Hilfe für Osteuropa Todtnau-Seelscheid e.V.
Startseite
Satzung
Kurzinfo
Vorstand
Berichte
Stationen
Hilfe!!!
DZI - Spendensiegel
Spendenportal.de
HelpDirect.org

 

 

Tagebuch über den Hilfstransport

nach Rumänien, Moldavien und in die Ukraine

vom 14.5.95 bis 31.5.95

 

Gedanken und Erinnerungen

von Ursula und Thomas Honeck

 

Am Morgen des 14.5.95 war es endlich soweit. Nach einjähriger Sammeltätigkeit und mehreren Monaten intensiver Vorbereitung , wobei von wenigen aktiven Helfern fast 3000 Arbeitsstunden geleistet und zum Abholen der Spenden ca. 6000 Kilometer gefahren worden waren, stand unser Konvoi mit acht 40 Tonner und zwei Begleit PKW´s zur Abfahrt bereit auf dem Marktplatz von Todtnau. Wir sind sicher, daß dieses Bild all diejenigen, die nach der Kirche verweilten, um uns zu verabschieden, genauso beindruckt hat wie uns selbst.
Beim letzten Transport 1994 dachten wir noch, daß wir mit sechs LKW unsere Leistungs-grenze sowohl physisch , psychisch als auch finanziell erreicht hätten. Nun waren es acht 40 Tonner mit ca 100 t Hilfsgüter im Wert von mehr als 6 Mio DM, die wir dank der uneigennützigen Hilfe unserer aktiven Mitglieder und der großzügigen finanziellen Unterstützung der vielen Spender auf den Weg bringen konnten. Ja, hätten die finanziellen Reserven gereicht, wir hätten noch zwei weitere Lastzüge beladen können. Doch mit Schulden einen Transport angehen, der diesmal durch die geplante Reise in die Ukraine mit noch mehr Unwägbarkeiten und Risiken verbunden war, dies wäre mit den Prinzipien des Vereins nicht zu vereinbaren gewesen. Also musste ein Teil der Spenden auch diesmal zurückbleiben.
Bei der Verabschiedung durch die beiden Geistlichen, Herr Pfarrer Hillig und Herr Pfarrer Geib, die auch diesmal wieder Worte fanden, die sicherlich viele der zahlreichen Zuschauer genauso tief bewegten wie uns, hatten wir auch diesmal das Gefühl, hier ist unsere Grenze erreicht, wenn nicht gar überschritten, mehr geht einfach nicht. Mehr kann man neben dem Beruf und der Familie und den anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten einfach nicht verkraften.
Alle, die jetzt hier standen, bereit zur Abfahrt, waren nach den monatelangen intensiven Vorbereitungen mehr oder wenig erschöpft. Besonders die Mannschaft aus Seelscheid, die die Nacht von Freitag auf Samstag ihre 5 LKW´s im Schichtdienst beladen hatte und in der Nacht zuvor auf dem Notschrei im Schnee stecken geblieben war und erst nach 2 h nachts zur Ruhe kam, war nicht zu beneiden. Nur langsam wich diese Erschöpfung einer wohltuenden Erleichterung. Erleichterung und ein wenig Stolz deshalb, weil in dieser Stunde des Abschieds, die erste Etappe zu diesem bisher größten Transport des Vereins ohne größere Probleme und ohne Querelen und Disharmonie geschafft war. Bei einer Mannschaft von 19 Leuten aus den verschiedensten Berufsgruppen und verschiedensten Teilen Deutschlands keine Selbstverständlichkeit.
Wir waren uns sicher, diese Mannschaft mit Peppo als Transportleiter, Markus Albrecht als sein Begleiter, Erich Nann (junior) und Peter Becker ( Schönau), Udo Lorenz ( Hofsgrund) und Norbert Wissler, Erich Steck und Susanne Braunsberger, Reinhold Miller ( Reutlingen) , Wolfgang Lisse und Peter Nienhaus, Hartmut Schulz und Rainer Hesselschwert, uns beiden, und in den Begleit- PKW´s Margret Schulz und Stefan Fielenbach sowie Andreas Reimann (alle aus Seelscheid ) und Josef Thurin ( Singen ), würde funktionieren.
Hatten doch alle schon im Vorfeld gezeigt, daß sie bereit waren uneigennützig alle Probleme gemeinsam anzugehen und zur Lösung von Problemen, die kurz vor dem Transport immer wieder zu bewältigen sind, beizutragen. Besonders dankbar waren wir Markus Albrecht, der spontan seinen Geländewagen zur Verfügung stellte, nachdem er erfuhr, daß unser für die Reise eingeplante Isuzu schon auf der Fahrt nach Seelscheid den Geist aufgegeben hatte.
Nachdem sich der Konvoi um 11.45 h in Bewegung setzte, und auf dem Feldbergpass die mitfahrenden Kinder ausgestiegen waren, und eine letzte Besprechung der Fahrer stattfand, sollte für uns, die wir nun schon zum siebten Mal auf diese Strecke gingen, eigentlich ein Abschnitt der Ruhe und Entspannung beginnen. Einzig die Tatsache, daß wir heuer zum ersten Mal als Fahrer und Fahrerin einer der 40 Tonner dabei waren und uns erst an das Gefühl, " 30 Tonnen im Rücken zu haben ", gewöhnen mussten, ließ erst nach Stunden die Anspannung der Ruhe weichen, die man braucht um einen solchen Transport ohne Schaden zu überstehen, zumal wir mit der geplanten Reise in die Ukraine absolutes Neuland betreten sollten.
