DAS KOPFTUCH
„Ihr werdet bestimmt geprueft werden in eurem Besitz und Person. Und ihr werdet gewiss von denen, denen das Buch bereits vordem gegeben worden ist, und von denen, die Goetzen anbeten, viel boesartiges Gerede zu hoeren bekommen. Doch wenn ihr geduldig und gottesfuerchtig seid, dann ist dies wahrlich ein Zeichen fester Entschlossenheit.“ (3:186)
Als ich am 10. Maerz 1989 das Glaubensbekenntnis sprach, bedeutete das fuer mich den letzten Schritt eines langen Prozesses. 2 ½ Jahre hatte es gedauert, bis meine Ueberzeugung soweit gewachsen war, dass ich den Islam als meine Religion bekannte. Ich war stolz darauf, mich endlich zu diesem Schritt durchgerungen zu haben. Die letzte Zeit war doch nur noch ein Hinausschieben gewesen, ein Scheuen der letzten Konsequenz aus einem gewachsenen Glauben.
Das Glaubensbekenntnis hatte ich noch
allein in meinem Zimmer gesprochen. Schliesslich ist die Annahme einer
Religion etwas sehr persoenliches, eine Sache zwischen Mensch und Gott.
Das geht erstmal niemanden etwas an. Ich hatte am Abend geduscht, wie ich
es in Buechern nachgelesen hatte. Eine rituelle Reinigung des Koerpers
sollte dem Uebertritt selbst vorausgehen. Dann hatte ich das Glaubensbekenntnis
auf Arabisch gesprochen: “La ilaha illa Allah, Muhammad al rassul Allah.“
„Es gibt keinen Gott ausser Gott und Muhammad ist sein Prophet.“
Und anschliessend betete ich in meinem
Zimmer mein erstes „Pflichtgebet“, das Abendgebet.
Im Unterschied zu meinen ersten Gebeten
im Ramadan hatte ich mittlerweile kurze Koranpassagen fuer die Rezitation
erlernt. Nun trat ich also zum ersten Mal Gott im Gebet als Muslima gegenueber.
Ich richtete mich gegen Mekka aus, sprach die einleitenden Worte und begann
zu rezitieren: „Im Namen Gottes, des sich Erbarmenden, des Barmherzigen.
Preis sei Gott, dem Herrn der Welten, Dem sich Erbarmenden, dem Barmherzigen,
Dem Herrscher am Tage des Gerichts. Dir allein dienen wir und Dich allein
bitten wir um Beistand. Fuehre uns den geraden Weg, Den Weg derer, denen
Du Gnade erwiesen hast, die nicht (Deinem) Zorn verfallen sind und die
nicht irregehen.“ (1) Amen.
Jeder Muslim rezitiert diese Worte
auf Arabisch, der Sprache des Koran, fuenfmal taeglich in seinem Gebet.
Dieses Pflichtgebet, das auf der ganzen Welt nach den gleichen Regeln verrichtet
wird, entspricht so wenig den westlichen Vorstellungen von Individualitaet.
Und doch war und ist das Gebet fuer mich ein sehr persoenliches Erlebnis,
ein ganzheitlicher Gottesdienst im wahrsten Sinne des Wortes. Der Mensch
betet mit Koerper, Geist und Seele. Er verbeugt sich vor Gott und wirft
sich vor ihm nieder. Er lobt Gott am Morgen und am Abend, rezitiert
Koranverse und spricht auch in seinen eigenen Worten zu ihm. Ich hatte
an diesem Abend viel zu sagen. Es wurde ein langes Gebet. Irgendwie war
es tatsaechlich ein neuer Anfang.
Der erste, der am naechsten Tag erfuhr,
dass ich jetzt Muslima war, war Mohamed, mein aegyptischer Nachbar. Erst
verstand er nicht richtig. Als er dann begriff, dass ich tatsaechlich Muslim
geworden war, war er hocherfreut.
Meine Mutter dagegen, die mich zufaellig
am gleichen Tag im Wohnheim anrief, war von der Neuigkeit merklich weniger
erfreut, auch wenn mein Uebertritt fuer sie nicht gaenzlich unerwartet
kam. Schliesslich hatte ich nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich
mich fuer den Islam interessierte. Sie sagte mir: „Jeder muss selber wissen,
was fuer ihn richtig ist. Ich hoffe nur, dass du da in nichts hineingeraten
bist, aus dem du nicht wieder herauskommst.“
Dank Mohamed wussten bald auch alle
anderen Araber im Wohnheim ueber meinen Uebertritt Bescheid. Und alle fanden
es gut. Und das wiederum tat mir gut. Die letzten Zweifel an der Richtigkeit
meiner Entscheidung schwanden mit der Herzlichkeit meiner neuen „Geschwister“
dahin. Man sprach mich auf der Strasse an, beglueckwuenschte mich zu meiner
Entscheidung und hiess mich im Kreise der Muslime willkommen.
Wenn auch zum Teil noch etwas unglaeubiges
Staunen in den Kommentaren mitschwang. Schliesslich passiert es nicht jeden
Tag, dass eine Deutsche den Islam annimmt.
Man fragte mich: „Betest Du denn jetzt
auch?“. Oder: “Hast Du denn schon mal im Koran gelesen?“ Aber auch: “Warum
traegst Du denn kein Kopftuch?“
Das Kopftuch! Das war ja zu erwarten
gewesen. Ich war tatsaechlich Muslima. Ich betete auch regelmaessig fuenf
mal am Tag entsprechend dem islamischen Ritus, ass kein Schweinefleisch
mehr und trank keinen Alkohol. Aber mit dem Kopftuch hatte ich so meine
Probleme. Im Koran steht: „O Prophet! Sprich zu deinen Frauen und deinen
Toechtern und zu den Frauen der Glaeubigen, sie sollen ihre Uebergewaender
reichlich ueber sich ziehen. So ist es am ehesten gewaehrleistet, weil
sie (dann) erkannt und nicht belaestigt werden. Und Gott ist Allverzeihend,
Barmherzig.“ (33:59)
Und:„Sprich zu den glaeubigen Maennern,
dass sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren sollen.
Das ist reiner fuer sie. Wahrlich, Gott ist dessen, was sie tun, recht
wohl kundig.
Und sprich zu den glaeubigen Frauen,
dass sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren und ihren
Schmuck nicht zur Schau tragen sollen - bis auf das, was davon sichtbar
sein darf, und dass sie ihre Tuecher ueber ihre Kleidungsausschnitte ziehen...“
(24:30f.)
