Sprachstrukturelle Unterschiede
zwischen dem Stadt-Berndeutsch und der deutschen Standardsprache
Diplomarbeit Martin Reck, 1994
*** ***
0.
Einleitung
Der vorliegenden Arbeit inhärent und nicht
vermeidbar ist der problematische Umstand, dass das Schriftdeutsch, aufgrund dessen hier
die sprachstrukturellen Unterschiede zum Berndeutsch herausgearbeitet wurden, eine
geschriebene Sprache ist, die, wenn sie gesprochen wird, so einheitlich gar nicht ist und
innerhalb eines Sprechaktes kaum jemals allen Regeln der normativen Duden-Grammatik Folge
leistet. Allerdings ist es auf der einen Seite eben gerade interessant zu sehen, welche
sprachliche Vielfalt das Berndeutsch als eine fast ausschliesslich gesprochene Sprache,
für die bis dato nie schriftlich festgehaltene Regeln existiert haben, hervorbringt. Auf
der anderen Seite wird auch sehr deutlich sichtbar, welche Menge an Vorschriften eine
Sprache sich selbst auferlegt, ja auferlegen muss, um ihren SprecherInnen als brauchbarer
Code für eine gut funktionierende Kommunikation zu dienen.
Wie aus dem Titel der vorliegenden Arbeit hervorgeht, soll vor allem das städtische
Berndeutsch als ein sich aufgrund der Verkehrs- und Arbeitssituation z.Z. ausbreitender
Dialekt des Mittelbernischen im Vergleich mit der deutschen Standardsprache
Untersuchungsgegenstand sein. Und zwar deshalb, weil dieses Schweizer Idiom dem Autor am
besten vertraut ist.
Die Unterschiede zwischen Berndeutsch und Schriftdeutsch können im Prinzip vier Ebenen
zugewiesen werden: der lautlichen, morphologischen, syntaktischen und lexikalischen Ebene.
Die morphologische ist hier mit Absicht von der lautlichen Ebene getrennt, da sie bei
einem Vergleich dieser beiden Idiome sehr viel mehr umfasst, als dies in Grammatiken
üblich ist, und sich eine solche Trennung deshalb geradezu aufdrängt. An dieser Stelle
muss eingeräumt werden, dass nur den drei ersten Ebenen in dieser Arbeit Platz
eingeräumt wurde; die zahlreichen lexikalischen Unterschiede bleiben weitgehend
unerwähnt. An eben diesem Aspekt interessierte LeserInnen seien auf das «Berndeutsche
Wörterbuch» und das «Deutsche Universal-Wörterbuch» verwiesen: Lexikalische
Unterschiede lassen sich so nämlich am einfachsten feststellen.
Dafür werden dem (Stadt-)Berndeutsch eigene soziolinguistische Phänomene mit einbezogen,
da diese für den Berner Alltag sehr wichtig sind. Sie werden allerdings nicht separat
behandelt, sondern den entsprechenden sprachlichen Ebenen zugeordnet.
Ferner ist anzumerken, dass die etymologische Komponente fast ganz ausgeklammert bleibt;
der Grund dafür sind nicht zuletzt Zeit- und Platzgründe. Zudem soll diese Untersuchung
primär etwas aussagen über den heutigen Zustand von Berndeutsch und Schriftdeutsch,
insbesondere auch über den einseitigen Einfluss des letzteren auf ersteres.
Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann angesichts der untersuchten Materie, der Sprache,
die ein sich in ständiger Veränderung befindender Organismus ist, nicht erhoben werden,
umso weniger als Berndeutsch eine in erster Linie gesprochene Sprache ist. Einsprüche,
Ergänzungen und jegliche Art von Reaktionen sind jederzeit willkommen.
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1.
Das Mittelbernische und seine geographische Ausdehnung
Das Mittelbernische wird mehrheitlich auf dem
Gebiet des Kantons Bern zwischen Thun und Jura gesprochen. Teile des Kantons Solothurn
liegen allerdings durchaus innerhalb der Ausdehnung des Mittelbernischen, während der im
Kanton Bern liegende Oberaargau jenseits der Ja/jo-Grenze liegt und somit nicht mehr
dazugehört. Das Mittelbernische gehört wie alle nördlich der Voralpen gesprochenen
Schweizer Idiome zum Hochalemannischen.
Beim Mittelbernischen selbst handelt es sich allerdings um kein homogenes Idiom mit klaren
Grenzen; denken wir nur an die Emmentaler oder Schwarzenburgerländer Mundart, nur zwei
Beispiele für verschiedene sprachgeographische Regionen, in die das Mittelbernische
selbst zerfällt.
Südlich von Thun verläuft die Grenze zum Höchstalemannischen, welches sich insbesondere
durch die Hiatusdiphthongierung auszeichnet: Die nördlichen schweizerischen Mundarten
haben einen Diphthong in Wörtern wie schneie, die südlichen einen Langvokal: schnyye.
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1.1.
Das in der vorliegenden Arbeit untersuchte Idiom
(Stadt Bern und Umgebung)
Angesichts der eben beschriebenen Heterogenität des Mittelbernischen drängt sich für
die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten sprachstrukturellen Unterschiede zwischen der
deutschen Standardsprache (Schriftdeutsch) und Berndeutsch eine Beschränkung auf ein
möglichst homogenes Berner Idiom auf. Dies soll das Berndeutsch sein, das in der Stadt
Bern und Umgebung gesprochen wird.
Aus den genannten Gründen geht klar hervor, dass das im Rahmen dieser Arbeit untersuchte
Idiom von einer relativ kleinen Sprachgemeinschaft gesprochen wird. Diese
Sprachgemeinschaft ist jene des Ballungszentrums Bern und Agglomeration und umfasst ca.
400'000 Menschen, die diese Sprache unter dem Begriff «Berndeutsch» als ihre
Muttersprache bezeichnen; ein Begriff allerdings, mittels dessen weitere ca. 400'000
Frauen und Männer ihren Dialekt bezeichnen.
Das stadtbernische Idiom kann als homogen bezeichnet werden, weist mit der Erscheinung des
vokalisierten l als noch heute bewusst er- und gelebter Klassenunterschied allerdings eine
interessante Zweiteilung auf (siehe 2.2.3.ff). Andere
Verschiedenheiten wie sprachliche Unterschiede je nach Generationenzugehörigkeit und
Herkunft der sprechenden Person sind als einer Sprache grundsätzlich inhärente
Phänomene selbstverständlich auch im Stadtberndeutsch feststellbar.
Auch wenn es in der vorliegenden Arbeit vor allem darum geht, die stadtbernische Mundart
im Vergleich zum Schriftdeutsch zu untersuchen, wird ab und zu auf andere Idiome, die dem
Autor auch vertraut sind, Bezug genommen: In Kapitel 3.6.2. wird in
einer Art Hommage an die Vielfalt der berndeutschen Idiome eine erstaunliche Erscheinung
in einer Berner Oberländer Mundart im Bereich des Flektierens beschrieben; in den
Kapiteln 3.3. und 4.5. wird das Zürichdeutsch,
das sich sozusagen auf halbem Weg zwischen Berndeutsch und Schriftdeutsch befindet und
für das am ehesten der Begriff «Schwyzertüütsch» verwendet werden darf, als weitere
Vergleichsmöglichkeit beigezogen. Auch in Kapitel 4.7. über die
Wiederholung der Verben gah und cho werden zürichdeutsche Eigenheiten
vergleichend vorgestellt.
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2.
Zur Schreibung der berndeutschen Laute im Vergleich zu den schriftdeutschen
Das Berndeutsch ist wie alle anderen
Deutschschweizer Dialekte in erster Linie eine gesprochene Sprache. Es wird heute nicht
nur von Schriftstellern geschrieben, sondern wird mehr und mehr auch im familiären
Briefverkehr, in Unterlagen zu Vorträgen, in der Werbung und im Mundartrock, der seinen
Ursprung mit Polo Hofer und den «Rumpelstilz» in Bern hat, verwendet. Allerdings ist
festzustellen, dass die vielzitierte und z.T. wohl auch dramatisierte
Mundartwelle seit Anfang 90er Jahre im Rückgang begriffen ist.
Die SchreiberInnen von Mundarttexten halten sich nicht an Normen und schreiben zunächst,
wie sie es gerade für richtig halten. So hat denn jede/jeder MundartschriftstellerIn
nicht nur ihre/seine eigene Sprache, sondern auch ihre/seine eigene Orthographie; denn es
macht sich fast niemand die Mühe eines der für die einzelnen Idiome mehr oder weniger
einheitlichen Bücher zu diesem Thema zu lesen, bevor sie oder er zu schreiben beginnt.
Dennoch darf allgemein festgestellt werden, dass sich die meisten Mundart schreibenden
Personen an der deutschen Schriftsprache orientieren, um so auch den höchstmöglichen
Verständlichkeitsgrad zu erreichen, wodurch allerdings öfters auch ganz eigenartige,
ungewollt lustig wirkende Stilblüten hervorgebracht werden. So ist und bleibt die gute
Lesbarkeit die Maxime aller Dialekt Schreibenden, die nicht nur sich selbst und allenfalls
einige wenige Eingeweihte erreichen wollen.
In diesem Kapitel soll die Schreibung des Berndeutsch vorgestellt und erklärt werden, die
in dieser Arbeit verwendet wird, sodass alle der deutschen Sprache Mächtigen wissen, wie
die berndeutschen Beispiele zu lesen und auszusprechen sind.
2.1. Die Vokale
2.1.1. Qualität
Die Vokalqualität bezeichnet die Klangfarbe der Vokale, d.h. ob die Vokale geschlossen
oder offen gesprochen werden. Folgende Vokale können im Bd. sowohl offen als auch
geschlossen sein: e, i, u, ü. Das Schrd. kennt davon folgende offenen Laute nicht: i, u,
ü.
Werner Marti schlägt in seiner Berndeutsch-Grammatik 6.
(S. 19) folgende Schreibung für die genannten Vokale vor:
e (auch für den Schwundvokal [Schwa])
y (geschlossen)
i (offen)
u (geschlossen)
u (offen)
ü (geschlossen)
ü (offen)
Da in dieer Arbeit die untergesetzten Punkte aus technischen Gründen nicht möglich sind,
und diese aus Kostengründen und wegen der Lesbarkeit auch in keinem literarischen Text
verwendet werden, wird an dieser Stelle darauf verzichtet. Vom Schrd. unterscheidet sich
also nur das i, das in seiner geschlossenen Form im Bd. mittels eines y markiert wird.
Dies entspricht auch der gängigen berndeutschen Schreibweise in Büchern, Zeitungen usw.
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2.1.2.
Quantität
Mit der Vokalquantität wird die Vokallänge bezeichnet. Sie wird nach Werner Marti 6. (S. 19) bezeichnet durch
a) Doppelschreibung, wenn das verwandte Wort im Schrd. ebenfalls
eine solche aufweist oder wenn es sich um schweizerdeutsches oder berndeutsches
Sonderwortgut handelt;
b) Übernahme des Dehnungs-h von der schrd. Rechtschreibung in
verwandten Wörtern, sofern der Vokal tatsächlich noch gedehnt ist;
c) Einfachschreibung in Wörtern mit gedehnten Stammlauten, die
mit dem Schrd. verwandt sind. Werner Marti kennzeichnet diese Längen durch einen
übergesetzten Strich 6. (S. 20), was er allerdings in
seinem Buch «Bärndütschi Schrybwys» 7.
erstaunlicherweise nicht einmal erwähnt. In der vorliegenden Arbeit wird auf diese
übergesetzten Striche aus folgenden Gründen verzichtet:
1. technische Schwierigkeiten
2. Lesbarkeit
3. Lange Vokale, die im Schrd. nicht gekennzeichnet
werden, sollten im Bd. analog dazu geschrieben werden. Die LeserInnen sind durchaus in der
Lage, die richtigen Vokallängen zu machen.
Diesen drei Regeln ist eine vierte anzufügen, die Werner Marti nicht explizit erwähnt,
sie jedoch öfters befolgt:
d) Doppelschreibung des i, wenn ein schrd. ie im Bd. als
langes offenes i ausgesprochen wird, da sonst die Lesbarkeit darunter leidet.
Beispiele:
a) Saal, See, Boot, Moor, zaagge (trödeln), hüür
(heuer), düür (dürr), schüüch (scheu)
b) Bohne, Uhr, dehne (dehnen), Mahnig (Mahnung),
meh (mehr)
c) gar, Trüebsal (Trübsal), weni (wenig), ha
(haben)
d) viil (viel), wiviil (wieviel), riisig
(riesig), Spiil (Spiel)
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2.1.3.
Diphtonge
Wir empfinden gewisse Vokalfolgen als Einheit, obwohl sie hörbar aus zwei oder drei
Vokalen bestehen. Wir sprechen allerdings nur von Diphtongen oder Triphtongen, wenn die
Vokale eine Silbe bilden.
Die schrd. Diphtonge sind: ai, au, äu, ei, eu
Die bd. Diphtonge sind: ai, äi, ei, ie, ou, öi, ue, üe, au
(a + vok. l), äu (ä + vok. l),
eu (e + vok. l), iu (i + vok. l), öu (ö + vok. l),
ùu (u + vok. l; das erste u ist offen, das zweite geschlossen),
üu (ü + vok. l).
(vokalisiertes l: siehe 2.2.3.ff)
Werner Marti führt in seiner «Berndeutsch-Grammatik» noch eine Reihe weiterer Diphtonge
auf, die sich allerdings entweder nur durch Längen unterscheiden oder die im
Stadtberndeutsch nicht existieren. Trotzdem seien an dieser Stelle interessierte
LeserInnen darauf verwiesen 6. (S. 31).
Diese Vielfalt an Diphtongen ist eines der wesentlichsten Merkmale des Berndeutsch. Sie
ist weitgehend auf folgende lautlichen Erscheinungen zurückzuführen:
- Tilgung der Hiatusdiphtongierung (mhd. bû, bd. Bou)
- n-Schwund vor Reibelaut (Fäister [Fenster])
- l-Vokalisation (wild wiud)
Die bd. Diphtonge werden geschrieben wie oben aufgelistet, mit Ausnahme der durch
l-Vokalisation entstandenen (siehe 2.2.3.1.), welche in den
folgenden Beispiele der Klarheit wegen sowohl in der «falschen» Vokal- als auch in der
«richtigen» l-Variante geschrieben sind.
Beispiele:
chaisch (eine Variante von chasch [kannst])
äine (jener)
Bei (Bein)
niemer (niemand)
Boum (Baum)
Böim (Bäume)
Gruebe (Grube)
üebe (üben)
Bauke/Balke (Balken)
säuber/sälber (selber, selbst)
Eutere/Eltere (Eltern)
wiud/wild (wild)
söu/söll (soll)
Mùude/Mulde (Mulde)
wüu/wüll (weil)
Anmerkungen:
a) Der schrd. Diphtong eu wird in bd. Wörtern, die keine
Lehnwörter (mehr) sind, öi geschrieben (Beispiele: Fröid, öich),
es sei denn, es ist ein anderer Laut aus dem Diphtong geworden (Beispiele: schüüch
[scheu], Uter [Euter]). Es empfiehlt sich ferner, Fremd- und Lehnwörter
meist griechischen Ursprungs mit eu zu schreiben (Beispiele: Europa,
Eunuch).
b) Auch die schrd. Diphtonge au und äu werden im Bd.
generell so geschrieben, wie sie gesprochen werden: ou (Beispiel: boue
[bauen]) bzw. öi (Beispiel: söime [säumen]). Der schrd. Diphtong au
kann im Bd. allerdings auch zu einem langen geschlossenen u werden (Beispiel: Huus
(Haus). Lehn- und Fremdwörter mit dem Diphtong au meist französischen
Ursprungs werden auch im Bd. mit au geschrieben (Beispiel: Aubergine).
Ein seltenes Wort wie äufnen, das laut Duden 2.
(S. 117) mhd. Ursprungs ist und nur in der Schweiz verwendet wird, sollte im Bd. der
Lesbarkeit wegen in der Regel äufne geschrieben werden, nicht öifne.
c) Der Diphtong ei wird im Bd. gleich geschrieben wie im
Schrd., nur wird er im Bd. [ei] ausgesprochen, nicht [ai]. Oft wird aus dem schrd. ei
im Bd. ein geschlossenes i, das als y geschrieben wird (Beispiel: myne [meiner]).
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2.1.4.
Triphtonge
Triphtonge gibt es im Schrd. nicht. Sie sind bis auf eine Ausnahme (siehe untenstehende
Anmerkung) auf die bereits mehrmals erwähnte bd. l-Vokalisation zurückzuführen.
Die bd. Triphtonge sind: ieu, ueu, üeu, üei/üej (vor i)
Da der letzte Laut der ersten drei aufgelisteten Triphtonge jeweils ein vokalisiertes l
ist, treten die bd. Triphtonge mit Ausnahme von üei in Texten eigentlich nur in
der folgenden Form auf: iel, uel, üel; sie sind deshalb als Triphtonge nicht
sofort erkennbar.
Beispiele für die vier bd. Triphtonge:
a) Gieu/Giel (Knabe), Bieu/Biel
(Biel [Stadt])
b) Schueu/Schuel (Schule), Schueusack/Schuelsack
(Schultasche)
c) chüeu/chüel (kühl), er wüeut/wüelt
(er wühlt)
d) Brüeji (Brühe)
Anmerkungen:
a) Wie das bd. ieu, ein als eher unhöflich geltendes Wort für ja,
entstanden ist und ob es daher im Grunde auch mit einem l am Schluss geschrieben werden
müsste, kann niemand genau sagen; ieu soll ein Überbleibsel des legendären
Mattenenglisch sein und darf als solches «Exotikum» anschaulicherweise wohl auch mittels
dreier Vokale geschrieben werden.
b) Werner Marti führt als vierten bd. Triphtong ebenfalls üei auf 6. (S. 30). Sein Beispiel ist Müei (Mühe), und er merkt
an, dass «man sich fragen kann, ob es sich beim auslautenden -i nicht um ein Suffix-i
handelt (etwa analog zu Töiffi, Längi, Längwyligi etc.)». üei ist
aber ganz mit Sicherheit als einziger bd. Triphtong, der nicht auf die l-Vokalisierung
zurückzuführen ist, zu analysieren bzw. aufzufassen, was das obige Beispiel Brüeji
(Brühe) klar zeigt, da bei diesem Wort nämlich nur das zweite i Suffix sein kann.
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2.2.
Die Konsonanten
2.2.1. Qualität
Die Klangfarbe der berndeutschen Konsonanten unterscheidet sich bei folgenden Lauten von
jener der schriftdeutschen:
ch: Im Schrd. kann das ch phonetisch als [ç] (ich),
[x] (Bach) oder [k] (wachsen) wiedergegeben werden. Im Bd. dagegen wird
es ausschliesslich [x] ausgesprochen. Davon sind selbstverständlich alle Fremdwörter
ausgenommen, die sowohl im Schrd. als auch im Bd. möglichst so ausgesprochen werden wie
in ihrem Herkunftsgebiet, wobei die bd. SprecherInnen darin eindeutig gewandter, da
flexibler sind als die schrd.
k: Während das schrd. k als [k] ausgesprochen wird, ist das
bd. k immer von einem ch gefolgt: [kx]. Im Gegensatz zum schrd. k wird das bd. k nie
aspiriert.
l: Wird das l im Bd. nicht vokalisiert (siehe 2.2.3.ff),
kommt es im Gegensatz zum schrd. l einem dunklen, schon fast russischen l sehr nahe,
insbesondere im Anlaut.
p: Im Gegensatz zum schrd. p wird das bd. meist nicht aspiriert
(siehe untenstehende Anmerkung).
r: Während im Schrd. das r relativ verschiedene Qualitäten
haben kann, die hier nicht weiter erläutert werden sollen, wird es im Bd. immer gerollt.
s: Im Bd. ist das s immer stimmlos; ein stimmhaftes s wie im
Schrd. gibt es nicht.
t: Im Gegensatz zum schrd. t wird das bd. nie aspiriert, ausser
wenn gefolgt von einem h, was ja allerdings gerade das graphische Merkmal für eine
Aspiration ist.
