eigetlech isch dahäre cho.

    Schrd.     Ich wollte es ihm schon sagen, nur war ich leider wieder mal zu zurückhaltend.
    Bd.         I han em's scho wölle säge, nume bin i leider wider mal z zrügghaltend gsy.

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3.7.5.    Das berndeutsche Plusquamperfekt

Als Konsequenz des fehlenden Präteritums (siehe 3.7.4.) gibt es im Bd. kein Plusquamperfekt, das analog zum schrd. gebildet werden kann (Vaf im Prät. + Part. II). Die bd. Variante des Plusquamperfekts wird anschliessend gleich vorgestellt; doch zuerst einmal soll das schrd. Plusquamperfekt dem bd. Perfekt in Beispielen gegenübergestellt werden.

Im Schrd. dient das Plusquamperfekt ja dem Ausdrücken der Vorzeitigkeit in der Vergangenheit. Während das Schrd. der Zeitabfolge in der Vergangenheit grammatisch, d.h. mittels des Plusquamperfekts gerecht wird, bauen die Schweizer Dialekte in den meisten Fällen auf die Logik der ZuhörerInnen und setzen das Perfekt.

Beispiele:

    Schrd.     Ich lief von zu Hause weg, weil ich häufig geschlagen worden war.
    Bd.         I bi vo deheim furtgloffe, wüll i hüüfig bi gschlage worde.

    Schrd.     Jetzt hast du das Buch also gefunden, das ich zuvor verlegt hatte.
    Bd.         Itz hesch das Buech also gfunde, won i vorhär ha verleit.

    Schrd.     Nachdem seine Tochter gestorben war, setzte er sich nie mehr ans Klavier.
    Bd.         Nachdäm syni Tochter gstorben isch, isch er nie meh a ds Klavier ghocket.

Es gibt wohl niemanden berndeutscher Zunge, die/der eines dieser Beispiele falsch verstanden hätte. Ein höherer Grad an Explizitheit wird durch ein Adverb wie vorhär (2. Bsp.) oder durch den im Bd. eher seltenen und z.T. als «zu deutsch» geltenden Subjunktor nachdäm (3. Bsp.) erreicht. Es scheint also durchaus zu genügen, nur über das Perfekt zu verfügen.

Dennoch kann das Bd. die Vorzeitigkeit in der Vergangenheit innerhalb der Verbphrase ausdrücken, indem es ein zweites Partizip II hinzufügt. Es ist dies das Partizip II des vorangehenden, zur Bildung des Perfekts im Präsens stehenden Auxiliarverbs (Ausnahmen siehe unten). Während das schrd. Plusquamperfekt ja aus Vaf im Prät. + Part. II gebildet wird, besteht das bd. Plusquamperfekt – Werner Marti jedenfalls nennt diesen Tempus so, und der Begriff soll hier ohne zu zögern übernommen werden – aus Vaf im Präs. + Part. II + Part. II, d.h. das bd. Perfekt ersetzt auch hier das schrd. Präteritum:
    (Pron.) ich        - i (Pron.)
    (Prät.) war        - bi gsy (Perf. [Vaf im Präs. + Part. II])
    (Part. II) gegangen    - ggange (Part. II)

Das bd. Plusquamperfekt kann allerdings ausschliesslich in Nebensätzen verwendet werden, wenn der ebenfalls in der Vergangenheit stehende Hauptsatz dazu nachzeitig ist. Es benötigt also den direkten zeitlichen Zusammenhang; in einem selbständigen Hauptsatz kann es nie stehen; dies im Gegensatz zum schrd. Plusquamperfekt.

Diese Alternative des Plusquamperfekts zum Perfekt ist rein fakultativ und wird eher selten angewandt. Sie gelangt nur zur Anwendung, wenn der/die SprecherIn Wert legt auf einen hohen Grad an Explizitheit.

Beispiele:

    Bd.        Wüll er d Abschlussprüefig nid het bestande gha, het er es Zytli z Frankrych als
                Hilfsarbeiter bbüglet.
    Schrd.     Weil er die Abschlussprüfung nicht bestanden hatte, arbeitete er eine Zeit lang
                in Frankreich als Hilfsarbeiter.

    Bd.         Wo iri Muetter isch gstorbe gsy, het si alli Fröid am Läbe verlore.
    Schrd.     Nachdem ihre Mutter gestorben war, verlor sie alle Freude am Leben.

    Bd.         Obschon si no nie isch uf ds Spitzhorn gwanderet gsy, het si d Ussicht, wo me
                vo dert het, genau chönne beschrybe.
    Schrd.     Obschon sie noch nie auf das Spitzhorn gewandert war, konnte sie die Aussicht,
                die man von dort hat, genau beschreiben.

In folgenden Fällen kann dieses Plusquamperfekt nicht gebildet werden; das Perfekt bleibt die einzig mögliche Vergangenheitsform:

    a)    Wenn der vorzeitige Nebensatz im Passiv steht;
    b)    wenn das Vollverb des vorzeitigen Nebensatzes haben ist;
    c)    wenn das Vollverb des vorzeitigen Nebensatzes sein ist;
    d)    wenn das Vollverb des vorzeitigen Nebensatzes durch ein Modalverb modifiziert wird.

Beispiele für diese vier «Plusquamperfekt-inkompatiblen» Fälle im Bd., mit den jeweiligen Falschbildungen (Asterisk!):

    a)    Bd.     Wüll er immer isch gschlage worde, isch er vo deheim furtgloffe.
        *         Wüll er immer isch gschlage worde gsy, isch er vo deheim furtgloffe.
        Schrd.     Weil er immer geschlagen worden war, lief er von zu Hause weg.

    b)    Bd.     Wüll si das Buech nid zur Verfüegig hei gha, isch iri Arbeit schlächt usecho.
        *         Wüll si das Buech nid zur Verfüegig hei gha gha, isch iri Arbeit schlächt
                usecho.
        Schrd.     Weil sie dieses Buch nicht zur Verfügung gehabt hatten, kam ihre Arbeit
                schlecht heraus.

    c)    Bd.     Wüll si lang isch chrank gsy, het si der Aaschluss i der Schuel verpasst.
        *         Wüll si lang isch chrank gsy gsy, het si der Aaschluss i der Schuel verpasst.
        Schrd.     Weil sie lange krank gewesen war, verpasste sie den Anschluss in der Schule.

    d)    Bd.     Wüll er dert anno 1942 nid het ddörfe mitmache, isch er sys ganze Läbe lang
                frustriert gsy.
        *         Wüll er dert anno 1942 nid het ddörfe mitmache gha, isch er sys ganze Läbe
                lang frustriert gsy.
        Schrd.    Weil er dort anno 1942 nicht hatte mitmachen dürfen, war er sein ganzes
                Leben lang frustriert.

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3.7.6.     Das berndeutsche «Dihrzen»

Grob gesagt siezen sich die Leute östlich der Brünig-Napf-Reuss-Linie, westlich davon «dihrzen» sie sich. Das bedeutet für die bd. SprecherInnen, dass die Höflichkeitsform, die sie gebrauchen, identisch ist mit der 2. Pers. Pl. (inkl. Verbform und allfälligem Reflexivpronomen), während diese in den östlicheren Schweizer Idiomen von der Höflichkeitsform unterschieden werden kann. Wenn im Bd. jemand zu einer Person dihr (schwachtonige Form: 'er) sagt, liegt klar eine Höflichkeitsform vor, wird das Personalpronomen dihr gegenüber zwei und mehr Personen verwendet, geht nicht daraus hervor, ob diese nun geduzt oder «gesiezt» werden. In geschriebenen Texten wird die starke Form von dihr in der Höflichkeitsform wie im Schrd. gross geschrieben (die schwache beginnt mit einem Apostroph): die Höflichkeitsform kann durch die Grossschreibung graphisch markiert werden.

Beispiele:

    Bd.         Herr Duttli, heit 'er gseh, dass das so nid guet cha cho?
    Schrd.     Herr Duttli, haben Sie gesehen, dass dies so nicht gut kommen kann?

    Bd.         Myni Damen u Herre, Dihr heit nech bestimmt scho gfragt, öb üsi Firma u d
                Firma XY tatsächlech wärde fusioniere.
    Schrd.     Meine Damen und Herren, Sie haben sich bestimmt schon gefragt, ob unsere
                Firma und die Firma XY tatsächlich fusionieren werden.

    Bd.         Tobias, Jerôme u Sophie, dihr söttet mir scho echly meh hälfe.
    Schrd.     Tobias, Jerôme und Sophie, ihr solltet mir schon ein bisschen mehr helfen.

