Presse/ Medien
Aktueller Fall einer verweigerten Bluttransfusion (5/99)
Wie brisant das Thema der Verweigerung einer Bluttransfusion aus religiöser Überzeugung immer noch sein kann, zeigt das folgende, aktuelle Beispiel aus Süddeutschland, dessen Ausgang noch ungewiss ist. Der SÜDKURIER veröffentlichte in den letzten Tagen (Stand: 2.6.1999; inzwischen hat sich die Patientin wieder vollständig von ihrer Erkrankung erholt - Anmerkung vom 8.1.2000) die folgenden Berichte über den Zustand der jungen Patientin und über die gerichtliche Bemühungen ihrer Mutter, ihr die nach den Ansichten der Ärzte lebensrettende Bluttransfusion gegen ihre erklärte Willensentscheidung zu verabreichen: (Wir danken der Stockacher Lokalredaktion des Südkurier für die freundliche Erlaubnis, die Zeitungsartikel im vollen Wortlaut abdrucken zu dürfen)
STOCKACH
Zeugin Jehovas lehnt Fremdblut ab
Eine 32-jährige Stockacherin liegt in Mannheim auf der lntensivstation
im künstlichen Koma. Ohne Bluttransfusion wird die junge Frau sterben,
doch als Zeugin Jehovas hat sie vor der Operation gegenüber den
behandelnden Ärzten eine Bluttransfusion als persönliche
Vergewaltigung bei klarem Bewusstsein abgelehnt. Der Versuch
der Mutter, das Leben ihrer Tochter durch eine einstweilige
Anordnung des Vormundschaftsgerichts zu retten, scheiterte. Der
Antrag ist gestern morgen von der Strafkammer des Amtsgerichts
Stockach abgelehnt worden. Wilfried Herzog, Anwalt der Mutter in
Stockach, hat sofortige Beschwerde beim Konstanzer Landgericht eingelegt.
[pek]
Südkurier Lokalausgabe Stockach,
Freitag, den 28. Mai 1999
Abb. des Original-Zeitungsartikels (29 KB)
(wird in einem eigenen Browser-Fenster dargestellt,
zurück
auf diese Seite durch Schließen des neuen Fensters)
STOCKACH
Zeugin weiter in Lebensgefahr
Stockach (rif) In einer Mannheimer Klinik kämpft eine junge
Stockacherin weiter mit dem Tode Dem Antrag der Stockacher Anwälte
Wilfried Herzog und Jan Dorell auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung wurde bisher nicht entsprochen. Heute will das
Oberlandesgericht Karlsruhe entscheiden, ob das Konstanzer
Landgericht den Fall erneut prüfen muss. Nach einer Operation
könnte eine Bluttransfusion der 32jährigen sofort helfen. Einem
solchen Eingriff hatte sie jedoch vor der Behandlung strikt ihre
Zustimmung verweigert: Die Patientin ist Mitglied der Glaubensgemeinschaft
Jehovas Zeugen. Diese lehnt derartige Eingriffe ab. Der
Konstanzer Strafrechtsprofessor Eric Hilgendorf gibt der Beschwerde
aus Stockach wenig Erfolgschancen. Die frühere Rechtsprechung gehe
ebenfalls in die Richtung, eine derartige Willensäußerung aus
religiösen Gründen nicht zu überstimmen.
Südkurier Konstanz
Dienstag, den 1. Juni 1999
Abb. des Original-Zeitungsartikels (32 KB)
(wird in einem eigenen Browser-Fenster dargestellt,
zurück
auf diese Seite durch Schließen des neuen Fensters)
Nachtrag am 26. Juni 1999
Auszüge aus einem Interview des Südkurier, Lokalausgabe Singen, mit dem Anästhesisten Professor Guido Hack vom Klinikum Konstanz (5. 6. 1999):
Herr Hack, gab es im Singener Klinikum schon einmal einen
Fall, bei dem das Leben eines Mitgliedes der Zeugen Jehovas in
Gefahr war, weil dieses eine Bluttransfusion verweigert hat?
Ja, 1997 wäre ein Frau mit einer Bauchhöhlenschwangerschaft
um ein Haar gestorben.
Wie haben Sie reagiert?
Wir haben die Transfusion auch gegen den Willen der Patientin
vorgenommen und konnten damit ihr Leben retten.
Ein solcher Schritt kommt in den Augen der Zeugen Jehovas
ja einer Körperverletzung gleich. Wie können sich Ärzte denn
gegen eine Anzeige schützen? Wie haben Sie sich geschützt?