Anmerkungen:
a) Bei neueren Lehnwörtern aus dem Schrd. wurde im Bd. die Aspiration
übernommen. Beispiele: Phouke (Pauke), Phalme,
Phuls. Es mag dennoch erstaunen, dass die
Wörter Palme und Puls im Bd. aspiriert werden, da sie doch eigentlich
lateinischen Ursprungs sind.
b) Manche Konsonanten verändern ihre Qualität, wenn ihnen ein
bestimmter anderer Konsonant vorangeht oder folgt. Dieses Phänomen der Assimilation wird
in Kapitel 2.2.6. behandelt.
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2.2.2.
Quantität
Werner Marti schlägt vor, dass die Laute f, l, m, n, s bei längerer Dauer doppelt
geschrieben werden 6. (S. 21). Dies ist eigentlich nicht
empfehlenswert, insbesondere dann nicht, wenn ein Wort befremdend vom schrd. Äquivalent
abweicht. Weshalb sollte die Entsprechung des schrd. Wortes schlafen im Bd. schlaaffe
geschrieben werden? Bei einem bd. Wort wie schlüüffe, dessen Entsprechung im Schrd.
relativ anders ist (schlüpfen), ist eine solche Verdoppelung hingegen durchaus
angebracht.
Dagegen fragt sich schon, wie sehr das Schriftbild «entstellt» und die Lesbarkeit
erschwert werden sollen, wenn Werner Marti 6. (S. 21) ch
und sch von langer Dauer mittels eines Strichs über dem c markiert. Bei aller Treue zum
Dialekt soll im folgenden die schrd. Schreibweise Richtlinie sein.
In bezug auf den Unterschied zwischen der Konsonantenquantität im Bd. und jener im Schrd.
ist nur folgendes von Belang: Bei den Partizipien II wird der Konsonant des Verbstammes
auch im Inlaut immer dann verdoppelt,
- wenn das schrd. ge- im Bd. wegfällt, was allerdings nur bei
Verbstämmen der Fall ist, die mit b oder d beginnen. Die Konsonanten p und t sind schon
stark und werden nicht verdoppelt;
- wenn das schrd. ge- vor einem mit einem g beginnenden Verbstamm steht,
wodurch im Bd. automatisch der Vokal e wegfällt. Es handelt sich hierbei also eher um
eine Zusammenziehung denn eine Verdoppelung.
Beispiele:
Schrd. bleiben geblieben
Bd. blybe bblibe
Schrd. drohen gedroht
Bd. drohe ddroht
Schrd. aufbauen aufgebaut
Bd. ufboue
ufbbout
Schrd. gehen gegangen
Bd. gah ggange
Existiert kein schrd. Äquivalent eines Verbs, wird die Verdoppelung der konsonanten b, d
und g gleichwohl vorgenommen (Beispiel: bäbele bbäbelet [mit Puppen spielen]).
Andere Vergleiche zwischen Bd. und Schrd. im Bereich der Konsonantenquantität sind nicht
nötig, da keine weiteren relevanten Unterschiede auszumachen sind.
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2.2.3. Die
Vokalisation des L
Die l-Vokalisation ist eine der lautgesetzlichen Eigenheiten, die das Bd. von denjenigen
anderer Deutschschweizer Idiome am deutlichsten abhebt. Im Bd. wird das auf einen Vokal
folgende l immer vokalisiert, wenn darauf ein Konsonant folgt oder wenn es im Auslaut
steht: Es wird zu einem u. Der Doppelkonsonant ll wird grundsätzlich immer vokalisiert,
auch vor einem Vokal. Ausnahmen bilden sowohl beim einfachen als auch beim Doppel-l nur
wenige Wörter, insbesondere Fremdwörter (siehe unten).
Das vokalisierte l galt lange Zeit auch als schichtspezifisches sprachliches Merkmal.
Daran wurden Angehörige unterer Schichten sofort erkannt. Heute sind es nur noch
Angehörige auch junge einer kleinen Oberschicht in den Städten Bern und
Thun, die auf die Vokalisation des l verzichten und sich daran bis an ihr Lebensende
halten (werden). Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass sich diese «Bernburger»
so werden sie in der Stadt Bern genannt und ihre Nachkommen darin nicht beirren
lassen und es vielmehr die «gemeinen» BernerInnen sind, die sich anzupassen nicht
scheuen und bei längerem Kommunizieren mit solchen «Vornehmen» vermehrt auf die
l-Vokalisation verzichten.
Beispiele für die l-Vokalisierung:
aahalte aahaute (anhalten)
albe aube (jeweils, früher)
Held Heud (Held)
Ghüül Ghüüu (Geheul)
schnäll schnäu (schnell)
voll vou (voll)
Väntyl Väntyu (Ventil)
Fäll Fäu (Fell)
Giel Gieu (Knabe)
Nordpol Nordpou (Nordpol)
Näbel Näbu (Nebel)
Schimel Schimu (Schimmel)
Anmerkung:
Betr. Näbu und Schimu und allgemein zur Schreibung des vokalisierten l siehe 2.2.3.1.
In den folgenden Beispielen wird das l nicht vokalisiert; es handelt sich mit Ausnahme des
ersten Wortes um Fremdwörter, die im Gegensatz zum oben aufgeführten Wort Ventil
auch als solche erlebt werden:
lalle lalle (lallen)
Vinyl Vinyl (Vinyl)
Formaldehyd Formaldehyd (Formaldehyd)
Pol Pol (Pole aus Polen)
Anmerkung:
Das l des letztgenannten bd. Wortes Pol wird meistens nicht vokalisiert,
nicht weil es als Fremdwort erlebt wird, sondern vielmehr um eine Homonymie mit Pou (z.B.
im Sinne von Nordpol) zu vermeiden.
Aus dem Wort Italiener mag zudem hervorgehen, dass früher das l z.T. auch vor Vokalen
vokalisiert wurde. So klang es Itauiäner, während heute in der Stadt Bern fast
ausschliesslich Italiäner zu hören ist.
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2.2.3.1.
Zur Schreibung des vokalisierten L
In der vorliegenden Arbeit wird darauf verzichtet, das vokalisierte l speziell zu
kennzeichnen; das l ob als solches ausgesprochen oder als u wird als l
geschrieben. Es wird angenommen, dass der/die LeserIn aufgrund der oben aufgeführten
Gesetzmässigkeiten selbst den Laut richtig zu lesen versteht. Ausgenommen sind allerdings
Wörter, die auf -el auslauten; sie werden mit u geschrieben (Beispiel: Näbel
Näbu).
Werner Marti schreibt das Vokalisations-l normalerweise auch als l, nachdem er es im
Kapitel zum Thema der Klarheit halber als u mit untergesetztem Punkt geschrieben hat 6. (S. 55). Er kennzeichnet aber auch das l bzw. ll mit einem Punkt
darunter, da es ja eigentlich ein geschlossener Vokal ist, was hier wiederum aus
technischen Gründen nicht möglich ist.
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2.2.4.
Velarisierung von nd im Auslaut von Nomina
Durch die Velarisierung von nd entsteht ng, wie im Schrd. ein Laut: Das
g ist nicht hörbar. Es gibt allerdings Nomina, deren auslautendes nd, meist aus
Gründen der Opposition (Vermeidung von Homonymie), nicht velarisiert wird. Im Inlaut wird
nd normalerweise nicht velarisiert (Beispiele: Verständnis, Hundeloipe).
Wie bei der Vokalisation des l gibt es Leute, die, ihrem sozialen Status Rechnung tragend,
den Laut nd auch da nicht velarisieren, wo es üblich ist (siehe 2.2.3.).
Beispiele für die bd. nd-Velarisierung:
Hund Hung (Hund)
Grind Gring (Kopf)
Schand Schang (Schande)
Verstand Verstang (Verstand)
Bund Bung (Bund, Bündel)
Beispiele für bd. Wörter, deren Auslaut nd nicht velarisiert wird:
Land (in Opposition zum temp. Adj. in adv. Stellg. lang)
Rand (in Opposition zum Nomen Rang [aus der Sprache des Sports])
Brand (Brang ist auf dem Land vereinzelt zu hören.)
Bund (im Sinne von Confoederatio od. des Namens einer Berner Zeitung)
Findet mündlich eine Velarisierung statt, wird sie auch geschrieben, hält Einzug ins
Schriftbild, auch wenn dies Nicht-BernerInnen das Lesen nicht gerade erleichtert.
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2.2.5. Das
Bindungs-n
Während in manchen Fällen für das Einfügen des Bindungs-n etymologische Gründe
vorliegen 6. (S. 65ff) worauf hier nicht näher
eingegangen werden kann , wird heute grundsätzlich ein Bindungs-n überall da
eingeschoben, wo ein Wort mit einem Vokal endet und das nächste mit einem solchen
beginnt, und zwar unabhängig von der Wortart und der Funktion der beiden auf diese Weise
gebundenen Wörter.
Beispiele:
D Meitli stygen ufe Boum ufe.
D Wahlen i der Stadt Züri sy für d FraP en Erfolg gsy.
We men acht Bitze Brot darf ha, cha me sicher o nüün ha.
So chunnsch natürlech nie ufen e grüene Zweig.
On en alten Armlüüchter wott einisch im Monet abgstoubet sy.
Win er würklech isch, chan i o nid säge.
Ich möchte hier gerade an das letzte Beispiel anknüpfen. Es fällt auf, dass das
Bindungs-n im Hauptsatz chan i o nid säge zwischen dem Pronomen i und der Rangierpartikel
o nicht eingefügt wurde. Dies ist darauf zurückzuführen, dass, sollte ein
Bindungselement eingefügt werden, dieses ein g sein müsste: chan ig o nid säge. Die
Erklärung dafür ist einfach: Das Personalpronomen 1. Pers. Sg. lautet im Bd. ig; i ist
davon die schwache, unbetonte Form (siehe 3.2.1.). Das Bindungs-n in
chan in o nid säge würde falsch verstanden: chan i no nid säge (kann ich noch nicht
sagen anstatt kann ich auch nicht sagen). Ausnahme: Ein Bindungs-n wird an i angehängt,
wenn das nachfolgende Wort ein unbetontes Personalpronomen im Dativ ist, das mit einem
Vokal beginnt (Beispiel: Han in em's de eigetlech nid verbotte?).
In Verbindung mit den unbetonten, mit einem Vokal beginnenden Personalpronomina kann
bei Inversionen sogar ein Bindungs-n an Personalpronomina gehängt werden,
die mit einem r und nicht mit einem Vokal enden.
Beispiele:
Chan ern ihm de nid bi de Ufgabe hälfe?
Syt 'ern/dihrn ihm gester de nid uf em Münschterplatz begägnet?
Sötte mirn is nid wider einisch e schöne Sunntig mache?
Heit 'ern/dihrn ech eigetlech no nie gfragt, würum dass der i d Schuel
göht?
Anmerkung:
Das Bindungs-n in den letzten zwei Beispielen hat sich dabei eigentlich bereits an die
Wörter is bzw. ech gehängt: nis, nech. Sie tauchen nämlich in dieser Form auch an Orten
auf, wo nicht von einem an das vorhergehende Wort gehängten Bindungs-n gesprochen werden
kann (vgl. 2.2.9.). Beispiele:
Das wei mer de uf jede Fall mit nis näh.
Dä söll nech das zersch erkläre!
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2.2.6.
Assimilation
Bestimmte Lautfolgen, die mit einer erhöhten Anstrengung des Sprechens verbunden sind,
werden aus sprachökonomischen Gründen assimiliert. Während einige Assimilationen
durchaus auch in der deutschen Standardsprache gemacht werden, als solche jedoch nur noch
etymologisch erkennbar sind (Beispiel: hintber [mhd.] Himbeere), hält das Bd. als
eine gesprochene Sprache eine grosse Menge solcher Angleichungen bereit.
Selbstverständlich kommen ähnliche Assimilationen in schrd. Sprechakten auch vor.
Beispiele für bd. Assimilationen, ohne weitere Erläuterungen:
Brotbrösmeli Broprösmeli (Brosamen)
guet bbunge gue'punge (gut gebunden)
Brandblatere Bramplatere (Brandblase)
er kennt mi er kemp'mi (er kennt mich)
es brönnt mi es brömp'mi (es brennt mich)
er git mer er gip'mer (er gibt mir)
Unfall Umfall (Unfall)
Gänf Gämf (Genf)
gib mer gi'mer (gib mir)
e Handvoll e Hampfele (Handvoll)
nid viil nip'fiil (nicht viel)
Husschlüssu Huschlüssu (Hausschlüssel)
handchehrum hangkehrum (im Handkehrum)
er het chönne er he'könne (er hat gekonnt/können bzw. er
konnte)
Beispiele für die mit einer Ausnahme zweistufige Assimilation des bd. bestimmten Artikels
d (Sg. f. od. Pl. m./f./n.) vor den Konsonanten b, p, d, t, g, k, ch, m, f, s, z:
d Partei bPartei 'Partei (die Partei)
d Dili dDili 'Tili (die Diele, Decke)
d Tische dTische 'Tische (die Tischg)
d Kilo gKilo 'Kilo (die Kilos)
d Chatz dChatz 'Katz (die Katze)
d Frou bFrou pFrou (die Frau)
d Sätz dSätz zSätz/'Zätz (die Sätze)
d Zeiche 'Zeiche
Was die Schreibweise anbelangt, wird im allgemeinen so auch in der vorliegenden
Arbeit auf eine graphische Kennzeichnung der Assimilationen verzichtet. Allerdings
dies sei hier zugegeben hat das Wort Hampfele in eben dieser Form Einzug
gehalten in den bd. Wortschatz und sollte daher auch so geschrieben werden.
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2.2.7.
Metathese
Mit dem Begriff Metathese oder Interversion wird das Ergebnis der Vertauschung von
Konsonanten innerhalb etymologisch verwandter Wörter bezeichnet 1.
(S. 486). Obwohl in den folgenden Beispielen der Lautumsprung nicht innerhalb eines Wortes
stattfand, kann er als Metathese bezeichnet werden, da die neu entstandene Lautfolge
üblicherweise in einem Wort geschrieben wird. Es handelt sich hierbei ausschliesslich um
folgende Zusammensetzung: auf n auslautende Präposition + unbest. Art. Dat. Sg.
mask./neutr.
Beispiele:
an eme (an einem) wird zu amene,
von eme (von einem) zu vomene,
in eme (in einem) zu imene.
Anmerkung:
Von den obigen Beispielen gibt es auch eine Kurzform; das ne wird fallengelassen: ame,
vome, ime.
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2.2.8.
Einschiebung
Aus sprachmechanischen Gründen schieben sich im Bd. oft Übergangslaute zwischen gewisse
Konsonanten.
Dafür einige Beispiele, ohne genauere Erklärungen:
Bähndli (Bähnchen)
Tanndli (Tännchen)
Steindli (Steinchen): Das in Stei abgefallene n erscheint zusätzlich
wieder.
Manndli (Männlein, Männchen): Das a wird wieder kurz, das in Maa
abgefallene Doppel-n erscheint zusätzlich wieder.
ds Männdli mache (Männchen machen): in dieser Bedeutung nur als
Diminutiv
Fähndrich (Fähnrich)
faltsch (falsch)
hingertsi (gebildet aus hinter sich; Bed.: rückwärts)
Bedürftnis (Bedürfnis): wohl «fälschlicherweise» gebildet analog
zu Gedächtnis.
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2.2.9.
Hinzufügen von Konsonanten am Anfang oder
am Schluss eines Wortes
Bei gewissen Wörtern werden im Bd. zusätzliche Konsonanten an den Anfang oder an den
Schluss gehängt. Solche Wörter werden von den Berndeutsch sprechenden Menschen als
Einheit aufgefasst. In der Schule müssen die Kinder daher manche schrd. Wörter, d.h. die
schrd. Äquivalente quasi neu lernen.
Beispiele, ohne weitere Erläuterungen:
tschuld (schuld)
tschudere (schaudern)
ussert (ausser)
Gspass (Spass)
Gwunger (von Wunder; Bed.: Neugier)
Härd (Erde; im Sinne von Humus)
nech (euch; vgl. 2.2.5.)
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2.2.10. st
und sp im Berndeutsch
Während im Schrd. st oder sp nur im Anlaut scht (Ausnahme: gewünscht) bzw. schp
ausgesprochen werden, sind sie im Bd. immer so auszusprechen.
In dieser Arbeit wird das bd. st im An- und Inlaut als st geschrieben, ausser es folgt
direkt auf einen Konsonanten, der seinerseits nicht das Ende eines Präfix' bildet, oder
der nachfolgende Vokal ist Flexem. Am Schluss eines Wortes wird das bd. st aus Gründen
der Verständlichkeit als scht geschrieben, auch innerhalb von Komposita.
Beispiele:
st im Anlaut oder im Inlaut nach Vokal:
meistens, Stei, stumm, bestens, bestyge, zuestecke
st im Inlaut nach Präfix mit Konsonant am Schluss:
Verständnis, verstoue, verstuucht, entstah, Umstand, gstorbe
scht am Schluss eines Wortes:
(der) erscht, Papscht, Proscht, Herbscht
scht am Schluss eines nicht an letzter Stelle stehenden Wortes innerhalb eines
Kompositums: Herbschtsunne, Papschtreis, Poschtouto
scht im Inlaut nach Konsonant:
Fänschter (Fäister ist nur eine Variante), günschtig, Ginschter,
erschtens
scht vor Flexem-Vokal:
(di) erschte, (di) Gröschti, (d) Herbschte (Plural), (er) proschtet
(is) zue
Da sp in der deutschen Sprache nie im Auslaut vorkommt, wird es im Bd. nur als schp
geschrieben, wenn es im Inlaut auf einen Konsonanten folgt was im Schrd. nie der
Fall ist , ausser dieser Konsonant ist eindeutig der letzte Buchstabe eines
Präfixes.
Beispiele:
sp in An- und Inlaut nach Vokal:
Spiil, Espeloub, spinne, sech verhasple
sp im Inlaut nach Präfix mit Konsonant am Schluss:
gspannt, gspilt
schp im Inlaut nach Konsonant:
Gschpass, gschpüre, Gschpüri
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3.
Morphologische Unterschiede zwischen Bd. und Schrd.
3.1. Der Artikel
3.1.1. Der bestimmte Artikel und seine Formen
Wie im Schrd. gibt es im Bd. einen männlichen, einen weiblichen und einen sächlichen
bestimmten Artikel: der, d, ds. Allerdings fällt im Bd. der Genitiv gänzlich weg. An die
Stelle des Genitivs tritt im Bd. meistens der Dativ, und dies innerhalb einer mit der
Präposition vo (vom) eingeleiteten Präpositionalphrase (siehe 4.2.ff
und 4.3.3.).
|
mask. |
fem. |
neutr. |
Nom.
Sg. |
der |
d,
di (vor Adj. od. nominal. Adj.) |
ds,
das (betont) |
Dat.
Sg. |
em |
(d)er
|
em |
Akk.
Sg. |
der,
e (nach Präp.) |
d,
di (vor Adj. od. nominal. Adj.) |
das
(betont) |
Anmerkungen:
a) Je nach Sprechweise kann der Schwund-Laut in der (Nom./Akk. Sg.
mask.) mit dem nachfolgenden r in ein silbisches r eingehen.
b) Zu beachten ist insbesondere, dass der bd. Artikel der im Gegensatz
zum schrd. im Nominativ und im Akkusativ verwendet wird. Analog zu den entsprechenden
weiblichen und sächlichen Artikeln wird im Bd. der Akkusativ des männlichen bestimmten
Artikels also nicht markiert.
c) Beispiele für den bestimmten Artikel di vor Adjektiven oder
nominalisierten Adjektiven: di zfridni Gans, di Truurigi.
d) Dat. Sg. fem.: er ist genauso häufig zu hören wie der. Beispiele:
Si hei der/er Muetter nid wölle hälfe. Der/Er Chuchitüre geit's o nümm grad eso guet.
e) Im Bd. wird die Präposition a in allen Genera oft zur Verstärkung
des Dativs vor den bestimmten Artikel gesetzt. Häufig klingt sie nur noch wie der
Schwundlaut e, wodurch sie allerdings im Sg. m./n. wieder mit dem (normalen) bestimmten
Artikel im Dativ zusammenfällt. (In den nachfolgenden Beispielen 2 und 3 wäre dies der
Fall.)