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3.8.         Modus

3.8.1.     Der Konjunktiv I

Der Konjunktiv I kommt im Bd. nur in abhängigen Interrogativsätzen (siehe 4.4.10.) und in der indirekten Rede vor. (Schrd. Sätze wie Komme er doch bald! werden im Bd. z.B. mittels wenn + Konj. II paraphrasiert.)

Beispiele:

    Schrd.     Er fragte ihn, ob er denn eigentlich immer noch nicht genug gegessen habe.
    Bd.         Er het ne gfragt, öb er de eigetlech immer no nid gnue heig ggässe.

    Schrd.     Die sagten doch tatsächlich, sie seien noch nie so schlecht bedient worden.
    Bd.         Di hei doch tatsächlech gseit, si syge no nie so schlächt bedient worde.

    Schrd.     Sie sagte ihm, sie repariere gerade ihr Fahrrad.
    Bd.         Si het em gseit, si flicki grad ires Velo.

    Schrd.     Er rüste nur noch den Salat, kam es aus der Küche.
    Bd.         Er rüschti nume no der Salat, het's us der Chuchi tönt.

Anmerkung:
Während im Schrd. in der indirekten Rede auch der Konjunktiv II stehen kann, wodurch sich der/die SprecherIn stärker distanziert, ist dies im Bd. nicht möglich, ausser wenn vom Nebensatz in der indirekten Rede ein Konditionalsatz abhängt.

Im Bd. werden insbesondere diejenige Konj.-I-Formen, welche mittels eines an den Verbstamm angehängten i gebildet werden, oft mit tue im Konj. I + Inf. umgangen bzw. paraphrasiert. Dies ist eine Konstruktion, die es im Standard-Schrd. nicht gibt: tun ist im Schrd. ausschliesslich Vollverb, im Bd. ist es fast immer Modalverb: Das äquivalente bd. Verb des schrd. Vollverbs tun ist mache. In festen Wendungen allerdings kann tue Vollverb sein: blöd tue, nätt tue, leid tue, oder wenn ein Verbzusatz (z.B. Präfix) dazukommt: abtue, sech vertue.

Beispiele:

    Bd.         Si het em gseit, si tüeig grad ires Velo flicke.
    Schrd.     Sie sagte ihm, sie repariere gerade ihr Fahrrad.

    Bd.         Er tüeig nume no dr Salat rüschte, het's us der Chuchi tönt.
    Schrd.     Er rüste nur noch den Salat, kam es aus der Küche.

    Bd.         Würum hesch eigetlech versproche, dass de de hüt morge tüeigsch abwäsche?
    Schrd.     Weshalb hast du eigentlich versprochen, dass du heute morgen abwaschen
                würdest.

Anmerkungen:
a)    Im letzten Beispiel steht im schrd. NS wegen der Nachzeitigkeit in der Vergangenheit der Konjunktiv II, wogegen im Bd. in der Umschreibung mit tue der Konjunktiv I steht.
b) Sofern der Subjunktor nicht schon dass ist, können alle NS in der indirekten Rede sowohl im Schrd. als auch im Bd. mit dem Subjunktor dass eingeleitet werden, vorzüglicherweise wenn der NS auf den HS folgt.

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3.8.2.    Der Konjunktiv II

3.8.2.1.    Der synthetische Konjunktiv

Es mag in gewisser Weise erstaunen, dass es im Bd. den synthetischen Konjunktiv II überhaupt gibt, da er eigentlich vom Präteritum abgeleitet wird, welches im Bd. ja nicht mehr existiert.

Auf die Vielfalt der Konjunktiv-II-Formen der bd. Verben – bei starken Verben gibt es oft zwei Varianten des synthetischen Konjunktivs II – kann hier nicht eingegangen werden. Es sei allerdings angemerkt, dass manche bd. SprecherInnen ab und zu den «Fehler» machen, an eine starke Konjunktiv-II-Form noch ein Flexem anzuhängen, das für die Bildung des Konjunktivs II der schwachen Verben verwendet wird (Beispiel: I gäbti nid sövu Gäld uus für son e Schwachsinn.).

Beispiel für den synthetischen Konjunktiv II eines starken Verbs:

gä (geben)

ig

gäb, guub

du

gäbsch, guubsch

är, si, äs

gäb, guub

mir

gäbe, guube

dihr

gäbet, guubet

si

gäbe, guube

Der synthetische Konjunktiv II am Beispiel eines schwachen Verbs:

lache (lachen)

ig

lachti

du

lachtisch

är, si, äs

lachti

mir

lachti, lachte

dihr

lachtit

si

lachti, lachte

Anmerkung:
Im Gegensatz zum Schrd. ist im Bd. jede Form des synthetischen Konjunktivs II als solche erkennbar: Während im Schrd. bei den schwachen Verben das Präteritum immer mit dem Konjunktiv II identisch ist, gibt es im Bd. keinerlei Überschneidungen in diesem Bereich. Dadurch erübrigte sich im Bd. eigentlich die Bildung des analytischen Konjunktivs.

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3.8.2.2.    Synthetischer oder analytischer Konjunktiv II?

Wie im gesprochenen Schrd. ist im Bd. die Tendenz zum vermehrten Gebrauch des analytischen Konjunktivs (werd- im Konj. II + Inf.) zu beobachten. Diese praktische Paraphrase ist im Bd. eigentlich schon fast der Normalfall – insbesondere bei den schwachen Verben –, ausser bei den im Alltag sehr häufig vorkommenden Verben. Wer bildet denn heute noch einen bd. Satz wie I lies das blybe, wen i di wär. (Ich liesse dies bleiben, wenn ich du wäre.)?

In welchen Fällen also wird im heutigen Bd. der analytische Konjunktiv in der Regel dem synthetischen Konjunktiv II vorgezogen?

    1.    Bei den schwachen Verben, da das an den Verbstamm angehängte Flexem -ti als     altmodisch oder «zu ländlich» gilt und viele SprecherInnen diese Form gar nicht     kennen, obwohl sie sie im passiven «Wortschatz» wohl haben.
    2.    Bei den starken Verben,
        a) wenn der/die SprecherIn Missverständnisse oder Nichtverstehen bei dem/der         ZuhörerIn befürchtet;
        b) wenn die Form antiquiert wirkt;
        c) wenn der/die SprecherIn die synthetische Form nicht kennt (v.a. bei Jugendlichen).

Dagegen wird der synthetische Konjunktiv II im Bd. noch immer fast ausnahmslos verwendet bei den Vollverben ha und sy, die ja auch Auxiliarverben sein können. Dies ist darauf zurückzuführen, dass diese beiden Verben als Auxiliarverben in der Form des synthetischen Konjunktivs II zur Bildung des Irrealis (Vaf im Konj. II + Part. II) gebraucht werden und somit unentbehrlich sind. Die Bildung des analytischen Konjunktivs der genannten bd. Auxiliarverben ist ferner höchst umstritten, um nicht zu sagen falsch, und wird ab und zu von eher «schlechten» SprecherInnen gemacht.

Die folgenden Beispiele des synthetischen und des umstrittenen analytischen Konjunktivs II der Auxiliarverben ha und sy in der Funktion eines Vollverbs oder modifizierenden Verbs demonstrieren dies:

    Bd.        Wen i so viil Glück hätt wi du, würd i mi «von» schrybe.
    Bd.        Wen i so viil Glück würd ha wi du, würd i mi «von» schrybe.

    Bd.        Wär er nid immer so nätt, gäb si sech wahrschynlech scho lang nümm mit ihm              ab.
    Bd.        Würd er nid immer so nätt sy, gäb si sech wahrschynlech scho lang nümm mit              ihm ab.

    Bd.        We das no z mache wär, gäb er sech wahrschynlech nid so gelasse.
    Bd.        We das no z mache würd sy, gäb er sech wahrschynlech nid so gelasse.

Alle anderen Verben, inklusive Modalverben (ausser sölle), können im Konjunktiv II – mit gewissen Restriktionen – sowohl in der synthetischen als auch in der analytischen Form auftreten. Es sind in diesem Bereich eigentlich keine Unterschiede zum gesprochenen Schrd. auszumachen. Ein Vorteil der bd. Satzstellung in Nebensätzen ist sicherlich, dass zwei würd- – bei Inversion im auf einen NS folgenden HS – nie unmittelbar nacheinander zu stehen kommen und nur von einem Komma getrennt sind. (Dies wäre im ersten der untenstehenden Beispielen der Fall, weshalb in der schrd. Version nur im HS der analytische Konjunktiv verwendet wurde.)

Beispiele:

    Schrd.    Wenn er sowas zum ersten Mal sähe, fragte er sich wohl schon, was das soll.
                Wenn er sowas zum ersten Mal sähe, würde er sich wohl schon fragen, was das              soll.
    Bd.         Wen er so öppis zum erste Mal gsäch/gsuuch, fragti er sech wahrschynlech              scho, was was söll.
                Wen er so öppis zum erste Mal würd gseh, würd er sech wahrschynlech scho              frage, was das söll.