Gegen 23.00 h kamen wir in Nammering bei Passau an und genossen unsere letzte Nacht in einem Bett, das man nicht vorher nach "Mitbewohnern " untersuchen musste. Der Wirt hatte verschlafen und so waren wir schon am ersten Morgen um eine Stunde hinter unserem Zeitplan. Doch dank der problemlosen Abfertigung nach Österreich war doch noch Zeit in St.Pölten wie gewohnt eine kurze Mittagsrast einzulegen. Andreas meldete sich bei uns mit Atemnot und geschwollenen Lippen. Er hatte wegen einer Erkältung Aspirin genommen und darauf eine nicht ungefährliche Allergie bekommen. Wegen der doch recht bedrohlichen Situation entschlossen wir uns, ihm eine intravenöse Spritze zu verabreichen. Die Behandlung fand im Freien auf dem Anhänger des PKW´s statt. Wir mochten nicht wissen, was die Passanten, die uns beobachteten, dabei gedacht haben. Doch was soll´s, wenige Stunden später ging es Andreas wieder besser und bei unserer Ankunft in Szolnok gegen 22.00h war er wieder guter Dinge.
Auch der Grenzübertritt nach Ungarn war erfreulich unproblematisch. Die Grenzstation Nickelsdorf-Hegyeshalom ist nunmehr ausgebaut und damit dem zunehmenden Verkehr gewachsen. Drei Stunden für 10 Fahrzeuge, das war noch nie da. Die meiste Zeit verbrachten wir mit Warten auf einen Amtstierarzt, der uns durch einen Stempel bestätigen mußte, daß die von uns transportierte Kleidung desinfiziert war und nicht aus Seuchengebieten stammte. Öfter mal was Neues.
An der Grenze zu Rumänien wurden wir, wie vereinbart von Dr. Liebhart erwartet. Gottlob, denn so konnten wir Dank seiner Verhandlungen mit dem ungarischen Zoll an der ca 1 km langen LKW- Schlange vorbeiziehen und waren auch hier nach etwas mehr als drei Stunden abgefertigt. Die beiden ersten Etappen waren schon immer die anstrengensten und so waren wir alle froh, als wir gegen 22 h vor dem Hospital in Tirgu Mures ankamen. Schnell waren die LKW´s auf dem bewachten Krankenhausgelände geparkt und die Mannschaft wurde, wie bei jedem Transport, von Dr. Liebhart zum Essen eingeladen.
Schon beim letzten Transoprt konnten wir feststellen, daß das Essen in den Hotels zunehmend besser wurde. Diese Tendenz schien sich fortzusetzen. Die Zeiten des Improvisierens scheinen in Rumänien vorbei zu sein. Offenbar gibt es jetzt doch alles zu kaufen, wenn auch, wie man uns versichert, zu Preisen, die für die meisten Rumänien unerschwinglich sind . Die Inflation schreitet unaufhaltsam voran, und die Lohnentwicklung hinkt immer mehr hinter her. Konnte man letztes Jahr für eine DM noch 1000 Lei bekommen, waren es heuer schon 1400. Wiederholt wurde uns erklärt, daß es seit der " Revolution " immer mehr Reiche aber auch immer mehr Arme gäbe, und dazwischen klaffe eine Lücke, die bei der derzeitigen Politik keiner auszufüllen vermag. Noch immer werden auf ausländische Produkte, insbesondere Industrie-Güter und Elektronikartikel derart hohe Zölle erhoben, und die Zinsen für Darlehen sind mit über 100 % so hoch, daß es auch dem Gutwilligsten und Tüchtigsten unmöglich gemacht wird, auf eigenen Füßen zu stehen. Das Heer der Arbeitslosen - über 30 % - und derer, die in Armut leben, ist durch mehr als halbherzige soziale Absicherungen absolut unterversorgt. Mehr denn je gewannen wir den Eindruck, daß hier eine " Zeitbombe" tickt.
Das Krankenhaus in Tirgu Mures, bei dem wir am 17.5. abluden, nachdem der Zoll erfreulicherweise sehr pünktlich zur Stelle war und mit seinen Kontrollen auch im Rahmen blieb, schien uns inzwischen doch recht gut versorgt. Wir hatten schon beim letzten Transport diesen Eindruck und deshalb für dieses Jahr schon erheblich weniger geplant. Der jetzige Eindruck war so, daß wir beim nächsten Transport noch etwas reduzieren können, zumal wir feststellen mussten, daß im Lager noch Medikamente vom letzten Transport lagen.
Einmal mehr zeigte uns dies, daß es doch sehr sinnvoll ist, wenn man Hilfsgüter an bestimten Stationen nicht nur einmalig, sondern kontinuierlich abliefert. Anders ist es trotz aller Vorab-information und Recherchen einfach nicht möglich, den Bedarf einer Klinik mit doch immerhin 1600 Betten richtig einzuschätzen und die Verteilung der Hilfsgüter zu überwachen.
Wie beim letzten Transport und bei unserer " Kontrolltour" im Herbst 94 hatten wir einen sehr positiven Eindruck von den Foren der Deutschen aus Tirgu Mures und Bukarest. Wir wissen unsere Hilfslieferung dort in besten Händen. Letztere waren zusammen mit Dr. Sorin, der in Bukarest eine Ambulanz mit über 30.000 Patienten betreut, und den wir seit 2 Jahren ebenfalls unterstützen, diesmal pünktlich zur Stelle, so daß das Abladen in Tirgu Mures bereits um 13 h beendet war. Dies bescherte unserer Mannschaft eine wohlverdiente Ruhepause, die wir zusammen mit Markus, Stefan und Josef dazu nutzten, nach Medias zu fahren, um dort die Paten-pakete abzugeben.
Der folgende Tag war für uns " Altgediente" Routine, Frühstück, Fahrt nach Bistritz , Abladen im Krankenhaus und beim Forum und nach dem Mittagessen Weiterfahrt auf der nunmehr altbekannten aber immer wieder reizvollen Strecke über die Karpaten.
Auf dem Parkplatz vor Piatra-Neamts standen wir noch keine Minute, da waren " die Kinder von Peppo " schon zur Stelle obwohl es schon 23 h war. Es ist immer wieder ein rührender Augenblick. Diese beiden hat Peppo bei seinem ersten Transport in seinen LKW gesetzt und ihnen " Sixt-Kappen" geschenkt . Seither sind sie immer wieder zur Stelle, wenn wir kommen, egal zu welcher Tages - Nacht- und Jahreszeit, als warteten sie das ganze Jahr auf diesen Augenblick, auf ihren Peppo.