Tatsaechlich darf laut einer Ueberlieferung
vom Propheten Muhammad im Beisein von Maennern, die nicht direkte Familienangehoerige
sind, nicht mehr von der erwachsenen Frau zu sehen sein als ihr Gesicht
und ihre Haende. Das stuetzt sich auf folgende Begebenheit:
„Asma Bint Abi Bakr kam zum Gesandten
Gottes, als sie durchsichtige Kleider trug. Da wandte der Gesandte Gottes
sich ab von ihr und sagte: "Asma, wenn die Frau die Pubertaet erreicht,
schickt es sich nicht, dass (irgend etwas) von ihr zu sehen ist, ausser
diesem und diesem", und er zeigte auf sein Gesicht und seine Haende.“
Als direkte Familienangehoerige gelten
dabei nur die Maenner, zu denen entsprechend des Islam ein absolutes Eheverbot
besteht. Das sind vor allem direkte Blutsverwandte wie Vater, Grossvater,
Brueder, Soehne, Onkel aber auch einzelne andere Familienangehoerige, wie
z.B. Stiefsoehne und Schwiegervaeter.
Weite und die Koerperformen verhuellende
Kleidung fand ich akzeptabel, also lange Aermel und lange Hose. Es war
sowieso noch kalt draussen. Das Tragen eines Kopftuchs dagegen fand ich
doch ausserordentlich peinlich. Provoziert nicht gerade das Kopftuch in
Deutschland Belaestigungen? Man muss ja nicht jedem direkt auf die Nase
binden, zu welcher Religion man gehoert. Wichtig ist doch die innere Einstellung,
nicht der aeussere Schein. Was sollte so ein Stueckchen Stoff schon fuer
einen Unterschied machen in meiner neuen Beziehung zu Gott?
Trotzdem blieb ein unangenehmer Beigeschmack
zurueck. Das Gefuehl, doch noch nicht die letzte Konsequenz gezogen zu
haben.
Das Problem des Kopftuchs wurde dann
erst einmal vom Alltag verdraengt. Es waren Semesterferien und ich hatte,
wie so viele Studenten, einen Ferienjob. In diesem Jahr arbeitete ich bei
einem grossen Rueckversicherer. In der Mittagspause verrichtete ich mein
Mittagsgebet in einer tuerkischen Hinterhofmoschee in der Naehe des Bueros.
Wieder bekam ich die Herzlichkeit zu spueren, mit der Muslime in die Gemeinschaft
aufgenommen werden. Und zum ersten Mal nahm ich an einem Gebet in der Gemeinschaft
teil. Reihen von Glaeubigen, Schulter an Schulter, Fuss an Fuss, vereint
in Andacht vor Gott. Es ist kein Wunder, dass im Islam das Gemeinschaftsgebet
bevorzugt wird. Und es ist auch kein Wunder, dass dieses Gebet in jedem
Fernsehbericht ueber die Muslime erscheint. Es wirkt wie ein Symbol fuer
die Einheit und Staerke der islamischen Glaubensgemeinschaft.
Wie sinnvoll ist es doch, dass die
Muslime auf der ganzen Welt auf die gleiche Art und Weise und in der gleichen
Sprache beten. Jeder Muslim ist in jeder Moschee gleich zu Hause.
Fast fand ich es schade, als die Ferien
zu Ende gingen und ich wieder zur Uni musste. Aber andererseits hoffte
ich auch, meinen Bekanntenkreis unter den muslimischen Studenten erweitern
zu koennen. Schliesslich war ich jetzt ja auch Muslima.
Nun, ich war wohl die einzige, die
diese Veraenderung wahrnahm. Fuer die anderen war ich noch die gleiche.
Und ebensowenig, wie ich als praktizierende Muslima zu erkennen war, so
wenig konnte ich auch andere praktizierende Muslime ausmachen. Orientalen
gab es zwar viele, aber ob die ihre Religion ernst nahmen, konnte man ihnen
auch nicht ansehen. Sollte ich einfach auf jemanden zugehen und fragen:
„Bist Du ein praktizierender Muslim?“
So beschloss ich denn, erstmal wieder
zum Frauentreffen zu gehen. Und da tauchte das Problem des fehlenden Kopftuchs
von Neuem auf. Ich entschloss mich, dieses Mal Kopftuch zu tragen. Ich
vergab mir ja nichts dabei, mich einmal an die Umgebung anzupassen.
So wurde dort meine „Veraenderung“
denn auch sofort bemerkt: „Wie, Du bist Muslima geworden? Das ging aber
schnell.“ - „Und schon mit Kopftuch?“
Tja, eigentlich nicht, nur ausnahmsweise...
Das tat der allgemeinen Freude keinen
Abbruch:„Ach, das ist auch am Anfang noch gar nicht so wichtig. Lass Dich
bloss von niemandem draengen.“
Das fand ich auch ..., bis mir richtig
bewusst wurde, was ich da soeben gehoert hatte. Was heisst „am Anfang noch
nicht“? So selbstverstaendlich war das fuer mich gar nicht, dass ich jemals
Kopftuch tragen wuerde.
Nach dem Vortrag bei Kaffee und Kuchen
kam es dann erneut zur Sprache, das leidige Stueckchen Stoff. Heide-Khadidscha
erklaerte mir den Sinn der Bedeckung der Frau aus ihrer Sicht: „Die Bedeckung
der Frau ist ein Schutz der Frau und der Gesellschaft.
Tatsaechlich ist es in der deutschen
Gesellschaft so, dass gerade Frauen einen Grossteil ihres Selbstbewusstseins
ueber ihren Koerper aufbauen. Schoenheitsidealen, wie z.B. Models, wird
nachgeeifert mit Diaeten, komplizierten Frisuren, die Stunden vor dem Spiegel
erfordern und der neuesten Mode. Mode, die natuerlich alle Schoenheiten
des weiblichen Koerpers hervorheben soll.
Aber wer kann das Ideal schon erreichen?
Es ist so schade, dass gerade junge Maedchen diesem psychischen Druck oft
nicht standhalten koennen. Krankheiten wie Magersucht und Bulemie sind
immer haeufiger in den westlichen Gesellschaften.
Traegt nun eine Frau islamische Kleidung,
so ist sie nicht mehr dem abschaetzenden Blick eines jeden Passanten auf
der Strasse ausgesetzt, oder dem Vergleich mit den strahlenden Schoenheiten
der Reklamewelt, die von den allgegenwaertigen Plakatwaenden herunter laecheln.