Beispiele:
1. I wott aber a/e der Muetter nid hälfe.
2. Du söttsch de eigetlech no am Adriano
schrybe.
3. Am Chälbli het di Chelti nid eso guet taa.
4. A/e de chlyne Teiche nützt alles Belüfte
nüüt.
Nota bene: Der männliche bzw. sächliche bestimmte Artikel und die
vorangehende Präposition verschmelzen auch in diesem Spezialfall miteinander, analog z.B.
zu am Bahnhof.
f) Analog zur Verschmelzung der Präpositionen a und i + Dativ mit dem männlichen
bestimmten Artikel (am, im), die auch im Schrd. erfolgt, kann eine solche im Bd. auch mit
dem weiblichen bestimmten Artikel gemacht werden: ar, ir. (Siehe auch 4.1.2.)
g) Beispiele für den bestimmten männlichen Artikel im Akkusativ nach Präpositionen:
hinger e Boum, uf e Bärg. Meistens wird beim Schreiben der Artikel in diesen Fällen
direkt an die Präposition gehängt: hingere Boum, ufe Bärg.
Im Plural ist der bd. bestimmte Artikel für alle Genera gleich, variiert nur nach Kasus
(Dativ!) und Stellung:
Nom. Pl.: d, di (vor Adj. oder nominal. Adj.)
Dat. Pl.: de
Akk. Pl.: d, di (vor Adj. oder nominal. Adj.)
Anmerkungen:
a) Beispiele für den bestimmten Artikel di vor Adjektiven oder nominalisierten
Adjektiven: di grossgchotzete Type, di Chlyne.
b) Zur Assimilation des Artikels d mit dem nachfolgenden Konsonanten (Nom./Akk. Sg. fem.
od. Nom./Akk. Pl. m./f./n.) siehe 2.2.6.
c) Zum Gebrauch des bd. bestimmten Artikels, insbesondere zur Frage des
Null-Artikels bzw. Null-Determinativs, siehe 4.1.1. und 4.1.2.
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3.1.2. Der
unbestimmte Artikel und seine Formen
Wie im Schrd. gibt es im Bd. einen männlichen, einen weiblichen und einen sächlichen
unbestimmten Artikel: e, e, es. Nur und dies im Gegensatz zum Schrd. sind
der weibliche und der männliche unbestimmte Artikel in den Kasus Nominativ und Akkusativ
identisch. Wie beim bestimmten Artikel fällt der Genitiv im Bd. auch beim unbestimmten
Artikel weg; er wird auch hier meistens ersetzt durch den von der Präposition vo (von)
regierten Dativ.
|
mask. |
fem. |
neutr. |
Nom.
Sg. |
e |
e |
es |
Dat.
Sg. |
em(e)ne,
eme |
enere,
ere |
em(e)ne,
eme |
Akk.
Sg. |
e |
e |
es |
Anmerkungen:
a) Die beiden Dativformen des männlichen und sächlichen unbestimmten Artikels emene und
emne sind ungefähr gleich häufig zu hören, erstere entsteht bei eher langsamem
Sprechen, letztere bei schnellerem.
b) Die beiden zusammengezogenen Dativformen eme (mask./neutr.) und ere (fem.) sind heute
weniger üblich obwohl sie etymologisch jünger sein müssen, da mhd. ein(e)me
und einre 6. (S. 79) , werden aber
insbesondere bei schnellem Sprechen manchmal immer noch verwendet.
c) Die Präposition a wird wie beim bestimmten Artikel in allen Genera
häufig zur Verstärkung des Dativs vor den unbestimmten Artikel gesetzt.
Beispiele:
I wott aber a(ne)re nätte Frou keni
Schwirigkeite mache.
Ame(ne) Ching darf me ke Chlapf gä.
Er het sech nid entblödet, ame(ne) Maa, wo viil stercher isch gsy als är, fräch verby
z cho.
Nota bene: Im Plural kann die Präposition a nie eingefügt werden,
denn der Plural des unbestimmten Artikels ist der Null-Artikel bzw. Null-Determinativ.
d) Zum Phänomen der Metathese beim bd. unbestimmten Artikel siehe 2.2.7.
Der Gebrauch des unbestimmten Artikels ist im Bd. nicht anders als im Schrd.
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3.2.
Das Pronomen
Es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, alle Arten von Pronomina zu untersuchen. Es
sollen im folgenden die berndeutschen Personal-, Possessiv- und Relativpronomina genauer
betrachtet werden; sicherlich drei Typen, die in bezug auf Unterschiede zwischen Bd. und
Schrd. viel hergeben. Die hier «vernachlässigten» berndeutschen Reflexiv-,
Demonstrativ-, Indefinit- und Interrogativpronomina sind im Bd. sicherlich lautlich
z.T. sogar lexikalisch anders als im Schrd., verhalten sich im Satz jedoch wie die
schrd.
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3.2.1. Die
Personalpronomina und ihre Formen
Im Unterschied zu Artikel, Nomen und Adjektiv wird bei den bd. Personalpronomina der
Akkusativ vom Nominativ unterschieden.
Im Bd. als einer primär gesprochenen Sprache hat es gerade bei den Personalpronomina zu
einer Vielfalt von Formen geführt, die je nach Stellung im Satz und der dem Pronomen
zugedachten Wichtigkeit, wobei die Sprechgeschwindigkeit auch einen gewissen Einfluss hat,
mehr oder weniger «abgenutzt» werden oder wie im Fall des Pronomens du im
Nominativ bei Inversionsinterrogativsätzen ganz verschwinden (siehe unten).
Die Genitivformen der bd. Personalpronomina ist bis auf einige wenige als veraltet
geltende Überbleibsel, die nurmehr in bestimmten Redewendungen vorkommen, gänzlich
verschwunden und werden hier als «quantité négligeable» nicht aufgeführt.
Die ursprünglichen bd. Personalpronomina, die hier als starke Formen bezeichnet und nur
emphatisch verwendet werden, sind die folgenden:
Nominativ: |
|
|
|
1.
Pers. |
Sg. |
|
ig,
i (mit langem offenem i) |
2.
Pers. |
Sg. |
|
du |
3.
Pers. |
Sg. |
m.
f.
n. |
är
si (mit langem offenem i)
äs |
1.
Pers. |
Pl. |
|
mir |
2.
Pers. |
Pl. |
|
dihr
(auch Höflichkeitsform) |
3.
Pers. |
Pl. |
|
si
(mit langem offenem i) |
Dativ: |
|
|
|
1.
Pers. |
Sg. |
|
mir |
2.
Pers. |
Sg. |
|
dir |
3.
Pers. |
Sg. |
m.
f.
n. |
ihm
ire
ihm |
1.
Pers. |
Pl. |
|
üs |
2.
Pers. |
Pl. |
|
öich
(auch Höflichkeitsform) |
3.
Pers. |
Pl. |
|
ine |
Akkusativ: |
|
|
|
1.
Pers. |
Sg. |
|
mi
(mit langem offenem i) |
2.
Pers. |
Sg. |
|
di
(mit langem offenem i) |
3.
Pers. |
Sg. |
m.
f.
n. |
ihn
si (mit langem offenem i)
ihns |
1.
Pers. |
Pl. |
|
üs |
2.
Pers. |
Pl. |
|
öich
(auch Höflichkeitsform) |
3.
Pers. |
Pl. |
|
si
(mit langem offenem i) |
Dazu im Vergleich die schwachtonigen Formen der
bd. Personalpronomina:
Nominativ: |
|
|
|
1.
Pers. |
Sg. |
|
i
(mit kurzem offenem i) |
2.
Pers. |
Sg. |
|
Ø, d', de |
3.
Pers. |
Sg. |
m.
f.
n. |
er
si (mit kurzem offenem i)
's, es |
1.
Pers. |
Pl. |
|
mer |
2.
Pers. |
Pl. |
|
'er,
der (auch Höflichkeitsform) |
3.
Pers. |
Pl. |
|
si
(mit kurzem offenem i) |
Dativ: |
|
|
|
1.
Pers. |
Sg. |
|
mer |
2.
Pers. |
Sg. |
|
der |
3.
Pers. |
Sg. |
m.
f.
n. |
em,
ihm (mit kurzem geschlossenem i)
're, ere
em, ihm (mit kurzem geschlossenem i) |
1.
Pers. |
Pl. |
|
is,
nis (mit kurzem geschlossenem i) |
2.
Pers. |
Pl. |
|
ech,
nech (auch Höflichkeitsform) |
3.
Pers. |
Pl. |
|
ne |
Akkusativ: |
|
|
|
1.
Pers. |
Sg. |
|
mi
(mit kurzem geschlossenem i) |
2.
Pers. |
Sg. |
|
di
(mit kurzem geschlossenem i) |
3.
Pers. |
Sg. |
m.
f.
n. |
ne
se
's, ins (mit kurzem geschlossenem i) |
1.
Pers. |
Pl. |
|
is,
nis (mit kurzem geschlossenem i) |
2.
Pers. |
Pl. |
|
ech,
nech (auch Höflichkeitsform) |
3.
Pers. |
Pl. |
|
se |
Anmerkungen:
a) Damit keine Verwechslungen mit der Präposition in entstehen, werden
die Personalpronomina ihn und ihm auch in der schwachtonigen Form mit h gschrieben
(graphemische Priorität). (ins kann im Bd. nicht falsch verstanden werden, da die
Präposition i + Akk. mit dem bestimmten sächlichen Artikel keine Einheit bilden kann.
Beispiel: I ga i ds Huus. [Ich gehe ins Haus.])
b) Auch die Schreibung von 'er (2. Pers. Nom. Pl.) dient der Vermeidung
von Verwechslungen mit er (3. Pers. Nom. Sg. m.).
c) Die Pronomina nech und nis sind aus falscher Trennung entstanden
(siehe 2.2.5.).
Was den Gebrauch der bd. Personalpronomina anbetrifft, ist nur die Null-Form der 2. Pers.
Nom. Sg. von Belang. Sie kann nur in direkten Interrogativsätzen (Inversion!) verwendet
werden, ist da aber der Normalfall.
Beispiele für das bd. Ø-Pronomen:
Bd. Hesch alles erlediget, win i der's gseit ha?
Schrd. Hast du alles erledigt, wie ich es dir sagte?
Bd. Würum machsch das nid besser als är?
Schrd. Weshalb machst du das nicht besser als er?
Bd. Muesch eigetlech immer e suure Stei mache?
Schrd. Musst du eigentlich immer ein saures Gesicht machen?
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3.2.2. Die
possessiven Determinative und Possessivpronomina
Es sollen insbesondere die Formen der bd. possessiven Determinative und Possessivpronomina
vorgestellt werden. (Determinativ = Wort, das einem Nomen im Minimum vorangehen muss; es
kann auch unsichtbar sein [Null-Determinativ].) Nominativ und Akkusativ sind anders
als bei den Personalpronomina im Bd. immer identisch, und dies im Gegensatz zum
Schrd. Der Genitiv existiert im Bd. nicht und wird in der Regel durch den von der
Präposition vo regierten Dativ ersetzt.
In der folgenden Tabelle sind die bd. possessiven Determinative aufgeführt:
Nominativ und Akkusativ: |
mask. |
fem. |
neutr. |
Plural |
1.
Pers. |
Sg. |
|
my |
my(ni) |
mys |
myni |
2.
Pers. |
Sg. |
|
dy |
dy(ni) |
dys |
dyni |
3.
Pers. |
Sg. |
m.
f.
n. |
sy
ire
sy |
sy(ni)
iri
sy(ni) |
sys
ires
sys |
syni
iri
syni |
1.
Pers. |
Pl. |
|
üse |
üsi |
üses |
üsi |
2.
Pers. |
Pl. |
|
öie |
ö(i)ji |
öies |
ö(i)ji,
öier |
3.
Pers. |
Pl. |
|
ire |
iri |
ires |
iri |
Dativ: |
|
|
mask. |
fem. |
neutr. |
Plural |
1.
Pers. |
Sg. |
|
mym |
my(ne)re |
mym |
myne |
2.
Pers. |
Sg. |
|
dym |
dy(ne)re |
dym |
dyne |
3.
Pers. |
Sg. |
m.
f.
n. |
sym
irem
sym |
sy(ne)re
ire(re)
sy(ne)re |
sym
irem
sym |
syne
irne
syne |
1.
Pers. |
Pl. |
|
üsem |
üsere |
üsem |
üsne |
2.
Pers. |
Pl. |
|
öiem |
öiere |
öiem |
öine |
3.
Pers. |
Pl. |
|
irem |
irere |
irem |
irne |
Anmerkungen:
a) Die Schreibung öiji oder öji wird in der «Bärndütsche
Schrybwys» empfohlen 7. (S. 67).
b) Die Variante öier ist relativ selten, ist aber noch immer
besonders von älteren SprecherInnen zu hören, insbesondere in der Nominalphrase
öier Ching.
c) Die Varianten mit dem angehängten ni bzw. dem eingeschobenen ne sind sehr häufig und
sind wohl sogar der Normalfall bei langsamerem Sprechen. Eingang gefunden in den
possessiven, ein Nomen modifizierenden Determinativ haben diese längeren Varianten über
die Formen des Possessivpronomens: Die Determinative werden analog zu den
Possessivpronomina gebildet (siehe unten), wobei die ne-Option im Dativ auch beim
Possessivpronomen Variante ist.
Übersicht über die bd. Possessivpronomina:
Nominativ und Akkusativ: |
mask. |
fem. |
neutr. |
Plural |
1.
Pers. |
Sg. |
|
myne |
myni |
mys |
myni |
2.
Pers. |
Sg. |
|
dyne |
dyni |
dys |
dyni |
3.
Pers. |
Sg. |
m.
f.
n. |
syne
ire
syne |
syni
iri
syni |
sys
ires
sys |
syni
iri
syni |
1.
Pers. |
Pl. |
|
üse |
üsi |
üses |
üsi |
2.
Pers. |
Pl. |
|
öie |
ö(i)ji |
öies |
ö(i)ji,
öier |
3.
Pers. |
Pl. |
|
ire |
iri |
ires |
iri |
Dativ: |
|
|
mask. |
fem. |
neutr. |
Plural |
1.
Pers. |
Sg. |
|
mym |
my(ne)re |
mym |
myne |
2.
Pers. |
Sg. |
|
dym |
dy(ne)re |
dym |
dyne |
3.
Pers. |
Sg. |
m.
f.
n. |
sym
irem
sym |
sy(ne)re
irere
sy(ne)re |
sym
irem
sym |
syne
irne
syne |
1.
Pers. |
Pl. |
|
üsem |
üsere |
üsem |
üsne |
2.
Pers. |
Pl. |
|
öiem |
öiere |
öiem |
öine |
3.
Pers. |
Pl. |
|
irem |
irere |
irem |
irne |
Die bd. Anwendung sowohl der possessiven
Determinative als auch der Possessivpronomina ist identisch mit der schrd. Deshalb wird
auf Erläuterungen zum Gebrauch verzichtet.
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3.2.3.
Relativpronomen und subjunktives Relativelement
Im Bd. werden Relativsätze grundsätzlich immer mit «wo» eingeleitet. (Zur Ausnahme
«was» siehe unten.) Dieses Relativpronomen ist genus-, kasus- und numerusunabhängig,
wird also nicht flektiert.
Wenn dieses kurze Wort subjunktives Relativelement (sr) und Pronomen zugleich ist, nenne
ich es Relativpronomen, da es im Gegensatz z.B. zu einem schrd. der (d-er)
nicht in diese beiden Teile (sr und Pron.) zerlegt werden kann. Hat das wo ausschliesslich
relativsatzeinleitenden Charakter (siehe unten), kann es gut und gerne als subjunktives
Relativelement bezeichnet werden. Diese beiden Begriffe aus der traditionellen Grammatik
einerseits und aus der Dependenzgrammatik anderseits, eignen sich hervorragend, um hier
eine Trennung machen zu können, die im Schrd. aufgrund der Zerlegbarkeit der
relativsatzeinleitenden Wörter nicht nötig ist.
Bezieht sich das einen Relativsatz einleitende Wort auf einen ganzen Satz, wird im Schrd
und im Bd. das Wort was (nur in Nom. und Akk.) verwendet.
Anzumerken bleibt hier noch, dass die schrd. Wendung das, was im Bd. das, wo heisst, was
die eben vorgestellte Regel in bezug auf was bestätigt.
Beispiele für das bd. Relativpronomen:
D Frou, wo si süsch immer dert gseh stah, isch hüt nid ar Tramstation
gsy.
D Froue, wo si süsch immer dert gseh stah, sy hüt nid ar Tramstation
gsy.
Der Mitarbeiter, wo hüüfig z spät chunnt, isch gester pünktlech
gsy.
Steht das Relativpronomen vor einem Konsonanten, wird ein Bindungs-n angehängt (siehe 2.2.5.).
Beispiele für das Relativpronomen mit Bindungs-n:
d Frou, won er eigetlech nie meh wett gseh
ds Meitli, won i gester z erschte Mal ha gseh
Wenn der äquivalente schrd. Relativsatz mit einer Präposition eingeleitet wird, kann das
wo im bd. Relativsatz eindeutig als subjunktives Relativelement erkannt und analysiert
werden, da es im Bd. im Gegensatz zum Schrd. losgelöst ist vom Pronomen der TP (E4, E5
oder E6). Das Pronomen, das im Schrd. mit dem auf die Präposition folgenden sr
verschmolzen ist, steht im Bd. unmittelbar nach der T und ist so in seiner gewohnten Form
Teil der TP. Mit dieser TP, die übrigens oft auch ein Pronominaladverb sein kann oder
muss (siehe 4.3.1.), bildet das sr wo sogar eine Klammer, zwischen
der sich mindestens das Subjekt des RS befindet.
Beispiel für wo in der Funktion eines sr, das vom Pronomen der TP losgelöst ist:
Bd. Iri Fründin, wo si
sech nie uf se cha verlaa, het vor zwo Wuche ds Bei bbroche.
Schrd. Ihre Freundin, auf die sie sich nie
verlassen kann, brach sich vor zwei Wochen
das Bein.
Beispiel für wo als sr; Pronomialadverb ersetzt TP:
Bd. Der Stuel, wo si druff
sitzt, het si vo irem Grossvatter gerbt.
Schrd. Den Stuhl, auf dem sie sitzt, hat sie
von ihrem Grossvater geerbt.
Anmerkung:
Es gibt DeutschschweizerInnen, die gelegentlich die hochdeutschen Relativpronomina
verwenden. Es sind dies vor allem PolitikerInnen und Leute, die im Alltag sehr oft
Hochdeutsch sprechen (müssen). Die Verwendung der hochdeutschen Relativpronomina ist
«falsch» und fällt daher sehr stark auf.
Weiteres zum Relativsatz: siehe 4.3.ff
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3.3.
Genus berndeutscher Nomina vs. Genus schriftdeutscher Nomina
Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, ist das grammatische Genus der Nomina im Bd.
dasselbe wie im Schrd. Diese Ausnahmen sollen anhand der folgenden Beispiele näher
erläutert werden.
Bd. ds
(Telefon-)Nummero (n)
Schrd. die (Telefon-)Nummer (f)
Wir können annehmen, dass das sächliche bd. Wort Nummero in Anlehnung
an das frz. numéro (m) entstand. Unter Einfluss der zentral- und ostschweizerischen
Dialekte wird das Wort Nummero wohl in absehbarer Zeit durch Nummere ersetzt werden.
