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Durch Tränen leuchtet Hoffnung
Bericht über die Informations-und Vorbereitungsreise nach Rumänien
vom 27.09.96 bis 04.10.96
Ursula Honeck
Gerade ein paar Stunden von meiner Informations- und Vorbereitungsreise nach Rumänien zurückgekehrt, setze ich mich an den Computer, um
alle meine Gedanken und Eindrücke zu Papier zu bringen. Wo soll ich anfangen? So viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Andrea, meine Tochter, die im Frühjahr für zwei Monate in Rumänien in einem Kinderheim
gearbeitet hatte, hegte den Wunsch vor Beginn ihres Studiums noch einmal ihre Kinder, die sie so lieb gewonnen hatte, wiederzusehen. Auch ich wollte mir nach dem Hilfstransport 96 vor Ort bei den von uns versorgten
Stellen über die Verwendung der gebrachten Hilfsgüter ein Bild machen und mich um die Vorbereitung für den kommenden Transport 97 persönlich kümmern. So versuchten wir alles unter einen Hut zu bringen und starteten
unsere privat finanzierte Reise am Freitag den 27. September mit dem Zug und dem Flugzeug. In Bukarest landeten wir pünktlich bei strömendem Regen und wurden von unserem Freund, Herrn Dr. Sorin Nicolescu,
abgeholt. Unsere Reisetaschen waren vollkommen durchnäßt, so daß wir nach unserer Ankunft erst einmal die nasse Wäsche zum Trocknen auf dem Tisch ausbreiten mußten. Auf dem Weg zu Dr. Nicolescu hatte ich den
Eindruck, daß die Menschen noch bedrückter und die Löcher in den Straßen noch tiefer waren als vor zwei Jahren. Auch die Zahl der Kinder, die ihr Leben in zerlumpter Kleidung, teilweise ohne Schuhe und jeden Tag um
das Überleben kämpfend auf den Straßen von Bukarest verbringen, scheint ständig zuzunehmen. Auf meine Bemerkung, daß wohl alles noch viel schlechter geworden sei seit meinem letzten Besuch, nickte er nur stumm. Er
könne sich nicht beklagen, als Arzt (durchschnittlicher Verdienst 180.000 lei = 90,00 DM) kann man sich immer irgendwie über Wasser halten, da fast kein Patient mit leeren Händen (nicht etwa mit Geld sondern mit
Naturalien) in die Praxis kommt. Dr. Nicolescu betreut eine Ambulanz mit 30.000 Patienten und wird von uns jährlich mit medizinischen Hilfsgütern und Medikamenten versorgt, die er kostenlos an seine Patienten
weitergibt. In seinem letzten Brief schrieb er uns, daß alles, was wir gebracht haben von unschätzbarem Wert sei. Am nächsten Morgen trafen wir uns vor unserer Weiterreise mit dem Zug nach Piatra-Neamts in der
katholischen Abteilung des Forums der Deutschen in Bukarest mit Frau Paula Fonosch, die auch dabei war, als die Hilfsgüter im Mai in Tirgu-Mures für das Forum abgeholt wurden. Mit Stolz berichtete sie über ihre
ehrenamtliche Arbeit, in die sie rein zufällig als gelernte Buchhalterin nach ihrer Pensionierung hinein gerutscht war. Inzwischen ist aus dem Nebenjob eine Vollzeitbeschäftigung geworden (das kenne ich irgendwo
her). Sie macht ihre Arbeit mit sehr viel Freude und Korrektheit, was man aus den tadellos geführten Büchern über die Verteilung von Kleidung, Wäsche, Lebensmitteln und Medikamenten entnehmen kann. Das Forum hat
3000 Mitglieder, davon betreut sie die 500 Mitglieder der katholischen Gemeinde, vorwiegend alte Menschen, Russlanddeportierte und Deutsch-Rumänen, die durch diese Organisation eine Chance zum Überleben und das
Gefühl einer Gemeinschaft bekommen haben. Außerdem werden durch ehrenamtliche Mitarbeiter im Moment 73 gebrechliche, kranke Menschen, die nicht mehr aus dem Haus können, täglich mit Essen und Pflege versorgt. Mit
unseren Kleiderspenden wird auch ein Waisenhaus mit 52 Kindern unterstützt. Von der Kirche kommt keinerlei Zuwendung, nicht einmal ein Pfarrer steht dieser kleinen Gemeinschaft zur Verfügung, wo doch in solch einer
schwierigen Lebenssituation seelischer Beistand so wichtig wäre. Eine durchschnittliche Rente beträgt ca. 120.000 lei das entspricht 60,00 DM, viele haben aber noch weniger. Für Miete, Gas, Wasser, Heizung etc.
