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Bericht über die Informationsreise nach Rumänien im
Oktober 1998
von Ursula Honeck
...alle Jahre wieder, kommt der Tag im Oktober, wenn ich mich auf die Informationsreise nach Rumänien begebe. Ohne LKW, ohne Hilfsgüter, nur mit
dem Flugzeug und, Gott sei Dank, in Begleitung meines Bruders. Wenn man so viele Reiseberichte schreibt wie ich, fällt es immer schwerer einen Anfang zu finden. Am besten beginne ich mit dem Tag unserer Abreise,
einem regnerischen, grauen 12. Oktober, morgens in der Früh. "Haben wir alles, haben wir die Tasche, den Paß, die Papiere?", so gehen wir noch mal die Checkliste auf dem Weg in Richtung Zürich durch. Kurz
vor Geschwend stellen wir fest, daß wir das Wichtigste, unsere Aktenmappe, mit den ganzen Unterlagen und dem Geld zu hause gelassen haben. Für die Umkehr bleibt uns noch genügend Zeit, und so kommen wir noch
pünktlich eine Stunde vor Abflug auf dem Flughafen an. Unser Gepäck ist so schwer, daß wir die Befürchtung haben Nachgebühr bezahlen zu müssen. Nicht daß wir den halben Kleiderschrank dabei haben, das Gewicht ist
durch die kleinen Geschenke für unsere Freunde bedingt. (Waschpulver, Schampoon, Rasierwasser, Seife und Kaffee haben eben ihr Gewicht.) In Zürich kann ich mich mit meinem enorm schweren Trolly als Handgepäck
durchmogeln, aber auf dem Nachhauseflug sollte das anders sein. Wir haben uns diesmal die günstigste Fluggesellschaft ausgewählt. Wir müssen zwar eine Zwischenlandung in Budapest in Kauf nehmen, sind aber angenehm
über den guten Service der Ungarn überrascht. Nun endlich im Flugzeug komme ich dazu mit meinem lieben Bruder anzustoßen, er hat heute Geburtstag. In Budapest, wo wir die Zeit des Wartens auf den Weiterflug in
einer stickigen, überheizten Halle verbringen, können wir endlich mit dreißigminütiger Verspätung weiterfliegen. Die Zollabfertigung in Bukarest ist im Gegensatz zu früher völlig unproblematisch, und Dr. Sorin
Nicolescu erwartet uns schon ungeduldig im Flughafengebäude. Bukarest wartet mit frühlingshaften Temperaturen auf, natürlich bin ich falsch angezogen. Alles kommt mir bekannt vor auf der Fahrt durch Bukarest, selbst
die Löcher in den Straßen, die unfertigen Hochhäuser und die überdimensionalen Bankgebäude. Scheinbar hat sich nicht viel geändert, oh doch "es wird immer schlimmer, man weiß nicht mehr, wie man überleben
soll", so berichtet uns unser Freund auf der Fahrt. Noch am Abend treffen wir uns mit Frau Paula Fonosch, die schon seit Jahren unsere für das Forum der Deutschen bestimmten Hilfsgüter in Empfang nimmt und sehr
korrekt verteilt. Auch sie berichtet über aussichtslose Situationen, gerade für die Alten, Pflegebedürftigen, Kranken und Kinder. Eine große Freude empfinden wir, als sie uns sagt, daß die Wäsche, Kleidung, Schuhe
und Spielsachen immer in allerbestem Zustand seien, wenn "HFO" etwas bringt. Die Leute fragen schon, nach Sachspenden von uns. Was selbstverständlich sein sollte, ist leider nicht immer so. Sie berichtet
von schmutziger Unterwäsche und Bekleidung von anderen Organisationen aus Deutschland.
Der Countdown bezüglich Termine läuft, schon am nächsten morgen heißt es zeitig aufstehen, waschen mit kaltem Wasser, danach Besuch im Schillerhaus beim Deutschen Forum. Gerne hätten wir alle
Stellen besucht, die von uns Hilfsgüter bekommen haben, aber die Zeit ist zu knapp. So besuchen wir ein Kinderheim, wo in der Hauptsache Waisenkinder und Kinder aus zerrütteten Familien untergebracht sind.Es
macht einen sehr gepflegten und sauberen Eindruck, obwohl eine Renovierung dem Gebäude auch nicht schaden würde, aber der Staat hat für so etwas kein Geld.