Bd. ds Täller (n)
Schrd. der Teller (m)
Bd. ds Ameisi (n)
Schrd. die Ameise (f)
Bd. ds Hummeli (n)
Schrd. die Hummel (f)
Bd. der Radio (m)
Schrd. das Radio (n)
Bd. ds Be(i)ji/Bieni
(n)
Schrd. die Biene (f)
Bd. der Schildchrott
(m)
Schrd. die Schildkröte (f)
Bd. d Balle (f)
Schrd. der Ball (m)
Zu beachten ist bei diesem Beispiel insbesondere, dass im Bd. keine
Homonymie des Wortes Ball existiert:
- Schrd. der Ball (m) -
Fussball u.ä.
- gesellschaftlicher Anlass
- Bd. d Balle (f)
- Fussball u.ä.
- Bd. der Ball (m)
- gesellschaftlicher Anlass
Anmerkung:
Während das Doppel-l in Balle vokalisiert wird, ist dies beim Wort
Ball nicht der Fall, obwohl die Vokalisation analog z.B. zu Stall zu
erwarten wäre. Die beiden Wörter unseres Beispiels sind verschiedenen etymologischen
Ursprungs 11. (S. 115), und wir können deshalb davon
ausgehen, dass die Vokalisation des Doppel-l im bd. Ball nicht gemacht wird, weil so immer
noch der französischen Herkunft des Wortes Rechnung getragen wird.
Bd. ds Tassli (n)
Schrd. die Tasse (f)
Dieses Wort existiert im Bd. ausschliesslich im Diminutiv.
Bd. der Chino (m)
Schrd. das Kino (n)
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis im Bd. das Wort Chino auch neutrum
ist; erste Anzeichen dafür entsprechende Äusserungen insbesondere von
Jugendlichen sind vorhanden.
Bd. d Züpfe (f) (in
der Bedeutung des helvetischen sonntäglichen Frühstücksbrotes)
Im Vergleich dazu das zürichdeutsche Wort Zopf (m).
Östlich der Brünig-Napf-Reuss-Linie steht dieses Wort dem bd. Züpfe
gegenüber. Interessant ist hierbei, dass das berndeutsche Wort Züpfe (f) früher
und heute noch in ländlichen Regionen sowohl den Butterzopf, als auch den Haarzopf
zu bezeichnen pflegte. Die Angleichung an das schrd. oder zentral- und ostschweizerische
Zopf allerdings erfolgte im Bd. nur beim Haarzopf (der Zopf), während der Butterzopf noch
heute in der Regel mit Züpfe bezeichnet wird. Grund hierfür mag die Vermeidung von
Polysemie sein.
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3.4.
Plural der Nomina, Plural und Komparation der Adjektive
Im Bd. gibt es nur zwei Formen eines Nomens: den Singular und den Plural. Die bd. Nomina
werden also im Gegensatz zu den schrd. nicht nach Kasus flektiert. Wie im Schrd. wird im
Bd. ein Plural gebildet mittels:
a) Plural-Flexem
b) Plural-Flexem + Umlaut
c) Umlaut (ohne Plural-Flexem)
d) Null-Flexem
Beispiele:
a) Schrd. Frau Frauen
Bd. Frou Froue
b) Schrd. Haus Häuser
Bd. Huus Hüser
c) Schrd. Kloster
Klöster
Bd. Chloster Chlöster
d) Schrd. Nebel Nebel
Bd. Ching Ching
(Kinder)
Anmerkung:
Nomina der Typen 3 und 4 sind im Bd. wesentlich häufiger als im Schrd.
Im Bd. kann der Plural eines Nomens auch folgendermassen gebildet werden:
a) durch «Entvokalisierung» des vok. l +
Ausstossung des e der Endung -el +
Plural-Flexem
b) durch Hinzufügen von im Singular
«eliminierten» Elementen + Plural-Flexem
Beispiele:
a) Bd.
Näbu Näble (Nebel)
Bd.
Igu Igle (Igel)
b) Bd.
Maa Manne (Männer)
Der Plural der Adjektive wird im Bd. wie im Schrd. mittels
eines Flexems gebildet. Im Plural sind alle bd. und schrd. schwachen Adjektive genus- und
kasusunabhängig (siehe 3.5.1. und 3.5.2.).
Das starke Adjektiv im Plural folgt es auf den Null-Determinativ richtet
sich sowohl im Schrd. als auch im Bd. nach dem Kasus, ist jedoch immer genusunabhängig.
Übersicht über die bd. und schrd. Plural-Flexeme der starken und schwachen Adjektive,
ohne weitere Erläuterungen:
|
starke
Form |
schwache
Form |
Nominativ |
schöni
Lüt
schöne Leute |
di
schöne Lüt
die schönen Leute |
Genitiv |
***
schöner Leute |
***
der schönen Leute |
Dativ |
schöne
Lüt
schönen Leuten |
de
schöne Lüt
den schönen Leute |
Akkusativ |
schöni
Lüt
schöne Leute |
di
schöne Lüt
die schönen Leute |
Der Komparativ eines Adjektivs wird im Schrd. und
im Bd. folgendermassen gebildet:
a) mit Komparativ-Flexem -er
b) mit Komparativ-Flexem -er + Umlaut
Beispiele:
a) Schrd. grün
grüner
Bd. grüen
grüener
b) Schrd. gross
grösser
Bd. bruun
brüüner
Anmerkungen:
a) Im Bd. wird oft ein Umlaut gebildet, wenn im Schrd. keiner gebraucht
wird. Beispiel:
doof dööfer (bd.) / doof doofer (schrd.).
b) Beim bd. Adjektiv gross wird im Komparativ von den meisten
SprecherInnen nur ein s gesprochen: gröser.
c) Im Bd. ist der Umlaut von a nicht ä, sondern e (Beispiel: chalt
chelter / kalt kälter).
Auch der Superlativ wird im Bd. analog zum schrd. gebildet:
a) mit Superlativ-Flexem -st bzw. -scht
b) mit Superlativ-Flexem -st bzw. -scht + Umlaut
Beispiele:
a) Schrd. grün am grünsten
Bd. grüen am/em grüenschte
a) Schrd. gross am grössten
Bd. rund am/em ründschte
Anmerkungen:
a) Steht unmittelbar vor dem Superlativ-Flexem -st ein d, wird im Schrd. manchmal ein e
dazwischen gesetzt (Beispiel: wund am wundesten). In adnominaler Stellung sind
grundsätzlich beide Varianten möglich. Bei einem t vor dem Flexem -st ist im Schrd. das
eingefügte e zwingend (Beispiel: hart am härtesten). Im Bd. hingegen wird im
gleichen Fall nach d grundsätzlich nichts eingefügt, nach t allerdings kann ein i
eingefügt werden (Beispiel: chalt am/em cheltischte); diese Einschiebung ist in
jedem Fall freiwillig.
b) Im Bd. wird oft ein Umlaut gebildet, auch wenn im Schrd. keiner verwendet wird.
Beispiel: doof am dööfschte (bd.) / doof am doofsten (schrd.).
c) Zum bd. Umlaut von a siehe oben.
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3.5.
Kasus
3.5.1. Nominativ und Akkusativ
Im Bd. fallen Nominativ und Akkusativ zusammen, ausser bei den Personalpronomina. Dies ist
der Unterschied zum Schrd. im Bereich des Deklinierens. Allerdings sind auch im Schrd.
viele Wörter, vor allem weibliche und sächliche Nomina, in Nominativ und Akkusativ
identisch.
Die schrd. NPs der gute Mensch (Nom.) und den guten Menschen (Akk.) stehen ein und
derselben, für Nom. und Akk. gültigen bd. NP gegenüber: der guet Mönsch. Aufgrund
dieser klaren Verhältnisse sind weitere Vergleiche in diesem Bereich überflüssig.
In Kapitel 3.5. soll dafür aber insbesondere das Adjektiv mit seiner
starken und schwachen Form behandelt werden: Wie im Schrd. kann ein Adjektiv stark oder
schwach flektiert werden; stark wird es flektiert, wenn es auf einen unbestimmten Artikel
oder einen Null-Deter-minativ folgt, schwach in allen anderen Fällen. (Zum Adjektiv siehe
auch 3.4.)
Die folgenden Tabellen stellen die bd. starken und schwachen Adjektivformen im Singular
den schrd. gegenüber; diese Tabellen ermöglichen dem/der LeserIn auch gleich noch den
angesprochenen, eigentlich überflüssigen Nominativ/Akkusativ-Vergleich zwischen bd. und
schrd. NPs ohne Nachfeld:
Nominativ und Akkusativ: |
|
stark |
schwach |
Sg. m. |
e guete
Maa |
der
guet Maa |
Sg. f. |
e gueti
Frou |
di
gueti Frou |
Sg. n. |
es
guets Ching |
ds
guete Ching |
Pl. m. |
gueti
Manne |
di
guete Manne |
Pl. f. |
gueti
Froue |
di
guete Froue |
Pl. n. |
gueti
Ching |
di
guete Ching |
Vergleiche damit die schrd Adjektivformen:
Nominativ: |
|
stark |
schwach |
Sg. m. |
ein
guter Mann |
der
gute Mann |
Sg. f. |
eine
gute Frau |
die
gute Frau |
Sg. n. |
ein
gutes Kind |
das
gute Kind |
Pl. m. |
gute
Männer |
die
guten Männer |
Pl. f. |
gute
Frauen |
die
guten Frauen |
Pl. n. |
gute
Kinder |
die
guten Kinder |
Akkusativ: |
|
stark |
schwach |
Sg. m. |
einen
guten Mann |
den
guten Mann |
Sg. f. |
eine
gute Frau |
die
gute Frau |
Sg. n. |
ein
gutes Kind |
das
gute Kind |
Pl. m. |
gute
Männer |
die
guten Männer |
Pl. f. |
gute
Frauen |
die
guten Frauen |
Pl. n. |
gute
Kinder |
die
guten Kinder |
Anmerkungen:
a) Im Bd. werden Nomina nie nach Kasus flektiert: Nomina werden nur
aufgrund des Numerus' flektiert. Adjektive werden je nach Stellung stark oder schwach
flektiert, und dies nach Kasus (Dativ!), Genus und Numerus des modifizierten Nomens.
b) Vgl. Plural der Adjektive in 3.4.
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3.5.2. Der
Dativ
Auch der Dativ soll im Hinblick auf das Adjektiv erläutert werden. Im Gegensatz zum Nomen
wird das bd. Adjektiv nach Kasus flektiert vgl.
Nominativ/Akkusativ-Tabelle in 3.5.1. , was im Dativ folgendermassen aussieht:
Dativ: |
|
stark |
schwach |
Sg. m. |
eme(ne)
guete Maa |
em
guete Maa |
Sg. f. |
e(ne)re
guete Frou |
er
guete Frou |
Sg. n. |
eme(ne)
guete Ching |
em
guete Ching |
Pl. m. |
guete
Manne |
de
guete Manne |
Pl. f. |
guete
Froue |
de
guete Froue |
Pl. n. |
guete
Ching |
de
guete Ching |
Anmerkung:
a) Der Vergleich mit dem Schrd. erübrigt sich, da das Adjektiv analog
zum bd. guete stets guten lautet; die schrd. Nomina hingegen bekämen Dativ-Flexeme
angehängt, was aber im Bd. nicht der Fall ist, wie schon mehrmals erwähnt.
b) Vgl. Plural der Adjektive in 3.4.
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3.5.3.
Der Genitiv
Im Gegensatz zum Schrd., wo der Genitiv noch recht lebendig ist, allerdings nach
Präpositionen vermehrt durch den Dativ abgelöst wird, existiert er im Bd. fast nicht
mehr. Dieser Umstand macht eine Vielzahl von Paraphrasen nötig, die in Kapitel 4.2.ff beschrieben werden.
Einzig der sächsische Genitiv, der im folgenden Unterkapitel behandelt wird, ist im Bd.
noch existent.
Generell kann festgestellt werden, dass der fehlende Genitiv im Bd. generell vom Dativ und
vom Akkusativ, meistens innerhalb einer Präpositionalphrase, abgelöst wurde; andere
Möglichkeiten bieten sich ja auch nicht an.
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3.5.3.1. Der
sächsische Genitiv im Berndeutsch
Wie im Schrd. gibt es im Bd. den sogenannten sächsischen Genitiv: Personennamen und
gewisse Nomina können mittels des angehängten Flexems -s in den Genitiv gesetzt und vor
das Nomen gestellt werden, das sie modifizieren. Es handelt sich hierbei in den meisten
Fällen um den possessiven Genitiv (siehe 4.2.ff).
Beispiele:
Bd. Hesch du Muetters guldige
Chugeler gseh?
Schrd. Hast du Mutters goldenen Kugelschreiber
gesehen?
Bd. Sonjas Velo steit hinger
der Schüür.
Schrd. Sonjas Fahrrad steht hinter der Scheune.
Bd. Würum gisch mer nid
eifach Brunos Schäri?
Schrd. Weshalb gibst du mir nicht einfach Brunos
Schere?
Anmerkung:
Stellt man schon nur einen sichtbaren Determinativ vor das mittels s-Flexem in den Genitiv
gesetzte Nomen, stimmt die ganze NP sowohl im Bd. als auch im Schrd. nicht mehr. Das
Schrd. kann die nicht mehr nur aus einem Nomen bestehende NP im Genitiv ins Nachfeld des
durch sie modifizierten Nomens versetzen, während dies im Bd. nicht möglich ist: Im Bd.
wird eine Paraphrase nötig, im Fall des possessiven Genitivs vo (von) + Dativ oder eine
noch kompliziertere Dativ-Konstruktion (siehe 4.2.1. und 4.2.2.).
Der sächsische Genitiv ist im Bd. im Rückgang begriffen und wird früher oder später
wohl ganz verschwinden. Eine Annahme, die auf der Hand liegt, wenn frau/man feststellt,
dass ältere Menschen den sächsischen Genitiv noch sehr oft verwenden, während
Jugendliche ihn fast ausnahmslos nicht mehr gebrauchen. Nach Verschwinden des sächsischen
Genitivs wird das Bd. ein absolut genitivloses Dasein fristen, woraus ihm allerdings für
eine funktionierende Kommunikation keinerlei Nachteile erwachsen sollten. Für die Kinder,
die den schrd. Genitiv als gänzlich fremden, neuen Kasus in der Schule lernen müssen,
mag dieser Umstand allerdings einige Schwierigkeiten mit sich bringen.
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3.6.
Besonderheiten im Bereich der Flexion
3.6.1. Das Flektieren der berndeutschen Kardinal- und
Ordinalzahlen
Im Schrd. und im Bd. wird die Kardinalzahl ein analog zum unbestimmten Artikel, der
seinerseits aus eben dieser Kardinalzahl entstand (vgl. 3.1.2.),
flektiert. Das Bd. geht aber bei den Kardinalzahlen insofern weiter als das Schrd., als es
auch die Wörter zwe (zwei) und drei (drei) flektiert. Die folgende Tabelle gibt eine
Übersicht über das Flektieren der bd. Kardinalzahlen zwe und drei:
Nominativ
und Akkusativ: |
Dativ: |
|
zwe |
drei |
zwe |
drei |
m. |
zwe
Manne |
drei
Manne |
zwene
Manne |
dreine
Manne |
f. |
zwo
Froue |
drei
Froue |
zwone
Froue |
dreine
Froue |
n. |
zwöi
Ching |
drü
Ching |
zwöine
Ching |
drüne
Ching |
Anmerkungen:
a) Man beachte, dass im Dativ stets das Dativ-Flexem -ne an die
jeweilige Form der beiden nach Genus des modifizierten Wortes flektierten Kardinalzahlen
gehängt wird.
b) Auch nominalisierte Kardinalzahlen werden im Bd. nach Genus
flektiert, während sie im Schrd. nur nach Kasus flektiert werden.
c) Insbesondere jugendliche SprecherInnen brauchen diese Formen nicht
mehr richtig. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass diese Genus-Flexeme im
Verschwinden begriffen sind und sich z.B. die sächliche Form (zwöi/drü) durchsetzen
wird: Fehler wie zwöi Froue werden immer auf ein Unvermögen oder eine unergründliche
Gleichgültigkeit gegenüber «richtigem» Sprechen zurückgeführt, und solches
äussernde Personen werden oft von bewussteren SprecherInnen korrigiert, was sie zwar
meistens nur mit einem genervten «jaa, i weis» quittieren.
Die Ordinalzahlen werden im Schrd. nur dann nach Genus flektiert, wenn sie auf einen
Null-Determinativ oder einen unbestimmten Artikel folgen (starke Form, analog zum Adjektiv
[vgl. 3.5.ff]), was allerdings ein seltener Fall ist. Im Bd. dagegen
werden auch die schwachen Formen der Ordinalzahlen auch sie analog zum Adjektiv
nach Genus des modifizierten Nomens flektiert, und dies bei allen Zahlen. Die
Flexion der Ordinalzahlen nach Genus wird in der folgenden Tabelle an den Beispielen
zwölft- und dryssigscht- es könnte auch tuusigsibe-hundertdvieredryssigscht- sein
aufgezeigt, wobei dafür nur Nom./Akk. Sg. von Bedeutung sind:
Nominativ
und Akkusativ: |
Dativ: |
Sg.m. |
dr zwölft
Maa |
em
zwölfte Maa |
|
dr dryssigscht
Maa |
em
dryssigschte Maa |
Sg. f. |
di zwölfti
Frou |
(d)er
zwölfte Frou |
|
di dryssigschti
Frou |
(d)er
dryssigschte Frou |
Sg. n.
|
ds zwölfte
Ching |
em
zwölfte Ching |
|
ds dryssigschte
Ching |
em
dryssigschte Ching |
Pl. m. |
di
zwölfte Manne |
de
zwölfte Manne |
|
di
dryssigschte Manne |
de
dryssigschte Manne |
Pl. f. |
di
zwölfte Froue |
de
zwölfte Froue |
|
di
dryssigschte Froue |
de
dryssigschte Froue |
Pl. n. |
di
zwölfte Ching |
de
zwölfte Ching |
|
di
dryssigschte Ching |
de
dryssigschte Ching |
Anmerkungen:
a) Nominalisierte Ordinalzahlen werden sowohl im Schrd. als auch im Bd.
analog zum Adjektiv auch nach Genus flektiert.
b) Wegen der Seltenheit adnominal gebrauchter Ordinalzahlen in NPs, die
mit einem unbestimmten Artikel oder einem Null-Determinativ beginnen, wird hier auf eine
entsprechende Tabelle verzichtet und auf Kapitel 3.5.ff verwiesen.
c) Ältere bd. SprecherInnen verwenden meistens die Form dryssgischt;
die Angleichung an die schrd. Form dreissigst- (dryssigscht-) kann aber als abgeschlossen
betrachtet werden.
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3.6.2. Das
Flektieren der Adjektive in prädikativer Stellung als
Besonderheit des Saanendeutsch (Berner
Oberland)
Dieser sprachlichen Eigenart sei hier ein wenig Platz eingeräumt, da sie doch sehr zu
erstaunen vermag und deshalb als anschauliches Beispiel mehr als andere Phänomene die
grammatischen Verschiedenheiten von Idiomen auf kleinstem Raum aufzeigt.
Während im Bd. wie im Schrd. die Adjektive in prädikativer Stellung unflektiert bleiben,
werden sie z.B. im Saanendeutsch flektiert. Diese Erscheinung tritt innerhalb des Kantons
Bern auch im Emmental und im Schwarzenburgerland auf, scheint da aber einerseits im
Schwinden begriffen zu sein, andererseits «hat sie schon den Charakter einer bewussten
Sprechweise, eines bestimmten Stils angenommen» 6. (S.
119).
Beispiel für das Flektieren des Adjektivs bruun in der Funktion einer E8 (Qualitativ-
oder Adjektivalergänzung):
Saad. m. Der Schnee isch
bruuna.
f. D Tane isch bruuni.
n. Ds Chind isch bruuns. (nach s: -es, wysses)
Pl. D Hüsleni sy bruuni. (genusunabhängig)
Die Angleichung des Adjektivs nach Kopulaverben im Saanendeutsch ist wahrscheinlich
zurückzuführen auf ein Weglassen eines wiederaufgreifenden unbestimmten Artikels, der
das Adjektiv die Aufgabe eines Nomens übernehmen, die E8 zur E7 (Subsumptiv- oder
Nominalergänzung) werden liesse. Nehmen wir an, dass in den die Adjektive in
prädikativer Stellung flektierenden Idiomen ein solcher (unsichtbarer) Null-Determinativ
zwischen Kopulaverb und Adjektiv vorhanden ist, müssten wir die vermeintliche E8 als E7
analysieren.