    Schrd.    Ich an deiner Stelle gäbe ihm das Buch nicht zu lesen.
                Ich an deiner Stelle würde ihm das Buch nicht zu lesen geben.
    Bd.        Ig a dynere Stell gäb/guub em das Buech nid z läse.
                Ig a dynere Stell würd em das Buech nid z läse gä.

    Schrd.    Machte sie ihre Hausaufgaben sofort, hätte sie sicherlich noch genug Zeit, um              ins Kino zu gehen.
                Würde sie ihre Hausaufgaben sofort machen, hätte sie sicherlich noch genug              Zeit, um ins Kino zu gehen.
    Bd.        Miech/machti si iri Ufgabe sofort, hätt si sicher no gnue Zyt, für i Chino z ga.
                Würd si iri Ufgabe sofort mache, hätt si sicher no gnue Zyt, für i Chino z ga.

    Schrd.    Er könnte diese Arbeit schon beenden, wenn er nur wollte.
                Er würde diese Arbeit schon beenden können, wenn er nur wollte.
    Bd.        Er chönnt die Arbeit scho fertig mache, wen er nume wett.
                Er würd die Arbeit scho chönne fertig mache, wen er nume wett.

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4.        Syntaktische Unterschiede zwischen Berndeutsch und Schriftdeutsch.

4.1.        Der Determinativ

Die verschiedenen Determinative, die es im Bd. und im Schrd. gibt, verhalten sich syntaktisch gleich: Sie sind obligatorische Begleiter des Nomens und stehen als solche immer an erster Stelle innerhalb des Vorfelds eines Nomens. «Obligatorisch» bedeutet, dass frau/man einfach von einem Null-Determinativ spricht, wenn dieser Determinativ nicht vorhanden bzw. unsichtbar ist.

Deshalb werden im folgenden zwei nur von der schrd. Oberflächenstruktur abweichende Besonderheiten des Bd. erläutert, die allerdings an der syntaktischen Struktur nichts verändern. Trotzdem sollen diese Eigenarten im Syntax-Teil dieser Arbeit behandelt werden.

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4.1.1.    Bestimmter Artikel vor Personennamen und Titeln im Berndeutsch

Während im Schrd. vor sämtlichen Personennamen der (unsichtbare) Null-Determinativ steht, ist es im Bd. unerlässlich, den bestimmten Artikel vor die Namen zu setzen, selbst wenn diesen die Wörter Frau/Herr, ein Titel, ein weiterer Name oder alle drei vorausgehen. Der bestimmte Artikel wird im Bd. in den Kasus Nominativ, Akkusativ und Dativ vor Namen und Titel gesetzt. (Genitiv und Ausnahmen: siehe unten.)

Beispiele für den zwingenden bestimmten Artikel vor Namen und Titeln im Bd.:

    Bd.         der Reto, d Tamara, ds Lisi
    Schrd.     Reto, Tamara, Lisi

    Bd.         der Herr Benedetti, d Frou Frösch
    Schrd.     Herr Benedetti, Frau Frösch

    Bd.         der PLO-Chef Arafat, d Staatspresidäntin Vigdis Finnbogadottir
    Schrd.     PLO-Chef Arafat, Staatspräsidentin Vigdis Finnbogadottir

    Bd.         der Herr Dr. Arnd, d Frou Dr. Zingg
    Schrd.     Herr Dr. Arnd, Frau Dr. Zingg

    Bd.         em Herr Müller, er Frou Alice Zahnd (Dat.)
    Schrd.     Herrn Müller, Frau Alice Zahnd (Dat.)

In folgenden Fällen wird der bestimmte Artikel im Bd. wie im Schrd. nicht gesetzt; es steht der Null-Determinativ:
    a)    Wenn ein Name in den Plural gesetzt wird und so mehrere Personen bezeichnet     werden;
    b)    wenn der betreffende Name oder Titel in den sächsischen Genitiv gesetzt wird;
    c)    wenn der Titel- oder Namensträger direkt angesprochen wird.
Beispiele:
    a)    Bd.     Müllers sy eigetlech ganz nätti Nachbare.
        Schrd.     Müllers sind eigentlich ganz nette Nachbarn.
    b)    Bd.     Was, du hesch Sonjas Schue nid gfunde?
        Schrd.     Was, du hast Sonjas Schuhe nicht gefunden?
    c)    Bd.     Jürg, chasch mer nid bitte hälfe trage?
        Schrd.     Jürg, kannst du mir nicht bitte tragen helfen?

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4.1.2.    Weglassen des bestimmten Artikels zwischen gewissen
        Präpositionen und männlichen Nomina im Berndeutsch


Im Bd. wird der bestimmte Artikel nach den Präpositionen a und i weggelassen, wenn diese den Akkusativ verlangen und das nachfolgende Nomen männlich ist. Wie in 3.1.1. erwähnt, lautet der bestimmte männliche Artikel nach Präpositionen wie uf und hinger nur noch e – an Stelle von der (Akk.) – und wird direkt angehängt. An die beiden nur aus einem Vokal bestehenden Präpositionen a und i kann diese Schwundform nicht angehängt werden, und die Möglichkeit eines Bindungs-n fällt auch weg, da ane und ine bereits besetzt sind, wenn auch in getrennter Schreibweise: an e und in e = Präp. + unbest. Art. Durch das Weglassen des bestimmten Artikels bzw. die Verwendung des Null-Artikels wird demnach die Opposition zur Vermeidung von Polysemie geschaffen.

Beispiele:

    Schrd.     Wir gehen an den Bahnhof.
    Bd.         Mir gö a Bahnhof.

    Schrd.     Er geht in den Garten.
    Bd.         Er geit i Garte.

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4.2.        Der fehlende Genitiv im Berndeutsch und die entsprechenden
        möglichen Paraphrasen


Im Bd. ist der Genitiv bis auf den sächsischen Genitiv (siehe 3.5.3.1.) inexistent. Er wird meistens ersetzt durch: Präposition vo + Dat. Nur wenn der Genitiv die Funktion einer obligatorischen Ergänzung zum Verb hat, muss die bd. Sprache eine andere Lösung finden (siehe 4.2.3.).

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4.2.1.    Angabe zum Nomen

possessiver Genitiv:

    Schrd.     die Fühler der Languste
    Bd.        d Füeler vo der Languste
                der Langusten iri Füeler

    Schrd.     das Fahrrad meines älteren Bruders
    Bd.        ds Velo vo mym eltere Brueder mym eltere Brueder sys Velo
    vgl.    Schrd.    Am Fahrrad meines älteren Bruders befestigte ich den Korb.
            Bd.    A mym eltere Brueder sym Velo han i dr Chorb aagmacht.

    Schrd.     der Arm eines Krans
    Bd.        der Arm vomene Kran
                emene Kran sy Arm

Anmerkung:
Die jeweils als zweite bd. Variante aufgeführte Paraphrase – Determinativ, (Adjektiv,) Nomen im Dativ + possessiver Determinativ (im selben Kasus wie das nachfolgende Nomen) im Vorfeld des modifizierten Nomens – ist genauso häufig wie die vo-Umschreibung. Diese Genitiv-Paraphrase mittels Dativ basiert auf einer NP bestehend aus possessivem Determinativ und Nomen (z.B. sys Velo) – einer sehr einfachen und häufigen NP-Form also –, der die NP im Dativ vorangestellt wird, die im schrd. äquivalenten Satz im Genitiv nach dem Nomen steht.

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4.2.2.    Ergänzung zum Nomen (fakultativ)

subjektiver Genitiv:

    Schrd.     der Angriff der Engländer
    Bd.        der Aagriff vo den Ängländer
                den Ängländer iren Aagriff

objektiver Genitiv:

    Schrd.     die Ausstellung seiner Bilder
    Bd.        d Usstelig vo syne Bilder
                * syne Bilder iri Usstelig (wäre possessiver Genitiv; Bed.: seinen Bildern
                gehört die Ausstellung, seine Bilder selbst machen eine Ausstellung)

explikativer Genitiv:

    Schrd.     das Problem der Liebe
    Bd.        ds Problem vo der Liebi
                * der Liebi ires Problem (wäre possessiver Genitiv; Bed.: der Liebe gehört das
                Problem, die Liebe selbst hat ein Problem)

Anmerkung:
Während die bd. Genitiv-Paraphrase mittels vorangestellter NP im Dativ + possess. Determinativ in der Funktion eines subjektiven Genitivs funktioniert, ist sie beim objektiven und explikativen Genitiv falsch, da sie einzig als possessiven Genitiv verstanden werden könnte. Dass die erwähnte Paraphrase des subjektiven Genitivs nicht mit der Bedeutung eines possessiven Genitivs verwechselt wird, muss daran liegen, dass niemand eine von sich selbst ausgeführte Handlung als sein Eigentum bezeichnen kann. Die possessive Bedeutung fällt also weg, und die Paraphrase wird richtig interpretiert.