Nachdem die Fahrzeuge teilweise in Savinesti und teilweise in der schon bekannten Papierfabrik sicher untergebracht waren, wurden wir trotz der späten Stunde auch hier zum Essen eingeladen. Wie immer war alles viel zu reichlich, aber auf unseren diesbezüglichen Einwand bekamen wir einmal mehr zu hören " ob du viel hast oder wenig, wenn Gäste kommen muß der Tisch sich biegen " . Ein Ausdruck der Gastfreundschaft, den wir in Anbetracht der herrschenden Armut, des Mangels, schon immer schwer nachvollziehen konnten.
Der nächste Tag war ausgefüllt mit Abladen an den verschiedenen Stationen und den unvermeidlichen Besuchen. In der Pfarrei für die Sozialstation,das Dorf von Nicoletta, das Dorf in der Moldau und im Werk von Savinesti für die dortige Ambulanz. Dort auftretende Mißverständnisse bezüglich der Menge der gelieferten Hilfsgüter waren in einem offenen Gespräch mit dem Gewerkschaftsvorsitzenden rasch aus der Welt und nach einem geselligen Abend und einer kurzen Nacht ging es am 20.5. in aller Frühe ( 8.00h) weiter in Richtung Moldavien. Der Grenzübertritt nach Moldavien bei Albita zog sich wiederum etwas in die Länge, so daß wir erst gegen 19 h in Chisinev ankamen.
Hier sollte sich der Konvoi planmäßig aufteilen und für uns hieß es deshalb raschest unsere Habseligkeiten aus dem LKW zu holen und in den PKW zu packen, denn wir hatten uns vorgenommen, die beiden LKW´s , die in die Ukraine weiterfahren sollten, zu begleiten und der Aufbruch war für 6 h am nächsten Tag geplant.
Kaum einer wird nachvollziehen können, was dieses "Umsteigen" für uns bedeutete. Aus der geräumigen, wohltemperierten LKW- Kabine in den mit Gepäck und Dolmetscher hoffnungslos überladenen PKW von Markus. Doch was soll´s, wir waren schließlich nicht in Urlaub, sondern auf einem Hilfstransport und wollten uns unter allen Umständen selbst ein Bild von den Zuständen in der Ukraine machen.
Die Zeit am Abend , die zum Tanken gebraucht wurde nutzten wir noch, um einige Patienten zu sprechen, die mit von uns gespendeten Herzklappen versorgt worden waren. Wir taten dies nicht zuletzt deshalb, um Gerüchten nachzugehen, nach denen Patienten für Herzklappen, die HFO gespendet hatte, hätten bezahlen müßen. Die Gerüchte erwiesen sich als unhaltbar. Alle Patienten erklärten, daß sie kostenlos operiert wurden und waren über die unerwartete Hilfe zutiefst gerührt. Eine Patientin, die uns schon geschrieben hatte, erklärte " ich verdanke Ihnen mein Leben, ich bin durch Ihre Hilfe zum zweiten Mal geboren". Der Herzchirurg gab uns auch ungefragt und spontan eine Erklärung dafür, wie so ein Gerücht zustande kommen konnte. Die von uns gelieferten Herzklappen reichten nur für eine gewisse Zeit. Patienten, die danach dringend operiert werden mussten, konnten nur operiert werden, wenn sie das Geld für die Klappen selbst bereit stellten, weil das Budget des Staates keinen weiteren Einkauf zuließ. Immerhin konnte der Chirurg mit unserer Hilfe fast ein ganzes Jahr Herzpatienten kostenlos versorgen, und der Chefarzt des 1800 Betten-Hauses erklärte uns, daß das Haus derzeit zu 75 % nur Dank unserer Hilfe noch funktioniere. Fakten, die uns darin bestärken, hier weiter und, sofern möglich, noch intensiver zu helfen.
Am Morgen des 21.5. um 6 h war der Zeitpunkt gekommen, an dem sich der gemeinsame bisher so erfreulich harmonische Transport aufteilen sollte.
Wir, dh. Hartmut und Reiner, Wolfgang und Peter, unser Dolmetscher, den uns Gusti in Piatra-Neamts besorgt hatte sowie wir beide, machten uns auf den Weg in ein neues für uns völlig unbekanntes Land. Die anderen sollten an den beiden folgenden Tagen in Chisinev und Orhei abladen. Unsere Erfahrungen sollten bestätigen, daß diese Entscheidung, sich hier aufzuteilen, absolut richtig war. Ein Transport in ein unbekanntes Terrain mit 8 LKW´s wäre einfach zu riskant gewesen. Mit einem kleinen Konvoi war man beweglicher und im Falle von Problemen wäre ein Verlust jedwelcher Art auch erträglicher. Nach Kenntnis der Situation sollte es späteren Planungen überlassen bleiben, wie und in welcher Dimension hier weiter geholfen werden sollte.
Was die anderen weiter in Moldavien und auf der Rückreise erlebten wird Margret berichten, die auch sicherlich aus dem Blickwinkel derer, die zum ersten Mal dabei waren, einiges mehr über die ganze Hilfsaktion zu berichten weiß.
Wir widmen uns nun den Erlebnissen, die wir auf unserer eineinhalbwöchigen Tour durch die Ukraine hatten.
Wir waren uns darüber im Klaren, daß ab heute die weitere Reise voller Ungewissheit und sicherlich auch mit gewissen Gefahren verbunden war. Wir wussten aus vielen im Vorfeld geführten Gesprächen, daß die " Mafia " in diesem Land immer mehr das Sagen hatte und hatten auch von Überfällen mit Schwerstverletzten gehört.
Nach langen Überlegungen und Gesprächen mit " Insidern" hatten wir uns entschlossen, nicht den nächsten Weg über Tiraspol zu nehmen, da dort noch die 14. Armee der Russen für Unruhe sorgte. Wir hielten uns nach Norden, obwohl wir damit einen Umweg von fast 200 km, d.h. mit dem LKW von 4 Stunden in Kauf nehmen mussten.