Beispiele für E7 mit nominalisiertem Adjektiv:
Saad. Der Schnee isch e bruuna.
Bd. Der Schnee isch e bruune.
Schrd. Der Schnee ist ein brauner.
Saad. D Tane isch e bruuni.
Bd. D Tanne isch e bruuni.
Schrd. Die Tanne ist eine braune.
Saad. Ds Chind isch es bruuns.
Bd. Ds Ching isch es bruuns.
Schrd. Das Kind ist ein braunes.
Das Adjektiv wird durch das Einfügen des unbestimmten Artikels nominalisiert und bildet
mit diesem zusammen eine Nominalphrase. Während das Schrd. und das Bd. beim Weglassen
dieses Artikels im auf das Kopulaverb folgenden Wort ein nicht zu flektierendes Adjektiv
sehen, könnten wir sagen, dass das Saanendeutsch und andere Idiome das eigentliche
Adjektiv weiterhin als Nomen behandeln und es flektieren.
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3.7.
Tempora
Es kann nicht in den Rahmen dieser Arbeit gehören, die vom Schrd. abweichenden
Flexionsformen zu untersuchen und irgendwie aufzulisten. Es gilt nur festzuhalten, dass es
im Bd. wie nicht anders zu erwarten von einer in erster Linie gesprochenen Sprache
z.T. mehrere Varianten für ein Verb in demselben Tempus, derselben Zahl und
derselben Person gibt, die allerdings meistens nicht stark voneinander abweichen. Auch die
grossen lautlichen oder gar lexikalischen Unterschiede bei den Verbstämmen selbst können
hier nicht aufgeführt werden, insbesondere weil generelle Gesetzmässigkeiten nicht
herauszuarbeiten sind, ohne die Etymologie mit einzubeziehen und sich eventuell sogar
darin zu verlieren.
Es geht in Kapitel 3.7. vielmehr darum zu zeigen, welche Tempora es im
Bd. überhaupt gibt und wie allfällige durch fehlende Tempora entstandene «Lücken»
gestopft werden. Dies mag z.T. stark in die Syntax übergreifen, insbesondere weil den
Adverbien im Zusammenhang mit den Verben eine wichtige Rolle zukommt und sie deshalb an
dieser Stelle nicht beiseite gelassen werden können. Ich gehe aber davon aus, dass die
ein- oder mehrteilige Verbphrase als das satzkonstitutive Element schlechthin primär als
Variante des darin enthaltenen Vollverbs aufzufassen ist und die Wortstellung hier deshalb
nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ferner wird in den Kapiteln 4.4.ff
und 4.5. näher auf die Wortstellung im finiten und infiniten
Nebensatz eingegangen. (Bei den Hauptsätzen erübrigt sich ein solcher Vergleich, da die
Stellung des Verbs oder der Verbphrase im Schrd. und im Bd. identisch ist.)
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3.7.1.
Das Präsens
Das bd. Präsens ist bis auf die bereits erwähnten lexikalischen und Flexem-Unterschiede
mit dem schrd. identisch. Es wird wie im Schrd. für die Beschreibung von Vorgängen und
Zuständen in der Gegenwart, der Zukunft oder der Vergangenheit (Präsens historicum)
verwendet. Auxiliarverben, Modalverben und Modalitätsverben dienen auch im Bd. der
Bildung von zusammengesetzten Tempora, von Verbphrasen.
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3.7.2.
Das Futur
Grundsätzlich können wir sagen, dass es im Bd. die Form des Futurs (werd- + Inf.), die
ein Modalverbgefüge ist, gibt; d.h. das Futur ist als Tempus vorhanden, wird aber sehr
selten verwendet. Im Normalfall kommt an Stelle des Futurs das Präsens zum Einsatz.
Dies hat einmal mehr damit zu tun, dass Bd. eine primär gesprochene Sprache ist. Im
Schrd. ist nämlich zu beobachten, dass das Futur mit der modalen Bedeutung «Zukunft» in
der geschriebenen Sprache häufiger verwendet wird als in der gesprochenen; in der
gesprochenen schrd. Sprache wird es sehr oft auch durch das Präsens ersetzt, insbesondere
dann, wenn eine temporale Adverbiale die zukünftige Bedeutung klar macht.
Und genau darauf baut auch das Bd.: Die bd. SprecherInnen haben keinerlei Bedenken, auf
das Futur zu verzichten, insbesondere dann nicht, wenn sie mit einer temporalen
Adverbialen den zeitlichen Zusammenhang markieren. Das Präsens ersetzt also das Futur.
Dazu ein paar Beispiele:
Bd. Morn gan i zersch mal i d
Schuel, nächhär chumen i hei u ise Zmittag.
Bd. I zwone Stung bin i mit
den Ufgabe fertig; de chan i cho spile.
Bd. Am nächschte Zystig
triffen i mi mit der Denyse; mir gö i Chino.
Bd. I wette, dass de
nächscht Wuche scho wider dym Laster frönsch.
Das Futur wird im Bd. nur emphatisch verwendet. Es kann durchaus auch dann stehen, wenn
eine temporale Adverbiale den zeitlichen Verhalt eigentlich bereits klar macht; genau die
dadurch erreichte Redundanz schafft ja gerade die Emphase, dies ganz in Analogie zum
Schrd.
Beispiele:
Bd. I wirde nie wider mit ihm
abmache!
Bd. Nei, e Straf wirden i der
nid gä, aber yverstande bin i nid dermit.
Bd. Är wird o morn nid mit
is cho spaziere.
Bd. Gloubsch mer eigetlech
nid, dass i nie meh e seregi Velotour wirde mache?
Was die modale Bedeutung «Möglichkeit in der Gegenwart» anbelangt, wird das Futur im
Bd. nur sehr selten verwendet (vgl. untenstehende Anmerkung): Wiederum tritt das Präsens
in der Regel an die Stelle des Futurs. Es gilt allerdings festzuhalten, dass insbesondere
ältere bd. SprecherInnen in diesem Fall noch immer recht häufig das Futur gebrauchen. Um
eine solche Möglichkeit auszudrücken, taucht im Schrd. sehr häufig das im Bd. in dieser
Bedeutung nicht vorhandene Wort wohl zusammen mit dem Futur oder aber auch dem Präsens
auf. Im Bd. drücken Wörter wie bestimmt, sicher, wahrschynlech diese Modalität aus,
deren jeweilige Entsprechung auch im Schrd. denselben Zweck erfüllen kann; nur können
diese Wörter im Bd. grundsätzlich nicht neben dem Futur stehen. Neben dem Futur können
im bd. etwa Wörter wie äue oder öppe, Entsprechungen des schrd. wohl.
Beispiele:
Schrd. Was, er ist noch nicht hier? Er wird (wohl)
krank sein.
Bd. Was, er isch no nid da?
Er isch wahrschynlech chrank.
Er wird (öppe) chrank sy.
Schrd. Sie wird (wohl) wieder einmal keine Lust dazu
haben.
Bd. Si het bestimmt
wider einisch ke Luscht derzue.
Si wird (äue) wider einisch ke Luscht derzue ha.
Schrd. Er wird jetzt schmollend zu Hause sitzen.
Bd. Er sitzt itz sicher
schmollend deheim.
Er wird itz schmollend deheim sitze.
Anmerkung:
Es ist klar, dass in den obigen Beispielen auch im Schrd. das Präsens das Futur ersetzen
kann, insbesondere in der gesprochenen Sprache.
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3.7.3. Das
Futur II
Zuerst einmal muss vorausgeschickt werden, dass im Schrd. das Futur II im Verschwinden
begriffen ist. Insbesonders wenn temporale Adverbialen die zukünftige Bedeutung explizit
machen, wird das Perfekt an Stelle des Futurs II verwendet. Das Futur II wird aber immer
noch recht häufig gebraucht, wenn eine Möglichkeit in der Vergangenheit ausgedrückt
werden soll.
Im Bd. wird das Futur II mit der Modalität «Vergangenheit in der Zukunft»
ausschliesslich emphatisch verwendet, wie das Futur also. Ferner taucht es auf, wenn eine
Möglichkeit in der Vergangenheit bezeichnet werden soll. Das Futur II kann immer durch
das Perfekt ersetzt werden, was wie im Schrd. z.Z. immer häufiger gemacht wird. Ob das
Futur II im Bd. oder im Schrd. einmal ganz verschwinden wird, kann heute noch niemand
sagen; denkbar ist es beim heutigen Hang zu Kürze und «Vereinfachungen» alleweil.
Beispiele für das emphatische Futur II und den jeweiligen Perfekt-Ersatz (Modalität:
Vergangenheit in der Zukunft):
Schrd. In zwei Wochen werde ich meine
Diplomarbeit geschrieben haben.
Bd. I zwone Wuche
wirden i myni Diplomarbeit gschribe ha.
Schrd. In zwei Wochen habe ich meine
Diplomarbeit geschrieben.
Bd. I zwone Wuche han i
myni Diplomarbeit gschribe.
Schrd. Du willst doch nicht sagen, dass du dies
in drei Tagen nicht erledigt
haben wirst?
Bd. Du wosch doch nid
säge, dass de das i dreine Täg nid wirsch erlediget ha?
Schrd. Du willst doch nicht sagen, dass du dies
in drei Tagen nicht erledigt hast?
Bd. Du wosch doch nid
säge, dass de das i dreine Täg nid erlediget hesch?
Beispiel für das Futur II und den Perfekt-Ersatz (Modalität: Möglichkeit in der
Vergangenheit):
Schrd. Er wird's (wohl) noch nicht gemacht
haben.
Bd. Er wird's no nid
gmacht ha.
Schrd. Er hat's wohl noch nicht gemacht.
Bd. Är het's
wahrschynlech no nid gmacht.
Anmerkung:
Mittels der unterstrichenen Adverbien kann bei der Perfekt-Variante die Modalität den
ZuhörerInnen vermittelt werden; das Futur II kann so problemlos durch das Perfekt ersetzt
werden.
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3.7.4. Das
Perfekt
In allen Schweizer Dialekten gibt es das Präteritum nicht. Diese Tatsache führt zu einem
sprachlichen Defizit, dem die Schweizer Idiome eine durchaus taugliche Alternative
entgegensetzen können: Das Perfekt (Vaf im Präs. + Part. II) wird
als einzige einfache Vergangenheitsform verwendet. Diese hat seit dem späten Mittelalter
im oberdeutschen Raum das alte, direkt gebildete Präteritum verdrängt 6. (S. 159).
Ein Nachteil mag sein, dass die traditionelle und häufigste Verbform für Erzählungen
sich im Bd. aus zwei Verben zusammensetzt falls nicht auf das historische Präsens
zurückgegriffen wird , während im Schrd. dafür normalerweise das kurze und
prägnante Präteritum verwendet wird. Das Bd. ist hier vielleicht ein wenig
schwerfällig, was aber seinem eher langsamen Charakter eigentlich nur gerecht wird, der
zwar eigentlich nur ein Klischee ist und anderen Schweizer Idiomen, die auch nur über das
Perfekt verfügen, nicht nachgesagt wird.
Beispiele:
Schrd. Hast du ihm jetzt endlich gesagt, was du
von ihm hältst?
Bd. Hesch em itz
ändlech gseit, was de von ihm haltisch?
Schrd. Als sie kam, erschrak die ganze Meute
und wollte wissen, wie sie denn nun
eigentlich hierher gekommen war.
Bd. Wo si isch cho,
isch di ganzi Möite verschrocke u het wölle wüsse, wi si de itz
eigetlech isch dahäre cho.
Schrd. Ich wollte es ihm schon sagen, nur war
ich leider wieder mal zu zurückhaltend.
Bd. I han em's scho
wölle säge, nume bin i leider wider mal z zrügghaltend gsy.
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3.7.5. Das
berndeutsche Plusquamperfekt
Als Konsequenz des fehlenden Präteritums (siehe 3.7.4.) gibt es im
Bd. kein Plusquamperfekt, das analog zum schrd. gebildet werden kann (Vaf
im Prät. + Part. II). Die bd. Variante des Plusquamperfekts wird anschliessend gleich
vorgestellt; doch zuerst einmal soll das schrd. Plusquamperfekt dem bd. Perfekt in
Beispielen gegenübergestellt werden.
Im Schrd. dient das Plusquamperfekt ja dem Ausdrücken der Vorzeitigkeit in der
Vergangenheit. Während das Schrd. der Zeitabfolge in der Vergangenheit grammatisch, d.h.
mittels des Plusquamperfekts gerecht wird, bauen die Schweizer Dialekte in den meisten
Fällen auf die Logik der ZuhörerInnen und setzen das Perfekt.
Beispiele:
Schrd. Ich lief von zu Hause weg, weil ich
häufig geschlagen worden war.
Bd. I bi vo deheim
furtgloffe, wüll i hüüfig bi gschlage worde.
Schrd. Jetzt hast du das Buch also gefunden,
das ich zuvor verlegt hatte.
Bd. Itz hesch das Buech
also gfunde, won i vorhär ha verleit.
Schrd. Nachdem seine Tochter gestorben war,
setzte er sich nie mehr ans Klavier.
Bd. Nachdäm syni
Tochter gstorben isch, isch er nie meh a ds Klavier ghocket.
Es gibt wohl niemanden berndeutscher Zunge, die/der eines dieser Beispiele falsch
verstanden hätte. Ein höherer Grad an Explizitheit wird durch ein Adverb wie vorhär (2.
Bsp.) oder durch den im Bd. eher seltenen und z.T. als «zu deutsch» geltenden Subjunktor
nachdäm (3. Bsp.) erreicht. Es scheint also durchaus zu genügen, nur über das Perfekt
zu verfügen.
Dennoch kann das Bd. die Vorzeitigkeit in der Vergangenheit innerhalb der Verbphrase
ausdrücken, indem es ein zweites Partizip II hinzufügt. Es ist dies das Partizip II des
vorangehenden, zur Bildung des Perfekts im Präsens stehenden Auxiliarverbs (Ausnahmen
siehe unten). Während das schrd. Plusquamperfekt ja aus Vaf im
Prät. + Part. II gebildet wird, besteht das bd. Plusquamperfekt Werner Marti
jedenfalls nennt diesen Tempus so, und der Begriff soll hier ohne zu zögern übernommen
werden aus Vaf im Präs. + Part. II + Part. II, d.h. das bd.
Perfekt ersetzt auch hier das schrd. Präteritum:
(Pron.) ich - i (Pron.)
(Prät.) war - bi gsy (Perf.
[Vaf im Präs. + Part. II])
(Part. II) gegangen - ggange (Part. II)
Das bd. Plusquamperfekt kann allerdings ausschliesslich in Nebensätzen verwendet werden,
wenn der ebenfalls in der Vergangenheit stehende Hauptsatz dazu nachzeitig ist. Es
benötigt also den direkten zeitlichen Zusammenhang; in einem selbständigen Hauptsatz
kann es nie stehen; dies im Gegensatz zum schrd. Plusquamperfekt.
Diese Alternative des Plusquamperfekts zum Perfekt ist rein fakultativ und wird eher
selten angewandt. Sie gelangt nur zur Anwendung, wenn der/die SprecherIn Wert legt auf
einen hohen Grad an Explizitheit.
Beispiele:
Bd. Wüll er d
Abschlussprüefig nid het bestande gha, het er es Zytli z Frankrych als
Hilfsarbeiter bbüglet.
Schrd. Weil er die Abschlussprüfung nicht
bestanden hatte, arbeitete er eine Zeit lang
in Frankreich als Hilfsarbeiter.
Bd. Wo iri Muetter isch
gstorbe gsy, het si alli Fröid am Läbe verlore.
Schrd. Nachdem ihre Mutter gestorben war,
verlor sie alle Freude am Leben.
Bd. Obschon si no nie
isch uf ds Spitzhorn gwanderet gsy, het si d Ussicht, wo me
vo dert het, genau chönne beschrybe.
Schrd. Obschon sie noch nie auf das Spitzhorn
gewandert war, konnte sie die Aussicht,
die man von dort hat, genau beschreiben.
In folgenden Fällen kann dieses Plusquamperfekt nicht gebildet werden; das Perfekt bleibt
die einzig mögliche Vergangenheitsform:
a) Wenn der vorzeitige Nebensatz im Passiv steht;
b) wenn das Vollverb des vorzeitigen Nebensatzes
haben ist;
c) wenn das Vollverb des vorzeitigen Nebensatzes sein
ist;
d) wenn das Vollverb des vorzeitigen Nebensatzes
durch ein Modalverb modifiziert wird.
Beispiele für diese vier «Plusquamperfekt-inkompatiblen» Fälle im Bd., mit den
jeweiligen Falschbildungen (Asterisk!):
a) Bd. Wüll er immer isch
gschlage worde, isch er vo deheim furtgloffe.
*
Wüll er immer isch gschlage worde gsy, isch er vo deheim furtgloffe.
Schrd. Weil er immer
geschlagen worden war, lief er von zu Hause weg.
b) Bd. Wüll si das Buech nid
zur Verfüegig hei gha, isch iri Arbeit schlächt usecho.
*
Wüll si das Buech nid zur Verfüegig hei gha gha, isch iri Arbeit schlächt
usecho.
Schrd. Weil sie dieses
Buch nicht zur Verfügung gehabt hatten, kam ihre Arbeit
schlecht heraus.
c) Bd. Wüll si lang isch
chrank gsy, het si der Aaschluss i der Schuel verpasst.
*
Wüll si lang isch chrank gsy gsy, het si der Aaschluss i der Schuel verpasst.
Schrd. Weil sie lange
krank gewesen war, verpasste sie den Anschluss in der Schule.
d) Bd. Wüll er dert anno
1942 nid het ddörfe mitmache, isch er sys ganze Läbe lang
frustriert gsy.
*
Wüll er dert anno 1942 nid het ddörfe mitmache gha, isch er sys ganze Läbe
lang frustriert gsy.
Schrd. Weil er dort anno 1942
nicht hatte mitmachen dürfen, war er sein ganzes
Leben lang frustriert.
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3.7.6.
Das berndeutsche «Dihrzen»
Grob gesagt siezen sich die Leute östlich der Brünig-Napf-Reuss-Linie, westlich davon
«dihrzen» sie sich. Das bedeutet für die bd. SprecherInnen, dass die Höflichkeitsform,
die sie gebrauchen, identisch ist mit der 2. Pers. Pl. (inkl. Verbform und allfälligem
Reflexivpronomen), während diese in den östlicheren Schweizer Idiomen von der
Höflichkeitsform unterschieden werden kann. Wenn im Bd. jemand zu einer Person dihr
(schwachtonige Form: 'er) sagt, liegt klar eine Höflichkeitsform vor, wird das
Personalpronomen dihr gegenüber zwei und mehr Personen verwendet, geht nicht daraus
hervor, ob diese nun geduzt oder «gesiezt» werden. In geschriebenen Texten wird die
starke Form von dihr in der Höflichkeitsform wie im Schrd. gross geschrieben (die
schwache beginnt mit einem Apostroph): die Höflichkeitsform kann durch die
Grossschreibung graphisch markiert werden.
Beispiele:
Bd. Herr Duttli, heit
'er gseh, dass das so nid guet cha cho?
Schrd. Herr Duttli, haben Sie gesehen, dass
dies so nicht gut kommen kann?
Bd. Myni Damen u Herre,
Dihr heit nech bestimmt scho gfragt, öb üsi Firma u d
Firma XY tatsächlech wärde fusioniere.
Schrd. Meine Damen und Herren, Sie haben sich
bestimmt schon gefragt, ob unsere
Firma und die Firma XY tatsächlich fusionieren werden.