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4.2.3.    Ergänzung zum Verb (obligatorisch)

Im Schrd. sind es nur wenige Verben, die eine Genitivergänzung (E2) verlangen. Im folgenden werden die drei bd. Paraphrase-Typen von solchen schrd. E2 vorgestellt, die sich je nach Verb anbieten.

1. Der schrd. Genitiv wird im Bd. durch den Dativ ersetzt:

    Schrd.     Am Sonntag gedenken wir unserer Vorväter.
    Bd.         Em Sunntig gedänke mer üsne Vorvätter.

    Schrd.     Die Polizei konnte ihres Widersachers nicht habhaft werden.
    Bd.        D Polizei het irem Widersacher nid chönne habhaft wärde.

2.    Das schrd. Verb bleibt im Bd. lexikalisch gleich, wird aber durch eine Präposition ergänzt, die nicht den Genitiv verlangt:

    Schrd.     Wir wollen uns immer der vergangenen Tage erinnern.
    Bd.         Mir wei nis immer a di vergangene Tage erinnere.
                --->      sich erinnern + Gen. wird durch sech erinnere a + Akk. ersetzt, eine
                    Paraphrase, die auch im Schrd. verwendet werden kann (sich erinnern
                    an + Akk.).

3.    Das schrd. Verb, das den Genitiv verlangt, wird im Bd. durch
    ein anderes Verb ersetzt (lexikalische Paraphrase):

    Schrd.     Wir bedienen uns dieser Hilfsmittel nur ungern.
    Bd.         Mir bruuche die Hilfsmittu nume ungärn.
                --->      sich bedienen + Gen. wird durch bruuche + Akk. ersetzt, auch dies eine
                    im Schrd. ebenfalls mögliche Paraphrase (brauchen + Akk.).

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4.2.4.    Ergänzung zu Präposition (obligatorisch)

Einige schrd. Präpositionen regieren den Genitiv. Im Bd. wird diese E2 entweder durch eine E3 (Dativergänzung) oder durch die Präposition vo + Dat. ersetzt. Die letztgenannte Konstruktion (T + TP [T + T + NP]) gibt es im Schrd. nicht, ausser in komplexen Konstruktionen, wo die TP selbst im Vorfeld eines weiteren Nomens steht.

Beispiele:

    Schrd.     wegen seines Geldes
    Bd.         wäg(e) sym Gäld

    Schrd.     kraft seines Wissens
    Bd.         chraft vo sym Wüsse

    Schrd.     mittels dieser Umfahrung
    Bd.         mittels vo deren Umfahrig

Anmerkungen:
Nach der Präposition wegen wird im Schrd. heute bereits recht oft – insbesondere in der gesprochenen Sprache – der Dativ gesetzt. Während dieser im Bd. zwingend ist, bleibt er im Schrd. vorläufig noch eine Variante.

Die Präpositionen kraft und mittels sind im Bd. sehr selten und werden eigentlich nur verwendet, wenn der/die SprecherIn sich sehr präzise ausdrücken will und deshalb eigentlich am liebsten aufs Schriftdeutsch zurückgreifen, sich dies dennoch nicht «leisten» möchte. Diese beiden Präpositionen werden denn auch meistens sehr «schriftdeutsch» ausgesprochen, sozusagen phonetisch als Lehnwörter markiert.

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4.3.        Der Relativsatz

Von der Wortstellung innerhalb der Verbphrase einmal abgesehen, die in Kapitel 4.4.ff näher behandelt wird, unterscheidet sich die bd. Wortstellung im Relativsatz nicht von der schrd., wenn das Relativpronomen im Nominativ oder Akkusativ ist. Deshalb wird diesen Kasus hier kein Platz eingeräumt; es sei nur auf Kapitel 3.2.3. verwiesen, in welchem Beispiele für diese Relativsatz-Typen zu finden sind.

Ist die erste Phrase im äquivalenten schrd. Relativsatz eine E3, E4, E5 oder E6, besteht aus den Wörtern dessen, deren oder derer (alle drei E0, E1, E2 od. E3) oder beginnt mit den Relativpronomina dessen bzw. deren (siehe insbesondere 4.3.3.), ist die bd. Wortstellung nicht mehr analog zur schrd. In den anschliessend beschriebenen Fällen weicht die bd. Wortstellung aus Paraphrasierungsgründen beträchtlich von der schrd. ab.

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4.3.1.    Schriftdeutsche Relativpronomina im Dativ und berndeutsche Paraphrase

Während im Schrd. das subjunktive Relativelement d- mit dem Pronomen im Dativ verschmilzt, ist dies im Bd. nicht möglich. Das Bd. hilft sich hier mit einer Paraphrase, bestehend aus dem sr wo und einem sich nach dem Bezugswort im übergeordneten Satz richtenden Pronomen.

Ist im Bd. die E0 des Relativsatzes ein Pronomen, bildet das sr mit der E3 eine Klammer, was folgende Wortstellung ergibt:
    sr - E0 - E3 - VP.
Dazu im Vergleich die schrd. Wortstellung in einem äquivalenten Relativsatz:
    sr/E3 - E0 - VP.

Besteht die E0 des Relativsatzes aus einer NP (mindestens Determinativ und Nomen), rücken im Bd. sr und E3 wieder zusammen:
    Bd.        sr - E3 - E0 - VP.
    Schrd.    sr/E3 - E0 - VP.
Beispiele:

    Schrd.    Der Typ, dem er schon seit langem diese LP hätte zurückgeben müssen, war              stinksauer.
    Bd.        Der Typ, won er ihm eigetlech scho sit langem d LP hätt müesse zrügggä, isch              stinksuur gsy.

    Schrd.    Frau Binggeli, der Layla nicht gerade gerne begegnet, versperrte das ganze              Treppenhaus mit ihren Einkaufstaschen.
    Bd.        D Frou Binggeli, wo 're d Layla nid grad gärn begägnet, het ds ganze Stägehuus              mit irnen Ychoufstäsche versperrt.

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4.3.2.    Pronomen als Ergänzung zu Präposition im mit dem subjunktiven
        Relativelement eingeleiteten berndeutschen Relativsatz


Komplizierter wird es im Bd., wenn im äquivalenten schrd. Relativsatz eine Präposition vor dem Relativpronomen steht, also mit einer E4, E5 oder E6 beginnt.

Die TP, die im bd. RS zusammen mit dem sr eine Klammer bildet, kann nie vor der E0 desselben RS stehen; sie ist aber beliebig verschiebbar zwischen E0 und VP und kann in Ausnahmefällen sogar mitten in der VP stehen.

Frau/man beachte in den folgenden zwei Beispielen insbesondere die verschiedenen Stellungen der TP im bd. RS:

    Schrd.    Die alte Frau, für die sie während drei Jahren einkaufen ging, ist jetzt schon              seit einer Woche tot.
    Bd.        1.      Di alti Frou, wo si währed drü Jahr für se d Kommissione het gmacht,
                    isch itz scho sit eire Wuche tod.
                2.      Di alti Frou, wo si für se währed drü Jahr d Kommissione het gmacht,                  isch itz scho sit eire Wuche tod.
                3.      Di alti Frou, wo si währed drü Jahr d Kommissione für se het gmacht,
                    isch itz scho sit eire Wuche tod.

    Schrd.    Das Schweinchen, auf dem unser jüngster Sohn wie verrückt ritt, schien sich              nicht sehr aufzuregen.
    Bd.        1.      Das Söili, wo üse jüngscht Suhn uf ihm wi wahnsinnig gritten isch, het
                    sech offebar nid gross ufgregt.
                2.      Das Söili, wo üse jüngscht Suhn wi wahnsinnig uf ihm gritten isch, het
                    sech offebar nid gross ufgregt.

Anmerkung:
Eine dritte Variante fällt beim zweiten Beispiel weg, weil im RS ganz einfach zu wenige Elemente vorhanden sind.

Handelt es sich beim Bezugswort im übergeordneten Satz allerdings nicht um eine Person oder um ein von dem/der SprecherIn personenähnlich erlebtes Wesen wie in den beiden obigen Beispielen, sondern um eine Sache, tritt an die Stelle der TP in der Regel ein Pronominaladverb.