Ich habe das Krankenhaus-Verbindungskomitee der Zeugen Jehovas
darüber informiert, dass ich mir den Einsatz einer Bluttransfusion
als letztes Mittel vorbehalte, wenn alle Verfahren bei einer nicht
abwendbaren Lebensbedrohung nicht mehr greifen. Ich versichere, dass
ich diesen Schritt nur einleite, wenn nach meiner Gewissensentscheidung
nur so der Tod des Patienten abgewendet werden kann. Ansonsten bin
ich bereit, den erklärten Willen des Patienten zur Transfusionsverweigerung
zu respektieren und mit allen Kräften und Möglichkeiten eine
Transfusion zu vermeiden
Wie steht das Hegau-Klinikum dazu?
Auch die Operateure vertreten diese Haltung. Im übrigen berufen wir
uns dabei auf die Ärztliche Berufsordnung von Baden-Württemberg, wonach
wir unseren Beruf nach unserem Gewissen, den Geboten der ärztlichen
Ethik und der Menschlichkeit ausüben.
Gibt es Operationen, die ohne Bluttransfusionen gar nicht
durchgeführt werden können?
Ja, zum Beispiel grosße Korrektureingriffe an der Wirbelsäule.
Hier ist der Blutverlust bei einer Operation sehr groß. Für die
bekennenden Zeugen Jehovas ist ein solcher Eingriff also ausgeschlossen.
....
Was geschieht bei einem Unfall?
Bietet nur eine sofortige Operation die Chance der Lebensrettung,
so wird sie selbst dann durchzuführen sein, wenn die überwiegende
Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein Bluttransfusion
erforderlich werden wird. Es geht hier darum, die Chancen des
Patienten auf Lebensrettung zu bewahren.
Und wie verhält sich das bei Kindern?
Bei nichtmündigen Kindern ist die Situation überhaupt anders.
Da setzen wir uns notfalls über die Entscheidung der Eltern hinweg
oder schalten das Vormundschaftsgericht ein.
Was halten Sie persönlich von der Verweigerungshaltung in
Sachen Bluttransfusion?
Die Glaubensüberzeugung ist zu respektieren. Durch ihre
Haltung schützen sich die Zeugen Jehovas vor den Risiken
der Bluttransfusion. Durch ihre Haltung haben sie darüberhinaus
entscheidend zur Entwicklung von blutfreien Behandlungsverfahren beigetragen.
Blut, Recht und Leben
Von Richard Friebe
Da kämpfte eine junge Frau mit dem Tode. Mehrere Tage lag sie im Koma. Mit einer Bluttransfusion hätte ihr sofort geholfen werden können. Aber die junge Stockacherin wollte kein Blut, lieber wäre sie gestorben.
Denn den Mitgliedern oder, wie sie sich selber nennen, Verkündigern der Zeugen Jehovas ist die Annahme von fremden Blut verboten. Ansonsten verlieren sie ihre Lauterkeit und müssen den gnadenlosen Zorn Jehovas, ihrer Version des biblischen Gottes, fürchten. Die Frau hat sich vor der schweren Operation und im vollen Bewusstsein der möglichen Konsequenzen entschieden, kein fremdes Blut anzunehmen. Unsere Verfassung garantiert ihr das Recht auf freie Selbstbestimmung. Dieser Meinung waren die Richter in Stockach, Konstanz und Freiburg. Und damit wäre der Fall eigentlich erledigt, die Akten geschlossen, die Frau landet auf dem Friedhof oder mit Glück oder vielleicht auch Jehovas Hilfe doch wieder zu Hause in Stockach, zumindest bis zur nächsten Operation.
Man soll sich in einem Kommentar wie diesem ja über etwas äußern, was man versteht. Bei diese Thema allerdings fällt Verstehen und Verständnis schwer. Und das liegt wahrscheinlich daran, dass diese junge Frau und die anderen Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft in einer ganz anderen Welt leben.
Jehovas Zeugen sind sich sicher, die einzigen zu sein, die die Bibel richtig deuten. Sie sehen sich von Gott auserwählt, nach der Apoklayptischen Endschlacht am Jüngsten Tage auf einer dann paradiesischen Erde zu überleben. Das Leben hier ist nur Zwischenstation, ein Sündenpfuhl aus Versuchungen und Bewährungsproben. Das ist ihre Welt, gegen die andere um sie herum schotten sie sich ab.