Doch die islamische Bekleidung der
Frau schuetzt nicht nur die Wuerde und Psyche der Frau, sondern auch den
Zusammenhalt der Gesellschaft.
Leider nehmen die Werte „Ehe“ und „Familie“
in der westlichen Welt keinen hohen Stellenwert mehr ein. Sieh dir doch
unsere Gesellschaft in Deutschland an. Die hohen Scheidungsraten beispielsweise.
Was meinst Du, wieviele Kinder alleinerziehender Eltern ich in der Klasse
hatte? Und Scheidungsgrund ist immer noch haeufig eine dritte Person. Was
eigentlich kein Wunder ist.
Der berufstaetige Mann ist tagtaeglich
auf der Arbeitsstelle von Frauen im „Ausgeh -Look“ umgeben, adrett gekleidet,
nett frisiert und dezent geschminkt. Seine Frau dagegen begruesst ihn,
um es mal uebertrieben darzustellen, zu Hause im alten Jogginganzug mit
Lockenwicklern im Haar. Zu Hause traegt man bequem.
Im Islam ist das alles ganz anders.
„Schoen“ ist eine Muslima zu Hause. Zusammen mit ihrem Mann. Draussen dagegen
hat sie es nicht noetig, mit ihren koerperlichen Reizen zu kokettieren.
Durch den Wegfall des staendigen Vergleichs
mit anderen Frauen, nimmt auch das haeufig zu beobachtende Konkurrenzverhalten
zwischen Frauen ab. Also alles in allem eine sehr sinnvolle Einrichtung,
die islamische Bekleidung.“
Ich war platt. So hatte ich das noch
nie gesehen. Meine erste Reaktion auf diesen Vortrag war naheliegend. Ich
fragte Heide: „Und warum traegst Du dann kein Kopftuch?“
„Ich bemuehe mich ja. Im Winter habe ich draussen immer einen Schal ueber den Kopf gezogen, das weisst Du doch. Aber es ist nicht so einfach. Ehrlich gesagt fehlt mir noch der Mut. Was wuerden wohl die Nachbarn sagen? Und erst meine Familie?“
Ich wendete mich an die Kopftuchtraegerinnen.
„Wie laeuft das denn bei euch? Werdet ihr diskriminiert?“
Nadja, die Tochter von Maryam, der
Gruppenleiterin, antwortete mir als erste: „So schlimm ist es nicht, aber
manchmal passieren halt schon unangenehme Dinge. Ich studiere Medizin.
An meinem ersten Unitag stand ich etwas verloren im Flur und versuchte,
mich zu orientieren. Dort sprach mich ein Herr an und sagte: ’Du, Wischlappen
und Putzeimer da hinten.’ Wie sich spaeter herausstellte, war das mein
Anatomieprofessor.“
Fatima-Elisabeth, die deutsche Lehramtsstudentin,
erzaehlte: „Und als ich einmal auf einer Geschaeftsstrasse einparkte, sagte
ein aelterer Herr auf der Strasse zu seiner Frau: ‘Guck mal, jetzt geben
sie den Tuerken auch schon einen Fuehrerschein’“.
Guelsen, eine tuerkische Jurastudentin,
schilderte einen Amtsbesuch: “Und als die Dame mir das Formular gab, hatte
sie schon den Beruf fuer mich eingetragen: Arbeiterin.“
Nadja kommentierte bitter: “ Das liegt
daran, dass die Leute denken, Kopftuch auf dem Kopf ist gleich Brett vorm
Kopf.“
Rukaya, eine deutsche Buerokauffrau,
sagte: “ Aber mal im Ernst. Eigentlich ist es doch genauso, wie Khadidscha
sagt. In der modernen, aufgeklaerten Gesellschaft zaehlt nur noch das,
was man sieht. Was dahinter steht, nimmt man nicht wahr. Bildung oder Charakter
sind zweitrangig. Und das sollte im Islam anders sein. Die Frau sollte
als Persoenlichkeit wahrgenommen werden.“
Es erstaunte mich, dass diese Frauen
trotz ihrer doch eher negativen Erfahrungen so ueberzeugt zu dem Kopftuch
standen. Ich konnte mir das einfach nicht erklaeren.
So trat ich denn den Rueckzug an: „Im
Moment kommt ein Kopftuch fuer mich sowieso nicht in Frage. Ich wohne im
Studentenwohnheim. Dort muesste ich ja sogar meinen Kopf bedecken, um in
die gemeinsame Kueche zu gehen, oder ins Bad.“
Allgemeines Gelaechter brach aus. „Und
ich“, schmunzelte Aysche, Hausfrau und Mutter, “trage Kopftuch, wenn ich
auf meinem Balkon die Blumen giesse.“
Auch Sabine, die Krankenschwester,
deren Vater ihr das Haus verboten hatte, meinte: “Als Studentin duerftest
Du doch eigentlich keine Probleme haben. Du lebst doch allein und niemand
redet dir rein. Im Elternhaus ist das viel schwieriger. Oder auch im Beruf.“
Mir wurde die Diskussion langsam aber
sicher unangenehm. So war ich ganz froh, als ein anderes Thema aufkam.
Aysche fragte: „Findet eigentlich Ahmed’s Seminar wieder statt?“
Rukaya antwortete: „Ja. Diese Woche
faengt es wieder an. Moechtest Du nicht auch kommen, Anja? Aber ich muss
dich warnen. Es ist hochwissenschaftlich.“
Ich erfuhr, dass Ahmed ein deutscher
Muslim war, Student der Islamwissenschaften, genau wie ich, aber im fortgeschrittenen
Semester. Er leitete ein Seminar zu theologisch-wissenschaftlichen Themen.
Ich war neugierig, was er so erzaehlen wuerde. Fuer die Uni wuerde es mir
vielleicht etwas nuetzen. So liess ich mir den genauen Termin geben.
Puenktlich zur festgesetzten Zeit fand
ich mich im Seminarraum des Vereinshauses ein.. Anlaesslich des Seminars
hatte ich mir wieder ein Kopftuch umgebunden. Obwohl ich bei weitem noch
nicht von dessen Nutzen ueberzeugt war.
Hier im Seminar war das etwas anderes.
Die Frauen, etwa 20 an der Zahl, trugen alle ein Kopftuch. Auch aus Ruecksicht
auf den Herrn Studenten, der uns unterweisen sollte.