Kurz vor unserer Abreise von Bukarest, besuchen wir noch die staatliche Ambulanz, wo Frau Dr. Nicolescu arbeitet. Was wir hier zu sehen bekommen, ist unbeschreiblich. Neben
dem Eingang befindet sich ein Müllhaufen, der geradezu einladend für Ratten sein dürfte. Unten in dem abgewrackten Gebäude ist eine Zahnarztpraxis untergebracht, schon alleine
der üble Geruch hält uns davon ab einen Blick hinein zu werfen, und im ersten Stock ist nun die Ambulanz, wo Frau Dr. Nicolescu ihr Brot verdient. Die wenigen Möbelstücke, die
wir vorfinden, sind in so einem schlechten Zustand, daß man sie bei uns nicht einmal mehr auf den Sperrmüll werfen würde. Der Medikamentenschrank ist leer, ein Stethoskop,
ein Schlauch zum Blutstauen und ein Blutdruckmessgerät sind die einzigen Utensilien, die vorhanden sind. Bis vor kurzem hat man noch mit Holz geheizt, jetzt soll das mit Gas
geschehen, in welchem Winter hat man aber nicht gesagt. Jeden Tag kommen an die 60 Patienten in die Praxis. Eine erfolgversprechende Therapie ist kaum durchzuführen, weil
die Patienten kein Geld haben für Medikamente. "Wie kann man in solch einem Umfeld überhaupt arbeiten, das muß einen doch krank machen und alle Freude an der Arbeit
nehmen", so ist die Meinung nicht nur von meinem Bruder. "Haben wir eine Wahl ? Wir müssen leben, überleben und müssen uns den Gegebenheiten beugen", antwortet uns
Dr. Nicolescu. Tief beeindruckt von dieser deprimierenden Lage fahren wir zum Bahnhof, um die Reise in Richtung Piatra-Neamts anzutreten. Diesmal kann fast nichts schief
gehen, der Zug fährt auch bei Nebel, und dazu noch ein Intercity. Es ist überraschend sauber in diesem Zug. Man meint es zu gut mit uns und dreht die Heizung auf , auch die
Discomusik ist für unser Alter um einiges zu laut. Wie man es macht ist es falsch, mein Bruder Gunther packt den Mantel in den Koffer, doch bei der Ankunft in Bacau ist es recht
feucht und kühl. Aber um so wärmer und herzlicher ist die Begrüßung durch Gusti, die uns mit Zucu, dem Fahrer, am Bahnhof abholt. Zuhause in Piatra werden wir schon von
Gustis Mann und Herrn und Frau Munteanu erwartet. Während der nun folgenden Gespräche wird unser Eindruck, daß die Hilfsgüter vom Juli für die
Hochwassergeschädigten, optimal verteilt wurden, nur bestätigt. Frau Munteanu kann eine vollkommen korrekte Buchhaltung vorweisen und scheut auch ,so wie alle anderen Mitarbeiter, keine Tätigkeit. Am nächsten morgen Besuch im Kinderheim von Piatra-Neamts. Herr Munteanu hatte im Mai Babynahrung, Kleidung und Pampers von
unserem Transport dort hingegeben. Derzeit sind über 200 Kinder im Alter von 0 - 3 Jahren hier untergebracht, meistens Waisenkinder. Sie wurden zum großen Teil von ihren Müttern
in der Klinik zurückgelassen und liegen nun zu zweit oder zu dritt in einem Bettchen. Bei diesem Anblick muß ich mir schon sehr stark auf die Lippen beißen, um meinen Gefühlen
keinen freien Lauf zu lassen. Es wird renoviert, man möchte den Kindern ein besseres Umfeld schaffen, aber die Liebe der Eltern kann dennoch nicht ersetzt werden.