fallen ca. 70.000 lei an, was übrig bleibt muß für das tägliche Leben reichen. Das kann es aber kaum, da die Preise für Lebens- Reinigungsmittel, Kleidung, Schuhe etc. westliches Niveau haben ( eine kurze
Aufstellung über Preise von Gebrauchsgütern habe ich gesondert aufgestellt). Alleine für Medikamente muß ein Rentner durchschnittlich pro Monat mit 10.000 lei rechnen. Die Rechnung geht nie auf und jeder von uns
fragt sich, wie die Menschen überleben können. Mit der Armut werden auch die Menschen schlechter, es wird gestohlen und betrogen, man lebt nur von einem Tag auf den anderen. Diese Aussage haben wir die ganze Woche
durch an allen Orten zu hören bekommen. Und trotzdem scheint es einigen nicht schlecht zu gehen, wenn man die noblen Mercedes oder BMW durch die Straßen Bukarests fahren sieht. Meist sind es nicht sehr korrekte
Methoden, die diese Leute zu stolzen Besitzern solcher Autos machen, denn mit Fleiß und Ehrlichkeit kann man in diesem Land nicht reich werden. Wir hatten ein gutes und aufschlußreiches Gespräch mit Frau Fonosch
vom Forum, und ich bin der Überzeugung, daß hier unsere materielle und finanzielle Hilfe nicht aufhören sollte. Gegen mittag traten wir die sechsstündige Weiterreise mit dem Zug in Richtung Piatra-Neamts an.
Andrea war sichtlich erleichtert, als sie sah, daß Dr. Nicolescu Fahrkarten für die 1. Klasse besorgt hatte. Im Frühjahr war sie in der 2. Klasse unterwegs, in einem engen, schmutzigen Abteil, überbesetzt mit 8
Leuten und stickiger Luft. Der einzige Unterschied war nun der, daß nur 6 Leute im Abteil waren. Bei jedem Halt kamen Kinder oder armselig aussehende Menschen in den Zug, um nach eßbaren Überresten in den Abteilen
zu suchen oder zu betteln. Gegen Abend erreichten wir müde und reif für eine gründliche Reinigung Piatra-Neamts, wo wir von all unseren Freunden herzlich empfangen wurden. Gusti, bei der wir unser Quartier
bezogen, teilte uns sogleich mit, daß es erst wieder ab Montag warmes Wasser geben würde. Nach fast sechs Jahren Rumänien war das keine Überraschung für mich. Der Sonntag war ausgefüllt mit Besuchen bei all unseren
lieben Freunden, Essen und der Planung für die kommenden Tage. Gusti und Herr Munteanu hatten, wie schon so oft, an Wochenenden vorgearbeitet und nun frei genommen, um uns während dieser Zeit zu begleiten und als
Dolmetscher zur Seite zu stehen. Am Montagmorgen galt unsere erste Visite natürlich dem Kinderheim, wo Andrea gearbeitet hatte. Es ist sehr schwer unsere Gefühle, die wir bei diesem Besuch hatten auf Papier zu
bringen. Nur wer die Atmosphäre in diesem Heim, wo derzeit 170 Kinder von 0 bis 3 Jahren untergebracht sind, kennt, kann vielleicht ein wenig nachempfinden, was in Andrea und mir vorgegangen ist. Eine Schwester, die
gut deutsch spricht führte uns durch die einzelnen Zimmer, die vollgestopft waren mit Kinderbettchen, in denen sehr häufig zwei Säuglinge in einem Bett lagen, da zu wenig Platz war. 50 Kinder stehen noch auf der
Warteliste und es werden noch mehr, berichtete uns die Heimleiterin. Frauen kommen, das Kind schon fast geboren, ohne Papiere ins Krankenhaus und verschwinden zwei Stunden später, kein Mensch wird je erfahren, wem
das Neugeborene gehört. Auch gibt es immer mehr Arbeitslose, die Eltern können ihre Kinder nicht mehr ernähren und geben sie ins Heim, damit alle überleben können. So auch ein Geschwisterpaar, das seit ein paar