Nach eineinhalb Stunden, gegen 7.30 h kamen wir an dem potentiellen Grenzübergang an. Auf der Karte eine Hauptdurchgangsstraße und eine gut ausgebaute Brücke, in Wirklichkeit eine Trasse, die an einer mit Erde und Steinen abgesperrten Brücke über den Dnestr endete.
Sackgasse! Wie weiter ? Wir fragten einige vorbeigehende Waldarbeiter, die uns erklärten, etwas weiter südlich sei noch eine passierbare Brücke. Also ging es wieder zurück, immer am Fluß entlang. In der nächsten Ortschaft hielt uns ein Polizist an. Seine Uniform war im Stil eines Rangers mit " Cowboyhut" betont westlich. Er versuchte uns mit allen Mitteln etwas zu erklären, und wir mußten erkennen, daß unser Dolmetscher, fortan mit etwas Galgenhumor nur noch "Dolli" genannt, ein Fehlgriff war. Der gute Mann blickte ebenso hilflos, wenn wir etwas sagten als auch, wenn der Moldavier etwas sagte. Er verstand offenbar ebensowenig deutsch wie russisch und antwortete auf die meisten Fragen mit " da da ", ob es passte oder nicht.
Nur mit etwas Beobachtungsgabe und Phantasie konnten wir den Gesten des " Sheriff´s" entnehmen, daß wir uns davor hüten sollten, die Grenze im Norden zu überschreiten, da sich dort die Russen und Ukrainer noch immer nicht einig seien. Er empfahl uns doch den Weg über Tiraspol zu nehmen, zumal die Brücke in seinem Ort ebenfalls gesperrt sei. Vor Tiraspol gäbe es eine große Brücke.
Also weiter zurück! Gegen 9 h kamen wir vor Tiraspol an eine große Brücke. Kurz zuvor rief einer über Funk: " habt ihr das Schild an dem Telgrafenmasten auf der Wiese gesehen? Das sah so aus , als landeten wir wieder an einem unpassierbaren Übergang". Richtig! Diese Brücke war gar nicht mehr da.
Was tun ? Wir hatten keine Wahl, wir mussten weiter nach Süden. Geradewegs hinein in das noch heute umkämpfte Gebiet um Bender-Tiraspol, das wir aus Sicherheitsgründen ja vermeiden wollten, und wo sich Russen, Ukrainer und Moldavier bis heute noch darum streiten, was wem gehört. Was nun kam, war " wilder Osten". Wir mussten im Zickzack durch die Städte Bender und Tiraspol, mal war rechts gesperrt mal links, und alle paar hundert Meter Milizposten besetzt mit heruntergekommen Gestalten, die ohne Hemmungen und vorgehaltener Kalaschnikow ihren Wegezoll forderten. Der erste Posten, wohl Russen, ließ uns um 9.15h nach Entrichtung einer " Gebühr " in Form von 10 Flaschen Bier und 6 Zigarren ziehen.
10 Minuten später kamen wir bei den Modaviern an. Einer ließ unseren Hänger öffnen, wollte wissen, was in den Metallkisten sei. Wir zeigen ihm die Zigarren, er wollte die ganze Kiste. Wir gaben ihm zwei, und fuhren ab. Nach wenigen Metern sahen wir, daß er mit der Waffe im Anschlag auf dem Hänger saß. Wir sagten dem " Dolli" er solle ihm ein Feuerzeug durchs Fenster geben. Dank seiner " Sprachkenntnisse" öffnete dieser die Tür und der " Wegelagerer " war schon halb im Auto, als wir wieder Gas gaben und ihm das Feuerzeug hinauswarfen. Bis er es aufgehoben hatte, waren wir gottlob außer Reichweite. Gleichzeitig war bei Rainer einer am LKW und forderte ihn auf die Tür zu öffnen. Rainer weigerte sich. Der Soldat forderte ultimativ " Biva "- Bier . Rainer zeigte ihm, daß er fahre und nur Wasser trinke und bot ihm eine Flasche feinstes deutsches Mineralwasser an. Das war schon gewagt, doch als der Milizionär dann Zigaretten forderte und Rainer ihm Tabak und Papier zum Drehen einer Zigarette geben wollte, war das Maß wohl voll. Der Soldat ließ drohend das Magizin einrasten und hielt die entsicherte Waffe unter Rainers Kinn. Doch inzwischen setzte sich der Konvoi wieder in Bewegung und Rainer schloß das Fenster. Drei weitere moldavische Kontrollen mußten wir über uns ergehen lassen um dann um 9.55h in die nächste russische zu geraten, und 15 Minuten später standen wieder die Ukrainer auf der Straße. Um 12 h erreichten wir die Grenze zur Ukraine, auch hier Schwierigkeiten wegen falsch abgestempelter Papiere durch die Moldavier. Nach fünf Stunden hatte dieser Alptraum, dieser Spießrutenlauf endlich ein Ende. Für 10 DM, ein paar Zigarren, Feuerzeuge , Kaffee und Bier nahmen wir die letzten " Hürden" und konnten dann gegen 14.20 h unseren Weg in Richtung Odessa fortsetzen.
Jeder wird verstehen, wie erleichtert wir waren und jeder wird auch unser Entsetzten nachfühlen können, als wir kaum 20 km weiter erneut mitten auf der Landstraße gestoppt wurden. Wieder Bier und etwas Kaffee und der Weg war frei. Auf den ca 150 KM bis Odessa zählten wir 9 Stopps durch Miliz. Danach haben wir resigniert und nicht mehr mitgezählt. Durch diese Schikanen, alle 20 km Stopp, Papierkontrolle und Aushandeln des " Honorars" waren wir nach 15 Stunden Fahrt gerade mal nach Cherson 491 km weit gekommen.