Bd. Tobias, Jerôme u
Sophie, dihr söttet mir scho echly meh hälfe.
Schrd. Tobias, Jerôme und Sophie, ihr solltet
mir schon ein bisschen mehr helfen.
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3.8.
Modus
3.8.1. Der Konjunktiv I
Der Konjunktiv I kommt im Bd. nur in abhängigen Interrogativsätzen (siehe 4.4.10.) und in der indirekten Rede vor. (Schrd. Sätze wie Komme er
doch bald! werden im Bd. z.B. mittels wenn + Konj. II paraphrasiert.)
Beispiele:
Schrd. Er fragte ihn, ob er denn eigentlich
immer noch nicht genug gegessen habe.
Bd. Er het ne gfragt,
öb er de eigetlech immer no nid gnue heig ggässe.
Schrd. Die sagten doch tatsächlich, sie seien
noch nie so schlecht bedient worden.
Bd. Di hei doch
tatsächlech gseit, si syge no nie so schlächt bedient worde.
Schrd. Sie sagte ihm, sie repariere gerade ihr
Fahrrad.
Bd. Si het em gseit, si
flicki grad ires Velo.
Schrd. Er rüste nur noch den Salat, kam es aus
der Küche.
Bd. Er rüschti nume no
der Salat, het's us der Chuchi tönt.
Anmerkung:
Während im Schrd. in der indirekten Rede auch der Konjunktiv II stehen kann, wodurch sich
der/die SprecherIn stärker distanziert, ist dies im Bd. nicht möglich, ausser wenn vom
Nebensatz in der indirekten Rede ein Konditionalsatz abhängt.
Im Bd. werden insbesondere diejenige Konj.-I-Formen, welche mittels eines an den Verbstamm
angehängten i gebildet werden, oft mit tue im Konj. I + Inf. umgangen bzw. paraphrasiert.
Dies ist eine Konstruktion, die es im Standard-Schrd. nicht gibt: tun ist im Schrd.
ausschliesslich Vollverb, im Bd. ist es fast immer Modalverb: Das äquivalente bd. Verb
des schrd. Vollverbs tun ist mache. In festen Wendungen allerdings kann tue Vollverb sein:
blöd tue, nätt tue, leid tue, oder wenn ein Verbzusatz (z.B. Präfix) dazukommt: abtue,
sech vertue.
Beispiele:
Bd. Si het em gseit, si
tüeig grad ires Velo flicke.
Schrd. Sie sagte ihm, sie repariere gerade ihr
Fahrrad.
Bd. Er tüeig nume no
dr Salat rüschte, het's us der Chuchi tönt.
Schrd. Er rüste nur noch den Salat, kam es aus
der Küche.
Bd. Würum hesch
eigetlech versproche, dass de de hüt morge tüeigsch abwäsche?
Schrd. Weshalb hast du eigentlich versprochen,
dass du heute morgen abwaschen
würdest.
Anmerkungen:
a) Im letzten Beispiel steht im schrd. NS wegen der Nachzeitigkeit in
der Vergangenheit der Konjunktiv II, wogegen im Bd. in der Umschreibung mit tue der
Konjunktiv I steht.
b) Sofern der Subjunktor nicht schon dass ist, können alle NS in der indirekten Rede
sowohl im Schrd. als auch im Bd. mit dem Subjunktor dass eingeleitet werden,
vorzüglicherweise wenn der NS auf den HS folgt.
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3.8.2. Der
Konjunktiv II
3.8.2.1. Der synthetische Konjunktiv
Es mag in gewisser Weise erstaunen, dass es im Bd. den synthetischen Konjunktiv II
überhaupt gibt, da er eigentlich vom Präteritum abgeleitet wird, welches im Bd. ja nicht
mehr existiert.
Auf die Vielfalt der Konjunktiv-II-Formen der bd. Verben bei starken Verben gibt es
oft zwei Varianten des synthetischen Konjunktivs II kann hier nicht eingegangen
werden. Es sei allerdings angemerkt, dass manche bd. SprecherInnen ab und zu den
«Fehler» machen, an eine starke Konjunktiv-II-Form noch ein Flexem anzuhängen, das für
die Bildung des Konjunktivs II der schwachen Verben verwendet wird (Beispiel: I gäbti nid
sövu Gäld uus für son e Schwachsinn.).
Beispiel für den synthetischen Konjunktiv II eines starken Verbs:
gä
(geben) |
ig |
gäb,
guub |
du |
gäbsch,
guubsch |
är,
si, äs |
gäb,
guub |
mir |
gäbe,
guube |
dihr |
gäbet,
guubet |
si |
gäbe,
guube |
Der synthetische Konjunktiv II am Beispiel eines
schwachen Verbs:
lache
(lachen) |
ig |
lachti |
du |
lachtisch |
är,
si, äs |
lachti |
mir |
lachti,
lachte |
dihr |
lachtit |
si |
lachti,
lachte |
Anmerkung:
Im Gegensatz zum Schrd. ist im Bd. jede Form des synthetischen Konjunktivs II als solche
erkennbar: Während im Schrd. bei den schwachen Verben das Präteritum immer mit dem
Konjunktiv II identisch ist, gibt es im Bd. keinerlei Überschneidungen in diesem Bereich.
Dadurch erübrigte sich im Bd. eigentlich die Bildung des analytischen Konjunktivs.
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3.8.2.2.
Synthetischer oder analytischer Konjunktiv II?
Wie im gesprochenen Schrd. ist im Bd. die Tendenz zum vermehrten Gebrauch des analytischen
Konjunktivs (werd- im Konj. II + Inf.) zu beobachten. Diese praktische Paraphrase ist im
Bd. eigentlich schon fast der Normalfall insbesondere bei den schwachen Verben
, ausser bei den im Alltag sehr häufig vorkommenden Verben. Wer bildet denn heute
noch einen bd. Satz wie I lies das blybe, wen i di wär. (Ich liesse dies bleiben, wenn
ich du wäre.)?
In welchen Fällen also wird im heutigen Bd. der analytische Konjunktiv in der Regel dem
synthetischen Konjunktiv II vorgezogen?
1. Bei den schwachen Verben, da das an den Verbstamm
angehängte Flexem -ti als altmodisch oder «zu ländlich» gilt
und viele SprecherInnen diese Form gar nicht kennen, obwohl sie
sie im passiven «Wortschatz» wohl haben.
2. Bei den starken Verben,
a) wenn der/die SprecherIn Missverständnisse
oder Nichtverstehen bei dem/der ZuhörerIn
befürchtet;
b) wenn die Form antiquiert wirkt;
c) wenn der/die SprecherIn die synthetische
Form nicht kennt (v.a. bei Jugendlichen).
Dagegen wird der synthetische Konjunktiv II im Bd. noch immer fast ausnahmslos verwendet
bei den Vollverben ha und sy, die ja auch Auxiliarverben sein können. Dies ist darauf
zurückzuführen, dass diese beiden Verben als Auxiliarverben in der Form des
synthetischen Konjunktivs II zur Bildung des Irrealis (Vaf im Konj.
II + Part. II) gebraucht werden und somit unentbehrlich sind. Die Bildung des analytischen
Konjunktivs der genannten bd. Auxiliarverben ist ferner höchst umstritten, um nicht zu
sagen falsch, und wird ab und zu von eher «schlechten» SprecherInnen gemacht.
Die folgenden Beispiele des synthetischen und des umstrittenen analytischen Konjunktivs II
der Auxiliarverben ha und sy in der Funktion eines Vollverbs oder modifizierenden Verbs
demonstrieren dies:
Bd. Wen i so viil Glück
hätt wi du, würd i mi «von» schrybe.
Bd. Wen i so viil Glück
würd ha wi du, würd i mi «von» schrybe.
Bd. Wär er nid immer so
nätt, gäb si sech wahrschynlech scho lang nümm mit ihm
ab.
Bd. Würd er nid immer so
nätt sy, gäb si sech wahrschynlech scho lang nümm mit
ihm ab.
Bd. We das no z mache wär,
gäb er sech wahrschynlech nid so gelasse.
Bd. We das no z mache würd
sy, gäb er sech wahrschynlech nid so gelasse.
Alle anderen Verben, inklusive Modalverben (ausser sölle), können im Konjunktiv II
mit gewissen Restriktionen sowohl in der synthetischen als auch in der
analytischen Form auftreten. Es sind in diesem Bereich eigentlich keine Unterschiede zum
gesprochenen Schrd. auszumachen. Ein Vorteil der bd. Satzstellung in Nebensätzen ist
sicherlich, dass zwei würd- bei Inversion im auf einen NS folgenden HS nie
unmittelbar nacheinander zu stehen kommen und nur von einem Komma getrennt sind. (Dies
wäre im ersten der untenstehenden Beispielen der Fall, weshalb in der schrd. Version nur
im HS der analytische Konjunktiv verwendet wurde.)
Beispiele:
Schrd. Wenn er sowas zum ersten Mal sähe, fragte er
sich wohl schon, was das soll.
Wenn er sowas zum ersten Mal sähe, würde er sich wohl schon fragen, was das
soll.
Bd. Wen er so öppis
zum erste Mal gsäch/gsuuch, fragti er sech wahrschynlech
scho, was was
söll.
Wen er so öppis zum erste Mal würd gseh, würd er sech wahrschynlech scho
frage, was das
söll.
Schrd. Ich an deiner Stelle gäbe ihm das Buch nicht
zu lesen.
Ich an deiner Stelle würde ihm das Buch nicht zu lesen geben.
Bd. Ig a dynere Stell
gäb/guub em das Buech nid z läse.
Ig a dynere Stell würd em das Buech nid z läse gä.
Schrd. Machte sie ihre Hausaufgaben sofort, hätte
sie sicherlich noch genug Zeit, um
ins Kino zu
gehen.
Würde sie ihre Hausaufgaben sofort machen, hätte sie sicherlich noch genug
Zeit, um ins Kino
zu gehen.
Bd. Miech/machti si iri
Ufgabe sofort, hätt si sicher no gnue Zyt, für i Chino z ga.
Würd si iri Ufgabe sofort mache, hätt si sicher no gnue Zyt, für i Chino z ga.
Schrd. Er könnte diese Arbeit schon beenden, wenn er
nur wollte.
Er würde diese Arbeit schon beenden können, wenn er nur wollte.
Bd. Er chönnt die Arbeit
scho fertig mache, wen er nume wett.
Er würd die Arbeit scho chönne fertig mache, wen er nume wett.
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4.
Syntaktische Unterschiede zwischen Berndeutsch und Schriftdeutsch.
4.1.
Der Determinativ
Die verschiedenen Determinative, die es im Bd. und im Schrd. gibt, verhalten sich
syntaktisch gleich: Sie sind obligatorische Begleiter des Nomens und stehen als solche
immer an erster Stelle innerhalb des Vorfelds eines Nomens. «Obligatorisch» bedeutet,
dass frau/man einfach von einem Null-Determinativ spricht, wenn dieser Determinativ nicht
vorhanden bzw. unsichtbar ist.
Deshalb werden im folgenden zwei nur von der schrd. Oberflächenstruktur abweichende
Besonderheiten des Bd. erläutert, die allerdings an der syntaktischen Struktur nichts
verändern. Trotzdem sollen diese Eigenarten im Syntax-Teil dieser Arbeit behandelt
werden.
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4.1.1.
Bestimmter Artikel vor Personennamen und Titeln im Berndeutsch
Während im Schrd. vor sämtlichen Personennamen der (unsichtbare) Null-Determinativ
steht, ist es im Bd. unerlässlich, den bestimmten Artikel vor die Namen zu setzen, selbst
wenn diesen die Wörter Frau/Herr, ein Titel, ein weiterer Name oder alle drei
vorausgehen. Der bestimmte Artikel wird im Bd. in den Kasus Nominativ, Akkusativ und Dativ
vor Namen und Titel gesetzt. (Genitiv und Ausnahmen: siehe unten.)
Beispiele für den zwingenden bestimmten Artikel vor Namen und Titeln im Bd.:
Bd. der Reto, d Tamara,
ds Lisi
Schrd. Reto, Tamara, Lisi
Bd. der Herr Benedetti,
d Frou Frösch
Schrd. Herr Benedetti, Frau Frösch
Bd. der PLO-Chef
Arafat, d Staatspresidäntin Vigdis Finnbogadottir
Schrd. PLO-Chef Arafat, Staatspräsidentin
Vigdis Finnbogadottir
Bd. der Herr Dr. Arnd,
d Frou Dr. Zingg
Schrd. Herr Dr. Arnd, Frau Dr. Zingg
Bd. em Herr Müller, er
Frou Alice Zahnd (Dat.)
Schrd. Herrn Müller, Frau Alice Zahnd (Dat.)
In folgenden Fällen wird der bestimmte Artikel im Bd. wie im Schrd. nicht gesetzt; es
steht der Null-Determinativ:
a) Wenn ein Name in den Plural gesetzt wird und so
mehrere Personen bezeichnet werden;
b) wenn der betreffende Name oder Titel in den
sächsischen Genitiv gesetzt wird;
c) wenn der Titel- oder Namensträger direkt
angesprochen wird.
Beispiele:
a) Bd. Müllers sy eigetlech
ganz nätti Nachbare.
Schrd. Müllers sind
eigentlich ganz nette Nachbarn.
b) Bd. Was, du hesch Sonjas
Schue nid gfunde?
Schrd. Was, du hast
Sonjas Schuhe nicht gefunden?
c) Bd. Jürg, chasch mer nid
bitte hälfe trage?
Schrd. Jürg, kannst du
mir nicht bitte tragen helfen?
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4.1.2.
Weglassen des bestimmten Artikels zwischen gewissen
Präpositionen und männlichen Nomina im
Berndeutsch
Im Bd. wird der bestimmte Artikel nach den Präpositionen a und i weggelassen, wenn diese
den Akkusativ verlangen und das nachfolgende Nomen männlich ist. Wie in 3.1.1.
erwähnt, lautet der bestimmte männliche Artikel nach Präpositionen wie uf und hinger
nur noch e an Stelle von der (Akk.) und wird direkt angehängt. An die
beiden nur aus einem Vokal bestehenden Präpositionen a und i kann diese Schwundform nicht
angehängt werden, und die Möglichkeit eines Bindungs-n fällt auch weg, da ane und ine
bereits besetzt sind, wenn auch in getrennter Schreibweise: an e und in e = Präp. +
unbest. Art. Durch das Weglassen des bestimmten Artikels bzw. die Verwendung des
Null-Artikels wird demnach die Opposition zur Vermeidung von Polysemie geschaffen.
Beispiele:
Schrd. Wir gehen an den Bahnhof.
Bd. Mir gö a Bahnhof.
Schrd. Er geht in den Garten.
Bd. Er geit i Garte.
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4.2.
Der fehlende Genitiv im Berndeutsch und die entsprechenden
möglichen Paraphrasen
Im Bd. ist der Genitiv bis auf den sächsischen Genitiv (siehe 3.5.3.1.)
inexistent. Er wird meistens ersetzt durch: Präposition vo + Dat. Nur wenn der Genitiv
die Funktion einer obligatorischen Ergänzung zum Verb hat, muss die bd. Sprache eine
andere Lösung finden (siehe 4.2.3.).
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4.2.1. Angabe
zum Nomen
possessiver Genitiv:
Schrd. die Fühler der Languste
Bd. d Füeler vo der Languste
der Langusten iri Füeler
Schrd. das Fahrrad meines älteren Bruders
Bd. ds Velo vo mym eltere
Brueder mym eltere Brueder sys Velo
vgl. Schrd. Am Fahrrad meines
älteren Bruders befestigte ich den Korb.
Bd. A
mym eltere Brueder sym Velo han i dr Chorb aagmacht.
Schrd. der Arm eines Krans
Bd. der Arm vomene Kran
emene Kran sy Arm
Anmerkung:
Die jeweils als zweite bd. Variante aufgeführte Paraphrase Determinativ,
(Adjektiv,) Nomen im Dativ + possessiver Determinativ (im selben Kasus wie das
nachfolgende Nomen) im Vorfeld des modifizierten Nomens ist genauso häufig wie die
vo-Umschreibung. Diese Genitiv-Paraphrase mittels Dativ basiert auf einer NP bestehend aus
possessivem Determinativ und Nomen (z.B. sys Velo) einer sehr einfachen und
häufigen NP-Form also , der die NP im Dativ vorangestellt wird, die im schrd.
äquivalenten Satz im Genitiv nach dem Nomen steht.
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4.2.2.
Ergänzung zum Nomen (fakultativ)
subjektiver Genitiv:
Schrd. der Angriff der Engländer
Bd. der Aagriff vo den
Ängländer
den Ängländer iren Aagriff
objektiver Genitiv:
Schrd. die Ausstellung seiner Bilder
Bd. d Usstelig vo syne Bilder
* syne Bilder iri Usstelig (wäre possessiver Genitiv; Bed.: seinen Bildern
gehört die Ausstellung, seine Bilder selbst machen eine Ausstellung)
explikativer Genitiv:
Schrd. das Problem der Liebe
Bd. ds Problem vo der Liebi
* der Liebi ires Problem (wäre possessiver Genitiv; Bed.: der Liebe gehört das
Problem, die Liebe selbst hat ein Problem)
Anmerkung:
Während die bd. Genitiv-Paraphrase mittels vorangestellter NP im Dativ + possess.
Determinativ in der Funktion eines subjektiven Genitivs funktioniert, ist sie beim
objektiven und explikativen Genitiv falsch, da sie einzig als possessiven Genitiv
verstanden werden könnte. Dass die erwähnte Paraphrase des subjektiven Genitivs nicht
mit der Bedeutung eines possessiven Genitivs verwechselt wird, muss daran liegen, dass
niemand eine von sich selbst ausgeführte Handlung als sein Eigentum bezeichnen kann. Die
possessive Bedeutung fällt also weg, und die Paraphrase wird richtig interpretiert.
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4.2.3.
Ergänzung zum Verb (obligatorisch)
Im Schrd. sind es nur wenige Verben, die eine Genitivergänzung (E2) verlangen. Im
folgenden werden die drei bd. Paraphrase-Typen von solchen schrd. E2 vorgestellt, die sich
je nach Verb anbieten.
1. Der schrd. Genitiv wird im Bd. durch den Dativ ersetzt:
Schrd. Am Sonntag gedenken wir unserer
Vorväter.
Bd. Em Sunntig gedänke
mer üsne Vorvätter.
Schrd. Die Polizei konnte ihres Widersachers
nicht habhaft werden.
Bd. D Polizei het irem
Widersacher nid chönne habhaft wärde.
2. Das schrd. Verb bleibt im Bd. lexikalisch gleich, wird aber durch
eine Präposition ergänzt, die nicht den Genitiv verlangt:
Schrd. Wir wollen uns immer der vergangenen
Tage erinnern.
Bd. Mir wei nis immer a
di vergangene Tage erinnere.
---> sich erinnern + Gen. wird durch sech erinnere a + Akk.
ersetzt, eine
Paraphrase, die auch im Schrd. verwendet werden kann (sich erinnern
an + Akk.).
3. Das schrd. Verb, das den Genitiv verlangt, wird im Bd. durch
ein anderes Verb ersetzt (lexikalische Paraphrase):
Schrd. Wir bedienen uns dieser Hilfsmittel nur
ungern.
Bd. Mir bruuche die
Hilfsmittu nume ungärn.
---> sich bedienen + Gen. wird durch bruuche + Akk. ersetzt,
auch dies eine
im Schrd. ebenfalls mögliche Paraphrase (brauchen + Akk.).
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4.2.4.
Ergänzung zu Präposition (obligatorisch)
Einige schrd. Präpositionen regieren den Genitiv. Im Bd. wird diese E2 entweder durch
eine E3 (Dativergänzung) oder durch die Präposition vo + Dat. ersetzt. Die letztgenannte
Konstruktion (T + TP [T + T + NP]) gibt es im Schrd. nicht, ausser in komplexen
Konstruktionen, wo die TP selbst im Vorfeld eines weiteren Nomens steht.