10.00 Uhr Termin bei Fibrex, Savinesti. Man berichtet uns über die Verteilung der Medikamente, das was nicht in der Werksambulanz gebraucht wurde, gab man an das
Krankenhaus in Piatra-Neamts weiter. Ansonsten ist die Stimmung sehr niedergedrückt, man weiß nicht, wie es weitergehen soll, in diesem Jahr hat man 5000 Arbeiter entlassen
müssen. Man fühlt sich vom Westen verlassen und hat Angst vor dem Osten. Was uns sehr beeindruckt, ist die Tatsache, daß uns Fibrex für unsere Rundreise ein Auto
mit Fahrer für die ganze Woche kostenlos zur Verfügung stellt.
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Nach dem Essen geht es nach einem kurzen Stopp bei der Spedition von Herrn Mihail, der uns schon so oft geholfen hat, weiter
in das Dorf Secuieni. Dieses Dorf hat im Sommer nach der Hochwasserkatastrophe von uns Hilfe bekommen. Ein sehr sympathischer, junger Pfarrer führt uns durch sein Dorf
und zeigt uns die durch die Naturgewalt zugefügten Schäden. 21 Häuser wurden weggeschwemmt, viele können nicht mehr bewohnt werden, ein Großteil der Ernte wurde
vernichtet, die Folgen dieser Katastrophe sind jetzt noch zu sehen. Man ist unendlich dankbar für unsere spontane Hilfe. Die Bauern hier sind sehr fleißig und versuchen mit
ihren wenigen Mitteln der Zerstörung Herr zu werden. Herr Munteanu hat versprochen auch das nächste mal von uns gebrachte Hilfsgüter abzugeben.
Müde darf man auf solch einer Reise nicht werden, denn vor Mitternacht ist kein Tag zu Ende, und man muß immer mit allerhand Überraschungen rechnen. So sind wir an diesem
Abend bei Familie Munteanu, als das Telefon klingelt. Gusti verschwindet und kommt kurz darauf mit unserem Freund Bischof Joan Vulpe aus Moldavien, wieder. Die Überraschung
und Wiedersehensfreude kann man nicht beschreiben. Das sind wirklich noch wahre Freunde. Kein Weg ist ihm zu weit, um uns zu sehen, in der gleichen Nacht fährt er noch zurück. Früh am nächsten morgen treffen wir in einer Schule ein 12-jähriges gelähmtes Mädchen, das von uns im Mai
einen elektrischen Rollstuhl bekommen hat. Seither kann sie wieder am Unterricht teilnehmen und sich einigermaßen frei bewegen. Anschließend treffen wir uns mit Herrn Dr. Curelaru im Krankenhaus von
Piatra-Neamts, der uns durch seine sehr bescheiden eingerichtete Abteilung führt und sich herzlich für die Medikamente, die er von Fibrex bekommen hat, bedankt. Natürlich wird überall die von uns angefertigte
Wunschliste ausgefüllt, ohne ein Versprechen zu erwarten. - Ja der Zeitplan fordert uns total, gleich geht es weiter zu einem Kinderheim für größere Kinder. Es ist sehr gut geführt, was uns besonders überrascht und freut ist die Tatsache, daß die Dinge, die wir im Mai gebracht haben schon ihre volle
Verwendung finden. So ist das Sprachlabor, das wir damals gebracht haben, installiert und wird jeden Samstag voll genutzt. 11.00 Uhr Termin beim Präfekten vom Kreis Neamts. Er bedankt sich ganz
herzlich für unsere spontane Hilfe für die Hochwassergeschädigten nach seinem Hilferuf . Wir seien die einzigen Deutschen gewesen, die auf diese Bitte geantwortet hätten. Auch würdigt er die kontinuierliche Hilfe
für sein Land seit nunmehr 8 Jahren. Anschließend Pressetermin zwischen Tür und Angel. "Warum tun Sie das für unser Land, und nun schon seit so vielen Jahren, obwohl
im Westen doch so eine schlechte Meinung von uns herrscht, wir Rumänen sind doch nichts wert", das sind die ersten Fragen, welche die beiden Reporterinnen stellen. "Wir
sehen die Menschen, die Hilfe brauchen, auch bei uns gibt es viele schwarze Schafe", so lautet meine Antwort. Schon zwei Tage später sind Berichte über dieses Interview in den
Zeitungen. Nun schnell noch ein kurzer Besuch bei der Direktorin der Fundatia de caritate Copilul, Frau Ignatovci, die unsere Arbeit auch sehr lobt und um weitere Unterstützung in
Form von Patenschaften, Hilfe für Familien und Kinderheime bittet.