Vor der Stadt wurde gehalten. Der PKW musste vorraus, einen sicheren Platz und eine Unterkunft finden. In der Ukraine gibt es viel Platz und so sind ukrainische Städte Flächenstädte von unvorstellbaren Dimensionen. Nach mehreren Kilometern näherten wir uns endlich dem Zentrum, und unser "Dolli" bewieß einmal mehr, wie wenig er konnte. Wir fuhren im Zickzack durch die Stadt, die meisten Straßen für LKW´s unpassierbar und landeten endlich vor dem " Touristhotel". Die Dame an der Rezeption sprach Gott sei Dank etwas englisch, erklärte uns aber auch gleich, daß sie uns gar nicht aufnehmen könne, da wir kein Visum für die Ukraine hätten. Für unsere Erklärungen, daß wir als Hilfstransport ein Sammelvisum hätten und dieses bei den LKW´s sei, wir aber nach der zurückliegenden Irrfahrt uns außer Stande sähen, diese wieder zu finden, reichte ihr englisch freilich nicht aus. Doch da hatten wir unser erstes positives Erlebnis an diesem Tag und zwar wider Erwarten in Gestalt eines Polizisten. Er sprach etwas besser englisch und war bereit mit uns zu den LKW´s zurück zufahren und geleitete den ganzen Konvoi fast ausschließlich durch für LKW´s gesperrte Straßen zum Hotel und half uns noch bei der Suche nach einem sicheren Parkplatz.
Wir wollten es kaum glauben, dieser Mann forderte nichts und wollte unser " Danke" gar nicht annehmen. Nach einigem Zureden hat er dann doch die 10 DM genommen, die ersten, die wir in dem Gefühl gaben, daß sie ehrlich verdient waren.
Gegen 24 h waren wir dann endlich alle im Hotel, müde, deprimiert und total verdreckt.
Die Zimmer waren sauber, doch der Warmwasserhahn entpuppte sich als Atrappe. Auf Nachfragen erfuhren wir, daß die ganze Stadt seit Monaten ohne Warmwasser sei.
Wir waren im Verzug, diese Schwierigkeiten hatten wir nicht oder nicht so erwartet. Also hieß es am nächsten Morgen früh aufstehen und weiter ging´s In Richtung Melitopol. Wir ver-suchten an verschiedenen Tankstellen Diesel zu bekommen, umsonst. Doch unterwegs sahen wir immer wieder PKW´s oder auch Tankwagen, die mit einem Schild DT auf sich aufmerksam machten. So war es kein Problem die Tanks zu füllen für Preise zwischen 20 und 35 Pf pro Liter, wobei man nicht immer auf die Farbe dessen, was man da tankte, achten durfte. Nach den gemachten Erfahrungen wollten wir an diesem Tag früher nach einem Hotel
Ausschau halten. Also wurde schon um 17.45 h vor Mariopol gestoppt. Da wir uns einig waren, daß unser " Dolli " nurmehr als Parkwächter zu gebrauchen war, suchten wir ein Taxi, das uns zum nächsten Hotel geleiten sollte.
Vielleicht waren wir etwas anspruchsvoll, doch das, was uns auf einer einstündigen Fahrt durch ganz Mariopol gezeigt wurde schien wirklich nicht akzeptabel. Wanzen und Flöhe wollten wir nun wirklich nicht als Souvenir nach Hause bringen. Endlich hatte eine Dame in der Rezeption eben eines dieser Häuser, wo man mit ungebetenen " Gästen " rechnen musste ein Einsehen und meinte, "wenn ihr aus Deutschland kommt, dann geht doch ins "Chaika".
Die Preise waren zwar auf westlichem Niveau, aber weitersuchen schien auch aussichtslos.
Also wurden die LKW´s auf einem bewachten Parkplatz abgestellt und der PKW stand unter Video- Überwachung vor dem Hotel. Wir waren noch nicht mit Angaben der Personalien fertig, da war auch schon eine mehrköpfige Milizmannschaft vor Ort und ließ sich alle Päße zeigen. Miliz ? Maffia? oder beides? fragten wir uns. Hunger hatten wir trotz alledem, und so machten wir uns auf die Suche entlang dem Sandstrand von Mariopol am Schwarzen Meer.
Erfolglos! Wir fragten uns durch und endlich wußte eine Frau, daß " ganz in Nähe " an der nächsten Bushaltestelle ein gutes Lokal sei. Wir gingen eine gute halbe Stunde und tatsächlich, da war es. Ein pompöser Aufgang, eine noch pompösere Halle im zweiten Stock, vielleicht zehn Gäste auf 100 Plätzen, eine ohrenbetäubende Musik und eine Speisekarte mit einem Gericht und drei Getränken, die Möbel waren größtenteils defekt und auf der Rückenlehne des Nachbars krabbelte gerade eine Kakerlake, das war es, das gute Lokal . Wir bestellten etwas, wovon wir annahmen, daß es ohne Salmonellen oder Koli-Bakterien sei und tranken zur Vorsicht und Desinfektion das kostengünstigste Getränk, Wodka.
Die wenigen Gäste tanzten begeistert zu der grauenhaften Musik und Wolfgang wurde aufgefordert, sich zu beteiligen. Müde war er sicher auch, doch was tun, er war schließlich Gast in diesem Land. Mit auf der Tanzfläche war ein kleines Mädchen, das so hingebungsvoll tanzte, daß wir es fotografierten. Sofort war die Mutter an unserem Tisch und war sichtlich erbost. Sie hatte offensichtlich Angst, glaubte wir seien von der Maffia oder der Polizei. Es kostete unsere ganze Überredungskunst, ihr begreiflich zu machen, daß wir lediglich Freude an dem Tanz des Kindes hatten.
Das Hotel war gut und unsere nächste Tagesetappe bis nach Luhansk nicht allzu groß, so entschlossen wir uns den Komfort etwas zu genießen und fuhren erst spät gegen 10 h los.
Schon nach einer Stunde meldete Hartmut, daß bei ihm alle Kontrolleuchten an seien.
Wir stoppten und fanden einen schweren Defekt am Kabel zum Auflieger. Die Reparatur in sengender Hitze dauerte fast eine Stunde. Gegen Mittag gings dann weiter, die laufenden Kontrollen, täglich zwischen 5-8 zählten wir schon gar nicht mehr.