Beispiele:

    Schrd.    Das Schweinchen, auf dem unser jüngster Sohn wie verrückt ritt, schien sich              nicht sehr aufzuregen.
    Bd.        1.      Das Söili, wo üse jüngscht Suhn druff wi wahnsinnig gritten isch, het
                    sech offebar nid gross ufgregt.
                2.      Das Söili, wo üse jüngscht Suhn wi wahnsinnig druff gritten isch, het
                    sech offebar nid gross ufgregt.

    Schrd.     Der Ast der Dorflinde, an dem sich die 57jährige Rocksängerin hinaufziehen
                wollte, brach mit lautem Krachen.
    Bd.        1.      Der Ascht vor Dorflinde, wo sech di 57jährigi Rocksängere dran het
                    wöllen ufezie, isch mit lutem Krache bbroche.
                2.      Der Ascht vor Dorflinde, wo sech di 57jährigi Rocksängere het dran
                    wöllen ufezie, isch mit lutem Krache bbroche.
                3.      Der Ascht vor Dorflinde, wo sech di 57jährigi Rocksängere het wölle                  dran ufezie, isch mit lutem Krache bbroche.

Weitere Beispiele für Relativsätze, bei denen die am Anfang stehende schrd. TP im Bd. mittels sr und Pronominaladverb paraphrasiert wird:

    Schrd.    die Sache, für die er seit zehn Jahren einsteht
    Bd.        d Sach, won er sit zäh Jahr derfür ysteit

    Schrd.    das Buch, nach dem sie sehr lange auf der Suche war
    Bd.        ds Buech, wo si sehr lang dernaa isch uf der Suechi gsy

    Schrd.    die Auseinandersetzung, vor der er sich drückte
    Bd.        d Usenandersetzig, won er sech dervor het ddrückt

    Schrd.    der Boum, auf den sie gleich klettern wird
    Bd.        dr Boum, wo si gly druf ufechlätteret

    Schrd.    die Körner, mittels derer sie alle zum Lachen brachte
    Bd.        d Chörner, wo si alli dermit het zum Lache bbracht
                --->     Die T mittels wurde im bd. RS durch mit ersetzt, damit an die Stelle des                 Genitivs ein Dativ tritt, der die Bildung des Pronominaladverbs dermit                  ermöglicht. (Auch im Schrd. kann mittels meistens durch mit ersetzt                  werden.)

    Schrd.    das Amt, kraft dessen sie viel Macht hat
    Bd.        --->     Die ganze NP müsste paraphrasiert werden, da nicht zugleich der                  Genitiv in eine TP (vo + Dat.) umgewandelt werden kann und als solche                  Ergänzung der T chraft sein kann: das Amt, chraft vo däm si viil Macht                  het gilt nicht mehr als «gutes» Berndeutsch.
Es gilt festzuhalten, dass in den genannten Beispielen die Verwendung des passenden Pronominaladverbs der Normalfall ist, dass aber manche bd. SprecherInnen in solchen Fällen durchaus ab und zu eine TP setzen.

Beispiele für TPs bei «unpersönlichem» Bezugswort:

    Bd.        d Sach, won er sit zäh Jahr für se ysteit
    Bd.        ds Buech, wo si sehr lang nach em isch uf der Suechi gsy
    Bd.        d Usenandersetzig, won er sech vorere het ddrückt
    Bd.        dr Boum, wo si gly uf ne ufechlätteret

Anmerkung:
Das zweite Beispiel ist wohl sogar häufiger zu hören als das Äquivalent mit Pronominaladverb, da dernaa, das die TP ersetzen kann, als etwas antiquiert empfunden wird.

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4.3.3.    Die schriftdeutschen relativsatzeinleitenden Wörter dessen, deren und     derer und die möglichen berndeutschen Paraphrasen

Das schrd. Wort dessen ist sehr schwierig zu analysieren. Als Pronomen tritt es auf in den Formen dessen (m./n. Sg.), deren (f. Sg.) und derer (m./f./n. Pl.) – alle drei ausschliesslich in den Funktionen einer E2 oder einer Ergänzung innerhalb einer E4, E5 od. E6. Ist es Determinativ, existieren die Formen dessen (m./n. Sg.) und deren (f. Sg., m./f./n. Pl.). Das Genus und Numerus richten sich jeweils nach dem Bezugswort im übergeordneten Satz und nicht nach dem nachfolgenden modifizierten Nomen. Der Determinativ dessen/deren ist kasusunabhängig. Dieses praktische Wort kennt das Bd. nicht und muss deshalb denselben Zweck erfüllende Paraphrasen schaffen, die als festen Bestandteil immer das sr wo haben.

Im Normalfall wird mit dem schrd. dessen ein Relativsatz eingeleitet. Anschliessend drei Beispiele für das (kein Nomen modifizierende) Pronomen dessen etc. (E2 oder innerhalb einer E4, E5 od. E6); dazu stets die bd. Paraphrase (siehe auch 4.2.3.):

    E2        Schrd.      Odysseus, dessen sich die Menschheit immer erinnern wird
            Bd.     der Odyssesus, wo sech d Mönschheit immer a ne wird erinnere

    E2        Schrd.     Frau Zuber, deren er am 25. März gedenkt
            Bd.    d Frou Zuber, won er 're am 25. März gedänkt

    E4        Schrd.     die Pfefferkörner, mittels derer sie sie zum Lachen brachte
            Bd.    d Pfäfferchörner, wo si se dermit zum Lache het bbracht

    Anmerkung zum letzten Beispiel:
    Siehe Kapitel 4.3.2.

Der schrd. Determinativ dessen/deren kann ein Nomen modifizieren, das im Nominativ, Akkusativ, Genitiv oder Dativ steht. Im folgenden Beispiele für dessen/deren in den genannten Kasus, dazu jeweils die berndeutsche Paraphrase (siehe auch 4.2.3.):

    Nom.    Schrd.    die Frau, deren Schwester mit ihm Mühe hat
                Bd.     d Frou, wo d Schwöster vo(ne)re mit em Müei het

    Akk.    Schrd.    der Typ, dessen Vater er nicht mag
                Bd.     der Typ, won er der Vatter von ihm nid ma

    Gen.    Schrd.    die Kuh Blösch, deren Hörner sie jeden Sonntag gedenkt
                Bd.     d Chue Blösch, wo si jede Sunntig irne Hörner gedänkt

    Dat.        Schrd.     Sascha, in dessen Haaren eine Spinne sitzt
                Bd.     der Sascha, won e Spinele i syne Haar sitzt

Handelt es sich beim Bezugswort um eine Sache, wird im Bd. in der Regel das Pronominaladverb dervo verwendet.

Beispiele:

    Nom.    Schrd.    der Tisch, dessen Beine zerfressen sind
                Bd.     der Tisch, wo d Bei dervo zerfrässe sy

    Akk.    Schrd.    die Angelegenheit, auf deren Logik er sich nicht abstützen kann
            Bd.    d Aaglägeheit, won er sech uf d Logik dervo nid cha abstütze

    Gen.    Schrd.    das Problem, dessen Schwierigkeit ich mir nicht bewusst war
            Bd.     ds Problem, won i mer d Schwirigkeit dervo nid bi bewusst gsy

    Dat.        Schrd.     die Brücke, deren Stützpfeilern sie Hass entgegenbringt
                Bd.     d Brügg, wo si de Stützpfyler dervo Hass entgägebringt

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4.4.        Die Stellung der Verben im berndeutschen finiten Nebensatz
        (bei zweiteiliger Verbphrase)


Die berndeutsche Satzstellung im finiten Nebensatz ist leicht anders als die schriftdeutsche. Dies betrifft insbesondere die Stellung des finiten Verbs innerhalb einer mehrteiligen VP (Perfekt und Modalverbgefüge [z.B. Futur]). Ausnahme: zweiteilige Passivkonstruktion. Es gilt zu betonen, dass an dieser Stelle nur auf die zweiteiligen VPs eingegangen werden kann.

Zuerst einmal sei die Regel in Erinnerung gerufen, dass in einem schrd. finiten Nebensatz das finite Verb immer am Schluss steht. Dies ist im Bd. nur im Präsens (= einteilige VP) und im Präsens Passiv (= zweiteilige VP) der Fall. Alle Beispiele in den folgenden zehn Unterkapiteln sollen diesen Unterschied veranschaulichen.

Allerdings ist die bd. Satzstellung im finiten Nebensatz nicht ganz fest; es kommt immer häufiger vor, dass das finite Verb am Schluss des Nebensatzes steht, wohl unter Einfluss des Schrd. und der Idiome jenseits der Brünig-Napf-Reuss-Linie. Auch hier ist anzumerken, dass insbesondere die Jugendlichen sich der schrd. Satzstellung bedienen. Zudem scheint es im Bd. gewisse grammatische Konstellationen zu geben, die die SprecherInnen sogar in der Regel das finite Verb an den Schluss des Nebensatzes (siehe Anmerkung b) unter 4.4.2.) setzen lassen.
Es sei deshalb darauf hingewiesen, dass in den nachfolgenden bd. Beispielen in 4.4.1. bis 4.4.10. immer eine Vaf-Part.-II-Inversion im NS vorgenommen werden kann, ohne dass sich jemand stark daran störte.