Wir setzten uns U-foermig auf den Boden,
und der Seminarleiter, angekuendigt als „unser Bruder Ahmed“ betrat den
Raum. Das war er also. Ein deutscher Muslim, etwa Mitte 20. Er liess sich
einen roetlichen Vollbart stehen und trug weite Hosen, Sweatshirt und auf
dem Kopf eine kleine gehaekelte Kappe. Diese Kappe hatte er, wie ich spaeter
erfuhr, staendig auf. Das Geruecht ging um, der Grund dafuer sei Solidaritaet
mit den kopftuchtragenden „Schwestern“, die schon allein aufgrund ihres
Aussehens als Muslime zu erkennen sind.
Er liess sich etwas oberhalb der Oeffnung
des U’s nieder. Erstaunlicherweise nicht, wie ich erwartet hatte, mit Blickrichtung
zu uns, den Zuhoererinnen, sondern den Blick auf die seitliche Wand gerichtet.
Als wuerde das nicht genuegen, stellte er auch noch seinen Aktenkoffer
zwischen sich und uns auf. Eine konsequente Befolgung des Koranverses:
„Sprich zu den glaeubigen Maennern, dass sie ihre Blicke zu Boden schlagen
und ihre Keuschheit wahren sollen. Das ist reiner fuer sie.“ (24:30) Fuer
mich war es vor allem ungewohnt. Gilt es nicht in Deutschland sogar als
unhoeflich, wenn man seinen Gespraechspartner nicht direkt ansieht?
Das konnte ja heiter werden.
Tatsaechlich wurde der Vortrag alles
andere als heiter. Dieser junge Mann hatte sich ein ganz erstaunliches
Wissen angeeignet. Es schien, als koenne er ganze wissenschaftliche Werke
aus dem Gedaechtnis reproduzieren.
An diesem Tag referierte er ueber Hadith-Wissenschaften.
Ein Hadith, das ist ein Bericht von dem, was der Prophet gesagt, getan
oder geduldet hat. Und das wiederum ist wichtig fuer den Muslim, da das
Vorbild des Propheten, die „Sunna“ des Propheten, als nachahmenswert gilt.
Die Hadith-Wissenschaft ist eigentlich
eine Hadith-Kritik. Sie beschaeftigt sich historisch-kritisch mit der Authentizitaet
der Hadithe. Jedes Hadith besteht aus dem Text und einer Kette von Ueberlieferern:
„Sowieso hoerte von sowieso hoerte von sowieso..., dass der Prophet Muhammad,
Friede sei mit ihm, gesagt hat:...“. Ein Hadith-Wissenschaftler beurteilt
die Glaubwuerdigkeit der einzelnen Ueberlieferer anhand von verschiedenen
Kriterien, wie Lebensgeschichte, Ruf, Gedaechtnisleistungen und aehnlichem.
Der Text selbst wird unter anderem auf zeitgemaessen Sprachgebrauch hin
untersucht.
Buchari beispielsweise, einer der bedeutendsten
Hadithsammler der islamischen Geschichte, sammelte auf seinen Reisen im
9. Jhd. n.Chr. mehr als 600.000 Berichte. Nach eingehender Ueberpruefung
nahm er nur 7400 davon in seine beruehmte Hadithsammlung auf. „Sahih al-Buchari“
ist bis heute eines der Hauptwerke, auf das sich die islamische Theologie
und Rechtslehre stuetzt. „Sahih“ (gesund) ist das arabische Fachwort fuer
ein Hadith, dessen Authentizitaet als gesichert gilt.
Zu jeder Kategorie von Hadithen sowie
zu jedem Kriterium der Beurteilung gibt es natuerlich andere arabische
Fachworte. Ahmed hatte uns alles auf Handzetteln vorbereitet. Desweiteren
hatte Ahmed natuerlich geschichtliche Beispiele fuer die Anwendung der
Kriterien bereit und erzaehlte uns die Kurzbiographie einiger bekannter
Hadith-Ueberlieferer.
Dann erwartete uns eine „Pruefung“.
„Ich moechte ja auch sehen, ob ihr etwas dabei lernt“, schmunzelte er.
Offensichtlich hatte nicht nur mich
als Anfaengerin die Fuelle an Information erschlagen. So entstand aus der
„Pruefung“ bald eine Fragestunde ueber das Gehoerte, die aber binnen kurzem
vom eigentlichen Thema abschweifte und breiter wurde. Denn einige Zuhoererinnen
nutzten die Chance und meldeten sich: “Das passt zwar nicht zum Thema,
aber was ich schon immer mal fragen wollte...“ Die Fragen kamen aus dem
Alltag: „Wenn ich am Schwimmen fuer muslimische Frauen teilnehme, was sollte
ich im Schwimmbad anziehen?“ - „Darf ich Medikamente benutzen, die Alkohol
enthalten?“ - „Und wie ist das mit Parfum?“ Dies waren Themen, die alle
betrafen. So entwickelte sich schnell eine lebhafte Diskussion: Ueber die
adaequate Schwimmbekleidung, die Frauen vor anderen Frauen tragen sollten.
Islamisch muss sie den Koerper nur vom Nabel (!) bis zum Knie bedecken.
Aber wer geht schon oben ohne ins Schwimmbad? Und ueber die Moeglichkeit,
notwendige fluessige Medikamente, die Alkohol enthalten, eventuell durch
Kapseln oder Tabletten zu ersetzen. Sollte es keine entsprechenden Alternativen
geben, ist die Einnahme der Medikamente selbstverstaendlich gestattet.
Und auch das Alkoholverbot im Zusammenhang mit Parfum wurde diskutiert.
Orginalton Ahmed: “Ja, wollt ihr das denn trinken?“
Ahmed schien eine schier unerschoepfliche
Informationsquelle zu sein. Wenn er auch ab und zu ein verzweifeltes: “Schwestern,
lasst uns doch mal wieder zum Thema kommen,“ hoeren liess, beantwortete
er doch bereitwillig jede Frage.
Alles in allem hinterliess dieses Seminar
einen grossen Eindruck auf mich. Nicht zuletzt wegen des Referenten, den
ich schon bald wiedersehen sollte.
In der Zwischenzeit hatte an der Uni
der Vorlesungsalltag begonnen.
Und immer noch wusste ausser Heide
kaum jemand in meiner Umgebung, dass ich jetzt Muslima war. Das sollte
sich jedoch bald aendern. Claudia, meine Studienfreundin, hatte meinen
Uebertritt eher kommentarlos zur Kenntnis genommen. Zwar selbst fromme
Christin war sie jedoch tolerant genug, andere Ueerzeugungen neben sich
stehen zu lassen.