Abends kamen wir vor dem Krankenhaus in Luhansk gegen 19.30 h an. Wären wir nicht schon am Eingang der Stadt auf die zündende Idee gekommen, einen Krankenwagen anzuhalten , der uns dann zum Krankenhaus führte, wären wir wohl noch einige Stunden länger auf Achse gewesen. Diese Stadt mit ca 800.000 Einwohner hat ungeheuerliche Dimensionen und ist als eigentliche Stadt gar nicht erkennbar. Vielmehr hatte man den Eindruck als handle es sich um eine Aneinanderreihung von unzähligen Dörfern. Der Weg zum Krankenhaus über unzählige Ecken war ca 15 km lang.
Dort angekommen, war man wohl von unserem Kommen überrascht. Trotz regem Schriftwechsel hatte man uns erst am 24.5.erwartet. Uberrascht waren wir von dem Improvisationstalent der Ukrainer. Innerhalb von ca 1 Std. war alles arrangiert. Hotel, Abendessen und ein sicherer Parkplatz. Das Hotel war nicht sehr einladend, weshalb es Wolfgang vorzog im LKW zu schlafen.
Abendessen wie Frühstück, letzteres in Form von Steak mit Bratkartoffeln, wurden im Krankenhaus serviert, offensichtlich war man auf Minimierung der Kosten bedacht. Wir hätten auch lieber im Krankenhaus übernachtet, was sicher für unsere Gastgeber billiger gewesen wäre. Zum Abladen waren in kürzester Zeit mehr Leute organisiert, als wir brauchten. Für die Hilfsgüter der Sozialstation wurde bis zum Abend eine Komission eingerichtet, die über die Verteilung wachen sollte, und das ganze Krankenhaus mit 1200 Betten, 300 Ärzten und insgesamt 1600 Angestellten, verantwortlich für ca 2 Mio Einwohner des Einzugsgebietes machte trotz der allenthalben sichtbaren Not einen sehr sauberen und gepflegten Eindruck. Man wird bei späteren Transporten sehen müssen, ob dieser erste Eindruck richtig war. Für dieses mal hatten wir das sichere Gefühl, zur rechten Zeit, am rechten Ort zu sein. Das Haus hat nie zuvor irgendwelche Hilfslieferungen erhalten, und die Versorgung der Kranken war offensichtlich akut gefährdet.
Nach dem Abladen hatten wir Dank der Hilfe von zwei gut deutschsprechenden Lehrerinnen, die man sofort besorgte, weil man die Hilflosigkeit unsres " Dolli " rasch erkannte, die Möglichkeit uns über die Situation im Lande näher zu informieren.
Das Hauptproblem dieses großen und fruchtbaren Landes, der ehemaligen Kornkammer des Ostens, liegt wohl darin, daß es, durch die Kontroverse mit Russland und der systembedingten Unfähigkeit, sich nach Westen zu öffnen, derzeit weitgehend von allen Versorgungswegen abgeschnitten ist. Lediglich aus dem fernen Osten wie z.B. Taiwan kommt gelegentlich Hilfe.
Die ganze Infrastruktur ist aber auf Russland ausgerichtet. So ist es auch zu verstehen, daß ganz Luhansk täglich nur morgens und abends für 2-3 Stunden Wasser hat. Seit zwei Monaten gibt es kein warmes Wasser und im vergangenen Winter, der bitter kalt war, gab es ca 3 Monate keine Heizung. Da die Versorgung mit Wasser und Heizung wie überall im Osten zentral geregelt ist, besteht für den einzelnen Haushalt auch keine Möglicheit, solche Versorgungslücken z. B. durch Verheizen von Holz im eigenen Ofen auszugleichen. Es gibt keine Öfen, man war jahrzehntelang gewohnt zuverlässig mit Fernwärme versorgt zu werden. Die wirtschaftliche Situation entspricht etwa der in Rumänien, wenngleich die Übergangs-währung, der Kupon, einer noch größeren inflationären Entwicklung unterliegt als der Lei. Für 1 DM bekommt man derzeit 105.000 Kupon. Eine Lehrerin, ein Arzt oder eine Fabrikarbeiterin verdienen etwa gleich viel, ca 4 Mio Kupon, das sind etwa 40 DM im Monat.
Um zu begreifen, in welcher Not diese Leute leben, muß man auch wissen, was sie für dieses Geld kaufen können. Hier nur einige Beispiele: 1 Paar Kinderschuhe kosten 1 Mio , 1kg Fleisch 400.000 , 1 Kg Äpfel 200.000, Kaffe 500g 400.000, 1 Brot 30.000, 1 Kg Zucker 70.000 , ebenso das Mehl. Es wäre müsig hier nachzurechnen, es ist offensichtlich, hier kann mit dem regulären Gehalt keiner überleben. Entsprechend sah man an jeder Ecke und entlang den Landstraßen überall fliegende Händler und Bauern, die ihre Produkte anboten. Hierzu muß man wissen, daß in der Ukraine die großen Kooperativen noch existieren, Gott sei Dank muß man sagen. Alles ist bebaut, im Süden Kornfelder und Äcker, soweit das Auge reicht und in den Städten zwischen den Hochhäusern und am Straßenrand sieht man kleine Beete oder nach Feierabend Leute, die ihre Kuh oder Ziege an der Leine zum Grasen führen. So sahen alle Straßenränder aus, als seien sie gemäht. Insgesamt hatten wir den Eindruck, diese Leute bemühen sich, mit allen ihnen möglichen Mitteln, und wir persönlich hatten das untrügliche Gefühl, diese Menschen werden es auch schaffen. Hier sah man nichts von der Letargie und Gleichgültigkeit, die uns anfangs im Osten so bestürzte, hier sah man Menschen die bereit waren, aus dem wenigen, das ihnen blieb , mehr zu machen. Und noch etwas, was uns allen auffiel. Diese Volk, das nicht weiß, wie es den nächsten Tag übersteht, das täglich nur stundenweise über Wasser verfügt und seit Monaten kein warmes Wasser mehr kennt, und welches für Schuhe oder ein gutes Kleidungsstück ein fünftel seines Monatslohnes bezahlen muß, gibt und kleidet sich so ansprechend , daß sich mancher westliche Wohlstandsstaat daran ein Beispiel nehmen könnte.