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4.4.1.    temporal

Ein temporaler Nebensatz wird im Bd. meistens mit dem Subjunktor wo, der Entsprechung des schrd. als, eingeleitet. Die bd. temporalen Subjunktoren bis, sit (seit) und solang (solange) werden gleich verwendet wie im Schrd. Andere im Schrd. häufige temporale Subjunktoren wie nachdem oder während werden im Bd. vermieden: Es sind schrd. Lehnwörter und geniessen als solche nicht gerade grosse Akzeptanz. Nachdem und während werden im Bd. meist durch wo ersetzt.

Beispiel:

    Bd.        Won er z Bärn isch aacho, het er nid rächt gwüsst, öb er nid grad wider sött              zrüggfahre.
    Schrd.    Als er in Bern angekommen war, wusste er nicht recht, ob er nicht gleich              wieder zurückfahren sollte.

Anmerkung:
Die bd. Version lässt es offen, ob der temporale Nebensatz vor- oder gleichzeitig ist; bei Vorzeitigkeit ist das schrd. Äquivalent der VP ein Plusquamperfekt, bei angenommener Gleichzeitigkeit wäre es ein Präteritum (siehe 3.7.5.). Die Wahl fiel im obigen Beispiel auf das Plusquamperfekt, weil die Wortstellung innerhalb der VP nur verglichen werden kann, wenn die schrd. VP wie die bd. zweiteilig ist.

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4.4.2.    kausal

Der Subjunktor wül (weil) leitet im Bd. immer einen kausalen Nebensatz ein. Der schrd. kausale Subjunktor da gibt es im Bd. nicht.

    Bd.        Wül er nid het gwüsst, dass der Zug immer ersch am nüüni abfahrt, isch er z              früech cho.
    Schrd.    Weil er nicht gewusst hatte, dass der Zug immer erst um 9 Uhr abfährt, kam er              zu früh.

Anmerkungen:
a)    Betr. Plusquamperfekt: siehe Anmerkung unter 4.4.1.
b)    Selbstverständlich ist auch hier eine Vaf-Part.-II-Inversion im bd. NS möglich. Die Akzeptabilität der Folge Part. II Vaf – erhöht sich in gewisser Weise sogar, wenn der von wüss- (wiss-) abhängige dass-Satz durch ein im kausalen NS stehendes Demonstrativpronomen ersetzt würde:
        Bd.    Wül er das nid gwüsst het, isch er z früech cho.
        Schrd.    Weil er dies nicht gewusst hatte, kam er zu früh.
    In dieser Konstellation sind beide möglichen bd. VP-Varianten ungefähr gleich häufig zu hören.

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4.4.3.    konzessiv

Konzessive NS werden im Bd. in der Regel mit dem Subjunktor obschon eingeleitet; die Entsprechungen der schrd. konzessiven Subjunktoren obwohl, trotzdem (dass) und wenn ... auch sind im Bd. eher selten zu hören, obgleich existiert im Bd. nicht.

    Bd.        Obschon er sech guet het beno, mues er itz nid meine, är chönn sech alles              erloube.
    Schrd.    Obschon er sich gut benommen hat, muss er jetzt nicht meinen, er könne sich              alles erlauben.

Anmerkung:
Manche schrd. SprecherInnen würden vielleicht eher das Präteritum als das Perfekt verwenden.

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4.4.4.    konsekutiv

Konsekutive NS werden im Schrd. und im Bd. mit den Subjunktoren dass oder so dass eingeleitet.

    Bd.        Er isch gstolperet, so dass er ds Glychgwicht het verlore.
    Schrd.    Er stolperte, so dass er das Gleichgewicht verloren hat.

Anmerkung:
Im schrd. NS wurde bewusst das Perfekt gesetzt, damit die Verbfolge innerhalb der VP mit der bd. verglichen werden kann.

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4.4.5.    final

Finite finale NS werden im Schrd. und im Bd. mit dem Subjunktor damit bzw. dermit eingeleitet. Im Bd. ist zudem der Subjunktor für dass zu hören.

    Bd.:        Si het müesse pressiere, dermit si der Zug no het verwütscht.
                Si het müesse pressiere, für dass si der Zug no het verwütscht.
    Schrd.    Sie musste sich beeilen, damit sie den Zug noch erwischt hat.

Anmerkungen:
    a)    Im schrd. NS wurde bewusst das Perfekt verwendet.
    b)    Der bd. Subjunktor für dass entstand aus dem einen finalen (infiniten) NS einleitenden     bd. subjunktiven Infinitivelement für ... z.

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4.4.6.    lokal

Lokale finale NS werden im Schrd. und im Bd. mit den Subjunktoren wo, wohin und woher eingeleitet. Der bd. Subjunktor wo darf unter keinen Umständen mit dem bd. sr wo verwechselt werden.

    Bd.        Er isch gsäglet, wohäre der Wind ne het tribe.
    Schrd.    Er segelte, wohin ihn der Wind getrieben hat.

Anmerkung:
    a)    Das Verb im schrd. NS wurde bewusst ins Perfekt gesetzt.
    b)    Obwohl der obige bd. Satz durchaus stimmt, wäre die folgende Variante üblicher: Er     isch gsäglet, wo ne der Wind het häretribe. (Er segelte, wo ihn der Wind hintrieb.)

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4.4.7.    adversativ

Der Subjunktor während kann im Bd. allenfalls temporal verwendet werden; adversative Nebensätze werden im Bd. in der Regel nicht gebildet: Es wird eine Paraphrase gemacht (zwei Hauptsätze, verknüpft mit dem Kunjunktor u(nd) [und]).

    Schrd.    Während sie bereits das grosse Geld macht, hat er noch nicht einmal die              Schule abgeschlossen.
    Bd.        Si macht scho ds grosse Gäld, u är het no nid emal d Schuel abgschlosse.

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4.4.8.    Relativsatz

Wie bd. Relativsätze eingeleitet werden, ist unter 4.3.ff nachzulesen.

    Bd.        Der Pandabär, wo gester im Zürcher Zoo isch ytroffe, het wahrschynlech nid              son es erfröilechs Läbe.
    Schrd.    Der Pandabär, der gestern im Zürcher Zoo eingetroffen ist, hat wahrscheinlich              nicht gerade ein erfreuliches Leben.
Anmerkung:
Im schrd. NS wurde bewusst das Perfekt verwendet.

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4.4.9.    dass-Satz

    Bd.        I bi erstuunt gsy, dass si mer nüüt dervo het ggä.
    Schrd.    Ich war erstaunt, dass sie mir nichts davon gegeben hatte.

Anmerkung:
Das Pronominaladverb dervo kann sogar zwischen dem Vaf und dem Part. II stehen: I bi erstuunt gsy, dass si mer nüüt het dervo ggä.

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4.4.10.     Der abhängige Interrogativsatz

Im Bd. können die meisten Fragewörter, die einen abhängigen Interrogativsatz einleiten, nicht allein stehen: Es kommt ein dass hinzu. Im Schrd. ist ein hinzugefügtes dass sicherlich die Ausnahme und wird grundsätzlich nur in der gesprochenen Sprache ab und zu verwendet.

Bd. Fragewörter, denen in einem abhängigen Interrogativsatz der Subjunktor dass folgen muss:

    wo
    wenn (wann)
    wär, wäm, wän (auch nach Präp.)
    würum/wägerum (warum, weshalb)
    wiso (wieso)
    wie/wi
    wiviil (wieviel)
    Präp. + was (Die eleganten schrd. Fragewörter wofür, womit, wovon, worüber, worauf etc. gibt es im Bd. nicht.)

Beispiele:

    Bd.        Är het ne gfragt, wo dass er sig gsy.
    Schrd.    Er fragte ihn, wo er gewesen sei.

    Bd.        Sy Vatter het wölle wüsse, wenn dass er isch heicho.
    Schrd.    Sein Vater wollte wissen, wann er nach Hause gekommen war.

    Bd.        Der Lehrer het gfragt, vo wäm dass d Dragica der Chätschgummi het übercho.
    Schrd.    Der Lehrer fragte, von wem Dragica den Kaugummi erhalten hatte.

    Bd.        Der Tinu fragt d Sarah, für was dass si ds Mässer het bbruucht.
    Schrd.    Martin fragt Sarah, wofür sie das Messer gebraucht hat.