Wochen da ist. Roxana, die kleine Dreijährige mit ihren großen Augen hat von zu Hause sicher viel Liebe erfahren, das merkt man an ihrem Verhalten dem kleinen Robert, ihrem einjährigen Bruder gegenüber und überhaupt
an ihrem sozialen Verhalten in der Gruppe. Ihre Mutter sah keine andere Möglichkeit und wird sehr wahrscheinlich die beiden zur Adoption frei geben, die dann sicher getrennt werden müssen. Wenn die Mutter kommt,
wird Roxana ganz böse, spricht kein Wort mit ihr, läßt sich nicht anfassen und straft sie mit verbitterten Blicken. Was muß in solch einem kleinen Menschenkind vorgehen, was muß es leiden und empfinden? Als wir dann
endlich in das Spielzimmer von Salon 5 zu Andreas Gruppe vom Frühjahr kamen, war es vorbei mit der Beherrschung. Andrea sah einige ihrer Kinder wieder, darunter auch den kleinen Josif, an dem ihr Herz besonders
hängt. Er war abgemagert, apathisch und kein bißchen gewachsen. "Seit Andrea weggegangen ist, hat ihn niemand mehr geliebt", sagt mir die Schwester. Man hatte das Gefühl, daß das Kind wie eine kleine
Pflanze ohne Wasser und Wärme verkümmert. Eine tiefe Traurigkeit belastete von diesem Augenblick an unseren Aufenthalt. Ich hatte mich im Frühjahr intensiv um Adoptionsmöglichkeiten bemüht, bekam aber von Frankfurt
die Antwort, daß derzeit nur Kinder über 7 Jahre oder Behinderte vermittelt werden, da man den Kindern die Chance geben sollte in ihrem Heimatland aufzuwachsen. Wer bitte hat in Rumänien die Möglichkeit oder das
Interesse ein Kind zu adoptieren, wo fast alle selbst täglich um das Überleben kämpfen müssen? Was hat ein Kind für eine Chance, wenn es in Heimen groß wird? An allerlei Gesetzen könnte man verzweifeln. Wir hörten
aber auch, daß inzwischen 10 Kinder nach Schweden, Frankreich und Amerika adoptiert worden sind. Wie kann man das verstehen? An diesem Tag besuchte ich noch mit Gusti und Herrn Munteanu ein Heim mit 250 Kindern
im Alter von 3 bis 6 Jahren. Ich war überrascht über die familiäre Atmosphäre und die Sauberkeit in diesem Haus. Natürlich fehlte es auch an allem, aber die Kinder hatten ein besseres Umfeld und konnten singen und
lachen. Als erster Programmpunkt am Dienstag war ein Besuch bei der Betriebsleitung des Chemie-werkes Fibrex, Savinesti vorgesehen. Gerade hier waren Gespräche sehr wichtig, weil wir nicht erst in diesem Jahr das
Gefühl hatten, daß man über die Menge der von uns gebrachten Medikamente für die Ambulanz unzufrieden war. Auch hatte es im Mai Schwierigkeiten beim Tanken gegeben. So wollten wir die Entscheidung, ob wir diese
Station weiter mit Medikamenten beliefern werden von meinem Bericht nach dieser Reise bei der nächsten Vorstandssitzung abhängig machen. Leider hat man auf einem Transport nicht die Zeit und Möglichkeit klärende
Gespräche zu führen, und so wird auch vieles auf beiden Seiten mißverstanden. Herr Botezatu, der Gewerkschaftsleiter des Chemiekonzerns versicherte mir, auch wenn wir nichts mehr bringen könnten würde man unsre
bisherige Unterstützung für die vielen armen Menschen, die durch unsre Hilfe umsonst Medikamente bekommen haben, nie vergessen, und die gewachsene Freundschaft würde dadurch keinen Schaden erleiden. Auch würde er
uns weiterhin behilflich sein, wenn wir nach Piatra-Neamts kämen. Bei diesem Gespräch habe ich zum erstenmal so richtig gemerkt, wie sehr Herrn Botezatu die Hände gebunden sind. So entscheiden 46 Leute vom