Ist das Hybris, Untergangsstimmung oder einfach nur ein gesunder Stolz, der einem verbietet , die eigene Not nach außen zu zeigen? Wir konnten es noch nicht ergründen.
Nach einer ungewöhnlich herzlichen Verabschiedung mit einer duftenden Rose und Geschenken für den bevorstehenden Geburtstag gingen wir mit einem Fahrer aus Severodonesk auf die Weiterreise. Severodonesk , unsere nächste Abladestation war nur
80 km entfernt, und wir hatten um einen Führer gebeten, um in dem Irrgarten von Luhansk nicht unnötig Zeit zu verlieren. Es zeigte sich, daß dies auch andere Vorteile hatte. Von Stund an wurden wir an den Polizei- und Milizkontrollen nicht mehr angehalten.
Weit vor der Stadt erwartete uns eine freudige Überaschung. Die Mitarbeiterinnen der Sozialstation waren uns entgegengefahren und begrüßten uns am Straßenrand mit dem typischen Tuch, Brot, Salz und Blumen. Eine Geste, die uns sofort Vertrauen gab. Ein Vertrauen, das durch die weiteren Gespräche , durch die Fähigkeit kurzfristig zu organisieren und das offene Verhalten dieser selbstbewussten Damen im weiteren nur noch gefestigt wurde.
Auch hier hatte man kurzfristig eine sehr gute Dolmetscherin gefunden, die unseren " Dolli " weitgehend überflüssig machte.
Auch hier gab es wohl einige Übertragungsfehler bei der vorab geführten Korrespondenz.
Man erwartete wohl hauptsächlich Hilfsgüter für die Sozialstation und nur wenig Medikamente. Wir aber hatten einen halben Zug mit Medikamenten geladen.
Die Damen der Sozialstation telefonierten, und nach einer halben Stunde waren wir in einem Zentralkrankenhaus mit ca 700 Betten, wo man schon den Lagerraum gerichtet hatte.
Wie schon in Luhansk , nahm auch hier der Zollbeamte seine Arbeit sehr genau und beobachtete uns während der ganzen Zeit des Abladens. Hin und wieder wurde ein Paket kontrolliert, um zu sehen, ob auch das drinnen ist , was drauf stand. Alle Pakete wurden peinlich genau erfasst. Danach wurde unter gleicher Bewachung bei der Sozialstation abgeladen. Die Station ist im Aufbau und von den engagierten Damen, die wir kennenlernten ,ist nur eine beruflich dort tätig. Die anderen beiden unterstützen diese ehrenamtlich auch durch ihre Beziehungen zu Industrie und Handel. Die Damen gefielen uns, soviel Initiative war genau das , was wir uns erhofften.
Auch hier war der Abschied am nächsten Tag sehr herzlich. Die Damen meinten " mit uns ginge ein Teil ihres Herzens " und wir sagten " und ein Teil unserer Herzen bleibt hier". So ging und blieb ein jeder mit einem ganzen Herz.
Nun begann unsere Rückreise. Nach einer Übernachtung in einem Motel in Poltawa, am nächsten morgen 7.30 h Aufbruch nach Kiev bei strahlendem Sonnenschein, ist doch klar, wir hatten den 27.Mai, mein Geburtstag. Nach zwei Stunden Fahrt kamen wir zu einem sehr schlimmen Autounfall. Wir boten Hilfe an, aber leider hat man uns in der Hektik nicht verstanden. Der Schwerverletzte wurde ohne Infusion , ohne Stabilisierung auf dem Boden eines "Krankenwagens" transportiert. Bei diesen Straßen und bei den Entfernungen, die bis zur nächsten Stadt zurück gelegt werden mußten, hatte der Verletzte keine Überlebenschance. Für die nächsten Stunden hatten wir ein komisches Gefühl im Magen. Um 14 h Ankunft in Kiev. Die Autos wurden mit Hilfe eines Taxis zur Deutschen Botschaft gebracht, wo sie über Nacht stehen bleiben konnten. Wir verabschiedeten uns herzlich von unserem "Dolli", drückten ihm das Geld für dieHeimfahrt mit dem Zug in die Hand, mehr wollte er nicht, und schickten ihn per Taxi zum Bahnhof. Er hatte seine Mission falsch eingeschätzt, er konnte wunderbar Gedichte aufsagen, aber Alltägliches übersetzen war einfach zu viel. Er war ein lieber Kerl und tat uns irgendwie leid, aber dank uns hat er in seinem Leben sicher das erste mal solch eine Reise gemacht.Wir übernachteten im Hotel"Lybid", 17. Stock, ganz in der Nähe. Als Überraschung für die Mannschaft hatten wir per Fax durch die Botschaftssekretärin Anka Feldhusen ein Geburtstagsessen arrangieren lassen, und alle waren durch die Schwärmerei von Wolfgang , der diese Dame im Herbst letzten Jahres während eines Hilfstransportes kennen gelernt hatte, neugierig. Sie hatte die Einladung, trotz wichtiger Termine angenommen und wußte an diesem Abend uns alle sehr angeregt zu unterhalten und damit zu gefallen. Sogar Hartmut, der sich am Nachmittag einen Muskelriß an der linken Wade zugezogen hatte, vergaß alle Schmerzen und Behinderungen. Doch am nächsten Morgen, der wieder mit großer Hitze begann, zog es Hartmut vor, Peter an das Steuer seines LKW zu setzen. Die Strecke nach Lemberg, unsere letzte Station zum Übernachten in der Ukraine, war sehr reizvoll. Leider waren die Straßen dank der großen Hitze total