Egal ob gläubig oder nicht, die meisten Menschen lieben das Leben im Hier und Jetzt so sehr, dass sie ohne weiteres alle medizinischen Möglichkeiten ausschöpfen würden, um wieder gesund zu werden.
Aber die 32-jährige Stockacherin, sie liebt das Leben auch. Das sagt sie ihrer Mutter kurz vor der Operation. Es war seit langem der einzige Moment, in dem sie unbewacht durch andere Zeugen reden konnte. Und es ist der Moment, in dem jeder daran zweifeln muss, ob das Nein zur Transfusion wirklich ein Nein aus freiem Willen war.
Wer sich bei den Zeugen nicht an die Regeln hält, hat harte Strafen, bis hin zum Ausschluss aus der Gemeinschaft, zu befürchten. In den Tagen vor der Operation wichen die beiden sogenannten Beistände, einer davon war der Ehemann, nicht von der Seite der Patientin. Selbst in dem entscheidenden Gespräch mit dem Arzt waren sie anwesend.
War das jetzt Freier Wille oder das Ergebnis einer ausgefeilten Indoktrination, die die Regeln der Organisation über das in der Verfassung garantierte Recht auf Unversehrtheit an Leib und Leben stellt? Wir können die Frau nicht fragen, wir kommen nicht an sie heran. Obwohl es ihr jetzt, Gott sei Dank, möchte man sagen, besser geht.
Das Drama, oder zumindest dieser Akt des Dramas, hat noch einmal ein glückliches Ende genommen. Was auch dazu führt, dass die Vordenker dieser Glaubensgemeinschaft sich bestätigt fühlen.
Aber das Leben der Patientin hing über Tage am seidenen Faden. Als die Mutter sie vorgestern auf der Mannheimer Wachstation besuchte, sei sie noch total benebelt gewesen. Ob sie durch die chronische Unterversorgung mit Sauerstoff, die durch den Blutmangel ausgelöst wurde, bleibende Schäden behält, beispielsweise im Gehirn, ist immer noch unklar. Und die Ärzte wagen keine Prognosen.
Jehovas Zeugen sind eine mächtige Organisation, eine in sich selbst abgeschlossene Welt mit eigenem Weltbild und eigenen Regeln. Sie hat Juristen in ihren Reihen, die alle Winkelzüge beherrschen. Sie hat ihre Mitglieder fest im Griff. Sie zögert nicht, menschliches Leben aufs Spiel zu setzen. Richter, Ärzte und alle, die das Geschehen mit Kopfschütteln und Unverständnis verfolgen, sind machtlos. Die, die in Deutschland die Gesetze machen, sollten darüber nachdenken, ob das so bleiben muss.
Angehörige sind beschwerdeberechtigt
Eine Frau der Zeugen Jehovas verweigerte eine Bluttransfusion. Jetzt erstritt ihre Mutter vor Gericht ein Grundsatzurteil.
Von Holger Reile, Konstanz
Mitte Mai wurde Diana B. aus Stockach am Bodensee in die Universitätsklinik Mannheim eingeliefert. Die 32-jährige Frau leidet seit ihrer Kindheit an einer Darmkrankheit und wurde deswegen bereits mehrere Male operiert. Eine erneute Operation verlief gut, doch traten wenig später Nachblutungen auf. Ein postoperativer Eingriff wurde notwendig. Die junge Frau erklärte den Ärzten, dass sie eine Bluttransfusion kategorisch ablehne: Als Mitglied der Zeugen Jehovas betrachte sie die Versorgung mit Fremdblut als persönliche Vergewaltigung. Die Ärzte mussten sich fügen. Aus einfachem Grund: Führen sie gegen den Willen von Patienten eine Bluttransfusion durch, können sie wegen Nötigung und Körperverletzung belangt werden.
Verunreinigung des Geistes
Schon Tage vor dem Eingriff waren Mitglieder des Krankenhauskomitees der Zeugen Jehovas in der Klinik aufgetaucht. Sie sorgten dafür, dass ihre Glaubensschwester nicht doch noch einer Bluttransfusion zustimmte. Nach Auffassung der Sekte ist Fremdblut gleichbedeutend mit einer Verunreinigung des Geistes. Wer sich in einer lebensbedrohlichen Situation dennoch für eine Bluttransfusion entscheidet, muss mit einschneidenden Sanktionen der Sekte bis hin zum Ausschluss rechnen.