Betriebsrat und eine Ärztin über die Verteilung und Weitergabe von Medikamenten und medizinischen Hilfsmitteln. Daß das nicht gut gehen kann, versteht sich von selbst. Der eine traut dem andern nicht und hat Angst,
daß er zu kurz kommt. Auch ist der Krankentransportwagen, den wir im Mai gebracht haben, noch nicht in Betrieb. Die Papiere liegen immer noch auf dem Zollamt, vielleicht wartet man darauf, daß jemand mit einem
dicken Geldbeutel kommt um die Sache zu beschleunigen. Auf die Frage nach der von uns vor zwei Jahren gebrachten Zahnarzteinheit bekam ich wenigstens eine positive Antwort, daß sie nach langem Hin und Her im Moment
in einer Schule eingebaut wird. Natürlich wollte ich mich selbst davon überzeugen und besichtigte die Baustelle. Über den Zeitpunkt der Fertigstellung möchte ich hier keine Spekulationen wagen. Man bemüht sich, wird
aber von keinem und niemanden unterstützt. Wenn die Wahlen Anfang November vorbei sind, wird alles besser, dies möchte man sich gerne einreden, aber jeder weiß, daß es kaum möglich sein wird, das sinkende Schiff
wieder in Gang zu bringen. Es gibt keine Mittelschicht mehr sondern nur noch Arme oder ganz Reiche. So konnte ich bei einem Müllcontainer, der einen fürchterlichen Gestank ausströmte, neben streunenden Hunden, die
nach Freßbarem suchten, einen alten Mann beobachten, der vergammelte Gemüsereste aus der Tonne holte und aß. Bei solch einem Anblick frage ich mich, ob die meisten von uns nicht auf sehr hohem Niveau jammern, wenn
der Geldbeutel nicht mehr ganz so voll ist. Dort gibt es keine Sozialversicherung, keine Krankenversicherung. Eltern müssen ihre Kinder weggeben, kranke Menschen müssen sterben, wenn sie kein Geld haben. Im
Krankenhaus muß man pro Tag für die Wäsche, für das Essen, für Injektionen und alles was dazu kommt extra bezahlen. Die Häuser sind alle hoch verschuldet und am Ende bleibt kein Geld um Medikamente zu kaufen. Dies
berichtete uns auch Dr. Liebhart vom Krankenhaus in Tirgu-Mures, der kurz vor meiner Reise bei uns in Todtnau zu Besuch war. Am Nachmittag machte ich noch einen Besuch in der katholischen Pfarrei. Pfarrer Budau
berichtete mir von der Verteilung der Hilfsgüter. Fast alles sei verteilt und mit großer Dankbarkeit von den Bedürftigen angenommen worden. Man fragt jetzt schon, wann wir wiederkommen. An der neuen Kirche kann
leider wegen Geldmangel nicht weiter gearbeitet werden. Lichtblicke bei dieser Reise waren immer zwischendurch die guten Gespräche mit Gusti, Herr Munteanu und Rosa, für die ich endlich einmal mehr als nur ein
paar Minuten Zeit hatte. Bei wunderschönem Wetter fuhren wir am Mittwochvormittag nach Tulghes, der von uns versorgten psychiatrischen Klinik. Mit Frau Dr. Morosanu, von der ich vor meiner Abreise noch einen
Brief bekommen hatte, in dem sie sich unzufrieden über die Anwesenheit einer Reporterin und Leute, die ständig filmten, äußerte, konnte ich dann doch noch klärende Gespräche führen. Es sind viele neue Ärzte in der
Anstalt, die ihr nicht wohlgesinnt sind, weil sie das Gefühl haben, daß Frau Dr. Morosanu von unseren Transporten profitiert. Und so hat sie Angst, daß man sie an den Pranger stellt, wenn Negativberichte in den
Medien veröffentlicht werden. Sie verstand dann doch die Notwendigkeit der Berichterstattung, die ja durchaus positiv ist und von der die weitere Unterstützung durch die Spender, auf die wir angewiesen sind,