    Bd.        Er het wölle wüsse, würum dass si nid isch heicho.
    Schrd.    Er wollte wissen, weshalb sie nicht nach Hause gekommen war.
    Bd.        Är het unginiert gfragt, wiviil dass der Cherzeständer het gchoschtet.
    Schrd.    Er fragte ungeniert, wieviel der Kerzenständer gekostet hatte.

Das bd. Fragewort wie kommt im abhängigen Interrogativsatz mit und ohne den Subjunktor dass vor.

Beispiele:

    Bd.        I wott wüsse, wi de das hesch gmacht!
    Bd.        I wott wüsse, wie dass de das hesch gmacht!
    Schrd.    Ich will wissen, wie du dies gemacht hast!

    Bd.        Si het gfragt, win er isch uf Östrych ggange.
    Bd.        Si het gfragt, wie dass er isch uf Östrych ggange.
    Schrd.    Sie fragte, wie er nach Österreich gefahren war.

    Bd.        Der Küsu het gfragt, wi höch der Christoffelturm isch gsy.
    Bd.        Der Küsu het gfragt, wi höch dass der Christoffelturm isch gsy.
    Schrd.    Markus fragte, wie hoch der Christoffelturm gewesen war.

Anmerkung:
Auffallend ist, dass in der Version ohne dass das bd. Fragewort wie normalerweise in seiner schwachen Form (wi) steht, während es in der längeren Version immer in seiner starken Form steht, ausser der Subjunktor dass folgt nicht unmittelbar, wie im letzten Beispiel.

öb ist das einzige bd. Fragewort, dem nie ein dass folgt. Dies hängt damit zusammen, dass es – anders als alle bereits genannten Fragewörter – in direkten Interrogativsaätzen eigentlich nicht verwendet werden kann, als Fragewort also ausschliesslich in abhängigen Interrogativsätzen vorkommt. öb ist also kein eigentliches Fragewort, sondern wird im abhängigen Interrogativsatz gebraucht, um das einzuleiten, was im direkten Fragesatz eine Ja/nein-Frage war.

Beispiele:

    Bd.        Si het ne gfragt, öb er nid scho lang hätt hei wölle.
    Schrd.    Sie fragte ihn, ob er nicht schon lange nach Hause gewollt hätte.

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4.5.        Der mit einem subjunktiven Infinitivelement eingeleitete
        finale Nebensatz


Das subjunktive Infinitivelement (si) regiert den Infinitiv, weshalb von einem si eingeleitete NS immer infinit sind. (Zur Wortstellung siehe unten.)

Beispiel:

    Bd.        Er het pressiert, für früecher dert z sy.
    Schrd.    Er hat sich beeilt, um früher dort zu sein.
    Im Vergleich dazu Zd.: Er hätt pressiert, zum früener dèèt sy.
Das si lautet demnach:
    - Bd.    für ... z
    - Schrd.    um ... zu
    - Zd.    zum

Das bd. si lehnt sich wohl an das frz. pour an; es nimmt mit seinen beiden Teilen die gleiche Stellung im NS ein wie das schrd. si. Das zd. si ist eigentlich aus den beiden Elementen des schrd. si gebildet: verschmolzen und in umgekehrter Reihenfolge!

Anmerkungen:
a)    Die Dialekte der Ostschweiz üben allerdings einen beachtlichen Einfluss auf die BernerInnen aus, so dass insbesondere Jüngere vermehrt finale Sätze mit zum einleiten, während mittelalterliche und ältere Leute dies nie über die Lippen brächten. Allerdings – und dies im Unterschied zum zd. si – wird recht häufig das zweite und demnach redundante z auch noch eingefügt, als wäre das den finalen NS einleitende Wort für. Beispiel: Du muesch chly pressiere, zum ihm nid unnötig Sorge z mache.
b)    Ferner ist zu beobachten, dass bd. SprecherInnen, die im Rahmen ihres Berufs oder einer andern Tätigkeit oft Schrd. sprechen (müssen), häufig die schrd. Version des si anwenden. So zum Beispiel Therese Frösch, Finanzdirektorin (SP) der Stadt Bern, an einem Anlass 13. (nicht belegbar). O-Ton Therese Frösch: «Mir müesse natürlech scho luege, dass ds Budget-Defizit nid gröser usfallt, um de Bürgerleche z zeige, dass ou mir üs an es Budget chöi halte.»

Ist die infinite VP des finalen NS mehrteilig (Modalverbgefüge), steht im Schrd. der vom si regierte Infinitiv wie bei einer einteiligen VP am Schluss des NS, während er sich im Bd. unmittelbar vor dem zweiten si-Element z befindet.

Beispiel:

    Schrd.    Er unternahm alles, um nicht mehr im Knast sitzen zu müssen.
    Bd.        Er het alles ungerno, für nümm im Knascht müesse z sitze.

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4.6.        Der Relativsatz als häufige berndeutsche Paraphrase für
        adnominal gebrauchte adjektivierte Partizipien


Es geht in diesem kurzen Kapitel einmal mehr darum aufzuzeigen, dass das Bd. zu so manchen Satzstrukturen im Schrd. Alternativen anbieten muss.

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4.6.1.    Adjektiviertes Partizip I

Im Bd. werden die Partizipien I, die in der äquivalenten schrd. NP im Vorfeld des Nomens stehen (adnominale Stellung), grundsätzlich mit einem Relativsatz paraphrasiert und dadurch ins Nachfeld des Nomens versetzt. Wenn das schrd. adjektivierte Partizip I durch eine oder mehrere Angaben modifiziert wird, ist im bd. Äquivalent ein entsprechender Relativsatz im Nachfeld des Nomens absolut zwingend.

Beispiele:

    Schrd.    die spielenden Kinder
    Bd.        d Ching, wo spile

    Schrd.    die um 5 Uhr über dem Gurten aufgehende Sonne
    Bd.        d Sunne, wo am füfi über em Gurten ufgeit

    Schrd.    dieser zum Himmel stinkende Zustand
    Bd.        dä Zuestand, wo zum Himu stinkt

    Schrd.    Der vor Freude weinende Mann setzte sich.
    Bd.        Der Maa, wo vor Fröid ggrännet het, isch abghocket.

Anmerkungen:
a)    Feste Wendungen und Redewendungen wie das laufende Abonnement, der springende Punkt oder die schleichende Angst werden im Bd. nicht paraphrasiert.
b)    Wenn das adjektivierte Partizip I im Schrd. im Vorfeld des Nomens neben dem Determinativ allein steht, kann es im Bd. oft auch diese Stelle einnehmen: Der Aablick vo de spilende Ching dert usse het er nie meh chönne vergässe. Aber schon das folgende Beispiel würden die meisten bd. SprecherInnen mit einem Relativsatz paraphrasieren: Der Aablick vo de zäme spilende Ching dert usse het er nie meh chönne vergässe. (Der Aablick vo de Ching dert usse, wo zäme gspilt hei, het er nie meh chönne vergässe.)

Im folgenden Spezialfall muss das adjektivierte adnominal gebrauchte Partizip I im Bd. zwingend in der Form eines Relativsatzes ins Nachfeld des Nomens versetzt werden, da das Bd. die äquivalente Konstruktion gar nicht bilden kann:

Die hochdeutsche Nominalphrase die zu tötenden Sklaven bezeichnet die Sklaven, die getötet werden müssen, hat also eine passivische Bedeutung. Im Bd. ist es wie gesagt nicht möglich, diese Art von Vorfeld eines Nomens zu bilden; die Information wird im Nachfeld des Nomens innerhalb eines Relativsatzes «nachgeliefert». Da das Bd. zudem ein sehr ungezwungenes Verhältnis zum Indefinitpronomen me (man) hat, wird der im Schrd. der Umschreibung dienende passive Relativsatz (siehe oben) im Bd. aktiv gemacht: d Sklave, wo me mues töde.

Weitere Beispiele:

    Schrd.     die nicht zu renovierenden Häuser
    Bd.         d Hüser, wo me nid mues renoviere

    Schrd.     das zu beerdigende Kind
    Bd.         ds Chind, wo me mues beärdige

    Schrd.     der von dort zu sehende kilometerlange Sandstrand
                (= der Sandstrand, der von dort gesehen werden kann)
    Bd.         der kilometerläng Sandstrand, wo me vo dert (uus) gseht

    Anmerkung zum letzten Beispiel:
    Da frau/man von «dort» den Sandstrand immer sieht, muss im ins Aktiv gesetzten bd. Relativsatz sogar das Modalverb können wegfallen (...wo me vo dert [uus] cha gseh wäre falsch).