Wir besuchten in diesem Semester zusammen
einen Kalligraphiekurs. Der Dozent war Kuenstler. Einige seiner arabischen
Kalligraphien waren schon auf Ausstellungen gezeigt worden.
Er versuchte, uns nicht nur den richtigen
Schwung beizubringen, mit dem man die Schriftzeichen aufs Papier bringt,
sondern auch, wie man den Raum aufteilt, so dass die Kalligraphie eine
aesthetische Einheit bildet.
In der ersten Sitzung hatte er uns
eigenhaendig Bambus-Schreibrohre geschnitzt. Den dazu erforderlichen Bambus
hatte man ihm im Zoo ueberlassen.
Und in der zweiten Woche ging es dann
richtig los.
Claudia und ich hatten unsere Tinte
vor uns und probierten den richtigen Schwung aus. Zu Anfang malten wir
nur einfache Buchstaben. Aber es machte viel Spass.
Ploetzlich ging die Tuer auf. Ahmed
betrat den Raum. Er sprach ein paar Worte mit dem Dozenten und kam dann
gucken, was wir so malten. Ahmed kannte sich offensichtlich auch in Fragen
der Kalligraphie ausgezeichnet aus.
Claudia bat ihn an unseren Tisch, um
ihr doch noch einmal zu zeigen, wie man das Rohr richtig dreht. Er erklaerte
sich auch gleich bereit, uns zu helfen, zog sich einen Stuhl heran und
oeffnete ein Etui, in dem er etwa fuenf verschiedene Bambusschreibrohre
in verschiedenen Staerken mitgebracht hatte. Er erzaehlte uns, dass auch
er seine Rohre selbst herstelle. Zu Hause hatte er noch mehr davon. Diese
Groessen waren jedoch das absolute „Muss“. Dann fragte er, ob er unsere
Tinte benutzen duerfe, und begann, uns einiges zu zeigen.
Irgendwann einmal sprach er mich an:
“Claudia kenne ich ja schon. Aber dich habe ich noch nicht kennengelernt.
Wie heisst denn Du?“ Er hatte mich ohne Kopftuch nicht wiedererkannt.
Ich stellte mich vor und erwiderte:
“Aber ich kenne Dich. Ich war bei Dir im Seminar im tuerkischen Zentrum.“
„Wie? Du meinst, Du bist Muslima?“
Sein Stuhl flog etwa einen Meter weit zurueck.
Mir verschlug es erst mal die Sprache.
Er dagegen hatte seine recht schnell wieder: „Wer soll sowas denn ahnen.
Du traegst ja gar kein Kopftuch.“
Ich entgegnete, ich sei gerade erst
konvertiert.
Ahmed fand das schoen, aber: „Eine
Muslima ohne Kopftuch ist natuerlich nicht so viel wert, wie eine Muslima
mit Kopftuch.“
Langsam stieg die Wut in mir hoch.
Was fuer eine Anmassung. Und ich dachte, gerade die Muslime urteilten nicht
nach dem aeusseren Schein.
Nach der Unterrichtsstunde lief mir
Mohamed, mein aegyptischer Nachbar, mit einem seiner Freunde ueber
den Weg. Noch immer sehr aufgebracht erzaehlte ich, was mir im Kalligraphie-Kurs
geschehen war. Erstmal kam kein Kommentar. Dann meinte der eine: “Naja,
so direkt haette er es Dir ja nicht sagen muessen.“
Ich explodierte: “Das soll wohl im
Klartext heissen, er hat recht?“
An diesem Tag sagte ich noch so einiges
ueber muslimische Maenner, was ich hier nicht wiedergeben kann und moechte.
Die Herren schwiegen. Die arabische Kultur lehrt, dass in solchen Faellen
Schweigen angebrachter ist als Streiten.
Mit der Zeit liess mein Aerger nach.
Ich nahm dieses Erlebnis als meine erste Begegnung mit muslimischem Chauvinismus
hin. Und ich nahm mir fest vor, mir auch in meiner neuen Religion von Maennern
nichts vorschreiben zu lassen.
Am naechsten Tag an der Uni hatte ich
etwas Zeit zwischen zwei Kursen und unterhielt mich im Flur des Instituts
mit Claudia und Nurten. Nurten war ein tuerkisches Maedchen aus unserem
Arabisch-Kurs. Heide war befreundet mit ihr.
Ein weiteres Maedchen gesellte sich
zu uns. Sie studierte auch Islamwissenschaften, aber an der Universitaet
in Hamburg. Jetzt gerade wartete sie auf unseren Institutsleiter, um mit
ihm einen moeglichen Wechsel an unsere Uni zu besprechen. Karolin, so hiess
sie, hatte uns gesehen und nutzte die Chance, uns zu fragen, wie das Studium
denn hier so sei. Wir erzaehlten von den Seminaren, den Professoren und
Dozenten. Claudia und Nurten verabschiedeten sich schliesslich, um in die
Bibliothek zu gehen. Und ich fragte nun Karolin, wie das Studium denn in
Hamburg waere. Waehrend sie erzaehlte, betrat Ahmed den Flur, wie immer
an Hand des Muetzchens ohne Schwierigkeiten als Muslim erkennbar.
Als Karolin ihn bemerkte, wendete sie
sich mir zu und fluesterte mit Kopfbewegung in Ahmeds Richtung: “Habt ihr
hier auch diese furchtbaren Konvertiten? Wir haben in Hamburg nur Scherereien
mit denen.“
Trotz meines Aergers vom Vortag verspuerte
ich nun ploetzlich einen Anflug von Solidaritaet mit Ahmed.
„Ich bin auch eine von den ‘furchtbaren
Konvertiten’ an unserer Uni.“ Ueberrascht guckte Karolin mich an: “Wie?
Ich meine diese Deutschen, die Muslim werden. Die mit ihrem furchtbar frommen
Getue.“
„Ich habe dich schon verstanden. Ich
habe auch den Islam angenommen.“
In diesem Moment oeffnete sich die
Tuer vor uns und der Institutsleiter, auf den sie die ganze Zeit gewartet
hatte, trat in den Flur. Mit einem hochmuetigen Seitenblick auf mich und
ohne Gruss liess sie mich stehen, um mit dem Institutsleiter zu sprechen.
In diesem Semester besuchte ich zum
ersten Mal eine islamwissenschaftliche Vorlesung bei Herrn Professor Falaturi,
einem Iraner und Muslim. Er war ueberhaupt der einzige praktizierende Muslim,
der zum Lehrkoerper des Instituts zaehlte. Und das wohl auch nur, weil
er schon vor so vielen Jahren eingestellt worden war. Eigentlich hatte
er Philosophie studiert. In den langen Jahren als Professor fuer Islamwissenschaft
hatte er sich jedoch international eine ausgezeichnete Reputation erworben.