Diana B. erwachte nicht mehr aus der Narkose. Wegen ihres schlechten Hämoglobinwertes wurde sie ins künstliche Koma versetzt. Während dessen versuchte ihre Mutter, gerichtlich eine Bluttransfusion durchzusetzen. Allerdings entschieden sowohl das Amtsgericht Stockach als auch das Landgericht Konstanz gegen sie. Für Insider nichts Neues: Bisher ging die Rechtsprechung immer in die Richtung, eine Willensäusserung aus religiösen Gründen zu akzeptieren.
Hoffnung für viele Eltern
Doch Dianas Mutter gab nicht auf. Für sie war ihre Tochter nicht mehr in der Lage, eine freie Entscheidung zu treffen. Ausserdem habe ihre Tochter ihr kurz vor dem zweiten Eingriff zu verstehen gegeben, dass sie einer Transfusion doch zustimme.
Das Oberlandesgericht Freiburg hat jetzt eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. Die Ablehnung des Antrags auf eine Anordnung einer Bluttransfusion wurde zwar bestätigt; erstmals aber hat ein Gericht anerkannt, dass eine nahe Angehörige in einem derartigen Fall beschwerdeberechtigt ist. Dieses Urteil, so Ingo Heinemann von der Aktionsgemeinschaft für geistige und psychische Freiheit, wird bundesweit für Aufsehen sorgen, es gibt Hoffnung für viele Eltern in ähnlichen Situationen.
Diana B. hat den Eingriff mit sehr viel Glück überlebt.
Ihre Mutter aber ist am Ende. Dass sie sich über ihren juristischen
Teilerfolg nicht richtig freuen kann, liegt auf der Hand. Als Putzhilfe
verdient sie gerade so viel, wie sie zum Leben braucht. Wie sie die
Anwaltskosten von rund 10 000 Franken bezahlen soll, weiß sie nicht.
(aus dem
Tagesanzeiger vom 24. 6. 1999)
ZEUGEN JEHOVAS
Gericht stärkt Rechte Angehöriger
Stockach/Freiburg (rif)
Im Rechtsstreit um die Ablehnung einer Bluttransfusion seitens
einer schwer kranken "Zeugin Jehovas" hat das Oberlandesgericht
in Freiburg eine Präzedenzentscheidung gefällt. Zwar wurde die
Ablehnung des konkreten Antrags der Mutter auf einstweilige
Anordnung einer Bluttransfusion bestätigt. Erstmals hat aber ein
Gericht anerkannt, daß Verwandte in direkter Linie in einem solchen
Falle beschwerdebefugt sind. Nach Ansicht der Anwälte der Mutter
wird das bundesweit für Aufsehen sorgen.
© SÜDKURIER GmbH 6/1999
Stockach/Freiburg (rif)
Der 19. Zivilsenat des Karlsruher
Oberlandesgerichtes in Freiburg hat nun endgültig entschieden:
Der Antrag auf eine einstweilige Anordnung einer Bluttransfusion
für die Zeugin Jehovas, die noch immer in einer Mannheimer
Klinik liegt, muß nicht neu geprüft werden. Er ist damit in
letzter Instanz abgewiesen. Trotzdem werten die Stockacher
Anwälte der Mutter der Patientin, Jan Dorell und
Wilfried Herzog, einen anderen Aspekt des Freiburger
Beschlusses als "wegweisend". Erstmals habe ein Gericht
anerkannt, dass Verwandte in direkter Linie - hier die Mutter
der Patientin - in einem solchen Falle beschwerdebefugt seien.
Dorell: Dieser Beschluß des Karlsruher Oberlandesgerichtes
wird sicher bundesweites Interesse erzeugen. Auch wenn in
diesem konkreten Fall der Antrag gescheitert sei, würden
sich in Zukunft neue Möglichkeiten für Verwandte eröffnen,
deren direkte Angehörige in eine ähnliche Situation geraten
wie die 32jährige Stockacherin, über deren Schicksal wir im
SÜDKURIER mehrfach berichteten. Sollte sich die Situation
wiederholen, die Dame also erneut operiert werden müssen,
können wir auch die ganze Sache wieder von vorne aufrollen,
so Dorell. Die Erfolgsmöglichkeiten seien dadurch deutlich
verbessert.
© SÜDKURIER GmbH 6/1999
letzte Aktualisierung: 8. 1. 2000
Web-Adresse: http://geocities.datacellar.net/athens/ithaca/6236/stockach.htm
This page hosted by
Get your own Free Home Page