Der Kleinbus wartet schon, um uns nach Talba, ein Dorf inmitten einer wunderschönen Landschaft , zu bringen. Im Mai hatten wir das erste mal auf Bitten von Herrn Butezatu,
Direktor von Fibrex, einige Hilfsgüter für die dortige katholische Pfarrei gerichtet. Auch eine
Zahnarzteinrichtung von uns wurde inzwischen in diesem Dorf in Betrieb genommen, die wir nun besichtigenwollen. Alles ist installiert nur das fließende Wasser fehlt, man hat keine Pumpe und erst recht nicht das
nötige Geld um dieses Problem zu beheben. Zahnweh möchte ich jetzt nicht gerade bekommen, im Becken liegen die gebrauchten, verschmutzten Instrumente und dazwischen findet
man auch noch einen gezogenen Zahn. Natürlich ist unser Zeitplan etwas verrutscht und wir können nur noch einen leeren Kindergarten und eine verlassene Arztpraxis
besichtigen, bekommen aber dennoch überzeugende Eindrücke. Wir lernen Anna, die Leiterin des Kindergartens Nr. 10 aus Piatra-Neamts kennen, die auch Kleidung und
Spielsachen durch diese Pfarrei bekommen hat, und versprechen ihr auch noch einen Besuch abzustatten.
Nun ist aber endlich unsere liebe Rosa dran, die schon so lange auf uns gewartet hat. Wir können ihr fast nicht begreiflich machen, daß unser Magen so vielerlei an rumänischen Spezialitäten
nicht vertragen kann, hat sie sich doch schon seit Wochen so viel Mühe für uns gemacht, obwohl sie sehr krank war. Jetzt noch ganz kurz zu Familie Munteanu und dann wenigstens ein paar
Stunden Schlaf, denn morgen soll unsere Rundreise durch Rumänien starten. Pünktlich ist unser lieber Zucu mit dem Auto von Fibrex zur Stelle, etwas früher
als geplant, denn ein wenig Kultur auf dieser Reise muß ja schließlich sein. Mein Bruder Gunther hatte bisher noch keine Gelegenheit die wunderschönen Klöster in dieser
Gegend zu besichtigen, und so wollen wir dies mit einplanen. Auch für mich ist diese kurze Visite, obwohl Renovierungsarbeiten vorgenommen werden, eine schöne Erinnerung und ein Erlebnis. Genau nach Zeitplan erreichen wir Tulghes, die psychiatrische Klinik. Frau Dr. Moresanu freut sich sehr uns wiederzusehen. Die Wege sind
aufgebrochen, es werden neue Heizungsrohre verlegt, ob das noch gut geht vor dem kommenden Winter?. Bei der Besichtigung einer Station im Frauenhaus, wo man uns die von uns gebrachten neu installierten
Sanitäranlagen zeigen möchte, werden wir zu Tode erschreckt. Eine Kranke, der wir begegnen, fast unbekleidet und barfuß auf kaltem Steinboden, stößt einen derart
furchterregenden Schrei aus, daß es jedem von uns eiskalt den Rücken hinunterläuft. Nur eine Schwester ist da, um diese Patientin zu beruhigen. Gerade wegen diesem
Personalmangel können wir dort in Bezug auf die Verteilung der Hilfsgüter nicht solche Erfolgserlebnisse verbuchen, wie diesmal in Piatra-Neamts. Aber das ist nicht die Schuld
der Ärztin, sondern beruht auf der Tatsache, daß zum 1. die Psychiatrie ein Stiefkind im Gesundheitswesen ist, und zum 2. diese Klinik auch noch verdammt weit weg von aller
Zivilisation liegt, und zum 3. die arme Ärztin mit viel zuwenig Personal ganz alleine zurecht kommen muß. Für ihre Möglichkeiten haben wir sie zu sehr mit Hilfsgütern bedacht, sie
schafft es einfach nicht diese so schnell wie möglich zu verteilen. Andreas beabsichtigt, ihr beim nächsten Transport dabei zu helfen. Auch konnte das Auto, das wir im Mai