Beispiele:
Schrd. wegen seines Geldes
Bd. wäg(e) sym Gäld
Schrd. kraft seines Wissens
Bd. chraft vo sym
Wüsse
Schrd. mittels dieser Umfahrung
Bd. mittels vo deren
Umfahrig
Anmerkungen:
Nach der Präposition wegen wird im Schrd. heute bereits recht oft insbesondere in
der gesprochenen Sprache der Dativ gesetzt. Während dieser im Bd. zwingend ist,
bleibt er im Schrd. vorläufig noch eine Variante.
Die Präpositionen kraft und mittels sind im Bd. sehr selten und werden eigentlich nur
verwendet, wenn der/die SprecherIn sich sehr präzise ausdrücken will und deshalb
eigentlich am liebsten aufs Schriftdeutsch zurückgreifen, sich dies dennoch nicht
«leisten» möchte. Diese beiden Präpositionen werden denn auch meistens sehr
«schriftdeutsch» ausgesprochen, sozusagen phonetisch als Lehnwörter markiert.
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4.3.
Der Relativsatz
Von der Wortstellung innerhalb der Verbphrase einmal abgesehen, die in Kapitel 4.4.ff näher behandelt wird, unterscheidet sich die bd. Wortstellung im
Relativsatz nicht von der schrd., wenn das Relativpronomen im Nominativ oder Akkusativ
ist. Deshalb wird diesen Kasus hier kein Platz eingeräumt; es sei nur auf Kapitel 3.2.3. verwiesen, in welchem Beispiele für diese Relativsatz-Typen zu
finden sind.
Ist die erste Phrase im äquivalenten schrd. Relativsatz eine E3, E4, E5 oder E6, besteht
aus den Wörtern dessen, deren oder derer (alle drei E0, E1, E2 od. E3) oder beginnt mit
den Relativpronomina dessen bzw. deren (siehe insbesondere 4.3.3.),
ist die bd. Wortstellung nicht mehr analog zur schrd. In den anschliessend beschriebenen
Fällen weicht die bd. Wortstellung aus Paraphrasierungsgründen beträchtlich von der
schrd. ab.
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4.3.1.
Schriftdeutsche Relativpronomina im Dativ und berndeutsche Paraphrase
Während im Schrd. das subjunktive Relativelement d- mit dem Pronomen im Dativ
verschmilzt, ist dies im Bd. nicht möglich. Das Bd. hilft sich hier mit einer Paraphrase,
bestehend aus dem sr wo und einem sich nach dem Bezugswort im übergeordneten Satz
richtenden Pronomen.
Ist im Bd. die E0 des Relativsatzes ein Pronomen, bildet das sr mit der E3 eine Klammer,
was folgende Wortstellung ergibt:
sr - E0 - E3 - VP.
Dazu im Vergleich die schrd. Wortstellung in einem äquivalenten Relativsatz:
sr/E3 - E0 - VP.
Besteht die E0 des Relativsatzes aus einer NP (mindestens Determinativ und Nomen), rücken
im Bd. sr und E3 wieder zusammen:
Bd. sr - E3 - E0 - VP.
Schrd. sr/E3 - E0 - VP.
Beispiele:
Schrd. Der Typ, dem er schon seit langem diese LP
hätte zurückgeben müssen, war
stinksauer.
Bd. Der Typ, won er ihm
eigetlech scho sit langem d LP hätt müesse zrügggä, isch
stinksuur gsy.
Schrd. Frau Binggeli, der Layla nicht gerade gerne
begegnet, versperrte das ganze
Treppenhaus mit
ihren Einkaufstaschen.
Bd. D Frou Binggeli, wo 're d
Layla nid grad gärn begägnet, het ds ganze Stägehuus
mit irnen
Ychoufstäsche versperrt.
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4.3.2. Pronomen
als Ergänzung zu Präposition im mit dem subjunktiven
Relativelement eingeleiteten berndeutschen
Relativsatz
Komplizierter wird es im Bd., wenn im äquivalenten schrd. Relativsatz eine Präposition
vor dem Relativpronomen steht, also mit einer E4, E5 oder E6 beginnt.
Die TP, die im bd. RS zusammen mit dem sr eine Klammer bildet, kann nie vor der E0
desselben RS stehen; sie ist aber beliebig verschiebbar zwischen E0 und VP und kann in
Ausnahmefällen sogar mitten in der VP stehen.
Frau/man beachte in den folgenden zwei Beispielen insbesondere die verschiedenen
Stellungen der TP im bd. RS:
Schrd. Die alte Frau, für die sie während drei
Jahren einkaufen ging, ist jetzt schon
seit einer Woche
tot.
Bd. 1.
Di alti Frou, wo si währed drü Jahr für se d Kommissione het
gmacht,
isch itz scho sit eire Wuche tod.
2. Di alti Frou, wo si für se währed drü Jahr d Kommissione
het gmacht,
isch itz scho sit eire Wuche tod.
3. Di alti Frou, wo si währed drü Jahr d Kommissione für se
het gmacht,
isch itz scho sit eire Wuche tod.
Schrd. Das Schweinchen, auf dem unser jüngster Sohn
wie verrückt ritt, schien sich
nicht sehr
aufzuregen.
Bd. 1.
Das Söili, wo üse jüngscht Suhn uf ihm wi wahnsinnig gritten
isch, het
sech offebar nid gross ufgregt.
2. Das Söili, wo üse jüngscht Suhn wi wahnsinnig uf ihm
gritten isch, het
sech offebar nid gross ufgregt.
Anmerkung:
Eine dritte Variante fällt beim zweiten Beispiel weg, weil im RS ganz einfach zu wenige
Elemente vorhanden sind.
Handelt es sich beim Bezugswort im übergeordneten Satz allerdings nicht um eine Person
oder um ein von dem/der SprecherIn personenähnlich erlebtes Wesen wie in den beiden
obigen Beispielen, sondern um eine Sache, tritt an die Stelle der TP in der Regel ein
Pronominaladverb.
Beispiele:
Schrd. Das Schweinchen, auf dem unser jüngster Sohn
wie verrückt ritt, schien sich
nicht sehr
aufzuregen.
Bd. 1.
Das Söili, wo üse jüngscht Suhn druff wi wahnsinnig gritten
isch, het
sech offebar nid gross ufgregt.
2. Das Söili, wo üse jüngscht Suhn wi wahnsinnig druff gritten
isch, het
sech offebar nid gross ufgregt.
Schrd. Der Ast der Dorflinde, an dem sich die
57jährige Rocksängerin hinaufziehen
wollte, brach mit lautem Krachen.
Bd. 1.
Der Ascht vor Dorflinde, wo sech di 57jährigi Rocksängere dran
het
wöllen ufezie, isch mit lutem Krache bbroche.
2. Der Ascht vor Dorflinde, wo sech di 57jährigi Rocksängere
het dran
wöllen ufezie, isch mit lutem Krache bbroche.
3. Der Ascht vor Dorflinde, wo sech di 57jährigi Rocksängere
het wölle
dran ufezie, isch mit lutem Krache bbroche.
Weitere Beispiele für Relativsätze, bei denen die am Anfang stehende schrd. TP im Bd.
mittels sr und Pronominaladverb paraphrasiert wird:
Schrd. die Sache, für die er seit zehn Jahren
einsteht
Bd. d Sach, won er sit zäh
Jahr derfür ysteit
Schrd. das Buch, nach dem sie sehr lange auf der
Suche war
Bd. ds Buech, wo si sehr lang
dernaa isch uf der Suechi gsy
Schrd. die Auseinandersetzung, vor der er sich
drückte
Bd. d Usenandersetzig, won er
sech dervor het ddrückt
Schrd. der Boum, auf den sie gleich klettern wird
Bd. dr Boum, wo si gly druf
ufechlätteret
Schrd. die Körner, mittels derer sie alle zum Lachen
brachte
Bd. d Chörner, wo si alli
dermit het zum Lache bbracht
---> Die T mittels wurde im bd. RS durch mit ersetzt, damit an die
Stelle des
Genitivs ein Dativ tritt, der die Bildung des Pronominaladverbs dermit
ermöglicht. (Auch im Schrd. kann mittels meistens durch mit ersetzt
werden.)
Schrd. das Amt, kraft dessen sie viel Macht hat
Bd. --->
Die ganze NP müsste paraphrasiert werden, da nicht zugleich der
Genitiv in eine TP (vo + Dat.) umgewandelt werden kann und als solche
Ergänzung der T chraft sein kann: das Amt, chraft vo däm si viil Macht
het gilt nicht mehr als «gutes» Berndeutsch.
Es gilt festzuhalten, dass in den genannten Beispielen die Verwendung des passenden
Pronominaladverbs der Normalfall ist, dass aber manche bd. SprecherInnen in solchen
Fällen durchaus ab und zu eine TP setzen.
Beispiele für TPs bei «unpersönlichem» Bezugswort:
Bd. d Sach, won er sit zäh
Jahr für se ysteit
Bd. ds Buech, wo si sehr lang
nach em isch uf der Suechi gsy
Bd. d Usenandersetzig, won er
sech vorere het ddrückt
Bd. dr Boum, wo si gly uf ne
ufechlätteret
Anmerkung:
Das zweite Beispiel ist wohl sogar häufiger zu hören als das Äquivalent mit
Pronominaladverb, da dernaa, das die TP ersetzen kann, als etwas antiquiert empfunden
wird.
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4.3.3. Die
schriftdeutschen relativsatzeinleitenden Wörter dessen, deren und
derer und die möglichen berndeutschen Paraphrasen
Das schrd. Wort dessen ist sehr schwierig zu analysieren. Als Pronomen tritt es auf in den
Formen dessen (m./n. Sg.), deren (f. Sg.) und derer (m./f./n. Pl.) alle drei
ausschliesslich in den Funktionen einer E2 oder einer Ergänzung innerhalb einer E4, E5
od. E6. Ist es Determinativ, existieren die Formen dessen (m./n. Sg.) und deren (f. Sg.,
m./f./n. Pl.). Das Genus und Numerus richten sich jeweils nach dem Bezugswort im
übergeordneten Satz und nicht nach dem nachfolgenden modifizierten Nomen. Der
Determinativ dessen/deren ist kasusunabhängig. Dieses praktische Wort kennt das Bd. nicht
und muss deshalb denselben Zweck erfüllende Paraphrasen schaffen, die als festen
Bestandteil immer das sr wo haben.
Im Normalfall wird mit dem schrd. dessen ein Relativsatz eingeleitet. Anschliessend drei
Beispiele für das (kein Nomen modifizierende) Pronomen dessen etc. (E2 oder innerhalb
einer E4, E5 od. E6); dazu stets die bd. Paraphrase (siehe auch 4.2.3.):
E2 Schrd.
Odysseus, dessen sich die Menschheit immer erinnern wird
Bd.
der Odyssesus, wo sech d Mönschheit immer a ne wird erinnere
E2 Schrd.
Frau Zuber, deren er am 25. März gedenkt
Bd. d
Frou Zuber, won er 're am 25. März gedänkt
E4 Schrd.
die Pfefferkörner, mittels derer sie sie zum Lachen brachte
Bd. d
Pfäfferchörner, wo si se dermit zum Lache het bbracht
Anmerkung zum letzten Beispiel:
Siehe Kapitel 4.3.2.
Der schrd. Determinativ dessen/deren kann ein Nomen modifizieren, das im Nominativ,
Akkusativ, Genitiv oder Dativ steht. Im folgenden Beispiele für dessen/deren in den
genannten Kasus, dazu jeweils die berndeutsche Paraphrase (siehe auch 4.2.3.):
Nom. Schrd. die Frau, deren
Schwester mit ihm Mühe hat
Bd. d Frou, wo d Schwöster vo(ne)re mit em Müei het
Akk. Schrd. der Typ, dessen Vater
er nicht mag
Bd. der Typ, won er der Vatter von ihm nid ma
Gen. Schrd. die Kuh Blösch, deren
Hörner sie jeden Sonntag gedenkt
Bd. d Chue Blösch, wo si jede Sunntig irne Hörner gedänkt
Dat. Schrd.
Sascha, in dessen Haaren eine Spinne sitzt
Bd. der Sascha, won e Spinele i syne Haar sitzt
Handelt es sich beim Bezugswort um eine Sache, wird im Bd. in der Regel das
Pronominaladverb dervo verwendet.
Beispiele:
Nom. Schrd. der Tisch, dessen Beine
zerfressen sind
Bd. der Tisch, wo d Bei dervo zerfrässe sy
Akk. Schrd. die Angelegenheit, auf
deren Logik er sich nicht abstützen kann
Bd. d
Aaglägeheit, won er sech uf d Logik dervo nid cha abstütze
Gen. Schrd. das Problem, dessen
Schwierigkeit ich mir nicht bewusst war
Bd.
ds Problem, won i mer d Schwirigkeit dervo nid bi bewusst gsy
Dat. Schrd.
die Brücke, deren Stützpfeilern sie Hass entgegenbringt
Bd. d Brügg, wo si de Stützpfyler dervo Hass entgägebringt
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4.4.
Die Stellung der Verben im berndeutschen finiten Nebensatz
(bei zweiteiliger Verbphrase)
Die berndeutsche Satzstellung im finiten Nebensatz ist leicht anders als die
schriftdeutsche. Dies betrifft insbesondere die Stellung des finiten Verbs innerhalb einer
mehrteiligen VP (Perfekt und Modalverbgefüge [z.B. Futur]). Ausnahme: zweiteilige
Passivkonstruktion. Es gilt zu betonen, dass an dieser Stelle nur auf die zweiteiligen VPs
eingegangen werden kann.
Zuerst einmal sei die Regel in Erinnerung gerufen, dass in einem schrd. finiten Nebensatz
das finite Verb immer am Schluss steht. Dies ist im Bd. nur im Präsens (= einteilige VP)
und im Präsens Passiv (= zweiteilige VP) der Fall. Alle Beispiele in den folgenden zehn
Unterkapiteln sollen diesen Unterschied veranschaulichen.
Allerdings ist die bd. Satzstellung im finiten Nebensatz nicht ganz fest; es kommt immer
häufiger vor, dass das finite Verb am Schluss des Nebensatzes steht, wohl unter Einfluss
des Schrd. und der Idiome jenseits der Brünig-Napf-Reuss-Linie. Auch hier ist anzumerken,
dass insbesondere die Jugendlichen sich der schrd. Satzstellung bedienen. Zudem scheint es
im Bd. gewisse grammatische Konstellationen zu geben, die die SprecherInnen sogar in der
Regel das finite Verb an den Schluss des Nebensatzes (siehe Anmerkung
b) unter 4.4.2.) setzen lassen.
Es sei deshalb darauf hingewiesen, dass in den nachfolgenden bd. Beispielen in 4.4.1. bis 4.4.10. immer eine Vaf-Part.-II-Inversion
im NS vorgenommen werden kann, ohne dass sich jemand stark daran störte.
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4.4.1. temporal
Ein temporaler Nebensatz wird im Bd. meistens mit dem Subjunktor wo, der Entsprechung des
schrd. als, eingeleitet. Die bd. temporalen Subjunktoren bis, sit (seit) und solang
(solange) werden gleich verwendet wie im Schrd. Andere im Schrd. häufige temporale
Subjunktoren wie nachdem oder während werden im Bd. vermieden: Es sind schrd. Lehnwörter
und geniessen als solche nicht gerade grosse Akzeptanz. Nachdem und während werden im Bd.
meist durch wo ersetzt.
Beispiel:
Bd. Won er z Bärn isch
aacho, het er nid rächt gwüsst, öb er nid grad wider sött
zrüggfahre.
Schrd. Als er in Bern angekommen war, wusste er nicht
recht, ob er nicht gleich
wieder
zurückfahren sollte.
Anmerkung:
Die bd. Version lässt es offen, ob der temporale Nebensatz vor- oder gleichzeitig ist;
bei Vorzeitigkeit ist das schrd. Äquivalent der VP ein Plusquamperfekt, bei angenommener
Gleichzeitigkeit wäre es ein Präteritum (siehe 3.7.5.). Die Wahl
fiel im obigen Beispiel auf das Plusquamperfekt, weil die Wortstellung innerhalb der VP
nur verglichen werden kann, wenn die schrd. VP wie die bd. zweiteilig ist.
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4.4.2. kausal
Der Subjunktor wül (weil) leitet im Bd. immer einen kausalen Nebensatz ein. Der schrd.
kausale Subjunktor da gibt es im Bd. nicht.
Bd. Wül er nid het gwüsst,
dass der Zug immer ersch am nüüni abfahrt, isch er z
früech cho.
Schrd. Weil er nicht gewusst hatte, dass der Zug
immer erst um 9 Uhr abfährt, kam er
zu früh.
Anmerkungen:
a) Betr. Plusquamperfekt: siehe Anmerkung
unter 4.4.1.
b) Selbstverständlich ist auch hier eine
Vaf-Part.-II-Inversion im bd. NS möglich. Die Akzeptabilität der
Folge Part. II Vaf erhöht sich in gewisser Weise sogar, wenn
der von wüss- (wiss-) abhängige dass-Satz durch ein im kausalen NS stehendes
Demonstrativpronomen ersetzt würde:
Bd. Wül er das nid gwüsst
het, isch er z früech cho.
Schrd. Weil er dies nicht
gewusst hatte, kam er zu früh.
In dieser Konstellation sind beide möglichen bd. VP-Varianten
ungefähr gleich häufig zu hören.
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4.4.3.
konzessiv
Konzessive NS werden im Bd. in der Regel mit dem Subjunktor obschon eingeleitet; die
Entsprechungen der schrd. konzessiven Subjunktoren obwohl, trotzdem (dass) und wenn ...
auch sind im Bd. eher selten zu hören, obgleich existiert im Bd. nicht.
Bd. Obschon er sech guet het
beno, mues er itz nid meine, är chönn sech alles
erloube.
Schrd. Obschon er sich gut benommen hat, muss er
jetzt nicht meinen, er könne sich
alles erlauben.
Anmerkung:
Manche schrd. SprecherInnen würden vielleicht eher das Präteritum als das Perfekt
verwenden.
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4.4.4.
konsekutiv
Konsekutive NS werden im Schrd. und im Bd. mit den Subjunktoren dass oder so dass
eingeleitet.
Bd. Er isch gstolperet, so
dass er ds Glychgwicht het verlore.
Schrd. Er stolperte, so dass er das Gleichgewicht
verloren hat.
Anmerkung:
Im schrd. NS wurde bewusst das Perfekt gesetzt, damit die Verbfolge innerhalb der VP mit
der bd. verglichen werden kann.
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4.4.5. final
Finite finale NS werden im Schrd. und im Bd. mit dem Subjunktor damit bzw. dermit
eingeleitet. Im Bd. ist zudem der Subjunktor für dass zu hören.
Bd.: Si het müesse
pressiere, dermit si der Zug no het verwütscht.
Si het müesse pressiere, für dass si der Zug no het verwütscht.
Schrd. Sie musste sich beeilen, damit sie den Zug
noch erwischt hat.
Anmerkungen:
a) Im schrd. NS wurde bewusst das Perfekt verwendet.
b) Der bd. Subjunktor für dass entstand aus dem
einen finalen (infiniten) NS einleitenden bd. subjunktiven
Infinitivelement für ... z.
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4.4.6. lokal
Lokale finale NS werden im Schrd. und im Bd. mit den Subjunktoren wo, wohin und woher
eingeleitet. Der bd. Subjunktor wo darf unter keinen Umständen mit dem bd. sr wo
verwechselt werden.
Bd. Er isch gsäglet, wohäre
der Wind ne het tribe.
Schrd. Er segelte, wohin ihn der Wind getrieben hat.
Anmerkung:
a) Das Verb im schrd. NS wurde bewusst ins Perfekt
gesetzt.
b) Obwohl der obige bd. Satz durchaus stimmt, wäre
die folgende Variante üblicher: Er isch gsäglet, wo ne der Wind
het häretribe. (Er segelte, wo ihn der Wind hintrieb.)