aufgeweicht. Gegen 19 h erreichten wir einen Kontrollpunkt kurz vor Lemberg. Wolfgang und Rainer entschlossen sich hier in ihren LKW zu übernachten, wir anderen machten uns auf die Suche nach einem Hotel. Nach nur wenigen Minuten der Ruhe zogen es Wolfgang und Rainer vor doch lieber auf einem bewachten Parkplatz zu übernachten, da einige Gangster bei hellichtem Tag in Windeseile versucht hatten ein Ersatzrad vom LKW zu stehlen, und das direkt neben einem Polizeiposten. Am 29.5. um 7 h trafen wir uns zum gemeinsamen Frühstück bei den LKW um die letzte Etappe in Richtung Ungarn früh morgens in Angriff zu nehmen, da wir nicht wußten, was noch alles an der Grenze auf uns zu kommt. Abgesehen von den nun schon fast lästigen Kontrollen auf der Straße war die Fahrt ohne erwähnenswerte Besonderheiten.
Erst der Grenzübertritt zu Ungarn bot wieder etwas Spannung. Ca 6 Km LKW Stau vor der Grenze und 3-4 Tage Wartezeit. Wie sollten wir da weiter kommen? Von unterwegs hatten wir versucht Frau Feldhusen anzurufen, die uns per Fax beim Grenzübertritt behilflich sein wollte, leider war sie aber nicht zu sprechen, dennoch hofften wir, daß man sie von unserem Telefonat unterrichtet hatte.
Wir fuhren mit dem PKW an der Schlange vorbei und verhandelten mit den Grenzbeamten.
Nach langem Palaver hieß es, ja wir könnten vorbeiziehen. Aber wie, sagte uns keiner.
Auf der Straße hatten knapp zwei LKW Platz und ständig kamen welche von der Grenze entgegen. Eine Eskorte wollte man uns nicht geben, wir sollten "einfach " vorbeifahren.
Jeder , der LKW fährt weiß, was es bedeutet, an einer 6 Km langen Schlange von Truckern vorbeizuziehen, die schon seit Tagen in brütender Hitze auf ihre Abfertigung warten.
Dies war fast noch schlimmer als unser Zickzackkurs durch die Soldatenhorden in Bender-Tiraspol. Unter wüstem Geschimpfe und Drohungen aller Art, tasteten wir uns jeweils unter Vorzeigen des Schreibens des Ministeriums und unter Androhung von Polizeieinsatz vorwärts und erreichten endlich die " rettende " Grenze. Wir waren mit dem PKW vorgefahren und warteten auf der ungarischen Seite noch fünf Stunden, bis die beiden LKW´s nachkamen.
Wir erfuhren, daß es auf der ungarischen Seite zäher Verhandlungen bedurfte, um die Verzollung des in den Tanks befindlichen Dieselöl´s zu vermeiden, und daß man alle Überredungskunst brauchte, um zu verhindern, daß der Zöllner den Tank oberhalb der 200 l Marke anbohrte. Nun hatten wir die Erklärung für unsere Beobachtung, daß immer wieder LKW´s mit defektem Tank vorbeifuhren aus denen der Kraftstoff im Strahl auf die Straße floß. Wer nicht bezahlte, dem wurde mit einem Akubohrer ein Loch in den Tank gebohrt. Wären wir nicht selbst Zeuge gewesen, wir würden es nicht glauben.
Wir fuhren noch bis Mitternacht, um wenigstens ein wenig Zeit aufzuholen und fanden dann eine bescheidene Bleibe, die wir um 8.30 h morgens wieder verließen. Der Grenzübertritt nach Österreich dauerte nur eine Stunde, gottlob bei dieser Hitze, und alle freuten sich auf das Essen, zu welchem Hartmut in der Raststätte St. Pölten eingeladen hatte.
Wir hatten uns entschlossen diesmal noch einen Zwischenstopp bei Passau einzulegen und waren wie geplant am 31.5.95 gegen 14 h in Todtnau und um 17 h in Seelscheid wieder zu Hause.
Die anderen waren schon am Samstag zurückgekommen und erste telefonische und persönliche Kontakte mit den Mitstreitern zeigten uns, daß alle unseren Eindruck teilten, daß dieser Groß-transport in jeder Hinsicht erfolgreich verlaufen ist.
Die Harmonie in der neunzehnköpfigen Mannschaft war vorbildlich. Obwohl sich viele auf dieser Fahrt zum ersten mal kennenlernten, war das Verhältnis immer kameradschaftlich und hilfsbereit. Allein schon diese Erfahrung war für uns alle ein nachhaltiges Erlebnis. Kleinere unvermeidliche Differenzen wurden sofort und offen ausgetragen, sodaß sie der durchweg guten Stimmung nichts anhaben konnten. Peppo, unser Transportleiter für Rumänien und Moldavien,und Wolfgang zuständig für die Ukraine haben ihre Aufgabe wieder einmal großartig gemeistert.
An den Abladestellen gab es hie und da etwas auszusetzen und für die Zukunft zu korrigieren, aber auch hier konnten wir im Großen und Ganzen zufrieden sein. Unsere ersten Eindrücke und Erfahrungen in der Ukraine waren durchweg positiv und weitere Gespräche mit dem Vorstand werden zeigen, ob wir in der Lage sind, hier weiterhin zu helfen. Immerhin ist die Fahrstrecke dorthin fast doppelt so lang, und der diesjähriger Transport hat unsere finanziellen Reserven vollständig aufgebraucht.
Doch wir bleiben zuversichtlich und hoffen weiterhin auf die großzügige Unterstützung unserer Freunde und Gönner.
Nach unserer Rückkehr von der zweieinhalbwöchigen über 7300 km langen Reise haben wir so oft gehört, daß man an uns gedacht hat, und genau das haben wir gespürt, und das gibt uns Mut weiter zu machen.

Im Juni 95 Ursula und Thomas Honeck

 

[Startseite] [Satzung] [Kurzinfo] [Vorstand] [Berichte] [Stationen] [Hilfe!!!]

Letzte Änderung: 30/03/02 -- Autor: Dr.med. Thomas Honeck

1