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4.6.2.     Adjektiviertes Partizip II

Im Schrd. wird ein Partizip II adjektiviert, indem ihm ein Null-Derivant angehängt wird, was soviel heisst, dass Partizip II und adjektiviertes Partizip II immer identisch sind, von den Flexemen des letzteren selbstverständlich abgesehen. Im Bd. hingegen wird sehr häufig das Suffix -nig angehängt, wobei das n ein Bindungs-n ist. Da -ig eine Adjektiv-Endung ist, können wir davon ausgehen, dass mittels eines solchen Derivanten markiert werden soll, dass eigentlich nicht ein Partizip II vorliegt, sondern im Prinzip ein (flektierbares) Adjektiv. Das bd. Suffix -ig ist zwingend, wenn die Silbe, an die es gehängt wird, offen ist. Ansonsten scheint sich auch langsam der schrd. Null-Derivant durchzusetzen.

Es gibt allerdings auch einzelne Adjektive, denen in adnominaler Stellung ein -ig angehängt wird. Beispiel: D Türen isch offe. ---> Di offnigi/offnegi Türe.

Im Gegensatz zum Partizip I wird im Bd. das adnominal gebrauchte adjektivierte Partizip II in der Regel nur dann als Relativsatz im Nachfeld des Nomens paraphrasiert, wenn es durch mindestens eine Angabe modifiziert wird.

Beispiele:

    Schrd.     der gestern entlassene Lehrer
    Bd.         der Lehrer, wo si gester hei entlaa

    Schrd.     der mit Wasser verdünnte Wein
    Bd.         der Wy, wo me mit Wasser het verdünnt

    Schrd.     das im Jura abgestürzte Flugzeug
    Bd.         ds Flugzüüg, wo im Jura isch abgstürzt

Vergleiche damit folgende NPs:

    Bd.         der entlaanig Lehrer (offene Silbe am Schluss des Wortstammes)
    Bd.         der panschtnig/panscht Wy
    Bd.         ds abgstürztnige/abgstürzte Flugzüüg

Anmerkung:
Hat ein im Schrd. adnominal gebrauchtes adjektiviertes Partizip II passivische Bedeutung, wird der als Paraphrase fungierende bd. Relativsatz meistens ins Aktiv umgewandelt. Dafür wird das Indefinitpronomen me (man) oder das ohne Bezugswort dastehende und eher unklare Personalpronomen si (sie) verwendet; wenn das Agens aus dem Zusammenhang klar ist, wird dieses in einem solchen Relativsatz selbstverständlich zum Subjekt gemacht.

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4.7.        Verdoppelung der Verben gah und cho in Bern- und Zürichdeutsch

Die Schweizer Idiome haben ein spezielles Verhältnis zu den Verben gehen (gah) und kommen (cho): Wenn diese Verben vor einem blossen Infinitiv stehen, müssen sie wiederholt werden, und zwar ebenfalls im Infinitiv. Diese Verdoppelung ist eine Art schweizerisches «futur proche», nur dass es im soeben beschriebenen syntaktischen Umfeld zwingend ist: Einer sagt, er gehe, und bei der Wiederholung des Wortes ga (gehen) «sieht» frau/man ihn eigentlich auch schon tatsächlich gehen.

Beispiele:

    Bd.         I chume cho luege, was los isch.
    Schrd.     Ich komme schauen, was los ist.

    Bd.         Er geit ga luege, was los isch.
    Schrd.     Er geht schauen, was los ist.

Anmerkung:
Auffälliger ist das bd. «futur proche» allerdings bei den Witterungsverben wie schneien, regnen, stürmen, da im Schrd. kommen mit diesen Verben zusammen nicht verwendet wird. So entspricht der schrd. Satz Wird es morgen schneien? dem bd. Chunnt's morn cho schneie?.

Diese Verdoppelung der Verben gah und cho wird im Bd. allerdings nur gemacht, wenn sie im Präsens stehen: Bilden sie zusammen mit einem Auxiliar- oder Modalverb eine VP, werden sie nicht wiederholt, wie die folgenden zwei Beispiele zeigen:

    Bd.         I bi ga luege, was los isch gsy.
    Bd.         I sött scho cho luege, wi der das machet.

Anmerkung:
Während das Partizip II des bd. Verbs gah «ggange» lautet, ist es in der Wendung ga luege erstaunlicherweise «ga» (erstes der obigen zwei Beispiele).

Im Zd. ist als Besonderheit zu beobachten, dass häufig ein weiteres Wörtchen zum eingefügten Infinitiv hinzugefügt wird.

    Zd.         Ich chume cho go luege, was los isch.
    Zd.         Er gaht go go luege, was los isch.

Während auch im Zd. die Wiederholung der Verben gah und cho wegfällt, wenn diese zusammen mit einem Auxiliar- oder Modalverb eine VP bilden, wird das zusätzliche Wörtchen go beibehalten:

    Zd.         Ich bin go go luege, was los gsy isch.
    Zd.         Ich sött scho cho go luege, wien ihr das mached.

Anmerkungen:
a)    Wie im Bd. weicht die in einer VP im Perfekt verwendete Partizip-II-Form von der normalen ab: go statt ggange.
b)    Wir können davon ausgehen, dass auch das zd. zusätzliche go eine Art Infinitiv des Verbs gah (gehen) ist.

Beim Sprechen verkümmert dieser zusätzliche Infinitiv meistens zu einem kurzen ge:

Zd.         Ich chume cho ge luege, was los isch.
    Zd.         Er gaht go ge luege, was los isch.
    Zd.         Er müesst äigetli go ge luege, was los isch.

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5. Abkürzungen

Adj. Adjektiv
Adv. Adverb
Akk. Akkusativ
Art. Artikel
Bed. Bedeutung
Bd. Stadt-Berndeutsch
bd. berndeutsch (im Stadt-Berner Idiom)
best. bestimmt
Dat. Dativ
engl. englisch
E0 Nominativergänzung
E1 Akkusativergänzung
E2 Genitivergänzung
E3 Dativergänzung
E4 Präpositivergänzung
E5 Situativergänzung
E6 Direktivergänzung
E7 Subsumptivergänzung (auch Nominalergänzung)
E8 Qualitativergänzung (auch Adjektivalergänzung)
E9 Verbativergänzung
f. weiblich
fem. weiblich
frz. französisch
Gen. Genitiv
HS Hauptsatz
Konj. Konjunktiv
m. männlich
mask. männlich
mhd. mittelhochdeutsch
n. sächlich
neutr. sächlich
Nom. Nominativ
nominal. nominalisiert
NP Nominalphrase
NS Nebensatz
Part. Partizip
Perf. Perfekt
Pers. Person
Pl. Plural
poss. possessiv
Präs. Präsens
Prät. Präteritum
Pron. Pronomen
Präp. Präposition
RS Relativsatz
Saad. Saanendeutsch
Schrd. Schriftdeutsch, deutsche Standardsprache
schrd. schriftdeutsch, in deutscher Standardsprache
Sg. Singular
si subjunktives Infinitivelement
sr subjunktives Relativelement
Stellg. Stellung
T Präposition
TP Präpositionalphrase
unbest. unbestimmt
Vaf finites Auxiliarverb
vok. vokalisiert
VP Verbalphrase
Zd. Zürichdeutsch
zd. zürichdeutsch
Ø Null
Ø-Pronomen Null-Pronomen

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6.        Bibliographie

  1. Bußmann, Hadumod (1990), Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart
  2. Duden (Hrsg.) (1983), Deutsches Universalwörterbuch, Mannheim / Wien / Zürich
  3. Engel, Ulrich (1982), Syntax der deutschen Gegenwartssprache, Berlin
  4. von Greyerz, Otto / Bietenhard, Ruth (1991), Berndeutsches Wörterbuch, Muri b. Bern
  5. Lötscher, Andreas (1983), Schweizerdeutsch. Geschichte, Dialekte, Gebrauch, Frauenfeld
  6. Marti, Werner (1985a), Berndeutsch-Grammatik, Bern
  7. Marti, Werner (1985b), Bärndütschi Schrybwys. Ein Wegweiser zum Aufschreiben in berndeutscher Sprache, Bern
  8. Schädelin, Klaus (1989), Zytlupe – Zeitlupe, Muri b. Bern
  9. Schläpfer, Robert (Hrsg.) (1982), Die viersprachige Schweiz, Köln
  10. Steiner, Ernst (1992), Wi me Bärndütsch schrybt. Ein leicht verständlicher Schreiblehrgang, Konolfingen
  11. Zentralinstitut für Sprachwissenschaft, Akademie der Wissenschaften der DDR (Hrsg.) (1989), Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Berlin
  12. Zürcher Kantonalbank (Hrsg.) (1993), Züritüütsch. Wörter. Texte. Eigenheiten, Zürich
  13. Vortrag und Antwortstunde an der Monatsversammlung der SP Bern-Nord im Restaurant Jardin am 11. Oktober 1993, 20 Uhr

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