abhängig ist. Wir machten einen Rundgang durch einige Häuser und freuten uns, so viele Hilfsgüter, die wir inzwischen gebracht haben, in ihrer Funktion zu sehen. Auch Frau Dr. Morosanu sind die Hände gebunden. Sie
bekäme nicht mehr Unterstützung vom Staat, wenn sie die Misere über die Versorgung der Patienten in der Psychiatrie kritisieren würde. Sie würde im besten Fall ihre Arbeit verlieren, aber ich bezweifle, daß das
alles wäre. Wenn man wie ich schon seit fast sechs Jahren nach Rumänien fährt, lernt man die tiefen Ängste der Leute und die Machtlosigkeit zu verstehen. Auch bei unseren Freunden knackt manchmal so komisch das
Telefon, wenn wir da sind. Es wird noch von Hand vermittelt, mehr braucht wohl nicht gesagt werden. Natürlich bekam ich eine endlose Wunschliste, was verständlich ist, wenn man hört, daß pro Patient nur ein
knapper Geldbetrag vom Staat bezahlt wird. Davon kann nur ein Betrag von 3000 lei = 1,50 DM für Essen pro Tag und Patient verwendet werden. Der Rest ist für Kleidung und Pflege. Geld für die medizinische Versorgung
kommen aus einem staatlichen und einem Gemeindefond. Es wäre müßig zu erwähnen, daß diese Zuwendung hinten und vorne nicht reicht. So bedankte sich die Klinikleitung herzlich bei uns vor allem für die
kontinuierliche Hilfe und sprach die Hoffnung aus, daß wir sie nicht, wie viele andere Hilfsorganisationen nach einmaliger Unterstützung alleine lassen. Gegen Abend stand uns noch ein schwerer Gang bevor. Es hieß
Abschied nehmen von den Kindern des Heimes. Wir spielten noch ein Stunde mit den Kindern, und sogar Josif konnte in Andreas Arm wieder herzlich lachen. Als der Moment des Abschiednehmens kam, spürten wir bei einigen
Kindern, zum Beispiel dem kleinen Popescu, der die ganze Zeit seine Ärmchen um mich gelegt hatte und immer wieder strahlend "Mamma Andrea" sagte, der kleinen, sehr sensiblen Roxana und Josif eine tiefe
Enttäuschung. Das Lachen war verflogen, Tränen rollten über die zarten Kindergesichter. Wir mußten sehr schnell das Haus verlassen, als Erwachsener ist man ja so erzogen, seine Gefühle zu unterdrücken und nicht zu
zeigen. Am nächsten Morgen hieß es dann Abschied nehmen von all unseren Freunden. In ihren Augen war durch die Tränen ein helles Leuchten zu sehen, ein Leuchten, welches das Vertrauen und die Hoffnung auf uns und
unsere Hilfe widerspiegelte. "Bis im Januar", rief mir Gusti winkend zu. Ja, im Januar werden wir uns wiedersehen, wenn ich zu einer Informations- und Vorbereitungsreise nach Moldavien fliegen werde, wo es
derzeit (alle Ärzte und Lehrer haben seit drei Monaten kein Gehalt mehr vom Staat erhalten) noch schlechter als bisher sein soll. Dann werden Gusti und Herr Munteanu wieder an meiner Seite stehen. Ein schönes Gefühl
solche Freunde zu haben. Nach diesen Tagen, in denen ich mich bemüht habe, mir nicht nur emotional sondern auch objektiv ein Bild über die derzeitige Lage, über die Bedürftigkeit und über die Notwendigkeit
weiterer Versorgung in Rumänien zu machen, bin ich der Überzeugung, daß wir, soweit es unsere Möglichkeiten zuließen, bisher sehr gute Arbeit geleistet haben, und daß wir all die Armen, Kranken, Alten und die Kinder
in dieser immer schlechter werdenden Situation nicht alleine lassen dürfen.
05. Oktober 1996
Ursula Honeck
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