Er war beseelt vom Traum der Toleranz und des friedlichen Nebeneinander
der Religionen.
In seinen Vorlesungen beschaeftigte
er sich entweder mit interreligioesem Dialog oder mit dem Islam in seinen
kulturellen Auspraegungen in der ganzen Welt. Dazu waren immer etliche
Gastreferenten geladen, Professoren und Professorinnen verschiedenster
Fachrichtungen und Nationalitaeten sowie Theologen verschiedenster Konfessionen
und Religionen. Das Interesse an den einzelnen Vortraegen war entsprechend
gross. Es kamen viele Zuhoerer von ausserhalb des Fachbereichs, ja sogar
von ausserhalb der Universitaet, Journalisten, Pastoren, und auch Muslime,
die sich weiterbilden wollten.
Ich sass neben Denise, einer Studentin
aus meinem Arabischkurs. Auch einige meiner neuen muslimischen „Schwestern“
aus der Frauengruppe waren da. Heide, Sabine und auch Maryam, die durch
ihr Alter auffiel unter all den Studenten. Und natuerlich war auch Ahmed
da, der ja Islamwissenschaften studierte, so wie ich.
Unmittelbar zum Vorlesungsende stand
Maryam auf und verliess den Hoersaal. Denise mass sie mit einem abfaelligen
Blick. Sie sagte zu mir: “Weisst du eigentlich, dass das eine Deutsche
ist? Dafuer habe ich kein Verstaendnis, dass eine klar denkende Frau sowas
macht.“
„Was denn?“ fragte ich. „Na, den Islam
annehmen.“, kam prompt die Antwort. “Jeder weiss doch, wie frauenfeindlich
diese Religion ist.“
Und wieder bekannte ich mich zum Islam:
“Ich kann das schon verstehen. Ich bin auch Muslim geworden.“
„Duuuu....?“ Und dann kam eine fuer
mich voellig ueberraschende Reaktion. „Und warum traegst Du dann kein Kopftuch?
Du stehst ja nicht mal zu deinem Glauben. Du bist nicht konsequent. So
finde ich das nicht richtig.“
Diese Kritik von unerwarteter Seite
traf mich.
Wieder dachte ich ueber das Kopftuch
nach. Dank der Erfahrungen der vergangenen Woche begann ich, fuer mich
einen Sinn im Tragen des Kopftuches zu entdecken. Den Sinn, der schon im
Koran festgehalten wurde: „ ... weil sie (dann) erkannt und nicht belaestigt
werden...“ (33:59)
„Erkannt“, das war es, was ich bisher
immer ueberlesen hatte. Denise hatte recht. Ich war nicht konsequent. Ich
war Muslima, aber ich wollte die Konsequenzen nicht tragen. Ich wollte
so scheinen, wie die anderen. Aber ich war nicht mehr wie die anderen.
Ploetzlich wollte ich meinen Glauben
nicht mehr verstecken. Ich wollte mich offen zum Islam bekennen.
Ahmed hatte recht gehabt. Eine Muslima
ohne Kopftuch ist nicht so viel wert fuer den Islam wie eine Muslima mit
Kopftuch. Denn die Muslima, die nicht als solche erkannt wird, entzieht
sich ihrer Verantwortung in der Gesellschaft. Sie tritt nicht voll und
ganz fuer ihre Religion ein.
Ganz zu schweigen davon, dass sie das
Kopftuch-Gebot des Islam einfach unter den Tisch kehrt.
"Und es ziemt sich nicht fuer einen
glaeubigen Mann oder eine glaeubige Frau, dass sie in ihrer Angelegenheit
eine Wahl haben sollten, wenn Gott und sein Gesandter eine Angelegenheit
beschlossen haben. Und der, der Gott und seinem Gesandten nicht gehorcht,
geht wahrlich in offenkundigem Irrtum irre." (33:36)
Als glaeubige Menschen vertrauen wir
auf Gottes Weisheit. Nehmen Sie zum Beispiel das Schweinefleisch-Verbot.
Lange Zeit vertrat die westliche Wissenschaft die Auffassung, dieses Verbot
haenge mit dem Trichinengehalt des Schweinefleisches zusammen. Besonders
in den klimatischen Bedingungen des Orients sei der Verzehr bedenklich
gewesen. Aber im heutigen Europa sei ein solches Verbot gegenstandslos.
Bis dann Wissenschaftler begannen,
im Schweinefleisch andere gesundheitsschaedigende Substanzen auszumachen.
Und wer weiss, was in der Zukunft noch alles herausgefunden wird. Heute
verschwindet Schweinefleisch auch im Westen mehr und mehr vom Speiseplan.
Eine spaete Einsicht, bedenkt man, dass das erste uns bekannte goettliche
Verbot des Schweinefleischverzehrs schon auf Moses und das juedische Gesetz
zurueckgeht.
Das gleiche gilt uebrigens fuer die
Beschneidung der Maenner, die auch im Islam dringend empfohlen ist. Moderne
Medizin wuerdigt immer wieder die positiven Effekte einer Beschneidung.
Wussten sie beispielsweise, dass das Risiko, an bestimmten Arten des Krebs
zu erkranken, sowohl fuer den beschnittenen Mann selbst als auch fuer seine
Sexualpartnerin geringer ist, als fuer unbeschnittene Maenner und deren
Partnerinnen?
Die Gebote Gottes sind grundsaetzlich
erklaerbar, auch wenn wir noch Zeit brauchen, ihren tieferen Sinn zu verstehen.
Tatsaechlich stellen Gottes Gebote
in diesem Sinne eine grosse Herausforderung fuer die Wissenschaft dar.
Das gilt sowohl fuer die Wissenschaftler, die die Gebote wissenschaftlich
untermauern wollen, als auch fuer die, die nach Widerspruechen zwischen
koranischen Aussagen und modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen suchen.
Bis heute sind noch keine solchen Widersprueche festgestellt worden. Was
also spricht solange gegen Gottvertrauen?
So blieb mir wiederum nur eine logische Konsequenz: ich vertraute auf Gottes Weisheit und begann, sechs Wochen nach meiner Entscheidung fuer den Islam, entsprechend dem islamischen Gebot, Kopftuch zu tragen. Laut meinem Bruder das Schlimmste, was je in unserer Familie passiert ist.