gebracht haben, durch eine neue Gesetzgebung noch nicht zugelassen werden. Man ist aber zuversichtlich, daß sich dieses Problem lösen wird. Natürlich spürt man gerade hier
die Frustration, das Gefühl des Verlorenseins, die Hoffnungslosigkeit. Diese Ärztin hat zwei Söhne, die in der Ausbildung sind, und sie macht fast jede Nacht und jedes
Wochenende Dienst, damit sie ihre Familie unterstützen kann. Ohne diese Dienste hat sie einen Monatslohn von 100,-DM. Auf der Fahrt in Richtung Tirgu-Mures ist der größte Teil des Waldes zerstört. Durch einen
heftigen Sturm wurden die Bäume wie Streichhölzer umgeknickt, es ist ein schreckliches Bild. Mir kommen immer wieder Gedanken in den Sinn wie diese, warum genügen uns
nicht die Zerstörungen durch die Naturgewalten, damit wir endlich einmal nachdenken ? Warum muß der Mensch auch noch versuchen immer und immer wieder Leben zu zerstören?
Es ist eine große Freude unseren Freund Dr. Liebhart in Tirgu-Mures wiederzusehen. Wir haben gute Gespräche, auch mit Herrn Goldner vom Forum der Deutschen und Frau
Marga, die uns am nächsten Tag die Stadt und etwas von der noch vorhandenen Kultur zeigen. Auch gehen wir in Geschäfte, um die Preise zu sehen, es sind die gleichen, wie bei
uns, nur, daß die meisten Menschen in Rumänien statt 1.000,-DM Monatslohn nur 100,-DM haben. Wie soll man da überleben??? Eine Klinikbesichtigung gibt uns interessante Eindrücke. Das Medikamentenlager weist
eine gähnende Leere auf , und Dr. Liebhart berichtet uns noch von der verheerenden finanziellen Situation der Klinik. "Manchmal kann ich nur mit gesenktem Kopf durch die
Stadt laufen, weil mich doch jeder kennt, und ich begegne einem Fleischer oder Bäcker, den wir seit Monaten nicht bezahlt haben. Wir haben Schulden von 43 Milliarden Lei.( = 10
Mio DM )" .Ja, so ist die Situation, und keine Besserung ist in Sicht. Gegen mittag kommen wir bei Christian, meinem Patenkind, in Medias an. Es geht nicht
nur ihm, sondern der ganzen Familie nicht sehr gut, was man unschwer erkennen kann. Nicht nur die jahreszeitbedingte Erkältung ist es, die zu schaffen macht, sondern die
psychische Belastung, die Hoffnungslosigkeit, die Gleichgültigkeit der Mitmenschen. Ich fühle mich überfordert bei der Bitte ihn nach Deutschland zu holen. Ihm in Rumänien zu
helfen wird mir leichter fallen als ihm hier in Deutschland eine Existenz aufzubauen. Ich bin auch nur ein Mensch mit begrenzter Kraft und Möglichkeiten.
Nach einem Abendessen mit Dr. Suteu schlafen wir in dieser Nacht in der Klinik in Bistritz. Am nächsten Morgen sehen wir vor fast allen Fenstern allerlei Lebensmittel und Getränke,
welche die Verwandten am Wochenende für die ganze kommende Woche mitgebracht haben. Wir erfahren bei einem Gespräch mit der Klinikleitung, daß die finanzielle Situation
dermaßen schlecht sei, daß die Patienten nicht nur ihre Medikamente sondern auch die Bettwäsche und das Essen selbst mitbringen müssen. Man bittet einfach um alles. Wir besuchen noch Herrn Theiß vom Forum der Deutschen in Bistritz und wollen ihm, wie allen anderen Foren, noch 500 DM für Weihnachtszuwendungen für
die Bedürftigsten überreichen. Als wir sein Büro betreten sind wir zunächst erschrocken. In den Regalen sehen wir sehr viele Suppenkartons, die offensichtlich von unserem letzen Transport stammen.