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4.4.7.
adversativ
Der Subjunktor während kann im Bd. allenfalls temporal verwendet werden; adversative
Nebensätze werden im Bd. in der Regel nicht gebildet: Es wird eine Paraphrase gemacht
(zwei Hauptsätze, verknüpft mit dem Kunjunktor u(nd) [und]).
Schrd. Während sie bereits das grosse Geld macht,
hat er noch nicht einmal die
Schule
abgeschlossen.
Bd. Si macht scho ds grosse
Gäld, u är het no nid emal d Schuel abgschlosse.
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4.4.8.
Relativsatz
Wie bd. Relativsätze eingeleitet werden, ist unter 4.3.ff
nachzulesen.
Bd. Der Pandabär, wo gester
im Zürcher Zoo isch ytroffe, het wahrschynlech nid
son es
erfröilechs Läbe.
Schrd. Der Pandabär, der gestern im Zürcher Zoo
eingetroffen ist, hat wahrscheinlich
nicht gerade ein
erfreuliches Leben.
Anmerkung:
Im schrd. NS wurde bewusst das Perfekt verwendet.
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4.4.9.
dass-Satz
Bd. I bi erstuunt gsy, dass
si mer nüüt dervo het ggä.
Schrd. Ich war erstaunt, dass sie mir nichts davon
gegeben hatte.
Anmerkung:
Das Pronominaladverb dervo kann sogar zwischen dem Vaf und dem Part.
II stehen: I bi erstuunt gsy, dass si mer nüüt het dervo ggä.
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4.4.10.
Der abhängige Interrogativsatz
Im Bd. können die meisten Fragewörter, die einen abhängigen Interrogativsatz einleiten,
nicht allein stehen: Es kommt ein dass hinzu. Im Schrd. ist ein hinzugefügtes dass
sicherlich die Ausnahme und wird grundsätzlich nur in der gesprochenen Sprache ab und zu
verwendet.
Bd. Fragewörter, denen in einem abhängigen Interrogativsatz der Subjunktor dass folgen
muss:
wo
wenn (wann)
wär, wäm, wän (auch nach Präp.)
würum/wägerum (warum, weshalb)
wiso (wieso)
wie/wi
wiviil (wieviel)
Präp. + was (Die eleganten schrd. Fragewörter wofür, womit, wovon,
worüber, worauf etc. gibt es im Bd. nicht.)
Beispiele:
Bd. Är het ne gfragt, wo
dass er sig gsy.
Schrd. Er fragte ihn, wo er gewesen sei.
Bd. Sy Vatter het wölle
wüsse, wenn dass er isch heicho.
Schrd. Sein Vater wollte wissen, wann er nach Hause
gekommen war.
Bd. Der Lehrer het gfragt, vo
wäm dass d Dragica der Chätschgummi het übercho.
Schrd. Der Lehrer fragte, von wem Dragica den
Kaugummi erhalten hatte.
Bd. Der Tinu fragt d Sarah,
für was dass si ds Mässer het bbruucht.
Schrd. Martin fragt Sarah, wofür sie das Messer
gebraucht hat.
Bd. Er het wölle wüsse,
würum dass si nid isch heicho.
Schrd. Er wollte wissen, weshalb sie nicht nach Hause
gekommen war.
Bd. Är het unginiert gfragt,
wiviil dass der Cherzeständer het gchoschtet.
Schrd. Er fragte ungeniert, wieviel der
Kerzenständer gekostet hatte.
Das bd. Fragewort wie kommt im abhängigen Interrogativsatz mit und ohne den Subjunktor
dass vor.
Beispiele:
Bd. I wott wüsse, wi de das
hesch gmacht!
Bd. I wott wüsse, wie dass
de das hesch gmacht!
Schrd. Ich will wissen, wie du dies gemacht hast!
Bd. Si het gfragt, win er
isch uf Östrych ggange.
Bd. Si het gfragt, wie dass
er isch uf Östrych ggange.
Schrd. Sie fragte, wie er nach Österreich gefahren
war.
Bd. Der Küsu het gfragt, wi
höch der Christoffelturm isch gsy.
Bd. Der Küsu het gfragt, wi
höch dass der Christoffelturm isch gsy.
Schrd. Markus fragte, wie hoch der Christoffelturm
gewesen war.
Anmerkung:
Auffallend ist, dass in der Version ohne dass das bd. Fragewort wie normalerweise in
seiner schwachen Form (wi) steht, während es in der längeren Version immer in seiner
starken Form steht, ausser der Subjunktor dass folgt nicht unmittelbar, wie im letzten
Beispiel.
öb ist das einzige bd. Fragewort, dem nie ein dass folgt. Dies hängt damit zusammen,
dass es anders als alle bereits genannten Fragewörter in direkten
Interrogativsaätzen eigentlich nicht verwendet werden kann, als Fragewort also
ausschliesslich in abhängigen Interrogativsätzen vorkommt. öb ist also kein
eigentliches Fragewort, sondern wird im abhängigen Interrogativsatz gebraucht, um das
einzuleiten, was im direkten Fragesatz eine Ja/nein-Frage war.
Beispiele:
Bd. Si het ne gfragt, öb er
nid scho lang hätt hei wölle.
Schrd. Sie fragte ihn, ob er nicht schon lange nach
Hause gewollt hätte.
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4.5.
Der mit einem subjunktiven Infinitivelement eingeleitete
finale Nebensatz
Das subjunktive Infinitivelement (si) regiert den Infinitiv, weshalb von einem si
eingeleitete NS immer infinit sind. (Zur Wortstellung siehe unten.)
Beispiel:
Bd. Er het pressiert, für
früecher dert z sy.
Schrd. Er hat sich beeilt, um früher dort zu sein.
Im Vergleich dazu Zd.: Er hätt pressiert, zum früener dèèt sy.
Das si lautet demnach:
- Bd. für ... z
- Schrd. um ... zu
- Zd. zum
Das bd. si lehnt sich wohl an das frz. pour an; es nimmt mit seinen beiden Teilen die
gleiche Stellung im NS ein wie das schrd. si. Das zd. si ist eigentlich aus den beiden
Elementen des schrd. si gebildet: verschmolzen und in umgekehrter Reihenfolge!
Anmerkungen:
a) Die Dialekte der Ostschweiz üben allerdings einen beachtlichen
Einfluss auf die BernerInnen aus, so dass insbesondere Jüngere vermehrt finale Sätze mit
zum einleiten, während mittelalterliche und ältere Leute dies nie über die Lippen
brächten. Allerdings und dies im Unterschied zum zd. si wird recht häufig
das zweite und demnach redundante z auch noch eingefügt, als wäre das den finalen NS
einleitende Wort für. Beispiel: Du muesch chly pressiere, zum ihm nid unnötig Sorge z
mache.
b) Ferner ist zu beobachten, dass bd. SprecherInnen, die im Rahmen ihres
Berufs oder einer andern Tätigkeit oft Schrd. sprechen (müssen), häufig die schrd.
Version des si anwenden. So zum Beispiel Therese Frösch, Finanzdirektorin (SP) der Stadt
Bern, an einem Anlass 13. (nicht belegbar). O-Ton
Therese Frösch: «Mir müesse natürlech scho luege, dass ds Budget-Defizit nid gröser
usfallt, um de Bürgerleche z zeige, dass ou mir üs an es Budget chöi halte.»
Ist die infinite VP des finalen NS mehrteilig (Modalverbgefüge), steht im Schrd. der vom
si regierte Infinitiv wie bei einer einteiligen VP am Schluss des NS, während er sich im
Bd. unmittelbar vor dem zweiten si-Element z befindet.
Beispiel:
Schrd. Er unternahm alles, um nicht mehr im Knast
sitzen zu müssen.
Bd. Er het alles ungerno,
für nümm im Knascht müesse z sitze.
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4.6.
Der Relativsatz als häufige berndeutsche Paraphrase für
adnominal gebrauchte adjektivierte Partizipien
Es geht in diesem kurzen Kapitel einmal mehr darum aufzuzeigen, dass das Bd. zu so manchen
Satzstrukturen im Schrd. Alternativen anbieten muss.
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4.6.1.
Adjektiviertes Partizip I
Im Bd. werden die Partizipien I, die in der äquivalenten schrd. NP im Vorfeld des Nomens
stehen (adnominale Stellung), grundsätzlich mit einem Relativsatz paraphrasiert und
dadurch ins Nachfeld des Nomens versetzt. Wenn das schrd. adjektivierte Partizip I durch
eine oder mehrere Angaben modifiziert wird, ist im bd. Äquivalent ein entsprechender
Relativsatz im Nachfeld des Nomens absolut zwingend.
Beispiele:
Schrd. die spielenden Kinder
Bd. d Ching, wo spile
Schrd. die um 5 Uhr über dem Gurten aufgehende Sonne
Bd. d Sunne, wo am füfi
über em Gurten ufgeit
Schrd. dieser zum Himmel stinkende Zustand
Bd. dä Zuestand, wo zum Himu
stinkt
Schrd. Der vor Freude weinende Mann setzte sich.
Bd. Der Maa, wo vor Fröid
ggrännet het, isch abghocket.
Anmerkungen:
a) Feste Wendungen und Redewendungen wie das laufende Abonnement, der
springende Punkt oder die schleichende Angst werden im Bd. nicht paraphrasiert.
b) Wenn das adjektivierte Partizip I im Schrd. im Vorfeld des Nomens
neben dem Determinativ allein steht, kann es im Bd. oft auch diese Stelle einnehmen: Der
Aablick vo de spilende Ching dert usse het er nie meh chönne vergässe. Aber schon das
folgende Beispiel würden die meisten bd. SprecherInnen mit einem Relativsatz
paraphrasieren: Der Aablick vo de zäme spilende Ching dert usse het er nie meh chönne
vergässe. (Der Aablick vo de Ching dert usse, wo zäme gspilt hei, het er nie meh chönne
vergässe.)
Im folgenden Spezialfall muss das adjektivierte adnominal gebrauchte Partizip I im Bd.
zwingend in der Form eines Relativsatzes ins Nachfeld des Nomens versetzt werden, da das
Bd. die äquivalente Konstruktion gar nicht bilden kann:
Die hochdeutsche Nominalphrase die zu tötenden Sklaven bezeichnet die Sklaven, die
getötet werden müssen, hat also eine passivische Bedeutung. Im Bd. ist es wie gesagt
nicht möglich, diese Art von Vorfeld eines Nomens zu bilden; die Information wird im
Nachfeld des Nomens innerhalb eines Relativsatzes «nachgeliefert». Da das Bd. zudem ein
sehr ungezwungenes Verhältnis zum Indefinitpronomen me (man) hat, wird der im Schrd. der
Umschreibung dienende passive Relativsatz (siehe oben) im Bd. aktiv gemacht: d Sklave, wo
me mues töde.
Weitere Beispiele:
Schrd. die nicht zu renovierenden Häuser
Bd. d Hüser, wo me nid
mues renoviere
Schrd. das zu beerdigende Kind
Bd. ds Chind, wo me
mues beärdige
Schrd. der von dort zu sehende kilometerlange
Sandstrand
(= der Sandstrand, der von dort gesehen werden kann)
Bd. der kilometerläng
Sandstrand, wo me vo dert (uus) gseht
Anmerkung zum letzten Beispiel:
Da frau/man von «dort» den Sandstrand immer sieht, muss im ins Aktiv
gesetzten bd. Relativsatz sogar das Modalverb können wegfallen (...wo me vo dert [uus]
cha gseh wäre falsch).
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4.6.2.
Adjektiviertes Partizip II
Im Schrd. wird ein Partizip II adjektiviert, indem ihm ein Null-Derivant angehängt wird,
was soviel heisst, dass Partizip II und adjektiviertes Partizip II immer identisch sind,
von den Flexemen des letzteren selbstverständlich abgesehen. Im Bd. hingegen wird sehr
häufig das Suffix -nig angehängt, wobei das n ein Bindungs-n ist. Da -ig eine
Adjektiv-Endung ist, können wir davon ausgehen, dass mittels eines solchen Derivanten
markiert werden soll, dass eigentlich nicht ein Partizip II vorliegt, sondern im Prinzip
ein (flektierbares) Adjektiv. Das bd. Suffix -ig ist zwingend, wenn die Silbe, an die es
gehängt wird, offen ist. Ansonsten scheint sich auch langsam der schrd. Null-Derivant
durchzusetzen.
Es gibt allerdings auch einzelne Adjektive, denen in adnominaler Stellung ein -ig
angehängt wird. Beispiel: D Türen isch offe. ---> Di offnigi/offnegi Türe.
Im Gegensatz zum Partizip I wird im Bd. das adnominal gebrauchte adjektivierte Partizip II
in der Regel nur dann als Relativsatz im Nachfeld des Nomens paraphrasiert, wenn es durch
mindestens eine Angabe modifiziert wird.
Beispiele:
Schrd. der gestern entlassene Lehrer
Bd. der Lehrer, wo si
gester hei entlaa
Schrd. der mit Wasser verdünnte Wein
Bd. der Wy, wo me mit
Wasser het verdünnt
Schrd. das im Jura abgestürzte Flugzeug
Bd. ds Flugzüüg, wo
im Jura isch abgstürzt
Vergleiche damit folgende NPs:
Bd. der entlaanig
Lehrer (offene Silbe am Schluss des Wortstammes)
Bd. der
panschtnig/panscht Wy
Bd. ds
abgstürztnige/abgstürzte Flugzüüg
Anmerkung:
Hat ein im Schrd. adnominal gebrauchtes adjektiviertes Partizip II passivische Bedeutung,
wird der als Paraphrase fungierende bd. Relativsatz meistens ins Aktiv umgewandelt. Dafür
wird das Indefinitpronomen me (man) oder das ohne Bezugswort dastehende und eher unklare
Personalpronomen si (sie) verwendet; wenn das Agens aus dem Zusammenhang klar ist, wird
dieses in einem solchen Relativsatz selbstverständlich zum Subjekt gemacht.
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4.7.
Verdoppelung der Verben gah und cho in Bern- und Zürichdeutsch
Die Schweizer Idiome haben ein spezielles Verhältnis zu den Verben gehen (gah) und kommen
(cho): Wenn diese Verben vor einem blossen Infinitiv stehen, müssen sie wiederholt
werden, und zwar ebenfalls im Infinitiv. Diese Verdoppelung ist eine Art schweizerisches
«futur proche», nur dass es im soeben beschriebenen syntaktischen Umfeld zwingend ist:
Einer sagt, er gehe, und bei der Wiederholung des Wortes ga (gehen) «sieht» frau/man ihn
eigentlich auch schon tatsächlich gehen.
Beispiele:
Bd. I chume cho luege,
was los isch.
Schrd. Ich komme schauen, was los ist.
Bd. Er geit ga luege,
was los isch.
Schrd. Er geht schauen, was los ist.
Anmerkung:
Auffälliger ist das bd. «futur proche» allerdings bei den Witterungsverben wie
schneien, regnen, stürmen, da im Schrd. kommen mit diesen Verben zusammen nicht verwendet
wird. So entspricht der schrd. Satz Wird es morgen schneien? dem bd. Chunnt's morn cho
schneie?.
Diese Verdoppelung der Verben gah und cho wird im Bd. allerdings nur gemacht, wenn sie im
Präsens stehen: Bilden sie zusammen mit einem Auxiliar- oder Modalverb eine VP, werden
sie nicht wiederholt, wie die folgenden zwei Beispiele zeigen:
Bd. I bi ga luege, was
los isch gsy.
Bd. I sött scho cho
luege, wi der das machet.
Anmerkung:
Während das Partizip II des bd. Verbs gah «ggange» lautet, ist es in der Wendung ga
luege erstaunlicherweise «ga» (erstes der obigen zwei Beispiele).
Im Zd. ist als Besonderheit zu beobachten, dass häufig ein weiteres Wörtchen zum
eingefügten Infinitiv hinzugefügt wird.
Zd. Ich chume cho go
luege, was los isch.
Zd. Er gaht go go
luege, was los isch.
Während auch im Zd. die Wiederholung der Verben gah und cho wegfällt, wenn diese
zusammen mit einem Auxiliar- oder Modalverb eine VP bilden, wird das zusätzliche
Wörtchen go beibehalten:
Zd. Ich bin go go
luege, was los gsy isch.
Zd. Ich sött scho cho
go luege, wien ihr das mached.
Anmerkungen:
a) Wie im Bd. weicht die in einer VP im Perfekt verwendete
Partizip-II-Form von der normalen ab: go statt ggange.
b) Wir können davon ausgehen, dass auch das zd. zusätzliche go eine
Art Infinitiv des Verbs gah (gehen) ist.
Beim Sprechen verkümmert dieser zusätzliche Infinitiv meistens zu einem kurzen ge:
Zd. Ich chume cho ge luege, was los isch.
Zd. Er gaht go ge
luege, was los isch.
Zd. Er müesst äigetli
go ge luege, was los isch.
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5. Abkürzungen
Adj. |
Adjektiv |
Adv. |
Adverb |
Akk. |
Akkusativ |
Art. |
Artikel |
Bed. |
Bedeutung |
Bd. |
Stadt-Berndeutsch |
bd. |
berndeutsch (im Stadt-Berner Idiom) |
best. |
bestimmt |
Dat. |
Dativ |
engl. |
englisch |
E0 |
Nominativergänzung |
E1 |
Akkusativergänzung |
E2 |
Genitivergänzung |
E3 |
Dativergänzung |
E4 |
Präpositivergänzung |
E5 |
Situativergänzung |
E6 |
Direktivergänzung |
E7 |
Subsumptivergänzung (auch Nominalergänzung) |
E8 |
Qualitativergänzung (auch Adjektivalergänzung) |
E9 |
Verbativergänzung |
f. |
weiblich |
fem. |
weiblich |
frz. |
französisch |
Gen. |
Genitiv |
HS |
Hauptsatz |
Konj. |
Konjunktiv |
m. |
männlich |
mask. |
männlich |
mhd. |
mittelhochdeutsch |
n. |
sächlich |
neutr. |
sächlich |
Nom. |
Nominativ |
nominal. |
nominalisiert |
NP |
Nominalphrase |
NS |
Nebensatz |
Part. |
Partizip |
Perf. |
Perfekt |
Pers. |
Person |
Pl. |
Plural |
poss. |
possessiv |
Präs. |
Präsens |
Prät. |
Präteritum |
Pron. |
Pronomen |
Präp. |
Präposition |
RS |
Relativsatz |
Saad. |
Saanendeutsch |
Schrd. |
Schriftdeutsch, deutsche Standardsprache |
schrd. |
schriftdeutsch, in deutscher Standardsprache |
Sg. |
Singular |
si |
subjunktives Infinitivelement |
sr |
subjunktives Relativelement |
Stellg. |
Stellung |
T |
Präposition |
TP |
Präpositionalphrase |
unbest. |
unbestimmt |
Vaf |
finites Auxiliarverb |
vok. |
vokalisiert |
VP |
Verbalphrase |
Zd. |
Zürichdeutsch |
zd. |
zürichdeutsch |
Ø |
Null |
Ø-Pronomen |
Null-Pronomen |
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6.
Bibliographie
- Bußmann, Hadumod (1990), Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart
- Duden (Hrsg.) (1983), Deutsches Universalwörterbuch, Mannheim / Wien /
Zürich
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- von Greyerz, Otto / Bietenhard, Ruth (1991), Berndeutsches Wörterbuch, Muri
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- Lötscher, Andreas (1983), Schweizerdeutsch. Geschichte, Dialekte, Gebrauch,
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- Schädelin, Klaus (1989), Zytlupe Zeitlupe, Muri b. Bern
- Schläpfer, Robert (Hrsg.) (1982), Die viersprachige Schweiz, Köln
- Steiner, Ernst (1992), Wi me Bärndütsch schrybt. Ein leicht verständlicher
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- Zentralinstitut für Sprachwissenschaft, Akademie der Wissenschaften der DDR
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- Zürcher Kantonalbank (Hrsg.) (1993), Züritüütsch. Wörter. Texte.
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- Vortrag und Antwortstunde an der Monatsversammlung der SP Bern-Nord im Restaurant Jardin am 11.
Oktober 1993, 20 Uhr
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