Schlimm. Das war das Kopftuch fuer meine
Familie tatsaechlich. Der Uebertritt zum Islam war ein unauffaelliger Makel
gewesen. Aber ein Kopftuch laesst sich nicht mehr so leicht verstecken.
Einzig mein Vater stand von Anfang an voll und ganz zu seinem langjaehrigen
Leitsatz: “Was die Leute reden, interessiert mich nicht.“
Meine Oma erfuhr ueberhaupt erst anlaesslich
des Kopftuchs von meinem Uebertritt zum Islam. Vor meinem ersten Besuch
in islamischer Kleidung rief ich sie vormittags an, um sie auf mein veraendertes
Aussehen vorzubereiten. Ich erzaehlte ihr die Neuigkeit von meinem Uebertritt
zum Islam. Daraufhin begann meine Oma, am Telefon zu weinen. Sie schluchzte:
“Jetzt kommst Du in die Hoelle!“ und legte dann den Hoerer auf.
Bis zu meinem Besuch am Nachmittag
hatte sie sich allerdings schon wieder gefangen. Unverzueglich begann sie
die erste von zahllosen Diskussionen ueber den Islam und das Christentum.
Sie ging den Kampf an.
Meine Mutter, die ehemals die Freikirche verlassen hatte, weil ihr dort alles zu eng war, hatte die groessten Schwierigkeiten, mit meinem neuen Lebenswandel umzugehen: “Wie kann man sich nur eine Religion aussuchen, die die persoenliche Freiheit so massiv einschraenkt?“ Das Kopftuch war sozusagen noch die bittere Pille, die diesen Erziehungsfehler fuer jeden sichtbar machte. Trotzdem liess sie mich gewaehren: „Mach du nur, was du fuer richtig haeltst. Damit fertig zu werden, ist einzig und allein mein Problem, nicht deines.“
In meiner sonstigen Verwandtschaft kursierte,
wie ich von meiner Oma erfuhr, bald das Geruecht, das mit dem Kopftuch
sei nur eine Phase, die sicher bald voruebergehen wuerde. So wurde es denn
totgeschwiegen. Man behandelte mich voellig normal, so als ob nichts waere.
Und ich danke Gott dafuer, dass das
bis heute so geblieben ist. Obwohl die „Phase“ nun schon viele Jahre andauert
und noch immer kein Ende abzusehen ist.
Mit dem Kopftuch wurde meine Religion
nun wirklich fuer jeden erkennbar. Und wiederum war ich, wie schon bei
meiner Annahme des Islam, sehr stolz, den Mut zu diesem Schritt gefunden
zu haben. Ich glaubte, auf dem besten Wege zu sein, meine Religion zu vervollkommnen.
Heute erstaunt mich, wie beschraenkt auch meine Sicht vom Islam damals
noch war. Was es wirklich bedeutet, Muslim zu sein, sollte ich erst viel
spaeter begreifen.
Ich empfand zu dieser Zeit jedoch nicht
nur Stolz, sondern war auch noch sehr aufgeregt. Als ich den Entschluss
fasste, das Kopftuch anzulegen, fuehrte ich noch am selben Abend ein langes
Telefongespraech mit Heide. Ich erzaehlte ihr von meiner Absicht, am naechsten
Tag mit Kopftuch zur Uni zu gehen. Spontan beschloss sie, die Chance zu
nutzen: aus eins mach zwei. Wir wollten zusammen mit Kopftuch auftreten.
Mir war es um so lieber.
Erfuellt von neuem Selbstbewusstsein
legte ich am naechsten Tag mein Kopftuch an. Zu Beginn war meine islamische
Garderobe noch etwas abenteuerlich. Jeanshose, lange Bluse und dazu ein
perlenbesticktes Kopftuch, Reisemitbringsel vom Aegyptenurlaub, knapp gebunden.
Woher soll man schliesslich so schnell eine voellig neue Garderobe bekommen?
Trotzdem hatte ich am Morgen laenger
als eine halbe Stunde vor dem Spiegel verbracht. Irgendwie gefiel mir mein
Spiegelbild noch nicht so recht. Ich band das Tuch mal so, mal anders.
Ich zupfte hier noch einmal und liess dort noch einmal ein paar Haare verschwinden.
Doch irgendwie sah das Kopftuch immer noch schief aus. Zwischendurch hatte
ich es fast aufgegeben. Aber irgendwann hatte ich dann keine Zeit mehr
gehabt. Da blieb das Kopftuch so, wie es gerade war, und ich verliess das
Haus.
Schon in der Bahn erlebte ich die erste
Reaktion. Eine junge Frau musterte mich eingehend und wendete sich dann
ihrer Begleiterin zu: „Hast Du eigentlich gestern im Ersten den Bericht
ueber die Tuerken gesehen? Schrecklich, wie es da in den Familien zugeht.“
An der Uni dagegen ging es ueberraschend
gut . Heide war zwar nicht da, aber Denise, das Maedchen, das in der Vorlesung
neben mir gesessen hatte. Sie strahlte mich an: “Das finde ich gut!“
Auch in der geographischen Fakultaet
besuchte ich ein Seminar. Heidrun, das Maedchen, mit der ich zusammen mein
Referat schreiben musste, fragte mich ganz erschrocken, was denn mit mir
passiert waere.
Die Neuigkeit, dass ich den Islam angenommen
hatte, nahm sie eher gelassen auf. „Ach so. Und ich dachte schon, du haettest
etwas an den Ohren.“
Am naechsten Morgen brauchte ich schon
nicht mehr so lange, um das Tuch zu binden. Langsam gewoehnte ich mich
an das Kopftuch. Zwei oder dreimal vergass ich, es anzuziehen, als ich
im Studentenwohnheim auf den Flur ging. Aber das war auch nicht weiter
schlimm. Alles in allem hatte ich kaum Probleme damit.
Und auch die Umwelt schien gar nicht
so feindlich zu sein, wie ich erwartet hatte. Ueberall stiess ich auf Interesse
an meiner neuen Religion. Ich beantwortete Fragen und diskutierte meinen
Glauben mit Passanten auf der Strasse, meinen Sitznachbarn in der Strassenbahn
oder im Wartezimmer meines Arztes.
Was ich damals noch nicht wusste, ist,
dass sich das eigentliche Problem mit dem Kopftuch erst graduierlich in
den Koepfen der Kopftuch-Traegerinnen entwickelt. Wenn die erste Zeit vorbei
ist, in der das Kopftuch noch neu und aufregend ist, wenn es schon lange
zum Alltag gehoert, aber die Kommentare nicht aufhoeren. In der Bahn, auf
der Strasse, beim Einkaufen, auf dem Amt. Egal wo man ist. Egal wer einem
begegnet. Immer wieder wird man auf das Kopftuch hin angesprochen. Und
immer wieder hoert man die gleichen Fragen und gibt die gleichen Antworten.