Also sind auch hier noch nicht alle Hilfsgüter verteilt, denken wir zunächst. Doch bei näherem Hinschauen entdecken wir, daß Herr Theiß die Kartons, in denen die Suppen transportiert
worden waren als geeignete Behältnisse für die Aufbewahrung und das Sortieren der Medikamente ansah und sich damit ein ordentliches und korrekt geführtes Lager geschaffen hat.
Zucu läßt die nun folgende Fahrt über die Karpaten zu einem besonderen Erlebnis werden. Nur Fliegen ist schöner, in dreieinhalb Stunden durchqueren wir das Tal der Bistrita und kommen schon bald in
Piatra-Neamts an. Leider hat mein Bruder und ich mit erheblichen Darmschwierigkeiten zu kämpfen. Heute, Dienstag, ist noch der versprochene Besuch in dem vorbildlich geführten
Kindergarten von Frau Anna und ein Besuch in der katholischen Pfarrei angesagt, und dann möchte man uns auch ein paar unbeschwerte, schöne Stunden gönnen. Wir fahren
bei strahlendem Sonnenschein an einen See, mit Rosa, und allen lieben Bekannten, grillen Fisch und trinken neuen Wein, den der Pfarrer aus Talba mitgebracht hat. Es sind
Stunden, die ich nicht vermissen möchte, die so tiefe Freundschaft und Verbundenheit widerspiegeln. Es regnet an diesem Morgen des Abschieds. Gusti und Zucu fahren uns zum Bahnhof
nach Bacau. So schnell sind diese Tage vergangen, ein jeder spürt die Schwere des Abschiednehmens. Ja, wir hatten als sicheres Transportmittel den Zug gewählt, doch dieser sollte an diesem
Morgen nicht fahren. So kam es, daß Gusti und Zucu noch ein paar Stunden länger mit uns zusammen sein konnten, sie fuhren uns nach Bukarest.
Was war noch mit dem zu schweren Trolly? Er ging zwar nicht als Handgepäck durch (dank der vielen Flaschen unserer Gastgeber 15 kg schwer), dennoch wurde er
übersehen und nicht extra als zusätzliches Gepäckstück aufgeführt. Es war eine anstrengende Reise mit vielen positiven und negativen Eindrücken. Positiv ist
nicht nur, daß wir in Rumänien zuverlässige und korrekte Partner haben, sondern auch aufrichtige Freunde. Negativ ist die Tatsache, daß sich die Situation für die
Hilfsbedürftigen immer mehr verschlechtert. Fast alle haben die Hoffnung verloren. Ein Ende ihres mühsamen und teilweise qualvollen Daseins ist nicht in Sicht, es gibt keine
Zukunftsperspektive. Nur eine bestimmte Gesellschaftsschicht versteht es trotz der Not im Lande gewinnbringende Geschäfte zu betreiben. Die eigentliche Tragik ist dabei, daß in
dieser Gesellschaftsschicht Korruption und Rücksichtslosigkeit das eigentliche Geheimnis für ihren Erfolg darstellen, und so darf es nicht verwundern, daß sich diese
Untugenden schleichend und unaufhaltsam auch bei den Armen, das heißt beim Großteil des Volkes, breit machen, in der Hoffnung, dadurch ihrem Schicksal zu entrinnen.
An welche Menschen und deren Moral sollen sie auch noch glauben, wenn ein Politiker in der Öffentlichkeit (wie dieser Tage geschehen) sagt: "zehntausende Menschen werden
diesen Winter nicht überleben, aber dafür wird es einigen im Frühjahr wieder besser gehen." Nicht nur für mich, sondern für alle, die mit mir ziehen, sind gerade diese 10.000 wichtig,
daß sie eine Chance haben zu überleben, und dafür wollen wir trotz aller Widrigkeiten kämpfen.
Im November
Ursula Honeck
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