Manche Mitmenschen zeigen eine eher
harmlose Neugierde: „Sind sie eine Nonne?“ Das ist wohl die naheliegendste
Assoziation zu einer Deutschen mit Kopftuch. Kinder assoziieren anders:
„Bist Du Tuerkin geworden?“
Tatsaechlich wird man haeufig fuer
eine Auslaenderin gehalten. So bat mich der Hausmeister im Studentenwohnheim,
ihm tuerkisch zu dolmetschen. Heide wurde an der Eisdiele mit vorgestreckten
Fingern gefragt, wieviele Eisbaellchen sie denn wolle: “Zwei oder drei?“
Hat das Gegenueber dann einmal festgestellt, dass die Kopftuchtraegerin
Deutsch spricht, so folgt als naechstes die obligatorische Frage: „Wo haben
Sie denn so gut Deutsch gelernt?“
Ein Standardkommentar, den ich vor
allem im Sommer immer wieder hoere, lautet: „Ist Ihnen denn nicht zu heiss
unter dem Tuch?“
Andere Mitmenschen sind da etwas belesener.
Sie argumentieren: „Kopftuecher passen doch nun wirklich nur in den Orient
mit dem heissen Wuestenklima.“ (Ob es den Frauen in der Wueste wohl weniger
warm ist, als denen in unseren gemaessigten Breiten?) Wieder andere wissen:
„Muslimische Frauen muessen doch gar kein Kopftuch tragen.“ Der Beweis?
„Die Frau des Koenigs von Jordanien traegt doch auch keins.“ Fuer diese
Gruppe ist voellig unverstaendlich, wie eine Deutsche zum Islam kommen
kann: “Ja, haben Sie denn nicht Betty Mahmoody gelesen?“
Andere Mitmenschen wiederum interessiert
das “Wie kann man nur ...?“ weniger. Sie registrieren ein Kopftuch als
Stoerfaktor. So wurde ich auf offener Strasse beim Einkaufsbummel mit ausgestreckter
Hand und “Heil Hitler!“ begruesst. An der Strassenbahnhaltestelle rief
man mir zu: „Hier ist Europa. Geh wieder nach Hause.“
Und als ich mit einigen Freunden ein
Picknick machte, kommentierte ein Spaziergaenger: „Guck dir mal das Gesocks
an.“ Eine Freundin wurde gar nach ihrer Heirat mit einem Marokkaner beim
Meldeamt gefragt, wie lange sie denn noch in Deutschland bleiben wolle.
Irgendwann kann man die dummen Sprueche
nicht mehr hoeren. Ja sogar die seltenen positiven Kommentare wie: “Das
finde ich mutig, dass Sie Kopftuch tragen.“ beginnen, einem auf die Nerven
zu gehen. Mit der Zeit entwickelt man eine Art Paranoia. Man fuehlt sich
nur noch als Kopftuch wahrgenommen und nicht mehr als Persoenlichkeit.
Alles Negative, das einem im Umgang mit den Mitmenschen widerfaehrt, bezieht
man auf das Kopftuch.
Wenn in der Baeckerei Kunden, die spaeter
gekommen sind, zuerst bedient werden, liegt das natuerlich am Kopftuch:
„Die Verkaeuferin hat mich bestimmt nur deshalb uebergangen, weil ich Kopftuch
trage.“ Ebenso wenn der Fahrkartenkontrolleur die eigene Fahrkarte als
erste kontrolliert: „Muslime gelten halt als potentielle Schwarzfahrer.“
Oder wenn der missgelaunte Beamte sich nichtmals den Hauch eines Laechelns
abringen kann. Waere man „normal“ gekleidet, so waere er bestimmt freundlicher.
Mancher Leser wird sich vielleicht in der Liste der Kommentare wiedergefunden haben und wird jetzt sagen: „Ich hatte es doch gut gemeint. Wenn Sie ein Kopftuch tragen, muessen Sie doch damit rechnen, dass das Interesse weckt.“
Das stimmt, da gebe ich Ihnen voellig
recht. Das Problem ist auch nicht Ihr Interesse. Das Problem ist, dass
der groesste Teil der Menschen, die mir begegnen, mehr ueber den Islam
zu wissen glauben als ich. Die Medienglaeubigkeit geht so weit, dass die
Aussage eines „Fachmanns“ im Fernsehen grundsaetzlich mehr Wahrheitsgehalt
hat, als meine taeglichen Erfahrungen. Schliesslich darf er im Fernsehen
auftreten, und ich nicht.
Islam gilt als Bedrohung, muslimische
Frauen als seine Opfer und das Kopftuch als Symbol ihrer Unterdrueckung.
Die Frau, die es traegt, gilt als beschraenkt - in jeder Hinsicht. Ein
bedauernswertes Geschoepf, das an der Hand genommen und ins 20. Jahrhundert
gefuehrt werden muss.
Tatsaechlich wird dabei meist ueber
die muslimische Frau gesprochen, und nicht etwa mit ihr.
Und wenn man sie ueberhaupt einmal
etwas fragt, dann sicher nur zur Rolle der Frau. Zu anderen Themen wie
etwa Politik oder Wirtschaft wird der muslimischen Frau erst recht keine
Kompetenz zugetraut.
Tatsaechlich findet hier die Art von
Entmuendigung statt, die die muslimischen Frauen in Deutschland am meisten
beklagen: Ihnen wird die Faehigkeit abgesprochen, selbstaendig zu denken
und verantwortlich zu handeln.
An jenem ersten Tage jedoch, an dem
ich mit meinem neuen Kopftuch zur Universitaet ging, war ich noch voller
Optimismus. Gegen Vorurteile kann man am besten angehen, indem man sie
durch sein Handeln widerlegt. Muslimische Frauen sollten sich nicht in
eine Schublade stecken lassen. Sie sollten beweisen, dass mehr in ihnen
steckt, als die deutsche Gesellschaft ihnen zutraut. Allein die Praesenz
von Kopftuechern an der Uni oder auch von deutschen Muslimen schlechthin,
muesste die Leute doch zum Nachdenken bringen. Ich nahm mir vor, eine selbstbewusste
Kopftuchtraegerin zu werden und als solche meinen Platz in der Gesellschaft
zu finden.